Kritiken zu Peter Wittenbergs Inszenierung von "Vorher/Nachher

Werbung
Kritiken zu Peter Wittenbergs Inszenierung von "Vorher/Nachher" von Roland
Schimmelpfennig am Düsseldorfer Schauspielhaus
Skurrile Ausschnitte aus dem Alltag (Melanie Fuchs)
Wittenberg inszeniert Schimmelpfennigs „Vorher/Nachher“ im Düsseldorfer Schauspielhaus.
„Es gab Tage, an denen ich in Gestalt von drei Frauen mit drei verschiedenen Männern Sex
hatte“ erzählt die sich ständig verändernde Frau, gerade in Gestalt eines Zimmermädchens
und spinnt sich den weiteren Verlauf ihres Abends zusammen.
In Roland Schimmelpfennigs Theaterstück „Vorher/Nachher“, das seine Premiere am 30.
November letzten Jahres im Düsseldorfer Schauspielhauses feierte, gibt es insgesamt 35 solch
skurriler Figuren, einen unbekannter Organismus inbegriffen. 48 kleine, dramaturgisch
zusammenhanglose Szenen. Einzelschicksale, die auf eine gewisse Art doch scheinen
zusammenzugehören. Die Handlung ist alltäglich, fast banal, es ist die Kommunikation
zwischen den Figuren, die bewegen soll. Keine leichte Aufgabe für den Regisseur Peter
Wittenberg:“ Die Dialoge sind unglaublich, damit reizt Schimmelpfennig die Möglichkeiten
des Theaters voll aus.“ Theater am Rande seiner Grenzen, genau diesen Eindruck nahm der
Zuschauer mit nach Hause.
Die Struktur des Stückes erinnert an die des Films „Pulp Fiction“. Menschen treffen sich, sie
verschwinden, neue Figuren betreten die Räume, dazwischen kurze Dunkelheit und Musik.
Am Anfang und am Ende steht die Frau über siebzig, die sich beim Umziehen aus Versehen
nackt gesehen hat „Wie ein Schwamm“, so beschreibt sie angeekelt ihren Körper. Die Frau
um die dreißig betrügt ihren Freund mit dem Mann aus der anderen Stadt, der Jäger jagt den
Organismus, der die Menschen als Schallwellenproduzenten zum Feind hat, der Mann im Bild
verliert sich in einem Gemälde.
Schimmelpfennig zeichnet ein bizarres, aber wertungsfreies Gesellschaftsbild der heutigen
Zeit. Seine Figuren haben keine Namen. Jeder könnte die rothaarige Frau sein, die einmal
wissen will, wie sich Erfolg anfühlt und deshalb mit einem Geschäftsmann schläft. Es geht
um die Suche nach dem Ich und nach der Liebe, die die Menschen mit Sex, Erfolg und
Äußerlichkeiten verwechseln zu scheinen. Es geht um die alltäglichen, banalen
Entscheidungen im Leben, die das Vorher vom Nachher trennen. Verkauft der Mann mit den
Manschettenknöpfen die Firma seines Vaters oder nicht? Verlässt die Frau namens Grille
ihren Mann, der sie gerade geschlagen hat oder bleibt sie bei ihm?
Die Figuren entblößen nicht nur ihre Seelen, sondern auch ihre Körper: Wittenberg scheint
mit der Nacktheit zu arbeiten, was weder unangebracht, noch übertrieben anmutet. Auch die
fast lebensecht nachgestellte Sexszene zwischen der rothaarigen Frau und dem früheren
Freund der Frau um die dreißig, schockiert den Zuschauer weniger, als dass sie Mitleid mit
den Figuren erregt. Neben Tatja Seibt, die die Grille so mitreißend verkörpert, enttäuschte
Lisa Hagmeister in der Rolle der rothaarigen Frau, erinnerte sie in ihrem Spiel doch stark an
die Mariedl aus Werner Schwabs „Präsidentinnen“.
Vorher/Nachher ist ein schwieriges Theaterstück ohne besondere Höhen oder Tiefen, jedoch
voll Humor und gleichzeitig enttäuschend traurig. Ohne ein so gutes Ensemble wäre seine
Umsetzung nicht möglich gewesen.
Vorher wie Nachher (Verena Meis)
Peter Wittenberg inszeniert Schimmelpfennigs Momentaufnahmen am Düsseldorfer
Schauspielhaus.
„Das Danach ist zugleich ein Davor – zwar nach einer Erfahrung, aber immer schon vor einer
anderen“, lautet es im Programmheft. Roland Schimmelpfennig sagt: „Wir sehen nur die
Konsequenzen, wir sehen nur die Folgen, das Dazwischen gibt es nicht.“ Zunächst sehen wir
aber nur zwei karg eingerichtete Hotelzimmer (Bühne: Sascha Gross). Schimmelpfennigs
„Vorher/Nachher“ feierte am 30. November 2002 am Düsseldorfer Schauspielhaus seine
Premiere.
