Giacomo Puccini Tosca Ein Studienbehelf für jugendliches Publikum1 Giacomo Puccini (geboren 1858, gestorben 1924) 1. Die Vorgeschichte © Tobias Mayer Rom im Juni des Jahres 1800. Es ist Krieg in Europa. Gerade konnten die Franzosen unter Napoleon, die Rom und Neapel besetzten und eine „Römische Republik“ ausriefen, von den italienischen Truppen zurückgeschlagen werden. Doch der Geist der Französischen Revolution verbreitet sich auch in Italien. 1 Erarbeitet im Rahmen des Seminars Neue Wege der Musikvermittlung 02 (Leitung Ass.Prof. Dr. Beate Hennenberg) am Institut für Musikpädagogik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Wintersemester 2008/ 2009. So führt die Angst vor dem Sturz der Monarchie, die Angst vor Veränderung und vor dem Fremden, auch zum innenpolitischen, persönlichen Krieg zwischen den Menschen in Rom. Die Exekutive der gezielten Verfolgung von Andersdenkenden ist Baron Vitellio Scarpia. Der gebürtige Sizilianer wurde erst kürzlich in den Adelsstand erhoben und ist von der Königin persönlich beauftragt worden die Feinde der Monarchie und das republikanische Gedankengut der französischen Revolution auszurotten. Scarpia nimmt den Auftrag nur zu gerne an, denn er hasst ohnehin den alten neapolitanischen Adel, sowie Theologen, Künstler, Musiker – eben alle Gebildeten, die sich alleine schon durch den Besitz von Büchern verdächtig machen. Für die gezielte Verfolgung hat Scarpia einen Terrorapparat aus Spitzeln, Spionen und Polizisten aufgebaut, über die er Befehlsgewalt hat. Der Staatsfeind Nr. 1 Cesare Angelotti, der ein Konsul in der kurzzeitigen „Römischen Republik“ war, ist als Hochverräter angeklagt und wartet in Gefangenschaft auf seinen im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess. Eines Tages gelingt es Angelotti aus der Engelsburg zu entkommen. Er sucht Unterschlupf in einer Kirche, in der sein Freund Mario Cavaradossi als Maler arbeitet. Doch schon bald wird seine Flucht entdeckt… 20. Lebenslauf Giacomo Puccini © Andreas Raidl eigentlich Giacomo Antonio Domenico Michele Secondo Maria Puccini geboren am 22. Dezember 1858 in Lucca (Italien) am 29. November 1924 in Brüssel verstorben stammte aus einer Musikerfamilie – Vater und Großvater waren bereits Musiker 1904 – Hochzeit mit Elvira Bonturi 1876 – erste Komponierversuche (Symphonisches Präludium) 1880 – Studium in Mailand bei Amilcare Ponchielli 1882 – Prüfungsarbeit Capriccio Sinfonico, wurde später in der Oper La Boheme wiederverwendet 1884 – Erstlingsoper Le Villi, großer Erfolg (Uraufführung im Teatro Dal Verme in Mailand) weitere Opern: Edgar (1889 an der Mailänder Scala uraufgeführt), Manon Lescaut, La Boheme, Tosca, Madama Butterfly, 1910 – glanzvolles Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera mit La Fanciulla del West Turandot (unvollendet, wird mit einem von Franco Alfano vollendeten Schluss aufgeführt) die Grabstätte von Giacomo Puccini und seiner Frau befindet sich in seinem Haus in Torre del Lago. 3. Im Zentrum der Oper: Scarpia © Tobias Mayer Das grausame Spiel Scarpias nimmt seinen Lauf, als dieser die Kirche betritt und Indizien findet, die eindeutig auf den Maler Cavaradossi als Komplizen Angelottis hindeuten. Zudem begehrt Scarpia die Geliebte Cavaradossis, die Opernsängerin Floria Tosca. Somit hat Scarpia zwei Ziele: den Staatsverräter Angelotti wieder einzufangen, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen und die Sängerin Tosca sich ganz zu unterwerfen. Scarpia braucht zum Erreichen seiner Ziele zunächst den Maler. Er benutzt dazu nicht irgendeinen Köder, sondern Tosca selbst, deren Eifersucht er durch den Fächer einer unbekannten Schönheit entfacht. Tosca will daraufhin Cavaradossi zur Rede stellen und führt Scarpias Schergen ungewollt zum Versteck ihres