Wissenschaftsethik -- Erzeugung von und Umgang mit Wissen

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Wissenschaftsethik -Erzeugung von und Umgang mit Wissen
(R. Born/Linz a. D.)
Sich lernend verändern ... !
(Motto der ”Begnadeten Körper“, Wien 1996)
1. Problemlage - Gedanken zur Übersicht
Soferne Wissenschaftsethik
überhaupt als eigenständiges Stichwort in div.
einschlägigen Nachschlagewerken vorkommt,1 wird dabei das Thema Verantwortung
als deren zentrale Problematik hervorgehoben. Im allgemeinen bezieht sich der
Ausdruck
Verantwortung*2 hier sowohl auf das individuelle Verhalten einzelner
1
Schon etablierte sogenannte Bindestrich-Ethiken sind Wirtschaftsethik, Bioethik oder medizinische Ethik,
denen man jeweils aus ihrem Realbereich heraus eigenständige Probleme zugesteht. Es stellt sich allerdings
die Frage, ob man nicht doch eine bereichsübergreifende (klassische, philosophische) Wissenschafts-Ethik
finden kann. Vgl. Speck, J. (ed.) Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe, Göttingen 1980 (UTB 968).
2 Ich verwende das Zeichen "*" zur Kennzeichnung eines jeweils undifferenzierten Gebrauches eines
Ausdruckes, um zu signalisieren, daß die Bedeutung eines solchen Ausdruckes je nach Hintergrundwissen mit
dem Schwerpunkt auf unterschiedlichen Bedeutungskomponenten liegt. Weiters verwende ich eingeschobene
Klammerausdrücke und Gedankenstriche, um bewußt den Gedankenfluß zu stören und zu unterbrechen.
Für mich ist dies eine praktische Anwendung von Wissenschaftsethik: daß man als Wissenschaftler nicht
ständig nur das sagt, was sich leicht sagen, leicht nachvollziehen und daher leicht verkaufen läßt, sondern auf
die Stellen aufmerksam macht, an denen Mehrdeutigkeiten eine Rolle spielen, an denen es Weggabelungen im
Denken gibt.
r.born
-
1
-
- 2 Wissenschaftler als auch auf "die" Wissenschaft* als ganzes: sei es Wissenschaft als
Institution
oder
Wissenschaft
als
Corpus
baren Erkennntissen, die allgemein
entsprechend anwendbar sind.
De
facto
aber
geht
es
in
von
objektiven,
zugänglich
Diskussionen
um
gemacht
kontrolliert
werden
Wissenschaftsethik
reproduzierkönen
nicht
nur
und
um
Verantwortung, sondern um interne und externe Normen für das Betreiben und
Verwerten von "Wissenschaft", um die Differenzierung von Veranwortungsbereichen,
um die Operationalisierung von verantwortlichem Handeln, um die Möglichkeit, die
Bedeutung von (Handlungs-)Konsequenzen klären und überhaupt kommunizieren zu
können: Letztlich also geht es um die Entwicklung eines Wissenschafts-Ethos . Ein
all diesen Aspekten zugrunde liegendes Problem ist die Frage nach dem Dialog
zwischen Wissenschaft und Alltag, der, wie sich einigermaßen exakt durch
wissenschaftslogische
und
semantische
Analysen
untermauern
läßt,
für
den
[verantwortlichen] Umgang mit Wissen verantwortlich (!) ist.
Wenn also im folgenden die Betonung auf Normen für den Umgang mit Wissen*
gelegt wird, so sollen damit auch die nicht(fach-) wissenschaftlichen Benutzer von
wissenschaftlichen
Erkenntnissen
und
somit
auch
deren
Verantwortung im
[Interessens-] Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Alltag einbezogen werden. So
gibt es zwar von allen Seiten Bemühungen, Ethik im Wissenschaftsbetrieb zu
verankern (Ethikkommissionen, sogar eine WEB-Seite der amerikanischen Akademie
der Wissenschaft gibt es im Internet), es fehlen aber Ideen, wie das Thema
Verantwortung im Umgang mit Wissen bzw. wissenschaftlichen Erkenntnissen tatsächlich operationalisiert werden kann. In der Praxis treten zum Beispiel häufig
Probleme auf hinsichtlich der Kommunizierbarkeit, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz
r.born
-
2
-
von
wissenschaftlichen
Erkenntnissen
und
- 3 Experten-Urteilen, auf die
man
sich
in
anderen, öffentlichen, Kontexten beruft und verläßt; letzlich auch, um politsche oder
sonstige
wälzen.
Entscheidungs-Verantwortung
(cf.
die
Wissenschaft,
die
Experten)
abzu-
Ein Hauptproblem in allen ethischen Diskussionen ist die Objektivität bzw. Objektivierbarkeit
und
Nachvollziehbarkeit
von
ethisch
motivierten
(Handlungs-)Entschei-
dungen.3
In
der
Diskussion
taucht
hier
immer
wieder
das
Argument
auf,
daß
Wissenschaftsethik bestenfalls als Spezialfall der vorhandenen Ansätze in der
klassischen Ethik (Utilitarismus, Teleologie, Deontologie etc.) angesehen werden
könne, daß man die dortigen Ergebnisse einfach zur Kenntnis nehmen und anwenden
solle und daß es keine genuine Disziplin "Wissenschaftsethik" geben könne. 4 Das ist
insoferne von Bedeutung, als der Objektivitätsanspruch
der begründenden
ethischen Argumentationen -- soferne man der Wissenschaftsethik doch einen
speziellen Gegenstandsbereich mit eigenen qualitativen Eigenschaften zubilligt -bezogen auf das Hintergrundwissen und das epistemische Auflösungsvermögen der
Argumentationslogik eines solchen Bereiches, seine Objektivität aus einem Bereich
bezieht, der offenbar nicht mit den (Argumentations-) Mitteln der Alltagssprache
eingelöst werden kann.
3
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wesentlich, darauf hinzuweisen, daß man im sogenannten
Verwertungs- oder Anwendungskontext von Wissen vor allem auf das Zustandekommen von wissenschaftlichen
Ergebnissen eingehen sollte -- soferne das für ein Verständnis der Bedeutung dieser Ergebnisse relevant ist
und auf die Anwendung Einfluß hat.
4 cf. Hubig Christoph Hubig: Technik und Wissenschaftsethik (Ein Leifaden), Berlin 1995 2 .
r.born
-
3
-
- 4 Damit meine ich, daß man im herkömmlichen, klassischen Sinne der ethischen Begründungen von Handlungen [bezogen auf das Alltagsverhalten von Individuen - wobei
primär
individualistische
Begründungen
für
das
Wissenschaftler in Einzelsituationen eine Rolle spielen]
Verhalten
individueller
aus qualitativen Gründen
eigentlich nicht alles begründen kann. Man sollte auch nicht vernachlässigen, daß die
eigentliche Begründung für die Handlungen [bzw Entscheidungen zur Durchführung
einer
Handlung]
nicht
im
Bereich
des
Alltagsdenkens
liegt,
sondern
auf
Hilfskonstruktionen im "Modellraum des Denkens" aufbaut. Dabei ist entscheidend,
daß bestimmte Alltagsbehauptungen/-Entscheidungen (zur Durchführung einer ethisch
legitimierten Handlung) in ihrem GültigkeitsANSPRUCH von der jeweiligen Wahl der
Hilfskonstruktion
unabhängig
sind,
gleichzeitig
aber
doch
nicht
ohne
sie
zustandekommen können.