Wittenberg inszeniert kurz, intensiv und irritierend episches Theater, ein „Vorher“ wie
„Nachher“: Tragisch brutale Lebenssplitter, Querschnitte vom alltäglichen Dasein, reale
Momentaufnahmen und surreale Welten. Den Rahmen bildet die „Frau über Siebzig“ (Tatja
Seibt), die sich vorher wie nachher „beim Umziehen aus Versehen nackt gesehen“ hat. „Die
Frau um die Dreißig“ (Claudia Kaske) betrügt vorher wie nachher ihren Mann mit dem
„Mann aus der anderen Stadt“ (Klaus Rodewald). „Die Grille“ (ebenfalls Tatja Seibt) erinnert
sich vorher wie nachher an die geblümte Bluse ihrer Großtante und gleichzeitig an die
Ohrfeige ihres Mannes. „Der frühere Freund der Frau um die Dreißig“ (Harald Schrott)
betrügt vorher wie nachher seine Frau mit der „rothaarigen Frau“ (Lisa Hagmeister). „Drei
Nonnen“, die vorher wie nachher durch die Hotelzimmer wandeln, unterbrechen dringliche,
nicht aufdringliche nackte Existenzen.
Schimmelpfennig zeigt uns ein Photoalbum voll von nüchternen Alltagsbildern und banalen
Wirklichkeiten: „Menschen auf der Bettkante“. Aber nicht nur Wirklichkeiten, sondern auch
fantastische Szenen: „Der Mann vor dem Bild“ (Artus-Maria Matthiessen), der nachher der
„Mann im Bild“ wird. „Der Jäger“ (Thomas Wittmann), vorher gejagt von dem Vorhaben,
den Organismus zu vernichten, dessen Überleben nachher fraglich bleibt. „Die sich ständig
verändernde Frau“ (Heidi Ecks), die vorher eine asiatische Küchenhilfe ist und dann im
Körper einer mitteleuropäischen Anästhesistin steckt: „Vorher“ anders als „Nachher“.
Außerdem „Georg“ (ebenfalls Harald Schrott) und „Isabel“ (ebenfalls Heidi Ecks), in deren
Dialog Philosophisches wie der Tod im Licht des Ironischen erscheint, sowie „Phillip“
(Thomas Wittmann) und „Susanne“ (ebenfalls Claudia Kaske), die im besoffenen Zustand
Eifersuchtsszenen wegen des Argentiniers „Carlos“ und der „Silke von der Uni“ aufführen.
Ständige Wechsel von Erzählerrede zu Dialog, von Dialog zu innerem Monolog und wieder
zurück zu Erzählerrede wirken irritierend. Personen treten in die Rolle des Erzählers, wenden
sich dem Publikum zu und verlassen die Bühne. Sie beobachten ihr eigenes Tun von außen:
„Ein Schweigen, das ein Schrei ist“? Vielleicht. In den 48 kleinen Dramen gelingt es den
Schauspielern ausgezeichnet, das Publikum gleichzeitig durch nüchterne Bitterkeit und
surreale Bilderwelten zu verzaubern, aber auch zu entzaubern, bis am Ende die Bühne keinen
Einblick mehr in den Querschnitt des alltäglichen Lebens bieten will und die Mauern des
Hotels sich verschließen.Gelacht wurde manchmal, der Beifall: verhalten. Und es stellt sich
die Frage: Ist man nachher klüger als vorher?
Zuviele Anti-Depressiva im hektischen Hotel (Kornelia Michalik)
Der Regisseur Peter Wittenberg inszeniert „Vorher/Nachher“ ohne Nähe
Wie Scherben eines zerborstenen Spiegels, sind die 51 Szenen von Roland Schimmelpfennig
auf der Länge des Abends zerstreut: „Vorher/Nachher“ zeigt vereinzelte, nicht verknüpfte
Lebenssplitter, die kaleidoskopartig das Leben in all seiner Banalität reflektieren. Als
zusammengesetztes Puzzle zeigen sie den distanzierten Beobachterblick des Dramatikers auf
die heutige Gesellschaft im Großstadtdschungel: Getriebene Menschen ohne Halt, die Sex
suchen und ihn mit Nähe verwechseln; Menschen, die sich finden und wieder verlieren, die
sich streiten oder unterhalten und Menschen, die sich erinnern, sind Momentaufnahmen aus
dem Leben. Die Figuren irren durchs Leben und versuchen es sich selbst zu erklären. Sie
stecken fest im Erklärungslabyrinth — was war, was ist und was wird kommen?
Orientierungslos und verloren sind sie auf der Suche nach sich selbst. Der Regisseur Peter
Wittenberg verortet diese Suche in einem Hotel. Seine Inszenierung von „Nachher/Vorher“
feierte am .... im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere.
