TEXTE UND MEDIEN Was ist ein Medium? Medium = lat.: Mitte, das Mittlere, Öffentlichkeit, öffentlicher Weg, in der Mitte Befindliches Im Unterschied dazu der Medienbegriff des Okkultismus: Medium = Person, die mit übernatürlichen Wesen wie Engeln und Geistern oder Verstorbenen Kontakt aufnehmen und kommunizieren kann. Medienbegriffe Instrumenteller / metaphorischer Medienbegriff In Fachdisziplinen: Musik als Medium, Sprache als Medium, Kunst als Medium etc. Technischer Medienbegriff Alle Träger chemischer und physikalischer Vorgänge Kommunikationswissenschaftlicher Mediebegriff Gesamtheit der Kommunikationsmittel – Basismedien: Bild, Ton, Text, Zahl Medienwissenschaftlicher Medienbegriff „Unter Medien werden (…) materiell-mechanische oder energetische (elektrische, elektromagnetische, opto-elektrische) Träger und Übermittler von Daten beziehungsweise Informationseinheiten und mechanische sowie elektronische Mittel der Datenverarbeitung verstanden, dies im Sinne der drei medienlogischen Grundphänomene der Speicherung, Übertragung und Bearbeitung.“ Hans Hiebel: Die Medien. Logik – Leistung – Geschichte. München 1998, S. 12 … Unterscheidung der Medien nach Harry Pross (1972) 1. Primäre Medien: All jene verbalen und nonverbalen Kommunikationsmittel, die in unmittelbarer körperlicher Nähe, also von Angesicht zu Angesicht eingesetzt werden und die Wahrnehmung der verschiedenen körperlichen Ausdrucksformen ermöglichen wie Gestik, Mimik etc. Können ohne technische Hilfsmittel eingesetzt werden wie z. B. mündliche Rede und nonverbale Kommunikation 2. Sekundäre Medien: Erweitern die ursprünglich direkte Kommunikation, sozusagen Träger von Inhalten welche durch außerkörperliche Hilfsmittel übermittelt werden. Sie erfordern bei ihrer Produktion technische Hilfsmittel wie z. B. Zeitungen oder Zeitschriften 3. Tertiäre Medien: Erfordern sowohl bei der Herstellung als auch beim Empfang technische Hilfsmittel wie z. B. Film, Radio und Fernsehen Kulturwissenschaftlicher Medienbegriff Medium = Kompaktbegriff; Zusammenwirken von 4 Komponenten Medienangebote Medientechnologien Sozialsystematische Komponente Semiotische Kommunikationsinstrumente Nach S. J. Schmidt Semiotischen Kommunikationsinstrumente = materielle Gegebenheiten, die von Dauer und wiederholbar sind und gesellschaftlich-strukturelle Kopplungen beinhalten (z.B. gesprochene Sprache, Bilder, Schrift, Töne). Medientechnologien beeinflussen die Produktion und Reproduktion. Der Umgang mit den Medientechnologien wird den Menschen durch Sozialisation beigebracht. Sozialsystematische Komponente = Die Tatsache, dass die Durchsetzung eines Kommunikationsmittels an soziale Institutionen gebunden ist (z.B. Schule) Medienangebote = nach Schmidt von den drei anderen Aspekten geprägt. Er betrachtet weiter die Möglichkeit von Beziehungsverhältnissen zu Medien. Demnach sind Medien vom Menschen abhängig, wirken durch den Nutzer und sind sonst funktionslos. Medialität von Kultur „Alles, was über die Welt gewusst, gedacht und gesagt werden kann, ist nur in Abhängigkeit von den Medien wissbar, denkbar und sagbar, die dieses Wissen kommunizieren (…) Nicht die Sprache, in der wir denken, sondern die Medien, in denen wir kommunizieren, modellieren unsere Welt.“ Aleida und Jan Assman 1990 Medialität von Literatur Literatur als medial bestimmte Kommunikationsform Ist abhängig von: Jeweiligem Medium Status / Funktion des Medium im jeweiligen Mediensystem Verhältnis / Interdependenz zu den anderen Medien Bsp. Friedrich Schiller: An die Freude Franz Fühmann: Pavlos Papierbuch (Ausschnitt) Medientheorie Walter Benjamin (Berlin 1892 – 1940 Spanien / Frankreich) „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1936; Frankreich) Aufsatz als Reaktion auf die neuen Medientechnologien: Photographie (Daguerreotypie 1923 ff.; Photographie auf Papier, Talbot 1839) Phonograph (Edison 1877) Film (Lumiere 1895) Kein geschlossenes Theoriesystem, die Pole des Denkens von Walter Benjamin sind relativ schwer zuordenbar. Er war Jude und Zeit seines Lebens mit Gershom Sholem, einem Mathematiker befreunden, auf der anderen Seite arbeitete er eng mit Berthold Brecht und Theodor Adorno zusammen. Als deutscher Jude floh er 1933 nach Frankreich, im September 1940 versucht er, Spanien zu erreichen. Im Grenzort Portbou, kurz vor der Auslieferung an die Gestapo nimmt er sich selbst das Leben. 1968 erlebte er eine Wiederentdeckung im Zuge der Studentenbewegung. Zentrale Thesen des Aufsatzes: Die Frage lautet nicht, ob ein neues Medium Kunst ist, sondern wie sich der „Gesamtcharakter der Kunst“ durch ein Medium verändert d. h.: Die technischen Medien, welche das Kunstwerk reproduzierbar machen, rufen eine Revolution der Kunst hervor, eine entscheidende Änderung des Kunstcharakters (kein Hier und Jetzt, Einmaligkeit) Photographie und Film zerstören das „Hier und Jetzt des Kunstwerkes – sein einmaliges Dasein“, seine „Aura“, die Ortsgebundenheit geht verloren. Es entsteht die Fragwürdigkeit der Originalität hinsichtlich des Verlustes der Einzigartigkeit, die Sichtbarkeit von Dingen wird ermöglicht, die vorher nicht wahrnehmbar waren. Die weltliche Kunstverehrung war ein säkulares Produkt der Renaissance in seinen Augen, die Reproduzierbarkeit emanzipiert das Kunstwerk von dieser Abhängigkeit. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst ändert sich: direktes Ansprechen der Masse statt Eingebundensein in ein Ritual (religiös / kultisch) Die medialen Techniken der Reproduktion lösen die elitären Strukturen der traditionellen Kunst auf – neue Medien enthalten progressive Potentiale Neue Medien verändern das Verhalten der Masse zur Kunst Die Wahrnehmungsform, die das Kino vom Betrachter verlangt, fordert auch die moderne Großstadt und die Fabrik (Reizüberflutung) Politischer Kontext : Massenpropaganda, NS etc. Marshall McLuhan (Kanada 1911 – 1980 Kanada) Er stand der Popkultur sehr nahe und wurde im deutschen Sprachraum bis in die achtziger abgelehnt. Sein Medienbegriff ist ein sehr weit gefasster, so sieht er Medien als Ausweitung der Organe, z. B. die Kleidung als eine Erweiterung der Haut etc. Hauptwerke Vielzahl von Thesen, aber keine fixen Theorien The Gutenberg Galaxy 1962 Understanding Media: the Extension of Man 1964 The Medium is the massage (with Quentin Fiore) 1967; „alle Medien massieren uns gründlich durch…“ Das Medium ist die Botschaft Sehr weiter Medienbegriff „Alle Medien sind Erweiterung bestimmter menschlicher Anlagen – seien sie psychisch oder physisch“: auch Kleider, Möbel etc. als Medien „Denn die Botschaft jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt“ Medien steuern „Ausmaß und Form des menschlichen Zusammenlebens“ „Die Auswirkungen der Technik zeigen sich nicht in Meinungen und Vorstellungen, sondern sie verlagern das Schwergewicht in unserer Sinnesorganisation oder die Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung ständig Und widerstandslos“ Techniken bzw. Medien sind nicht neutral: die „übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, dass es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfs“ „Die neue elektrische Interdependenz formt die Welt zu einem globalen Dorf um“; er prägte den Begriff des „global village“ Hörbsp. Oskar Werner liest Rilke: Menschen bei Nacht Herbsttag Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Oralität – Literalität) Die Folgen der Verbreitung der Schrift für die Dichtung im antiken Griechenland In der Mitte des 8. Jahrhundert v. Chr. übernehmen die Griechen das Alphabet der Phönizier, welches aus 22 Buchstaben, ausschließlich Konsonanten, bestand. Es wurde jedoch nicht direkt übernommen, sondern abgewandelt und adaptiert. Es entstand ein ABC mit 25 Buchstaben, phonetisch (auf Klängen basierend) vollständig mit Vokalen abgebildet. z. B. Phönizisch Name Zeichen Aleph < He Aijn ○ Griechisch Laut Name Zeichen /□/ Alpha A /h/ Epsilon E /□/ Omnikron O Laut /a/ /e/ /o/ Es gibt jedoch keine genaue Dokumentation über diese Abwandlung. Über den Handel wurde dieses System schnell in andere gesellschaftliche Bereiche verbreitet, dennoch blieb es einer elitären Gruppe vorbehalten. Die Festsetzung der Laufrichtung geschah im Laufe der Jahre vom „Ackerpflugschreiben“ hin zur Rechtsläufigkeit (von links nach rechts). So gelangten alte Texte aus der Poesie zu ihrer Bewahrung, Lesen war kein Hauptzweck der Übertragung, sie diente dem Vortrag, Oralität war die Grundlage der Rezitation Im 4. Jahrhundert v. Chr. beginnt das stille, individuelle Lesen, bis jetzt wurden Texte nur gehört. Jedoch blieb auch dies nur bestimmten Schichten vorbehalten. Welche Konsequenzen hatte der Wandel der medialen Bedingungen für die soziale Geltung und Funktion von Literatur? Rösler, Wolfgang: Schriftkultur und Fiktionalität. Zum Funktionswandel der griechischen Literatur von Homer bis Aristoteles.