Damit sind wir ansatzweise aber schon tiefer in die Problematik eingedrungen als es
scheinen mag. Zusammenfassend möchte ich sagen:
Kern
meiner
Überlegungen
ist
der
Objektivitätsanspruch
ethischer
Argu–mentationen (Rechtfertigungsargumentationen) sowie das Problem
der
Operationalisierbarkeit
von
Verantwortung
im
Kontext
des
Wechselspieles zwischen Wissenschaft und Alltag.
Die Schwierigkeiten in der Kommunikation des veranwortungsvollen Dialoges
zwischen Wissenschaft und Alltag, beruhen trivialerweise vor allem darauf, daß man
eine gemeinsame Sprache finden muß. Diese Prosa (der Wissenschaften nach
Wittgenstein) existiert natürlich, nur ist sie nicht etwas fix Vorgegebenes, sondern
befindet sich ständig in Fluß. Wir müssen jedoch trotz dieser Schwierigkeiten
r.born
-
4
-
- 5 zumindestens für historisch halbwegs konstante Zeiträume und nach bestem Wissen
und Gewissen zu einer mehr oder weniger objektiven Verständigung kommen und, bei
aller
Notwendigkeit,
handlungsfähig
zu
bleiben,
Flexibilität
Korekturmöglichkeiten in Entscheidungsprozesse einbauen.
Ich
möchte
aber
noch
auf
ein
weiteres
Problem
(der
und
adäquate
Operationalisierung?)
aufmerksam machen, das meiner Ansicht nach bisher in der allgemeinen Diskussion
kaum ausreichend angesprochen wurde, es sei denn in der verklausulierten Form der
Verantwortung von Institutionen: Wissenschaftsethik ist keinesfalls nur ein Problem
der Wissenschaft (oder der Wissenschaftler) alleine!
Man kann die Verantwortung für den Umgang mit Wissen nicht nur auf die
Wissenschaftler abschieben. Denn Wissenschaftsethik betrifft nicht nur den Umgang
mit Wissen im sogenannten Alltags- oder Verwertungskontext, sondern auch das, was
man unter Wissenschaft -- regulativ gesprochen -- versteht. Es sind auch die
Erwartungen in der Öffentlichkeit betroffen, es ist dadurch der Lebensweg von
Menschen bestimmt, die sich für ein Studium entscheiden, es sind die zielorientierten
Erwartungen
an
die
Forschung
dadurch
bestimmt,
die
Umsetzung
von
Forschungsergebnissen,
die
Bildungspolitik,
die
Korrekturmöglichkeiten
bei
Anwendungsfehlern wissenschaftlicher Ergebnisse und vor allem auch die Regeln, die
wissenschaftsintern aufgestellt werden, um Verantwortung im Wissenschaftsbetrieb
dingfest zu machen.
Wissenschafts-Ethik ist somit auch eine Angelegenheit der Öffentlichkeit, da von
dort her immer wieder Einfluß (im positiven wie negativen Sinne) auf die Forschung
genommen wird. Die Schuld an diesen Verhältnissen liegt (soferne man bei
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-
5
-
- 6 evolutionären Prozessen überhaupt von Schuld sprechen will) auf beiden Seiten, denn
auch
die
Verteilung
von
finanziellen
Mitteln,
die
entsprechenden
Anreize
oder
persönlichen Interessen und Ideologien der Forscher spielen hier eine Rolle.
Der Druck der Öffentlichkeit auf die Wissenschaftler und die Weiter-Entwicklung von
Wissenschaft hat dazu geführt, daß man sich vor allem auf die Methodik [in den
Formal-
und
Naturwissenschaften
und
allen
davon
beeinflußten
Bereichen]
konzentriert hat, also auf den Rechtfertigungskontext
beim Betreiben von
Wissenschaft. Das bedeutet, daß man glaubt, man könne wissenschaftliche Ergebnisse
dadurch
objektivieren,
daß
man
sie
durch
Anwendung
bestimmter
Regeln
kontrolliert reproduzierbar und nachvollziehbar
macht [wobei es nicht darauf
ankommt welche Werthaltung man dabei einnimmt]. Da aber diese Methodik in
natürlicher Weise auch im Kontext der Vermittlung und im Kontext des Aufbaues der
Bedeutung von Wissen (und daher auch von sogenannten wissenschaftlichen
Forschungsergebnissen) verwendet wird, wird aus einer Methodik zur Überprüfung der
Gültigkeit von Ergebnissen eine Methodik zur Erzeugung von Ergebnissen. Die so
methodisch einwandfrei erzeugten Ergebnisse scheinen von vorneherein verläßlich zu
sein, lassen sich auch leichter vermitteln und setzen sich daher leichter durch (wenn
z. B Daten so dargestellt werden, daß sich eine bestimmte Interpretation von selbst
aufdrängt). -- Wissenschaftlichen Erfolg hat man offenbar nur, wenn Ergebnisse auf
eine ganz bestimmte Weise gerechtfertigt werden und somit innerwissenschaftlich
anerkannt werden. -- Das führt letztlich zu einer Art Algorithmisierung oder
Kalkülisierung (Formalisierung in einem sehr weiten Sinn) von Wissenschaft, die eine
r.born
-
6
-
Entfremdung
und
Entkoppelung
vom
Betreiben
von
- 7 Wissenschaft
und
der
damit
verbundenen Verantwortung erleichtert. 5
Als ethische Regel bietet sich an, daß man es einerseits als Wert akzeptiert, daß
überhaupt Verantwortung für Fehler übernommen wird,6 andererseits aber muß man
klarstellen,
wie
diese
Forderung
(Akzeptanz
des
Wertes
Verantwortung)
operationalisiert
werden
kann,
bzw
welche
Handlungskonsequenzen
sich
aus
ihr
ergeben.
Als wichtigster Punkt erscheint mir hier die Informationspflicht, die Pflicht des
einzelnen, sich selbst mit wesentlichen Bereichen vertraut zu machen, sich
sachkundig zu machen.7 Jeder, der mit Wissenschaft [genauer mit deren Ergebnissen
oder
sogenannten
allgemeinverwertbaren
Erkenntnissen]
umzugehen
hat,
ist
verpflichtet, [soferne er an einer positiven Zukunft als Wertung i.S. eines Überlebens
der Menschheit interessiert ist] sich den tatsächlichen Behauptungs- oder
Informationsgehalt (wissenschaftlicher Ergebnisse) klar zu machen.