Zwei Hotelzimmer zeigt das Bühnenbild von Sascha Gross. Eigentlich der perfekte Ort, an
dem sich die Momentaufnahmen aus dem traurigen Großstadtleben abspielen könnten. Aber
das Stück verliert dort seine Spannung:
Die Schauspieler, die alle mehrere Rollen verkörpern, tauchen auf und verschwinden wieder
durch die Hotelzimmertür oder verharren in ihrer Endstellung. Das Licht springt wie ein
Pingpong-Ball von einem Zimmer zum nächsten. Hektisch ist der Szenenwechsel und das
Auge wird müde. Ganz anders ist es bei Schimmelpfennigs Sprache, aufmerksam wacht das
Ohr hier auf die Szenenwechsel. Seine Sprache funktioniert wie eine Kamera, die schnelle
Schnitte macht, aber auch immer wieder einzelne Szenen zoomt, um den Leser zu berühren.
Wittenbergs Inszenierung ist schnell, berührt aber kaum:
Die Schauspielerin Heidi Ecks verkörpert die „sich ständige verändernde Frau“ als eine nicht
ganz ernst zu nehmende Großstadttante, die zuviele Anti-Depressiva geschluckt hat. Sie
verfehlt das nicht Ausgesprochene dramatisch Traurige dieser Figur, verloren auf der Suche
nach sich selbst.
Dagegen erreicht der Schauspieler Artus-Maria Matthiessen in seiner Rolle als der „Mann im
Bild“ eine ungeheure Nähe. Hier funktioniert der Zoomeffekt: Er überschreitet die Grenze der
Bühne, dringt ein ins Publikum und zeigt so den Ausbruch aus seinem bisherigen Leben.
Seine blasse Erscheinung gleicht der Unwichtigkeit des Bildes, durch das er seine Gegenwart
verlässt. Bedeutsam ist nicht das reale Vorhandensein des Bildes im Hotelzimmer, sondern
die Erinnerung, die das Bild erweckt. Die Erinnerung verursacht den Ausbruch, der aber nur
eine Wiederholung bleibt. Er reist zurück in die Vergangenheit, durchlebt noch mal in
geraffter Zeit die Ära der Industrialisierung.
Immer wieder dieselben Fehler zu begehen, darin besteht die Angst der Figuren, die sie lähmt
und orientierungslos macht. Aber die Angst schafft bei Schimmelpfennig auch eine Nähe
zwischen den Figuren, die Wittenberg in seiner Inszenierung nicht realisiert. Er bringt
wildfremde Menschen in einem Hotel unter, setzt die einzelnen Szenen nicht in ein Ganzes
zusammen. Die Bühne als Hotel bleibt Requisit, wird kein selbstständiges Teil des Stücks. Da
sie nicht Schimmelpfennigs Text erzählt, der sehr einem epischem gleicht. Es bleiben nur
zerstreute Scherben auf der Bühne.
Als Zuschauer auf der Bühne? (Daniel Myslinski)
Eine Düsseldorfer Theaterinszenierung bietet ziellose Wanderung – Ankunft ungewiss.
Ein Blick auf zwei identische, sich leicht zugewandte Räume. Dem Anschein nach
Hotelzimmer. Kalte, karge Einrichtung, ein Doppelbett, Nachtlampen, ein Bild an der Wand,
das Badezimmer. In dieser Umgebung, irgendwo, irgendwann prallen Figuren aufeinander
auch ohne sich zu begegnen. Jung – alt, hübsch – hässlich, glücklich – unglücklich. Einzige
Gemeinsamkeit ist die Situation in der sie sich befinden: ein Zustand im Vorher und/oder
Nachher.
Nicht einfach ist zu beschreiben, was sich in den fast zwei Stunden auf der Bühne des
Düsseldorfer Schauspielhauses abspielt. Peter Wittenberg inszeniert „Vorher/ Nachher“ von
Roland Schimmelpfennig.
In einem Interview im November 2002 wird Schimmelpfennig gefragt, ob die Liebe die letzte
Utopie sei, er antwortet: „Liebe ist ein Gefühl ... kein Konzept, sondern ein Zustand ...“
Das Stück, von ursprünglichen 51 Szenen der schriftlichen Vorlage auf 48 nur unwesentlich
gekürzt, mit seinen zahlreichen, fast unzählbaren (39!) Figuren ist keine leichte Kost. Dem
Zuschauer, der sich bald fühlt wie Die sich ständig verändernde Frau (typisch für das Stück;
Schimmelpfennig bezeichnet seine Figuren nicht, gibt ihnen keine Namen, sondern karikiert
diese durch Beschreibungen und erzeugt somit eine Unbestimmbarkeit der Personen), wird
kein Mahl im Sinne einer Handlungsabfolge serviert, ihm werden Häppchen vorgesetzt.
Augenblicke des Alltäglichen. Kurze Ereignisse, flüchtige Begegnungen, Plötzlichkeiten.
Eine Frau, die es nicht ertragen kann sich selbst nackt anzusehen – ein Mann, der grade
angekommen ist – die Grille, die sich plötzlich an alles erinnern kann – der Organismus, der
am anderen Ende der Welt gewartet hat... Die Figuren drängen innerste Prozesse an die
Bühnenoberfläche. „Trauriges, Humorvolles, Ernüchterndes.“ Sie sind auf einem Weg, haben
jedoch kein Ziel vor Augen, so bleiben sie am Vorher hängen oder sind bereits im Nachher
angekommen.
