COPYRIGHT COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oderEs teilweise oder Genehmigung in Auszügen nicht verwertet Insbesondere darf es werden. nicht ganz oder teilweise oder in abgeschrieben oderwerden. in sonstiger Weise vervielfältigt Für Rundfunkzwecke darf das Manuskriptabgeschrieben nur mit Genehmigung DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt Auszügen oder invon sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für werden. Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio Kultur / Literatur Sonntag, 15.5.2005, 0.05 Uhr Deutschlandradio Kultur Redaktion: Sigried Wesener Der Rausch im Niemandsland Zum siebzigsten Geburtstag des Schriftstellers Fritz Rudolf Fries Von Helmut Böttiger Autor Zitator Zitator 2 O-Ton Fries 1-23 auf DAT Musik: Charlie Parker Quintett, Jazz at Massey Hall. Live in Toronto 1953 Dizzy Gillespie: The Complete RCA & Victor-Recordings Charlie Parker: Bird of Paradise Charlie Parker: Lover Man Billie Holiday: Passion Flower Thelonius Monk: Ruby, My Dear Thelonius Monk: Crepuscule with Nellie ___________________ Regie: Musik: Charlie Parker Quintett, Jazz at Massey Hall: Perdido Autor (über Musik): Leipzig, Ende der fünfziger Jahre, eine Dachkammer im Vorort Leutzsch. Da, wo der Boden bereits sumpfig zu werden beginnt. Es ist Mitternacht, und es brennt noch Licht. Paasch, ein angehender Zahnarzt, hört Radio. Er nimmt die Sendungen von Willis Conover auf, seinem Lieblingsmoderator bei AFN. 1 Zitator: Charlie Parker, Miles Davis setzten unisono zum Thema an, dann Bud Powell, der sich einen Chorus lang nicht zurechtfindet und vergebliche Läufe diametral zum Thema schickt. Man merkt, dass hier ein gebrochener Mann spielt. Regie: Klavier kurz stehenlassen Autor: Paasch hat viel mit Bud Powell zu tun, dem berühmten Bebop-Pianisten, der dreiundvierzigjährig als Morphinist starb. Auch Paasch ist ein gebrochener Mann. Die Palette an Drogen ist für ihn allerdings nicht so groß wie für die Bebopper an der amerikanischen Ostküste. Erreichbar ist nur der „Kahlbaum“, der billigste Schnaps vom Konsum an der Ecke. Zitator: Paasch kaufte eine Flasche Kahlbaum, trat dann wieder durch die Tür und seinen Weg an, die Flasche im Arm, deren Inhalt gegen runde Wände stieß, melodisch auf und ab schwappte wie die ewige Wiederkehr des Wellengangs an der Meeresküste. Autor: Fritz Rudolf Fries hat seinen Roman „Der Weg nach Oobliadooh“ Anfang der sechziger Jahre heimlich unter dem Schreibtisch der Ostberliner Akademie der Wissenschaften geschrieben. Während er oberhalb des Schreibtischs so tat, als würde er irgendwelche wissenschaftliche Arbeiten über das späte spanische achtzehnte Jahrhundert verfassen. Nach ein paar Jahren hatte er tatsächlich einen etwa dreißigseitigen Aufsatz zu Stande gebracht, der in einem dickleibigen Sammelband veröffentlicht wurde, unter dem Namen Fritz Fries, noch ohne den Break mit dem Rhythmuswechsel „Rudolf“ dazwischen. Aber gleichzeitig war auch der dreihundertseitige Roman fertiggeworden, an dessen Erscheinen in der DDR nicht zu denken war. „Der Weg nach Oobliadooh“ wurde, auf Vermittlung Uwe Johnsons, 1966 im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main veröffentlicht. Doch auch dort wusste niemand, was es mit diesem „Oobliadooh“ auf sich hatte. O-Ton 1: 00’26-1’07: Das ist ein Phantasiewort, was nicht ganz korrekt in der Schreibweise wiedergegeben wird. Es ist ein Jazztitel von Dizzy Gillespie: Ich kannte eine schöne Prinzessin im Lande Oobliadooh. Als er sie zum Traualtar führt, hat man sie ihm ausgetauscht und er hat die Falsche geheiratet. Ich fand das eigentlich sehr magisch, das Wort Oobliadooh, zumal es – also in der Zeit gab es eine Reihe von Hollywoodfilmen, die alle irgendwie hießen „Der Weg nach Bahia“ oder „Der Weg nach Sansibar“. Da dachte ich mir: Der Weg nach Oobliadooh ist vielleicht auch der Weg in eine unbekannte Zukunft. Regie: Musik: Dizzy Gillespie: In the land of Oo-bla-dee, CD 2, Track 17 Zitator: Paasch sang: I knew a wonderful Princess in the land of Oobliadooh... Astern und Heuschrecken fielen ihm vor die Füße, letzter Schwalbenflug segelte unter die Dächer, unter deren eines Arlecq aus einem Fenster im ersten Stock sah. Der leitete den Morgen lyrisch ein, wachend oder träumend. Ich träum als Kind mich zurücke, im neunzehnten Jahrhundert. Paasch, unsichtbar hinter Bäumen und Büschen, das Lied von der Prinzessin, elle est partie, zwischen Gaumen und Zunge, Oobliadooh, blieb am defekten Zaun des Sportplatzes hängen. 2 O-Ton 2: 1’28-1’55: Ich hab es im Radio gehört, mit meinem Freund Klaus Paasch – so heißt er im Roman. Wir waren Jazzfans in der Leipziger Zeit und haben diesen Titel eigentlich erkoren zu einer Art Erkennungsmelodie, und wir haben es versucht, nachzuspielen. Er spielte Klavier, ich leider nur Blockflöte, was natürlich nicht so passend dazu war. Autor: Was Fries mit seinem Lobgesang auf den Bebop in der DDR angerichtet hätte, ist unschwer auszumalen. Man braucht nur das einschlägige Kapitel im „Musiklexikon der DDR“ aus dem Jahre 1966, dem Erscheinungsjahr von „Oobliadooh“, nachzulesen. Unter dem Stichwort „Bebop“ steht da: Zitator 2: Wie die Musik, so zeigen auch ihre Spieler ausgeprägt snobistische Neigungen: Mißachtung des Publikums, Negierung der eigenen Tradition, Neigung zu individuellen Verstiegenheiten. Die Bop-Improvisation ist eine Flucht aus der Wirklichkeit, ein ekstatisch-neurotisches SichAustoben einsamer Individuen. Der Bop ist eine Anti-Volksmusik, eine verzweifelte Musik, eine Musik von Snobs gegen das Publikum. Zitator: Nur so ein Stück um die Ecke, guter Mann, sagte Paasch im Tonfall des älteren Biedermanns, in einem Winkel des Fonds hockend, die Beine angewinkelt, die Hände auf der entengelben Schirmkrücke. Aus dem Radio klingelte und schnarrte es jetzt südamerikanisch. Kein Verständnis für Cool unter der Masse, sagte Arlecq, die Hände in den Taschen der maßgefertigten Jacke aus dem Snob- und Neureichenatelier am Markt. Regie: Musik: Live at Massey Hall, Perdido O-Ton 3: 2’07-2’57: Wir