1 2 Inhaltsverzeichnis A Einleitung B 1. 1.1. 1.2. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.2. 3.3 Hauptteil Der Sozialstaat, Definition und geschichtlicher Werdegang Definition Sozialstaat Der Weg zum Sozialstaat Die Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat Errungenschaften des Sozialstaats Probleme des Systems Sozialstaat Lösungsansätze für eine Reform des Sozialstaats Reform des Sozialstaats unter Beibehaltung bisheriger Strukturen Die grundlegende Umstrukturierung des Sozialstaats Fazit C Allgemeine Schlußbetrachtung 3 A Einleitung Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) versteht sich als Sozialstaat. Doch gerade in den letzten Jahren sind auf diesem Gebiet starke Veränderungen zu bemerken. Wohl kaum ein anderes politisches Thema beherrschte so ausführlich die Schlagzeilen in den deutschen Medien. Eine Diskussion um soziale Kürzungen, „Einschnitte“ in den Sozialstaat oder sogar um den Untergang des Sozialstaats begann und politische Entscheidungen wurden getroffen. Trotz allem nutzt fast jeder Bürger ein soziales Sicherungssystem der BRD, sei es nun der Kranke, der die gesetzliche Krankenversicherung nutzt, der Student, der das Bafög in Anspruch nimmt oder der Rentner, der durch den sogenannten Generationenvertrag seine Rente bezieht. Meine Hausarbeit wird sich deswegen mit dem Thema Deutschland als Sozialstaat beschäftigen. Hierin soll der Werdegang Deutschlands zum Sozialstaat nachgezeichnet werden. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Erörterung sein, welche Vorteile und Probleme damit verbunden sind und welche Lösungsansätze dafür diskutiert werden. Um zu den dazu nötigen Ergebnissen zu kommen, werde ich mich dem Thema von verschiedenen Seiten aus nähern. Um möglichst viel Transparenz in das Thema zu bekommen, soll im ersten Abschnitt des Hauptteils der Begriff „Sozialstaat“ definiert werden. Nach dieser Klärung beschäftigt sich die Hausarbeit mit der theoretischen Grundlage und der geschichtlichen Entwicklung von der Arbeiterbewegung bis zur Entstehung der BRD. Der zweite Abschnitt wird sich mit der praktischen Durchführung dieses Theoriegebildes in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und den daraus entstehenden Vor- und Nachteilen sozialstaatlichen Handelns auseinandersetzen. Im dritten Abschnitt des Hauptteils soll schließlich eine mögliche Lösung zu den Problemen aufgezeigt und danach eine allgemeine Bewertung der Situation herausgearbeitet werden. 4 B Hauptteil 1. Der Sozialstaat, Definition und geschichtlicher Werdegang 1.1. Definition Sozialstaat Um sich dem Thema nähern zu können, muß zuerst eine klare Definition der Begriffe erfolgen. Da der Begriff Sozialstaat vielseitig verwendet werden kann, handelt dieser Punkt von der Klärung des benutzten Sozialstaatsbegriffs. Nach eingehender Studie mehrerer Quellen, kommt man zu dem Ergebnis, daß der Begriff Sozialstaat ein uneinheitlich definierter und politisch kontrovers diskutierter Begriff ist. Oftmals wird er auch mit dem englischen Begriff „Welfare State“ gleichgesetzt. Unterschiedliche Auffassungen lassen sich an verschiedenen Ausprägungen in anderen Ländern oder auch verschiedenen politischen Richtungen feststellen. Nach Gerhard A. Ritter1 wird zwischen drei wesentlichen Typen des Wohlfahrtsstaats unterschieden: a) der „Positive State“. Hier wird das Sozialversicherungswesen betont, d.h. es beruht auf Individualismus und Schutz korporativer Interessen. Er garantiert nicht den Besitzersatz für alle Bürger, sondern nur für die versicherten. Arbeitnehmer ohne feste Anstellung sind somit faktisch ausgeschlossen. b) der „Social Security State“. Diese Form des Sozialstaats zielt auf eine Vollbeschäftigung seiner Bürger ab. Deshalb garantiert er auch rechtlich ein Mindesteinkommen und Chancengleichheit. Man spricht deshalb auch von einer „modern and noble version of the liberal idea“. c) der „Social Welfare State“. Im Gegensatz zum „Positive State“ treten Sozialversicherungen bei dieser Form in den Hintergrund und werden durch öffentliche soziale Dienste ersetzt. Unterschiede im Lohnniveau sollen verringert und die Position der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber dauerhaft gestärkt werden. Vergleicht man die Theorie mit der Praxis, so stellt man schnell fest, daß die zuvor eng gezogenen Grenzen leicht verschwimmen. Die BRD müßte zum 1 Vgl. Ritter, Gerhard A.: Der Sozialstaat, Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich. München 1989, S. 8. 