Damit komme ich zum Thema des Beitrages der analytischen Philosphie zur
Wissenschaftsethik. Im Gefolge der Rezeption Wittgensteins ist sie vor allem am
Prozeß des Zustandekommens von Verstehen festzumachen und stellt damit
5)
Ich glaube damit wird der eigentliche Prozeß des Betreibens von Wissenschaft besser getroffen, als wenn
man von außen, aus der letzen Reihe im Theater (wobei man noch das Opernglas vorzugsweise verkehrt hält,
wie Paul Feyerabend einmal treffend bemerkt hat) von einer "Instrumentalisierung" spricht.
6 allerdings nicht in leichtfertiger Weise und auch nicht so, wie es im Bereich der amerikanischen Medizin
ist, daß man sofort verklagt werden kann (genausowenig wie es bei uns der Fall ist, wo man zu wenig zur
Verantwortung gezogen wird).
7 Wiederum kommt es hier auf die Art der Kommunikation
zwischen Wissenschaft und Alltag
an, bzw
auf die Identifiaktion einer geeigneten Prosa (Wissenschaftssemantik).
r.born
-
7
-
Bedeutungsanalyse
Arroganz
zwischen
- 8 in das Zentrum der Reflexion. Ihre Rolle könnte es sein, ohne
den
Lagern
Wissenschaft
und
Alltag
zu
vermitteln,8 um die
Bedeutung dessen herauszuarbeiten, was ein Fachwissenschaftler
Äußerungen in bezug auf seine Erfahrung und sein lebensweltlich
mit seinen
aufgebautes
Hintergrundswissen zu leisten imstande sein sollte.
Wissenschaftsethik
setzt
ein
reflexives
Verständnis
des
Funktionierens
von
Wissenschaft (zur Erzeugung von Wissen) voraus bzw versucht, dieses bewußt zu
machen. Dies hängt mit der Notwendigkeit zusammen, überhaupt korrektiv in den
Anwendungskontext wissenschaftlicher Ergebnisse einzugreifen zu müssen -- ganz
im Gegensatz zur Alltagsvorstellung (auch von Fachleuten), daß Wissenschaft nur
unumstößliches, absolutes Wissen produziert. 9
Hierzu folgende Beobachtung: Wenn wir z.B. Computersimulationen (i.e. Modellkonstruktionen) von Ereignisabläufen in der Welt benutzen, dann unterstellen wir im
Abbildungsprozeß der untersuchten Ausschnitte von Welt auf diese Modelle, daß die
von uns benutzten Begriffsbildungen hinsichtlich ihrer Begriffsumfänge eindeutig
bestimmt sind (scharfe Begriffe). Die Objekte, die unter einen Begriff fallen, lassen
sich eindeutig klassifizieren und als der Extension zugehörig feststellen. -- Im Anwendungsbereich von Wissenschaft ist es allerdings nicht immer klar, ob ein realer
Gegenstand tatsächlich unter einen Begriff fällt, zumal er oft nur unter Absehung
8
Von vorn herein ist klar, daß ein Mensch sehr wohl und oft in beiden Lagern steht, d. h. ein Wissenschaftler
kann in einem anderen Bereich, im Krankenhaus, ganz plötzlich zum Laien werden, mit dem man in einer Art
Prosa kommunizieren muß.
9 Wobei ”absolut“ wohl so aufzufassen ist, daß ein konstante Interpretation im Rahmen der Alltagssemantik
vorgegeben wird. ( CF Putnam vs Williams in H. Putnam: Renewing Philosophy,
Cambridge, Mass. 1992, insbes.: pp 80.
r.born
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8
-
- 9 anderer Eigenschaften -- also betrachtet unter einem bestimmten Aspekt -- unter
eben diesen Begriff fällt. Daraus ergibt sich konkret, daß man bei der Übertragung der
in der Simulation gewonnen Erkennntisse entsprechend vorsichtig sein muß und sie
nicht mit einem naiven Alltagsverständnis, d. h. die Computerergebnisse als
unmittelbare Beschreibungen verstehend, interpretieren darf. Beim Anwenden müssen
wir also -- das betrifft gerade die Experten -- wissenschaftliche Ergebnisse
aufgrund unserer Erfahrung mit der Realität in Einklang bringen. Diese Überlegungen
schließen natürlich nicht aus, daß wir uns in
Unterscheidungen nicht unmittelbar zu kümmern
sehr vielen Fällen um solche
brauchen und daher in völlig
unbekümmerter
Weise,
sozusagen
alltagsrealistisch,
mit
den
wissenschaftlich
gewonnen Ergebnissen erfolgreich umgehen können. Problematisch sind immer nur die
Grenzfälle!. 10
Der zweite wesentliche Punkt, der einen Unterschied zwischen wissenschaftlichen
Erkenntnissen (aus Simulationen) und deren Alltagsgebrauch ausmacht, ist, daß wir
im Alltag (soferne es sich nicht um Trivialfälle handelt) sehr oft Entscheidungen
aufgrund von unvollständigen Informationen fällen müssen. Bei wissenschaftlichen
Simulationen
jedoch
argumentieren
wir
hypothetisch
und
müssen
unter
festgehaltenen Voraussetzungen zu Abschätzuungen gelangen. Die entprechenden
Ergebnisse gelten dann natürlich in der Realität nur beschränkt, d. h. unter gleich
10
Es geht darum, daß der Ausdruck ”Übereinstimmung mit der Realität” mehrschichtig verstanden werden
kann. Wertungen z.B. sollten u. a. auch dazu geeignet sein, sich besser in der Realitätorientieren zu können. - Es geht somit im Bereich der Ethik nicht um eine unmittlbare Übereinstimmung zwischen Behauptung/Satz
und Wirklichkeit wie etwa im Falle der klassischen Wahrheitstheorien (nach dem Modell ”adaequatio
intellectus ad rem”), sondern um einen geeigneten Anwendungskontext, so daß ein Realitätsbezug von
Wertungen eine zentrale Rolle spielen kann. Cf dazu die so geseuteten Bemerkungen von J. Galtung in
”Wissenschaftsethik“, cf Speck, loc. cit.(FN 1).
r.born
-
9
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präparierten
Voraussetzungen,
Berücksichtigung
dessen,
daß
mit
man
den
nötigen
möglicherweise
- 10 Einschränkungen
gar
nicht
alle
und
unter
relvanten
Informationen kennt, die für eine adäquate Anwendung notwendig sind. Auch hier gilt,
daß man sich einen Sicherheitsspielraum
oder Korrekturspielraum offen halten
muß, um flexibel auf Veränderungen in der realen Umwelt reagieren zu können.
Wenn man sich das alles vor Augen hält, so gilt folgendes bezüglich des qualitativ
Neuen , das durch eine reflektorische Analyse des Zustandekommens und der
Anwendungsbedingungen von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Themenkreis der
klassischen Ethik hinzukommt:
Durch die Aspekte der Bedeutungsanalyse, der Kommunikation, der Übersetzung wird
man dazu gezwungen, neue Typen von Rechtfertigungsargumentationen zu finden,
die von den rein individualistischen Operationalisierungen von Verantwortung im
Rahmen
klassischer
ethischer
Überlegungen
abweichen.
