WissEthik_quer - Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie

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Wissenschaftsethik -Erzeugung von und Umgang mit Wissen
(R. Born/Linz a. D.)
Sich lernend verändern ... !
(Motto der ”Begnadeten Körper“, Wien 1996)
1. Problemlage - Gedanken zur Übersicht
Soferne Wissenschaftsethik überhaupt als eigenständiges Stichwort in div. einschlägigen
Nachschlagewerken vorkommt,1 wird dabei das Thema Verantwortung als deren zentrale
Problematik hervorgehoben. Im allgemeinen bezieht sich der Ausdruck Verantwortung* 2 hier sowohl
auf das individuelle Verhalten einzelner Wissenschaftler als auch auf "die" Wissenschaft* als
ganzes: sei es Wissenschaft als Institution oder Wissenschaft als Corpus von objektiven, kontrolliert
1
Schon etablierte sogenannte Bindestrich-Ethiken sind Wirtschaftsethik, Bioethik oder medizinische Ethik, denen man
jeweils aus ihrem Realbereich heraus eigenständige Probleme zugesteht. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man nicht
doch eine bereichsübergreifende (klassische, philosophische) Wissenschafts-Ethik finden kann. Vgl. Speck, J. (ed.)
Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe, Göttingen 1980 (UTB 968).
2 Ich verwende das Zeichen "*" zur Kennzeichnung eines jeweils undifferenzierten Gebrauches eines Ausdruckes, um zu
signalisieren, daß die Bedeutung eines solchen Ausdruckes je nach Hintergrundwissen mit dem Schwerpunkt auf
unterschiedlichen Bedeutungskomponenten liegt. Weiters verwende ich eingeschobene Klammerausdrücke und
Gedankenstriche, um bewußt den Gedankenfluß zu stören und zu unterbrechen.
Für mich ist dies eine praktische Anwendung von Wissenschaftsethik: daß man als Wissenschaftler nicht ständig nur das
sagt, was sich leicht sagen, leicht nachvollziehen und daher leicht verkaufen läßt, sondern auf die Stellen aufmerksam
macht, an denen Mehrdeutigkeiten eine Rolle spielen, an denen es Weggabelungen im Denken gibt.
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- 2 reproduzierbaren Erkennntissen, die allgemein zugänglich gemacht werden könen und entsprechend
anwendbar sind.
De facto aber geht es in Diskussionen um Wissenschaftsethik nicht nur um Verantwortung, sondern
um interne und externe Normen für das Betreiben und Verwerten von "Wissenschaft", um die
Differenzierung von Veranwortungsbereichen, um die Operationalisierung von verantwortlichem
Handeln, um die Möglichkeit, die Bedeutung von (Handlungs-)Konsequenzen klären und überhaupt
kommunizieren zu können: Letztlich also geht es um die Entwicklung eines Wissenschafts-Ethos.
Ein all diesen Aspekten zugrunde liegendes Problem ist die Frage nach dem Dialog zwischen
Wissenschaft und Alltag, der, wie sich einigermaßen exakt durch wissenschaftslogische und semantische Analysen untermauern läßt, für den [verantwortlichen] Umgang mit Wissen verantwortlich (!)
ist.
Wenn also im folgenden die Betonung auf Normen für den Umgang mit Wissen* gelegt wird, so
sollen damit auch die nicht(fach-) wissenschaftlichen Benutzer von wissenschaftlichen
Erkenntnissen und somit auch deren Verantwortung im [Interessens-] Wechselspiel zwischen
Wissenschaft und Alltag einbezogen werden. So gibt es zwar von allen Seiten Bemühungen, Ethik
im Wissenschaftsbetrieb zu verankern (Ethikkommissionen, sogar eine WEB-Seite der
amerikanischen Akademie der Wissenschaft gibt es im Internet), es fehlen aber Ideen, wie das
Thema Verantwortung im Umgang mit Wissen bzw. wissenschaftlichen Erkenntnissen tatsächlich
operationalisiert werden kann. In der Praxis treten zum Beispiel häufig Probleme auf hinsichtlich der
Kommunizierbarkeit, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen und
Experten-Urteilen, auf die man sich in anderen, öffentlichen, Kontexten beruft und verläßt; letzlich
auch, um politsche oder sonstige Entscheidungs-Verantwortung (cf. die Wissenschaft, die Experten)
abzuwälzen.
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- 3 Ein Hauptproblem in allen ethischen Diskussionen ist die Objektivität bzw. Objektivierbarkeit und
Nachvollziehbarkeit von ethisch motivierten (Handlungs-)Entscheidungen.3
In der Diskussion taucht hier immer wieder das Argument auf, daß Wissenschaftsethik bestenfalls
als Spezialfall der vorhandenen Ansätze in der klassischen Ethik (Utilitarismus, Teleologie,
Deontologie etc.) angesehen werden könne, daß man die dortigen Ergebnisse einfach zur Kenntnis
nehmen und anwenden solle und daß es keine genuine Disziplin "Wissenschaftsethik" geben
könne.4 Das ist insoferne von Bedeutung, als der Objektivitätsanspruch der begründenden
ethischen Argumentationen -- soferne man der Wissenschaftsethik doch einen speziellen
Gegenstandsbereich mit eigenen qualitativen Eigenschaften zubilligt -- bezogen auf das
Hintergrundwissen und das epistemische Auflösungsvermögen der Argumentationslogik eines
solchen Bereiches, seine Objektivität aus einem Bereich bezieht, der offenbar nicht mit den
(Argumentations-) Mitteln der Alltagssprache eingelöst werden kann.
Damit meine ich, daß man im herkömmlichen, klassischen Sinne der ethischen Begründungen von
Handlungen [bezogen auf das Alltagsverhalten von Individuen - wobei primär individualistische
Begründungen für das Verhalten individueller Wissenschaftler in Einzelsituationen eine Rolle
spielen] aus qualitativen Gründen eigentlich nicht alles begründen kann. Man sollte auch nicht
vernachlässigen, daß die eigentliche Begründung für die Handlungen [bzw Entscheidungen zur
Durchführung einer Handlung] nicht im Bereich des Alltagsdenkens liegt, sondern auf
Hilfskonstruktionen im "Modellraum des Denkens" aufbaut. Dabei ist entscheidend, daß bestimmte
Alltagsbehauptungen/-Entscheidungen (zur Durchführung einer ethisch legitimierten Handlung) in
3
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wesentlich, darauf hinzuweisen, daß man im sogenannten Verwertungsoder Anwendungskontext von Wissen vor allem auf das Zustandekommen von wissenschaftlichen Ergebnissen eingehen
sollte -- soferne das für ein Verständnis der Bedeutung dieser Ergebnisse relevant ist und auf die Anwendung Einfluß hat.
