Einführung in die Komparatistik Vorlesung im WS 2006/07 W. Eckel Übersicht über die Systematik des Fachs Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft ............................................................................................................. 2 Konzepte der Weltliteratur I ...................................................................................................... 3 Konzepte der Weltliteratur II .................................................................................................... 4 Konzepte der Weltliteratur III ................................................................................................... 5 Konzepte der Weltliteratur IV ................................................................................................... 6 Die Konjunktur der vergleichende Methode im 19. Jahrhundert .............................................. 7 Kritik am Vergleich I ................................................................................................................ 8 Kritik am Vergleich II ............................................................................................................... 9 Zur Vorgeschichte der Komparatistik ..................................................................................... 10 Hermeneutik ............................................................................................................................ 11 „Linguistic turn“ ...................................................................................................................... 12 „Linguistic turn“ ...................................................................................................................... 13 Derridas Kritik des Logozentrismus ....................................................................................... 14 Bachtins Modell der Dialogizität und der Polyphonie des modernen Romans I .................... 15 Bachtins Modell der Dialogizität und der Polyphonie des modernen Romans II ................... 17 Intermedialität ......................................................................................................................... 18 Interkulturalität I ..................................................................................................................... 19 Interkulturalität II .................................................................................................................... 20 Kursivierungen im Original. Fettdruck nicht im Original. Übersicht über die Systematik des Fachs Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft EINZELPHILOLOGIEN VERGLEICHENDE LITERATURWISS. ALLGEMEINE LITERATURWISS. Beschäftigen sich mit literarischen Autoren, Werken, Bewegungen, Epochen, Institutionen eines bestimmten Sprachraums Vergleicht literarische Autoren, Werke, Bewegungen, Epochen, Institutionen über Länder- und Sprachgrenzen hinweg (Richard Anthony Sayce: Comparative Literature = „the study of national literatures in relation to each other”) Beschäftigt sich mit Literatur in allgemeiner, tendenziell theoretischer Hinsicht, unabhängig von der Frage, in welcher Sprache ein Text verfaßt ist (Sayce: General Literature = „the study of literature without regard to linguistic frontiers“) Germanistik Anglistik, Italianistik Hispanistik Polonistik Russistik usw. Vergleicht im Hinblick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten (individualisierende und generalisierende Verfahren) genetische Vergleiche (Kontakte) typologische Vergleiche (Analogien) Werke im Kontext der Weltliteratur Stoff- und Motivgeschichte (Vergleich stoffund motivverwandter Texte) Thematologie Vergleichende Rezeptionsgeschichte Vergleichende Übersetzungsforschung Interarts Studies, Comparative Arts, Intermedialitätsforschung Literaturtheoretische Fragen – Was ist Literatur? – Verhältnis Literatur/ Wirklichkeit – Wie entsteht Literatur? – Wie wirkt Literatur? Gattungstheoretische Fragen – Status der Gattungen („Naturformen“?) – Einteilung, Systematik – Gattungsgeschichte Fragen der Literaturgeschichtsschreibung – Epochenbildung – Verhältnis Literatur-/ Allgemeingeschichte Fragen der Methodologie – Diskussion verschiedner Ansätze – usw. Einführung in die Komparatistik Konzepte der Weltliteratur I Goethes dynamisch-relationales Konzept: „Wenn wir eine europäische, ja eine allgemeine Weltliteratur zu verkündigen gewagt haben, so heißt dieses nicht, daß die verschiedenen Nationen voneinander und ihren Erzeugnissen Kenntnis nehmen, denn in diesem Sinne existiert sie schon lange, setzt sich fort und erneuert sich mehr oder weniger. Nein! Hier ist vielmehr davon die Rede, daß die lebendigen und strebenden Literatoren einander kennenlernen und durch Neigung und Gemeinsinn sich veranlaßt finden, gesellschaftlich zu wirken. Dieses wird aber mehr durch Reisende als Korrespondenz bewirkt, indem ja persönliche Gegenwart ganz allein das wahre Verhältnis unter den Menschen zu bestimmen und zu befestigen imstande ist.