Schimmelpfennig wird gefragt, was das Theater über die Liebe wisse, er antwortet: „Nichts
und alles...“
Wittenberg lässt die Figuren simultan eine Atmosphäre von Nähe und Distanz aufbauen, dem
Zuschauer wird nicht zur schau-gespielt, die Darsteller lassen ihr Abbild für sich sprechen.
Dabei wandelt sich die Beobachtung des Zuschauers, wie auf der Bühne vorgemacht, von
einer Betrachtung der, des Anderen zur Selbstreflexion der eigenen Person und
Persönlichkeit. Erkennen, Erinnern und Erwarten bilden sich zum Gefühl der
Eingebundenheit – „mittendrin, statt nur dabei“. Als würde ein imaginärer Spiegel vor dem
Zuschauer aufgebaut, beobachtet dieser nicht länger die Bühnenhandlung, er erlebt diese im
eigenen Inneren. Es gibt nur noch ein Vor- oder Nacherfahrenes des Betrachtenden. Zugleich
ist nichts und alles bekannt, keine Antworten sind geliefert und alle Fragen doch beantwortet.
Gibt es etwas besseres als das Schreiben?
Schimmelpfennig: „Die Liebe“
„Am Ende sind die Figuren da, wo sie vorher ganz ähnlich auch waren.“ Auf der Bühne und
auf den Sitzen des Theaters.
Momentaufnahme im Hotelzimmer (Helena Polewsky)
Anders als in Hamburg: Schimmelpfennig stationiert in Düsseldorf "im Hotel"
Es geht um gescheiterte Beziehungen und Sex, um gewöhnlichen Alltag und menschliches
Leid und zwischendrin um völlig absurden Irrsinn… Das Ganze spielt sich - mal erzählt, mal
erlebt - in zwei Hotelzimmern ab. Oder davor oder daneben und teilweise im vorderen
Zuschauerraum. Grenzen, die unmerklich verschwimmen und ineinander übergehen, und nur
kaum im Bezug zueinander stehen - oder etwa doch!?
Es ist schwer zu sagen, was die 39 Charaktere aus Roland Schimmelpfennigs
“Vorher/Nachher”, das am 30.11.2002 zum ersten Mal in Düsseldorf auf die Bühne kam,
miteinander verbindet.
Sicherlich sind da die einzelnen Paare: Die Frau um die dreißig, die ihren langjährigen Freund
mit dem Mann aus der anderen Stadt betrügt. Susanne und Philipp, die ständig über
Banalitäten streiten. Oder das russische Ehepaar, das trotz ihres alltäglichen Trotts und einer
kaputten Heizung irgendwie glücklich zu sein scheint. Amüsant umgesetzt wurde es von Tatja
Seibt (auch hervorragend als Grille) und Peter Harting. Bei den Russen-Szenen lacht das
Publikum. In den meisten der insgesamt 51 anderen Szenen gewinnt dagegen Wut, Trauer
oder Enttäuschung die Oberhand.
Neben diversen Pärchen finden sich jedoch auch einzelne Personen in den Hotelzimmern ein.
So zum Beispiel der Mann mit den Manschettenknöpfen, der die Plattenfirma seines
verstorbenen Vaters verkaufen muss. Er ist einsam. Er ist so einsam, dass er sogar eine Nacht
zu früh zu einem Meeting bestellt wird, weil “sie genau wissen, dass ich den Abend
verschenken kann. Dass ich nichts anderes vorhabe.” Doch diese Einsamkeit lässt sich nicht
nur bei ihm feststellen. Denn letztendlich wirken alle auf die eine oder andere Art (auch
gemeinsam) einsam.
Der absurdeste Moment in „Vorher/Nachher“ ist die Szene des Überlebenskampfes zwischen
Jäger und Organismus. Eben jener Moment scheint jedoch die Pointe dieser “Soap Opera”
surreal und treffend zu versinnbildlichen: Der Jäger hat sich todesmutig von dem
lebensbedrohlichen Organismus verschlucken lassen, um ihn von innen zu bekämpfen. Der
Organsimus (dargestellt von neun der zehn Darsteller) wird somit “ohne es zu wissen sowohl sein Vernichter wie auch sein eigenes Opfer”, denn als der Jäger laut schreit, verätzt
sich der Organsimus wegen seiner extremen Lärmempfindlichkeit selbst. Der Jäger hat also
gewonnen. Und ebenso scheint es doch um uns Menschen bestellt zu sein; mit unseren
alltäglichen Problemen - Affären, Lügen und Streit - machen wir uns zu unseren eigenen
Opfern…
Zu loben bleibt, last but not least, Peter Wittenberg, dem es wunderbar gelungen ist, dieses
Stück trotz seiner “szenischen Schwierigkeiten” (so Schimmelpfennig in einem Interview)
äußerst interessant umzusetzen. Ohne Probleme, aber mit zwei Seilen, lässt er Thomas
Wittmann die Wände hoch laufen. Drei Nonnen durchqueren inmitten einer Sexszene bei
lauter Musik und grellem Licht in Zeitlupe die beiden Hotelzimmer. (Möglicherweise als
Appell an Anstand und Moral!?).