- In: Assmann, Aleida und Jan; Hardmeier, Christoph (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München 1983, S.109-122. Charakteristika der oralen Kultur Beschränktes kulturelles Gedächtnis, es ist gemäß dem überlieferten Wissen einer Kultur und nicht individuell bestimmt Eine Version der Vergangenheit z. B. überlieferte Tänze als Erzählung von Vergangenheit (unabänderlich); Schamane als beschränkte Speicherkapazität Kulturelle Homöostase, was nicht gebraucht wird, wird vergessen; keine einander widersprechenden Überlieferungen, Erinnerungen im „common sense“, auch Abänderungen, wenn die Umstände sich ändern, sind möglich Dichter („oral poet“) als Medium der Überlieferung: er singt die Wahrheit ausgehend von der kulturellen Homöostase; göttliche Geschichten, welche von den Musen auf den Dichter übertragen werden und somit als wahr aufzufassen sind. Er ist Verwalter der kollektiven Erinnerung, Medium des göttlichen Wissens (Homer) Theory of oral formulaic poetry Milman Parry: The Homeric language as the language of an oral poetry (1932) – Die Charakteristika der Sprache Homers als die Charakteristiken oraler Dichtungen z. B. Wiederholungen, gebundene Sprache, stereotype Muster Albert B. Lord: The singer of tales (1960) – Feldforschung bezüglich oben genannter Merkmale in Kroatien; Textbausteine zur besseren Memorierung des Erzählten Konsequenzen der Schriftlichkeit Viele verschiedene einander widersprechende Geschichten : Wahrheit / Wirklichkeit Vs. Lüge Diese beiden Pole werden durch einen dritten Pol ergänzt: der Fiktion Störung der literarischen Kommunikation Pindar kritisiert Homer Xenophanes kritisiert Hesiod und Homer Heraklit kritisiert Xenophanes Die Zweipoligkeit, also die Unbiegsamkeit der schriftlichen Wahrheit beginnt mit Hesiod im frühe 7. Jahrhundert vor Christus. Es treffen dann aber neue Medienkonzepte auf dieses überaltete Dichtkonzept. Platon sieht zunächst keine Lösung er kritisiert die Schrift als Zerstörung des Gedächtnis und der Dichtung. Schrift ist für ihn Lüge und schädlich. Poetik des Aristoteles Die Fiktionalität kommt mit Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) ins Spiel. angeborener Mimesis – Trieb (Nachahmung) Katharsis (Läuterung bei Tragödien z. B.); neuer gesellschaftlicher Nutzen der Poetik Dichtung als Bezug auf „was geschehen könnte“ (die Wahrscheinlichkeit) Orale Kultur Handschriftenkultur Organisation des Wissens: Homöostatisch Geschlossene Struktur offene Struktur Widerstreit der Ideen Geschichtsbewusstsein Charakteristika des Mediums: Körpernähe Flüchtigkeit An einzelne Träger (Sänger, Geschichtenerzähler) gebunden Begrenzte räumliche und zeitliche Reichweite Trennung von Medium und Träger autonome Existenz des Textes erhöhte Reichweite erhöhte Bedeutung des Visuellen Funktion und Status von Dichtung: Tradition Identitätsbildung Wahrheit eigener Begriff von Dichtung Fiktion / Wahrscheinlichkeit Horaz: prodesse et delectare Auswirkungen auf die Texte Formelhaft In Versen Veränderliche Gestalt An die aktuelle Situation Anpassbar Beschränkter Textumfang feste Gestalt des Textes Prosa unbeschränkter Umfang komplexere Textstrukturen New oral poetry: Hörbeispiel: Nora Gomringer (1980) „Sag doch mal was zur Nacht“ 2006 Ursprungsalphabet / Du baust einen Tisch Text und Aufführung im Mittelalter Die Kultur der antiken Reiche bricht zusammen u. a. wegen Kriegen, Völkerwanderung, Eroberungen durch die Germanen (Analphabeten!) etc. Im arabischen Raum jedoch kam es nicht zu diesem Kulturbruch. Die Klöster waren Zufluchtsorte für Schrift und Kultur, so genannte Schriftinseln. Bis ins 12. Jahrhundert war die Fähigkeit des Lesens und Schreibens fast ausschließlich bei Mönchen und Geistlichen zu finden. Die Aristokraten waren Analphabeten, mit Ausnahme adeliger Frauen, welche Unterricht bei Klerikern genossen. Bereits hier werden die sozialen Unterschiede der Zeit deutlich. Lesen war vorwiegend lautes Lesen, es wurde in Gruppen vollzogen, aber auch das Lesen für sich allein geschieht laut. Das Lesen wurde unabhängig und meist vor dem Schreiben erlernt, wer lesen konnte, konnte nicht automatisch auch schreiben. Die Lingua Universalis war Latein, was auch in engem Zusammenhang mit dem Erwerb der Lesefähigkeit steht. Generell besaß das Lesen keinen hohen Stellenwert in der damaligen Gesellschaft. Die Texte wurden vielfach auswendig gelernt, um sie besser vortragen zu können, dies geschah durch ständige Wiederholung der gleichen Texte, wie etwa der Bibel. Man kann quasi von einer Rückwendung zur Oralität sprechen. Ab dem 12. Jahrhundert beginnen die Aufzeichnungen in Mittelhochdeutsch, welche als „Volkssprache“ bis dahin als unwürdig befunden wurde. Dichtung war Auftragsdichtung, epische Texte wurde meist nach französischen Vorlagen geschrieben (Artusdichtung: Chretien de Troyes). Der französische Hof war Vorbild, die französischen Epen und ihre Beschreibung der Hofgesellschaft und ihren Verhaltensregeln wurden in veränderter Weise für den deutschsprachigen Hof übernommen (Heldenepos – Epik). Vorleser und Schreiber waren Produktionsgehilfen des Dichters, welcher auf alle Fälle lateinkundig war, aber nicht ein jeder war auch des Französischen mächtig. Somit ist die Frage des Lesens und Schreibens bezüglich der Autorenschaft nicht genau geklärt. Um 1500 konnte ca. 1 – 6 % der Bevölkerung lesen, wobei wir hier Lesekompetenz versus literarische Kompetenz sehen müssen. Text und Aufführung Die weltliche, volkssprachliche Literatur des Mittelalters ist in ihrer Performativität, d. h. aus der Situation der Aufführung her zu begreifen. Die Textrezeption geschah mit mehreren Sinnen: Lauter Vortrag Multisinnliches Ereignis Gemeinschaftsstiftende Repräsentation der höfischen Gesellschaft Schrift nur als Hilfsmittel Paul Zumthor – „Performance“ der Dichtung des Mittelalters: Unterscheidung zwischen sprachlicher Oberfläche und Form Die Entwicklung des Minnesanges (Lyrik) ist in Zusammenhang mit der Aufführbarkeit, der Form zu betrachten. Er entstand nicht selbsttätig aus seiner eigenen Form heraus, sondern aus Notwendigkeit der Performativität. Lautes Lesen, der Klang der Worte ist notwendig, um die Literatur zum Leben zu erwecken (Fassbarkeit durch die 5 Sinne). Höfische Epik als Performance Dies ist am besten bezeugt durch den Vortrag epischer Werke bei Hoffesten im Rahmen des Festprogramms. Es wurde hörend rezipiert, ein großer Teil des Publikums waren Analphabeten. Das Wort ist an den körper gebunden, Heldenepik, zumeist strophisch, wurde vorgesungen. Reimpaarepik: gesprochen, durch getragenes Sprechen (z. B. Artusepik) Der