4 cf. Hubig Christoph Hubig: Technik und Wissenschaftsethik (Ein Leifaden), Berlin 19952.
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- 4 ihrem GültigkeitsANSPRUCH von der jeweiligen Wahl der Hilfskonstruktion unabhängig sind,
gleichzeitig aber doch nicht ohne sie zustandekommen können.
Damit sind wir ansatzweise aber schon tiefer in die Problematik eingedrungen als es scheinen mag.
Zusammenfassend möchte ich sagen:
Kern meiner Überlegungen ist der Objektivitätsanspruch ethischer Argu–mentationen
(Rechtfertigungsargumentationen) sowie das Problem der Operationalisierbarkeit von
Verantwortung im Kontext des Wechselspieles zwischen Wissenschaft und Alltag.
Die Schwierigkeiten in der Kommunikation des veranwortungsvollen Dialoges zwischen
Wissenschaft und Alltag, beruhen trivialerweise vor allem darauf, daß man eine gemeinsame
Sprache finden muß. Diese Prosa (der Wissenschaften nach Wittgenstein) existiert natürlich, nur ist
sie nicht etwas fix Vorgegebenes, sondern befindet sich ständig in Fluß. Wir müssen jedoch trotz
dieser Schwierigkeiten zumindestens für historisch halbwegs konstante Zeiträume und nach bestem
Wissen und Gewissen zu einer mehr oder weniger objektiven Verständigung kommen und, bei aller
Notwendigkeit, handlungsfähig zu bleiben, Flexibilität und adäquate Korekturmöglichkeiten in
Entscheidungsprozesse einbauen.
Ich möchte aber noch auf ein weiteres Problem (der Operationalisierung?) aufmerksam machen, das
meiner Ansicht nach bisher in der allgemeinen Diskussion kaum ausreichend angesprochen wurde,
es sei denn in der verklausulierten Form der Verantwortung von Institutionen: Wissenschaftsethik ist
keinesfalls nur ein Problem der Wissenschaft (oder der Wissenschaftler) alleine!
Man kann die Verantwortung für den Umgang mit Wissen nicht nur auf die Wissenschaftler
abschieben. Denn Wissenschaftsethik betrifft nicht nur den Umgang mit Wissen im sogenannten
Alltags- oder Verwertungskontext, sondern auch das, was man unter Wissenschaft -- regulativ
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- 5 gesprochen -- versteht. Es sind auch die Erwartungen in der Öffentlichkeit betroffen, es ist dadurch
der Lebensweg von Menschen bestimmt, die sich für ein Studium entscheiden, es sind die
zielorientierten Erwartungen an die Forschung dadurch bestimmt, die Umsetzung von
Forschungsergebnissen, die Bildungspolitik, die Korrekturmöglichkeiten bei Anwendungsfehlern
wissenschaftlicher Ergebnisse und vor allem auch die Regeln, die wissenschaftsintern aufgestellt
werden, um Verantwortung im Wissenschaftsbetrieb dingfest zu machen.
Wissenschafts-Ethik ist somit auch eine Angelegenheit der Öffentlichkeit, da von dort her immer
wieder Einfluß (im positiven wie negativen Sinne) auf die Forschung genommen wird. Die Schuld an
diesen Verhältnissen liegt (soferne man bei evolutionären Prozessen überhaupt von Schuld
sprechen will) auf beiden Seiten, denn auch die Verteilung von finanziellen Mitteln, die
entsprechenden Anreize oder persönlichen Interessen und Ideologien der Forscher spielen hier eine
Rolle.
Der Druck der Öffentlichkeit auf die Wissenschaftler und die Weiter-Entwicklung von Wissenschaft
hat dazu geführt, daß man sich vor allem auf die Methodik [in den Formal- und Naturwissenschaften
und allen davon beeinflußten Bereichen] konzentriert hat, also auf den Rechtfertigungskontext
beim Betreiben von Wissenschaft. Das bedeutet, daß man glaubt, man könne wissenschaftliche
Ergebnisse dadurch objektivieren, daß man sie durch Anwendung bestimmter Regeln kontrolliert
reproduzierbar und nachvollziehbar macht [wobei es nicht darauf ankommt welche Werthaltung
man dabei einnimmt]. Da aber diese Methodik in natürlicher Weise auch im Kontext der Vermittlung
und im Kontext des Aufbaues der Bedeutung von Wissen (und daher auch von sogenannten
wissenschaftlichen Forschungsergebnissen) verwendet wird, wird aus einer Methodik zur
Überprüfung der Gültigkeit von Ergebnissen eine Methodik zur Erzeugung von Ergebnissen. Die so
methodisch einwandfrei erzeugten Ergebnisse scheinen von vorneherein verläßlich zu sein, lassen
sich auch leichter vermitteln und setzen sich daher leichter durch (wenn z. B Daten so dargestellt
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- 6 werden, daß sich eine bestimmte Interpretation von selbst aufdrängt). -- Wissenschaftlichen Erfolg
hat man offenbar nur, wenn Ergebnisse auf eine ganz bestimmte Weise gerechtfertigt werden und
somit innerwissenschaftlich anerkannt werden. -- Das führt letztlich zu einer Art Algorithmisierung
oder Kalkülisierung (Formalisierung in einem sehr weiten Sinn) von Wissenschaft, die eine
Entfremdung und Entkoppelung vom Betreiben von Wissenschaft und der damit verbundenen
Verantwortung erleichtert.5
Als ethische Regel bietet sich an, daß man es einerseits als Wert akzeptiert, daß überhaupt
Verantwortung für Fehler übernommen wird,6 andererseits aber muß man klarstellen, wie diese
Forderung (Akzeptanz des Wertes Verantwortung) operationalisiert werden kann, bzw welche
Handlungskonsequenzen sich aus ihr ergeben.
Als wichtigster Punkt erscheint mir hier die Informationspflicht, die Pflicht des einzelnen, sich selbst
mit wesentlichen Bereichen vertraut zu machen, sich sachkundig zu machen.7 Jeder, der mit
Wissenschaft [genauer mit deren Ergebnissen oder sogenannten allgemeinverwertbaren
Erkenntnissen] umzugehen hat, ist verpflichtet, [soferne er an einer positiven Zukunft als Wertung
i.S. eines Überlebens der Menschheit interessiert ist] sich den tatsächlichen Behauptungs- oder
Informationsgehalt (wissenschaftlicher Ergebnisse) klar zu machen.