Nicht zuletzte funktioniert Wittenbergs Inszenierung so gut, weil sie dem Zuschauer
verschiedene Momentaufnahmen im Hotelzimmer zeigt (Bünenenbild: Sascha Gross), die die
teils tragischen, teils irrealen Einzelschicksale trotz völliger Anonymität so lebendig werden
lassen.
Ein Blick in hinter die Kulissen (Maike Rose)
Wittenberg inszeniert das wahre Leben im Hotel
Das Leben besteht aus vielen Episoden, die sich gegenseitig beeinflussen oder auch ganz
unabhängig voneinander passieren können. Fremde Schicksale werden mitfühlend, vielleicht
auch ein wenig schadenfroh beobachtet, plötzlich ist es das eigene Geschick, das einen zum
Protagonisten macht, wenn das Leben seinen Tribut fordert.
Peter Wittenbergs Inszenierung „Vorher/Nachher“, die am 30. November 2002 im
Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde, lässt den Zuschauer das Auf und Ab des
wahren Lebens bildhaft erfahren: Sie gewährt einen episodenhaften, aber eindrucksvollen
Einblick in das Schicksal einiger Menschen, indem sie das Publikum hinter die
Hotelzimmertüren schauen lässt.
Eigentlich geht es nur um die Beobachtung: andere beobachten, sich selbst beobachten. Nicht
umsonst wird das Stück eingeleitet mit dem Satz: „Ich habe mich heute beim Umziehen aus
Versehen nackt gesehen“. Die gleiche Aussage wird auch zwei Stunden später eindrucksvoll
zum Finale. Anfangs allwissende Beobachter, fügen sich die Darsteller genauso
selbstverständlich wie plötzlich wieder in den Dialog der Szene ein.
Passend zu diesem episodenhaften Charakter der Inszenierung ist auch das raffinierte
Bühnenbild von Sascha Gross: Zwei nach vorne offene Container, nebeneinander angeordnet,
in denen fast steril in Grau- und Weißtönen zwei gleichartige Hotelzimmer eingerichtet sind.
Das Licht fokussiert zunächst das linke Zimmer. Ein Paar hält sich dort auf. Doch der Mann,
lässig dargestellt von Klaus Rodewald, wird zum Erzähler und berichtet wie ein
Außenstehender von den Gefühlen der Frau um die dreißig, gespielt von einer mitreißenden
Claudia Kaske, die gerade drauf und dran ist, zum ersten Mal in ihrer seit elf Jahren
dauernden Beziehung, einen Seitensprung zu begehen, - und zwar mit ihm, dem Erzähler, der
aber jetzt plötzlich nicht mehr der allwissende Berichterstatter ist, sondern der Liebhaber, der
gerade beginnt, die Frau wild zu küssen. Cut. Während das linke Zimmer mitsamt dem
mittlerweile erstarrten Paar in Dunkelheit versinkt, tritt ein Zimmermädchen nebenan ins
Licht und redet von ihren vielen Verwandlungen und dass sie trotz allem wenigstens immer
eine Frau geblieben ist. Cut. Links erstrahlt die Frau mit ihrem Liebhaber und teilt dem
Publikum nun ihrerseits außenstehend die Zweifel und Bedenken ihres Liebhabers mit, bevor
sie wieder in ihr eigenes Schicksal eintaucht. Cut.
Von der dritten Person in die Rolle der ersten – hier gibt es nur fließende Übergänge. Obwohl
jede Episode in sich abgeschlossen ist, nimmt sie doch durch ihre Beobachtbarkeit immer
wieder Einfluss auf die nächste oder die parallel verlaufende Episode. Hotelwände sind eben
dünn…Wittenbergs Inszenierung gewährt dem Zuschauer einen realistischen Blick hinter die
Kulissen des Lebens mit Wiedererkennungseffekt.
Durchs Schlüsselloch geschaut (Nadine Szymanski)
Wiedererkennen garantiert – Roland Schimmelpfennigs „Vorher/Nachher“ auf der Bühne des
Düsseldorfer Schauspielhauses beschäftigt sich mit ganz alltäglichen Paar-Problemen.
Ein muffeliger Russe steht vor dem Spiegel im Bad des Hotelzimmers. Seine Frau friert
nebenan in ihrer Unterwäsche, beklagt lauthals die kalte Heizung und ruft: „Die ist kalt!“. Ihr
Gatte, offensichtlich völlig unbeeindruckt von ihrer Mitteilungsbedürftigkeit, bewegt sich
zunächst keinen Zentimeter vom Waschbecken weg, bis er sich dann doch noch – der stetigen
Beharrlichkeit seiner Frau nachgebend - dazu bequemt, das Problem wortlos, aber grunzend
in Augenschein zu nehmen. Die Verblüffung steht ihm folglich ins Gesicht geschrieben – „Ist
kalt“, stellt er fest und nach einer Pause sogar: „Ist auch kalt hier drin“. Mit einem letzten
widerstrebenden Aufbäumen („Kann doch nicht sein“) beschreitet er jedoch den Weg zur
unglaublichen Erkenntnis: „Geht nicht“. Nun stehen beide da und beginnen zu frieren.