5 Beispiel als „Positive State“ eingeordnet werden, da der Schwerpunkt der sozialen Sicherung eindeutig auf dem Sozialversicherungssystem beruht. Trotzdem sind hier auch die Merkmale der zwei anderen Typen, wie z.B. Chancengleichheit zu finden. Man muß also zu dem Ergebnis kommen, daß das System Welfare State eine geringere Bedeutung spielt und das System Sozialstaat zwar ähnliche Eigenschaften besitzt, jedoch eine Sonderposition einnimmt. Demnach stellt sich die Frage, was der Sozialstaat wirklich ist. Die Definition, die in dieser Arbeit angewandt wird, besagt, „daß der moderne Sozialstaat eine zentral gesteuerte und verordnete Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge für alle Bürger in allen Lebenslagen ist, sich als die erste gesellschaftliche Wirklichkeit der modernen Demokratie enthüllt und sich der ökonomischen Raison eines auf soziale Gerechtigkeit verpflichteten Wirtschaftsliberalismus bedient.“2 Eng einhergehend mit dem Begriff des Sozialstaats muß an dieser Stelle auch der Begriff Subsidiarität genannt werden. Der Begriff findet seinen Ursprung in der katholischen Soziallehre und steht für „eine gegen staatlichen Zentralismus und Kollektivismus gerichtete Gesellschaftsauffassung, die für die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der kleineren Sozialgebilde eintritt.“3 Das Subsidiaritätsprinzip ist ein wesentlicher Bestandteil des Sozialstaats. Das bedeutet, daß der Staat die Voraussetzung für Sozialgebilde schaffen und dafür Sorge tragen muß. Der Staat soll als Unterstützer des Bürgers wirken, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, sich selbst aus einer sozialen Notlage befreien zu können. Durch die Bereitstellung von Sozialversicherungen und eines rechtlichen Anspruchs darauf leistet der Staat seinen Beitrag dazu. Selbstverständlich verlangt ein solches System auch, daß sich die Bürger als Partizipienten des Staates untereinander solidarisch erklären. Der Stärkere betrachtet es somit als seine Aufgabe, dem Schwächeren zu helfen. Eine Umverteilung von Lebensnotwendigem kann also direkt zwischen den Bürgern eintreten oder durch den Staat geregelt werden. Dies findet sich z.B. wieder in einer unterschiedlichen Besteuerung von Einkommen und in, nach dem Einkommen gestaffelten, Beiträgen an die Sozialversicherungen. 2 3 Baier, Horst: Ehrlichkeit im Sozialstaat. Zürich 1988, S. 9. Brockhaus: 21. Band, 19.Auflage. Mannheim 1987, S. 395. 6 1.2. Der Weg zum Sozialstaat in Deutschland Wer die aktuellen Strukturen des Sozialstaats Deutschland verstehen will, muß sich natürlich auch die Vergangenheit, also die Entstehung, vergegenwärtigen. Da auch heute noch Auswirkungen vom Anfang der sozialen Bewegung in Deutschland vorhanden sind beschäftigt sich dieser Abschnitt deshalb mit der Entstehungsgeschichte der sozialen Bewegung und der Thematisierung der sozialen Frage in Deutschland.4 Die Entstehungsgeschichte läßt sich in fünf Abschnitte einstufen. Bis zum 19. Jahrhundert war Deutschland geprägt von Armenpflege und der allgemeinen Wohlfahrt, die meist von der Kirche ausging. Der Großteil der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig. D.h. es waren rechtlose Bauern, die an ihre Scholle gebunden waren. Der Grundherr war für ihr Wohlergehen verantwortlich. Durch die Einfruchtwirtschaft auf den Feldern waren die Erträge nicht sonderlich hoch. Schlechte Ernten, hervorgerufen z.B. durch ungünstige klimatische Bedingungen, konnten nicht ausgeglichen werden. Zudem waren die Bauern durch hohe Abgaben belastet. Das, was übrigblieb, wurde i.d.R. vollständig zum Eigenverzehr benötigt. Der geringe Teil der Handwerker war in Zünften organisiert, die ihre Mitglieder untereinander so weit wie möglich sozial absicherten. Ein Zugang Außenstehender zu jener sozialen Sicherheit blieb verwehrt. Eine wichtige Rolle spielte deshalb die Kirche, die durch die Einrichtung von Hospitälern eine gewisse Zahl von durchreisenden und ortsansässigen Armen versorgen konnte. Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die industrielle Revolution in Europa und auch in Deutschland einsetzte, geschah ein rasanter gesellschaftlicher Wandel. Alte gesellschaftliche Strukturen wurden aufgebrochen, die Menschen waren nun nicht mehr an ihr Land gebunden. Eine Wanderung vom Land in die Stadt begann, effektivere Landwirtschaft war in der Lage, mehr Menschen zu ernähren, die Bevölkerung nahm rasch zu. Im gleichen Zug, wie die Industrialisierung voranschritt, wuchs der Pauperismus (Massenarmut). Die Bevölkerung mußte, ohne Rücksicht auf Verluste, in den Fabriken ihren Dienst an den Maschinen verrichten, um überleben zu können. Eine soziale Absicherung stellten höchstens 7 die Kinder dar, die später für die Familie sorgen konnte. Unternehmer mit einer patriarchalischen sozialen Verpflichtung gegenüber ihren Arbeitnehmern waren die Ausnahme. Aus diesem Hintergrund heraus wurde zum ersten Mal zwischen 1820 und 1830 die soziale Frage formuliert, die einschneidende Verbesserungen forderte. Die Politik reagierte sehr zurückhaltend darauf. 1842 wurde erstmals durch das preußische Armenwesen einheitliche Gesetze geschaffen, die Gemeinden dazu verpflichtete, neu hinzukommende Personen aufzunehmen und zu versorgen. Erst als der politische Druck der sozialistische Arbeiterbewegung größer wurde, verabschiedete Bismarck in den 1880ern die sogenannten „Sozialistengesetze“. Diese beinhalteten die gesetzliche Krankenversicherung (1883), die Unfallversicherung (1884) und die Rentenversicherung (1889). Was zuerst als Entmachtung der Gewerkschaften gedacht war, entpuppte sich als erster großer Schritt zum Sozialstaat. Zum ersten Mal wurde eine breite Bevölkerungsschicht obligatorisch gegen Lebensrisiken abgesichert. Die Beiträge wurden von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und dem Staat finanziert. Deutschland spielte hierbei eine weltweite Vorreiterrolle. Erstaunlich ist auch, daß die soziale Revolution von oben und nicht von unten bewältigt wurde. Trotzdem blieb die Inanspruchnahme sozialer Leistungen gesellschaftlich verpönt und war mit rigiden Bedingungen verknüpft. An der o.g. Situation änderte sich bis zum Ersten Weltkrieg nicht sehr viel. Einen entscheidenden Schritt weiter ging jedoch die Weimarer Republik. Beeinflußt durch die enormen Aufwendungen an die Kriegsversehrten und Witwen und Waisen, wurden die sozialen Aufgaben des Staates ausgedehnt. Die soziale Sicherung der Bürger wurde in die Verfassung aufgenommen. 1927 entstand die Arbeitslosenversicherung, die somit ein weiteres großes Lebensrisiko abdecken konnte. Nach einer Stabilisierung der Verhältnisse und dem wirtschaftlichen Aufschwung Mitte der 20er Jahre scheiterte das System jedoch an der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er. Weimar brach unter der sozialen Last, die es sich aufgebürdet hatte, zusammen. Während die Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten völlig gleichgeschaltet und entmachtet wurden, blieb der Sozialstaat in seiner wesentlichen Struktur auch im Dritten Reich bestehen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß der 4 Vgl. zu diesem Punkt Ritter, Gerhard A. 1989, S. 29-145. 8 Sozialstaat den ideologischen Zielen der Nationalsozialisten untergeordnet und hauptsächlich zur Disziplinierung des Volkes vorgesehen war. 2. Die Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat In diesem Kapitel soll die BRD als Sozialstaat untersucht werden. Dabei wird auch die praktische Durchführung des Sozialstaates untersucht und hinterfragt. Da sich besonders in den letzten Jahren die Diskussion um den Sozialstaat erhitzte, halte ich es für nötig, die Vor- und Nachteile aufzulisten und gegeneinander abzuwiegen. Der letzte und entscheidende Schritt zum Sozialstaat vollzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD. Die Bundesrepublik knüpfte an Weimarer Traditionen an, vermied jedoch eine ausführlichen Katalog sozialer Grundrechte und beschränkt sich auf die Verankerung des Sozialstaatsprinzips im Grundgesetz. Artikel 20 Absatz 1 besagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat.“5 Diese Aussage wird in Artikel 28 Absatz 1 noch genauer definiert: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen.“6 Durch Ausbau und Reform der Sozialsysteme wurde das System Sozialstaat immer weiter vorangetrieben. 2.1. Errungenschaften des Sozialstaats Die wohl wichtigste Reform war das Gesetz zur Rentenreform von 1957. Die Rente wurde dynamisiert. Das heißt, die sehr niedrigen Beiträge der Rentenversicherung wurden angehoben. Dafür stieg aber auch die Rente. Betrug die Rente 1948 nur 19% des vorherigen Arbeitslohnes, so stieg sie sofort bei Arbeitern um 65,3% und bei Angestellten um 71,9% an7. Die Sozialkassen wurden entlastet und dem Rentner wurde es ermöglicht, seinen bisherigen 5 Grundgesetz. 32.Auflage, München 1994, S. 20. Grundgesetz, München 1994, S. 22. 7 Ritter, Gerhard A. 1989, S. 157. 6 9 Lebensstandard auch nach seinem Arbeitsleben aufrechtzuerhalten. Durch den sogenannten Generationenvertrag wurde die Finanzierung der Versicherung der jungen Generation übertragen. D.h. die Altersversorgung der jetzigen Arbeitnehmer wird von der nächsten Arbeitnehmergeneration getragen. Es gelang eine Anpassung der Rente an den wirtschaftlichen Aufschwung der BRD und an die Inflation. Somit konnte die Altersarmut entscheidend zurückgedrängt werden. Aus den schlechten Erfahrungen der Weimarer Zeit wurde die Autonomie der Tarifparteien gesetzlich garantiert, um das System des sozialen Ausgleichs auf die Betriebe auszuweiten. Hierzu gehörten auch die Gesetze über die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie von 1951 und das Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Paritätische Mitbestimmung bedeutet, daß die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Firmen vertreten und stimmberechtigt sind. Diese Form der Mitbestimmung war bisher einmalig in allen Sozialsystemen. Somit wurde die Position der Gewerkschaften eindeutig gestärkt. Trotzdem wurde auf ein Gleichgewicht der verschiedenen Interessensgruppen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geachtet. Mit Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches1975 verfügt die BRD über einen Katalog sozialer Rechte, so z.B. das Recht auf Bildung, Arbeitsförderung, Sozialversicherung, Entschädigung bei Gesundheitsschäden oder Jugend- und Sozialhilfe. Der Bürger hat also einen ausgedehnten Rechtsanspruch auf ein Grundmaß an sozialer Versorgung. Durch die Deutsche Einheit stellte sich die BRD einer großen sozialen Herausforderungen. Da selbst ein Einblick in die momentan erbrachten Leistungen den Rahmen der Hausarbeit sprengen würde, sei an dieser Stelle nur angemerkt, daß durch die Übernahme der Sozialleistungen, insbesondere der Rentenzahlungen an die Rentner in Ostdeutschland, ein erheblicher Beitrag zur Sicherung des sozialen Friedens und eines sozialstaatlichen Lebens geleistet wurde. 1995 kam schließlich die fünfte Säule des Sozialstaats, nämlich die Pflegeversicherung, hinzu. Mit ihr gelingt es durch häusliche und stationäre Pflege die Hilfsbedürftigen, die bisher am Rande der Gesellschaft leben mußten, in die Solidargemeinschaft zurückzuholen. Zudem wurden durch den Beginn der verschiedenen Pflegestufen (1.Stufe 1.1.1995, 2.Stufe 1.6. 1996) wiederum andere Kassen deutlich entlastet. 10 Zusammenfassend kann man also sagen, daß die BRD ihre Bürger durch ein umfassendes System an sozialen Versicherungen und sozialer Leistungen vor Beschäftigungs- und Lebensrisiken schützt. Man spricht deswegen auch von einem „sozialen Netz“, welches den Bürger auffängt. Das System ist auf sozialen Ausgleich und Chancengleichheit ausgerichtet und trägt somit nicht nur zum sozialen Frieden in der BRD bei, sondern geht einher mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der BRD und dem breiten Wohlstand. 