Diese
Rechtfertigungsargumentationen beanspruchen, den Objektivitätsanspruch ethischer
Entscheidungen einlösen zu können. Sie müssen allerdings in unterschiedlichen
Bereichen, aufbauend auf ein unterschiedliches Hintergrundswissen und somit auf
einen unterschiedlichen Erfahrungsraum und einem diesen jeweils innewohnenden
entsprechenden epistemischem Auflösungsvermögen, stattfinden. 11
Das bedeutet aber keinesfalls einen Relativismus oder Subjektivismus und somit als
Folge einen Machtkampf zwischen rivalisierenden Meinungen und gesellschaftlichen
Gruppen. Es bedeutet lediglich, daß man nicht die universelle (Erkenntnis-) Karte
Rf. R. Born: ”Split Semantics” . In: Artificial Intelligence: The Case Against, London 19892 , pp 191 213.
11
r.born
-
10
-
voraussetzen
kann.
Man
muß
vielmehr
von
- 11 Transformationsinvarianten,
also
der
Möglichkeit einer Übersetzung in andere Bereiche, ausgehen, die zwar in bestimmter
Hinsicht unvollständig sein mag, die aber dennoch eine Kommunikation gestattet, die
durch Vereinigung von vielen Wissensaspekten zu einem toleranten Umgang im Wissen
und
zu
einer
flexiblen
Behandlung
von
Anwendungsfehlern
Mißverständnissen oder nicht beachteten wesentlichen
kann. Es wird Objektivität in einem weiteren Sinne
(soferne
sie
auf
Aspekten beruhen) führen
ermöglicht. Konstant, also
übersetzbar und objektiv, da in unterschiedlichen Systemen und in unterschiedlicher
Weise realisierbar, sind nicht die einzelnen punktuellen Ereignisse oder Erkenntnisse,
sondern die Beziehungen letzterer zueinander.
2. Gedanken zum (Zu)Stand der ”Forschung“
Im deutschen Sprachraumist ein einigermaßen hoher Bewußtseinspegel zum Thema
Verantwortung in der Wissenschaft/Verantwortung der Wissenschaftler vorhanden.
Evident wird dies z.B. darin, daß man begonnen hat, Langzeiteffekte in
wirtschaftliche
Planungen
(gelegentlich
auch
nur
verbal)
einzubinden
(Ökologiediskussion), oder daß sich eine Teildisziplin wie Wirtschaftsethik (in
Grenzen) etabliert hat.12 Im anglo-amerikaischen Sprachraum ist man dabei stärker
an Fallbeispielen interessiert [FN
] und konzentriert sich somit auf eine Ethik der
Forschung, also das Erzeugen von Wissen und alle sich daraus ergebenden Probleme
des Anwendungs- oder Verwertungskontextes. Ausschlaggebend für die öffentliche
Rezeption
der
Problematik
sind
sicherlich
Institutionen
wie
die
Pugwash
12
Die Frage für eine korrekte Parallele ist:inwieweit baut Wirtschaft direkt oder indirekt auf Forschung
auf?
r.born
-
11
-
- 12 Conferences 13, das Hastings Center (für angewandte Ethik)14, das Josephson Institute
for the Advancement of Ethics, die vielen Home-pages im WWW (world wide web oder
allgemeiner im Internet) 15.
Im deutschen Sprachraum [ich bin hier aus Platzgründen sehr selektiv] kommt vor
allem Hans Lenk das Verdienst zu sich den Problemen im Raum ”Zwischen
Wissenschaft
und
Ethik“
16zu
stellen,
wobei
die
bewußt
als
Reclam
(Sammel-)
Bändchen publizierten Beiträge die Diskussion fördern sollten. Die Idee u. a. auch
Institutionen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen und somit das Spektrum von
Verantwortung in seiner enormen Vielfalt anzusprechen wird von Christoph Hubig17
genauer verfolgt. Spannend und sehr wichtig ist auch, daß ein ”Staatsminister für
Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst“ einen Band über ”Ethik der
Wissenschaften“ 18 herausgegeben hat. Ethikkommissionen (Marquard), Siemens ???
13)
Sience and Ethical Responsibility, ed. Sanford A. Lakoff, Proceedings of the U.S. Student Pugwash
Conference, University of California, San Diego, June 19 - 26, 1979. San Diego 1980.
14)The Roots of Ethics (Science, Religion and Values), ed D. Callahan / H. T. Engelhardt Jr, New York 1976
[Hastings Center Series in Ethics]
15)Cf
Bibliographie
zu
”On
being
a
Scientist:
Responsible
Conduct
in
Research“
[http://www.nap.edu/readingroom/books/obas/contents/bibliography.html] oder ”Ethics on the World Wide
Web“ [http://www5.fullerton.edu/les/ethics_list.html] oder ”Ethics“ (science ethics bibliography)
[http://www. chem.vt.edu/ethics/vinny/ethxbibl.html].
16)Hans Lenk: Zwischen Wissenschaft und Ethik, Frankfurt/M 1992 -- sowie insbesonere die Reclam Bände:
Wissenschaft und Ethik (Hrsg Hans Lenk), Stuttgart 1991 und Wirtschaft und Ethik (Hrsg: Hans Lenk /
Mathias Maring), Stuttgart 1992. Weiters: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. Hrsg. Gethmann C.F. und
Honnefelder L. Berlin-New York 1996
17)Christoph Hubig: Technik und Wissenschaftsethik (Ein Leifaden), Berlin 1995 2.
18)Hans
Zehetmair Hrsg: Wissens-Werte: Ethik und Wissenschaft. EineWahlvewandtschaft im
Widerspruch.Starnberg : Schulz, 1995.
r.born
-
12
-
Wissenschaftsethik
kann
man
in
ihrer
Problemlage
der
- 13 Wirtschaftsethik
paralleli-
sieren, wobei letztere den Vorteil hat, daß man stärker von negativen Fehlhandlungen
einzelner Personen ausgehen kann (die, wie gesagt, ein Problembewußtsein in der
Öffentlichkeit
schaffen)
und
leichter
"kausale"
Zusammenhänge
zwischen
unerwünschten
Ereignissen
und
den
(unverantwortlichen)
Handlungen
einzelner
herstellen kann, soferne diese nicht ohnehin unmittelbar einsichtig sind.
Als Beispiel könnte John Maynard Keynes dienen, der bekanntlich eine mittel- bis
kurzfristige ökonomische Lösung der Probleme geliefert hat, die sich aus der
Weltwirtschaftskrise von 1928 ergeben haben. Keynes ökonomische Lösung war
ethisch motiviert und kann daher geradezu als Muster für das Einbringen ethischer
Gesichtspunkte dienen, denn die ökonomische Lösung von Keynes beruhte auf einer
grundsätzlich
neuen,
reflexiven
Analyse
des
Charakters
ökonomischen
Theoretisierens und begründenden Argumentierens. 19
Keynes hat mit seiner Lösung vor allem die klassische Konzeption von Ökonomie
verändert und damit die Berufung auf ökonomische Sachzwänge durchbrochen, die
argumentativ auf dem klassischen Bild aufbauten.