Damit komme ich zum Thema des Beitrages der analytischen Philosphie zur Wissenschaftsethik. Im
Gefolge der Rezeption Wittgensteins ist sie vor allem am Prozeß des Zustandekommens von
5)
Ich glaube damit wird der eigentliche Prozeß des Betreibens von Wissenschaft besser getroffen, als wenn man von
außen, aus der letzen Reihe im Theater (wobei man noch das Opernglas vorzugsweise verkehrt hält, wie Paul
Feyerabend einmal treffend bemerkt hat) von einer "Instrumentalisierung" spricht.
6 allerdings nicht in leichtfertiger Weise und auch nicht so, wie es im Bereich der amerikanischen Medizin ist, daß man
sofort verklagt werden kann (genausowenig wie es bei uns der Fall ist, wo man zu wenig zur Verantwortung gezogen
wird).
7 Wiederum kommt es hier auf die Art der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Alltag an, bzw auf die
Identifiaktion einer geeigneten Prosa (Wissenschaftssemantik).
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- 7 Verstehen festzumachen und stellt damit Bedeutungsanalyse in das Zentrum der Reflexion. Ihre
Rolle könnte es sein, ohne Arroganz zwischen den Lagern Wissenschaft und Alltag zu vermitteln, 8
um die Bedeutung dessen herauszuarbeiten, was ein Fachwissenschaftler mit seinen Äußerungen in
bezug auf seine Erfahrung und sein lebensweltlich aufgebautes Hintergrundswissen zu leisten
imstande sein sollte.
Wissenschaftsethik setzt ein reflexives Verständnis des Funktionierens von Wissenschaft (zur
Erzeugung von Wissen) voraus bzw versucht, dieses bewußt zu machen. Dies hängt mit der
Notwendigkeit zusammen, überhaupt korrektiv in den Anwendungskontext wissenschaftlicher
Ergebnisse einzugreifen zu müssen -- ganz im Gegensatz zur Alltagsvorstellung (auch von
Fachleuten), daß Wissenschaft nur unumstößliches, absolutes Wissen produziert. 9
Hierzu folgende Beobachtung: Wenn wir z.B. Computersimulationen (i.e. Modellkonstruktionen) von
Ereignisabläufen in der Welt benutzen, dann unterstellen wir im Abbildungsprozeß der untersuchten
Ausschnitte von Welt auf diese Modelle, daß die von uns benutzten Begriffsbildungen hinsichtlich
ihrer Begriffsumfänge eindeutig bestimmt sind (scharfe Begriffe). Die Objekte, die unter einen Begriff
fallen, lassen sich eindeutig klassifizieren und als der Extension zugehörig feststellen. -- Im Anwendungsbereich von Wissenschaft ist es allerdings nicht immer klar, ob ein realer Gegenstand
tatsächlich unter einen Begriff fällt, zumal er oft nur unter Absehung anderer Eigenschaften -- also
betrachtet unter einem bestimmten Aspekt -- unter eben diesen Begriff fällt. Daraus ergibt sich
konkret, daß man bei der Übertragung der in der Simulation gewonnen Erkennntisse entsprechend
vorsichtig sein muß und sie nicht mit einem naiven Alltagsverständnis, d. h. die Computerergebnisse
8
Von vorn herein ist klar, daß ein Mensch sehr wohl und oft in beiden Lagern steht, d. h. ein Wissenschaftler kann in
einem anderen Bereich, im Krankenhaus, ganz plötzlich zum Laien werden, mit dem man in einer Art Prosa
kommunizieren muß.
9 Wobei ”absolut“ wohl so aufzufassen ist, daß ein konstante Interpretation im Rahmen der Alltagssemantik vorgegeben
wird. ( CF Putnam vs Williams in H. Putnam: Renewing Philosophy,
Cambridge, Mass. 1992, insbes.: pp 80.
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- 8 als unmittelbare Beschreibungen verstehend, interpretieren darf. Beim Anwenden müssen wir also -das betrifft gerade die Experten -- wissenschaftliche Ergebnisse aufgrund unserer Erfahrung mit der
Realität in Einklang bringen. Diese Überlegungen schließen natürlich nicht aus, daß wir uns in sehr
vielen Fällen um solche Unterscheidungen nicht unmittelbar zu kümmern brauchen und daher in
völlig unbekümmerter Weise, sozusagen alltagsrealistisch, mit den wissenschaftlich gewonnen
Ergebnissen erfolgreich umgehen können. Problematisch sind immer nur die Grenzfälle!. 10
Der zweite wesentliche Punkt, der einen Unterschied zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen
(aus Simulationen) und deren Alltagsgebrauch ausmacht, ist, daß wir im Alltag (soferne es sich nicht
um Trivialfälle handelt) sehr oft Entscheidungen aufgrund von unvollständigen Informationen fällen
müssen. Bei wissenschaftlichen Simulationen jedoch argumentieren wir hypothetisch und müssen
unter festgehaltenen Voraussetzungen zu Abschätzuungen gelangen. Die entprechenden
Ergebnisse gelten dann natürlich in der Realität nur beschränkt, d. h. unter gleich präparierten
Voraussetzungen, mit den nötigen Einschränkungen und unter Berücksichtigung dessen, daß man
möglicherweise gar nicht alle relvanten Informationen kennt, die für eine adäquate Anwendung
notwendig sind. Auch hier gilt, daß man sich einen Sicherheitsspielraum oder Korrekturspielraum
offen halten muß, um flexibel auf Veränderungen in der realen Umwelt reagieren zu können.
Wenn man sich das alles vor Augen hält, so gilt folgendes bezüglich des qualitativ Neuen, das
durch eine reflektorische Analyse des Zustandekommens und der Anwendungsbedingungen von
wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Themenkreis der klassischen Ethik hinzukommt:
Es geht darum, daß der Ausdruck ”Übereinstimmung mit der Realität” mehrschichtig verstanden werden kann.
Wertungen z.B. sollten u. a. auch dazu geeignet sein, sich besser in der Realitätorientieren zu können. -- Es geht somit im
Bereich der Ethik nicht um eine unmittlbare Übereinstimmung zwischen Behauptung/Satz und Wirklichkeit wie etwa im
Falle der klassischen Wahrheitstheorien (nach dem Modell ”adaequatio intellectus ad rem”), sondern um einen
geeigneten Anwendungskontext, so daß ein Realitätsbezug von Wertungen eine zentrale Rolle spielen kann. Cf dazu die
so geseuteten Bemerkungen von J. Galtung in ”Wissenschaftsethik“, cf Speck, loc. cit.(FN 1).
10
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- 9 Durch die Aspekte der Bedeutungsanalyse, der Kommunikation, der Übersetzung wird man dazu
gezwungen, neue Typen von Rechtfertigungsargumentationen zu finden, die von den rein
individualistischen Operationalisierungen von Verantwortung im Rahmen klassischer ethischer
Überlegungen
abweichen.