Geliebten. Nun hat der skrupellose Baron den Schlüssel zu seinen Zielen: Cavaradossi – Freund des Verräters und Geliebter der Begehrten. Scarpia benutzt den an sich völlig unbedeutenden und politisch ungefährlichen Maler, um seinen verheerenden, bösartigen Plan zum Erreichen seiner Begierden in die Tat umzusetzen. Scarpia benutzt die Liebesbeziehung von Cavaradossi und Tosca, um seine Ziele zu erreichen. So bestellt er Tosca zu sich und lässt ihren Geliebten vor ihren Augen foltern. Auf diese Weise beginnt er sein sadistisches Spiel: Tosca Scarpia Cavaradossi Der direkte Weg zu Tosca und Angelotti ist für Scapia versperrt; daher braucht er Cavaradossi, den er ebenfalls direkt nicht erreichen kann; daher der indirekte Weg über Tosca zu Cavaradossi; durch Cavaradossi erhofft er sich Angelotti zu bekommen, doch der Maler verrät seinen Freund nicht; daher verwendet er wiederrum den Umweg über Tosca: Scarpia foltert Cavaradossi, so dass Tosca Angelotti verrät. Schließlich ist sie sogar bereit sich selbst zu opfern, um ihren Geliebten zu retten. Angelotti Scarpia nutzt die Spannung zwischen Liebe und Leiden auf bösartige Weise, indem die Liebende ihren Geliebten leiden sieht. Die Liebende will den geliebten Leidenden erlösen und verrät das Versteck Angelottis. Dieser wird kurze Zeit später tot aufgefunden – Selbstmord aus Verzweiflung. Damit hat Scarpia sein erstes Ziel erreicht, aber das ist ihm nicht genug. So erhöht er zum Erreichen seines zweiten Ziels das Leiden Cavaradossis, indem er seine Hinrichtung verkündet und Tosca klarmacht, dass nur ihre völlige Hingabe ihn retten könne. Der Wille der Liebenden zerbricht unter dem Leidensdruck, der, durch die Todesdrohung Cavaradossis hervorgerufen, unerträglich groß geworden ist und so ist Tosca bereit für ihren Geliebten nun ebenfalls zu leiden. Sie glaubt, sie könne ihn dadurch retten. Sie will es glauben und willigt ein, die eine Nacht sich dem Baron ganz hinzugeben. Scarpia scheint gewonnen zu haben und auch sein zweites Ziel zu erreichen – was ihm längst nicht genug ist. So erfüllt er seinen Teil der Abmachung und ordnet an, dass die Hinrichtung Cavaradossis nur zum Schein erfolgen soll. Zudem stellt er einen Passierschein für die beiden Liebenden aus. Jetzt will sich Scarpia seine Beute holen, doch sein Plan geht diesmal nicht auf, denn Tosca widersetzt sich und weiter noch, sie tötet ihn – sie beseitigt den Peiniger, denn sie hofft sich so auch des Bösen zu entledigen und doch noch zu einem Happy End mit Cavaradossi zu gelangen. Scarpia stirbt, doch das Böse ist schon gesät, das Gift von Tod und Verderben versprüht und das lässt sich nicht mehr aufhalten. – Tosca eilt mit dem Passierschein und neuem Mut zu ihrem Geliebten, der gerade verzweifelt versucht ihr einen Abschiedsbrief zu schreiben. Nach dem Bericht Toscas keimt auch bei ihm Hoffnung auf, Hoffnung auf eine Zukunft zu zweit. So blickt Cavaradossi zuversichtlich seiner Hinrichtung entgegen und er glaubt, ja er will es glauben, dass diese nur zum Schein erfolgt… Die Schüsse fallen und Cavardossi sinkt nieder. Die Soldaten ziehen weiter und Tosca tritt zu ihrem Geliebten, dass er aufstehe und mit ihr ein neues Leben beginne, doch – es war alles gelogen, das Übel war nicht mehr aufzuhalten, auch nicht durch den Tod Scarpias – Cavaradossi ist tot. – Unschuldig geopfert für die Pläne eines sadistischen Unterdrückers, einer Verkörperung des Machtmissbrauchs. – In Sekunden bricht alles in sich zusammen, alle Hoffnungen Toscas, aller Lebenswille und sie stürzt sich verzweifelt hinab in den Tod. Schließlich Leiden und Sterben alle: Angelotti, Scarpia, Cavaradossi und dann auch Tosca. Es gibt keine Gewinner – auch Scarpia nicht, denn er stirbt ebenfalls – das Böse, dass Scarpia trieb hat seinen