“ (Die Zusammenkunft der Naturforscher in Berlin, 1828) „Es ist aber sehr artig, daß wir jetzt, bei dem engen Verkehr zwischen Franzosen, Engländern und Deutschen, in den Fall kommen, uns einander zu korrigieren. Das ist der große Nutzen, der bei einer Weltliteratur herauskommt und der sich immer mehr zeigen wird. Carlyle hat das Leben von Schiller geschrieben und ihn überall so beurteilt, wie ihn nicht leicht ein Deutscher beurteilen wird. Dagegen sind wir über Shakespeare und Byron im Klaren und wissen deren Verdienste vielleicht besser zu schätzen als die Engländer selber.“ (Gespräch mit Eckermann, 15. Juli 1827) „Diese Zeitschriften, wie sie sich nach und nach ein größeres Publikum gewinnen, werden zu einer gehofften allgemeinen Weltliteratur auf das wirksamste beitragen; nur wiederholen wir, daß nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen einander überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen, und wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden lernen.“ (Über Kunst und Altertum, VI, 2 [1828]) „Nun aber möchte ich von Ihnen wissen, inwiefern dieser Tasso als englisch gelten kann. Sie werden mich höchlich verbinden, wenn Sie mich hierüber aufklären und erleuchten; denn eben diese Bezüge vom Originale zur Übersetzung sind es ja, welche die Verhältnisse von Nation zu Nation am allerdeutlichsten aussprechen und die man zur Förderung der vor- und obwaltenden allgemeinen Weltliteratur vorzüglich zu kennen und zu beurteilen hat.“ (An Carlyle, 1. Jan. 1828) „Denn daraus nur kann endlich die allgemeine Weltliteratur entspringen, daß die Nationen die Verhältnisse aller gegen alle kennen lernen und so wird es nicht fehlen, daß jede in der andern etwas Annehmliches und etwas Widerwärtiges, etwas Nachahmenswertes und etwas zu Meidendes antreffen wird.“ (Entwurf einer Einleitung zu Carlyle, Leben Schillers, 5. April 1830) Alle Zitate im Anhang zu: Fritz Strich, Goethe und die Weltliteratur, Bern 1946, S. 397ff. 3 Einführung in die Komparatistik Konzepte der Weltliteratur II Das qualitative Konzept: Gutzkow, 1836: „zur weltliteratur gehört alles, das würdig ist, in die fremden Sprachen übersetzt zu werden, somit alle entdeckungen, welche die wissenschaft bereichern, alle phänomene, welche ein neues gesetz in der kunst zu erfinden und die regeln der alten ästhetik zu zerstören scheinen.“ Grimmsches Wörterbuch: Der Terminus ,Weltliteratur‘ ist reserviert „insonderheit für die auslese der literarischen schöpfungen aller völker und zeiten, die über den jeweiligen nationalen publikumserfolg hinauswirkend – zum gemeinsamen klassischen literaturgut aller kulturvölker geworden ist.“ Das quantitative Konzept René Etiembles: „[…] proclamons que la littérature ne peut être désormais que l’ensemble de toutes les littératures, vivantes ou mortes, dont nous avons gardé des traces écrites, ou seulement orales, et ce, sans discrimination langagière, politique ou religieuse.“ (20) „Certes il est sain que l’Allemand connaisse beaucoup mieux sa littérature que celle des Persans ou des Japonais, et réciproquement; mais ne pourrait-on admettre que nul n’a désormais le droit de se mêler de Weltliteratur, ou mieux de Littérature, s’il n’a fait effort pour échapper au déterminisme de sa naissance.“ (28) „On ne m’ôtera pourtant pas l’esprit que, s’il est un avenir pour l’homme, c’est celui où nos étudiants sauront lire, voudront lire, Jippenska Ikku et Rabelais, Wang Tch’ong et Hobbes, la Risalat ul ghufran et le Li Sao, la Vita de Cellini et les Confessions de saint Augustin et que, la terre des hommes étant désormais ce qu’elle est, c’est à cet idéal que doit tendre ce qui fut au siècle dernier la Weltliteratur.“ (30) „Comment améliorer les répertoires futurs de noms propres, ces bio-bibliographies à quoi se résument hélas, jusqu’ici, les entreprises de Weltliteratur, sinon en les confiant à une association véritablement internationale de littérature comparée, où tous ceux de notre discipline, qu’ils travaillent dans le monde socialiste ou le monde capitaliste, pourraient sans trop de difficulté collaborer, s’agissant d’établir des faits.“ (26) „[…] une seule voie reste ouverte dans la Weltliteratur, celle des affinités, celle de l’amour: ,Er [der Leser] muss den Weg der Liebe gehen, nicht den der Pflicht.