Kritiken zu "Die Gerechten" von Adalbert Camus, gespielt vom batstudiotheater (Schauspielschule "Ernst Busch", Berlin) im FFT/JuTA, Düsseldorf (WiSe 2003/2004) Beklemmende Intensität „Die Gerechten“ von Albert Camus in der Inszenierung von Walter Meierjohann (Elena Abrams) Im Februar 1905 kommt der russische Großfürst Sergej, einer der führenden Vertreter des zaristischen Russlands, bei einem Bombenanschlag ums Leben. Das Attentat, hinter dem eine Gruppe junger russischer Sozialrevolutionäre steht, reiht sich in eine Serie von Anschlägen (der prominenteste war im Jahr 1881 auf Zar Alexander II. gerichtet), mit denen versucht wurde, das in die Kritik geratene Staatssystem zu treffen. 40 Jahre später befasst sich Camus, selber gerade aus dem französischen Untergrund zurückgekehrt, in seinem Stück „Die Gerechten“ mit den vorrevolutionären Strömungen Russlands. Es geht ihm dabei nicht um die historische Genauigkeit, obwohl er dem Attentäter Ivan Kaliajew seinen Namen lässt. Es geht um die Fragen nach den Opfern, dem ideologisierten Hass und dem Recht auf Ausstieg, die die Gruppe fast sprengen. Die Inszenierung des bat-studiotheaters (Regie: W. Meierjohann) – Ende Oktober gastierte sie im FFT/JuTA Düsseldorf – macht das Camus´sche Drama zum beklemmend-intensiven Erlebnis, in spannungsdichter Atmosphäre, geschaffen durch ein erstaunliches, auf das Wesentliche reduziertes Bühnenbild von S. Wurster: ein schwebender Raum bis zum Ende des dritten Aktes, danach ein beengendes Zimmer mit einer Glasscheibe, durch die der Zuschauer eingesperrt, zwangsweise auf der Seite der Justiz, den Todeskandidaten Kaliajew beobachtet. Die Aufführung überzeugt auch durch Details: die Kostüme entsprechen trotz Bescheidenheit der Epoche, die karge Requisite birgt Überraschungen .Man spürt die naive Hoffnung der idealistischen Verschwörer als im Dunkeln eine Spieluhr zaghaft die Internationale anstimmt. Was die Vorstellung aber vor allem trägt, ist das hervorragende Spiel der Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Catherine Janke (Dora), die mit nur 24 Jahren eine erstaunliche Schauspielerfahrung ausstrahlt, der Christian Beermann (Stepan), dem man auf´s Wort glaubt, dass für ihn “nur die Bombe revolutionär ist“. Janning Kahnert (Polizeiermittler Skuratow), der den Namensvetter des grausamen Dieners Iwan des Schrecklichen, Maljuta Skuratow, einen sadistischen Hauptmann eines Hinrichtungskommandos, in Russland die Personifikation der auf Befehl ausgeführten Grausamkeit, tadellos gebügelt, neu interpretiert. Im letzten Akt erreicht das Spiel eine fast unerträgliche Intensität, die Schauspieler kämpfen, schreien, weinen, in einer halben Meter Entfernung von den Zuschauern. Die Wirkung ist klaustrophobisch. Einige in der ersten Reihe weichen unbewusst aus, schauen eher auf die Schuhe als auf die Gesichter der Darsteller. Der lange, lange Applaus hatte etwas Erlösendes. Die Gerechten (Amrei Beck) Langeweile kam bei den Besuchern der Düsseldorfer Premiere Albert Camus` „Die Gerechten“ bestimmt nicht auf. Schon vor Beginn des Stückes am Freitagabend entstand Spannung, beim Eintritt in den Saal des FFTs,in dem die übliche Distanz zwischen Zuschauern und Bühne aufgehoben worden war. Die Sitzplätze befanden sich im Carré, dicht um die gesamte Bühne herum. Die Nähe zum Publikum schien Regisseur Walter Meierjohann bei seiner Inszenierung mit den Studenten der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ sehr wichtig zu sein. Nach der Pause wurde der Abstand nochmals verringert: Die Schauspieler agierten nun teilweise zwischen den Zuschauern. Von der ersten bis zur letzten Minute war das Publikum „dabei“. „Die Gerechten“. Das sind Dora, Janek, Alexej, Stepan und Boris, eine Gruppe russischer Sozialisten, die Anfang des vorigen Jahrhunderts einen Anschlag auf den Großfürsten planen und durchführen. Camus