Zusammenleben ist nicht einfach, aber ohneeinander geht es eben auch nicht. Roland
Schimmelpfennig schildert in seinem Neuling „Vorher/Nachher“, uraufgeführt in Hamburg
im November 2002, Szenen aus dem Beziehungsalltag. Der Berliner Autor, 1967 geboren,
schreibt seit 1996 Theaterstücke und erhielt für „Push-Up 1 – 3“ bereits den begehrten
Nestroy-Preis.
Im Düsseldorfer Schauspielhaus wurde Schimmelpfennigs jüngstes Werk unter der Regie von
Peter Wittenberg in Szene gesetzt. Kurze Momentaufnahmen von ganz unterschiedlichen
Personen in den verschiedensten Lebensphasen, facettenreiche Eindrücke von Individuen, die
in glückliche oder unglückliche Beziehungen verstrickt sind, aber auch von solchen, die
beziehungslos geblieben oder es geworden sind.
Die Kulisse besteht aus zwei typischen Hotelzimmern: Doppelbett, zu beiden Seiten
Nachttische mit Leselämpchen, kahle weiße Wände, ein großes Bild, Badezimmer. Hin und
her schaltet die Beleuchtung zwischen den beiden Zimmern, die vorwiegend von Paaren und
gelegentlich von Einzelgängern bewohnt werden.
Eine Affäre bahnt sich an. Das Publikum sieht, wie die Fremdgänger, beide verheiratet, zum
ersten Mal miteinander ins Bett steigen. Den betrogenen Ehemann. Einen einsamen
Geschäftsmann, der sich einen Porno ansieht. Zwei, die sich streiten, wegen seiner Eifersucht,
und immer wieder die Treffen der mittlerweile fortgeschrittenen Affäre.
„Vorher/Nachher“ ist lang, aber keineswegs langweilig. Was das Stück als Ganzes interessant
macht, sind die aus dem Leben gegriffenen Themen, die sich im eigenen Alltag wiederfinden
lassen. Zuweilen konnte sich das Publikum darüber auch köstlich amüsieren. Unter dem
schnell aufeinander folgenden Szenenablauf hat die Tiefgründigkeit im Einzelnen natürlich zu
leiden. Die inszenierten Bühnenauftritte rauben mitunter das Identifikationsgefühl und so
kommt es, dass ein Liebesakt auf der Bühne nicht leidenschaftlich wirkt, sondern einfach nur
ein groteskes Bild abgibt. Da werden Szenen zu Schnappschüssen. Dokumentierter Alltag. Ab
ins Familienalbum.
Das Leben geht weiter. Älter werden ist Entwicklung, ist Veränderung. „Nichts an dir ist so,
wie es einmal war“, bemerkt der Mann, der nach der beendeten Affäre seiner Frau wieder zu
ihr zurückgekehrt ist. Allesamt haben sie Probleme, mal die gleichen und mal neue. Nichts
bleibt so wie vorher. Und nachher? Ist es manchmal – fast – doch wieder so wie es einmal
war.
Das Wichtigste im Leben ist Humor (Silke Cinja Vierling)
Peter Wittenberg inszeniert Roland Schimmelpfennigs Drama „Vorher/Nachher“
Musik ertönt, das Handy klingelt, man hört Schritte – verwundert drehen sich die Zuschauer,
die an diesem Abend in das Kleine Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses gekommen sind,
um. Ein älterer Herr aus dem Publikum verlangt wütend, dass jemand das Handy ausmachen
soll, schließlich sei er im Theater – keine Reaktion, denn die meisten Zuschauer ahnen, dass
dies der Auftakt eines fast zweistündigen Theaterabends ist. Dann erhellt sich gegen 19.30 h
die Bühne, auf der zwei schaukastenartige Bühnenelemente als Hotelzimmer identisch
eingerichtet sind.
„Ich habe mich heute beim Umziehen aus Versehen nackt gesehen“, spricht eine verwirrte
alte Dame vom Bühnenrand aus. Am 30. November letzten Jahres hatte Roland
Schimmelpfennigs Theaterstück „Vorher/Nachher“ in Düsseldorf Premiere. Behandelt wird
das Thema Liebe in seinen unterschiedlichsten Facetten: „Jeder will geliebt werden“, sagte
Schimmelpfennig, der seit 1999 als Dramaturg und Hausautor an der Berliner Schaubühne
tätig ist, dazu in einem Interview. Auf die Düsseldorfer Bühne gebracht hat das Drama der
Regisseur Peter Wittenberg, der u.a. am Schauspielhaus die „Dreigroschenoper“ inszenierte.