Diese
Rechtfertigungsargumentationen
beanspruchen,
den
Objektivitätsanspruch ethischer Entscheidungen einlösen zu können. Sie müssen allerdings in
unterschiedlichen Bereichen, aufbauend auf ein unterschiedliches Hintergrundswissen und somit auf
einen unterschiedlichen Erfahrungsraum und einem diesen jeweils innewohnenden entsprechenden
epistemischem Auflösungsvermögen, stattfinden.11
Das bedeutet aber keinesfalls einen Relativismus oder Subjektivismus und somit als Folge einen
Machtkampf zwischen rivalisierenden Meinungen und gesellschaftlichen Gruppen. Es bedeutet
lediglich, daß man nicht die universelle (Erkenntnis-) Karte voraussetzen kann. Man muß vielmehr
von Transformationsinvarianten, also der Möglichkeit einer Übersetzung in andere Bereiche,
ausgehen, die zwar in bestimmter Hinsicht unvollständig sein mag, die aber dennoch eine
Kommunikation gestattet, die durch Vereinigung von vielen Wissensaspekten zu einem toleranten
Umgang im Wissen und zu einer flexiblen Behandlung von Anwendungsfehlern (soferne sie auf
Mißverständnissen oder nicht beachteten wesentlichen Aspekten beruhen) führen kann. Es wird
Objektivität in einem weiteren Sinne ermöglicht. Konstant, also übersetzbar und objektiv, da in unterschiedlichen Systemen und in unterschiedlicher Weise realisierbar, sind nicht die einzelnen
punktuellen Ereignisse oder Erkenntnisse, sondern die Beziehungen letzterer zueinander.
2. Gedanken zum (Zu)Stand der ”Forschung“
11
Rf. R. Born: ”Split Semantics” . In: Artificial Intelligence: The Case Against, London 19892 , pp 191 - 213.
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- 10 Im deutschen Sprachraumist ein einigermaßen hoher Bewußtseinspegel zum Thema Verantwortung
in der Wissenschaft/Verantwortung der Wissenschaftler vorhanden. Evident wird dies z.B. darin, daß
man begonnen hat, Langzeiteffekte in wirtschaftliche Planungen (gelegentlich auch nur verbal)
einzubinden (Ökologiediskussion), oder daß sich eine Teildisziplin wie Wirtschaftsethik (in Grenzen)
etabliert hat.12 Im anglo-amerikaischen Sprachraum ist man dabei stärker an Fallbeispielen
interessiert [FN ] und konzentriert sich somit auf eine Ethik der Forschung, also das Erzeugen von
Wissen und alle sich daraus ergebenden Probleme des Anwendungs- oder Verwertungskontextes.
Ausschlaggebend für die öffentliche Rezeption der Problematik sind sicherlich Institutionen wie die
Pugwash Conferences13, das Hastings Center (für angewandte Ethik)14, das Josephson Institute for
the Advancement of Ethics, die vielen Home-pages im WWW (world wide web oder allgemeiner im
Internet)15.
Im deutschen Sprachraum [ich bin hier aus Platzgründen sehr selektiv] kommt vor allem Hans Lenk
das Verdienst zu sich den Problemen im Raum ”Zwischen Wissenschaft und Ethik“ 16zu stellen,
wobei die bewußt als Reclam (Sammel-) Bändchen publizierten Beiträge die Diskussion fördern
sollten. Die Idee u. a. auch Institutionen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen und somit das
12
Die Frage für eine korrekte Parallele ist:inwieweit baut Wirtschaft direkt oder indirekt auf Forschung auf?
Sience and Ethical Responsibility, ed. Sanford A. Lakoff, Proceedings of the U.S. Student Pugwash Conference,
University of California, San Diego, June 19 - 26, 1979. San Diego 1980.
14)The Roots of Ethics (Science, Religion and Values), ed D. Callahan / H. T. Engelhardt Jr, New York 1976 [Hastings
Center Series in Ethics]
15)Cf
Bibliographie
zu
”On
being
a
Scientist:
Responsible
Conduct
in
Research“
[http://www.nap.edu/readingroom/books/obas/contents/bibliography.html] oder ”Ethics on the World Wide Web“
[http://www5.fullerton.edu/les/ethics_list.html]
oder
”Ethics“
(science
ethics
bibliography)
[http://www.
chem.vt.edu/ethics/vinny/ethxbibl.html].
16)Hans Lenk: Zwischen Wissenschaft und Ethik, Frankfurt/M 1992 -- sowie insbesonere die Reclam Bände:
Wissenschaft und Ethik (Hrsg Hans Lenk), Stuttgart 1991 und Wirtschaft und Ethik (Hrsg: Hans Lenk / Mathias Maring),
Stuttgart 1992. Weiters: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. Hrsg. Gethmann C.F. und Honnefelder L. Berlin-New York
1996
13)
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- 11 Spektrum von Verantwortung in seiner enormen Vielfalt anzusprechen wird von Christoph Hubig17
genauer verfolgt. Spannend und sehr wichtig ist auch, daß ein ”Staatsminister für Unterricht, Kultus,
Wissenschaft und Kunst“ einen Band über ”Ethik der Wissenschaften“ 18 herausgegeben hat.
Ethikkommissionen (Marquard), Siemens ???
Wissenschaftsethik kann man in ihrer Problemlage der Wirtschaftsethik parallelisieren, wobei
letztere den Vorteil hat, daß man stärker von negativen Fehlhandlungen einzelner Personen
ausgehen kann (die, wie gesagt, ein Problembewußtsein in der Öffentlichkeit schaffen) und leichter
"kausale" Zusammenhänge zwischen unerwünschten Ereignissen und den (unverantwortlichen)
Handlungen einzelner herstellen kann, soferne diese nicht ohnehin unmittelbar einsichtig sind.
Als Beispiel könnte John Maynard Keynes dienen, der bekanntlich eine mittel- bis kurzfristige
ökonomische Lösung der Probleme geliefert hat, die sich aus der Weltwirtschaftskrise von 1928
ergeben haben. Keynes ökonomische Lösung war ethisch motiviert und kann daher geradezu als
Muster für das Einbringen ethischer Gesichtspunkte dienen, denn die ökonomische Lösung von
Keynes beruhte auf einer grundsätzlich neuen, reflexiven Analyse des Charakters ökonomischen
Theoretisierens und begründenden Argumentierens.19
Keynes hat mit seiner Lösung vor allem die klassische Konzeption von Ökonomie verändert und
damit die Berufung auf ökonomische Sachzwänge durchbrochen, die argumentativ auf dem
klassischen Bild aufbauten.
Hubig: Technik und Wissenschaftsethik (Ein Leifaden), Berlin 19952.
Zehetmair Hrsg: Wissens-Werte: Ethik und Wissenschaft. EineWahlvewandtschaft im Widerspruch.Starnberg :
Schulz, 1995.