haben AFN gehört, sehr früh, die Stimme Amerikas, auf Kurzwelle, ziemlich spät. Die bekannte Jazzsendung von Willis Conover „This is Jazz“, mit dem wunderbaren Motto von Duke Ellington „Take the A Train“. In der Oberschule waren wir vielleicht zwei, drei Leute, die sich für Jazz begeisterten. Nun war es ja so, dass die frühe DDR den Jazz ja verketzerte als Musik der Dekadenz. Das ging Hand in Hand mit einer Verdammnis der modernen Kunst schlechthin, der Malerei – und wir haben eigentlich so alles, was verboten war oder nicht gern gesehen war, doch erst einmal an Land gezogen. Regie: Musik: Massey Hall, Perdido Autor (auf Musik): Der Bebop ist für Arlecq und Paasch, die beiden Hauptfiguren im „Weg nach Oobliadooh“, ein Fluchtraum vor dem sie umgebenden Alltag mit der Kalinin-Mensa und den melancholisch tristen Ladenräumen. Das ritualisierte Sprechen von Arlecq und Paasch entspricht dem „Boptalk“, der Redeweise im Kreis um die Musiker des Bebop: sie hatte ihre eigenen Gesetze und zeigte nach außen, wie die Kleidung und überhaupt die Stilisierung von Äußerlichkeiten, einen Außenseiterstatus an. Paaschs Zeichen dafür ist das kurze Rücken an seinem Brillenbügel, und er hat aus Statusgründen auch immer seinen Schirm dabei, einen schwarzen mit einer entengelben Krücke. 3 O-Ton 4: 10’29-10’33: Es war die Zeit der Ringelsocken, der Kreppsohlenschuhe. Regie: Musik: Massey Hall, Perdido O-Ton 5: 10’36-11’03: Das war ja auch ein Zeichen – wenn man Kreppsohlenschuhe trug oder Ringelsocken – dass man irgendwelche Westkontakte hatte. Die mussten ja eine Tante oder Verwandte in Westdeutschland haben. Ich hatte einen Onkel in Amerika, der mich ja auch mit Platten und mit Ringelsocken versorgte – das war schon auch ein kleiner Affront gegen das Blauhemd. Autor: Arlecq und Paasch lernen sich bei einem Konzert der „Vorstadt Syncopaters“ in „Schäfers Ballhaus“ kennen. Zu fortgeschrittener Stunde kündigt die Kapelle den „Saint James Infirmary“ als „Heimweh des Negersklaven“ an, um keine Scherereien mit der Gaststättenleitung zu haben. Die ersten Worte, die zwischen Arlecq und Paasch fallen, lauten, von Paasch ausgesprochen: Zitator: Bebop ist da und wird bleiben! Regie: Musik, Charlie Parker: Bird of Paradise O-Ton 6, 5’54-6’08: Ein Beispiel ist Charlie Parkers Musik. Der natürlich immer wieder Schlagermusik genommen hat, die entzweigeschlagen und daraus ganz eigene Melodien geschaffen hat. Regie: Musik, Charlie Parker: Bird of Paradise Autor: (auf Musik) Und dann spielt Paasch auch noch selbst Klavier. Zitator: (auf Musik) Der lange, schwarze Gang, der viermal um die Ecke ging, vorbei an Spiegeln, die endlos das Schwarz des Ganges spiegelten, vorbei an den leeren Garderobehaken, an denen die Schatten der Garderobefrauen hingen und mit den Garderobemarken Domino spielten: der Saal, der Vorhang, der die Bühne schloß, die Stühle im Parkett: schwankten, wippten, schaukelten, das ganze große Haus bis in die Turmspitze mit der Aufschrift ZOO drehte sich um den Garten mit den Käfigen. O-Ton 7, 3’10-3’36: Hinzu kam, dass Westberlin für uns noch erreichbar war, noch vor dem Bau der Mauer, und wir weitgehend, wenn wir das bezahlen konnten, die großen Jazzauftritte - Miles Davis, Stan Getz, Louis Armstrong, Mahalia Jackson nicht verpasst haben. (...) 12’24-13’03 Die Badewanne war natürlich ein Paradies für uns. Man kam ja für ganz wenig Geld hinein. Wenn ich mich erinnere, konnte man einen Teil des Eintrittsgelds für ein Cola vertrinken. Und man kann sich natürlich vorstellen: zwei Pennäler, etwas schüchtern, linkisch, 4 aus Leipzig, kommen in diesen verräucherten Keller! Die Kellnerin war zum Glück auch eine aus dem Osten, die uns sofort erkannte als Ostdeutsche, und die uns dann Zigaretten oder ein Bier oder ein Cola kostenlos über den Tisch brachte. Autor: Für Ekkehard Jost, der eine „Sozialgeschichte des Jazz“ geschrieben hat, dient die zur Schau getragene Andersartigkeit der Bebopper vor allem als Schutz. Sie ist ein Zitator 2: Rettungsanker zur Stabilisierung des eigenen musikalischen Selbstwertgefühls. Es ist weniger Ausdruck von Arroganz als eine Art von verzweifeltem Mut zum Nun-Gerade. Autor: Auch hinter dem „Oobliadooh“-Entwurf lauert ein Abgrund, und er kann durch das kapriziöse Spiel mit dem Alltag und den Normen nicht auf Dauer überdeckt werden. Arlecq und Paasch ahnen das. Der lange, schwarze Gang, in dem Paasch Klavier spielt, führt in etwas Ungewisses, in etwas Dunkles, und wie um diesen Gang ins Unbewusste jäh ins Licht zu führen, hoch hinaus, weit über die Köpfe der Menschen hinweg, spielt Paasch immer weiter. Arlecq beobachtet das. Er nippt an seinem Glas, Zitator: indes Paasch sich auf das Dach des Hochhauses emporspielte, die zeitschlagenden Zyklopen verdrängte, das Klavier an die Stelle der Glocke setzte, in der Leere des Herzens, welche der Zustand des Weisen ist, sich selbst, Name, Stand, Berufs- und Familiensinn, in der erhebenden Wirkung der Musik auflösend. Regie: Musik, jubilierende Trompete (aus Perdido oder A Night in Tunisia) O-Ton 8: 13’38-14’04: Wenn man von der Nürnberger Straße zum Bahnhof Zoo lief oder bis zum Alex – wir sind dann viel gelaufen durch Berlin, nachts: Am Wege gab es da auch noch andere Jazzlokale, die wir nicht kannten, wo auch sehr viele GI’s verkehrten, auch Schwarze. Und da so einen Blues zu hören, der aus der offenen Tür dringt, da kam man sich natürlich schon vor wie in Harlem oder sonstwo. Autor: Dass ein Roman wie „Der Weg nach Oobliadooh“ Anfang der sechziger Jahre in der DDR geschrieben werden konnte, ist im Grunde unvorstellbar. Gerade eben war der „Bitterfelder Weg“ ausgerufen worden. „Greif zur Feder, Kumpel!