‘“ (20) René Etiemble, Faut-il réviser la notion de ,Weltliteratur‘? (1964), in: ders., Essais de littérature (vraiment) générale, Paris 1975, S. 15-36 4 Einführung in die Komparatistik Konzepte der Weltliteratur III Das intertextuelle Konzept von Dieter Lamping: „In diesem Sinn ist unter ,Weltliteratur‘ ein Beziehungssystem von Texten verschiedener Literaturen zu verstehen. Der Zusammenhang zwischen ihnen beruht auf literarischen Bezugnahmen. Solche Werke der Weltliteratur sind Schnittstellen poetischer Rezeptionen: Sie haben zumindest entweder frühere Literatur einer anderen Sprache produktiv verarbeitet oder sind selbst in späteren Texten verarbeitet worden und haben so literarische Traditionslinien unterschiedlicher Art begründet oder fortgeführt – seien es Gattungen, Stile oder Motivkomplexe.“ (12) „Wenn man den Begriff ,Weltliteratur‘ in einem intertextuellen Sinn gebraucht, ist er ein Beschreibungsbegriff, der ein literaturgeschichtliches Phänomen bezeichnet: das literarischer Referenzen, die eine Sprache oder Nationalliteratur übergreifen. Ob ein Werk der Weltliteratur angehört, läßt sich empirisch überprüfen: durch den Nachweis, daß es aktiv oder passiv teilhat an der internationalen produktiven Rezeption von Literatur. Wo solche intertextuellen Bezugnahmen fehlen, läßt sich von ,Weltliteratur‘ im definierten Sinn nicht sprechen.“ (15) Dieter Lamping; Frank Zipfel, Was sollen Komparatisten lesen?, Berlin 2005 5 Einführung in die Komparatistik Konzepte der Weltliteratur IV Das soziologische Konzept Horst Steinmetz’: „Weltliteratur ist als Produkt ökonomischer, historischer und geistiger Entwicklungen zunächst als eine Literatur zu definieren, die von vornherein nationale und sprachliche Barrieren überschreitet und überschreiten will. Dies nun jedoch nicht, weil sie sich durch besondere literarische oder andere Qualitäten auszeichne, sondern in erster Linie, weil sie auf Lebenssituationen reagiert, die insbesondere in den sogenannten kapitalistischen Ländern trotz unterschiedlicher nationaler Milieus einander in zunehmendem Maße gleichen.“ (113) „Literarische Werke werden geradezu automatisch aus der Sichtweise der Weltzustände gelesen, selbst dann, wenn sie noch so etwas wie eine regionale Alternative beschwören wollen. Aber auch die Intention der Autoren ist nicht mehr auf einen National-, sondern auf den Weltmarkt gerichtet.“ (118) „Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts setzt ein Prozeß ein, der im 20. in unglaublich beschleunigtem Tempo der Literatur in all ihren Gattungen und auf all ihren Ebenen Kräfte und Wirklichkeitsrelationen aufzwingt, die es berechtigt erscheinen lassen, von einer neuen Epoche der Literatur zu sprechen, einer Epoche, die sich von allen früheren abgrenzen läßt. Dieser Prozeß hat seine Basis in der fortschreitenden Angleichung ursprünglich verschiedener Lebenswelten, in der zunehmenden Einebnung der Ungleichzeitigkeiten im Gleichzeitigen. Überall entstehen daher analoge literarische Produktions- und Rezeptionsvoraussetzungen.“ (121) Horst Steinmetz, Weltliteratur. Umriß eines literaturgeschichtlichen Konzepts, in: ders., Literatur und Geschichte, München 1988, S. 103-126 6 Einführung in die Komparatistik Die Konjunktur der vergleichende Methode im 19. Jahrhundert Georges Cuvier, Anatomie comparée (1800 bis 1805) Franz Bopp, Über das Konjugationssystem der Sanskritssprache im Vergleich mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache (1816) Carl Ritter, Die Erdkunde, im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen, oder allgemeine vergleichende Geographie (1817ff.) François Renouard, Grammaire comparée des langues de l’Europe latine dans leurs rapports avec la langue des troubadours (1821) Adolf von Harnack (1851-1930): „Im 19. Jahrhundert ist die vergleichende Methode geradezu zur Herrscherin in der Wissenschaft geworden. Vergleichende Sprach-, Religions-, Rechts- und Verfassungswissenschaft usw. sind an die Spitze getreten und keine einzige Disziplin vermag sich dieser Methode zu entziehen.“ Wilhelm Dilthey (1833-1911): „Mit diesem großen Blick der historischen Schule verband sich dann ein methodischer Fortschritt von der höchsten Bedeutung. Von der aristotelischen Schule ab hatte die Ausbildung der vergleichenden Methoden in der Biologie der Pflanzen und Tiere den Ausgangspunkt für deren Anwendung in den Geisteswissenschaften gebildet. Durch diese Methode war die antike politische Wissenschaft zur höchstentwickelten Disziplin der Geisteswissenschaften im Altertum erhoben worden. Indem nun die historische Schule die Ableitung der allgemeinen Wahrheiten in den Geisteswissenschaften durch abstraktes konstruktives Denken verwarf, wurde für sie die vergleichende Methode das einzige Verfahren, zu Wahrheiten von größerer Allgemeinheit aufzusteigen. Sie wandte dies Verfahren auf Sprache, Mythos, nationale Epik an, und die Vergleichung des römischen mit dem germanischen Recht, dessen Wissenschaft eben damals emporblühte, wurde der Ausgangspunkt für die Ausbildung derselben Methode auch auf dem Rechtsgebiet.