19 Cf dazu Nell loc cit (FN 32)mit dem expliziten Untertitel: "Technology, Markets and Morals (meine Hervorhebung)",
aber vor allem Heilbroner Robert/Milberg William: ”The Crisis of Vision in Modern Economic Thought“, Cambridge 1966 2
und insbesondere ”Economics & Language“ (eds. W.Henderson/T. Dudley-Evans/R.Backhouse), London 1993.
17)Christoph
18)Hans
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- 12 Daran läßt sich zeigen, daß Wissenschafts-Ethik prizipiell auf so etwas wie die Möglichkeit einer
reflexiven Korrektur der Voraussetzungen für die Anwendung (wissenschaftlicher) Erkenntnisse
hinausläuft, genauer auf eine bewertende (was nichts mit Relativierung zu tun haben sollte)
Reflexion des Zustandekommens von Wissen und somit letztlich auf eine Reflexion der Bedeutung
bzw. Signifikanz wissenschaftlicher Ergebnisse (in einem weiteren Kontext). 20
Die Lehre aus Keynes und damit die Forderung an eine moderne, sachgerechte, sachkundige
Wissenschaftethik ist, daß man ethisch motivierte Sachlösungen findet, die in den Prozeß der
Wissensfindung,
der
Wissenerzeugung,
Wissensrechtfertigung
und
vor
allem
der
Wissensumsetzung eingehen. Mit "sachlich fundiert" meine ich, daß man das
"Bedeutungswechselspiel" zwischen einzelwissenschaftlicher und lebens- oder alltagsweltlichem
Bedeutungsverständnis (Beurteilungen/Wertungen) beachtet.
Wissenschaftsethische Forschung generell sucht vor allem nach Begründungen. [quotes]. Ferner
sucht sie herauszufinden, wer aller in welchen Kontexten für Fehler verantwortlich gemacht werden
könnte. Es wird also vor allem (praxisbezogen) der Ort identifiziert, an dem die Problematik von
Verantwortung auftritt bzw. Fehler aufgrund mangelnden Verantwortungsgefühles zustandekommen.
Hat man dieses Problem gelöst, so ist klar, daß man an den entsprechenden Punkten
Verantwortung lehren kann oder Personen in bestimmte Leitungspositionen einsetzen wird, die nicht
gerade psychopathisch veranlagt sind.21
20
man versucht sich klar zu werden ueber die Bedeutung (von Erkennntissen)[AN-14996/1]-- Philosophie als klar werden
von Sätzen, cf wittgenstein-- Traktat als ethisches Buch
21 Natürlich glaubt man gelegentlich durch reine Rationalität auch im Bereich ethischer Wertungen zurande zu kommen
und wirft denjenigen die lyrisch gesprochen auch noch ihr Herz mit zum Zuge kommen lassen wollen
"Unwissenschftlichkeit" oder Irrationalität vor.
[Cf dazu auch Daniel Goleman: ”Emotionale Intelligenz“, Wien 1996 -- und das Starke Interesse an diesem Buch vor
allem in nichtwissenschaftlichen kreisen.]
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- 13 In diese stark praxisorientieren Aspekte spielt allerdings immer stärker ein zweiter Aspekt von
Wissenschaftsethik hinein, nämlich ganz allgemein die Forderung, innerhalb der wissenschaftlichen
Forschung das Thema Ethik im Sinne einer "Forschungs-Ethik" zu verfolgen.22
Veranwortung im Umgang mit Wissen muß daran festgemacht werden, daß man sich erstens des
Modellcharakters von wissenschaftlichen Erkenntnissen bewußt bleibt und zweitens weiß, wie weit
man gehen kann, wenn man aus den Modellen Schlüsse zieht und deren Ergebnisse auf die
sogenannte Realität anwendet.
Utopisch formuliert koennte man verlangen, daß der Umgang mit Wissenschaft einen Menschen
charakterilich so verändern sollte (oder können müßte), daß er gar nicht mehr in der Lage ist etc. -Bsp Beckett -- der seinem Freund, dem König zuwiderhandeln mußte und dafür sterben mußte -das ist die Metapher der Wissenschaft. !!! -Daher braucht man das tolerante Gespräch, braucht man das inhaltliche Denken, braucht man eine
ehrliche Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft, Kunst und Alltag.
3. Fact Value Dichotomy - Putnam versus Williams
Wie schon erwähnt, ist eine der zentralen Fragen in ethischen Diskussionen der Vorwurf der NichtObjektivität von ethischen Behauptungen*. Unabhängig von und in Erweiterung der ursprünglich von
Hier ist zu beachten, daß man auch das, was wissenschaftliche Rationalität ausmacht ein bißchen genauer anschauen
und durchdenken sollte. -- Wissenschaftethik erfordert auch, daß man sich wertend mit Vorurteilen und deren
Zustandekommen auseinandersetzt.
22 CF dazu den Sammelband ”Research Ethics“ (Hrsg. Robin Levin Penslar, Bloomington (Indiana Univ. Press) 1995, der
sich explizit mit dem Thema des Unterrichtens von ”Forschungsethik“ beschäftigt. Dazu auch die Webeiten der
Amerikanische Akademie der Wissenschaften und nicht zuletzt ”Ethics Updates“ von Lawrence M. Hinman -http://www.acusd.edu/ethics/.
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- 14 Max Weber ausgelösten Debatte (über Wertfreiheit) geht es darum, daß Behauptungen, die im
Rahmen ethischer Äußerungen (also allgemeiner normativer oder evaluativer Sätze) aufgestellt
werden, (nicht unmittelbar) wahrheitsfähig sind, also empirisch überprüfbar sind, und daher keine
faktischen Behauptungen sind.23 Gemeint ist, daß normative Sätze (nicht unmittelbar) an Realität
angelegt werden können. Das ist gewissermaßen die analytische Formulierung der Problematik, die
sich aus der Wertfreiheitsdebatte ergeben hat. Im folgenden spreche ich nur von der ”fact-valuedichotomy“, die in den begründenden Argumentationen für ethisch einwandfreies Verhalten eine
entscheidende Rolle spielen.
Dazu ist auf folgendes Mißverständnis aufmerksam zu machen: Man geht häufig davon aus, daß
u.a. im Gefolge des logischen Empirismus (sinnvolle) Theorien grob gesprochen (nichts weiter) sind
als
Mengen
von
wahrheitsfähigen/faktischen
Sätzen,
zwischen
denen
logische
Ableitungsbeziehungen bestehen. De facto aber wurden Theorien zunächst ALS Satzmengen
studiert, um so eindeutig reproduzierbare (charakteristische) Eigenschaften von ”Theorien“
identifizieren zu können.
