ARSENAL FILMVERLEIH präsentiert INTIME FREMDE (Confidences trop intîmes) Ein Film von Patrice Leconte Mit Sandrine Bonnaire, Frabrice Luchini, Anne Brochet u.a. Frankreich 2003, 104 min, 35 mm, Cinemascope Farbe, Dolby SR, OmU und deutsche Fassung Wettbewerbsbeitrag Berlinale 2004 Verleih: Presse: Arsenal Filmverleih Hintere Grabenstr. 20 72070 Tübingen Tel.: 07071-92 96 0 Fax: 07071-92 96 11 [email protected] www.arsenalfilm.de Filmpresse Meuser Egenolffstr. 13H 60316 Frankfurt Tel.: 069-40 58 04 0 Fax: 069-40 58 04 13 [email protected] -1- Besetzung Anna Sandrine Bonnaire William Fabrice Luchini Doktor Monnier Michel Duchaussoy Jeanne Anne Brochet Marc Gilbert Melki Luc Laurent Gamelon Frau Mulon Hélène Surgère Chatel Urbain Cancelier Die Sekretärin Monnier Isabelle Petit-Jacques Die Hausmeisterin Véronique Kapoian Der Jogger Benoît Petre Herr Michel Alberto Simono Le client douane Claude Dereppe Die Studentin Nabokov Aurore Auteuil Der Möbelpacker Ludovic Berthillot Die Tanzstunden-Hilfe Sabrina Brezzo Stab Drehbuch und Dialoge Jérôme Tonnerre Adaption Jérôme Tonnerre et Patrice Leconte Produzent Alain Sarde Ausführende Produzentin Christine Gozlan Produktionsleitung Yvon Crenn Kamera Edouardo Serra Schnitt Joëlle Hache Ton Paul Laine Erster Regieassistent Hubert Engammare Skript Maggie Perlado-Ridao Casting Catherine Deserbais Aufnahmeleiter François Menny Filmstills Catherine Cabrol Kostüme Sandrine Kerner Requisiten Ivan Maussion Musik Pascal Estève Ton Dolby DTS -2- Kurzsynopsis Weil sie sich in der Tür geirrt hat, vertraut Anna (Sandrine Bonnaire) dem Steuerberater William Faber (Fabrice Luchini) ihre Eheprobleme an. Da ihm ihre Nöte sehr zu Herzen gehen und er ihre Geständnisse auch aufregend findet, bringt er es nicht fertig, ihr die Wahrheit zu sagen – dass er keineswegs der Psychotherapeut ist, für den Anna ihn hält. Im Lauf der Zeit stellt sich zwischen ihm und der jungen Frau ein seltsames Ritual ein, das von Termin zu Termin und mit jedem Geständnis ein engeres Band zwischen ihnen webt. Jedes Mal ist William aufs Neue bewegt – fasziniert erfährt er Geheimnisse, die jede Frau für sich behalten würde und die außer ihm nie jemand erfahren wird. Aber wer ist Anna wirklich? Und durchschaut sie sein Spiel tatsächlich nicht? Inhalt Patrice Lecontes 20. Spielfilm ist eine provokante Liebesgeschichte im Gewand eines spannenden Thrillers. Mit Hitchcock’schem Suspense und Elementen des klassischen Hollywood-Melodrams, und doch mit seiner eigenen Handschrift versehen, hat Leconte eine Geschichte erschaffen, die aus den üblichen Themen moderner Beziehungsgeschichten – Lust, Angst, Obsessionen, Geheimnisse, Missverständnisse, Wandlungen – einen verspielten Thriller zusammenknüpft. Alles fängt damit an, dass die unglückliche Anna sich auf ihrem Weg zum Psychiater in der Tür irrt. Als sie nämlich unwissentlich in das falsche Büro eintritt, wird sie von dem ihr unbekannten William Faber empfangen, der eigentlich ein schüchterner Steuerberater ist. Anne erklärt, dass sie in einer persönlichen Notlage ist, und – bevor William etwas einwenden kann –, fängt sie an, die intimsten Details aus ihrem Ehe- und Sexualleben vor ihm auszubreiten. Schnell erklärt sie, dass sie seit vier Jahren verheiratet, ihr Ehemann arbeitslos ist (während sie in einer Edelboutique arbeitet), und dass sie und ihr Mann seit sechs Monaten keinen Sex mehr hatten. Und sie gesteht, dass sie Angst hat, verrückt zu werden. Erschrocken über diese Details bringt es William dennoch nicht übers Herz, der verzweifelten Frau seine wahre Identität zu offenbaren. So spielt er mit und akzeptiert einen weiteren Termin als ihr Therapeut. Sie geht, ohne ihren vollen Namen oder ihre Telefonnummer hinterlassen zu haben. Bei ihrer zweiten Visite versucht William vergeblich, das Missverständnis aufzuklären. Anna verschlägt ihm abermals mit neuen intimen Details aus ihrem Privatleben die Sprache. Verzweifelt versucht er, seinen Fehler rückgängig zu machen, folgt Anna auf die Straße hinunter und fragt seinen Nachbarn, den echten Psychiater Dr. Monnier nach ihrer Telefonnummer – was jedoch nur dazu führt, dass William vorübergehend selbst zu einem Patienten des altklugen Doktors wird. Langsam wird Anna zu Williams Obsession. Schließlich kommt