“ Lit.: Erich Rothacker, Die vergleichende Methode in den Geisteswissenschaften, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 60 (1957), S. 13-33 7 Einführung in die Komparatistik Kritik am Vergleich I Zelle, Carsten, Komparatistik und comparatio – der Vergleich in der Vergleichenden Literaturwissenschaft (2005): „Durch die Akzentuierung des Singularen als dem [sic!] Gegenstand der Geisteswissenschaften im Sinne Diltheys wird der ,Vergleich‘ durch das ,Verstehen‘ verdrängt. Tatsächlich verkürzt Diltheys Schleiermacherrezeption die ,Duplizität‘ ,Divination‘ und ,Comparation‘ um das zweite Moment, favorisiert die psychologische Methode der Einfühlung, wertet die Vergleichung als fragwürdig ab und drängt sie aus dem Methodenrepertoire der historischen Erkenntnis heraus. Das Individuum, das ineffabile ist, entzieht sich jedem Vergleich.“ Wackenroder/Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797): „Vergleichung ist ein gefährlicher Feind des Genusses; auch die höchste Schönheit der Kunst übt nur dann, wie sie soll, ihre volle Gewalt an uns aus, wenn unser Auge nicht zugleich seitwärts auf andere Schönheit blickt.“ Wackenroder/Tieck, Phantasien über die Kunst (1799): „Wie ich denn überhaupt glaube, daß der echte Genuß und zugleich der echte Prüfstein der Vortrefflichkeit eines Kunstwerks sei, wenn man über dies eine alle andern Werke vergißt und gar nicht daran denkt, es mit einem andern vergleichen zu wollen.“ Klopstock, Gelehrtenrepublik (1774): „Die Vergleichungssucht. / Untersuchest du deinen Gegenstand nur in Vergleichung mit andern; so wird es bald um dich von kleinen und großen Irrtümern wimmeln; untersuchest du ihn aber allein und für sich; so kannst du bisweilen dahin kommen, daß du ihn ganz siehest, und du stehest dann, in Absicht auf Erkenntnis, eine Stufe höher als die Vergleicher. / Wer dies nicht weiß, der buchstabiert noch; und gleichwohl ists nicht überflüssig, es zu sagen. In unserm erleuchteten achtzehnten Jahrhunderte wird mehr verglichen als jemals ist verglichen worden. Es versteht sich von selbst, daß dieses diejenigen am wenigsten glauben, die es am meisten angeht.“ Lit.: Bischoff, Volker, Grenzen und Möglichkeiten des Vergleichs, in: Sprachkunst 5 (1974), S. 159-169; Zelle, Carsten, Komparatistik und comparatio – der Vergleich in der Vergleichenden Literaturwissenschaft, in: Komparatistik. Jahrbuch der DGAVL 2004/05, S. 13-34 8 Einführung in die Komparatistik Kritik am Vergleich II Peter Szondi, Über philologische Erkenntnis (1962): „Es gehört zu den Aufgaben der Literaturwissenschaft, vom Einzelwerk abstrahierend zur Übersicht über eine mehr oder weniger einheitliche Periode der historischen Entwicklung zu gelangen. […] Aber es darf nicht übersehen werden, daß jedem Kunstwerk ein monarchischer Zug eigen ist, daß es – nach einer Bemerkung Valérys – allein durch sein Dasein alle anderen Kunstwerke zunichte machen möchte. Damit ist keine persönliche Ambition des Dichters oder Künstlers gemeint, mit der sich die Wissenschaft nicht zu beschäftigen hätte, auch nicht der Anspruch auf Originalität und Unvergleichbarkeit, der dem kritischen Blick nur selten standzuhalten vermöchte. Kein Kunstwerk behauptet, daß es unvergleichbar ist (das behauptet allenfalls der Künstler oder der Kritiker), wohl aber verlangt es, daß es nicht verglichen werde. Dieses Verlangen gehört als Absolutheitsanspruch zum Charakter jedes Kunstwerks, das ein Ganzes, ein Mikrokosmos sein will, und die Literaturwissenschaft darf sich darüber nicht einfach hinwegsetzen, wenn ihr Vorgehen ihrem Gegenstand angemessen, das heißt wissenschaftlich sein soll. Sie wird es freilich tun müssen, sobald es ihr nicht mehr um die Erkenntnis des Einzelwerks, sondern um die Erkenntnis eines Œuvre, eines Zeitstils oder einer geschichtlichen Entwicklung geht. Diese Überschau indessen darf erst aus der Summe des begriffenen Einzelnen hervorgehen, keineswegs sollte die Erkenntnis des Besonderen verwechselt werden mit dessen Subsumtion unter ein historisch Allgemeines. […] Denn nicht selten erwecken historische Arbeiten den Anschein, als wolle ihr Verfasser der intensiven Versenkung in das einzelne Kunstwerk aus dem Wege gehen, als scheue er diese Intimität und als wäre der Grund dieser Scheu die Angst, in der Nähe zum künstlerischen Vorgang jene Distanz einzubüßen, die ein Attribut der Wissenschaft sein soll. Aber es scheint das Dilemma der Literaturwissenschaft zu sein, daß sie nur in solcher Versenkung das Kunstwerk als Kunstwerk zu begreifen vermag und also gerade um ihrer Wissenschaftlichkeit, das heißt Gegenstandsangemessenheit willen, auf Kriterien wie die des Abstands und des ,einmal ist keinmal‘ verzichten muß, die sie von anderen Wissenschaften übernommen hat.