Heute hat man im allgemeinen einen weiteren Theorienbegriff, der vor allem dem Gedanken der
Ersetzung
der
(syntaktischen)
Ableitungsbeziehungen
durch
den
(semantischen/modelltheoretischen) Folgerungsbegriff im Bereich der wissenschaftlichen
Argumentationen Rechnung trägt. Dadurch fällt es auch leichter, die strenge Trennung zwischen
Fakten und Werten aufzugeben, wobei der Bezug auf die verwendete Sprache im Bereich der
analytisch orientierten Philosophie ausschlaggebend ist. Wenn man z.B. behauptet: ”Caligula war
23
Das ist vor allem die Meinung der Non-Kognitivisten, die behaupten, daß ethische Sätze zumindest nicht in dem Sinn
wahrheitsfähig sind, wie man es den Sätzen der Naturwissenschaft zuspricht, für die man eine Art absolute Gültigkeit in
Anspruch nehmen möchte(das Modell an das sich Bernhard Williams klammert). Kognitivisten hingegen glauben (bzw
werden so charakterisiert), daß auch ethische Behauptungen ”in irgendeiner Form“ wahr oder falsch sein können, somit
einen (faktischen???) Erkenntniswert haben und man sich daher auf sie berufen kann, um ein bestimmtes Verhalten als
ethisch falsch zu kennzeichnen.
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- 15 ein verrückter Tyrann“, so ist das ein Satz, der deskriptiv und wahr ist, zusätzlich aber auch ein
Werturteil sein kann. Das ursprüngliche Problem der sog. Non-Kognitivisten besteht eigentlich gar
nicht mehr, weil keine Notwendigkeit mehr besteht, die syntaktische Wissenschaftskonzeption
aufrechtzuerhalten und zu verlangen, daß normative Sätze unmittelbar wahr sein müssen. Ein viel
dringenderes Problem ist, zu klären, wann und wo es notwendig erscheint, eine ”Objektivität“
ethischer Behauptungen einzufordern.
Dazu folgende Überlegungen: Im Bereich von Wissenschaftsethik oder Wirtschaftsethik stößt man
häufig auf die Problematik der sogenannten Kavaliersdelikte (kleinere Datenfälschungen zur
"leichteren" Interpretation von Ergebnissen, ein paar Beschönigungen von Wirtschaftszahlen, um
daraus politisches Kapital zu schlagen). Die Verteidigung bzw. Quasi-Rechtfertigung dieser
Handlungen benutzt sehr oft das Argument, daß man sich eben nicht erwischen lassen dürfe. D. h.
man sieht keinen ”objektiven“ Mangel in einem solchen Verhalten! Die negative (Be-)Wertung einer
derartigen Handlung wird subjektiv relativiert, sie wird nicht als objektiv akzeptiert. Es gibt kein
(allgemein akzeptiertes) Kriterium, nach dem etwa die langfristigen Schäden bestimmter Handlungen
(auch für diejenigen, die nur kurzfristig einen Vorteil haben und das erst viel zu spät erkennen 24)
unmittelbar als faktisch negativ identifiziert und erkannt werden können.
Letzlich geht es also darum, das ursprüngiche Ziel -- die Rechtfertigung von Objektivitätsansprüchen
normativer (nicht unmittelbar empirisch entscheidbarer) Behauptungen (oder gar Erkenntnisse) -- mit
anderen Mitteln zu erreichen.
Wenn man die ”fact/value dichotomy” (als wissenschaftstheoretische Maxime) aufgibt, dann kann
man sich zwar einerseits nach wie vor (unter der Voraussetzung einer bestimmten
24)
Das Problem ist die >>Argumentierbarkeit<< der negativen Konsequenzen !
Schon Wittgenstein meint in ”Über Gewissheit“, etwas vereinfacht ausgedrückt und umformuliert: ”Am Ende der
Überzeugung steht die Überredung“ !
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- 16 Wissenschaftskonzeption) bzw erst recht oder trotzdem nicht darauf berufen, daß bestimmte
normative/ethische Behauptungen absolut wahr sein können, absolute Gültigkeit beanspruchen
können (nach dem unterstellten Vorbild der Naturwissenschaften), andererseits aber besteht doch
die Möglichkeit, den gewünschten Objektivitätsanspruch anders einzulösen. Hier kann man sich
durchaus an den Argumentationsstrategien orientieren, die in solchen etablierten
Wissenschaftsdisziplinen realisiert sind, die auch keinen unmittelbaren empirischen Gehalt haben.
Dadurch können dann Intentionen realisiert werden, wie sie etwa Bernhard Williams vorschweben,
wenn er meint, im Kontext der Ethik gebe es eben ”truths and truths“. 25 Auf Iris Murdoch geht die von
Bernhard Williams aufgegriffene und ausgearbeitete Idee zurück, zwischen sogenannten ”thick
ethical concepts like ‘chaste‘ , ‘cruel‘, ‘inconsiderate‘ … and thin ones, more abstract ones like good
and right.“26 zu unterscheiden. Dadurch kann man herausarbeiten, was an ethischen
Argumentationen nur lokale Gültigkeit beansprucht und was auf größere Allgemeinheitmit
Zielrichtung Objektivität Anspruch erhebt.
Putnam (1992: 88) faßt Williams so zusammen: es sei "a fallacy of division to suppose that the
whole speech act must be divisable into a descriptive claim (which could, in principle, be expressed
25
Bernard Williams: Ethics and the Limits of Philosophy (Cambridge Mass.: Harvard Univ. Press, 1985)
Der Auseinandersetzung von Hilary Putnam mit Bernhard Williams zum Verhältnis Wissenschaft bzw.
Wissenschaftstheorie und Ethik dient hier als Anknüpfungs- und Kristallisationspunkt für meine Überlegungen.
Entscheidend ist dabei das unterschiedliche Wissenschaftsverständnis, das einerseits Williams zu mißverständlichen
Analogien verleitet und andererseits klar macht, daß eine Wissenschaftsethik oder spezieller eine Ethik der Forschung mit
Problemen zu kämpfen hat, die in der allgemeinen Ethik nicht auftauchen. Es soll hier also auch exemplarisch aufgezeigt
werden, daß und wie wissenschaftstheoretische und damit wissenschaftsphilosophische Überlegungen in die Diskussion
so eingehen können, daß klassische Argumentationen verändert werden können.
Putnam, H.: ”Objectivity and the Science/Ethics Distinction“, in: Realism with a Human Face (Cambridge, Mass.: Harvard
Univ. Press, 1990).
Ferner die kürzere, neuere Fassung derselben Probleme: Kap 5 von Renewing Philosophy, ”Bernard Williams and the
Absolute Conception of the World“, Cambridge, Mass, Harvard Univ Press 1992.