beschreibt ihre Beweggründe, Zweifel, Ängste und ihre „Liebe zur Organisation“. Der Verzicht auf Vorhang, Bühnenbild und Musik (bis auf die „Internationale“ auf einer kleinen Spieluhr), die Sparsamkeit der Requisite und die Zurückhaltende Beleuchtung lenken das Augenmerk besonders auf die Schauspieler. Grelles giftiggrünes Licht in der ersten Szene kündet Unheil an, weißes Spot-Licht in der folgenden erzeugt düstere Spannung, Halogenlicht unterstützt die Verhör-Szene. Unglücklich fällt an der Inszenierung die Besetzung der beiden Hauptrollen aus. Catherine Jankes Stimme ist angenehm tief und weich und passt gut zu der mütterlichen Seite der Rolle Doras, sie spielt dagegen weder mitreißend noch überzeugend. Ihre Bewegungen sind zu gekünstelt, ihre Emotionen zu übertrieben. Sie konzentriert sich zu sehr darauf, Dora zu spielen als sie zu sein. Marco Matthes, Doras Geliebter Janek, ist nicht überzeugender. Auch er agiert überzogen. Seiner Umsetzung der Schriftsprache Camus` fehlt das Selbstverständliche. Diese Schwächen ziehen die Aufmerksamkeit des Zuschauers ein wenig von den Hauptrollen ab und lenken sie auf die mitreißenden Schauspieler der Nebenrollen: Stepan - geheimnisvoll, verletzt, wütend, rachsüchtig - grandios dargestellt von Christian Beermann. Und Alexej, den Merten Schroedter naiv, aufgeregt, stotternd, fast wahnsinnig vor Kummer darüber, dass er es nicht über sich bringt, den Anschlag zu verüben, interpretiert. Sein Lachen, zum Schluss nicht mehr vom Weinen zu unterscheiden, ist Symbol für die verzweifelte Stimmung der Geschichte. Heiligt das Mittel den Zweck? "Die Gerechten" von Camus im FFT/JuTA Düsseldorf (Vera Lotte Böcker) Was bewegt einen Menschen dazu, Terrorist zu werden? Wie rechtfertigt er das Morden? Ist es rechtfertigbar? Ist der Tod Unschuldiger ein in Kauf zu nehmender Preis für den Tod der vermeintlich Schuldigen? Welches Mittel heiligt welchen Zweck? Um diese Fragen drehte sich das am 30.10 im FFT als Düsseldorfer Lokalpremiere aufgeführte Drama „Die Gerechten“ von Albert Camus. 1949 uraufgeführt könnte es heute aktueller kaum sein. Bei Camus spielt das Stück im feudalistischen Russland 1905 und auch der Regisseur Walter Meierjohann lässt das Stück genau dort beginnen. Eine Gruppe von Sozialrevolutionären plant ein Attentat auf den Großfürsten. Doch erst beim zweiten Versuch stirbt der Fürst, erst, als keine Kinder mehr bei ihm im Wagen sitzen, vermag es Kaliajew, die Bombe zu werfen. Er wird später die Begnadigung ablehnen, - nur sein eigener Tod kann seinen Mord sühnen. Marco Matthes spielt Kaliajew als idealistischen Kämpfer, der aus Liebe zu den Menschen bereit ist zu töten, überzeugend. Sein Gegenpart Fjodorow (packend dargestellt von Christian Beermann) ist innerlich tot, er kennt keine Skrupel, ihn treibt der Hass an. Die Kunst dieser Schauspieler - allesamt Studenten im vierten Jahr der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin – ist herausragend. Zwei von ihnen werden wir in Düsseldorf weiter genießen können: Catherine Janke, die die Bombenbauerin Dora spielt, ist in dieser Spielzeit am Schauspielhaus als junge „Gertrud“ zu sehen. Marco Matthes zählt seit kurzem ebenfalls zum Düsseldorfer Ensemble. Die vielen Perspektiven, aus denen heraus die Problematik des Camus´schen Dramas gesehen werden kann, spiegeln sich im Bühnenbild (Steffi Wurster): Das Publikum schaut zunächst von allen Seiten auf die Spielfläche, ein weißes, zur Hälfte einsehbares Zimmer. Jeder Zuschauer beobachtet die Handlung aus einem anderen Blickwinkel, hat die Spielenden und gleichzeitig das Publikum auf der anderen Seite im Auge. Später wird es, auf derselben Seite wie der Polizeichef (Janning Kahnert) inmitten eben dieses Zimmers sitzen und dem Gewissenskampf Kaliajews durch eine Glaswand zusehen – so werden die Zuschauer zu Richtern. Die Möglichkeit, sich dem