2.2. Probleme des Systems Sozialstaat „Man kann keine gute Sozialpolitik treiben, wenn nicht eine starke, gute und ertragreiche Wirtschaft sowie die finanzielle Unterlage für die Sozialpolitik vorhanden ist.“8 Dieses Zitat von Konrad Adenauer bringt das wichtigste Problem des Sozialstaats auf den Punkt. Die Finanzierbarkeit sozialer Leistungen stellt den modernen Sozialstaat vor enorme Herausforderungen. Betrachtet man sich z.B. nur den Sozialhaushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung von 1995, so fällt einem die riesige Summe von 130, Mrd. DM auf.9 Im Vergleich zu den Ausgaben, die das gesamte Sozialbudget der BRD aufbringen, erscheint dies jedoch sehr gering. 1994 betrug das Sozialbudget 1.106 Mrd. DM, was mehr als ein Drittel des gesamten Staatshaushaltes darstellte. Die beiden größten Posten stellen die Ausgaben für Alter und Hinterbliebene in Höhe von 407 Mrd. DM und die Ausgaben für Krankheit, Unfall und Invalidität in Höhe von 357 Mrd. DM.10 Bei den Sozialleistungen pro Kopf steht die BRD mit ca. 9.150 DM pro Einwohner und Jahr in Europa an zweiter Stelle hinter Dänemark mit 10.400 DM.11 Nun mag man einwenden, daß Deutschland schließlich eine Menge an Kapital erwirtschaftet und daß daraus auch mehr an die Bürger weitergeleitet werden kann. Betrachtet man jedoch den immer weiter harmonisierten Lebensstandard zu den Nachbarländern Frankreich oder England und deren 8 Konrad Adenauer, in: Henzler, Norbert A./Späth, Lothar: Countdown für Deutschland. Berlin 1995, S. 187. 9 Statistische Bundesamt: Statistisches Jahrbuch. Bonn 1996. 10 Bundesministerium für Arbeit: Sozialbericht. Bonn 1995, S.4-5. 11 Bundesministerium für Arbeit 1995, S.12-13. 11 Sozialausgaben ( Frankreich: 8.220DM/Bürger, England: 5050DM/Bürger), so stellt sich die Frage, warum gerade in der BRD die Ausgaben so hoch sind. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Der Vorteil des staatlichen Sozialversicherungssystems bedingt nämlich auch Nachteile. Ein wichtiger Grund ist, daß in der BRD das Sozialprinzip vor dem Individualprinzip bei der Sicherung Vorrang hat. Das heißt konkret, daß es nicht jedem einzelnen überlassen ist, wo und wie er sich versichert, sondern daß der Staat stellvertretend für die Solidargemeinschaft die Aufgabe übernimmt. Das wiederum bedingt einen großen Verwaltungsapparat, der enorme Kosten aufwirft. Zudem besitzt der Staat eine Monopolstellung in der Frage der meisten Sozialversicherungen, um eine vollständige Versorgung gewährleisten zu können. Die Logik des Marktes zeigt jedoch, daß gerade Monopolstellungen und nicht vorhandener Wettbewerb sich negativ auf die Effizienz der Arbeit auswirken. Auch die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Beamte, die durch ihre berufliche Sonderstellung die Unabhängigkeit der Bearbeitung sicherstellen sollen, ist äußerst kostspielig. Durch die gesetzliche Verankerung, die jedem Bürger Sicherheit bietet, wird das Sozialsystem aber auch inflexibel und kann sich nur sehr schwer an rasche Veränderungen der Rahmenbedingungen einstellen. Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist, daß die soziale Leistung des Staates abhängig von seiner wirtschaftlichen Potenz ist. Da die Sozialleistung durch eine gewaltige Umverteilung von Geldern funktioniert, muß das Geld, das ausgegeben wird, natürlich auch erwirtschaftet werden. Außerdem stell es ein politisches Problem dar, soziale Leistungen bei schlechter Finanzlage zurückzunehmen. Somit bewegt man sich schnell in einen Teufelskreis hinein, aus dem man nur schwer wieder herauskommen kann. Denn eine schwache Wirtschaft bedeutet weniger Arbeitsplätze, diese bedingen höhere Sozialausgaben, welche sich wiederum in höheren Steuern niederschlagen, die sich dann wieder negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Da unser marktwirtschaftliches System stark auf Wachstum ausgerichtet ist und dem internationalen Wettbewerb unterliegt, spielen gerade Sozialabgaben, die Betriebe zu entrichten