“ hieß es da, und die Schriftsteller sollten in die Betriebe gehen, um das Voranschreiten der sozialistischen Produktion minuziös nachvollziehen und beschreiben zu können. Es herrschte ein unbedingtes Realismusgebot. Alles, was mit einer bürgerlichen Moderne zu tun hatte, war als dekadent verschrien und galt als „formalistisch“. Fries stand mit seinem Roman genau da, wo die Bebopper in der zeitgenössischen Jazzszene standen: mit dem Rücken zur Wand. Überall hörte man den gleichmäßig stampfenden Bigband-Swing, mit den immergleichen Rhythmen und den genau abgezirkelten Soli, da klangen die Bebopper mit ihren komplizierten Arrangements wie Außerirdische. Genauso fühlen sich auch Arlecq und Paasch. Ihre Namen kommen aus der Commedia dell’arte, Arlecchino und Pasquariello. Einmal führt Paasch einen Slapstick auf, der seiner Herkunft aus der Commedia dell’arte alle Ehre macht. Er läuft mitten in der Nacht, nach dem Jazzrausch, nach Hause in seinen Vorort Leutzsch: 5 Zitator: Er hätte gern den Rest der Melodien, den Bodensatz orgiastischer Begeisterung, der in seinem Kopf war, abgeschüttelt, zertreten. Immer von neuem dieses Intervall, der Sprung in die Höhe, aus SALT PEANUTS. Saltpeanutssaltpeanutssaltpea. NUTS. Unmöglich, das loszuwerden. Immer wieder die Straßenbahnen auf der schmalen Doppelspur. Paasch hatte die Brücke noch vor sich. Rechts trat er auf SALT, links auf PEANUTS. Da der Ton bei PEA aber gewaltig emporgerissen wurde, steil anstieg, sich im Unendlichen verlor, empfand er links einen Zwang, das Bein hochzureißen, sich mit der Fußspitze links vom Boden abzuschnellen, SaltPEAnuts. Er versuchte, mit dem zum Spazierstock degradierten Regenschirm auszugleichen. Jetzt ging es. Aber die Mühe war unsagbar. Regie: Musik, Massey Hall: Salt Peanuts Autor: Oobliadooh, der utopische Ort, der von Gillespie mit mäandrierenden Notenlinien umspielt wird, er ist für Fries das Land der Literatur. Denn ist seinem Roman geht es nicht nur um Jazz. Er baut sein System aus Anspielungen und literarischen Orten auf wie die Bebopper ihre Themen, ein Kunstgeflecht, das sich immer mehr von der vorgegebenen Realität abhebt und in die Unwägbarkeiten der Lüfte entschwebt, da, wo auch die Ätherwellen zu Hause sind, die man nur um Mitternacht in den Dachkammern von Leipzig-Leutzsch für kurze Momente erhaschen kann. „I play for musicians only“, „ich spiele nur für Musiker“: der vielzitierte Ausspruch Gillespies, drückt die Außenseitersituation des Beboppers aus – er wird als Künstler nur von Künstlern verstanden. Fries’ Texte schlagen denselben Weg ein. Zitator: Vor dem Peterstore neben der Kirche spannt’ er seine azotenen Flügel aus. Autor: Tatsächlich, Arlecq fliegt. Aber er fliegt wie der Luftschiffer Giannozzo bei Jean Paul. Zitator 2: Vor dem Peterstore neben der Kirche spannt’ ich meine azotenen Flügel aus. Aber ich strecke meine Arme dank-betend gegen dich aus, göttliche Sonne, und danke dir, daß ich dir näher bin und ferner von den Menschen, sowohl von den Sachsen als von allen anderen! Autor: Jean Paul ist nur einer der Autoren, die im Assoziationsnetz von „Oobliadooh“ aufscheinen. Fries zitiert wie nebenbei fast alle Manifeste der literarischen Avantgarde. Der Satz „Bebop ist da und wird bleiben“, mit dem Paasch Arlecq begrüßt, verweist auf die Ursprünge der Dada-Bewegung in Zürich. Lautréamont, die Nähmaschine auf dem Operationstisch, Marcel Duchamp – alles geht drunter und drüber, und schließlich wird auch Benjamins „Engel der Geschichte“, der in weißer Kreide auf der Straße zu erkennen ist, vom Reifen eines vorbeifahrenden Autos mitgenommen und getilgt. Fries war, als er an „Oobliadooh“ schrieb, noch nicht einmal Dreißig, aber er hatte die verfemten Autoren alle gelesen, Proust natürlich, die Surrealisten, und vor allen Dingen alle möglichen exzentrischen Spanier. Der Roman beginnt mit einem „Südlichen Vorspiel“, und das klingt so, als hätte der Autor zur fraglichen Zeit nicht im schütteren Ostberlin gesessen, sondern in Paris im Quartier Latin oder in Madrid mit dem Geist Garcia Lorcas korrespondiert: 6 Zitator: Dieser Sommer südlich der eigenen Stadt. Arlecqs Blick reicht weiter als über Dächer, die gesunken im Meer liegen, verstreut, einzeln auftauchend, Blick aus der Mansardenkammer für fünf Mark erstanden durch Quittung beim Reisebüro. Er hatte den bibliophilen Blick, der reicht durch Jahrtausende, begrenzt sich an den Seiten des Quartformats: Las flores del romero nina Isabel hoy son flores azules manana seran miel. Er könnte sie Isabel nennen. Sie hieß aber Maria Dolores te mueves mejor que las olas. Der Refrain des Liedes ging ihr nach wie ein schlechter Ruf. Und bibelfest waren wohl nur noch die Großmütter der Emigranten. Autor: Fritz Rudolf Fries ist am 19. Mai 1935 in Bilbao als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren. Seine Großmutter war eine Spanierin, die bis an ihr Lebensende kein Wort Deutsch sprach – obwohl sie 1941, mitten in den Kriegswirren, mit der Familie nach Leipzig übersiedelte. Dort wuchs Fries auf, doch sein spanischer Hintergrund blieb prägend und ließ ihn in einem rein sächsischen Umfeld ziemlich auffallen. O-Ton 9: 23’35-24’25: Die Großmutter kam nach Leipzig, weil sie dort drei Töchter hatte, also meine Mutter und die beiden Schwestern. Die ältere Schwester hatte schon vor dem Krieg nach Leipzig geheiratet. Zwischen den beiden Familien entstand so eine spanische Kolonie. Die Familiensprache musste Spanisch sein, um die Großmutter nicht draußen zu lassen. Und das hat mir viel gegeben, weil ich ja zwar in beiden Sprachen als Kind eingeführt wurde. Das Spanische, natürlich durch den Zwang mit der Oma Spanisch reden zu müssen, dann mehr gegeben hat, als man das einfach so als Kind hat. Regie : Musik, Massey Hall: Perdido, Anfang Autor (auf Musik): Das „Südliche Vorspiel“ ist im „Weg nach Oobliadooh“ ein Sehnsuchtsraum, und der Name Isabel drückt ihn aus – Arlecq trifft sie in Dresden, das von Leipzig gesehen zwar nicht unbedingt südlich liegt, aber mit seinem Beinamen „Elbflorenz“ der schnöden Handels- und Messestadt doch etwas voraus hat. O-Ton 10: 25’36-25’57: Die Möglichkeit, quasi von der einen in die andere Sprache auszuweichen – emotional, oder in der Familie – das ist ganz reizvoll gewesen. Hat mir auch eine Art von Fremdsein, von Fremdbleiben gegeben. Autor: Isabel in Dresden und die Jazzekstasen mit Paasch in Leipzig, das liegt ungefähr auf derselben