Vortrag geschah zum Teil mit Musikbegleitung Umfang / Dauer des Vortragens / Vorlesens ist unbekannt (ca. 1000 Verse – ca. 60 min) Höfische Lyrik als Performance Zusammengehörigkeit von Text und Musik; Lieder wurden gesungen Zuerst geschah die Aufführung, dann erst die Aufzeichnung (viceversa Epik) Melodien der deutschen Minnelyrik sind kaum überliefert, es gab damals noch keine Notenschrift, man musste Rückgriff auf Überlieferungen der Troubadours tätigen. Dichter als Vortragender – oder Berufsänger Zum Tanz Selten: Lektüre von Minneliedern Beweglichkeit der Texte „Wir müssen mit unfesten, beweglichen Texten rechnen, die sich verändern können, ohne dass die Veränderungen als Störungen zu begreifen wären. Mittelalterliche Texte sind nicht zuerst fixiert und dann nachträglich verändert worden, sondern der „Text“ ist von Anfang an eine bewegliche Größe“ Joachim Bumke zum veränderten Textbegriff Probleme der Überlieferung Es gibt keine handschriftlichen Überlieferungen, erst ab dem 13. / 14. Jahrhundert gibt es Aufzeichnungen. Oftmals sind nur mehr Fragmente erhalten, durch die langen Phasen mündlicher Überlieferungen gibt es oft mehrere Varianten. Auch die Manuskripte sind unzuverlässig, oftmals kommen Übertragungsfehler, Schreibfehler etc. vor. Für Lyrik wurden Sammelhandschriften angefertigt wie z. B. die Manessische Handschrift (zwischen 1310 – 1330). Der Dichter als Verfasser ist von keinerlei Bedeutung. Unterschiede der Rezeption mittelalterlicher Literatur – heutiges Bücherlesen Semi – Oralität der mittelalterlichen Literatur Multimedialität statt bloßem Sehen Einbindung in Rituale Kollektive mündliche Rezeption, quasi eine bestimmte soziale Kontrolle Interaktivität / Präsenz des Erzählers / Autors Begrenzter Zeitrahmen Fallbeispiel Nibelungenlied Es entsteht im Wechselspiel mündlicher und schriftkultureller Einflüsse, im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts. Die erste Verschriftlichung findet um 1200 statt, sie ist jedoch nicht erhalten, der Stoff wurde bereits vorher mündlich verbreitet. Das Nibelungenlied ist anonym, wir kennen den Autor nicht. Das Lied besteht aus 39 Aventiuren. Es handelt sich um Heldenepik, keine höfische Epik (z. B. Artusepik), die Anonymität des Verfassers ist ein wesentliches Merkmal der Gattung Heldenepik. Die älteste, erhaltene schriftliche Fassung stammt aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Text besteht aus beinahe 10.000 Versen Es gibt ca. 35, großteils nur fragmentarisch erhaltene deutsche Handschriften in verschiedenen Varianten. Sehr viele dieser Handschriften enthalten einen jüngeren Text, die so genannte „Nibelungenklage“. Diese mittelhochdeutsche Dichtung schließt in sehr vielen Handschriften an das „Nibelungenlied“ an, sie wird zwischen 1200 und 1230 datiert. Die drei bedeutendsten (ältesten und vollständigsten) Handschriften werden folgendermaßen bezeichnet: A – Hohenems / Münchener Handschrift (Ende 13. Jahrhundert) B – St. Galler Handschrift (Mitte 13. Jahrhundert / etwas früher) C – Donau / Eschinger Handschrift (Zweites Viertel 13. Jahrhundert) Version A und Version B besitzen viele Parallelen. Gegen Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts entstand neues Interesse an mittelalterlichen Schriften, ein Interesse an der Geschichte der nationalen Sprache. Der Stoff des Nibelungenliedes wurde zum ideologisch missbrauchten Stoff, u. a. von Richard Wagner (Der Ring der Nibelungen). Die Rezensionsgeschichte ist relativ schwierig, auch der Nationalsozialismus griff das Nibelungenlied auf, man feierte Die Rückkehr des germanischen Heldentums, der germanischen (deutschen) Tugenden. Zum Nibelungenlied gibt es ähnliche Herkunftsdiskussionen wie bei Homer z. B. die Frage nach der Autorenanzahl… Heldenepik, wozu auch das Nibelungenlied zählt, wurde gesungen, jedoch besitzen wir in diesem Falle auch keine überlieferte Melodie. Der Hildebrandston, der sehr beliebt war im Mittelalter, würde vom Rhythmus und der Metrik zum Nibelungenlied passen, jedoch gibt es keine bestätigenden Überlieferungen. Eberhardt Kummer, ein Kammersänger, kombinierte in Konzerten den Hildebrandston mit dem Nibelungenlied, es war dies der Versuch einer Rekonstruktion. Der Text reflektiert seine eigene spezifische Medialität. z. B. 1. Strophe: Kollektivität „uns“ Verweis auf mündliche Überlieferung aus einem Traditionsgut der Allgemeinheit Es wird „gehoert“, nicht gelesen Otfried Ehrismann, bestimmte die Einleitungsstrophen als charakteristisch für europäische Heldenepik durch kollektive Tradition und Gedächtnis. Wir finden sofort einen Gattungsverweis in der 1. Strophe vor, wir wissen, worum es geht: um Helden „Recken“ galt schon damals als veralteter Begriff, wir können dies als Hinweis auf das Alter der „maeren“ nützen. Der Sänger erschließt sich hier als Fortführer einer Tradition, Restbestände des mündlichen Erzählens sind eindeutig vorhanden. Jan – Dirk Müller: „Es handelt sich um eine fingierte Oralität, eine Nachahmung. Man gibt schriftlich die Herkunft bekannt, aber es besteht kein historisches Bewusstsein durch die mündliche Überlieferung. Der Hinweis auf das Alter ist quasi ein Zeichen der Qualität des Textes (Kunstsprache).“ Der Buchdruck – Medienrevolution der frühen Neuzeit Zustand der Schriftkommunikation VOR Gutenberg Handschriften waren sehr teuer, Bücher so gut wie unleistbar (außer für den König) Langsame Produktion durch Kopisten Fehlerhafte Abschriften Teilweise scher lesbare Handschriften Diverse Versuche zur Standardisierung der Schrift werden niemals durchgesetzt Buchproduktion als Auftragsproduktion Steigende Nachfrage führt zu überforderten Schreibern Der Grundstoff Metall war damals noch nicht geläufig, es wurden keine Lettern mit Hilfe von Handgießinstrumenten gegossen. Der Buchdruck entstand auch aus der direkten Notwendigkeit, dem Bedürfnis der Masse. Das Typographeum, also die Gesamtheit der Einrichtungen des Buchdrucks mit beweglichen Lettern löste Mitte des 15. Jahrhunderts die Skriptorien ab und ermöglichte erstmals eine Massenherstellung identer Kopien. Die Automatisierung, die Kombination verschiedener Produktionsgeräte und –abläufen zwischen Maschinen und Mensch (z.B. Setzer, Drucker) führte zu einer Mechanisierung und besseren Organisation. Chronologie der ersten Drucke Ca. 1440 – 1444 erste Probeläufe in Straßburg 1444 / 45 !. Gutenberg – Duck: „Sybillenweissagung“ Ab 1448 Druckerwerkstatt in Mainz 1450 Vertrag mit Johannes Fust über den Aufbau einer Druckerei mit mehreren Pressen und mehr Personal 1452 Beginn der Arbeit an der 42zeiligen Bibel – B42 (erhöhter Kapitalaufwand) 1454 Frankfurter Reichstag: erste ungebundene Bibeln im Angebot; zwar nur Teile der Bibel, aber sauber und korrekt geschrieben 1455 / 56 zur Jahreswende ist der Druck der Bibel fertiggestellt Der lange Herstellungszeitraum lässt sich durch die vorherige Herstellung der einzelnen Lettern erklären. 