G.C. Heintges: Vom Europa der Staaten zur Europäischen

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Vom Europa der Staaten zur Europäischen Bürgerunion
Mehr Europa wagen – Auf dem Weg zum Europäischen Bundesstaat
Von Gerald-Christian Heintges
Die gegenwärtigen Krisen zeigen sehr deutlich, daß Europa in seiner
heutigen Verfaßtheit weder den aktuellen Notwendigkeiten noch den künftigen Herausforderungen einer postnationalen europäischen Gesellschaft
entspricht. Die Finanzkrise, die in Wahrheit eine politische Krise ist, hat in
schonungsloser Offenheit dargelegt, daß die Unzulänglichkeiten der politischen Grundlagen und Rahmenbedingungen die eigentlichen Ursachen
sind. Das Handeln der politischen Akteure in den Nationalstaaten und in
den europäischen Institutionen hat zu einem erheblichen Vertrauensverlust
nicht nur in die Institutionen, sondern sogar in die europäische Idee der
gemeinschaftlichen und solidarischen Zukunftsgestaltung geführt.
Europa steht heute am Scheideweg: Entweder wir gewinnen mit mehr
europäischen Lösungen und einer erneuerten Dynamik der europäischen
Integration in einer vertieften politischen Union mit der Solidarität der Tat
in einer starken Wirtschafts- und Sozialunion das Vertrauen der Bürger
zurück, oder wir geraten im besten Fall in eine Stagnation. Das Beharren
der politischen Akteure in den Hauptstädten auf nationalstaatlichegoistischem innenpolitischem Populismus und kleinmütigen intergouvernementalen Lösungsversuchen führt in der globalisierten Welt zu politischer Ohnmacht und trägt den Keim einer beginnenden Desintegration in
sich. Europas Handlungsfähigkeit nach Außen ist blockiert und das
Vertrauen in seine Stärke als Friedensmacht der inneren Aussöhnung
verloren.
Ein starkes Europäisches Parlament gewählt vom europäischen Volk
In einer Bürgerunion ist das Europäische Parlament das Symbol und der
Kristallisationspunkt der Idee des Unionsbürgers als europäischem
Souverän. Die Abgeordneten sollten als Vertreter der Unionsbürger und
Parteien nicht der Staaten über transnationale Listen europäischer Parteien
nach einem einheitlichen europäischen Wahlrecht und nicht mehr nach
nationalen Sitzkontinenten gewählt werden. Dies würde eine Europäisierung und Demokratisierung des Europäischen Parlaments bedeuten, und
würde die Europawahl aus der Degradierung zu nationalen Sekundärwahlen befreien und sie stärker europäisch legitimieren.
Zudem sollte das Europäische Parlament mit erheblich mehr Ressourcen
für einen adäquaten und umfassenden wissenschaftlichen Dienst und für
eine noch bürgernähere Kommunikation ausgestattet werden.
Zur Herausbildung eines politischen europäischen Bewußtseins bedarf
es starker und sichtbarer transeuropäische Parteien die entschieden
gegenüber ihren nationalen Sektionen gestärkt werden müssen. Bei der
politischen Willensbildung der Unionsbürger sollten auch die Parteienstiftungen auf europäischer Ebene durch eine europapolitische transnationale Jugend- und Erwachsenbildung stärker an der Bildung eines
europäischen Bewußtseins mitwirken.
Neben der Wahl zum Europäischen Parlament ist die direktdemokratische
Beteiligung der Bürger auf Unionsebene ein ergänzendes und notwendiges
Mittel der politischen Gestaltungsmöglichkeit und Einflußnahme. Grenzüberschreitende Debatten zu wichtigen europäischen Themen verbunden
mit der Bildung und Stärkung von neuen europäischen Bürgernetzwerken
führen so zu einer intensiveren Wahrnehmung europäischer Angelegenheiten in den Medien und eröffnen daher die Chance eine europäische
Öffentlichkeit zu erzeugen. Um dem Unionsbürger als legitimem europäischem Souverän ernsthaft gerecht zu werden, sollte durch die Europäischen Bürgerinitiative auch vertragsändernde Vorschläge ermöglicht
werden, für die dann allerdings ein gesondertes, erhöhtes Quorum der
Staaten, z.B. 2/3 der Mitgliedsstaaten und der zu erbringenden Unterschriften, z.B. 3 Millionen, notwendig wäre.
Aktuell scheint unsere gemeinsame Währung Europa eher zu spalten
statt zu einen. Eine Währungsunion ohne die sich daraus ergebenden
tiefgreifenden Konsequenzen einer politischen Union zu errichten war mehr
als fahrlässig. Heute läßt dieses Versäumnis auf dramatische Weise die
Gefährdung des gesamten europäischen Integrationsprozesses erkennen.