Drama und seinen brennenden Fragen zu entziehen, ist spätestens hier nicht mehr gegeben. Denn auch zeitlich rückt die Inszenierung immer näher an unsere Gegenwart heran. Die trauernde Fürstin erscheint Kaliajew wie ein Geist im weißen Brautkleid (Kostüme: Petra Schlüter-Wilke), die Stimmen hinter der Glaswand tönen intim, teilweise aus dem Off, elektronisch verstärkt, in die Zuschauerzelle hinein. So schafft es der junge Regisseur, das Stück auch ohne Anspielungen auf den 11. September in unsere Zeit zu holen. Publikum besetzte die Bühne (Christian Consten) Eine an Terrormeldungen fast schon gewöhnte Öffentlichkeit wie die hiesige, vor allem aber eine, die dahinter den ungerechten Kampf des Bösen gegen das Gute sieht, weiß vielleicht nicht, auf wie viele verschiedene Weisen ein Mensch eine Bombe werfen kann. Der existentialistische Camus hat es gewusst, dessen Stück „Die Gerechten“ (von 1949) Studenten der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ am Donnerstagabend im FFT/JuTA aufgeführt haben. Und kaum, dass man sich gesetzt hat, wundert man sich: der Blick in die konspirative Wohnung, die bei der Spärlichkeit der Einrichtung erst aus der Handlung als solche zu erkennen ist, ist zugleich der Blick in die Gesichter des Publikums. Wände, in der Luft schwebend, gibt es erst oberhalb; ihr unteres Drittel ist im Rechteck versammelte Öffentlichkeit – des Regisseurs (Walter Meierjohann) Absage an die klassische Guckkastenbühne und zugleich deren Steigerung, ebenso einfach wie wirkungsvoll von Steffi Wurster bühnenbildnerisch umgesetzt. Es beginnt: nein, es ist schon mittendrin, nach Monaten angespannter Vorbereitung steht eine Gruppe von fünf Terroristen im Russland des Jahres 1905 kurz vor der Ausführung eines Bombenanschlags auf den Großfürsten Sergej. Wer soll das Volk befreien? Der Idealist Janek (Marco Matthes)? Der desillusionierte Stepan (Christian Beermann), der im hochgeschlossenen Mantel, die Hände in den Taschen, von der „Gerechtigkeit, die über dem Leben steht“ spricht? Dialoge mit viel Abstand voneinander, oft stehen die Darsteller in den gegenüberliegenden Winkeln. Anführer Annenkow (Ronald Zehrfeld), dessen offensichtliche Körperkraft hinter die kleinen Brillengläser zurückgenommen scheint, vertraut Janek. Aber der Anschlag bleibt aus, es hätte Kinder getroffen: Stepan hätte es dennoch getan. Ein neuer Anlauf. Diesmal tötet Janek den Fürsten und wird verhaftet. Pause, Umbau. Und wieder die Verwunderung beim Platznehmen: nun das Publikum auf der Bühne, von Wänden umgeben, jenseits einiger Fenster Janek in seiner Zelle, diesseits unter den Zuschauern der Polizist Skuratow (Janning Kahnert), der wie ein aufstrebender Anwalt gegen den Terror plädiert – stehen wir wirklich auf seiner Seite? Ist die Scheibe die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum, der Terrorist nur Privatkrieger? Worum geht es? Nicht Gerechtigkeit, sondern Liebe verbindet Bombenbauerin Dora (Catherine Janke) mit Janek, der am Galgen endet. Sie will weitermachen und ihm folgen. Es fragt sich, in wessen Namen: von Anfang an. Revolution für's Leben Berliner Schauspielstudenten zeigen Camus´ „Die Gerechten“ im FFT/JuTA (Julia Falck) Kein Meter trennt die Zuschauer von der Bühne. Sofort fühlt man sich in der Rolle des heimlichen Beobachters, der vor der halb geöffneten Tür eines Wohnzimmers steht und ein Geschehen beobachtet, das eigentlich nicht für ihn bestimmt ist. Die Tür ist nicht geöffnet, doch die vier Wände sind nach oben gezogen, hängen in der Luft und lassen einen Spalt frei, durch den man das Stück sieht: Albert Camus´ „Die Gerechten“ im Düsseldorfer JuTA, gespielt von Studierenden des 4. Studienjahres „Schauspiel“ an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Ein Stück über Revolution und die Frage der Gerechtigkeit, vor allem aber, und das wird in der Inszenierung