Theatertipp: Sprachmunition, abgefeiert Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl" im Nestroyhof (DER STANDARD, 22.11.) "Ein Stück Gesellschaftspolitik: 1995 wurden vier österreichische Roma in Oberwart ermordet. Einschlägige Medien und Politiker reagierten artgerecht - ihre Wortmeldungen zerlegte Elfriede Jelinek in Stecken, Stab und Stangl zu einem zynisch-wortgewaltigen Stück über emotionale Abschottung und braunen Bodensatz. Und so schunkelt des Fleischers (großartig: Tania Golden) Club der Bodenständigkeit lamentierend durch die "Toten-Feier". Körperlich erfahrbar hat diese Unannehmbarkeit Alenka Malys Bühnenkonzept gemacht: Die reaktionären Begräbnisansprachen spielen sich minutenlang hinter dem Rücken der Zuschauer ab. Das Ausufern zur grotesken Tanzveranstaltung (Kostüme: H.A.P.P.Y) wäre nicht nötig gewesen, aber das 17-köpfige, multinationale Darstellerensemble schafft es, das Publikum wirkungsvoll zwischen Selbstreflexion und Selbstironie hängen zu lassen. Hingehen!" Viele Frauen über Oberwart (Kurier 18.11.) "Da passen Stück und Spielort zusammen: Im ehemaligen (weil arisierten) jüdischen Theater im Nestroyhof wird "Stecken, Stab und Stangl" gespielt - Elfriede Jelineks Auseinandersetzung mit dem Bombenanschalg von Oberwart, bei dem 1995 vier >Roma getöte wurden. gespielt wird (fast nur) von Frauen, die meisten von ihnen Migrantinnen. Daraus ergeben sich starke Szenen - etwa wenn zwei Frauen ein türkisches Klagelied singen, oder wenn Jelineks Texte über die österreichische MordsMentalität in gebrochenem Deutsch vorgetragen werden. Unter den professionellen Schauspielerinnen glänzt Tania Golden als Metzger. (...) Insgesamt entsteht ein sehr intensiver, anregender Abend." Die Geister der Toten-Häuser "Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl", eine interessante Begegnung im Nestroyhof. (Die Presse, 19.11.2005) Für die linken Intellektuellen war die Bajuwarische Befreiungsarmee (BB), die vor zehn Jahren Österreich in sehr realen Schrecken versetzte, eine dunkle Stunde. Statt der viel beschriebenen Neo-Nazi-Verschwörung gab es nur einen wahnsinnigen Einzeltäter: Franz Fuchs. Elfriede Jelinek schrieb damals über die Morde von Oberwart - vier Roma wurden bei einem Sprengstoffanschlag der BB getötet - "Stecken, Stab und Stangl" (Uraufführung: 1996 Hamburg). Tina Leisch hat für ihre Inszenierung im Nestroy-Hof, wo vor dem Krieg ein jüdisches Theater war, ein Ensemble aus Roma, türkischen und deutschsprachigen Darstellern, Laien und Profis, versammelt. Das schafft authentische Atmosphäre, die über weite Strecken vergessen macht, dass manche Spieler mit Jelineks verzwickten Sprachspielen schwer zurechtkommen. Bei der Uraufführung des Stücks war zu lesen: Das Werk dresche gar zu viele Klischees und Kalauer. Aus der Distanz der Jahre und ohne die politisch aufgeheizte Stimmung von damals wirkt der Text vor allem tragikomisch wahr: die Dörfler, der Fleischhauer (Tania Golden), die Mischung aus Anteilnahme und grausigen Vorurteilen, die Fremden und die Einheimischen, die Geister der Toten und das Blaffen der Medien: In den Text sind nicht nur Celan- und Heidegger-Worte eingewoben, sondern auch Staberl-Sätze und Haider-Zitate. Es ist eine Mahnwache und eine Ermahnung, die gelingt, dank der Schauspieler, vor allem aber dank Jelineks Sprache, in die man sich eingehört hat. Eine nicht durchwegs dichte, aber insgesamt spannende Aufführung. Davor erhoben andere Geister ihre Stimmen in einem Dramolett "Der Dybbuk (Dämon) im Nestroy-Hof" über die frühere Besitzerin des arisierten Hauses, die im KZ ermordet wurde. Ein nachdenklich stimmender Abend. bp" ____________________________________________________ Elfriede Jelineks STECKEN, STAB UND STANGL gespielt im ehemaligen jüdischen Theater im Nestroyhof und im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) 