“ 9 Einführung in die Komparatistik Zur Vorgeschichte der Komparatistik Tacitus, Dialogus de oratoribus (um 100) Plutarch, Bioi parallēloi (ca. 105 – 115) Macrobius, Saturnalia (vor 395) Iulius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, (1561) Francis Meres, A Comparative Discourse of Our English Poets with the Greek, Latin, and Italian Poets (1598) Charles Perrault, Parallèle des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences (1688) Fontenelle, Digression sur les anciens et les modernes (1688) Dante, De vulgari eloquentia (1305) Luther, Sendbrief vom Dolmetschen (1530) Du Bellay, Deffence et illustration de la langue françoyse (1549) Samuel Daniel, A Defence of Ryme (1603) Johann Elias Schlegel, Vergleichung Shakespeares und Andreas Gryphs (1741) August Wilhelm Schlegel, Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Euripide (1807) Stendal, Racine et Shakespeare (1822) Abel François Villemain, „Examen de l’influence exercée par les écrivains français du XVIIIe siècle sur les littératures étrangères et l’esprit européen“ (Vorlesung an der Pariser Sorbonne, 1828) Jean-Jacques Ampère, „De la littérature française dans ses rapports avec les littératures étrangères au moyen age“ (Antrittsvorlesung an der Sorbonne) Adolphe de Puibusques, Histoire comparée les littératures espagnole et françaises (1843) Edme Jacques Benoît Rathery, L’influence de l’Italie sur les lettres françaises, depuis le XIIIe siècle jusqu’au règne de Louis XIV (153) William Reymond, Corneille, Shakespeare et Goethe (1864) 10 Einführung in die Komparatistik Hermeneutik Schleiermacher: „Die laxere Praxis in der Kunst [des Verstehens] geht davon aus, daß sich das Verstehen von selbst ergibt und drückt das Ziel negativ aus: Mißverstand soll vermieden werden.“ „Die strengere Praxis geht davon aus, daß sich das Mißverstehen von selbst ergibt und das Verstehen auf jedem Punkt muß gewollt und gesucht werden.“ Der vierfache Schriftsinn: „Littera gesta docet, quid credas allegoria, Moralis quid agas, quo tendas anagogia.“ 11 Einführung in die Komparatistik „Linguistic turn“ Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft: „Psychologisch betrachtet ist unser Denken, wenn wir von seinem Ausdruck durch die Worte absehen, nur eine gestaltlose und unbestimmte Masse. Philosophen und Sprachforscher waren immer darüber einig, daß ohne die Hilfe der Zeichen wir außerstande wären, zwei Vorstellungen dauernd und klar auseinander zu halten. Das Denken, für sich allein genommen, ist wie eine Nebelwolke, in der nichts notwendigerweise begrenzt ist. Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen, und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in Erscheinung tritt. Gegenüber diesem verschwommenen Gebiet würden nun die Laute für sich selbst gleichfalls keine fest umschriebenen Gegenstände darbieten. Die lautliche Masse ist ebensowenig etwas fest Abgegrenztes und klar Bestimmtes; sie ist nicht eine Hohlform, in die sich das Denken einschmiegt, sondern ein plastischer Stoff, der seinerseits in gesonderte Teile zerlegt wird, um Bezeichnungen zu liefern, welche das Denken nötig hat. […] Die Sprache hat also dem Denken gegenüber nicht die Rolle, vermittelst der Laute ein materielles Mittel zum Ausdruck der Gedanken zu schaffen, sondern als Verbindungsglied zwischen dem Denken und dem Laut zu dienen, dergestalt, daß deren Verbindung notwendigerweise zu einander entsprechenden Abgrenzungen von Einheiten führt. Das Denken, das seiner Natur nach chaotisch ist, wird gezwungen, durch Gliederung sich zu präzisieren; es findet also weder eine Verstofflichung der Gedanken noch eine Vergeistigung der Laute statt, sondern es handelt sich um die einigermaßen mysteriöse Tatsache, daß der ,Laut-Gedanke‘ Einteilungen mit sich bringt, und die Sprache ihre Einheiten herausarbeitet, indem sie sich zwischen zwei gestaltlosen Massen bildet.“ (133) Nach Saussure sind Werte immer gebildet: „1. durch etwas Unähnliches, das ausgewechselt werden kann gegen dasjenige, dessen Wert zu bestimmen ist; 2. durch ähnliche Dinge, die man vergleichen kann mit demjenigen, dessen Wert in Rede steht. Diese beiden Faktoren sind notwendig für das Vorhandensein eines Wertes. So muß man zur Feststellung des Wertes von einem Fünfmarkstück wissen: 1. daß man es auswechseln kann gegen eine bestimmte Menge einer anderen Sache, z.B. Brot; 2. daß man es vergleichen kann mit einem ähnlichen Wert des gleichen Systems, z.B. einem Einmarkstück, oder mit einer Münze eines anderes Systems, z.B. einem Franc. Ebenso kann ein Wort ausgewechselt werden gegen etwas Unähnliches: eine Vorstellung; außerdem kann es verglichen werden mit einer Sache gleicher Natur: einem andern Wort. Sein Wert ist also nicht bestimmt, wenn man nur feststellt, daß es ausgewechselt werden kann gegen diese oder jene Vorstellung, d.h. daß es diese oder jene Bedeutung hat; man muß es auch noch vergleichen mit ähnlichen Werten, mit anderen Wörtern, die man daneben setzen kann; sein Inhalt ist richtig bestimmt nur durch die Mitwirkung dessen, was außerhalb seiner vorhanden ist. Da es Teil eines Systems ist, hat es nicht nur eine Bedeutung, sondern zugleich und hauptsächlich einen Wert, und das ist etwas ganz anderes.