Wellenlänge, und es hat mit der DDR scheinbar überhaupt nichts zu tun. Doch ach, die Realität greift auch im „Weg nach Oobliadooh“ aus. Man kann nicht immer darüber hinwegsehen, dass man im DDR-Alltag sein Dasein fristen muss. Zuerst trifft es Paasch. Seine Realität heißt Brigitte. Sie will die Ehe und einen Mann, der einen ordentlichen Beruf hat. Regie: Musik, Anfang „All the things you are“ (Massey Hall) Zitator: 7 Eine schlankere Hand versucht die Lautstärke zu regulieren, zu mindern, damit von der Zukunft gesprochen werden kann, denn Liebe will eine Zukunft haben. Paasch aber findet Genüge an der Gegenwart, baut lieber Mauern um sie, daß sie nicht hinauswächst in die Zukunft. Doch schon tritt sie über die Ufer, etwas geschieht. Bud Powell findet sich nicht zurecht, das Thema ist ihm entglitten, man merkt, wie hier sich einer abmüht, quält, in den Abgrund schaut, in den er getrieben wird. Regie: Musik, Bud Powell, Massey Hall, Klavierstelle in Hot House oder A Night in Tunisia. Autor: Paasch hat Brigitte versehentlich an der Ostsee geschwängert, das fordert seinen Tribut. Und Arlecq geht es nicht besser. Es gibt zwar Isabel in Dresden, doch dann zeigt sie ihm plötzlich einen Pass und verschwindet nach Paris. Aber es gibt auch die blonde, blasse Anne, die ihm immer näherrückt und die letztlich doch eher das Realitätsprinzip verkörpert als die glutäugige Schwarze. Allein der Unterschied, was die Haare der beiden Mädchen anbelangt! Über Isabel heißt es: Zitator: Ihr Haar schlängelt den Nacken hinab, tänzelt bis auf die Knöchel in der Bewegung ihres lautlosen Gangs. Autor: Aber dann: Zitator: Anne, das Mädchen mit dem im Nacken verknoteten Haar und dem blassen Gesicht, kam nach Hause, lud ihn ein, zu Besuch zu kommen, nach Grüneiche. Autor: Von dem Schlängeln und Tänzeln der Haare zum Verknoteten: das ist die Entwicklung des Romans. Arlecq und Paasch, die beiden Commedia dell’arte-Figuren, bewegen sich weg von der Kunst, weg vom Jazz und hinein in die DDR. „Der Weg nach Oobliadooh“ ist auf diese Weise ein sarkastischer Kommentar zu einer neuen Parole, die Anfang der sechziger Jahre an die Literatur ausgegeben wurde: „Ankunft im Alltag!“ Arlecq und Paasch kommen im Alltag an, in der herunterregulierten Lautstärke, im Verknoteten, der eine landet im Alkoholikerheim, der andere im Irrenhaus, und als sie wieder herauskommen, schmerzt es sie eher, wenn sie Jazz hören. Sie lesen und schreiben danach auch realistischer. „Der Weg nach Oobliadooh“ hat viele Facetten. Es gibt keinen vergleichbaren Roman der DDR, der sich so souverän und behende über alle Vorgaben hinwegsetzt und sie umspielt. O-Ton 11: 3’55-4’08: Eines meiner letzten großen Erlebnisse war ein Auftritt des Modern Jazz Quartet in Berlin – und dann war natürlich die Mauer da und der Jazz rückte in weite Ferne. Regie: Musik. (Etwas Langsames, Charlie Parker „Lover Man“) Länger stehenlassen, um einen Szenenwechsel einzuleiten. Autor: (zuerst auf Musik) Petershagen, ein Ort im Niederbarnim. Spärlich bewachsene Senken und kleine Wellen, die 8 von Berlin nach Osten hin auslaufen, locker hingewürfelte Häuser, wo altgewordene Plastikstühle und Holzbänke viel Regen aufgenommen haben und Wochenendstimmung. Und am Bahndamm von Petershagen liegt ein kleiner Weiher, er ist in den Sandboden eingebettet und weist auf größere nordische Seen und Kiefern voraus. Fritz Rudolf Fries hat in einer seiner Prosaskizzen beiläufig beschrieben, wie sich hier die S-Bahn-Gleise verlieren, heimgeholt werden von einer vergessenen Landschaft, in der keine Hochhäuser die Abende verdunkeln und die Dämmerung sich zwischen die leeren Felder und Flachbauten setzt. Zitator: Es wächst Gras diesseits von Lichtenberg. Regie: Musik. (Langsam, getragen. Wieder Lover Man.) Autor: Fries hat sich hier auf paradoxe Weise in die DDR zurückgezogen. Nach dem „Weg nach Oobliadooh“ verlor er seine Stelle an der Akademie der Wissenschaften und schlug sich vor allem als Übersetzer durch. Eine Ausreise in den Westen war zu dieser Zeit, 1966, noch nicht denkbar; erst im Laufe der siebziger Jahre gab es für unbotmäßige Schriftsteller verschiedene Optionen dieser Art. Und Fries war nicht berühmt, er war kein großer Name – sein Roman war auch für das bundesdeutsche Literaturverständnis allzu unkonventionell und ästhetisch zu sehr aufgeladen. So richtig passte „Oobliadooh“ in keine Zeit, weder in die im Osten noch in diejenige im Westen. Es ging um die Rettung durch die Kunst, und nicht um eine politisch eindeutig zu interpretierende Haltung. So blieb Fries in Petershagen sitzen, im Hintergrund das dunkel suggestive Altsaxophon Charlie Parkers, und er spann weiter an den lateinamerikanischen Literaturen wie am spanischen Ritterroman. Und er nahm sich ein Beispiel an Jean Paul. Dessen Quintus Fixlein sah es nach großen Höhenflügen als das Vernünftigste an, Zitator 2: gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, daß, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man keine Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt. Autor: Petershagen, das Lerchennest des Fritz Rudolf Fries. Er brauchte diesen Ort kaum zu verlassen, um in der Welt zu sein – an den Wänden, in den Regalen, im Kopf: sich ständig entziehende Welten, nur zu bannen auf dem Papier. O-Ton 12: 37’12-38’54: Es ist merkwürdig, dass sich in diesen Vororten oder in diesen Halbdörfern gerne Leute ansiedeln, die irgendeine Theorie entwickeln oder irgendetwas Metaphysisches bis hin zur Sektenbildung überdenken. Es gab hier in Petershagen einen leider verstorbenen guten Freund von mir, der war Maler und Arzt, Otto Zestermann. Der ganz merkwürdige Ansichten äußerte, zurückgezogen lebte und ein Modell für mich war, wie man mit wenig Geld und ohne eine feste Anstellung sich durchbringen kann und seine Sachen weiterbetreiben kann. Für eine Zeitlang hatten wir einen sehr guten Kontakt. Ich hab es bewundert, wie er und seine Frau, sie waren längst noch keine Rentner, sich über Wasser halten konnten. So gibt es im Verborgenen eine Reihe voll von seltsamen