Wittenberg lässt für das Stück zehn Schauspieler in rund 40 Rollen schlüpfen. Menschen in
Momentaufnahmen: Alte und Junge, Paare und Singles, jeder mit seinen eigenen Problemen
um Identität und Realität beschäftigt: „Und dann ist es so leer in meinem Leben, dass ich in
die Resopalplatte des Küchentisches beißen könnte“ zitiert eine Frau ihren Mann nach der
Trennung. „Weißt du wie viel Stunden meines Lebens ich auf dich gewartet habe“, beschwert
sich ein anderer Mann.
Mit gutem Timing und klaren Bildern versucht der Regisseur das gegebene Material szenisch
umzusetzen. Klar strukturiert verwies er fast schon zu plump auf die kleinen Makel der
Figuren. So lässt er das eine Paar von einer Beerdigung kommend ganz in Schwarz gekleidet
über den Tod diskutieren, während ein anderes Paar, ganz in weiß gekleidet von einer Party
kommend, darüber streitet, wer mehr Nonsens rede. Durch solche Kontraste versucht der
Regisseur offensichtlich, die vom Autor knapp bemessene Sprache zu unterstreichen, um die
kleinen, schnell aufeinander folgenden Aktionen der Charaktere zu erläutern.
Zeitweise hatte man das Gefühl, dass das Ensemble durch viel nackte Haut das Defizit einer
packenden Geschichte aus den zeitgenössischen Problemen, wie dem Drogenmilieu oder der
Kriminalität, zu ersetzen versuchte. Fast 2 Stunden wechselten sich mit ähnlichen Problemen
belastete Szenen ab. Gesellschaftskritisch verarbeitet Wittenberg die Ängste der Menschen,
zu schnell wurde dem Zuschauer dadurch klar, dass der rote Faden der Handlung in der
Präsentation von Tod und Trauer lag. Dennoch gelang es dem Ensemble als Ganzes zu
begeistern und dem Zuschauer Schimmelpfennigs Aussage vor Augen zu halten: „Vorher“–
Menschen stehen vor einem persönlichen Konflikt. „Nachher“–Menschen scheinen den
Konflikt bewältigt zu haben.
Doch „nachher“ bedeutet in diesem Falle „vorher“, und so ist jedem, der nach der Vorstellung
den Raum verlässt, bewusst, dass dies der Teufelskreis des Alltags ist, den jeder kennt, und
der nur selten Humor zulässt.
Die Leere des Augenblicks danach (Nadine Vollmer)
Peter Wittenberg inszeniert Vorher/Nachher" in Düsseldorf
„Ich habe mich heute beim Umziehen aus Versehen nackt gesehen“. Eine Frau im Negligé
steht am Bühnenrand, einen Arm wie zum Schutz vor die Brust gehalten.
So der Anfang von „Vorher/Nachher“, in Szene gesetzt von Peter Wittenberg am
Düsseldorfer Schauspielhaus, wo es am 30. November 2002 seine Premiere feierte. Das Stück
von Roland Schimmelpfennig, derzeitig deutscher Vorzeigedramatiker, zeigt Menschen in
verschiedenen Situationen, die jedoch (fast) alle eines gemeinsam haben: die Leere des
Augenblicks danach, wenn die Liebe entzaubert ist und die Welt wieder ganz banal erscheint.
Wittenberg versetzte „Vorher/Nachher“ in die anonyme Atmosphäre eines Hotels.
Momentaufnahmen von Reisenden sollen es sein, ganz so wie Roland Schimmelpfennig
selbst die Szenen betrachtet: Als Einfangen des Augenblicks, der eintritt, nachdem etwas
geschehen ist, als reines Ergebnis eines Konflikts, ohne diesen selber zu zeigen.
Da ist die Frau, die ständig ihre Identität wechselt um nachher beim Blick in den Spiegel
festzustellen, dass sie die Gleiche ist wie vorher auch. Da ist die Frau um die dreißig, die
ihren Freund betrügt, der sich daraufhin beweisen muss, dass er das auch kann. Da ist der
Mann, der in ein Bild steigt und nicht mehr hinausfindet. Da sind die zwei Handwerker, die
Einzigen, so scheint es, die glücklich sind und die die Leere nur als physikalische Eigenschaft
des Universums betrachten, sie aber nicht in ihrem Leben spüren. Zehn Schauspieler
schlüpfen in über dreißig verschiedene Rollen in achtundvierzig verschiedenen Szenen. Sie
spielen in zwei identischen, schräg zueinander gesetzten Räumen, sie sitzen auf Bettkanten
oder verschwinden spurlos in Badezimmern. Sie spielen miteinander oder stattdessen ins
Publikum, nutzen gar den Zuschauerraum mit.
Doch trotz dieser unglaublichen Vielseitigkeit gelingt es nicht, den Zuschauer ganz
einzunehmen. Man lacht, wenn der Mann mit den Manschettenknöpfen (Klaus Rodewald) mit
unterdrücktem Glucksen in der Stimme einen Porno nacherzählt. Man bekommt Mitleid mit
dem, der so tragisch-komisch-verzweifelt zum Warten gezwungen ist (Harald Schrott). Man
schaut halt zu – wirklich gepackt wird man trotz schöner, komischer, trauriger, lauter
Momente (leider) nicht.