es zu einem dritten Treffen, bei dem Anna, nachdem sie erfahren hat, wer William wirklich ist, ihm zornig seine List vorhält und ihn beschuldigt, ihr Vertrauen ausgenützt und sie hintergangen zu haben. Und doch… sie kommt wieder. Sie will und muss weiterreden, und er sehnt sich danach, sie anzuschauen, mit ihr zusammen zu sein, sie kennen zu lernen. Bald haben Anna und William ihre wöchentlichen Termine trotz allem wieder aufgenommen. Weil er nicht widerstehen kann, diese höchst ungewöhnliche und scheinbar vom Schicksal bestimmte „Therapie“ weiterzuführen, wird William langsam aus seiner Schale gelockt, je mehr er Annas befremdliche und delikaten Ehegeheimnisse zu hören bekommt. Und je mehr Anna sich derweil ausspricht, desto mehr lässt ihre Beklemmung nach, da sie realisiert, dass sie einen Mann gefunden hat, der so zuhören kann, wie niemand sonst, dem sie begegnet ist. -3- Doch als ihre Sitzungen immer tiefgehender werden, wird William zunehmend argwöhnisch. Wer ist diese Frau, die von verkrüppelnden Unfällen und kontrollsüchtigen Ehemännern erzählt. Ist sie in Gefahr? Ist sie gar gefährlich? Lügt sie? Williams eigene Motive sind gleichermaßen suspekt. Denkt er, er könne Anna retten? Sucht er einfach nur den voyeuristischen Thrill bei ihr? Oder ist er kurz davor, sich gefährlich zu verlieben? In einem gewundenen, psychologischen Katz-und-Maus-Spiel jagen Anne und William sich gegenseitig zu Orten, die zu erreichen keiner von beiden je erwartet hätte – und bilden allmählich ein Band des Vertrauens, das sie – von Begegnung zu Begegnung – in neue Menschen verwandelt. Am Ende trennt sich Anna von ihrem Mann, und fängt irgendwo im Süden ein neues Leben als Tanzlehrerin an. Und William packt zum ersten Mal in seinem Leben die Koffer, um ihr nachzureisen… Patrice Leconte Geboren 1947 in Paris, wuchs Patrice Leconte in Tours auf. 1968 begann er ein Studium an der Pariser Filmschule IDHEC, das er 1969 mit einem Regiediplom abschloss. Von 1970 bis 1995 arbeitete Leconte als Autor und Zeichner von Bildergeschichten für die Zeitschrift „Pilote”. 1975 gab er sein Regiedebüt mit einer Comic-Verfilmung. Es folgen Komödien und Satiren, ehe er sich mit der Stilübung „Die Spezialisten“ (1984) und der „amour fou”-Geschichte „Die Verlobung des Monsieur Hire“ (1988) als anerkannter Autorenfilmer etablierte. 1997 wurde Lecontes Film „Ridicule“ für den Oscar nominiert. Vor vier Jahren erschien seine Autobiografie mit dem Titel „Je suis un imposteur” (2000). Interview mit Patrice Leconte Wie ist ihr neues Projekt entstanden? Alain Sarde und Christine Gozlan haben mir vorgeschlagen, einen Stoff von Jérôme Tonnerre zu lesen. Es handelte sich um einen Storyentwurf von ungefähr 30 Seiten, der mich sofort in Bann zog. Ich habe darin die Grundlage einer Art Thriller der Gefühle gesehen. Alles fängt mit einer Verwechslung an und entwickelt sich dann weiter auf dem schmalen Grat zwischen Geheimnis und Verlangen. Diese Geschichte faszinierte mich. Zusammen mit Jérôme habe ich mich daraufhin an die Adaption gemacht. Welche Aspekte hatten es Ihnen besonders angetan? Die atypische, überraschende und intime Begegnung. Die beiden Hauptpersonen öffnen sich erst nach und nach. Das trifft besonders auf Anna zu, gespielt von Sandrine Bonnaire. Ich mag es, dass man nicht auf Anhieb weiss, wer sich hinter dieser jungen Frau versteckt. Ist sie einfach nur unglücklich? Ist sie krankhaft verlogen? Alles scheint möglich. Sie behauptet, in größter Verzweiflung zu sein, aber vielleicht täuscht sie William nur. Die Schauspieler anzuleiten und in Szene zu setzen und dies dabei im Hinterkopf zu behalten war eine packende Erfahrung. Man muss mit dem äusseren Schein spielen und Zweifel zulassen. -4- Haben Sie während der Adaptation des Stoffes schon an Ihre Schauspieler gedacht? Nein, wir haben uns Anna und William vorgestellt, ohne zu wissen, wer sie verkörpern wird. Uns schwebten zwar einige Namen vor, aber wir verschoben die Wahl auf später. Es kommt vor, dass die Schauspieler eine Quelle der Inspiration sind, aber bei diesem Film schrieben wir in erster Linie für die Figuren, nicht für die Darsteller. Toll finde ich, dass wir uns – als der Film fertig war – sagen konnten: „Wer sonst außer Sandrine und Fabrice hätte Anna und William spielen können?