haben, eine wichtige Rolle. Denn durch die sehr gute Qualifikation der Ausbildung, den hohen Lebensstandard und die hohen Abgaben, werden besonders in Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gute Löhne und Gehälter ausgezahlt. Darauf 12 reagiert die Industrie mit einem entsprechend hohen Grad an Automatisierung und Rationalisierung, was im Endeffekt den Verlust weiterer Arbeitsplätze bedeutet. Dies erscheint bei der momentan stark ansteigenden Arbeitslosigkeit als sehr bedenklich. Ebenfalls ist an dieser Stelle das Problem der Altersstruktur der Bevölkerung anzusprechen. Da die Rentenversicherung auf dem Generationenvertrag beruht, ist sie stark abhängig von den demographischen Werten der Altersstruktur. Das Bild von der Alterspyramide, bei der die junge Bevölkerung den breiten Sockel bildet, verdreht sich immer mehr zum Alterspilz. Verantwortlich dafür ist der Trend zu immer kleineren Familien. Durchschnittlich bekommt zur Zeit eine Frau 1,4 Kinder. Die Bevölkerung nimmt ab. Mit andern Worten bedeutet das, daß heute noch auf einen Rentner drei Beitragszahler kommen. Im Jahr 2040 sagen die Prognosen einen Beitragszahler auf einen Rentner voraus.12 Der Generationenvertrag wird demnach in spätestens zwanzig Jahren nicht mehr praktikabel sein. Als Fazit kann festgehalten werden, daß sich das Problem der Finanzierbarkeit des Sozialstaats in absehbarer Zeit drastisch verschärfen wird. Das Erbringen der sozialen Leistungen kann durch die herkömmlichen Methoden nicht mehr garantiert werden. Es besteht also ein dringender Handlungsbedarf. 3. Lösungsansätze für eine Reform des Sozialstaats Wie oben erläutert, steht der deutsche Sozialstaat an einem Wendepunkt. Die Finanzierung ist nicht mehr gesichert. Unter der großen Anzahl an Lösungsvorschlägen, lassen sich zwei Richtungen bestimmen. Die eine Richtung beschäftigt sich mit der Optimierung des bisher vorhandenen Systems, darunter fallen auch die bisherigen Bemühungen aller Regierungen. Die andere Richtung versucht neue Wege zu gehen und verbindet eine Reform auch mit einer grundlegenden Umstrukturierung. 12 Vgl. Becker, Joachim. Der erschöpfte Sozialstaat. Neue Wege zur Gerechtigkeit. Frankfurt a.M. 1994, S. 17. 13 3.1. Reform des Sozialstaats unter Beibehaltung bisheriger Strukturen Die nun angeführten Reformvorschläge13 konzentrieren sich auf eine Optimierung des traditionellen Sozialstaats. Sie enthalten vor allem den wirtschaftliche Aspekte. Im Vordergrund steht eindeutig der Wettbewerbsgedanke. Deswegen spricht man auch von einer Wettbewerbsstrategie. Das bedeutet vor allem eine Entstaatlichung sozialer Leistungen. Die öffentliche Privatisierung von Sozialleistungen, besonders der Arbeitslosenversicherung, soll die Monopolstellung des Staates brechen. Eine privatwirtschaftlich organisierte Vorsorge könnte so mehr Transparenz, Rationalität und vor allem Konkurrenz verschiedener Dienstleister hervorbringen, die sich letztenendes kostensparend auswirkten. Gleichzeitig entstünde eine höhere Rechtfertigung für Kosten, die durch Staatszuschüsse und Beiträge aufgebracht würden. Eine Entmonopolisierung verlangt aber auch ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit der Bürger, welche sich mit der Wahl ihrer Versicherungen selbst beschäftigen müßten. Einhergehend mit der Privatisierung müßten auch in den öffentlichen Behörden Reformen anstehen. Eine administrative Vernetzung könnte z.B. den aufgeblähten Verwaltungsapparat und somit einen enormen Kostenaufwand reduzieren. Zudem brächte dies einen Servicevorteil für den Bürger durch kürzere Wege. Eine Form dieser Vernetzung findet sich heute schon in Münster mit dem Bürgeramt, das die meisten Angelegenheiten der Bürger an einem Ort durch eine Person regeln kann. Auch eine Selbstkontrolle der Behörden in Form von Lean-Management und Budgetierung der Kosten gäbe einen Rahmen vor der die Kosten deckeln könnte. Durch eine ausgedehnte Sozialplanung würde eine genaue Analyse der Kosten entstehen und so eine sinnvollere Verteilung der öffentlichen Mittel. In der Praxis würden z.B. zwei gleiche staatliche Beratungsstellen am selben Ort zusammengeführt und mit dem übrigbleibenden Geld eine andere soziale staatliche Einrichtung unterstützt werden. Das Prinzip dieser Reform legt ihren Schwerpunkt also eindeutig auf Kostenreduzierung und Steigerung der Effizienz, um somit das vorhandene Geldpotential besser ausschöpfen zu können. 