Existenzen, die natürlich in der Abgeschiedenheit sich entwickeln kann. Die nicht die Verführung haben, die ein Leben in der Großstadt doch immer hat. 9 Regie: Musik, Billie Holiday (langsam: Passion Flower oder Gloomy Sunday) Autor: Fries übersetzt das Jahrhundertwerk von Julio Cortázar, „Rayuela“, er schreibt zahllose Nachworte zu Büchern aus dem hispanischen und lateinamerikanischen Raum, die für sich genommen fast schon eine kleine Literaturgeschichte darstellen, und ehrt in einem fast schon identifikatorischen Aufsatz den großen kubanischen Autor José Lezama Lima. 1969 erscheint auch ein schmaler, unscheinbarer Band mit Erzählungen von Fries in der DDR: „Der Fernsehkrieg“. Das ist ein anderer Ton als der „Oobliadooh“-Ton. Es geht um kleine Prosa aus dem Alltag und um Geschichten aus dem Leipzig der Nachkriegszeit. Sie tarnen sich dadurch, dass sie fast so daherkommen wie kleine Miniaturen aus dem sozialistischen Realismus. O-Ton 13: 31’35-33’11: Das ist natürlich der bekannte Schritt vom Ich zum Wir. Oobliadooh war ist ein subjektiver Roman, das ist ganz klar. Mit einem zweiten Buch ist die Erfahrung, die man gewonnen hat, so groß nicht, dass man auf der Strecke des Ich weiterschreiben könnte. Ein Experiment in Rollenprosa, dachte ich, war schon gegeben. Was sicher dahintersteckt auch ist natürlich: die Prügel, die ich bekommen habe nach Oobliadooh. Ich hab meine Arbeitsstelle verloren, ich war eine Zeit mit Arbeitsverbot (das Wort gab es nicht, aber die Wirkung war dieselbe) belegt, und in den Westen zu gehen war 1966 noch nicht üblich, das hätte nicht funktioniert. Ich war an der Akademie der Wissenschaften, diese Karriere war abgebrochen durch Rausschmiss. Und wenn ich weiterschreiben wollte, musste ich einen Weg finden, ohne mich zu prostituieren, mal etwas anzubieten. Da entstehen diese Geschichten, zu denen ich heute doch noch eigentlich stehe. So eine Sache wie der Fernsehkrieg, der den Krieg in Vietnam meint, das ist nicht verjährt. Regie: Musik, leise, lateinamerikanisch angehaucht (Dizzy Gillespie) Autor: (auf Musik) 1974 taucht in einer Erzählung wieder Arlecq auf, und er hat sich der „Fernsehkrieg“Situation angepasst. Er ist offenkundig von Leipzig nach Berlin gezogen, weg aus der Provinzstadt in die Hauptstadt, wie er sinniert, aber er zieht es vor, auch die Hauptstadt eher von außen zu betrachten. Zitator: Ich wollte eine Stadt erobern, nun streicht ein Palmenblatt über mich hin. Autor: So richtig sozialistisch-realistisch sind diese Prosastücke, die Fries nach „Oobliadooh“ schreibt, aber gar nicht. Der Autor wurde nach wie vor ziemlich skeptisch beäugt – immerhin war er ein Paradebeispiel dafür, was in den Hochzeiten des Stalinismus als „Kosmopolitismus“ wütend verdammt wurde. Fries’ Horizont war weiter als der, den man in der DDR gewohnt war, und das war zwischen den Zeilen immer mal wieder zu erkennen. Schon, dass er als Weintrinker galt, machte ihn verdächtig. Immer wieder taucht das magische „Weinrestaurant Ganymed“ am Bahnhof Friedrichstraße in Fries’ Texten auf, ein ziemlich zwiespältiger Ort. Denn Wein war in der DDR-Literatur eigentlich verpönt. In Hermann Kants DDR-Legitimationsschrift „Die Aula“ heißt es systemstabilisierend so: 10 Zitator 2: Robert hatte sich angewöhnt, zwischen denen zu unterscheiden, die 'bei einem Glas Bier' sagten und denen, die 'eine Flasche Wein' dafür in Aussicht nahmen, und er hatte sich vorgenommen, die Weinleute zu meiden, nicht nur, weil er ein Glas Bier immer noch jedem Wein vorzog, sondern vor allem, weil er argwöhnte, Leute, die Wein für das angemessene Getränk bei einem solchen Gespräch hielten, könnten nicht mehr die alten Kumpel sein. Autor: Fritz Rudolf Fries hingegen schrieb den Roman „Alexanders neue Welten“, und da heißt eine der beiden Hauptfiguren Ole Knut Berlinguer: ein Lebemann, dessen Freude an sinnlichen Genüssen allzuoft mit den Realitäten des sozialistischen Staatswesens kollidiert. Besonders ärgert er sich über das Weinangebot selbst in den exklusiven Delikat-Läden: Zitator: Alles Biertrinker, entschied Berlinguer, die dieses Zeug einkaufen, das nach Kirschsaft mit Weinhefe schmeckt. Autor: Bier macht plump, dumpf und arbeitsam. Es lähmt die Wahrnehmung und bringt den einzelnen dazu, sich übergeordneten Strukturen zu fügen. Das wurde in der Frühindustrialisierung in England, wo der Proletarier sich als Nahrungsaufnahme an der Maschine betrank, wie im Sozialismus der DDR ausgenutzt. Nach dem stimulierenden Genuß des Weines muß dagegen noch irgendetwas kommen. Da ist das Blut ins Kreisen geraten und verlangt nach mehr, da gerät etwas ins Uferlose, nicht außer Kontrolle: das Feurige des Weines bewirkt eine Entgrenzung. Da entweicht Sichergeglaubtes. Kein Wunder, daß Hermann Kant, eingebunden in eine Sicherheit versprechende Proletarier-Ideologie, davor zurückschreckt. In der DDR wurde alles dafür getan, die Eigendynamik des Weines zu verhindern. Fries hat darunter immer sehr gelitten. O-Ton 14: 56’18-56’38: Es gab allerdings – das ist das Problem – es gab nicht genug guten Rotwein. Das ist heute mein Verhängnis, die vielen Rotweinsorten. (...) Im berühmten Ganymed gab es auch nur zwei, drei Rotweinsorten. Zitator: Ein glas klirrt die flasche ist leer hier schließe ich mit freundlichen grüßen dein ganz ergebener übrigens willis conover sendet auch über langwelle Regie: Musik, In the land of Oo-bla-dee. Autor: Die Zeit nach „Oobliadooh“, das waren die Mühen der Ebene. Sie hielten lange an. Mehr als ein Dutzend Jahre nach seinem himmelstürmenden Erstlingsroman schreibt Fritz Rudolf Fries in einem Porträt der Stadt Leipzig: Zitator: In den Zimmern, wo wir Hemingway und Benn lasen, Diderot und Cervantes, Francoise Sagan und Charles Morgan, Joyce und Proust, Kafka und Malaparte, geben heute die Mütter des Leutzscher Stadtbezirkes ihre Kinder ab. 11 Autor: Untergründig aber rumort etwas. Wenn etwas so angefangen hat, lässt es sich nicht auf Dauer zurückdrängen. „Alexanders neue Welten“ erscheint 1983, und es ist der definitive DDRRoman von Fries: Mit