“ Beide haben die Figuren einzigartig und spannend gemacht! Was hat Sie zu den beiden geführt? Ich kannte Sandrine Bonnaire seit DIE VERLOBUNG DES MONSIEUR HIRE und wir wollten schon immer wieder einen Film zusammen machen. Wir warteten einfach auf eine gute Gelegenheit. Als das Drehbuch fertig war, konnte ich mir niemand anderen mehr vorstellen. Ohne zu zögern, akzeptierte sie die Rolle, die vielschichtiger und auch schonungsloser war als ihre bisherigen Rollen. Mit Fabrice Luchini war das Vorgehen anders. Ich kannte ihn nur als Kinogänger. Alain Sarde und Christine Gozlan nannten mir seinen Namen, und ich fand das eine hervorragende Idee. Diese Rolle ist ziemlich neu für ihn, tiefgehender und offener… In diesem Film ist er nicht grundlegend anders als in Wirklichkeit. Man entdeckt in ihm eine Menschlichkeit, eine Zerbrechlichkeit und vollkommen unerwartete Gefühle. Anna wirkt sehr verstörend, wenn sie mit unglaublicher Selbstsicherheit und einer Engelsruhe Dinge unglaublich direkt ausspricht. Und er, der niemals geglaubt hätte, je so etwas zu hören, ist davon überwältigt. Er betritt ein Gebiet, das er nicht beherrscht: das der weiblichen Geheimnisse. Das ist auch einer der Punkte, den ich so spannend fand. Sandrine Bonnaire und Fabrice Luchini bilden ein ziemlich überraschendes Paar. Wie haben sie zusammen funktioniert? Ich bestand auf einem absolut gegensätzlichen Paar: zwei Schauspieler aus verschiedenen Kategorien, die nicht zusammenpassen. Normalerweise hätten sich die beiden nie getroffen, wenn sie sich nicht in der Tür geirrt hätte. Das ist ja gerade der Kern des Films. Anna hätte William niemals treffen sollen, und Sandrine hätte Fabrice möglicherweise nie getroffen. Sie haben sich gegenseitig sehr geschätzt, und haben trotzdem jeder auf ihre eigene Art gespielt. In manchen Momenten im Film verstehen sie sich, dann brechen die Differenzen und Dissonanzen in Situationen hervor, denen sie sich stellen müssen. Ihr Film spielt stark mit der gegenseitigen Erwartung der beiden Figuren. Genau das macht den Gefühls-Thriller aus, der eine Mischung aus Geheimnis, Unsicherheit, Angst und Zweifel ist. Die Spannung baut sich rund um die Gefühle herum auf. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte, die aber stark verzerrt, atypisch und auch platonisch ist. Ich habe es schon immer gemocht, die Spannung zu verlängern. Alles, was «vorher» ist, ist schön zu filmen und betört mich. Der Film hat viele starke Nebenrollen. Ich hatte bei DIE WITWE VON SAINT-PIERRE schon einmal mit Michel Duchaussoy zusammengearbeitet, und ich war erfreut, ihn wieder treffen zu können. Er ging in der Rolle des Psychotherapeuten förmlich auf. Und Anne Brochet habe ich ganz besonders gern. Ihre Figur, Jeanne, war nicht einfach darzustellen. Wenn in diesem Film jemand nichts gewinnt, dann ist das sicher Jeanne. Sie ist hervorragend. Hélène Surgère ist Madame Mulon, die treue «Familiensekretärin». Sie verleiht der Figur eine sehr glaubwürdige mütterliche Dimension. Die von Gilbert Melki verkörperte und sehr wichtige Person – da sie von Anna ununterbrochen erwähnt wird – kommt nur in zwei Szenen vor, und steht daher gewissermaßen unter Erfolgszwang. Gilbert Melki war beispielhaft. Ich erinnere mich vor allem an seinen schwarzen, abgrundtiefen, schrecklichen Blick, der in derselben Sekunde auch eine große Verletzlichkeit verriet. Ist Ihnen ein Bild der Dreharbeiten im Gedächtnis geblieben? -5- Viele! Und die eindrücklichsten sind wie immer mit den Schauspielern verbunden. Ich habe bisher das Glück gehabt, mit sehr guten Schauspielern zu arbeiten, die mir wundervolle Momente beschert haben. Und einmal mehr: die Arbeit von Sandrine und Fabrice aus der Nähe mitzuverfolgen, ist ein Privileg. Ihre Offenheit und Glaubwürdigkeit haben mich berührt. Ich kümmere mich selbst um die Bildeinstellungen, und es kann sein, dass dies die Schauspieler veranlasst, sich noch stärker einzubringen. Es entsteht eine fast sinnliche Beziehung. Während der Aufnahmen hatte ich das Gefühl, eine Figur aus dem Film zu sein, ein virtueller Schauspieler, ein Kronzeuge. "Schnitt" zu sagen, sich einige Zentimeter nach vorn zu beugen, um dann denjenigen ins Gesicht zu blicken, die der Geschichte Leben einhauchen, ist unbezahlbar ... Filmografie (Auswahl): 1975 1978 1979 1984 1986 1989 1990 1993 1996 1999 2000 2001 2002 2003 2004 LES VECES ETAIENT FERMES DE L’INTERIEUR LES BRONZES (DIE STRANDFLITZER) LES BRONZES FONT DU SKI (SONNE, SEX UND SCHNEEGESTÖBER) LES SPECIALISTES (DIE SPEZIALISTEN) TANDEM (EIN UNZERTRENNLICHES GESPANN) MONSIEUR HIRE (DIE VERLOBUNG DES MONSIEUR HIRE) LE MARI DE LA COIFFEUSE (DER MANN DER FRISEUSE) LE PARFUM D’YVONNE (DAS PARFUM VON YVONNE) TANGO (TANGO MORTALE) RIDICULE (RIDICULE – VON DER LÄCHERLICHKEIT DES SCHEINS) LA FILLE SUR LE PONT (DIE FRAU AUF DER BRÜCKE) FELIX ET LOLA LA VEUVE DE SAINT-PIERRE (DIE WITWE VON SAINT-PIERRE) RUE DES PLAISIRS L’HOMME DU TRAIN CONFIDENCES TROP INTÎMES (INTIME FREMDE) DOGORA SANDRINE BONNAIRE – Anna Sandrine Bonnaire wurde 1967 in Paris als Kind einer Arbeiterfamilie mit zehn Geschwistern geboren und ist mittlerweile eine international bekannte Filmschauspielerin. Ihre schauspielerische Karriere begann mit 16 Jahren, als Maurice Pialat sie 1983 unter Tausenden Teenagern auswählte und für seinen Film AUF DAS, WAS WIR LIEBEN verpflichtete. Sandrine Bonnaire spielt dort ein Vorstadtmädchen, das erste sexuelle Erfahrungen macht. Bereits ein Jahr später erhielt sie den „César“ als beste Nachwuchsdarstellerin. Sandrine Bonnaire ist wie Juliette Binoche eine der aufregendsten Frauen des jungen französischen Films, immer wieder wurde sie ausgezeichnet – ob für Agnés Vardas VOGELFREI (1985), mit dem ihr der internationale Durchbruch gelang, oder für Pialats UNTER DER SONNE SATANS (1987) an der Seite von Gérard Depardieu. Es folgten 1989 DIE VERLOBUNG DES MONSIEUR HIRE von Patrice Leconte sowie weitere Arbeiten mit Jacques Doillon und Claude Sautet. -6- In der zweiteiligen Verfilmung des Jeanne d’Arc-Stoffes von Jacques Rivette (1993) spielte sie die Titelheldin äußerst differenziert. Ein herrliches Wechselspiel lieferte sie sich mit Isabelle Huppert in Claude Chabrols Gesellschaftssatire BIESTER („La cérémonie“, 1995); das Duo erhielt 1996 für seine Darstellung gemeinsam den Hauptdarstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig. Ihre bemerkenswerteste Leistung bot sie in „Secret défense“ von Jacques Rivette (1998). Die Filmsequenz im TGV Paris–Lyon, mit dem sie zu einem geplanten Mordvorhaben reist, ist ein Höhepunkt cineastischer Schauspielkunst. Interview mit Sandrine Bonnaire Wann haben Sie das erste Mal von diesem Projekt gehört? Als ich von den Dreharbeiten für LA MAISON DES ENFANTS für das Fernsehen im Juli 2002 nach Hause zurückkehrte, lag da ein Brief von Patrice. Ich erkannte seine charakteristische Schrift und die rote Farbe sofort. Seit MONSIEUR HIRE hatten wir uns kaum mehr gesehen. Einmal war von einem Projekt die Rede gewesen, das aber ins Wasser fiel. Umso glücklicher war ich, dass Patrice wieder an mich gedacht hatte. Wir trafen uns, und er gab mir das Drehbuch zu lesen, ohne viel dazu zu sagen. Ich las es sehr schnell – es war Liebe auf den ersten Blick! Jérôme Tonnerre ist ein hervorragender Drehbuchautor: raffiniert, lustig, und aufwühlend, ohne dabei gekünstelt zu wirken. Ich schätzte die Feinheit der Dialoge, die eine intensive und zugleich amüsante Rolle erwarten ließen. Wie haben sie die geheimnisvolle Seite ihrer Figur entwickelt? Das war einer der wesentlichen Aspekte meiner Rolle. Beim Lesen des Drehbuchs fragte ich mich, wer diese Frau eigentlich ist; ob sie psychische Probleme hat nur eine verwirrte Seele ist. Wir haben diese Frage mit Patrice aus zwei Blickwinkeln betrachtet. Es gibt da den Aspekt des Spiels, der Manipulation. Wir haben aber auch viel über Verlangen gesprochen. Die Frau wird von ihrem Mann nicht mehr begehrt und sieht sich dann unvermittelt einem Mann gegenüber, der sie verführerisch findet. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl, und sie spielt damit. Erst mit der Zeit wird sie die Kontrolle verlieren, von ihren eigenen Gefühlen überwältigt. In dieser Diskrepanz konnte ich Distanz gewinnen, was Anna noch rätselhafter machte. Patrice wollte, dass sie trotz ihrer Ambiguität liebenswert ist. Sie musste sehr fragil, fast wie ein Kind, wirken, damit William ihr zuhören, sich ihr zuwenden würde. Ihre Zwiespältigkeit entwickelt sich die gesamte Handlung über. Können Sie dazu etwas sagen? Alles an ihrer Haltung gibt über ihre innere Entwicklung Aufschluss. Sie verändert sich. Das zeigt sich in ihrer Körperhaltung, an ihrer Kleidung, in ihrem Verhalten. Je länger sie diese Beziehung pflegt, desto mehr öffnet und entfaltet sie sich. Sie trägt hellere Farben, zieht ihre Handschuhe aus, streift ihren Regenmantel ab. Sie entdeckt sich selbst. Der rituelle Aspekt ihrer Begegnungen war auch wichtig. Jedes Mal mussten wir einen Schritt weitergehen, alle Ebenen der Beziehung durchschreiten. Jede ihrer Begegnungen findet unter neuen Voraussetzungen statt. Hat ihnen die chronologische Reihenfolge der Dreharbeiten geholfen? Ja, sehr. Es half mir, der Person eine Gestalt zu geben. An denselben Ort zurückzukehren, war beruhigend. Vermutlich arbeite ich darum gern im Studio. Es ist ein bisschen, wie wenn man vorübergehend ein Haus mietet. Ich hatte meine Bezugspunkte, was für mich sehr wichtig ist. Die Rolle war eine stete Suche nach dem Gleichgewicht. Das Prickelnde musste erhalten bleiben, aber ohne die Ergriffenheit zu vernachlässigen. Der Anlass für diese Begegnung ist universal. Viele Frauen jeden Alters können sich mit Anna identifizieren. Das Drehen in chronologischer Abfolge mit dem Handlungsablauf ermöglichte es mir zudem, vorwärts zu gehen, ohne mich zu verzetteln, ohne die Person zu verlieren. Sie existiert in der Kontinuität, sie beruht auf einer kohärenten Logik des Erlebten. -7- Hin und wieder provoziert Anna William. Ist sie auf eine Reaktion erpicht? Obwohl er kein Psychotherapeut ist, durchläuft sie eine Art Therapie mit ihm, die durchaus beiden dient. William tut der Kontakt mit ihr gut. Anna, die sehr einsam ist, sieht darin eine kleine Aufgabe, sie kann sich nützlich machen und ihre eigenen Probleme etwas zurückstellen. Manchmal brüskiert sie ihn, um ihm zu helfen. Zu Beginn geschieht dies sehr berechnend, sie manipuliert ihn – eine Art Verführung ihrerseits. Sie weiß, dass er eine Schwäche für sie hat. Doch dann fällt sie ihrer eigenen Kriegslist zum Opfer. In einer Szene sagt er zu ihr: "Es ist gefährlich: und wenn Sie sich verlieben würden?", und sie antwortet: "Zuerst müsste ich ihm mal begegnen". Sie sagt dies nicht in völliger Unschuld; sie treibt ein Spielchen. Aber sie ist verwirrt und muss sogleich aufstehen, um ihre wahren Gefühle zu verbergen. In Ihrer Rolle sprechen Sie viel, manchmal Klartext, mit derben Worten. Man entdeckt eine neue Seite an Ihnen. Beim Lesen des Drehbuchs dachte ich, die Figur werde schwer darzustellen sein. Derbe Sprache ist nicht meine Sache, und ich befürchtete, dass ich erröten würde. Doch der Text will nicht schockieren. Zudem zitiert Anna oft ihren Mann. Ihre Figur lebt zum Teil auch von diesem Kontrast. Sie selbst ist ziemlich naiv und schamhaft. War es nicht etwas ganz Besonderes für Sie, diese Rolle vor Fabrice Luchini zu spielen? Tatsächlich ist es so, dass Fabrice anders ist, als man ihn kennt. Er steckt meistens in der Rolle des Zuhörers, er ist zurückhaltend und in sich gekehrt. Und sehr aufwühlend. Wir haben uns gut verstanden. Wir schauten über das Bild hinaus, das wir voneinander hatten, um uns wirklich kennen zu lernen. Ein bisschen wie die Geschichte im Film! Er sah mich als ernste, engagierte Frau mit einer etwas melodramatischen Seite. Dann entdeckte er meine spielerische Seite, und wir begannen, anders zu funktionieren. Diese Verbindung entstand übrigens nicht auf Anhieb, er war sehr reserviert. Entgegen den allgemeinen Vorstellungen ist er äußerst scheu. Sobald die Bilder, die wir voneinander hatten, weggewischt waren, stellte sich die Vertrautheit ein. Es entstand eine Art Spiegelung, die extrem interessant war. Wir halfen uns, die Klangfarbe unserer Figuren zu bewahren. Wir interpretierten die Partitur gemeinsam. Wie war die Arbeit mit Patrice Leconte? Patrice und ich funktionieren ziemlich ähnlich. Er ist kein Mann der vielen Worte, er handelt instinktiv. Er kann sehr präzise sein, ohne stundenlang alles analysieren zu müssen. Seine Begeisterung kann ansteckend wirken, und er hat ein großes Savoir-vivre. Er weiß genau, was er verlangen kann und ist ein Meister im Zusammenführen der Schauspieler mit ihren Rollen und der Schauspieler untereinander. Und das weiß er zu filmen. Was wird Ihnen von diesem Film bleiben? Freude und