Daran läßt sich zeigen, daß Wissenschafts -Ethik prizipiell auf so etwas wie die
Möglichkeit einer reflexiven Korrektur der Voraussetzungen für die Anwendung
(wissenschaftlicher) Erkenntnisse hinausläuft, genauer auf eine bewertende (was
nichts mit Relativierung zu tun haben sollte) Reflexion des Zustandekommens von
19
Cf dazu Nell loc cit (FN 32)mit dem expliziten Untertitel: "Technology, Markets and Morals (meine
Hervorhebung)", aber vor allem Heilbroner Robert/Milberg William: ”The Crisis of Vision in Modern
Economic Thought“, Cambridge 19662 und insbesondere ”Economics & Language“ (eds. W.Henderson/T.
Dudley-Evans/R.Backhouse), London 1993.
r.born
-
13
-
Wissen
und
somit
letztlich
auf
eine
Reflexion
der
- 14 Bedeutung
bzw.
Signifikanz
wissenschaftlicher Ergebnisse (in einem weiteren Kontext). 20
Die Lehre aus Keynes und damit die Forderung an eine moderne, sachgerechte,
sachkundige Wissenschaftethik ist, daß man ethisch motivierte Sachlösungen findet,
die in den Prozeß der Wissensfindung, der Wissenerzeugung, Wissensrechtfertigung
und vor allem der Wissensumsetzung eingehen. Mit "sachlich fundiert" meine ich, daß
man das "Bedeutungswechselspiel" zwischen einzelwissenschaftlicher und lebensoder alltagsweltlichem Bedeutungsverständnis (Beurteilungen/Wertungen) beachtet.
Wissenschaftsethische Forschung generell sucht vor allem nach Begründungen.
[quotes]. Ferner sucht sie herauszufinden, wer aller in welchen Kontexten für Fehler
verantwortlich gemacht werden könnte. Es wird also vor allem (praxisbezogen) der
Ort identifiziert, an dem die Problematik von Verantwortung auftritt bzw. Fehler
aufgrund mangelnden Verantwortungsgefühles zustandekommen. Hat man dieses
Problem gelöst, so ist klar, daß man an den entsprechenden Punkten Verantwortung
lehren kann oder Personen in bestimmte Leitungspositionen einsetzen wird, die nicht
gerade psychopathisch veranlagt sind. 21
20
man versucht sich klar zu werden ueber die Bedeutung (von Erkennntissen)[AN-14996/1]-- Philosophie
als klar werden von Sätzen, cf wittgenstein-- Traktat als ethisches Buch
21 Natürlich glaubt man gelegentlich durch reine Rationalität auch im Bereich ethischer Wertungen zurande
zu kommen und wirft denjenigen die lyrisch gesprochen auch noch ihr Herz mit zum Zuge kommen lassen
wollen "Unwissenschftlichkeit" oder Irrationalität vor.
[Cf dazu auch Daniel Goleman: ”Emotionale Intelligenz“, Wien 1996 -- und das Starke Interesse an diesem
Buch vor allem in nichtwissenschaftlichen kreisen.]
Hier ist zu beachten, daß man auch das, was wissenschaftliche Rationalität ausmacht ein bißchen genauer
anschauen und durchdenken sollte. -- Wissenschaftethik erfordert auch, daß man
sich wertend mit
Vorurteilen und deren Zustandekommen auseinandersetzt.
r.born
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14
-
- 15 In diese stark praxisorientieren Aspekte spielt allerdings immer stärker ein zweiter
Aspekt
von
Wissenschaftsethik
hinein,
innerhalb der wissenschaftlichen
"Forschungs-Ethik" zu verfolgen. 22
nämlich
Forschung
das
ganz
allgemein
Thema
Ethik
die
im
Forderung,
Sinne
einer
Veranwortung im Umgang mit Wissen muß daran festgemacht werden, daß man sich
erstens
des
Modellcharakters
von
wissenschaftlichen
Erkenntnissen
bewußt
bleibt
und zweitens weiß, wie weit man gehen kann, wenn man aus den Modellen Schlüsse
zieht und deren Ergebnisse auf die sogenannte Realität anwendet.
Utopisch formuliert koennte man verlangen, daß der Umgang mit Wissenschaft einen
Menschen charakterilich so verändern sollte (oder können müßte), daß er gar nicht
mehr in der Lage ist etc. -- Bsp Beckett -- der seinem Freund, dem König
zuwiderhandeln mußte und dafür sterben mußte -- das ist die Metapher der
Wissenschaft. !!! -Daher braucht man das tolerante Gespräch, braucht man das inhaltliche Denken,
braucht man eine ehrliche Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft, Kunst und
Alltag.
3. Fact Value Dichotomy - Putnam versus Williams
22
CF dazu den Sammelband ”Research Ethics“ (Hrsg. Robin Levin Penslar, Bloomington (Indiana Univ.
Press) 1995, der sich explizit mit dem Thema des Unterrichtens von ”Forschungsethik“ beschäftigt. Dazu
auch die Webeiten der Amerikanische Akademie der Wissenschaften und nicht zuletzt ”Ethics Updates“ von
Lawrence M. Hinman -- http://www.acusd.edu/ethics/.
r.born
-
15
-
- 16 Wie schon erwähnt, ist eine der zentralen Fragen in ethischen Diskussionen der
Vorwurf der Nicht-Objektivität von ethischen Behauptungen*. Unabhängig von und in
Erweiterung der ursprünglich von Max Weber ausgelösten Debatte (über Wertfreiheit)
geht es darum, daß Behauptungen, die im Rahmen ethischer Äußerungen (also
allgemeiner
normativer
oder
evaluativer
Sätze )
aufgestellt
werden,
(nicht
unmittelbar) wahrheitsfähig sind, also empirisch überprüfbar sind, und daher keine
faktischen Behauptungen sind. 23 Gemeint ist, daß normative Sätze (nicht unmittelbar)
an Realität angelegt werden können. Das ist gewissermaßen die analytische
Formulierung der Problematik, die sich aus der Wertfreiheitsdebatte ergeben hat. Im
folgenden spreche ich nur von der ”fact-value-dichotomy“, die in den begründenden
Argumentationen für ethisch einwandfreies Verhalten eine entscheidende Rolle
spielen.
Dazu ist auf folgendes Mißverständnis aufmerksam zu machen: Man geht häufig davon
aus, daß u.a. im Gefolge des logischen Empirismus (sinnvolle) Theorien grob
gesprochen (nichts weiter) sind als Mengen von wahrheitsfähigen/faktischen Sätzen,
zwischen denen logische Ableitungsbeziehungen bestehen. De facto aber wurden
Theorien zunächst ALS Satzmengen studiert, um so eindeutig reproduzierbare
(charakteristische) Eigenschaften von ”Theorien“ identifizieren zu können.