26 Iris Murdoch, The Sovereignity of Good, Oxford 1975.
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- 17 in value-neutral language) and a value judgment (which could, in principle, be expressed using thin
ethical concepts)."
Hierbei spielt aber (bei Williams) auch wieder ein Mißverständnis von Wissenschaft herein: ein
speech act muß nicht notwendig aufgeteilt oder zerlegt werden können, (damit er funktioniert). Die
beiden oben genannten Komponenten, um die es geht, sind genaugenommen
Reproduktionsparameter, die keinesfalls die Kausalmechanismen angeben, nach denen speech acts
funktionieren. Es ist daher nicht notwendig sie als Handlungsanweisungen mißzuverstehen und sie
entsprechend in das Alltagsverständnis hineinzuprojezieren.
Bei den folgenden Zitaten -- ”we cannot do without our thick ethical language“ (Putnam, der Murdoch
so zusammenfaßt und selbst einen ähnlichen Standpunkt in Richtung ”Intentionalität“ vertritt) oder
”we cannot do without our ‘local perspective‘ “(Williams via Putnam). -- ist wesentlich, daß eine wertneutrale Sprache (value-neutral language) offenbar unvollständig ist im Bereich unseres Umganges
mit der Welt und vor allem unseres Umganges mit unserem Wissen über die Welt (aufgrund dessen
wir uns interessengeleitet in der Welt orientieren).
In der Tatsche, daß wir ethische Charakterisierungen nicht nur in nserer Alltagssprache brauchen,
drückt sich eine Eigenschaft der Welt aus,27 aber keine, auf die man den Finger direkt legen könnte,
sondern eine, die unsere Handlungen (indirekt) bestimmt.
Dadurch ist aber dann dennoch so etwas wie ein Objektivitätsanspruch, gegeben, etwa wenn wir
normative Behauptungen machen und diese mit schädlichen Langzeitfolgen zu begründen
versuchen.
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Eine Eigenschaft, die bestimmt ist durch unseren Umgang mit der Welt, vielleicht aber auch nur eine Eigenschaft
unserer selbst (unseres empirischen Erkenntisapparates, nserer kognitiven Fähigkeiten zur Verarbeitung von Information)
ist, der man jedoch wieder unterstellen kann, daß sie sich in Auseinandersetzung mit der Welt evolutionär herausgebildet
hat.
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- 18 In der heutigen Zeit ist meiner Ansicht nach tatsächlich Objektivität das Hauptproblem der Ethik, weil
man sich immer wieder darauf hinausredet, daß es ja keine allgemeingültigen oder zumindest
allgemeinverbindlichen ethischen Normen gebe und man daher alle Mittel erlaubt seien, die zur
Realisierung eines Zieles beitragen. Ob das Ziel immer wünschenswert ist, steht dabei offenbar nicht
zur Debatte, genausowenig, wie die Frage, ob die unter individuellen Gesichtspunkten ausgewählten
Ziele letztlich auch global sinnvoll sind.
Das damit angesprochene wissenschaftstheoretische Problem, besteht darin, daß es fraglich ist, daß
globale Ziele [etwa des Überlebens der Menschheit] auf individuelle Vorteile zurückgeführt werden
können, etwa das größtmögliche Glück für eine größtmögliche Anzahl von Menschen (cf.
Utilitarismus). Wenn eine derartige Reduktion (daß man das globae Ziel dadurch auf individuelle
Handlungen zurückführen kann, daß die Summe der individuellen Handlungen gerade das Maximale
realisiert) nicht so ohne weiteres möglich ist, wenn es also so etwas wie emergente Eigenschaften
globaler Systeme gibt, dann ist auch eine individuelle Ethik zu überdenken, d. h. dann muß man
tatsächlich Werte einführen, die es notwendig escheinen lassen etwa auch altruistisch zu denken
und z.B. auf bestimmte Dinge zugunsten ”anderer” (Dinge oder Menschen?) zu verzichten. 28
In den Naturwissenschaften ist Objektivität möglich, ohne daß man die sogenannte fact/value
dichotomy wirklich beibehalten müßte. Diese Dichotomie besteht eigentlich nur im Reden über die
Wissenschaften (also im Nachdenken darüber, also u. a. in der Philosophie -- oder entspricht ihr
doch etwas in der Realität?). Man kann/könnte also Objektivität auch im ethischen Bereich
erreichen, allerdings sollte man falsche Vorstellungen vom tatsächlichen Funktionieren von
28
Man könnte einmal versuchen ethische Fragestellungen explizit auf der Basis eines veränderten lokalen
Hintergrundswissens durchzuspielen, eines Hintergrundwissens, wie es etwa die Wissenschaften liefern, so daß
dieselben (rspünglich nur im Alltagskontext gestelltn ethischen) Fragen mit einem anderen Auflösungsvermögen und
einem veränderten Zielrahmen gestellt werden und vor allem bearbeitet werden.
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- 19 Wissenschaft aufgeben und sich eher auf die adäquateren semantischen/modelltheoretischen
Wissenschaftskonzeptionen stützen.
Es bleibt aber nach wie vor das Problem der adäquaten Vermittlung von Werten, die ja zunächst
nicht als Fakten erfaßbar sind und daher nicht unmittelbar objektiv zugänglich sind. Wenn man
ethische Einsichten nachvollziehen will, kann man das nur mit einem vorhandenem
Hintergrundswissen. In der Wissenschaft jedoch glaubt man gewissermaßen, mit syntaktischen
Mitteln eine universelle Zustimmung erzeugen zu können, ohne daß man etwas dazulernen müßte. - Im Sinne einer ”kreative Semantik“ (s.u.) zeichnet sich ethische Wissenschaft dadurch aus, daß sie
Wissen nicht aus dem ableitet, was man schon weiß, sondern aus dem, was man an neuem Wissen
(durch Hinzulernen) aufzubauen imstande ist. -- Es muß somit (vor allem in einer sich rasch
ändernden Welt erscheint mir das notwendig) zu einem Wert erhoben werden, daß man ständig an
sich selbst arbeitet und versucht, neue Erkenntnisse mit vorhandenem Wissen in Einklang zu
bringen, aber nicht als beziehungslose Collage, sondern als kreatives Wechselspiel der Inhalte.