Leidenschaft zum Leiden schaffen gegen alle Akteure und letzt endlich auch gegen ihn selbst gerichtet und so alles Leben zerstört. – „Was der Mensch sät das wird er ernten“… Und so säten einzelne Machthungrige den Krieg nach außen und es folgte ein Krieg nach innen, der vor allem die unschuldigen Menschen traf und die zerstörte, die die Mächtigen doch zu schützen geschworen hatten; mit einem falschen Schwur, mit einer Leidenschaft nur für das eigene Wohl, verblendet von der Wurzel allen Übels: von der Gier nach Macht… Fragen zum Text Was hätte die Katastrophe deiner Ansicht nach verhindern können? Wer und/oder was trägt für dich die Hauptverantwortung für das schreckliche Ende? Wie hättest du anstelle Toscas gehandelt? Was glaubst du, warum Scarpia so grausam ist? Welche Möglichkeiten siehst du, um gegen ein solches Regime vorzugehen? Wie würdest du diese Geschichte in die heutige Zeit übertragen? Könntest du dir vorstellen, dass ein solcher Unterdrückungsstaat auch heute noch in der westlichen Welt möglich wäre? Kennst du Situationen in deinem Leben, in denen du dich ausgeliefert gefühlt hast oder du keinen Ausweg wusstest? Hast du schon einmal erlebt, dass der Druck von anderen Menschen übergroß war und du dich diesem mehr oder weniger unterworfen hast? Ab wann beginnt für dich Unterdrückung? Worin siehst du die Hauptursachen für Kriege? Was kein jeder Einzelne deiner Meinung nach tun, um gegen Diskriminierung, Gewalt und Krieg vorzugehen? Was können Künstler tun, um für mehr Frieden einzutreten? Was hält Menschen davon ab die Augen auf zu machen und etwas zu ändern? 4. Das Opernorchester bei Giacomo Puccini © Andreas Raidl Das Opernorchester bei Giacomo Puccini steht in der Tradition der italienschen Oper. Ausgehend von Wolfgang Amadeus Mozart über Gioacchino Rossini kann man das Orchester von Puccini als Weiterentwicklung von Giuseppe Verdi sehen. Einen Kontrast zu Puccini bilden sicherlich Zeitgenossen wie Richard Wagner oder Richard Strauss, die ihr Schaffen aus der Tradition der romantischen Oper entwickelten. Diese Unterschiede werden auch in der Instrumentierung eines Stückes und in der Besetzung des Orchesters sehr deutlich. Bei der Oper Tosca, die eher in der mittleren Schaffenszeit von Giacomo Puccini entstand, hat das Orchester für diese Epoche eine durchaus normale Größe. Neben den üblichen in einem Sinfonieorchester vorkommenden Streichinstrumenten besetzt Puccini zwei- bis dreifaches Holz, wobei auch Pikkoloflöte, Englischhorn, Kontrafagott und Bassklarinette vorkommen. Bei den Blechbläsern sind vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen sowie eine so genannte Trombone Basso besetzt. Diese Bassposaunenstimme wird wahrscheinlich in den meisten Fällen von einem Cimbasso gespielt. Ein Cimbasso ist ein tiefes Blechblasinstrument, das einer Tuba bzw. einer Kontrabassposaune sehr ähnlich ist und fast ausschließlich im italienischen Repertoire, vor allem bei Giuseppe Verdi Verwendung findet. Komponisten, die in der deutschen Tradition verwurzelt sind, verwenden anstelle eines Cimbassos normalerweise eine Kontrabassposaune oder eine Tuba. Die klangliche Eigenheit des Cimbassos verleiht dem Posaunensatz einen ganz besonderen, für die italienische Oper sehr charakteristischen Klang. Von so genannten italienischen Komponisten wurden auch eher Ventilposaunen verwendet, wobei von Wagner, Strauss oder Weber Zugposaunen eingesetzt wurden. Das Schlagwerk ist hier relativ groß besetzt. Neben Pauken schreibt Puccini zahlreiche andere Schlaginstrumente vor. Interessant hervorzuheben ist vielleicht das Tamtam, das eine aus Bronze gefertigte tellerförmige Scheibe ist, und aus Ostasien stammt. Normalerweise wird es durch einen mit Filz überzogenen Holzschlägel angeschlagen. Viele Komponisten