ihm erreicht er wieder die ästhetische Höhe des „Wegs nach Oobliadooh“, angereichert von den Ernüchterungen des Alltags und Familienlebens. Ole Knut Berlinguer ist eine gewaltige Phantasie, die die DDR-Verwalter nicht nur wegen ihrer ungeheuren Sinnlichkeit irritierte, sondern auch deswegen, weil der verhasste Freund von den italienischen Eurokommunisten genau diesen Namen trug: Enrico Berlinguer. Dass ihn Fries auch noch mit einem skandinavischen Vornamenduo ausstattet, begründet er im Roman zwar mit komplizierten Familienkonstellationen, aber natürlich war diese europäische Weitläufigkeit vor allem ein Schlag ins Gesicht der DDR-Oberen. Zudem betreut Berlinguer, spät nachts im Programm von DDR 2, eine Sendung über Jazz. Und da packt er aus. Es ist fast so wie bei Arlecq und Paasch. Gemeint ist immer die DDR. Zitator: Und wenn es ihm die Produzentin nicht anstrich, beklagte sich O.K. über all die Versuche, den Jazz weißer und weißer zu färben, ihn zu einem Jedermanns Ausdruck zu machen, ihn aufzuklären und mit den Chemikalien aus Hotelküchen, Intershops und Musikschulen zu verdünnen. Und verabschiedete sich mit Salt Peanuts, Massey Hall. Regie: Musik, Salt Peanuts, nur die kurze Schluss-Sequenz. O-Ton 15: 4’20-4’34: Ich habe selber in den siebziger Jahren ein paar Mal im DDR 2-Radio, das war ja der Vorläufer der heutigen Kulturradios, Jazz-Sendungen gehabt. Mit der grotesken Erinnerung, dass ich in den meisten Fällen Platten mitbringen musste, die ich wiederum auf wenigen Westreisen durch den Zoll geschmuggelt habe. Regie: Musik, Billie Holiday, Passion Flower O-Ton 16: 17’54-18’18 Ich habe sehr gern gemacht Billie Holiday, da konnte man die Texte auch ein bisschen interpretieren oder deuten, ich habe gemacht Miles Davis (...) – viel Blues. Charlie Christian, den Gitarristen. Swing weniger. Regie: Musik: Billie Holiday, Passion Flower O-Ton 17: 19’01-19’08: Für mich bleibt einfach – Billie Holiday ist eine der ganz großen Interpretinnen des Jazz. Regie: Musik, Billie Holiday, Passion Flower Autor: In „Alexanders neue Welten“ tritt wieder ein Doppelgespann auf, im guten alten romantischen Sinn, wie bei E.T.A. Hoffmann oder bei Jean Paul. Die Figuren heißen jetzt nicht mehr Arlecq und Paasch, sie sind erwachsen geworden: neben Ole Knut Berlinguer agiert Dr. 12 Alexander Retard. Dieses Doppelgängermotiv, die Aufspaltung der Hauptperson in zwei literarische Erscheinungsformen ist eine bewährte frühbürgerliche Finte. Sie hat in der Geschichte der Sekundärliteratur den gesamten Hass von Georg Lukács über Alfred Kurella und Kurt Hager bis hin zu Marcel Reich-Ranicki auf sich gezogen: derlei literarische Verselbständigungen sind bei den Ideologen des Kleinbürgertums und des gesunden Menschenverstands nie gut gelitten. Berlinguer ist ein mit allen Wassern gewaschener Weltenbummler und Frauenvernascher. Retard hingegen arbeitet bei der Akademie der Wissenschaften der DDR, immer im Dienst der Aufklärung und der sozialistischen Menschengemeinschaft. Der Autor Fritz Rudolf Fries aber – der steht irgendwo dazwischen. O-Ton 18: 1’04’01-1’04’17 Literatur ist ja doch immer eine Aufspaltung der eigenen Person in verschiedene Figuren. Da hast du’s natürlich einfach – dann kannst du immer dem einen das geben, was du als eine Stimme als Autor dir nicht zu sagen getraust. Autor: Berlinguer ist seit einer ominösen Flugzeugentführung verschollen und taucht auch nie mehr in einem späteren Roman von Fritz Rudolf Fries auf. Dr. Alexander Retard aber gibt Berlinguers Geschichte zu Protokoll und wird ab jetzt in jedem Roman von Fries in irgendeiner Weise sein Unwesen treiben. Die Dialoge der beiden ungleichen Brüder in „Alexanders neue Welten“ gehorchen keinem Filmdrehbuch, sie sind eher in den Labyrinthen von Jorge Luis Borges oder in der sagenhaften Bibliothek von Alexandria zu Hause. Zitator: Ein wenig mehr Sprachkritik, lieber Aufklärer, auch an deiner Sektion, vielleicht daß wir dann wieder zusammenkämen. Gut, daß uns hier keiner hören kann, sagte Retard. Man könnte denken, du hättest mit Mach gefrühstückt oder mit André Glucksmann dein Bier getrunken. Oder mit Foucault im Irrenhaus gesessen, sagte Berlinguer. Autor: Dass so etwas in der DDR gedruckt wurde, zeigt mehr von der Absurdität des Systems als etliche hehre Feldstudien. Denn wo gab es dort schon Bücher von Ernst Mach? Oder von André Glucksmann? Oder gar von Foucault? Regie: Musik. Thelonius Monk. (z.B. Ruby, My Dear. Szenenwechsel. Länger stehenlassen) Autor: Wenn Berlinguer seine nächtliche Jazzsendung im Radio moderiert, überlegt er sich seine Stücke sehr genau. Das Auflegen einer neuen Platte, das ist immer wieder Zitator: die suche nach einer neuen qualität, Thelonius Monk, der von den zinnen des Empire State Building in die tiefe springt und nicht springt und dann die feuerwehrleiter nimmt, zwei, drei stufen auslassend. Regie: Musik: Thelonius Monk, z.B. Crepuscule with Nellie. O-Ton 19: 21’27-22’21: 13 Beim Jazz ist da ja immer eine Nähe zur Sprache, zur Literatur, zu einem Gespräch. Du hast eine Gruppe von sechs Musikern, die unterhalten sich praktisch. Jeder sucht den richtigen Ton, den richtigen Ausdruck. Bei Monk, dieses Danebentreffen ist unheimlich reizvoll. Das gibt ja einen kubistischen Effekt, wo dann mehrere Seiten – im Kubismus werden gleichzeitig mehrere Seiten eines Gesichts oder einen Gegenstands dargestellt. Hier sucht die Musik auch durch Annäherung etwas zu erreichen, was natürlich weit weg gehen will von einer langweiligen Schönheit. Vollkommenheit ist immer doch fragwürdig. Autor: Thelonius Monk nimmt die Feuerwehrleiter. Das ist nicht nur ein treffendes Bild für das schleppende, verquere, allen Gesetzen der Harmonik und Rhythmik trotzende Klavierspiel von Thelonius Monk. Die Wendung von den feurigen Bebop-Stößen des Trompeters Dizzy Gillespie hin zu den schwer verhangenen Läufen von Monk entspricht dem sich langsam verändernden Lebensgefühl in der DDR. Natürlich will man auch in den frühen achtziger Jahren noch alles. Aber man kriegt es immer schwerer. Regie: Musik: Thelonius Monk, Crepuscule with Nellie. Autor: 1976 kommt eine entscheidende Zäsur in der Biographie von Fries. Es war die Zeit, in der er, nach zehn Jahren Taktieren, Ausweichen und Lavieren – was in den Akten nachzulesen eine ziemliche Qual ist – dann doch den „Pakt mit dem Teufel“ schloss, wie er es nennt. Er ließ sich endgültig auf die Stasi ein, die ihn seit 1966, der Veröffentlichung des „Wegs nach Oobliadooh“, bearbeitet hatte. Den Ausschlag gab wohl, dass Fries dadurch zum ersten Mal wieder nach Spanien reisen konnte. In den Stasi-Akten von Fries nehmen die Berichte über seine Auslandsreisen den größten Raum ein: Hunderte von Seiten mit Auskünften über die politische Situation des Gastlandes, über die Presse und die Strukturen der Öffentlichkeit. Meist sind das Extrakte dessen, was ohnehin in den Tageszeitungen stand. Es gibt von Fries keine schriftlichen Berichte. Er sprach mit seinem Führungsoffizier, der die Gespräche auf Tonband mitschnitt und dann in seiner Amtsstube zusammenfasste. O-Ton 20: 40’01-41’14: Das ist einfach eine Entwicklung, die zehn Jahre gebraucht hat, mich da zu Fall zu bringen. Ich will’s mal anders ausdrücken. Es war eine gewisse Neugier: Was sind das für Leute? Was wollen die? Hinzu kam natürlich die Kehrseite der Isolation in Petershagen. Ich war nicht in der Partei, ich war damals noch nicht im Verband, nicht im PEN – ich hatte also keinen großen Kontakt zur Kulturpolitik. Und diese Möglichkeit, etwas unter die Decke zu gucken, die haben mir die Genossen von der Staatssicherheit natürlich absichtlich gewährt. Und es war nicht ein Spiel, was ich in der Hand hatte. Wer mit dem Teufel frühstücken will, der braucht einen langen Löffel. Den hatte ich nicht. Also ich bin heute noch davon überzeugt, dass ich mich einigermaßen wacker geschlagen habe. Regie: Musik: Thelonius Monk, Crepuscule with Nellie. Autor: Thelonius Monk nimmt die Feuerwehrleiter. Das ist eine sehr verwickelte Geschichte. O-Ton 21: 41’29-41’53: 14 Es ist grotesk: ich bin, glaube ich, der einzige DDR-Autor, der es geschafft hat, seinen Führungsoffizier – und ich bin ja nicht der einzige, der mit der Stasi zu tun hatte – zu beschreiben in einem Roman. Was bei Erscheinen des Buches großes Aufsehen erregt hat: weil es ja eine Art von Dekonspiration war, man war ja wiedererkennbar. Autor: In „Alexanders neue Welten“ taucht eine Figur namens Piet Hagen auf. Piet Hagen – dieser Mann kommt aus Petershagen, dem verdämmernden Ort im Niederbarnim, den sich Fritz Rudolf Fries als sein Jean Paulsches Lerchennest auserkoren hat, das hört man schon am Namen. Und so ähnlich, mit einem spanischen Akzent nämlich, mit Pedro Hagen, hat Fritz Rudolf Fries Mitte der siebziger Jahre seine Einwilligung unterschrieben, als IM für die Stasi zu arbeiten. Zitator: Die Tatsache, dass ich (Dr. Alexander Retard) später so genau anzugeben wusste, wer mit wem und wann und zu welcher Stunde wo zusammengesessen war, irritierte einen Mann wie Piet Hagen. Heute kann ich zugeben, dass ich auch nicht alles wusste. Und was der Genosse Hagen von mir wissen wollte, als ich in seinem Büro saß, vor der mit Fähnchen abgesteckten Weltkarte, bestärkte mich einmal mehr in dem Vorhaben, Berlinguers Nachlass zu ordnen und zu bestimmen. Denn Hagens Neugier, sozusagen auf Minute und Sekunde wissen zu wollen, wann die unsterbliche Marquise aus dem Haus gegangen war, schien mir in seinem Falle absurd. (...) Vor Hagen sagte ich immer weniger, es hätte mir gefehlt, ausgerechnet von ihm den Auftrag zu bekommen, dieses Manuskript herzustellen. Er sollte sehen, wo er seine Akten herbekam. Wie er da an seinem aufgeräumten Schreibtisch saß, immer die Ruhe selber, der polierte Kahlkopf leuchtete, ein noch jugendlicher Mann mit einer Glatze wirkt immer wie von einem anderen Stern“. Regie: Musik: In the land of Oo-bla-dee Autor: Im Jahr 2002 hat Fritz Rudolf Fries seine Erinnerungen veröffentlicht – in einem entlegenen Verlag, der sich auf eine verschmockte DDR-Nostalgie spezialisiert hat und höchstens ein paar Nischen zwischen zusammengefalteten Sofakissen in Plattenbauten erreicht. Nach dem Bekanntwerden seiner Stasi-Geschichte winkten die größeren literarischen Verlage ab. Fries’ Erinnerungen heißen „Diogenes auf der Parkbank“. Solch eine Bank findet sich im Garten des Autors: aus knorrigem Holz rund um einen Walnussbaum; es ist das erste, was man sieht, wenn man die Tür zum Garten geöffnet hat. Die Parkbank, sie kehrt leitmotivisch wieder, sie spielt im frühen Leipzig der fünfziger Jahre eine zentrale Rolle, im Clara-Zetkin-Park gegen Ende des Studiums, als sich alles im Ungefähren zu verlieren droht, aber auch an exzentrischen Orten wie Paris oder Moskau. Regie: Musik, Billie Holiday, Passion Flower Autor: Fries leidet unter einer seltenen Knochenkrankheit, er ist kleinwüchsig und geht mittlerweile an Krücken. Die Parkbank, das Innehalten in den großen Städten, die Ruhe im Sturm – sie ist nicht nur eine ästhetische Größe, sie geht aus seinem Alltag hervor. Regie: 15 Musik, Billie Holiday, Passion Flower Autor: „Oobliadooh“, das war ein Niemandsland. Und mitten in diesem Umschlag, von einer unerreichbaren Utopie in ein immer enger werdendes Lerchennest, in dem man doch nicht so unbeobachtet war, wie es den Anschein hatte – im Jahr 1978 schrieb Fries eine kleine Erzählung. Sie heißt „Rausch im Niemandsland“ und überführt das Unwirkliche der DDR in eine fulminante Nicht-Handlung. Da betrinkt sich ein einsamer Reisender, schwankend zwischen Ost und West, auf dem exterritorialen Gelände des Bahnhofs Friedrichstraße mit Intershop-Alkohol. Ein prägnanteres Bild für die Definition des DDR-Schriftstellers ist nie gefunden worden. Zitator: Als ich an die Tür will, sehe ich mich schwanken. Wankend rolle ich übers Niemandsland, die kahle preußische auszementierte Weite, spanische Reiter in der Attacke und dazwischen ein Wassergraben, und werde bewegt und kann nicht verlorengehen. Denn zwei uniformierte Schutzengel, die mich unschlüssig haben einsteigen sehen, haben