von Walter Meierjohann deutlich, ein Stück über die Liebe. Wenn Marco Matthes in der Rolle des Iwan Kaliajew die „Revolution fürs Leben“ unterstützt oder Christian Beermann als Stepan Fjodorow sein Hemd vom Körper reißt, um Dora (nicht sichtbare und doch vorhandene) Spuren früherer Misshandlungen zu zeigen; wenn Alexej Woinow (sehr überzeugend dargestellt von Merten Schroedter) an der nervlichen Belastung des Terrors zerbricht und Catherine Janke alias Dora Duljebow feststellen muss, dass die Idee der Revolution, in der sie völlig aufgeht, ihr keine Liebe zurückgeben kann, dann klingt alles wie die verzweifelte Suche nach Trost und Wahrheit inmitten all der Ungerechtigkeit. Unterstützt wird die sich steigernde Verzweiflung der „Gerechten“ und die Konzentration auf ihr Handeln und ihre Dialoge von den schon in der ersten Szene sparsam verwendeten Requisiten, die im Laufe des Stückes immer weniger werden. Nach der Pause werden die Zuschauer zu Gefängnisbesuchern von Iwan Kaliajew: Sie sitzen nun aufgereiht vor einer Glaswand, hinter der ein Häftling die Scheiben putzt und sich mit Iwan unterhält. Und als wenig später Janning Kahnert als Polizeichef Skuratov zwischen den Zuschauern nach vorne zur Glaswand stolziert und versucht, Iwan zum Verrat seiner Genossen zu zwingen, fühlt man sich ungewollt als Verbündeter Skuratovs - und möchte am liebsten selbst ins Geschehen eingreifen. Erst als das letzte Wort gesprochen wurde und die Schauspieler den wohlverdienten Applaus ernteten, waren die Rollen wieder eindeutig konventionell verteilt: Man war nicht länger der heimliche Beobachter, sondern ein Theaterpublikum, das die großartige Leistung der Berliner Schauspielstudenten, die mit einer überzeugenden Selbstverständlichkeit ihre Rollen verkörperten, zu würdigen versuchte. Mord für eine bessere Welt? Walter Meierjohann inszeniert „Die Gerechten“ von Albert Camus im FFT Juta. (Melanie Fuchs) Am 23. Februar 1905 kam der russische Großfürst Sergej bei einem Bombenanschlag ums Leben. Die Bombe wurde von Iwan Kaliajew, Mitglied einer fünfköpfigen Widerstandsgruppe geworfen. Verletzt wurde niemand. Änderte man Datum und Namen könnte diese Meldung auch in den Zeitungen von heute stehen. Bombenanschläge als blutige Antwort auf Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Attentate aus Liebe zu den Seinen, aus Hass auf die Anderen, für eine bessere Welt. Das Thema von Albert Camus` „Die Gerechten“ ist heute so brisant wie 1905. Regisseur Walter Meierjohann brachte das schwer lastende Gedankengut Camus`, nach der Premiere am 23. Januar 2003 in Berlin, auch auf die Bühne des FFT/JuTA. Die Inszenierung war außergewöhnlich. Die Schauspieler, acht Studenten der Schauspielschule „Ernst Busch“, befinden sich im vierten Jahr ihrer Ausbildung, das Publikum war auf Grund des grandiosen Bühnenbildes von Steffi Wurster in das Geschehen involviert. Die Wände des geheimen Verstecks der Gruppe hingen während den ersten drei Akte über der Bühne in der Mitte des Saales. Die Zuschauer konnten von außen in den Raum hinein- und durch ihn hindurch schauen. Nach der Pause wurden die Wände heruntergelassen. Das Publikum saß dann im Innern vor einer großen Scheibe. Dort stand auch Polizeichef Skuratow (Janning Kahnert) und verhörte den inhaftierten Iwan (Marco Matthes). Erfolglos. Iwan verriet seine „Brüder“ nicht, verschmähte die Aussicht auf Begnadigung, wollte den Tod. Dabei hatte er sich der Revolution angeschlossen, weil er das Leben liebte. Alle Mitglieder der Gruppe haben ihr Leben aus Liebe der Revolution verschrieben, aus Liebe zum russischen Volk, aus Liebe zu ihrem Traum von Gerechtigkeit. Allein Stepan (Christian Beermann), gerade aus der Gefangenschaft entlassen, kämpft aus Hass. Der Tag des Attentats wird zum Desaster für die Gruppe. Die Bande der Bruderschaft, einst von einem gemeinsamen Ziel