setzten es sowohl im piano als auch im forte ein. Im piano dient sein düsterer Klang zur Unterstützung von traurigen Stellen oder von Stellen mit unheimlichem Charakter. Ein im forte angeschlagenes Tamtam markiert meistens besondere Höhepunkte einer Komposition. Das Glockenspiel, ein weiteres interessantes Schlaginstrument, übernimmt im Tedeum am Ende des 1. Aktes eine markante Aufgabe. Erwähnenswert ist vielleicht auch der Einsatz von Celesta und Harfe. In vielen Opern kommt neben dem Orchester im Orchestergraben auch ein Bühnenorchester vor. Das Bühnenorchester wird oft als Kontrast zum Opernorchester oder zur Unterstützung der Handlung eingesetzt. Verschiedene zur Handlung gehörende Effekte (z. B. Signale) werden auch häufig von Bühnenmusikern übernommen. Tendenziell wird das Bühnenorchester in der italienischen Oper häufiger bzw. in größerem Umfang eingesetzt als in der deutschen, romantischen Oper. Puccini setzt hier neben Blech- und Holzbläsern, verschiedenen Schlaginstrumenten eine Harfe, eine Viola und eine Orgel ein. 5. Leitmotive in der Oper Tosca © Aisha Bukayeva Jede Musik, die wir hören, ganz besonders die klassische Musik, ist aus vielen kleinen Bausteinen zusammengesetzt. Diese werden als Motive bezeichnet. Ein Motiv in musikalischem Sinn kann beispielsweise eine kurze, einprägsame Melodie sein. Wenn ein Motiv ganz bestimmte außermusikalische Dinge charakterisieren soll, und wenn es in einem Stück immer wieder vorkommt, so wird es als Leitmotiv bezeichnet. Ist beispielsweise ein Leitmotiv einer Person zugeordnet, so wird es jedes Mal, wenn diese Figur die Bühne betritt, vom Orchester gespielt. Leitmotive spielen auch in der Filmmusik eine wichtige Rolle (z.B. bei Herr der Ringe, Krieg der Sterne, Harry Potter). In der Oper Tosca kommen zahlreiche Leitmotive vor, die sich durch das ganze Werk ziehen. Der Baron Scarpia wird gleich am Anfang der Oper, noch bevor sich der Vorhang hebt, durch drei wuchtige Orchesterschläge charakterisiert – sie sind das Scarpia-Motiv und stellen seine Macht und Überlegenheit dar. Die weibliche Hauptperson Tosca wird durch ein anderes Leitmotiv charakterisiert: es ist eine weiche, lyrische Melodie in hoher Lage, die Toscas Weiblichkeit, aber auch ihre Kapriziosität darstellt. Das Caravadossi-Motiv schließlich besteht aus mehreren Teilen, die den Zwiespalt in seinem Wesen verkörpern: eine ruhige abwärtsführende Melodie steht für seine Empfindsamkeit, die folgenden großen Intervallsprünge charakterisieren das Kämpferische, Impulsive seiner Künstlernatur. Auch der Ex-Konsul Cesare Angelotti sowie der Mesner werden durch Leitmotive musikalisch dargestellt. Die Leitmotive werden stets vom Orchester gespielt, doch der Konflikt zwischen Scarpia und Caravadossi/Tosca wird durch ein grundlegendes sängerisches Mittel dargestellt: so ist der „böse“ Scarpia ein Bariton, während die „gute Seite“ durch hohe Stimmen repräsentiert wird: Caravadossi ist ein Tenor, Tosca ein Sporan. Diese Aufteilung in tiefere Stimmen für das Negative, hohe Stimmen für das Positive finden wir in zahlreichen Opern. Außer den personalen Leitmotiven setzt Puccini auch szenische Leitmotive ein. Bereits ganz am Anfang, direkt nach dem Scarpia-Motiv, erklingt das „Motiv des Schreckens“, welches von Blechbläsern (Trompeten und Posaunen) im fortissimo gespielt wird. Dieses Motiv schildert später das Erschrecken der Figuren. Im zweiten Akt spielt das Motiv des Leidens eine tragende Rolle; es setzt sich aus ausgehaltenen Basstönen und einer nach unten sinkenden Melodie, die einem Seufzen ähnelt. Dadurch bekommt die Musik einen lastenden, quälenden und statischen Charakter. Außerdem kommen noch ein Eifersuchtsmotiv, ein Betrugsmotiv, ein Motiv der Beunruhigung und zahlreiche andere Leitmotive vor.