1455 trennten sich die Wege von Gutenberg und Fust, belegbar ist dies durch erhaltene Unterlagen eines Gerichtsprozesses, den die beiden gegeneinander führten. Dabei ging es um das Geld, das Fust in den Aufbau einer Druckerei investiert hatte. Gutenberg gab neben einer Geldzahlung auch Teile der Gerätschaften als Pfand an Fust ab, ihre Wege trennten sich. Die „Sybillenweissagung“ welche in Fragmenten erhalten ist, bietet noch kein wirklich einheitliches Typenbild der Lettern. Der vollständig überlieferte und erhaltene Türkenkalender (1454; Mainz) ist bereits regelmäßiger und klarer im Schriftbild. Die primäre Absicht Gutenbergs war eine „Schönschreibmaschine“, nicht die Schnelligkeit stand im Vordergrund, sondern die Schaffung einer „nova ars scribendi“ (neuer Schriftkunst). Die kunstvollen Malereien wurden allesamt erst nachträglich und manuell eingefügt. Beschleunigung der Buchproduktion Von der zweibändigen Gutenberg – Bibel sind 49 von 185 Exemplaren erhalten, jedoch meist unvollständig. Druck Handschrift 185 Exemplare 1 Exemplar Je 1282 Seiten Je 1282 Seiten 3 Jahre 3 Jahre Bedenken muss man dabei natürlich, dass die Herstellung der Lettern in dem 3jährigen Arbeitsprozess bereits inkludiert ist. Bei einem Umfang von 42 Zeilen auf 1282 Seiten besteht die Bibel aus etwa 3,5 Millionen Buchstaben. Von den 185 Exemplaren wurden 150 auf Papier gedruckt, 35 auf Pergament, wofür die Haut von ca. 5000 Kälbern benötigt wurde, was natürlich einen immens hohen Kapitalaufwand erforderte. Die erhaltenen Bibeln sind mehrheitlich auf Papier gedruckt. Der Preis dieser Bibeln lag damals um etwa 75 % unter dem Preis qualitativ vergleichbarer Handschriften. Mit Inkunabeln oder Wiegendrucken bezeichnen wir alle Drucke vor 1500. Wir müssen den Begriff metaphorisch sehen, sozusagen als Druckwerk, welches noch in der Wiege liegt. Johannes Fust gründete nach der Trennung von Gutenberg mit seinem Schwiegersohn Peter Schöffer eine selbständige Druckerei als Konkurrenz. 1468 stirbt Gutenberg, dessen herausragende Leistung in der Erfindung eines Handgießinstruments und der passenden Metalllegierung zur Produktion einzelner Lettern. Der Buchdruck verbreitete sich rasch in Europa. Um 1500 gab es bereits 260 Orte mit Druckereien. Allein im Vatikan befanden sich 40 Druckereien, da die Kirche einen hohen Bedarf an Büchern hatte. 25 davon befanden sich im Besitz von Deutschen. Im Handelsstandort Venedig gab es in etwa zur gleichen Zeit bereits 150 Druckereien. Die Wichtigkeit des Buchdrucks wurde schnell erkannt und führte zu dieser enormen Verbreitungsgeschwindigkeit. Lob und Kritik der neuen Technologie Die ersten der 185 Exemplare wurden großteils schon vor der Fertigstellung verkauft. Es wurde von „Bereicherung“ und „Erleuchtung“ der Welt gesprochen, „Welterfahrung“ war plötzlich auch ohne Reisen möglich. Lernen ohne interpersonellen Kontakt wurde breit verfügbar, vorher war dies nur dem Adel möglich. Natürlich herrschte auch Angst vor Missbrauch vor, ketzerischen Schriften, Lästerbüchern und Schandbüchern. Es entstand eine neue Form des kulturellen Gedächtnisses, eine neue Bewahrung von Wissen. Auch Klagen über Informationsüberschuss und Neufündigkeit (Neugier) blieben nicht aus. In China und Korea waren Drucke schon früher bekannt, in etwa im 8. Jahrhundert. Es fand jedoch keine Verbreitung statt, da sie nur dem Kaiser und seinem Hof zustanden. Der Druck wurde später re – importiert aus Europa. Es kommt hier die sozialsystematische Komponente des Medienbegriffs zum Tragen, welche die Tatsache beinhaltet, dass die Durchsetzung eines Kommunikationsmittels an soziale Institutionen gebunden ist. Kommerzialisierung der Kommunikation Durch das Entstehen einer neuer Marktwirtschaft, eines neuen Vertriebssystems entstehen neue Kommunikationsbahnen. Das Kommunikationsmodell wird vereinfacht, die Textzirkulation schneller, es gab zudem noch keine Zensur. Der Wissenszugang ist neu reguliert und nicht mehr nur elitären Schichten vorbehalten. Viele Buchmacher beginnen, Werbung für sich selbst auf den Titelblättern zu machen. Kaufkraft wird zur neuen Voraussetzung, es herrschen keine Ständeunterscheidungen mehr vor. Siehe Folien 4: Evangelienharmonie des Mönches Ottfried von Weißenburg (Zusammenfassung der Evangelien) Bücher sind aber nach wie vor teuer und nicht für alle Menschen erschwinglich. Prinzipiell hat aber ein jeder die Möglichkeit, Bücher zu konsumieren, wenn er lesen und schreiben kann. Dies traf vor allem auf Patrizier und gebildete Handwerker zu. Ein hoher Anstieg der Auflagen in Relation zur Handschrift kann beobachtet werden, die regionale Verbreitung nimmt zu, es gibt keine Kettenbibliotheken mehr, in denen die Bücher aus Angst vor Diebstahl mit Ketten an der Wand befestigt waren. Die Unkontrollierbarkeit des raschen Anstiegs an Titeln, keine Zensur, der Nachdruck vieler Bücher ohne Absprache, kein Copyright und keine Kontrollinstanzen werden langsam zum Problem. Texte werden noch nicht als Eigentum einer Person betrachtet. Eine Privilegierung von Manuskripten durch den Adel war erlaubt, schriftliche Zusagen der Rechte zur Vervielfältigung und Nachdrucken waren nur schwer kontrollierbar. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Zusage der Eigentumsrechte von Seiten Karl V an die Witwe von Albrecht Dürer. Hier entstand quasi die geistige Urheberschaft im Sog des Buckdrucks. Nicht nur eine neue Autorschaft entsteht, sondern auch eine neue Erkenntnistheorie: der Mensch wird zum Schöpfer des Wissens, es ist nicht mehr göttlich vermittelt. Theoretische Bücher z. B. zum perspektivischen Zeichnen (Dürer) werden geschrieben, an die Stelle der göttlichen Inspiration tritt technisches Wissen (technisierter Betrachter mittels eines Apparates, der nur Ausschnitte des Blickes zulässt – Bilder siehe Folien 4). Buchdruck und Reformation – Eine Synergie Hier ist vor allem Martin Luther (1486 – 1546) von hoher Bedeutung. Die Forderungen waren reformatorisch: Bibellektüre für ALLE. Dies führte naturgemäß dazu, dass die römische Kirche Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit der Bibel bekam, Laien würden sich gegen Geistliche wenden. Religiöse Flugschriften wurden zum Massenmedium des 16. Jahrhunderts. Luthers „An den christlichen Adel deutscher Nation“ erschien 18.08.1520 in einer Erstauflage von 4000 Stück war bereits nach 5 Tagen vergriffen. Auch das Neue Testament 1522 war bereits nach kürzester Zeit mit mehr als 100.000 Stück verbreitet. Es ist dies der Beginn einer auf Basis der Schriftkultur räsonierenden Öffentlichkeit. Folgen des Buchdrucks für die literarische Kommunikation 1. Bücher wurden wesentlich billiger – bessere Zugänglichkeit 2. Neue Leserschichten für fiktionale Literatur 3. Prosa statt Verse (erzählenden Dichtung); im Mittelalter wurde Prosa lediglich für Rechtstexte etc verwendet, Prosaauflösungen finden statt: Umwandlung Vers in Prosa 4. Entstehung neuer Genres: Volksbuch / Prosaroman z. B. „Volksbuch vom Dr. Faustus“ 5. Mehrere Bücher werden einmal gelesen, statt ein Buch mehrmals 6. Texte besser lesbar – Beschleunigung des Lesens 7. Stilles Lesen beginnt lautes Lesen abzulösen 8. Tendenz weg von der Aufführung der Literatur hin zum einsamen Lesen (Reduktion des multisinnlichen Aspektes) 9. Auktorialer Erzähler Charakteristika der Buchdruckkultur Organisation des Wissens Bücher als zentrale Wissensquelle Abwertung des mündlichen Wissens, Aufwertung des Visuellen Rapides Anwachsen der Informationsmenge Zensur nach dem Druck Markt als Regulator der Distribution Tendenz zur Demokratisierung des Wissens Charakteristika des Mediums Identische Reproduzierbarkeit Steigen der Menge, sinken der Preise Gute Lesbarkeit Papier statt Pergament Frage des Urheberrechts wird virulent Buch als Massenprodukt Funktion und Status von Dichtung Geschriebene fiktionale Texte werden neuen Bevölkerungsgruppen zugänglich: Grenze zwischen Fiktion und Realität wird problematisch Zum Nachlesen: Michael Giesecke Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt a. M. 1991 Die Entstehung der modernen Lesekultur im 18. Jahrhundert Dynamiken der Mediengeschichte Trägheitseffekt: bis das Medium seine Wirkung entfaltet Ungleichzeitigkeit: sozial und regional Unterscheidung zwischen technischer Machbarkeit und sozialer Durchsetzung (Prognosen) Abhängigkeit z. B. vom alten Medium Gegenabhängigkeit: Bezug zwar auf das Vorherige, aber in gegenteiliger Hinsicht Autonomie / Selbständigkeit Der letzte Punkt ist auf Michael Gieseke zurückzuführen, er muss jedoch