25., 26., 27., Nov. 2005 und 7., 8., 9.,10., Dez.2005 (Beginn: jeweils 20 Uhr) ehem. jüdisches THEATER IM NESTROYHOF A-1020 Wien; Nestroyplatz1 (U1 Nestroyplatz) Eintritt: € 15,-- / € 12,-Reservierung: 0699/101 94 579 ____________________________________________________ Weitere Vorstellungen: 2., 3., 4. Dez. 2005 (Beginn: jeweils 20 Uhr) EKH/Ernst-Kirchweger-Haus A-1100 Wien; Wielandgasse 2-4 (U1 Keplerplatz) Eintritt: € 7,-- (plus Spende!) Reservierung: Tel. 0699/101 94 579 oder unter: www.steckenstabundstangl.info An beiden Auftrittsorten: Eintritt für AsylwerberInnen und AugustinverkäuferInnen frei Erinnert sich noch jemand an das finstere Jahr 1995? Das rassistische Volksbegehren der FPÖ war gerade zwei Jahre vorbei, zwei Briefbombenserien an Menschen, die in der einen oder andren Weise eine kosmopolitische, anitrassistische, minderheitenfreundliche Haltung bewiesen, hatten etliche Verletzte gefordert, als am 4. Februar 1995 in Oberwart eine Sprengfalle vier Männer tötete. Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon waren Burgenländische Roma, Nachfahren der wenigen Romafamilien, die Lackenbach und Maxglahn, Buchenwald und Ravensbrück, Auschwitz und Mauthausen überlebt hatten. Die ersten Reaktionen von Behörden und Politikern auf den Mordanschlag waren empörende Zeichen eines tiefsitzenden Antiziganismus. Als erstes durchsuchte man die Häuser der Angehörigen der Toten. Und Jörg Haider meinte gar: „Wer sagt, dass es nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einen Autoschieberdeal oder um Drogen gegangen ist?“ Dieser unsägliche Haidersager steht als Motto über Elfriede Jelineks Text „Stecken, Stab und Stangl“, der vor allem die Niedertracht der medialen Kommentare zu dem Anschlag in Oberwart zu einem Stimmengewirr des Vergessenwollens, Verdrängens und Beschwichtigens komponiert. Es ist für uns eine große Herausforderung diesen Text nun im ehemaligen jüdischen Theater im Nestroyhof und im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) aufzuführen. Mit einem Ensemble aus fast ausschließlich Frauen, die meisten von Ihnen Migrantinnen. Neben Tania Golden, Sevgi Efe und Kristina Zoufaly fechten Laiendarstellerinnen mit den Jelinekschen Sprachwaffen gegen das ewiggestrige Stammtischgerede. Nagen herum an den Heideggerbrocken im Text, bis das Skelett der Totschlagphilosophie blank liegt. Kehren den Schrecken unter den Sprachteppich der Gemeinheit. Erkunden die Triebstruktur hinter dem Braunschleier. Bemänteln die Wehrsportlichkeit mit exotischem Hüftschwung. Spielorte sind einerseits der von dem jüdischen Architekten Oskar Marmorek gestalteten Theatersaal im Nestroyhof, der vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten und der Arisierung von einer Vielzahl jüdischer Theater- und Kabarettgruppen bespielt worden war. Welchen Klang wird das leitmotivisch wiederholte „Einmal muß Schluß sein!“ in diesem Raum annehmen? Andererseits das EKH / Ernst-Kirchweger-Haus: seit fünfzehn Jahren ein Ort interkulturellen Zusammenlebens. Nachdem das Haus nun von einer Baufirma gekauft wurde und von einem Trägerverein betrieben werden soll, stehen etliche Veränderungen zur Debatte. So will die Produktion eine “Propaganda der Tat” für mehr interkulturelle Kunst- und Theaterproduktionen sein und eine Einladung, einen quasi “verfemten” Ort. Es spielen: Tania GOLDEN, Sevgi EFE Kristina ZOUFALY, Cigdem GÜLCEHRE Güllü AY, Magdalena FORTON Bobana STOJKOV, Hatice DILLICE, Saray SAHAN, Lisbeth KOVACIC, Lisa KORTSCHAK, Alexander PEER, Regie: Tina LEISCH Musikkonzept: Gini MÜLLER Videoprojektionen: Alenka MALY Kostüme: M.f.U. von H.A.P.P.Y Dramaturgische Beratung: Ülkü AKBABA Fotos und Plakatsujet: Ines DOUJAK Regieassistenz: Nora GUMPENBERGER und Cigdem GÜLCEHRE Diaprojektionen: Lisbeth KOVACIC Website: Gonca KARAPINAR Graphik: Eva DRANAZ/3007