Leichtigkeit. Vielleicht ist es noch zu früh, dies zu sagen, aber ich glaube, der Film bringt Hoffung und Licht. Es ist ein Film des Frühlings, der Erneuerung, der Entdeckung. Es gibt einige Einstellungen, bei denen Patrices Blick und Eduardo Serras Licht ihrerseits ein Leuchten bewirken. Sie haben es sogar geschafft, dass ich Grossaufnahmen zu schätzen begann. Der Inhalt des Films rechtfertigte diese intime Annäherung, aber sie lag nicht auf der and. Anna wird für mich eine prägende Rolle bleiben. Am Ende der Dreharbeiten war ich ein bisschen traurig, diese Person zu verlassen. Ich fühlte mich wohl mit ihr und mit William. Es ist wirklich ein außergewöhnlicher Film. Filmographie (Auswahl): 2004 2003 2001 Le cou de la girafe von Safy NEBBOU Confidences trops intimes von Patrice LECONTE C'est la vie von Jean-Pierre AMERIS -8- 2000 1998 1997 1996 1995 1992 1991 1988 1987 1985 1984 1983 Mademoiselle von Philippe LIORET Au cœur du mensonge (Die Farbe der Lüge) von Claude CHABROL Est-ouest (Far East – Eine Liebe in Russland) von Régis WARGNIER Secret défense von Jacques RIVETTE Die Schuld der Liebe von Andreas Gruber Never Ever (Verhängnisvolle Begegnung) von Charles FINCH La Cérémonie (Biester) von Claude CHABROL Jeanne la pucelle – Les batailles (Johanna , die Jungfrau - Der Kampf / Der Verrat) von Jacques RIVETTE Les solitudes von Jacques RIVETTE Le ciel de Paris (Der Himmel über Paris) von Michel BENA La peste (DIE PEST) von Luis PUENZO Peaux de vaches (Mistkerle) von Patricia MAZUY Monsieur Hire (Die Verlobung des Monsieur Hire) von Patrice LECONTE Sous le soleil de satan von Maurice PIALAT Les innocents (Die Unschuldigen) von André TÉCHINÉ Quelques jours avec moi (Einige Tage mit mir) von Claude SAUTET Le jaune revolver (Der gelbe Revolver) von Olivier Langlois Sans toit ni loi (Vogelfrei) von Agnès VARDA Police (Der Bulle von Paris) von Maurice PIALAT À nos amours (Auf das, was wir lieben) von Maurice PIALAT -9- FABRICE LUCHINI – William Fabrice Luchini – Jahrgang 1951 – ist in seiner Heimat ein Superstar, als Charakterdarsteller und Komödiant gleichermaßen erfolgreich. 1969 begann seine Karriere, schon ein Jahr später spielte er seine erste Rolle in einem Film seines späteren Lieblingsregisseurs Eric Rohmer (CLAIRES KNIE), der Luchini zwischen 1978 und 1992 vier Mal besetzte (PERCEVAL LE GALLOIS, VOLLMONDNÄCHTE, VIER ABENTEUER VON REINETTE UND MIRABELLE, DER BAUM, DER BÜRGERMEISER UND DIE MEDIATHEK). Zum Triumph für ihn wurden auch Christian Vincents Liebesgeschichte DIE VERSCHWIEGENE, Edouard Niemans Schnitzler-Verfilmung CASANOVAS RÜCKKEHR als Diener und Freund des alternden Frauenhelden, die Titelrolle in Edouard Molinaros Biografie BEAUMARCHAIS – DER UNVERSCHÄMTE (wo er mit Michel Piccoli und Sandrine Kiberlain spielt) oder Claude Lelouchs böse Komödie MÄNNER UND FRAUEN – DIE GEBRAUCHSANLEITUNG. Wie kamen Sie zum Filmprojekt? Jérôme Tonnerre gab mir rund 30 Seiten zu lesen. Die Grundidee war gut, aber für ein Urteil war es noch zu früh. Sie irrt sich in der Tür, und damit hat es sich. Mit jeder neuen Version entfernte sich das Drehbuch von der ursprünglichen Idee. Patrice Leconte kam darauf zurück. Er hatte den Mut, ganz nah am Wesentlichen zu bleiben und alles Pittoreske zu streichen. Er war karg und nüchtern und wurde dadurch sehr sinnlich; er war streng und wurde dadurch sehr frei, und er war zurückhaltend bei der Inszenierung und erregte dadurch besondere Aufmerksamkeit. Was halten Sie vom Film? Ich bin unfähig, mich zu beurteilen, aber ich habe Sandrine Bonnaire gesehen. Diesem Film gelingt genau das, wonach alle so genannten Actionfilme mit ihren Autoverfolgungsjagden, Schiessereien, Bettszenen usw. streben. INTIME FREMDE ist ebenso spannend wie ein Thriller und ebenso erotisch, wie wenn die Schauspieler dauernd nackt herumliefen. Das Hervorragende an diesem Film ist, dass er immer mysteriös bleibt, ohne undurchdringbar zu werden. Sandrine Bonnaire ist nie nackt, aber stets begehrenswert. Es kommen keine Sexszenen vor, aber das Verlangen ist immer da. Waren Sie überrascht vom Unterschied zwischen dem Drehbuch und dem, was im Zusammenspiel mit Sandrine Bonnaire daraus entstand? Diese Frage will ich mir gar nicht stellen. Ein Schauspieler soll nicht denken. Sobald man sich die