“ (137f.) 12 Einführung in die Komparatistik „Linguistic turn“ Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft: „Alles Vorausgehende läuft darauf hinaus, daß es in der Sprache nur Verschiedenheiten gibt. Mehr noch: eine Verschiedenheit setzt im allgemeinen positive Einzelglieder voraus, zwischen denen sie besteht; in der Sprache aber gibt es nur Verschiedenheiten ohne positive Einzelglieder. Ob man Bezeichnetes oder Bezeichnendes nimmt, die Sprache enthält weder Vorstellungen noch Laute, die gegenüber dem sprachlichen System präexistent wären, sondern nur begriffliche und lautliche Verschiedenheiten, die sich aus dem System ergeben. Was ein Zeichen an Vorstellung oder Lautmaterial enthält, ist weniger wichtig als das, was in Gestalt der andern Zeichen um dieses herum gelagert ist. Der Beweis dafür ist, daß der Wert eines Gliedes verändert werden kann, ohne daß sein Sinn oder seine Laute in Mitleidenschaft gezogen würden, einzig und allein durch den Umstand, daß irgendein benachbartes Glied seine Umgestaltung erfahren hat.“ 13 Einführung in die Komparatistik Derridas Kritik des Logozentrismus Derrida, Positionen (1972): Zur Illusion eines gegenwärtigen Sinns im Sprechen: „Nicht nur scheinen sich Signifikant und Signifikat zu vereinigen, sondern in dieser Verschmelzung scheint der Signifikant zu erlöschen oder durchsichtig zu werden, um dem Begriff die Möglichkeit zu geben, sich selbst als das zu zeigen, was er ist, als etwas, das auf nichts anderes als auf seine eigene Präsenz verweist. Der äußerliche Charakter des Signifikanten scheint vermindert zu sein. Natürlich ist diese Erfahrung eine Illusion, aber eine Illusion, deren Notwendigkeit eine ganze Struktur oder eine ganze Epoche bestimmt hat. Auf dem Boden dieser Epoche hat sich eine Semiologie entwickelt, deren wesentliche Begriffe und Voraussetzungen von Platon bis Husserl über Aristoteles, Rousseau, Hegel usw. zu verfolgen sind.“ (60) „Das Spiel der Differenzen setzt in der Tat Synthesen und Verweise voraus, die es verbieten, daß zu irgendeinem Zeitpunkt, in irgendeinem Sinn, ein einfaches Element als solches präsent wäre und nur auf sich selbst verwiese. Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es auf dem Gebiet der gesprochenen oder auf dem der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verkettung folgt, daß sich jedes ,Element‘ – Phonem oder Graphem – aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervorgeht. Es gibt nichts, weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo einfach anwesend oder abwesend wäre. Es gibt durch und durch nur Differenzen und Spuren von Spuren. […] Die différance ist das systematische Spiel der Differenzen, der Spuren von Differenzen, der Verräumlichung, mittels derer sich die Elemente aufeinander beziehen.“ (66ff.) „Nichts – kein präsent und nicht differierend [in-différant] Seiendes – geht also der différance und der Verräumlichung voraus. Es gibt kein Subjekt, das Agent, Autor oder Herr der différance wäre und dem sie sich möglicherweise empirisch aufdrängen würde. Die Subjektivität ist – ebenso wie die Objektivität – eine Wirkung der différance, eine in das System der différance eingeschriebene Wirkung. Das a der différance bringt daher auch zum Ausdruck, daß die Zwischenräume Verzeitlichung, Umweg, Aufschub sind, mittels derer die Intuition, die Wahrnehmung, der Konsum, mit einem Wort die Bezüge zur Gegenwart, zu einer gegenwärtigen Realität, zu einem Seienden, immer differiert [différés] werden. Diese Differierung geht auf das Prinzip der Differenz selbst zurück, von dem aus ein Element nur dann funktionieren und bezeichnen, nur dann einen ,Sinn‘ haben oder geben kann, wenn es im Rahmen der Ökonomie der Spuren auf ein anderes, vergangenes oder zukünftiges, Element verweist. Dieser ökonomische Gesichtspunkt der différance ist von dem streng semiotischen nicht zu trennen, weil er einen bestimmten – nicht bewußten – Kalkül in ein Kräftefeld eintreten läßt. Er bestätigt, daß das Subjekt, und in erster Linie das bewußte und sprechende Subjekt, von dem System der Differenzen und der Bewegung der différance abhängig ist, daß es vor der différance weder gegenwärtig noch vor allem selbstgegenwärtig ist; es schafft sich seinen Platz in ihr erst, indem es sich spaltet, sich verräumlicht, sich ,verzeitlicht‘, sich differiert; er bestätigt außerdem jene Aussage Saussures, wonach ,die Sprache [die nur aus Differenzen besteht] keine Funktion des sprechenden Subjekts ist‘.