13 Vgl. Schulte, Dieter (Hrsg.): Erneuerung des Sozialstaates. Beiträge zur Reformdiskussion im Deutschen Gewerkschaftsbund und seinen Gewerkschaften. Köln 1996. 14 3.2. Die grundlegende Umstrukturierung des Sozialstaats Zu den bisher aufgezeigten Wegen, beschäftigte sich die Politikwissenschaft in den letzten zehn Jahren auch mit alternativen Lösungsansätzen, welche eine teilweise oder völlige Umstrukturierung des bisherigen Sozialsystems der BRD beinhalten. Da auch hier die Auseinandersetzung mit allen Vorschlägen zu umfangreich wäre, beschränkt sich die Hausarbeit auf einen wesentlichen Vorschlag, der weitestgehend repräsentativ für solche Denkansätze stehen soll14. Der Ansatz beschäftigt sich mit dem sogenannten Grundeinkommenskonzept, besser bekannt als Bürgergeld. In diesem Modell der „negativen Einkommenssteuer“15 steht jedem Bürger ein sogenanntes Grundeinkommen zu. Die Höhe dieses Grundeinkommens wird kontrovers diskutiert und schwankt zwischen 800 und 2.000 DM. Da der Betrag von 2.000 DM als zu hoch gegriffen erscheint, wird für diese Erörterung ein Mittelwert von 1.400 DM zugrundegelegt. Das Grundeinkommen hat der Bürger zur freien Verfügung. Der Zweck des Bürgergeldes läßt sich auf zwei Arten begründen. Zum einen soll der Betrag zum Schutz gegen die Verarmung sein und zum anderen soll er den Bürger von Arbeit befreien, die ihm nicht zuzumuten ist. Zusätzlich zu dem Betrag kann sich jeder durch den Beruf Geld zusätzlich verdienen und über eine private Vorsorge seine Versicherungen aufstocken. Eine private Krankenkasse oder eine hohe Rente würden nun am zusätzlich verdienten berechnet. Über die Anrechnung des Bürgergeldes auf die Bezahlung der Arbeit gibt es verschiedene Ansätze. Geht man von einer „Sockelung“ aus so staffelt sich die Berechnung des Bürgergeldes dann am jeweiligen Verdienst. Es gibt jedoch auch andere Überlegungen, die jedem Bürger, egal welchen Einkommens, diesen Betrag garantieren. Durch den Grundbetrag könnte dem Problem der Arbeitslosigkeit entgegengewirkt werden, da sich ein mancher überlegen würde, kürzer zu arbeiten, was natürlich wieder Arbeitsplätze freisetzen und somit Sozialausgaben reduzieren würde. Geht man von einem generellen Anspruch auf das Bürgergeld aus, könnten ganze Behörden ausgedünnt und somit erneut Kosten reduziert werden. Die Frage der Finanzierbarkeit eines solchen Modells drängt sich natürlich auf. Betrachtet man 14 Vgl. Heinze, Rolf G./Hornbach, Bodo/ Scherf, Henning (Hrsg.): Sozialstaat 2000. Auf dem Weg zu neuen Grundlagen der sozialen Sicherung. Bonn 1987, S. 41-45. 15 die enorme Summe, die für ein Bürgergeld aufgewendet werden müßte, so erscheint sie im ersten Moment erschreckend. Angesichts der immer weiter steigenden Sozialausgaben, die ja weitestgehend durch ein solches Bürgergeld gedeckt werden, scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis das vorgestellte Modell leichter als das bisherige zu finanzieren sein wird. 3.3 Fazit Alles in allem kann gesagt werden, daß ein dringender Handlungsbedarf zur Sicherung unseres sozialen Systems besteht. Persönlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Synthese aus beiden Lösungsvorschlägen sinnvoll ist. Auf der einen Seite muß kurzfristig eine Optimierung des Sozialsystems und eine zunehmende Entstaatlichung sozialer Maßnahmen durchgeführt werden. Auf Dauer wird sich ein solche Konzept jedoch nicht durchsetzen. Deswegen sind alternative Überlegungen, wie z.B. das Bürgergeld, weiter zu forcieren und auf ihre Durchführbarkeit zu prüfen. Ein zu radikaler Umschwung sollte so weit dies noch möglich ist, vermieden werden. Bei alledem darf meiner Meinung nach nicht vergessen werden, daß das System Sozialstaat einen wichtigen