geknüpft, drohen zu zerreißen, Zweifel und Angst ersetzen Entschlossenheit. Wie weit darf man im Namen der Revolution gehen? Rechtfertigt das scheinbar gute Ziel alle Mittel? Ist Mord im Namen einer besseren Welt noch dasselbe? Alexej (Merten Schroedter) hält es nicht mehr aus. Nervös erklärt er dem Anführer Boris (Ronald Zehrfeld), das er „für diese Art von Revolution“ nicht geschaffen sei. Eine unglaublich mitreißende Szene. Auch der Zuschauer hat in diesen Minuten das Gefühl der Situation nicht mehr standhalten zu können. Die Verzweiflung der Männer bahnt sich über ihre Körper den Weg an die Oberfläche, sie atmen schwer, sie zittern, Schweißperlen rinnen über ihr Gesicht. Sie scheinen unter dem Druck „größer sein zu müssen als sie sind“ zusammenzubrechen. Auch persönliche Liebe zerbricht unter dem revolutionären Gedankengut. So verabschiedet sich Iwan nicht mit den Worten „ich liebe dich“ von Dora (Catherine Janke), sondern mit dem Satz „Russland wird schön werden“. Iwan Kaliajew wurde am folgenden Morgen um zwei Uhr gehängt. "Die Ehre ist der letzte Reichtum der Armen“ Walter Meierjohann inszeniert „Die Gerechten“ von Albert Camus im FFT/JuTA. (Gregor Kühn) „Revolutionär ist nur die Bombe“. Im zaristischen Russland um 1905 klügelt „die Organisation“ einen akribischen Anschlagsplan aus. Ziel ist es, den Großfürsten Sergej zu stürzen. Da ist der Dichter Janek, der mit Dora, die die Bomben herstellt, liiert ist. Aus Liebe zum Volk geben sie ihr persönliches Glück auf. Alexej ist aus Idealismus zum Terrorismus gekommen, zweifelt aber daran, ob er wirklich dazu geeignet ist. Und dann gibt es noch Stepan, einen Fanatiker, der am liebsten ganz Moskau sprengen würde, sich aber von den anderen nicht ausreichend unterstützt fühlt („Die Ehre ist der letzte Reichtum der Armen.“) Zusammengehalten wird die Gruppe von Boris, der die aufkeimenden Konflikte zu entschärfen versucht. In der Inszenierung von Walter Meierjohann, die Ende Oktober im FFT in Düsseldorf ihre lokale Premiere hatte, wird der Zuschauer mit der Frage konfrontiert „Was ist eigentlich gerecht?“ und gezwungen, darüber nachzudenken, ob der Zweck tatsächlich die Mittel heiligt. Was Albert Camus schon 1949 in der Uraufführung seines Dramas „Die Gerechten“ thematisierte, könnte heute nicht aktueller und brisanter sein: die Problematik der politischen Legitimation von Gewalt. Verbindungen etwa zum 11. September oder zur blutigen Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern werden deutlich. Ein großer Verdienst kommt Steffi Wurster zu, die das Bühnenbild minimalistisch gestaltet hat. Es gibt kaum Requisiten, keine musikalische Begleitung, keine besonderen Beleuchtungseffekte, dafür einen hochgezogenen weißen Raum, der dem Publikum gleichsam als erweiterter Guckkasten dient. Dieser stellt die isolierte Geheimwohnung der russischen Verschwörer dar. Die gerade mal sechzig Zuschauer sitzen in einem Quadrat direkt um die Bühne herum. Dadurch gibt es keine Möglichkeit, sich dem klaustrophobisch aufgeladenen Mikrokosmos zu entziehen. Mit dem vierten von insgesamt fünf Akten des Schauspiels ändert sich das Bühnenbild: Die Zuschauer sitzen quasi auf der bisherigen Bühne, jetzt mit Blick auf eine Glaswand, hinter der Janek im Gefängnis zu sehen ist. Beim ersten Mal hatte er es nicht geschafft, eine Bombe auf die Zarenkutsche zu werfen, weil darin Kinder saßen. Sein zweiter Versuch aber hatte „Erfolg“. Er wurde verhaftet; nun verweigert er jegliche Begnadigung und Verzeihung. Er muss sich mit dem Polizeichef Skuratow unterhalten: „Ich biete Ihnen Ihr Leben, wenn Sie Ihre Genossen verraten.