23
Das ist vor allem die Meinung der Non-Kognitivisten, die behaupten, daß ethische Sätze zumindest nicht in
dem Sinn wahrheitsfähig sind, wie man es den Sätzen der Naturwissenschaft zuspricht, für die man eine Art
absolute Gültigkeit in Anspruch nehmen möchte(das Modell an das sich Bernhard Williams klammert).
Kognitivisten hingegen glauben (bzw werden so charakterisiert), daß auch ethische Behauptungen ”in
irgendeiner Form“ wahr oder falsch sein können, somit einen (faktischen???) Erkenntniswert haben und
man sich daher auf sie berufen kann, um ein bestimmtes Verhalten als ethisch falsch zu kennzeichnen.
r.born
-
16
-
- 17 Heute hat man im allgemeinen einen weiteren Theorienbegriff, der vor allem dem
Gedanken
der
Ersetzung
der
(syntaktischen)
Ableitungsbeziehungen
durch
den
(semantischen/modelltheoretischen)
Folgerungsbegriff
im
Bereich
der
wissenschaftlichen Argumentationen Rechnung trägt. Dadurch fällt es auch leichter,
die strenge Trennung zwischen Fakten und Werten aufzugeben, wobei der Bezug auf
die verwendete Sprache im Bereich der analytisch orientierten Philosophie
ausschlaggebend ist. Wenn man z.B. behauptet: ”Caligula war ein verrückter Tyrann“,
so ist das ein Satz, der deskriptiv
und wahr ist, zusätzlich aber auch ein
Werturteil sein kann. Das ursprüngliche Problem der sog. Non-Kognitivisten besteht
eigentlich gar nicht mehr, weil keine Notwendigkeit mehr besteht, die syntaktische
Wissenschaftskonzeption aufrechtzuerhalten und zu verlangen, daß normative Sätze
unmittelbar wahr sein müssen. Ein viel dringenderes Problem ist, zu klären, wann und
wo es notwendig erscheint, eine ”Objektivität“ ethischer Behauptungen einzufordern.
Dazu
folgende
Überlegungen:
Im
Bereich
von
Wissenschaftsethik
oder
Wirtschaftsethik
stößt
man
häufig
auf
die
Problematik
der
sogenannten
Kavaliersdelikte (kleinere Datenfälschungen zur "leichteren" Interpretation von
Ergebnissen, ein paar Beschönigungen von Wirtschaftszahlen, um daraus politisches
Kapital zu schlagen). Die Verteidigung bzw. Quasi-Rechtfertigung dieser Handlungen
benutzt sehr oft das Argument, daß man sich eben nicht erwischen lassen
dürfe.
D. h. man sieht keinen ”objektiven“ Mangel in einem solchen Verhalten! Die negative
(Be-)Wertung einer derartigen Handlung wird subjektiv relativiert, sie wird nicht
als objektiv akzeptiert. Es gibt kein (allgemein akzeptiertes) Kriterium, nach dem
etwa die langfristigen Schäden bestimmter Handlungen (auch für diejenigen, die nur
r.born
-
17
-
- 18 kurzfristig einen Vorteil haben und das erst viel zu spät erkennen24) unmittelbar als
faktisch negativ identifiziert und erkannt werden können.
Letzlich
geht
es
also
darum,
das
ursprüngiche
Ziel
--
die
Rechtfertigung
von
Objektivitätsansprüchen normativer (nicht unmittelbar empirisch entscheidbarer)
Behauptungen (oder gar Erkenntnisse) -- mit anderen Mitteln zu erreichen.
Wenn
man
die
”fact/value
dichotomy”
(als
wissenschaftstheoretische
Maxime)
aufgibt, dann kann man sich zwar einerseits nach wie vor (unter der Voraussetzung
einer bestimmten Wissenschaftskonzeption) bzw erst recht oder trotzdem nicht
darauf berufen, daß bestimmte normative/ethische Behauptungen absolut wahr sein
können, absolute Gültigkeit beanspruchen können (nach dem unterstellten Vorbild der
Naturwissenschaften),
andererseits
aber
besteht
doch
die
Möglichkeit,
den
gewünschten Objektivitätsanspruch anders einzulösen. Hier kann man sich durchaus
an
den
Argumentationsstrategien
orientieren,
die
in
solchen
etablierten
Wissenschaftsdisziplinen realisiert sind, die auch keinen unmittelbaren empirischen
Gehalt haben.
Dadurch können dann Intentionen realisiert werden, wie sie etwa Bernhard Williams
vorschweben, wenn er meint, im Kontext der Ethik gebe es eben ”truths and truths“.25
24)
Das Problem ist die >>Argumentierbarkeit<< der negativen Konsequenzen !
Schon Wittgenstein meint in ”Über Gewissheit“, etwas vereinfacht ausgedrückt und umformuliert: ”Am Ende
der Überzeugung steht die Überredung“ !
25 Bernard Williams: Ethics and the Limits of Philosophy (Cambridge Mass.: Harvard Univ. Press, 1985)
Der Auseinandersetzung von Hilary Putnam mit Bernhard Williams zum Verhältnis Wissenschaft bzw.
Wissenschaftstheorie und Ethik dient hier als Anknüpfungs- und Kristallisationspunkt für meine
Überlegungen. Entscheidend ist dabei das unterschiedliche Wissenschaftsverständnis, das einerseits Williams
zu mißverständlichen Analogien verleitet und andererseits klar macht, daß eine Wissenschaftsethik oder
r.born
-
18
-
- 19 Auf Iris Murdoch geht die von Bernhard Williams aufgegriffene und ausgearbeitete
Idee zurück, zwischen sogenannten ”thick ethical concepts like ‘chaste‘ , ‘cruel‘,
‘inconsiderate‘ … and thin ones, more abstract ones like good and right. “ 26 zu
unterscheiden. Dadurch kann man herausarbeiten, was an ethischen Argumentationen
nur lokale Gültigkeit beansprucht und was auf größere Allgemeinheitmit Zielrichtung
Objektivität Anspruch erhebt.
Putnam (1992: 88) faßt Williams so zusammen: es sei "a fallacy of division to
suppose that the whole speech act must be divisable into a descriptive claim (which
could, in principle, be expressed in value-neutral language) and a value judgment
(which could, in principle, be expressed using thin ethical concepts)."
Hierbei spielt aber (bei Williams) auch wieder ein Mißverständnis von Wissenschaft
herein: ein speech act muß nicht notwendig aufgeteilt oder zerlegt werden können,
(damit er funktioniert). Die beiden oben genannten Komponenten, um die es geht, sind
genaugenommen Reproduktionsparameter, die keinesfalls die Kausalmechanismen
angeben, nach denen speech acts funktionieren. Es ist daher nicht notwendig sie als
Handlungsanweisungen
mißzuverstehen
und
sie
entsprechend
in
das
Alltagsverständnis hineinzuprojezieren.
spezieller eine Ethik der Forschung mit Problemen zu kämpfen hat, die in der allgemeinen Ethik nicht
auftauchen. Es soll hier also auch exemplarisch aufgezeigt werden, daß und wie wissenschaftstheoretische und
damit wissenschaftsphilosophische Überlegungen in die Diskussion so eingehen können, daß klassische
Argumentationen verändert werden können.