“ (70f.) 14 Einführung in die Komparatistik Bachtins Modell der Dialogizität und der Polyphonie des modernen Romans I „Der Roman als Ganzes umschließt viele Stile, verschiedenartige Reden und verschiedene Stimmen. Der Gelehrte trifft hier auf heterogene stilistische Einheiten, die zuweilen auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen liegen und unterschiedlichen stilistischen Gesetzmäßigkeiten folgen. Im folgenden seien die Grundtypen kompositorisch-stilistischer Einheiten, in die gewöhnlich das Romanganze gegliedert ist, genannt: 1. das direkte literarisch-künstlerische Erzählen des Autors (in allen seinen vielfältigen Varianten); 2. die Stilisierung verschiedener Formen des mündlichen, alltäglichen Erzählens (skaz): 3. die Stilisierung verschiedener Formen des halbliterarischen, (schriftlichen) alltäglichen Erzählens (Briefe, Tagebücher etc.); 4. verschiedene Formen der literarischen, nicht-künstlerischen Autorrede (moralische, philosophische, wissenschaftliche Erörterungen, rhetorische Deklamationen, ethnographische Beschreibungen, protokollarische Informationen etc.); 5. stilistisch individualisierte Reden der Helden. Diese heterogenen stilistischen Einheiten verbinden sich, wenn sie in den Roman Eingang finden, zu einem künstlerischen System und ordnen sich der höheren stilistischen Einheit des Ganzen unter, das man nicht mit einer einzelnen dieser untergeordneten Einheiten gleichsetzen darf.“ (156) „Das Wort des traditionellen stilistischen Denkens kennt nur sich selbst (d.h. seinen Kontext), seinen Gegenstand, seine direkte Expression und seine einheitliche und einzige Sprache. Ein anderes Wort, das außerhalb dieses Kontextes steht, wird nur als neutrales Wort der Sprache, als niemandes Wort, als bloße Möglichkeit der Rede betrachtet. Das direkte Wort, wie es die traditionelle Stilistik versteht, trifft, weil einzig auf den Gegenstand gerichtet, allein auf den Widerstand des Gegenstandes selbst (seine von einem Wort nicht zu ergründende Unerschöpflichkeit, seine Unsagbarkeit), es stößt auf seinem Weg zum Gegenstand nicht auf die wesentliche und vielfältige Gegenwirkung eines fremden Wortes. Es wird von niemandem gestört, niemand zweifelt es an. Doch das lebendige Wort steht seinem Gegenstand keineswegs identisch gegenüber: zwischen Wort und Gegenstand, zwischen Wort und sprechender Person liegt die elastische und meist schwer zu durchdringende Sphäre der anderen, fremden Wörter zu demselben Gegenstand, zum gleichen Thema. Und gerade im Prozeß der lebendigen Wechselwirkung mit dieser spezifischen Sphäre kann sich das Wort stilistisch individualisieren und Form annehmen. So findet jedes konkrete Wort (die Äußerung) jenen Gegenstand, auf den es gerichtet ist, immer schon sozusagen besprochen, umstritten, bewertet vor und von einem ihn verschleiernden Dunst umgeben oder umgekehrt vom Licht über ihn bereits gesagter, fremder Wörter erhellt. Der Gegenstand ist umgeben und durchdrungen von allgemeinen Gedanken, Standpunkten, fremden Wertungen und Akzenten. Das auf seinen Gegenstand gerichtete Wort geht in diese dialogisch erregte und gespannte Sphäre der fremden Wörter, Wertungen und Akzente ein, verflicht sich in ihre komplexen Wechselbeziehungen, verschmilzt mit den einen, stößt sich von den anderen ab, überschneidet sich mit dritten; und all das kann das Wort wesentlich formen, sich in allen seinen Bedeutungsschichten ablagern, seine Expression komplizieren, auf das gesamte stilistische Erscheinungsbild einwirken.“ (169) 15 Michail M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, hg. von Rainer Grübel, Frankfurt a.M. 1979 16 Einführung in die Komparatistik Bachtins Modell der Dialogizität und der Polyphonie des modernen Romans II Beispiel aus Dickens, Little Dorrit: „Die Konferenz wurde gegen vier oder fünf Uhr nachmittags gehalten, als die ganze Gegend von Harley Street, Cavendish Square, von Wagengerassel und Klopfen an Haustüren widerhallte. Sie hatte diesen Punkt erreicht, als Mr. Merdle von seiner alltäglichen Beschäftigung heimkehrte, die dahin zielte, daß der britsche Name in allen Teilen der zivilisierten Welt, die weltweiten kaufmännischen Unternehmungsgeist und gigantische Verbindungen von Geschick und Kapital zu würdigen versteht, täglich mehr und mehr geachtet werde. Denn obschon niemand genau wußte, worin Mr. Merdles Geschäft bestand, außer daß es aufs Geldverdienen hinauslief, so waren doch dies die Ausdrücke, in denen es jedermann bei allen zeremoniellen Gelegenheiten umschrieb; sie unbedenklich hinzunehmen war die neueste höfliche Lesart der Parabel vom Kamel und dem Nadelöhr.