“ Auch die verwitwete Großfürstin versucht, Janek zum Verrat zu verführen, doch der schwört auf Brüderlichkeit und Solidarität und zieht den Opfertod vor. Bis zum Ende der Inszenierung ist man zwischen den widerstreitenden Perspektiven und Erkenntnissen hin- und hergerissen: Wenn es gerecht ist, für eine gute Sache einen Menschen umzubringen, wer und wie viele dürfen getötet werden? Und welche Sühne ist dafür zu zahlen? Meierjohann meint dazu: „Ich wollte es in der Schwebe lassen, keine Antworten vorgeben.“ Zu Recht wurde die renommierte Schauspielschule „Ernst Busch“ mit dem Ensemblepreis beim 14. Deutschsprachigen Theatertreffen in Graz ausgezeichnet. Die Darsteller in der Inszenierung von „Die Gerechten“ sind im vierten Studienjahr. Sie waren in ihren Rollen sicher und überzeugend, insbesondere die erst 24-jährige Catherine Janke als Dora, die, mal kühl abwägend und dann wieder durch Angst und Ungewissheit außer sich, ein enormes darstellerisches Spektrum abzudecken wusste. Wenn der Regisseur allerdings schon Wert auf eine naturalistische Darstellung legt, so sollte er zukünftig auch auf die Details achten: Lotkolben gab es 1905 noch nicht. „Ich glaube sie stellen sich diese Fragen, - auch heute noch.“ Gastspiel des bat-Studiotheater Berlin. Mit den „Gerechten“ von Albert Camus wird im FFT/JuTA eine Terrorzelle der Menschlichkeit ausgehoben. (Daniel Myslinski) Zunächst schweben die vier Wände über der Bühne. Wie ein Damoklesschwert drohen sie jeden Moment herabzustürzen, ringsherum sitzt das Publikum. Betrachtet wird das konspirative Treffen einer sozialrevolutionären Gruppierung, bereit den Großfürsten mittels Wurfbombe zu töten und dies doch moralisch hinterfragend – Russland 1905. Die Mimik der Protagonisten ist durch das hervorragend durchdachte Bühnenbild (Steffi Wurster) nicht immer erkennbar, dann dienen die Gesichter der Zuschauer gegenüber als Spiegel des Geschehens. „Die Gerechten“, 1949 in Paris uraufgeführtes Stück von Albert Camus, stellt sich die Frage „nach der Berechtigung von Gewalt“. Mit einer Verbindung zur RAF und Stammheim rief Claus Peymann 1976 einen Skandal hervor. So weit will Regisseur Walter Meierjohann bei seiner Umsetzung für das Berliner bat-Studiotheater, die das FFT nun als Lokalpremiere zeigt, nicht gehen. Ungeachtet des 11.Septembers, ungeachtet des weltweiten Kampfes gegen die „Achse des Bösen“. Er will nicht sympathisieren, nicht Stellung beziehen. Verständnis aufbauen? Nein. Es sollen keine Antworten geliefert werden. Das Stück soll in der „Schwebe“ gehalten bleiben, nicht einmal ansatzweise bestehe die Absicht dem Zuschauer eine Perspektive aufzuerlegen, so Meierjohann im Gespräch. Der Regisseur will sich und dem Zuschauer Fragen stellen. Fragen, die sich seines Erachtens auch moderne Terroristen „immer noch“ stellen. Und es gelingt ihm bei diesen Fragen zu bleiben. Trotz auferlegter Perspektive, trotz bereitgestellter Antwortansätze. Im letzten Akt auf der Bühne sitzend erscheint es, als sei man als Zeuge einer Hinrichtung geladen. Den Blick unausweichlich nach vorne gerichtet, eingeschlossen in die eben noch erhobenen Wänden des Terroristenverstecks. Der Zuschauer betrachtet den erfolgreichen, doch gefassten Attentäter. Die Hinrichtung erwartend, bekleidet mit einem OPHemd, wie es auch von den Pflegern einer Intensivstation getragen wird. Die tödliche Injektion, „humane“ Todesstrafe der Moderne, staatlich legitimierte Gewalt – Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Die Gruppe, die Idee verraten und so dem Tod entgehen? Nein: „Die Ehre ist der letzte Reichtum der Armen“, der Opfertod wird folgen. Die Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (C. Janke, M. Matthes, C. Beermann, R. Zehrfeld, M. Schroedter, J. Kahnert, M. Morche und M. Straub – 4. Studienjahr!) bieten ganz großes Theater, sie schweben im Dualismus ihrer Figuren - sind weder Gut noch wirklich Böse. Meierjohann bezieht Stellung. Camus´ „zartfühlenden Mördern“ belässt er die Notwendigkeit der Tat, hinterfragt zugleich die an den Tätern ausgeübte Gewalt. Er lässt seine Protagonisten aber auch erkennen: „Ja, ...trotzdem, wir werden töten.