4. Kommunikation zwischen Wissenschaft und Alltag29
Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß heute der wesentliche Aspekt in der
Wissenschaftsethik die Identifikation von Punkten oder Orten ist, an denen im Wissenschaftsbetrieb
Verantwortung eingebracht werden kann und soll. Im Zuge dieser Suche kann auch damit begonnen
werden, den Prozeß der Operationalisierung von Verantwortung zu analysieren. Dabei stellen wir
fest, daß Operationalisierung nicht nur bedeutet daß man genau angibt, wie man zu verantwortlichen
Die folgenden Überlegungen basieren auf den wissenschaftslogischen Grundlagen aus R. Born: ”Verantwortung:
Reden und Handel“. In: Wissen und Gewissen. (Hrsg.: Otto Neumaier, Wien 1986, pp 196 - 211. Weiters auf R. Born:
”Sparche - Information - Wirklichkeit (Überlegungen zum Verhältnis von wissenschaftlicher und alltäglicher Erfahrung). In
H. J. Schneider/R. Inhetven: Enteignen uns die Wissenschaften (Zum Verhältnis zwischen Erfahrung und Empirie),
München 1992, pp 141 - 178.
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- 20 Entscheidungen kommt (im Sinne von formalen Kriterien), sondern auch, wie man zu
Rechtfertigungsargumentationen gelangt, die helfen können, eine Entscheidung durch Bezug auf
akzeptierte Werte klar zu machen/zu objektivieren [zwingend nachvollziehbar zu machen/d. h. einen
Zustimmungszwang zu erzeugen].
Im Versuch, eine allgemeine Einsichtsfähigkeit30 (für die Nachvollziehbarkeit ethisch begründender
Argumentationen) zu finden, kommt einer ”kreativen Semantik” eine tragende Rolle zu.
Normalerweise funktioniert Verstehen so, daß wir uns im Rahmen dessen, was wir schon wissen,
einen Reim auf Neues machen. Unser eigenes Hintergrundwissen wird praktisch nicht verändert, die
Interpretation der Fakten bleibt konstant. Im Zuge einer signifikanten Wissensänderung müssen wir
Ergebnisse im breiteren Kontext sehen und gelegentlich fest eingefahrene Vorstellungen aufgeben.
In diesem Fall ändert sich der Bezug von Sprache auf die Realität in einem kreativen Sinn (cf
kreative Semantik), und neue Sichtweisen und Interpretationen von Fakten werden ermöglicht.
Auch heute noch reden wir zwar davon, "daß die Sonne am Morgen aufgeht", meinen damit aber
genaugenommen, daß sich die Erde um ihre eigenen Achse gedreht hat. Allerdings darf die
allgemeinverständliche Phrase "die Sonne geht auf" nicht ohne das in ihr verborgene
Hintergrundswissen weitergegeben werden. Im Verlust dieses (vielleicht neuen) Hintergrundswissen
besteht die große Gefahr der Forderung, alles müsse auf die Alltagsebene reduziert, auf ihr
abgehandelt und in ihr kommuniziert werden.
Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht so ohne weiteres davon ausgehen, daß es genau eine
(universelle) globale wissenschaftliche Karte der Welt gibt. Gerade das wissenschaftliche Denken ist
auch nur ein Aspekt, unter dem die Welt (vielleicht) so beschrieben werden kann, daß wir zu einem
geeigneten Umgang mit ihre gelangen können. Wenn wir aber einmal davon ausgehen, daß es kein
30
Gemeint ist, daß man die Antennen, die einem gekappt wurden (wie das ein Physik-Student mir gegenüber einmal
ausdrückte), zu reaktivieren versucht.
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- 21 einheitliches, absolutes Bild von der Welt gibt, das wir zu unserer Orientierung benutzen können,
dann ist es vielleicht auch leichter, gemeinsame aber pluralistische (wissenschaftliche und
alltägliche) Lösungen zu suchen. So wäre es zum Beispiel wichtig, ein positives Moment des
natürlichen Alltagsdenkens, nämlich die "Kompensation" von raschen Beurteilungen durch eine
Alltagsreflexion, in diesem Dialog zu installieren.
Während klassische ethische Argumentationen also von einem absolutistischen Wissenschaftsbild
und einer individualistischen Verantwortung der Wissenschaftler31ausgehen, fordern neuere Ansätze
(im Gefolge der Wissenschaftstheorie) ein wesentlich pluralistischeres Wissenschaftsbild und eine
stärker ausgeprägte kollektive Verantwortung.32 (Wissenschafts-) Ethik wird somit zur
Notwendigkeit, wenn man in einer Gemeinschaft überleben will, da nur sie die notwendige
REFLEXIVE KORREKTUR bei der verantwortlichen Aufbereitung und Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen, beim Umgang mit Wissen, einbringen kann.
Eine kreative Form von Operationalisierung berücksichtigt also, daß man aufgrund der Tatsache,
daß nicht alles in die Alltagssprache übersetzt werden kann, im Bereich der klassischen
individualistischen Argumentationsstrategien zu neuen Rechtfertigungsargumentationen kommen
muß, eventuell neue Werte (Informationspflicht) identifizieren oder alte adaptieren bzw erweitern
muß. Letzlich kann nur so ein verantwortliches Handeln gerechtfertigt werden, und zwar in einem
objektiven, verbindlichen Sinn. Dies erlaubt es einem Wissenschaftler zum Beispiel, auch gegen die
Interessen seines Staates oder wem immer er verpflichtet ist, Informationen zurückzuhalten oder
Forschungen zurückzustellen, wenn er es mit seinem Gewissen (das nun nichts rein Subjektives zu
31
Die nur schwer durch Berufung auf eine wissenschaftliche Methodologie der einzelnen Disziplinen abgewälzt werden
kann.
32 Cf Nell, Edward J., Making Sense of a Changing Economy. Technology, markets and morals,. Routledge, London
1996.
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- 22 sein braucht) nicht vereinbaren kann, daß die Ergebnisse/Informationen ohne das für eine sinnvolle
Anwendung notwendige Hintergrundswissen kommuniziert werden.
Hier möchte ich die anfangs angesprochene Idee eines Wissenschafts-Ethos33 wieder aufgreifen. In
diesem Zusammenhang könnten es bedeuten, daß utopisch gesprochen ein internationales
Abkommen -- ähnlich dem Atomsperrvertrag -- geschlossen wird, bestimmte Forschungen entweder
nicht zu betreiben oder die Ergebnisse nicht im üblichen Sinne öffentlich zugänglich zu machen.
Gleichzeitig sollte aber auch so etwas wie ein internationaler Schutz -- ein spezielles Menschenrecht
-- von Wissenschaftlern festgeschrieben werden, damit sie nicht beliebig unter Druck gesetzt werden
können. Derartige Rechte dürfen nicht als Luxus , sondern müssen im Rahmen der Evolution der
Menschheit als notwendige Voraussetzung gesehen werden, um überlebensadaequates Wissen zu
schaffen, sodaß eine bessere Anpassung an die (Ver-)Änderungen in unserer Welt gegeben ist.
33Cf
nochmals ”Research Ethics“, ed. R. L. Penslar, loc cit. (FN 22).
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