Beitrag für den Erhalt und vor allem für die Weiterentwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet hat. Dies muß gewürdigt werden und wird nicht umsonst in vielen Ländern versucht zu kopieren. Deswegen müssen auch die Sozialversicherungen aus dem schlechten Licht gerückt werden, auch wenn eine Reform dringend ansteht. Trotzdem wird zur Lösung der sozialen Krise viel Phantasie und Mut aufgebracht werden. Ich halte es deshalb für eine besondere Aufgabe aller aufgeklärten Bürger den Wert des Sozialstaats zu vermitteln, da wir schließlich alle von dem System profitieren. Letztendlich mache ich auch selbst von dem Recht auf Bildung und Chancengleichheit durch meinen kostenlosen Studienplatz Gebrauch. C Allgemeine Schlußbetrachtung 15 Heinze, Rolf G./Hornbach, Bodo/ Scherf, Henning (Hrsg.) 1987, S. 41. 16 Aufgrund der vorliegenden Daten kann zusammenfassen gesagt werden, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat ist. Er steht in der Tradition der Geschichte der Sozialgesetzgebung Bismarcks und der Weimarer Republik. Dies wurde im ersten Part des Hauptteils unter 1.1. deutlich aufgezeigt. Das soziale Sicherungssystem der BRD beruht hauptsächlich auf den fünf großen Sozialversicherungen: Kranken-, Unfall-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, wie in Punkt 1.2. dargelegt wurde. Durch die Übernahme und Reform der älteren Versicherungssysteme bzw. durch Ergänzungen und durch die gesetzliche Garantie dieser durch §20 und §28 Grundgesetz bildet die BRD ein in der Welt einmaliges soziales Sicherungssystem, das dem Bürger einen hohen Standard an sozialer Sicherheit garantiert, siehe Punkte 2.-2.1.. Mit dem geschichtlichen Rückblick und der Beschreibung der BRD als Sozialstaat sollte auch verdeutlicht werden, daß ebenso mit der Entwicklung des Sozialstaates die Verantwortung der Bürger gegenüber dem System wachsen muß. Doch dieser Standard führt einige Probleme mit sich. Im Vordergrund steht eindeutig die immer schwieriger werdende Finanzierbarkeit, wie in Punkt 2.2. diskutiert wurde. Durch das Finanzierungssystem des Generationenvertrags ist eine andauernde Kostendeckung nicht mehr gewährleistet. Deshalb muß sich der Staat, die Parteien und somit jeder Bürger neue Wege der Finanzierung der sozialen Sicherheit überlegen. Bei den bisherigen Überlegungen spalten sich die Meinungen, erläutert in Punkt 3.1.und 3.2.. Da eine große Anzahl an Vorschlägen diskutiert wird, wurde versucht durch die Auswahl zweier gegensätzlicher Auffassung die Spannbreite der politischen Diskussion zu verdeutlichen. Diese beiden Auffassungen Welche Meinung sich letztenendes durchsetzt, kann jeder selbst mitbestimmen. Bei den Bundestagswahlen 1998 werden mit Sicherheit entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt. 17 Literaturverzeichnis Baier, Horst. Ehrlichkeit im Sozialstaat. Zürich 1988. Becker, Joachim: Der erschöpfte Sozialstaat: Neue Wege zur Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1994. Braun, Hans/ Niehaus Mathilde (Hrsg.) Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg nach Europa. Frankfurt am Main 1990. Brockhaus Universallexikon: 21.Band, 19.Auflage. Mannheim 1987 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Sozialbericht. Bonn 1995. Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände: Sozialstaat vor dem Umbau: Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit sichern. Köln 1994. Grundgesetz, 32. Auflage. München 1994. Heinze, Rolf/ Hornbach, Bodo/Scherf, Henning (Hrsg.): Sozialstaat 2000. Auf dem Weg zu neuen Grundlagen der sozialen Sicherung. Bonn 1987. Henzler, Norbert/ Späth, Lothar: Countdown für Deutschland. Berlin 1995. Koslowski, Peter/Kreuzer Phillip/Löw, Reinhard: Chancen und Grenzen des Sozialstaats. Tübingen 1983. Oeter, Ferdinand: Der unsoziale Sozialstaat: Notwendige Anpassungen der Politik an die Lebensverhältnisse in Gegenwart und Zukunft. München 1989. Schulte, Dieter (Hrsg.): Die Erneuerung des Sozialsttates. Beiträge zur Reformdiskussion im Deutschen Gewerkschaftsbund und seinen Gewerkschaften. Köln 1996.