Putnam, H.: ”Objectivity and the Science/Ethics Distinction“, in: Realism with a Human Face (Cambridge,
Mass.: Harvard Univ. Press, 1990).
Ferner die kürzere, neuere Fassung derselben Probleme: Kap 5 von Renewing Philosophy, ”Bernard Williams
and the Absolute Conception of the World“, Cambridge, Mass, Harvard Univ Press 1992.
26 Iris Murdoch, The Sovereignity of Good, Oxford 1975.
r.born
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19
-
- 20 Bei den folgenden Zitaten -- ”we cannot do without our thick ethical language“
(Putnam, der Murdoch so zusammenfaßt und selbst einen ähnlichen Standpunkt in
Richtung ”Intentionalität“ vertritt) oder ”we cannot do without our ‘local
perspective‘ “(Williams via Putnam). -- ist wesentlich, daß eine wert-neutrale
Sprache
(value-neutral
language)
offenbar
unvollständig
ist
im
Bereich
unseres
Umganges mit der Welt und vor allem unseres Umganges mit unserem Wissen über die
Welt (aufgrund dessen wir uns interessengeleitet in der Welt orientieren).
In
der
Tatsche,
daß
wir
ethische
Charakterisierungen
nicht
nur
in
nserer
Alltagssprache brauchen, drückt sich eine Eigenschaft der Welt aus,27 aber keine, auf
die man den Finger direkt legen könnte, sondern eine, die unsere Handlungen (indirekt)
bestimmt.
Dadurch ist aber dann dennoch so etwas wie ein Objektivitätsanspruch,
etwa wenn wir normative Behauptungen machen und diese mit
Langzeitfolgen zu begründen versuchen.
gegeben,
schädlichen
In der heutigen Zeit ist meiner Ansicht nach tatsächlich Objektivität das
Hauptproblem der Ethik, weil man sich immer wieder darauf hinausredet, daß es ja
keine allgemeingültigen oder zumindest allgemeinverbindlichen ethischen Normen
gebe und man daher alle Mittel erlaubt seien, die zur Realisierung eines Zieles
beitragen. Ob das Ziel immer wünschenswert ist, steht dabei offenbar nicht zur
27
Eine Eigenschaft, die bestimmt ist durch unseren Umgang mit der Welt, vielleicht aber auch nur eine
Eigenschaft unserer selbst (unseres empirischen Erkenntisapparates, nserer kognitiven Fähigkeiten zur
Verarbeitung von Information) ist, der man jedoch wieder unterstellen kann, daß sie sich in
Auseinandersetzung mit der Welt evolutionär herausgebildet hat.
r.born
-
20
-
- 21 Debatte, genausowenig, wie die Frage, ob die unter individuellen Gesichtspunkten
ausgewählten Ziele letztlich auch global sinnvoll sind.
Das damit angesprochene wissenschaftstheoretische Problem, besteht darin, daß es
fraglich ist, daß globale Ziele [etwa des Überlebens der Menschheit] auf individuelle
Vorteile zurückgeführt werden können, etwa das größtmögliche Glück für eine
größtmögliche
Anzahl
von
Menschen
(cf.
Utilitarismus).
Wenn
eine
derartige
Reduktion (daß man das globae Ziel dadurch auf individuelle Handlungen zurückführen
kann, daß die Summe der individuellen Handlungen gerade das Maximale realisiert)
nicht so ohne weiteres möglich ist, wenn es also so etwas wie emergente
Eigenschaften globaler Systeme gibt, dann ist auch eine individuelle Ethik zu
überdenken, d. h. dann muß man tatsächlich Werte einführen, die es notwendig
escheinen lassen etwa auch altruistisch zu denken und z.B. auf bestimmte Dinge
zugunsten ”anderer” (Dinge oder Menschen?) zu verzichten. 28
In den Naturwissenschaften ist Objektivität möglich, ohne daß man die sogenannte
fact/value dichotomy wirklich beibehalten müßte. Diese Dichotomie besteht
eigentlich nur im Reden über die Wissenschaften (also im Nachdenken darüber, also u.
a. in der Philosophie -- oder entspricht ihr doch etwas in der Realität?). Man
kann/könnte also Objektivität auch im ethischen Bereich erreichen, allerdings sollte
man falsche Vorstellungen vom tatsächlichen Funktionieren von Wissenschaft
28
Man könnte einmal versuchen ethische Fragestellungen explizit auf der Basis eines veränderten lokalen
Hintergrundswissens durchzuspielen, eines Hintergrundwissens, wie es etwa die Wissenschaften liefern, so
daß dieselben (rspünglich nur im Alltagskontext gestelltn ethischen) Fragen mit einem anderen
Auflösungsvermögen und einem veränderten Zielrahmen gestellt werden und vor allem bearbeitet werden.
r.born
-
21
-
aufgeben
und
sich
eher
auf
die
adäquateren
- 22 semantischen/modelltheoretischen
Wissenschaftskonzeptionen stützen.
Es bleibt aber nach wie vor das Problem der adäquaten Vermittlung von Werten, die ja
zunächst nicht als Fakten erfaßbar sind und daher nicht unmittelbar objektiv
zugänglich sind. Wenn man ethische Einsichten nachvollziehen will, kann man das nur
mit einem vorhandenem Hintergrundswissen. In der Wissenschaft jedoch glaubt man
gewissermaßen, mit syntaktischen Mitteln eine universelle Zustimmung erzeugen zu
können, ohne daß man etwas dazulernen müßte. -- Im Sinne einer ”kreative
Semantik “ (s.u.) zeichnet sich ethische Wissenschaft dadurch aus, daß sie Wissen
nicht aus dem ableitet, was man schon weiß, sondern aus dem, was man an neuem
Wissen (durch Hinzulernen) aufzubauen imstande ist. -- Es muß somit (vor allem in
einer sich rasch ändernden Welt erscheint mir das notwendig) zu einem Wert erhoben
werden, daß man ständig an sich selbst arbeitet und versucht, neue Erkenntnisse mit
vorhandenem Wissen in Einklang zu bringen, aber nicht als beziehungslose Collage,
sondern als kreatives Wechselspiel der Inhalte.