“ (Zit. 194) „Auf diese Weise wird hier in das Autorwort (die Erzählung) die fremde Rede in versteckter Form eingeführt, das heißt ohne irgendwelche formalen Merkmale der fremden – direkten oder indirekten – Rede. Aber es ist dies nicht nur fremde Rede in derselben ,Sprache‘, es ist eine fremde Äußerung in einer dem Autor fremden ,Sprache‘ – in der archaisierten Sprache der heuchlerischen, offiziell feierlichen, oratorischen Gattungen.“ (194) „Die Redevielfalt, die in den Roman eingeführt wird (welcher Art die Formen ihrer Einführung auch sein mögen) ist fremde Rede in fremder Sprache, die dem gebrochenen Ausdruck der Autorintentionen dient. Das Wort einer solchen Rede ist ein zweistimmiges Wort. Es dient gleichzeitig zwei Sprechern und drückt gleichzeitig zwei verschiedene Intentionen aus: die direkte Intention der sprechenden Person und die gebrochene des Autors. In einem solchen Wort sind zwei Stimmen, zwei Sinngebungen und zwei Expressionen enthalten. Zudem sind diese beiden Stimmen dialogisch aufeinander bezogen, sie wissen gleichsam voneinander (wie zwei Repliken eines Dialogs voneinander wissen und sich in diesem gegenseitigen Wissen entfalten), sie führten gleichsam ein Gespräch miteinander. Das zweistimmige Wort ist stets im Innern dialogisiert. So ist das humoristische, ironische, parodistische Wort, so ist das brechende Wort des Erzählers, das brechende Wort in den Reden des Helden und so ist schließlich das Wort der eingebetteten Gattungen beschaffen: sie alle sind zweistimmige, innerlich dialogisierte Wörter. In ihnen ist ein potentieller, unentwickelter und konzentrierter Dialog zweier Stimmen, zweier Weltanschauungen, zweier Sprachen angelegt.“ (213) Michail M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, hg. von Rainer Grübel, Frankfurt a.M. 1979 17 Einführung in die Komparatistik Intermedialität Simonides von Keos Horaz, „Ut pictura poesis“ John Dryden, A Parallel of Poetry and Painting (1695) Jean-Baptiste du Bos, Réflexions critiques sur la poésie et la peinture (1715) Daniel Webb, Observations on the Correspondance between Poetry and Music (1762) Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Mahlerey und Poesie (1766) Irina O. Rajewsky, Intermedialität, Tübingen, Basel 2002 1. Intermediale Bezüge 2. Medienwechsel 3. Medienkombination 18 Einführung in die Komparatistik Interkulturalität I Osman Engin Emine Sevgi Özdamar Assia Djebar Salman Rushdie Amitav Ghosh Yoko Tawada Peter J. Brenner, Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt a.M. 1989 Stefan Majetschak, Der Fremde, der Andere und der Nächste. Zur Logik des Affekts gegen das Fremde, in: Universitas 48 (1993), S. 11-24 François Guyard, La littérature comparée, Paris 1951, Kapitel „L’Étranger tel qu’on le voit“ Hugo Dyserinck, Zum Problem der ,images‘ and ,mirages‘ und ihrer Untersuchung im Rahmen der Vergleichenden Literaturwissenschaft, in: Arcadia 1 (1966), S. 107-120 Hugo Dyserinck, Komparatistische Imagologie. Zur politischen Tragweite einer europäischen Wissenschaft von der Literatur, in: Hugo Dyserinck; Karl Ulrich Syndram (Hg.), Europa und das nationale Selbstverständnis. Imagologische Probleme in Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, Bonn 1988, S. 13-38 Edward W. Said, Orientalism. Western Conceptions of the Orient, with a new Afterword, London 1995 Homi K. Bhabha, The Location of Culture, New York 1994 Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998 Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960 Julia Kristeva, Fremde sind wir uns selbst. Aus dem Französischen von Xenia Rajewsky, Frankfurt a.M. 1990 (Orig. : Étrangers à nous-mêmes, 1988) Dharampal-Frick, Gita, Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit (1500-1750). Studien zu einer interkulturellen Konstellation, Tübingen 1994 Lütt, Jürgen, „Heile Welt“ oder Rückständigkeit? Deutschland, Indien und das deutsche Indienbild. Das romantische und das utilitaristische Indienbild Europas, in: Der Bürger im Staat, Heft 1/98 Christiane C. Günther, Aufbruch nach Asien. Kulturelle Fremde in der deutschen Literatur um 1900, München 1988 Werner Nell, Reflexionen und Konstruktionen des Fremden in der europäischen Literatur. Literarische und sozialwissenschaftliche Studien zu einer interkulturellen Hermeneutik, St. Augustin 2001 19 Einführung in die Komparatistik Interkulturalität II Heinrich Heine, Die Nordsee, 1824: „Am Ganges duftet’s und leuchtet’s, Und Riesenbäume blühn, Und schöne, stille Menschen Vor Lotosblumen knien.“ Günter Grass, Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, 1980 20