Für den Erhalt und die dauerhafte Sicherung des Euro und somit der Wirtschafts- und Währungsunion sind von den Staats- und Regierungschefs
mehr denn je mutige Schritte gefordert: Es werden in Zukunft die Haushalts-, Steuer-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitiken der Euroländer
sehr viel enger abgestimmt und ggf. perspektivisch harmonisiert werden
müssen. Nur durch die Bereitschaft zu einem tiefen, substantiellen Eingriff
in mitgliedsstaatliche Souveränität mit weiteren Übertragungen nationalstaatlicher Kompetenzen an eine unabhängige, supranationale europäische
Entscheidungsinstanz als Wirtschaftsregierung, kann Europa gestärkt aus
der Krise hervor gehen.
Da sich die intergouvernementale Zusammenarbeit als unzulänglich erwiesen hat, kann nur die Gemeinschaftsmethode eine adäquate Form des
Regierens sein. Nur die EU-Kommission kann als Wirtschaftsregierung und
nicht der Europäische Rat dieser Motor sein: die Kommission als
Wirtschafsregierung, unter voller Kontrolle des Europäischen Parlaments!
Um eine effektive Koordinierung zu gewährleisten sollten daher auch die
Euro-relevanten Ämter des Vorsitzenden im Rat für Wirtschaft und
Finanzen und des Vorsitzenden der Euro-Gruppe in der Person des
Kommissar für Wirtschaft und Währung vereint werden.
Eine gemeinsame Währung erzwingt eine gemeinsame (Wirtschafts)Regierung!
Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion kann aber ohne eine
flankierende Europäische Sozialunion mit einer perspektivischen Angleichung der Sozialsysteme keinen dauerhaften Bestand haben.
Hier ist auch die Frage zur Reform des EU-Haushalts von nachhaltiger
Bedeutung. Die Finanzierung des EU-Haushalts muß vereinfacht, transparenter und demokratischer werden. Durch eine Umstellung der Finanzierung des EU-Haushaltes ausschließlich durch Eigenmittel würde die EU von
nationalen Beiträgen der Mitgliedstaaten unabhängig
und die leidige
Nettozahlerdebatte obsolet werden. Die Europäische Union würde so
gegenüber dem Bürger auch als eigenständige finanzpolitische Ebene
deutlicher wahrnehmbar. Eine aufkommensneutrale Erhebung von EUSteuern, z.B. im Rahmen einer direkt von der EU erhobenen Mehrwertund einer Finanztransaktionssteuer würde so zu einer für den Bürger
transparenteren und nachvollziehbareren europäischen Finanzverfassung
führen.
Die EU-Kommission als legitime gewählte europäische Regierung
Die Europäische Kommission sollte vom Europäischen Parlament als direkt
gewählte Regierung legitimiert werden. Daher wäre der Kommissionspräsident nicht mehr von den Staats- und Regierungschefs vorzuschlagen
sondern aus der Mitte des Europäischen Parlamentes zu wählen nach dem
er als Spitzenkandidat bei der Europawahl die Mehrheit errungen hat.
Gleichfalls sollten die nationalen Regierungen darauf verzichten die
Kommissare vorzuschlagen um sie aus den Reihen der Abgeordneten
selbst im Parlament zu wählen. Dies hätte eine Stärkung der Demokratie
und Bürgernähe zur Folge und würde die Identifikation der Bürger mit der
Europäischen Union erhöhen und könnte zur Stärkung des europäischen
Bewußtseins beitragen.
Nur durch die mutige und konsequente Fortführung des Weges, den uns
die Gründerväter gewiesen haben, die am 9. Mai 1950 als europäische
Visionäre die eigentlichen Realisten waren, wird Europa die Krisen
bewältigen und sich mit seinen Bürgern versöhnen.
Es bedarf allerdings größter kommunikativer Anstrengungen die
Notwendigkeit dieser tiefgreifenden Veränderungen zu erklären und in
einem offenen Dialog mit dem Bürger ernsthaft zu diskutieren, ihn zu
überzeugen und um sein Vertrauen zu werben. Daher sollte eine europaweite intensive Debatte mit den Bürgern über die zukünftige Verfaßtheit
Europas durch die Einberufung von transeuropäischen Bürgerkonventen
angestoßen werden. Am Ende dieses Prozesses sollte dann die Einsetzung
eines neuen verfassungsgebenden Konventes stehen der den Vertrag von
Lissabon durch einen kompakten, eindeutigen und verständlichen Text
einer europäische Verfassung ersetzt, die in einem europaweiten
Referendum den Unionsbürgern zur Abstimmung vorgelegt wird.
Eine Europäische Union in die der Bürger kein Vertrauen (mehr) hat wird
auf Dauer scheitern!
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