Dinge erdenkt, spielt man sie nicht mehr! Patrice hat die Interpreten um eine Partitur versammelt, die mir, als ich sie spielte, unglaublich dünn vorkam. Als ich den Film aber sah, empfand ich sie als extrem dicht. Ich dachte, die Stärke des Films liege im Minimalismus, doch schließlich verwandelte sich dieser in Dichte. Wie war die Zusammenarbeit mit Sandrine Bonnaire? Der Austausch war sehr intensiv. Sie ist eine großartige Schauspielerin mit einer starken Intuition. Sie gibt einem viel mit ihrem Spiel, sie lässt ihren Partner gewissermaßen erstrahlen. Dieser Film ist eine Gegenüberstellung von Angesicht zu Angesicht, ohne Fluchtmöglichkeit. Wir mussten uns aufeinander abstützen. Es ist lustig, denn im Leben fühle ich mich weder mit Patrice Leconte noch mit Sandrine Bonnaire besonders verbündet. Aber auf beruflicher Ebene, bei der Arbeit, war die Verbündung da. Patrice hat einen Film mit einer außergewöhnlichen Interpretin und einer interessanten Rolle gemacht und uns damit reich beschenkt. Die Palette der Interpretationsmöglichkeiten war sehr groß und ließ keine Monotonie aufkommen. Alle möchten mehr wissen über diese beiden Menschen, über ihre Zukunft. Die Begegnung ist ungewöhnlich, vor allem weil sie die Mann-Frau-Beziehungen aus einem intimen, unmittelbaren Blickwinkel betrachtet. Patrice hat ein Thema behandelt, das nie intellektuell ist, nie trocken, sondern sich der heiklen Erforschung der - 10 - Liebesbeziehung widmet. Fern jeglicher Effekthascherei hat er die Entstehung einer solchen Beziehung gefilmt. Beim Betrachten des Films vergisst man, wer spielt und ist von der Begegnung dieser beiden Menschen völlig absorbiert. Wie ist Ihnen das gelungen? Sandrine Bonnaire hat mich in dieser Hinsicht verblüfft. Ich habe es ihr oft gesagt. Eine solche Anmut sieht man selten. Worte, die man zu oft verwendet nutzen sich ab, verlieren an Kraft. Ich glaube, bei diesem Film erübrigt sich ein Kommentar. Sandrine Bonnaire bietet erhabenes Schauspiel. Was mich betrifft, so stelle ich hier ein Wesen dar, das völlig anders ist, als ich es gewohnt bin. Meistens spiele ich Rollen, die von großer Ausstrahlungskraft, Sprachgewalt, Bizzarerie, Komik und Verschrobenheit geprägt sind. Hier ist das anders. Ich habe diese Rolle gern gespielt, denn ich spielte sie an der Seite einer Schauspielerin im besten Sinne des Wortes. Sie spielen Ihre Rolle herunter. Der Film handelt von einer Begegnung; ist einer von beiden untergeordnet, ist die Begegnung missglückt ... Der Film ist ein wunderbares Geschenk. Er gibt mir die Gelegenheit zum Zuhören, zum aktiven und reaktiven Zuhören. Leconte fängt in seinem Film etwas anderes ein als die Arbeit eines guten oder schlechten Schauspielers. Er widerspiegelt ein Gefühl, etwas Alchemistisches. Ich kann keine theoretische Abhandlung darüber bieten, das Spiel im Theater und im Film zwingt mich zum praktischen Handwerk. Wer ist dieses Wesen? Was soll betont werden? Was muss ein Schauspieler geben: seine Persönlichkeit oder seine Person? Sowohl für Sandrine wie auch für mich war es die Person. Wir haben daran gearbeitet, und Patrice hat es gefilmt. Sie haben vielfältige Theatererfahrungen, Sie sind seit rund 20 Jahren in ganz Frankreich und in Europa auf Tournee: Was ist anders im Film, insbesondere in diesem Film? Jedes Mal, wenn ich ein Stück spiele, erlebe ich es von neuem. Ich stelle mich ganz in den Dienst der Worte, die ich bewundere. Der Unterschied zwischen einem Stück, das man oft spielt und einem Film ist zu vergleichen mit einem Marathon und einzelnen Kurzstreckenläufen. Im Theater muss man Abend für Abend die Kraft finden, jeden Zuschauer, jede Zuschauerin im Saal in seinen Bann zu ziehen. Bei diesem Film ist es ganz anders. Die Kamera erzeugt das nicht Lebbare. Die Kamera sucht es ohne Schamlosigkeit und ohne falsche Scham und hält es fest. Und die Geschichte erlaubte dies? Diese Geschichte ist wunderbar, weil sie von der Begegnung zweier Menschen, zweier Seelen handelt. Und man vergisst Leconte, Bonnaire und Luchini! Filmographie (Auswahl): 2003 1998 1996 1993 1992 1991 CONFIDENCES TROP INTIMES (INTIME FREMDE) von Patrice LECONTE PAR CŒUR von Benoît JACQUOT RIEN SUR ROBERT (EIN MANN IN NÖTEN) von Pascal BONITZER HOMMES, FEMMES: MODE D'EMPLOI (MÄNNER UND FRAUEN – DIE GEBRAUCHSANWEISUNG) von Claude LELOUCH LE COLONEL CHABERT (DIE AUFERSTEHUNG DES COLONEL CHABERT) von Yves ANGELO TOUT ÇA, POUR ÇA von Claude LELOUCH TOXIC AFFAIR von Philomène ESPOSITO L`ARBRE, LE MAIRE ET LA MÉDIATHÈQUE (DER BAUM, DER BÜRGERMEISTER UND DIE MEDIATHEK) von Éric ROHMER LE RETOUR DE CASANOVA von Édouard NIERMANS RIENS DU TOUT von Cédric KLAPISCH - 11 - 1990 LA DISCRÈTE von Christian VINCENT] 1987 ALOUETTE JE TE PLUMERAI (ALLE VÖGLEIN SIND SCHON DA) von Pierre ZUCCA 1986 LES AVENTURES DE REINETTE ET MIRABELLE von Éric ROHMER 1985 HÔTEL DU PARADIS von Jana BOKOVA 1984 LES NUITS DE LA PLEINE LUNE (VOLLMONDNÄCHTE) von Éric ROHMER 1980 T'ES FOLLE OU QUOI von Michel GÉRARD 1979 VIOLETTE NOZIÈRE von Claude CHABROL 1978 PERCEVAL LE GALLOIS von Éric ROHMER 1972 LE GENOU DE CLAIRE von Éric ROHMER 1970 TOUT PEUT ARRIVER von Philippe LABRO Gespräch mit EDUARDO SERRA (Kameramann) "Patrice und ich haben neun Filme zusammen gemacht. Jedes Mal mit derselben Freude. Ich habe auch mit anderen zusammengearbeitet, und er dreht nicht ausschließlich mit mir. Diese Treue ohne Anspruch auf Ausschließlichkeit ist der Beweis für eine gute Arbeitsbeziehung. Unsere Zusammenarbeit beruht auf freier Wahl, nicht auf Gewohnheit. Als Patrice mir zum ersten Mal von INTIME FREMDE erzählte, war er wie immer sehr präzis. Wir kennen uns gut genug, um Vertrauen zu haben, und wenn er mir einen Film vorschlägt, steige ich darauf ein. Auch wenn sich unsere Ansichten nicht immer decken, können wir uns jeweils schnell einigen, weil seine filmtechnischen Kenntnisse sehr gut sind. Für den Kameramann besteht die wichtigste Arbeit darin, die Vorstellungen des Regisseurs umzusetzen. Patrice weiß sehr genau, was er will. Zwei, drei präzise Ideen genügen, damit ich mich ohne Angst vor Missverständnissen an die Arbeit machen kann. Bei diesem Film war die Atmosphäre des Ortes wesentlich. Sie definierte die Personen, ihre Gemütsverfassung, ihre Entfaltung. Wir haben besprochen, zu welchen Tageszeiten die Besuche stattfinden sollen, selbstverständlich in Übereinstimmung mit dem Drehbuch, aber auch um die Dramaturgie festzulegen. Für Fabrice Luchini beginnt die Begegnung gegen Tagesende, im Schatten, um sich gegen das Licht hin zu entwickeln. Parallel dazu beginnt die Geschichte für den von Michel Duchaussoy verkörperten Psychotherapeuten im Licht und verdunkelt sich allmählich. Natürlich sind das zwei sehr schematische Achsen, die viele Variationen zulassen. Das Filmen im Studio vereinfachte die Kontrolle des Lichts, was für einen Film wie diesen unumgänglich war. Wir versuchten, Lichtbewegungen zu wählen, die helfen, die Gefühlsbewegungen zu verstehen. Die Frage des Lichts wurde gleich zu Beginn geklärt, und wir sprachen in der Folge nie mehr darüber. Wir verstanden uns bestens, und das Vertrauen war da. Patrice wollte mir keine Schwierigkeiten in den Weg legen, und ich wollte ihn nicht enttäuschen. In jeder Filmszene versucht Patrice, Banales zu vermeiden. Da er selber auch Kameramann ist, kümmert er sich zudem selbst um die Bildeinstellungen, was sehr selten ist! Das ist doppelt erstaunlich: Er beweist seine Vorstellungskraft, wenn er die Szene entwirft, verfeinert sie aber zusätzlich bei den Bildeinstellungen. Er öffnet dem Blick, dem Unerwarteten, dem Traum, dem Zufall die Tür. Einmal bat er mich, eine Kamera zu halten, und ich hatte keine Ahnung, was zu tun war! Er konnte mir nicht genau erklären, welche Bildeinstellung ich wählen sollte! Er ist Konzeptgestalter und zugleich Vermittler für die Umsetzung dieses Konzepts. Er vereint technische Fähigkeiten mit dem richtigen Gespür. Er beherrscht die Kamera ohne seine Schauspieler zu vernachlässigen. Er ist immer sehr nah an ihnen. Das kommt ebenfalls selten vor. Seit vielen Jahren wundere ich mich immer wieder über die Beziehungen, die er zu seinen Schauspielern aufbaut. Dieser Film stellte verschiedene Herausforderungen: Dynamisierung der Inszenierung und Erschliessung des Raums im Rhythmus der Gefühle der Protagonisten. Wir hatten in LE MARI DE LA COIFFEUSE bereits auf diese Dichte hingearbeitet. Hier ging es um eine Begegnung, um die Konfrontation zweier Seelen. Es galt, sie zu begleiten, sie zu beleuchten, damit sie dann ihrerseits zur Lichtquelle wurden ..." - 12 -