entwicklungspsychologisch betrachtet werden. Diese Dynamiken sind jedoch nicht auf jeden Medienumbruch umlegbar. Die Leserevolution im 18. Jahrhundert Grundlegende Veränderungen der Lesekultur Verbreitung der Lesefähigkeit (Generationen) Quantität der Lektüre Soziale Zusammensetzung des Lesepublikums Lesestoff (Romane, Lyrik, Belletristik etc.) Qualität der Lektüre (weg vom wiederholten Lesen) Soziale und Kulturelle Veränderungen (Prägung bis heute) Emanzipation des Bürgertums hinsichtlich gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, das Zunftwesen fällt weg, neue Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, ein Orientierungsbedürfnis entsteht. Aufklärung: philosophische Werte, Wissen, Bildung, Gleichheit der Menschen, Entwicklung des eigenen Ichs… werden thematisiert Säkularisierung Modernisierung des Schulunterrichts (Schulpflicht) Lesen vs. Auswendig lernen, Verstehen vs. Wiedergeben Ablöse der Buchstabiermethode Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang: Heinrich Stephani: Reformation des Leseunterrichts, Hinwendung zu Lautiermethode Friedrich Kittler: für ihn war die Lautiermethode so revolutionär wie nur die Einführung der Schrift; „Aufschreibsysteme 1800 – 1900“ Verbreitung der Lesefähigkeit Schätzungen: Anteil der lesefähigen Bevölkerung Mitteleuropas über 6 Jahren 1770 – 15 % 1800 – 25 % 1830 – 40 % 1870 – 75 % 1900 – 90 % Nach Rudolf Schenda 1970 Wir sprechen hierbei aber nicht von potentiellen Lesern, sondern von der Lesefähigkeit der Menschen. Es sind selbstverständlich auch andere Einteilungen mit verschiedenen Aspekten möglich. Regelmäßige Leser aus der erwachsenen Bevölkerung um 1800 gab es lediglich ca. 1,5 %, anspruchsvolle Literatur war weiterhin einer Elite vorbehalten. Im Jahr 2000 gaben ca. 40 % der erwachsenen Bevölkerung an, mindestens einmal pro Woche in einem Buch zu lesen. Zuwendung zur Belletristik Belletristik 3–5% 5,8 % (Romane 2,6 % ) 16,4 % (4,0 % ) 21,4 % (11,7 % ) 17. Jd 1740 1770 1800 Religiöses 40 – 60 % 19,1 % 10,8 % 5,8 % Prozentanteil der Titel der Messkataloge (Buchmessen) Anstieg der Romanproduktion in 5 – Jahres – Schritten (Deutschland) 1765 – 69 1780 – 84 1800 – 1804 2007 135 neue Romane auf dem Markt 449 1429 14.056 belletristische Neuerscheinungen Neue Lesestoffe Statt Erbauungsliteratur Belletristik und Sachliteratur Interesse für zeitgenössische deutschsprachige Literatur Unterschiedliche Leseerfahrungen zwischen den Generationen; Identitätsauffindung über die Literatur Neue Leseweise Tendenziell: Still statt laut Leseerlebnis statt Versenkung Mehrere Bücher statt ein Buch immer wieder Erfahrung des Neuen statt Festigung des Bekannten Lektüre und Individualität „Die Figur des individuellen bürgerlichen Lesers, ja überhaupt der einzelnen bürgerlichen Persönlichkeit mit besonderem Erleben, Fühlen und Denken existierte am Anfang des 18. Jhd noch gar nicht. Sie konnte erst erwachsen, als im Gefolge der Aufklärung die erlebnishafte und individualisierende Literatur dem Bürger Entfaltung, Vielseitigkeit und Spezialisierung ermöglichte.“ Nach Rolf Engelsing Neue gesellschaftliche Bedeutung des Lesens Literarische Bildung erhält soziales Prestige Keine feste soziale Zuordnung der Leser Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit Großteil des Romanpublikums sind Frauen (bis heute) Lesediskussion in der Literatur Christoph Martin Wieland: Der Sieg der Natur über die Schwärmerei, oder die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva , eine Geschichte, worin alles Wunderbare natürlich zugeht (1764) Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther (1774) Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Ein psychologischer Roman (1785 – 90) Literatur und Film (Intermedialität – Wechselbeziehung siehe Text V im Skriptum) Literaturgeschichte als Vorgeschichte des Films Vorgeschichte, gesellschaftliche Entwicklungen, Kausalitäten des 19. Jhd. Industrialisierung Neues gesellschaftliches Verständnis Neue Wahrnehmungsformen (Foto etc.) Neues Verständnis von Technik Joachim Paech: Literatur und Film. Sammlung Metzler Zweite Auflage 1997 Die Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts hat bereits Aspekte des Filmischen vorweggenommen: Konzentration auf das Sichtbare: genaue Schilderung des Optischen; ein neues Interesse am Sichtbaren; in der Literatur zu finden u. a. bei Flaubert und Zola, Edgar Allan Poe, filmisch umgesetzt u. a. von Sergej Eisenstein – Panzerkreuz Potemkin 1925 Erzählperspektive des Beobachters u. a. bei E. T. A. Hoffmann – Des Vetters Eckfenster 1822 (Beobachtung des Marktplatzes durch ein Fenster) Parallelmontage: mehrere sich zur gleichen Zeit abspielende Ereignisse, die parallel nebeneinander erzählt werden und nicht einzeln nacheinander z. B. Eisenstein Madame Bovary von Flaubert) Die Entwicklung der Filmsprache von Seiten der frühen Regisseure wie eben Eisenstein, David W. Griffith etc geht von diesen Punkten und realistischen, bürgerlich nahen Texten aus. Erzählerische Verfahrenstechniken werden übernommen. Anfänge des Films 28. Dezember 1895 Grand Cafe, Paris 1. öffentliche Vorführung des Cinematographen von Auguste und Louis Lumiere Die bewegte Photographie war in Wien ab Mitte April 1896 zu bewundern. Die Technologie der Lumieres war damals nicht einzigartig, auch Edison entwickelte z. B eine ähnliche Maschine, den Kinetograph, aber die Technik der Brüder setzte sich durch. Um 1890 – 95 gab es etwa 120 Techniken / Apparaturen zur Filmvorführung. Projektion = kollektive Rezeption Edison – individuelle Rezeption Kino als Teil der populären Unterhaltungskultur In Varietes, Vaudeville – Theatern, Music – Halls, auf Jahrmärkten wie dem Wiener Prater; um 1909 gab es 62 ständige Abspielplätze in Wien Im Rahmen der proletarischen Massen – Unterhaltungskultur Bewegte Bilder als Attraktion Nur ein Teil eines Nummernprogramms Einzelfilme nicht länger als 1 – 2 Minuten Literarisierung des Films Das Kino musste den Ansprüchen und kulturellen Bedürfnissen des Bürgertums entgegenkommen, natürlich mit Rücksichtnahme auf das Proletariat; 1908 / 09 beginnt die Verfilmung von erfolgreichen Theaterstücken und Romanen Literatur als Vorbild für filmische Erzählweisen ( Charles Dickens für David W. Griffith) Umfangreiches Reservoir an erzählten Geschichten zur Adaption Zahlreiche Literaturverfilmungen am Anfang wie z. B. Quo vadis? Von Enrico Guazzoni Italien 1912 Gezielte Anwerbung von Autoren für Filmproduktionsfirmen z. B. Hugo von Hofmannsthal Verfilmung von Populärliteratur wie Dr. Mabuse oder Zorro (Massenliteratur) Filmische Schreibweise „Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender.“ Berthold Brecht – Erläuterungen zum Dreigroschenprozess Tolstoi 1908 – Veränderungen der literarischen Schreibweise Montage und Schnitt Wechsel der Blickpunkte Vielzahl an Sinneseindrücken – Simultanität „Schockförmige Wahrnehmung als formales Prinzip“ Walter Benjamin Beispiel Arthur Schnitzler Biografie Geboren 15.05.1862 in Wien Studium der Medizin, Promotion 1886 09.10.1895 Uraufführung von „Liebelei“ am Burgtheater 1900 „Lt. Gustl“ veröffentlicht, sowie „Der Reigen“ als Privatdruck 1912 „Professor Bernhardi“ 1920 Uraufführung des „Reigen“ in Berlin 21.10.1931 Tod in Wien Verfilmungen u. a. Liebelei (1933 u. a. mit Magda Schneider, Paul Hörbiger) Anatol (1921 USA „The affairs of Anatol” Regie: Cecil B. de Mille` s) Fräulein Else Der junge Menardus (Mikail Certez, später Michael Curtis u.a. drehte er Casablanca) Der Autor arbeitete selbst eifrig an den Umsetzungen seiner Bücher mit, 1931, in seinem Todesjahr, arbeitete er an einem Tonfilm mit und zwar „Daybreak“ – „Das Spiel im Morgengrauen“ als Vorlage. Diese Mitarbeit am Film war einerseits eine neue Form des künstlerischen Ausdrucks, andererseits eine zusätzliche Einnahmequelle. Schnitzler war ein begeisterter Kinogeher, zwischen 1904 und 1931 besuchte er mehr als 800 Mal das Kino. Dies ist in seinem Werk kaum thematisiert, lediglich im Tagebuch notiert. In seiner Schreibweise ist es bemerkbar. Für die hohe Zahl an Kinobesuchen gibt es wohl 3 Motive: 1. Als Geschäftsmann und Produzent von Stoffen für das Kino; Beobachten der Konkurrenz und Regisseure, die seine Bücher verfilmen sollten 2. Aus purer Zerstreuungslust, er besuchte viele Komödien und Slapstick 3. Um die Beziehung zu Clara Pollaczek geheim zu halten Schnitzler stand bereits mit Georg Wilhelm Pabst in Verhandlung bezüglich der Verfilmung der Traumnovelle und hatte bereits mit der Arbeit am Drehbuch begonnen. Jedoch aufgrund des „Dreigroschenprozeß“, den Berthold Brecht und Kurt Weill gegen den Produzenten der Verfilmung der „Dreigroschenoper“ führten, sagte er dieses Projekt ab. Auch das Drehbuch Schnitzlers (fragmentarisch erhalten) beginnt, wie Kubrick, mit der Ballszene. „Traumnovelle“ 1926 Es finden sich eine Reihe von typischen Charakteristika für Schnitzlers Schreiben vor: Erzählstruktur: klar gebaut, kreisbildende Struktur, die Geschichte beginnt am Abend und endet am Morgen, sehr geschlossen; Ehegeschichte; Doppelstruktur: einerseits die Erlebnisse des Mannes, andererseits die Träume der Frau Themenfelder: geheime Bezirke, die Abgründe der Triebwelt in einer äußerlich perfekten bürgerlichen Ehe, in der sich bedrohliche Triebe und Dynamiken eröffnen, Erzählen von Begehren und geheimen Wünschen, das Erforschen des Inneren Figuren: Albertine erzählt offener und freimütiger über ihre Fantasien, ist ihrer abgründigen Seite mehr bewusst als ihr Mann; Fridolin ist gebundener an bürgerliche Konventionen, hat starrere und Denk- und Verhaltensmuster als seine Frau Kontext: bürgerliche Wirklichkeit der untergehenden K & K – Gesellschaft, einer großbürgerlichen Szenerie; Doppelbödigkeit und Heuchelei hinsichtlich Sexualität / Sexualmoral trotz aller bürgerlichen Ehe- und Moralvorstellungen; beginnendes neues weibliches Selbstbewusstsein und Verunsicherung der patriarchalen Muster 1907 bereits stellt Schnitzler erste Überlegungen zu dem Text an, beginnt 1921 daran zu schreiben. Der erste Titel war nicht „Traumnovelle“, sondern „Doppelnovelle“, aufgrund der doppelten Erzählstruktur, der Ähnlichkeit zu Freud und der Parallelität von literarischem Verfahren und psychoanalytischem Verfahren. Zitat aus der Traumnovelle: „Sie gerieten in ein ernstes Gespräch über jene verborgenen traumgeahnten Wünsche, die auch in die klarste und reinste Seele trübe und gefährliche Wirbel zu reißen vermögen und sie redeten von den geheimen Bezirken nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfassbare Wind des Schicksal sie doch einmal und wärs auch nur im Traum verschlagen könnte.“ „So mochte das für das Unsagbare als Ausdruck gelten und dessen aufrichtige Beichte sie vielleicht von einer Spannung und einem Misstrauen befreien können das allmählich unerträglich zu werden anfing.“ Zudem sah Freud in Schnitzler auch eine Art literarischen Doppelgänger sie hatten ähnliche Themen und ähnliche Methoden. Der Schluss ist auffällig für Schnitzler: versöhnlich, fast optimistisch, keine Katastrophe oder letales Ende für die Protagonisten, der Beginn selbstreflektierend (intertextueller Verweis; Lesen über Lesen). Es finden sich märchenhafte Motive und Ansätze, unheimliche und schauderhafte Momente (Schauerroman – vertrautes wird unbekannt). Die Motive spiegeln sich (Nachtseite, dunkle Seite - märchenhaft), verweisen aufeinander und sind verwoben z. B. Träume von Albertine – Erlebnisse von Fridolin; Arzt – Nachtigall als Fastarzt. Die Abgründe der Triebwelt in einer äußerlich perfekt wirkenden Ehe werden dargestellt. Es findet sich eine Dynamik, ein stetes Spannungsverhältnis: Bürgerliche Ehe – Begehren – Liebe (Erotik, Sexualität) Traum und Wahrheit bleiben am Ende in ihren Grenzen offen: „fluktuierendes Zwischenland zwischen Bewusstem und Unbewusstem“, die Wirklichkeit entspricht nicht der innersten Wahrheit. Zitat aus der Traumnovelle: „.. dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, dass wir aus allen Abenteuern heil davon gekommen sind, aus den wirklichen und aus den geträumten. Weißt du das auch ganz gewiss fragte er. So gewiss als ich ahne, dass die Wirklichkeit einer Nacht, ja das nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet. Und kein Traum seufzte er leise ist völlig Traum. … Nun sind wir wohl erwacht, sagte sie, für lange.“ Fridolin ist bürgerlicher und konventioneller als Albertine, viel starrer und zurückhaltender. Es handelt sich um die bürgerliche Wirklichkeit der K & K – Gesellschaft in Österreich. Ihre Heuchelei und die Doppelbödigkeit der Sexualität werden geschildert. Syphilis war damals eine ständige Gefahr, galt sie noch als unheilbar. Neben dem neuen weiblichen Selbstbewusstsein beginnt auch ein zeitgenössischer Antisemitismus (Schnitzler war Jude und selbst oft Ziel von Angriffen), die Protagonisten werden stark isoliert. Stanley Kubrick 1928 – 1999 Bekannteste Filme 1960 - Spartacus 1964 - Dr. Strangelove or how I learned to love the bomb 1968 – 2001 – A Odysee in space 1971 – A clockwork orange 1980 – Shinning 1987 – Full Metal Jacket 1999 – Eyes Wide Shut Kubrick hat wenige Filme gedreht, aber er hat sich immer neue Genres gesucht und dabei versucht, das jeweilige Genre zu revolutionieren. Sinn vs. Sinne: mediale Unterschiede “Die Romanverfilmung hebt die Kompositionsaktivität der Lektüre auf. Alles kann wahrhaftig wahrgenommen werden, ohne dass ich etwas hinzubringen, geschweige mich dem Geschehen gegenwärtig machen muss. Deshalb empfinden wir dann auch die optische Genauigkeit des Wahrnehmungsbildes im Gegensatz zur Undeutlichkeit des Vorstellungsbildes nicht als Zuwachs oder gar als Verbesserung sondern als Verarmung.“ Wolfgang Iser Ein Film hat eine andere Medialität als das Buch, er muss Dinge zeigen, die Texte in zwei Zeilen erzählen können, der Film wendet sich direkt an unsere Sinne, während der Text Sinn imitiert, das Erleben einer Vorstellung im Kino vs. sich selbst Vorstellungen machen. Eine Literaturverfilmung sollte als Film ernst genommen werden und nicht als Bebilderung eines Textes. Eyes Wide Shut Die Anfangsszenen des Films geben bereits in vielen Bereichen die ästhetische Richtung des gesamten Filmes vor, sie leiten nicht nur narrativ ein sondern auch in die Filmästhetik. 1. Kamerabewegung und -perspektiven Fließende Bewegungen, wie die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit fließend und nicht in ihren Übergängen beschränkt sind Fahrten z. B. die Gänge entlang, die Protagonisten werden beim Eintreten in neue Räume begleitet Kreisbewegungen, (Film und Text!) umkreisen der Figuren z. B. beim Tanzen 2. Montage / Zusammensetzung Überblendungen z. B. ebenso beim Eintritt in neue Räume Rasche Schnitte, keine klar markierte Grenzen Parallele Handlungsführung ab dem Beginn / Doppelstruktur 3. Einzelbilder Klare Farbgestaltung, beinahe schon wie bei Gemälden Dominante Spektralfarben: Rot, Blau, Gelb, Orange, sehr konsequent (im Text kehrt Rot als leitmotivische Farbe immer wieder), entsprechen eher Traumbildern als Bildern der Realität Bedeutung des Regenbogens; Zusammennahme der Spektralfarben; es kommt nie zur Erfüllung, wird immer abgebrochen Lichtquellen im Bild sichtbar; auch aufgrund der Tatsache, dass Kubrick auf künstliche Beleuchtung fast komplett verzichtet, von Außen wird nur eine kleine mit Papier verdeckte Lampe verwendet 4. Raum, Dekor, Architektur New York der Gegenwart Bürgerlich – wohlhabende Welt Vorwiegend Innenräume