4. Kommunikation zwischen Wissenschaft und Alltag
29
Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß heute der wesentliche Aspekt in der
Wissenschaftsethik die Identifikation von Punkten oder Orten ist, an denen im
29
Die folgenden Überlegungen basieren auf den wissenschaftslogischen Grundlagen aus R. Born:
”Verantwortung: Reden und Handel“. In: Wissen und Gewissen. (Hrsg.: Otto Neumaier, Wien 1986, pp 196 211. Weiters auf R. Born: ”Sparche - Information - Wirklichkeit (Überlegungen zum Verhältnis von
wissenschaftlicher und alltäglicher Erfahrung). In H. J. Schneider/R. Inhetven: Enteignen uns die
Wissenschaften (Zum Verhältnis zwischen Erfahrung und Empirie), München 1992, pp 141 - 178.
r.born
-
22
-
Wissenschaftsbetrieb
dieser
Suche
Verantwortung
kann
auch
eingebracht
damit
werden
begonnen
- 23 kann und
werden,
soll.
den
Im
Zuge
Prozeß
der
Operationalisierung von Verantwortung zu analysieren. Dabei stellen wir fest, daß
Operationalisierung nicht nur bedeutet daß man genau angibt, wie man zu
verantwortlichen Entscheidungen kommt (im Sinne von formalen Kriterien), sondern
auch, wie man zu Rechtfertigungsargumentationen
gelangt, die helfen können,
eine Entscheidung durch Bezug auf akzeptierte Werte klar zu machen/zu objektivieren
[zwingend nachvollziehbar zu machen/d. h. einen Zustimmungszwang zu erzeugen].
Im Versuch, eine allgemeine Einsichtsfähigkeit30 (für die Nachvollziehbarkeit ethisch
begründender Argumentationen) zu finden, kommt einer ”kreativen Semantik” eine
tragende Rolle zu. Normalerweise funktioniert Verstehen so, daß wir uns im Rahmen
dessen, was wir schon wissen, einen Reim auf Neues machen. Unser eigenes Hintergrundwissen wird praktisch nicht verändert, die Interpretation der Fakten bleibt
konstant. Im Zuge einer signifikanten Wissensänderung müssen wir Ergebnisse im
breiteren Kontext sehen und gelegentlich fest eingefahrene Vorstellungen aufgeben.
In diesem Fall ändert sich der Bezug von Sprache auf die Realität in einem kreativen
Sinn (cf kreative Semantik), und neue Sichtweisen und Interpretationen von Fakten
werden ermöglicht.
Auch heute noch reden wir zwar davon, "daß die Sonne am Morgen aufgeht", meinen
damit aber genaugenommen, daß sich die Erde um ihre eigenen Achse gedreht hat.
Allerdings darf die allgemeinverständliche Phrase "die Sonne geht auf" nicht ohne das
in ihr verborgene Hintergrundswissen weitergegeben werden. Im Verlust dieses
30
Gemeint ist, daß man die Antennen, die einem gekappt wurden (wie das ein Physik-Student mir gegenüber
einmal ausdrückte), zu reaktivieren versucht.
r.born
-
23
-
- 24 (vielleicht neuen) Hintergrundswissen besteht die große Gefahr der Forderung, alles
müsse auf die Alltagsebene reduziert, auf ihr abgehandelt und in ihr kommuniziert
werden.
Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht so ohne weiteres davon ausgehen, daß es
genau eine (universelle) globale wissenschaftliche Karte der Welt gibt. Gerade das
wissenschaftliche Denken ist auch nur ein Aspekt, unter dem die Welt (vielleicht) so
beschrieben werden kann, daß wir zu einem geeigneten Umgang mit ihre gelangen
können. Wenn wir aber einmal davon ausgehen, daß es kein einheitliches, absolutes
Bild von der Welt gibt, das wir zu unserer Orientierung benutzen können, dann ist es
vielleicht auch leichter, gemeinsame aber pluralistische (wissenschaftliche und
alltägliche) Lösungen zu suchen. So wäre es zum Beispiel wichtig, ein positives
Moment des natürlichen Alltagsdenkens, nämlich die "Kompensation" von raschen
Beurteilungen durch eine Alltagsreflexion, in diesem Dialog zu installieren.
Während klassische ethische Argumentationen also von einem absolutistischen
Wissenschaftsbild und einer individualistischen Verantwortung der Wissenschaftl e r 31ausgehen, fordern neuere Ansätze (im Gefolge der Wissenschaftstheorie) ein
wesentlich
pluralistischeres
Wissenschaftsbild
und
eine
stärker
ausgeprägte
kollektive
Verantwortung.32 (Wissenschafts-) Ethik wird somit zur Notwendigkeit ,
wenn man in einer Gemeinschaft überleben will, da nur sie die notwendige
REFLEXIVE
K ORREKTUR
bei
der
verantwortlichen
Aufbereitung
und
31
Die nur schwer durch Berufung auf eine wissenschaftliche Methodologie der einzelnen Disziplinen
abgewälzt werden kann.
32 Cf Nell, Edward J., Making Sense of a Changing Economy. Technology, markets and morals,. Routledge,
London 1996.
r.born
-
24
-
Kommunikation
von
wissenschaftlichen
Ergebnissen,
- 25 beim Umgang
mit
Wissen, einbringen kann.
Eine kreative Form von Operationalisierung berücksichtigt also, daß man aufgrund der
Tatsache, daß nicht alles in die Alltagssprache übersetzt werden kann, im Bereich
der
klassischen
individualistischen
Argumentationsstrategien
zu
neuen
Rechtfertigungsargumentationen
kommen
muß,
eventuell
neue
Werte
(Informations-
pflicht) identifizieren oder alte adaptieren bzw erweitern muß. Letzlich kann nur so
ein verantwortliches Handeln gerechtfertigt werden, und zwar in einem objektiven,
verbindlichen Sinn. Dies erlaubt es einem Wissenschaftler zum Beispiel, auch gegen
die Interessen seines Staates oder wem immer er verpflichtet ist, Informationen
zurückzuhalten oder Forschungen zurückzustellen, wenn er es mit seinem Gewissen
(das nun nichts rein Subjektives zu sein braucht) nicht vereinbaren kann, daß die
Ergebnisse/Informationen ohne das für eine sinnvolle Anwendung notwendige
Hintergrundswissen kommuniziert werden.
Hier möchte ich die anfangs angesprochene Idee eines Wissenschafts-Ethos33 wieder
aufgreifen. In diesem Zusammenhang könnten es bedeuten, daß utopisch gesprochen
ein internationales Abkommen -- ähnlich dem Atomsperrvertrag -- geschlossen wird,
bestimmte Forschungen entweder nicht zu betreiben oder die Ergebnisse nicht im
üblichen Sinne öffentlich zugänglich zu machen. Gleichzeitig sollte aber auch so
etwas wie ein internationaler Schutz -- ein spezielles Menschenrecht -- von
Wissenschaftlern festgeschrieben werden, damit sie nicht beliebig unter Druck
gesetzt werden können. Derartige Rechte dürfen nicht als Luxus , sondern müssen im
33Cf
nochmals ”Research Ethics“, ed. R. L. Penslar, loc cit. (FN 22).
r.born
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25
-
- 26 Rahmen der Evolution der Menschheit als notwendige Voraussetzung gesehen werden,
um überlebensadaequates Wissen zu schaffen, sodaß eine bessere Anpassung an die
(Ver-)Änderungen in unserer Welt gegeben ist.
r.born
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26
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