“ Liebe und Gerechtigkeit „Die Gerechten“ von Albert Camus im FFT/JuTA Düsseldorf (Oda Sabelberg) Um 1905 haben sich fünf junge russische Idealisten zusammengefunden um durch ein politisches Attentat auf den Großfürsten ein Zeichen für die Gerechtigkeit und die Befreiung des russischen Volkes zu setzen. Sie treffen sich in einem Zimmer, dargestellt durch eine rechteckige Bühne über der vier Wände schweben. Dieser beengte Raum, um den das Publikum ringsherum sitzt, ist der Ort des Geschehens der ersten drei Akte. Da sind Janec, der sich selbst Dichter nennt und das Leben liebt und Dora, die die Bomben herstellt. Sie beide verbindet eine zarte Liebe zueinander, die allerdings im Schatten der Organisation und hinter der Liebe zum Volk steht. Alexey, vom Idealismus zum Terrorismus gekommen, zweifelt daran die Aufgaben der Organisation ausführen zu können, er verlässt seine Kameraden. Stepan, der durch Gefangenschaft gezeichnete Fanatiker ist unzufrieden mit allen, er selbst will die Bomben werfen. Zusammengehalten wird die Gruppe von Boris, der kühlen Kopf behält und immer wieder die verschiedenen Charaktere zu vereinen und die Konflikte zu lösen hat. Jeden der fünf jungen Menschen treiben unterschiedliche Beweggründe voran. Bald stellt sich heraus, dass die Bewertung der Tat und auch die Grenzen sehr unterschiedliche Reichweiten besitzen. Nicht nur die jungen Darsteller, auch der Zuschauer wird mit der Frage der Gerechtigkeit konfrontiert. Besonders deutlich werden die Konflikte durch die poetische Sprache Camus´, die den Zuhörer fasziniert bannt. Nach der Pause ist die räumliche Position von Publikum und Schauspieler vertauscht. Doch nicht nur, dass das Publikum nun aus dem Raum heraus schaut, wir befinden uns in der Inszenierung von Walter Meierjohann plötzlich auch in der Gegenwart und werden Zeugen der Gefangenschaft und Hinrichtung Janecs. Wo man die ganze Zeit den aktuellen politischen Umständen entsprechend den Realitätsbezug dieses 1949 von Camus geschriebenen Stückes „Die Gerechten“ geahnt hat, so findet man ihn nun bestätigt. Und auf einmal fühlt man sich selbst beengt und genötigt, dieses Stück nicht einfach zu konsumieren, sondern sich mit der Thematik auseinander zu setzen und zu urteilen. In der Inszenierung wird auf die Phantasie der Zuschauer gesetzt. Das Spannende, so der Regisseur, seien die Bilder, die durch seine Umsetzung des alten, aber auch hochaktuellen Themas Terrorismus unbeabsichtigt in den Köpfen entstehen. Ein ständiger Wechsel zwischen Realität und Surrealität fordert das Publikum heraus, aufmerksam zu sein, der Assoziation sind keine Grenzen gesetzt. Die acht Schauspielschüler der Hochschule für Schauspielkunst Berlin „Ernst Busch“ schafften es bei der ersten Aufführung von „Die Gerechten“ von Albert Camus Ende Oktober im FFT/ JuTA in Düsseldorf die sechzig Zuschauer zwei Stunden lang durch hervorragende Schauspielkunst, phantastisches Bühnenbild und ein aktuelles Thema in ihren Bann zu ziehen. Zum Dank gab es begeisterten Applaus und eine Rose für jeden der jungen Künstler. Eine Frage des Blickwinkels “Die Gerechten” von Albert Camus am ForumFreiesTheater/JuTA in Düsseldorf (Diane Sellenmerten) „Schauspielschule Ernst Busch“- dieser Name weckt Erwartungen. Schön, wenn diese auch erfüllt werden. Acht Schauspielschüler im vierten Studienjahr boten am Donnerstag in der Premiere des Gastspiels „Die Gerechten“ von Albert Camus eine bühnenreife Leistung. Mit den Gerechten haben sie sich zusammen mit Regisseur Walter Meierjohann an ein anspruchsvolles, ernstes Stück mit erschreckendem Gegenwartsbezug herangewagt. Eine russische Terroristengruppe führt 1905 einen Mordanschlag auf den Großfürsten Sergij aus, den Ivan mit dem Leben büßt. Den Reiz des Textes und der Inszenierung macht dabei aus, dass der historische Stoff das Problem