herübertelefoniert, und als ich zögernd fremden Boden betrete – Heine, here I come! singe ich in der, wie ich meine, richtigen Sprache - , fassen mich zwei Schutzengel sanft, aber nachdrücklich an, geben mir so ein Gefühl von Kumpanei, haken sich bei mir unter, ich bei ihnen, und hast du nicht gesehen tragen sie mich zurück ins Abteil des ausfahrenden Zuges, und eh’ ich mich umschauen kann, bin ich auf der anderen Seite, die meine Seite war und wieder ist, und falle denen in die Arme, die solidarischen Parolen türkischer Gastarbeiter in den Wind schlagend, stolpere und werde zurückgeschoben, ein Missverständnis, denn sicher hat man inzwischen herübertelefoniert, entkomme ins nächste Abteil, fahre und werde gefahren, halte meinen Pass mit den vielen richtigen Stempeln hoch, rezitiere allen mein Gedicht Willkommen und Abschied, und frage mich, aus welchen Paradiesen mich diese Engel, die so verdammt ähnlich grinsen, denn immerzu vertreiben wollen. Regie: Musik: In the land of Oo-bla-dee Autor: Die Idylle ist trügerisch geworden. Die S-Bahn fährt weiter nach Petershagen, aber sie ist schneller geworden. Das Fremde hat seine Pflöcke eingeschlagen, unübersehbar. Am Weg, den Giebelsee entlang, da wo die Buden mit „Backwaren“ und „Fleischwaren“ standen, sind jetzt nur noch Baracken auszumachen, mit verschmierten, dumpfen Fensterscheiben. Und der „Pappelwirt“, der an der Kreuzung stand und mit seinen Bockwürsten und seinem Bier biedermeierliches Behagen verströmte, steht da nicht mehr, mitsamt seinen Pappeln. Wie ein gestrandetes Raumschiff erheben sich hier die Betonfertigteile eines Supermarktes, und um die Kurven sausen die neuen Autos, die die Pflastersteine unter sich hinwegzufegen scheinen. O-Ton 22: 22’16-22’36: Vollkommenheit ist immer doch fragwürdig. Wenn ein Roman aufgeht wie ein Puzzle, dann stimmt irgendetwas nicht. Da müssen noch ein paar Fäden am Ende zu sehen sein, die der Leser oder der Hörer dann in die Hand bekommt. Zitator: Tempus fugit, sagte Retard und legte entgegen seinen Gewohnheiten eine Platte von Ornette Coleman auf: The Monk And The Nun. 16 Regie: Musik, Thelonius Monk: Ruby, My Dear Autor: Fritz Rudolf Fries ist immer ein Spieler gewesen, und er spielte ernsthaft, wie es nur ein Bebopper kann. Er war eine Zeitlang berühmt. Da rissen sich die westdeutschen Feuilletons um ihn. „Alexanders neue Welten“, zeitgleich in beiden deutschen Staaten gedruckt, erhielt überall große, begeisterte Rezensionen. 1990 bekam Fries den Bremer Literaturpreis, der immer als die Vorstufe zum Büchner-Preis galt, dem renommiertesten deutschen Literaturpreis – zwei drei Jahre noch, ein Roman, und kein Weg mehr hätte an ihm vorbeigeführt. Doch daraus wurde nichts. Auf einen Schlag wollte kein Feuilleton mehr etwas von ihm wissen. Der Fall Fries ist ein Lehrstück für das Verhältnis von Ästhetik, Moral und Medien. Das Skandalon war, dass Fries sich äußerst trotzig zeigte. Wie die Medien sich als Hüter der Moral begriffen, war für ihn eine schlechte Komödie. Nicht nur das verbindet Fries mit Heiner Müller. Doch dessen Fähigkeit, sich eine schlechte Komödie virtuos anzueignen und sich in ihr zu bewegen, war Fries versagt. O-Ton 23: 1’00’05-1’00’56: Ein Anlass zu schreiben ist immer eine private Verletzung. Man schreibt, um sich zu orientieren, man schreibt, um eine Verletzung im Schreiben zu heilen. Die Anlässe kommen primär aus dir selbst, aus dem privaten Wollen. Aus einer Hilflosigkeit, die man behielte, wenn man nicht schreiben würde. Schreiben ist eine Krücke! Und da ich sowieso nicht mehr laufen kann, brauche ich also die Bücher mehr denn je, um da zu sein. Zitator: Wie Proust sah auch der um eine Generation jüngere José Lezama Lima den Roman als eine totale Gattung, lebendiger als die Kritiker, die ihn totsagten, ein Medium wie ein Schwamm, fähig, das Leben des Autors im doppelten Sinn aufzusaugen, seine Erfahrung wie seine Energie mitzunehmen. Autor: 2004 erschien Fries’ Roman „Hesekiels Maschine oder Gesang der Engel am Magnetberg“. Der Prophet Hesekiel aus dem Alten Testament spielt eine entscheidende Rolle, Dantes „Göttliche Komödie“ mit ihren Vorstellungen von Hölle und Paradies taucht auf, und unversehens befinden wir ins im berüchtigten Hotel Lux, dem Moskauer Hotel der Emigranten zur Stalinzeit – ein wahrer Hexentanz der Allegorien ist das, ein rauschhaftes Treiben, das sich alle erdenklichen Epochen und Stile einverleibt. Und es gibt vor allem Engel, die irgendetwas mit einem Geheimdienst zu tun haben. Sie führen die Hauptfigur Daniel Abesser in immer neue Versuchungen. Er merkt ziemlich schnell: Das Moskauer Hotel Lux ist die Hölle. Doch oben, im sechsten Stock, befindet sich auch das Paradies. Ganz am Ende des Romans kommt er in seine Nähe. Die Tür geht auf, und zwei Dienstengel führen ihn hinein: Regie: Musik (das folgende Zitat unterlegen mit Billie Holiday, Passion Flower) Zitator: Und so geschah es, wir luden ihn ein, in zwei Musiker verwandelt, die auf die Gelegenheit eines gigs warteten, indes ihre Kollegen im Halblicht auf der Bühne spielten, hinter Schwaden von Tabakrauch und in den leisen Passagen in ihrer Musik beinahe zugedeckt von den unbekümmert geführten Gesprächen am Tisch, die ein Ostinato waren, durchaus anregend 17 gedacht wie die ständige Begleitung auf dem Schlagzeug, unterbrochen oder gesteigert durch das Klirren eine zerbrochenen Glases, das Aufschlagen der Bestecke auf einem geleerten Teller und der unerwartet in die Höhe steigenden Spirale eines Lachens, das auch das der Sängerin sein konnte, die auch heute auf ihre Gardenie im Haar nicht verzichtet hatte und deren abgezehrter Körper unmöglich diese Stimme beherbergen konnte, die stammelte wie ein kleines Mädchen und dann wieder stöhnte wie eine auf den Wogen der Lust reitende Geliebte, und die ihre Kollegen animierte, aus ihren Trompeten und Saxophonen, Gitarren und Bässen die letzten Geständnisse herauszupressen, die sie der Sängerin und uns machen wollten, an diesem Abend und dann nie wieder. Regie: Musik, Billie Holiday, Passion Flower. 18