Labyrinth der Wohnung Allgegenwärtige Weihnachtsbäume, ebenso in Spektralfarben leuchtend; Signal- und Symbolwirkung: Fest der Familie (der heiligen) als Kernzelle des bürgerlichen Gesellschaftsmodells und sie ist in Gefahr, worauf der Baum hinweist (ebenso als Lichtquelle, da auf künstliches Licht fast gänzlich verzichtet wird) 5. Hauptfiguren Casting Eigenschaften Bedeutsame Gesten, Handlungen Wichtige Aussagen, Schlüsselsätze 6. Ton: Dialoge, Soundtrack Pointiert eingesetzter Sound (Klaviertöne, Stille, Songs…) Leitmelodie: Walzer aus Dimitri Schostakowitsch: Jazz – Suite Thematische Songs Reader: von Hoff, Dagmar: Kunstwelten im Dialog. Literatur und Film. Buchmarkt und Verlagswesen Die Distribution von Büchern in der Gesellschaft wird als sozialsystematische Komponente des Medienbegriffs gesehen. Sie ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig wie z. B. gesellschaftlichen oder auch politischen Faktoren. Die Warenzirkulation von Büchern geschieht ab der Neuzeit am Buchmarkt. Rückblick Kulturwissenschaftlicher Medienbegriff Medium = Kompaktbegriff; Zusammenwirken von 4 Komponenten Kommunikationsinstrumente: Semiotische Kommunikationsinstrumente Medientechnologien Sozialsystematische Komponente Medienangebote Das Buch als Kulturgut und Ware (doppelter Charakter) Buchpreisanbindung Dies bedeutet, dass der Ladenpreis vom Verlag festgelegt wird. In Österreich besteht diese Bindung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Es gibt einige Ausnahmen: An Bibliotheken, Schulen gebrauchte Bücher fremdsprachige Bücher Bücher aus Ländern ohne Preisbindung wie Großbritannien und die Schweiz Die Bindung gibt es in Österreich, Deutschland und Frankreich. Die Schweiz schaffte den festen Buchpreis im Mai 2007 ab, Großbritannien bereits 1997. Auch die EU macht Druck aufgrund der „Wettbewerbsfreiheit“, wobei doch gerade die Buchpreisbindung eine vielfältige Buchhandellandschaft erhält. Absehbare Folgen einer Abschaffung Beschleunigter Verdrängungswettbewerb Strategische Vorteile für große Buchhandelsketten Filialisierung („Strukturbereinigung“) Verbilligung von Bestsellern Konzentration auf wenige, gewinnbringende Titel Einschränkung des Angebotes an Titeln Rückgang unabhängiger Buchhandlungen Die Akteure des Buchhandels Autor Verlag Hersteller Zwischenbuchha ndel Barsortimente etc. Buchhandlung Käufer Der Marketingbereich erreicht zunehmend an Wichtigkeit. Zwischen- bzw. Großhändler oder direkte Bestellung vom Verlag werden hauptsächlich aus Lagergründen getätigt. Nur wenige Buchhandlungen haben entsprechend Raum, die Masse an Büchern zu lagern. Konzentration und Internationalisierung Die momentanen marktbeherrschenden Verlagsgruppen im deutschen Raum sind: Random House – Bertelsmann (weltweit größter Verlag) Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (z. B. die Zeit) Hanser Verlag (u. a. Zsolnay) Aktuelle Tendenzen am Buchmarkt: Buchproduktion allgemein Durch die Beschleunigung des Literaturbetriebes gibt es seit 2004 wieder steigende Umsätze. 2007 waren es ca. 9,6 Mrd. Euro. Das Kerngeschäft Buch hat im Zeitraum 2005 – 2006 um 2 % zugenommen Der Markt ist geprägt von hohen Produktionsraten und kurzen Lebenszyklen. Es gibt zwar viele Neuerscheinungen, diese sind als solche aber nur kurz am Markt. Falls sie sich nicht bewähren bzw. gut verkaufen werden sie ins moderne Antiquariat gegeben. Im Jahre 2006 gab es auf dem deutschen Markt 94.175 Neuerscheinungen Große Publikumsverlage machen mehr als 54 % ihres Umsatzes mit neuen Titeln Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Interessensvereinigung) Aktuelle Tendenzen: Belletristik Hier wurde 2007 ein Umsatzrückgang von -1,9 % beobachtet Im selben Jahr gab es 14.056 Neuerscheinungen, was ca. 16,3 % aller Erstauflagen entspricht Umsatzverteilung: 49,9 % erzählende Literatur 25,6 % Spannung, Krimi, Thriller etc. 7,2 % Science Fiction / Fantasy 1,8 % Lyrik / Dramatik … Weitere Tendenzen Der Anteil des Online – Buchhandels wie amazon ist steigend. 2007 waren es ca. 850 Mio. Euro, was in etwa 9 % des Gesamtumsatzes des Buchhandels entspricht. Der Hörbuchmarkt ist ebenso ansteigend, der Umsatz beträgt in etwa 200 Mio. Euro pro Jahr Auch Sondereditionen und Billig – Buchreihen sind im Aufwind wie z. B. die Süddeutsche Bibliothek Buchgemeinschaften wie z. B. Donauland sind im Abstieg Zudem gibt es neue technologische Entwicklungen wie Print on Demand, dem Nachdruck auf Kundenwunsch oder E – Book sowie diverse Digitalisierungsprojekte. Die Zeitspanne zwischen dem Erscheinen der gebundenen Ausgabe und der Taschenbuchform ist erheblich kürzer geworden. Die Marketingpolitik der Verlage ist auf wenige gewinnbringende Titel ausgerichtet. Wichtige österreichische Literaturverlage Paul Zsolnay Verlag / Deuticke Verlag (Wien) Residenz Verlag (St. Pölten) Otto Müller Verlag (Salzburg) Haymon Verlag (Innsbruck) Wieser Verlag (Klagenfurt / Celovec) Jung und Jung (Salzburg) Droschl (Graz) Picus Verlag (Wien) Ueberreuther (Wien) Es gibt in Österreich keine Interessenvertretung wie den Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Darum wandern viele Autoren zu deutschen Verlagen über, da für sie so eine größere Zielgruppe erreichbar ist. Beispiel Klever Verlag Mag. Ralph Klever – www.klever-verlag.com Ab Mitte der 90er – Jahre kann eine zunehmende Digitalisierung des Verlagswesens beobachtet werden. Das E – Book hat einen Hype bereits seit Mitte der 90er. Literaturtheorie als solche wurde in Österreich quasi aus Ländern wie Frankreich, Deutschland etc. importiert. Heimrat Becker – Oberösterreichischer Verleger für experimentelle Literatur Anfang der 90er – Jahre lag der Hauptfokus auf Literatur aus Deutschland, im Speziellen Literatur aus Berlin. Verlagsförderungen existieren in Österreich seit 1993. Sie werden von einem Komitee vergeben, welches u. a. aus Literaturwissenschaftlern besteht. Im Jahre 1995 lag der Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse auf Österreich. Knackpunkt eines jeden Verlages ist der Vertrieb. Weiters konnten sehr viele Kosten im Verlagswesen durch bessere Technologien reduziert werden. Literatur und Fernsehen Formen der Literatur im Fernsehen a) Literarische Produktion für das Fernsehen Literaturverfilmungen wie z. b. Thomas Mann oder Rosamunde Pilcher Drehbücher zu Fernsehfilmen, Serien etc. wie z. B. Felix Mitterer für den Tatort Heute ist es vermehrt umgekehrt, es gibt immer mehr Bücher zu Filmen und Serien, nicht umgekehrt b) Information über Literatur durch das Fernsehen Literatursendungen Beiträge über Literatur in Nachrichtensendungen und Kulturmagazinen AutorInnen als Talkshowgäste Österreichische Literatur für das Fernsehen: Beispiel Alpensaga Die Alpensaga ist eine TV – Serie in sechs Teilen. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit von Peter Turrini und Wilhelm Pevny, Regie führte Dieter Berner. Es war eine Gemeinschaftsproduktion von Österreich (ORF), Deutschland (ZDF) und der Schweiz (SRG) von 1974 – 79. Die österreichische Erstausstrählung erstreckte sich über die Jahre 1976 – 1980. Insgesamt sahen ca. 300 Mio. Zuseher auf über 21 Fernsehstationen diesen Mehrteiler. ORF – Gesetz / Kultur- und Bildungsauftrag Der ORF – Programmauftrag enthält einen Kultur- ebenso wie einen Bildungsauftrag. § 4. (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß § 3 verbreiteten Programme zu sorgen für: 5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft; 6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion; 7. die Vermittlung eines vielfältigen kulturellen Angebots; … (3) Das ausgewogene Gesamtprogramm muss anspruchsvolle Inhalte gleichwertig enthalten. Die Jahres- und Monatsschemata des Fernsehens sind so zu erstellen, dass jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (20 bis 22 Uhr) in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen. Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten. Die Qualitätskriterien sind laufend zu prüfen. Literatur im Fernsehprogramm Literatursendungen 5.1.-12.1.2009: 8.1.09 um 22:05 artour Kulturmagazin (Beitrag über die Lyrikerin Eva Strittmatter) 10.1.09 um 20:15 Ich will nicht wissen, wer ich bin - Heiner Müller (Dokumentation) 11.1.09 um 10:15 Literatur im Foyer 12.1.09 um 23:40 LeseZeichen Intermedialität – Medientransformation Schrift überschreitet die semiotische Schwelle und wird Bild Komplexität, Tiefe wird zur Oberfläche 1 bestimmtes Buch steht in der Rezeptionstätigkeit gegen TV – Programme in ihrer Vielzahl Der Bildungsanspruch wird zur Populärkultur. Beispiel: Das literarische Quartett Diese Sendung wurde vom ZDF von 1988 bis 2001 ausgestrahlt. Es sind jeweils 3 Kritiker sowie ein Gast anwesend. Bis zum Jahr 2000 bestand die Besetzung aus Marcel Reich – Ranicki, Hellmuth Karasek und Sigrid Löffler. Löffler und Ranicki zerstritten sich jedoch in der Diskussion um ein Buch (Gefährliche Geliebte) von Haruki Murakami dermaßen, dass es zur Trennung kam. Löffler wurde durch Iris Radisch ersetzt. Das Konzept der Sendung ist redlich einfach: 3 – 4 Neuerscheinungen (nicht immer, ab und an auch ältere Werke) werden von den Anwesenden präsentiert, besprochen und diskutiert. Das symbolische Kapital der Teilnehmenden besteht im Schauwert sowie im Dialog, dem Streitgespräch. Durchschnittlich schaffte es das Quartett, dass ihm mehr als 700.000 Zuseher folgten, in etwa 77 Live – Sendungen wurden ca. 390 Buchtitel vorgestellt. Das Auftreten des eigenen Buches in der Sendung hatte eine enorme Werbewirkung für jeden Autor. Jedoch wurde dies von vielen Schriftstellern und Literaturkritikern bemängelt. Der Sendung wurde vorgeworfen, oberflächlich, banal und bisweilen auch populistisch zu sein, nichts werde begründet, alles vereinfacht. Ranicki selbst gibt zu, dass es keine ordentlichen Analysen gibt, die Ergebnisse sogar sehr oberflächlich und nur angedeutet sind. Da 5 Bücher in 75 Minuten besprochen werden, bleibt für ein jedes nur etwa eine Viertelstunde, ein jeder Teilnehmer der Sendung kann zu jedem Buch etwa dreieinhalb Minuten etwas sagen. Zitat Reich – Ranicki: „…Denn heute kommt es darauf an, das Publikum bei der Stange zu halten. Mit anderen Worten: Wir müssen dafür sorgen, dass uns das Publikum nicht wegläuft – zu anderen und nicht unbedingt ehrenrührigen Freizeitbeschäftigungen.“ „…Doch was ich in meinem langen Kritikerleben wollte und was mir nie ganz gelungen ist, was ich nie ganz geschafft habe – die breite öffentliche Wirkung auf das Publikum-, das hat mir erst das Fernsehen ermöglicht.“ Weitere regelmäßige Literatursendungen im Fernsehen Lesen! - ZDF 22h30; mit Oktober 2008 eingestellt; Moderatorin: Elke Heidenreich; 6 - 8 Mal / Jahr, monologisch + Stargast les.art - ORF 2 23h; ca. 4 Mal / Jahr; aus österreichischen Literaturhäusern; Moderator: Dieter Moor; Magazin + Talkshowelemente Literaturclub - SF 22h40; ca. monatlich, aus der Thalia-Buchhandlung in Basel; Moderatorin: Iris Radisch; Format an Literarisches Quartett angelehnt: Gesprächsrunde mit AutorInnen als Gästen Druckfrisch - ARD 23h30; 8-10x/Jahr; Moderator: Denis Scheck besucht AutorInnen und stellt Neuerscheinungen vor, auch Sachliteratur Fremdheit von Literatur und Fernsehen „Die Erzeugung eines eigenen Raums und einer eigenen Zeit mit dem Mittel der buchstäblichen Codierung von Erfahrung ist die ureigenste Leistung des Schriftstellers, und sie ist, beim gegenwärtigen Stand der Dinge, weitgehend fernsehuntauglich, nicht nur was Interviews und Gespräche mit Schriftstellern betrifft. (…) Das Leitmedium Fernsehen verwandelt die über einen langen Zeitraum literarischer Kultur geformte unsichtbare Innenseite der Dinge in sichtbare Oberflächenereignisse.“ Hubert Winkels Hubert Winkels: Leselust und Bildermacht. Literatur, Fernsehen und neue Medien. Köln 1997 (Kapitel: Der unglückliche Studiogast. Über Literatur im Fernsehen) Digitale Literatur Sie ist bereits seit etwa 20 Jahren in Verwendung. Begriffsklärung Digitalisierte Literatur Medienwechsel: Texte, die auch in gedruckter Form vorliegen (könnten) wie z. B. das Projekt Gutenberg, betrieben vom Spiegel, oder Elfriede Jelinek mit ihrem Privatroman „Neid“ Digitale Literatur Diese basiert auf dem digitalen Code. Produktion und Rezeption sind ohne Computertechnik und – technologie nicht möglich. Charakteristika digitaler Literatur 1. Interaktivität in Form von z. B. Links, Dialogfeldern, Rollenspielen auf Textbasis 2. Doppelter Text = zusätzlich zum normalen, lesbaren Text steht unterhalb von ihm, unter der Oberfläche ein Programmcode wie z. B. html, java, Quelltexte, Programmtexte 3. Inszenierung = stark performativer Aspekt z. B. durch Töne, Bilder und Bewegung 4. Multimedialität / Intermedialität in Form von visuellen, cinematographischen Elementen 5. Nicht – Linearität: eine Linksstruktur ist zwar vorhanden, aber der Leser entscheidet, in welche Richtung er geht bzw. wie er vorgeht. Im Unterschied zu gedruckten gibt es hier nur eine schwache Hierarchie der Textelemente 6. Literarizität: paratextuelle Signale, Hinweise auf den Verfasser sowie Fiktionalität; auch eine Überstrukturiertheit, eine ästhetische Strukturiertheit durch die Übernahme von klassischen Textelementen Genres der digitalen Literatur Nach N. Bachleitner (http://complit.univie.ac.at) Hyperfiction / Hyperpoetry z. B. Martin Auer – Lyrikmaschine; Geoff Rymans – 253 or Tube Theater; Der Link ist hier ein wesentliches Textelement Multimediale Poesie z. B. Young – Hae Chang Heavy Industrials – Operation Nukorea Digitale visuelle Poesie: Sie hat eine lange literaturhistorische Tradition: von der griechischen Antike über Barockdichtung und historische Avantgarde hin zur konkreten Poesie. Hier wird die Materialität der Schriftzeichen besonders betont z.B. Rene Magritte – Ceci n est pas une pipe (Das ist keine Pfeife), Reinhard Döhl – Apfel 1965, Johannes Auer – worm apple pie for Döhl Dichtungsgeneratoren: vom Computer erzeugte und generierte Texte in Form der Reproduktion materieller Textelemente. Hier gibt es eine starke Verbindung mit der Forschung bezüglich künstlicher Intelligenz z. B. Manfred Arens – Lorca – Maschine, Nanette Wylde – haikU. Zu verweisen ist hier auch auf einen Vortrag Italo Calvinos 1967 zum Thema Kybernetik. Fortgeschrittene Textgeneratoren wie z. B. Günther Gehl – Poetron 4G Version 5.0 Literarische Computerspiele und Program Code Poetry gibt es auf der Seite Norbert Bachleitners zu finden: http://complit.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/abt_complit/VOdigilit4.doc Problem der Analysierbarkeit Was soll bei Hypertexten analysiert werden? Das gesamte Informations-/ Textpotential? Alle im Text angelegten Erzählstränge? Nur die tatsächlich aktualisierten Pfade? Die Programmierung als entscheidender Bestandteil des digitalen Text? Grenzen der Literaturwissenschaft Erweiterung der literaturwissenschaftlichen Kompetenzen um folgende Aspekte nötig 1. Analyse der Multimedialität (Bild, Ton, etc.) 2. Analyse des Programmcodes, des „zweiten Textes“ 3. Analyse der Spielanteile, des Spiels mit visuellen, auditiven etc. Effekten 4. Analyse der User-Beteiligung / Interaktivität / Performativität Weiterführende Literatur e-zine von Roberto Simanowski: http://www.dichtung-digital.de/ Segeberg, Harro; Winko, Simone (Hg.): Digitalität und Literalität. Zur Zukunft der Literatur. München 2005. Auch unter: http://www1.uni-hamburg.de/DigiLit/ Simanowski, Roberto (Hg.): Digitale Literatur. München2001 (= Edition Text + Kritik 152).