Es fehlt der Inszenierung an Konsequenz. Nur in wenigen Szenen wird wirklich mit der
Hotelatmosphäre gespielt, so z.B., wenn die Tür laut zugeschlagen wird und aus dem
Nachbarzimmer ein über den Lärm verärgertes „Hey“ ertönt. Nicht immer wird der
Figurenwechsel eines Schauspielers prägnant und plausibel vollzogen, auch wenn die Zeit
dafür bliebe. Und nicht immer wird die Linie der Inszenierung klar – mal ist sie provozierend
alles-zeigen-wollend, wenn man gar nicht alles sehen will, mal unmotiviert verschämt, wenn
man sich etwas mehr Direktheit wünschte.
Und so sitzt man da, denkt,„Ja, so, genau so ist das Leben wohl“ und wünschte, man könnte
diesem Satz noch ein „wow“ beifügen. Man wünschte, die Inszenierung hätte einen
gefangennehmen und –halten können, aber nachher ist irgendwie alles wie vorher und war
dazwischen eigentlich nicht anders.
Kaleidoskop des Lebens (Helen Weißenbach)
Wittenbergs Neuinszenierung von “Vorher/ Nachher“ am Düsseldorfer Schauspielhaus
„Das Leben in genormten Zimmern macht die Menschen ein wenig gleicher, als sie es
draußen sind.“ - Zitat Wittenberg.
Zumeist sind es Paare, die auftreten, aber auch Singles, junge wie alte auf der Suche nach
Sex, den sie mit Nähe verwechseln. Verbringen sie eine Weile zusammen, erzählen ihre
Geschichte, um sich dann wieder zu trennen. Ständiger Wechsel zwischen Monolog und
Dialog, vorher und nachher, tatsächlichem Handeln und gedanklicher Exkursion. Mal sind es
Begegnungen, die das Leben prägen, mal Banalitäten und Surreales, doch all dies geschieht
an vorübergehenden Orten: in einer Bar, einem Cafe, auch außerhalb von Raum und Zeit und
doch gefangen in einem kahlen Hotelzimmer.
In 49 scheinbar unzusammenhängenden Szenen verarbeitet Roland Schimmelpfennig
Lebenssplitter und kleine Einzeldramen, die sich letzten Endes zu einem Gesellschaftsbild
zusammenfügen und das Leben so widerspiegeln wie es ist: unverblümt und nackt. Da ist die
Frau um die dreißig, die gleich ihren Freund betrügen wird und von Zweifeln geplagt ist, die
Frau über siebzig, die sich vor ihrer eigenen Nacktheit ekelt, der Mann aus dem Bild, der die
Grenzen der Realität überschreitet oder das russische Paar, das sich über die kaputte Heizung
empört. Emotionen und Frustrationen werden sichtbar, so ist es im Leben des verlassenen
Freundes der Frau um die dreißig so leer , dass er „in die Resopalplatte des Küchentischs
beißen möchte“.
Aber der Autor zeigt auch Banales, wie den Mann, den die defekte Glühbirne völlig „aus der
Fassung bringt“ und Handwerker, die in Weltraumphantasien schwelgen. Und viele Fragen
bleiben offen: warum durchreiten drei Nonnen die Zimmer und wieso ist der Jäger auf der
Jagd nach dem Organismus, wer oder was ist das überhaupt? Fragen, die sich manch einer an
diesem Abend im kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses gestellt haben mag, denn
nicht umsonst gelten Schimmelpfennigs Stücke als „Theater am Rande der Aufführbarkeit“,
die sich jeglicher vordergründiger Interpretation entziehen und den Zuschauer selbst urteilen
lassen. Gerade dies ist der Anreiz für den Regisseur Peter Wittenberg, seine eigene
Inszenierung des Dramas „Vorher/ Nachher“ zu erarbeiten, das erst im Januar diesen Jahres
am Hamburger Schauspielhaus unter der Regie von Jürgen Gosch uraufgeführt wurde und
dort sehr erfolgreich war.
Es ist ein sehr modernes Stück, das sich mit knapper Sprache und minimierter Handlung um
die unterschiedlichen Facetten des Themas Liebe oder besser gesagt Sex dreht und auch in
Düsseldorf den Geschmack des Publikums trifft. Die 10 Schauspieler schlüpfen gekonnt in
die unterschiedlichsten Rollen und schaffen es stets, untermalt von Urwaldgeräuschen,
Spieluhrmusik und tropfenden Wasserhähnen, ihre Gefühle so zu vermitteln, dass man denkt
selbst im Geschehen zu sein. Rundum ein gelungener Abend, der vor allem dem talentierten
Ensemble mit seinen exzellenten Darstellern zu verdanken ist und einem Stück, wie es
abwechslungsreicher und zugleich verwirrender nicht sein könnte. So fällt der Vorhang und
die Fragen bleiben offen. Zwar sind wir nachher nicht klüger als vorher, aber beruhigt, dass es
wohl jedem so geht.
Herunterladen