des Terrorismus von allen Seiten beleuchtet. So gibt es Stepan, kraftvoll und sehr präsent von Christian Beermann gespielt, der für die Befreiung Russlands über Leichen gehen und den Tod von Kindern als „Kollateralschaden“ des geplanten Anschlags rigoros in Kauf nehmen würde. Der Idealist Ivan hat sich noch Reste von Menschlichkeit bewahrt und kann die Tat nur mit hohem moralischem Anspruch an sich selbst ausführen. Nach seiner Verhaftung lehnt er jede äußere Gnade ab. Er muss den Mord mit dem eigenen Tod bezahlen, um gerecht zu bleiben. So sehr er auch das Volk liebt - einen anderen Menschen zu lieben ist er nicht fähig – auch nicht Dora. Dieser Widerspruch zwischen altruistischer Liebe ohne Gegenliebe, die sich paradoxerweise in Hass äussern muss und vermeintlich egoistischer, dialogischer Liebe wird von Catherine Janke als Dora beklemmend vorgelebt. Sie wird immer maschinenhafter, skandiert „Vorwärts“ und zeigt gleichzeitig Momente ergreifender Schwäche in ihrer absoluten Einsamkeit. Neben den höchst unterschiedlichen Figuren unterstreicht das Bühnenbild sehr raffiniert die Vielseitigkeit der Positionen. War man als Zuschauer die ersten drei Akte auf der Seite der Terroristen, so wechselt der Blickwinkel nach der Pause. Weg von dem intimen Einblick in die terroristische Zelle - ein Zimmer, von allen Seiten einsehbar, dessen Wände schweben - hinein in den Gesellschaftskäfig: in einem Kasten eingeschlossen, eine Glaswand trennt uns von dem Angeklagten und plötzlich befindet sich der zynische Polizeichef Skoratov auf unserer Seite. Er wird von Janning Kahnert hinreißend dargestellt als geschmeidig-fieser Moderator der Macht. Jede Gemütlichkeit des ersten Teils ist verschwunden und eine sich selbst entlarvende Voyeurperspektive auf den Verurteilten wechselt sich mit unerträglicher physischer Nähe ab. Ein Stück, das endlich einmal jeden zu einer Stellungnahme zwingt. Die Suche nach Gerechten Albert Camus' „Die Gerechten“ im FFT Düsseldorf (Reka Török) „Ich liebe nicht das Leben, sondern die Gerechtigkeit...“ - Worte des russischen Sozialrevolutionärs Stepan und damit ist schon das wichtigste Thema des Stückes genannt: Gerechtigkeit. - Unter der Regie von Walter Meierjohann gaben die Studenten der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ bei der lokalen Premiere am 30. Oktober 2003 eine mehr als überzeugende Leistung. Camus greift in diesem streng gebauten Dialogstück einen historischen Stoff auf - das 1905 von russischen Terroristen verübte Attentat auf den Großfürsten Sergej - um vom Standpunkt seiner Existenzphilosophie aus Sinn und Konsequenzen des „gerechten Mordes“ am Verhalten einiger Sozialrevolutionäre zu erhellen. Nach einem ersten gescheiterten Attentatsversuch von Kaliayev (Marco Mattes), der im entscheidenden Moment vor der Tat zurückstreckte, weil sich zwei Kinder in Begleitung des Großfürsten befanden - kommt es innerhalb der Gruppe zu einer kontroverseren Diskussion über Ziel und Rechtfertigung des politischen Umsturzes. Nach Recht oder Unrecht fragt Janek, nach der Legitimation seiner Tat. Sowohl Kaliayev als auch Camus vertreten den Glauben, der als notwendig erkannte, aber moralisch nicht zu rechtfertigende Mord könne nur durch den Tod des Mörders gesühnt werden, nur in der Preisgabe des eigenen Ichs werde der Achtung vor dem Leben der erforderliche Tribut gezahlt. Doras (Catherine Janke) Fragestellungen an Janek – „Liebst du die Gerechtigkeit zärtlich? Liebst du mich zärtlich?“ - verweisen aber auf etwas Höheres als die Gerechtigkeit - auf das Wesen der Liebe: alles geben, alles opfern, ohne auf Lohn zu hoffen. Lüge und Terror, Revolte, Konflikt zwischen Mensch und Geschichte, Rebellion gegen das absurde Dasein des Menschen sind Themen, die auch heute die Aktualität bewahren. Die zeitgeschichtliche Entwicklung wurde durch die Kostüme (Petra Schlüter-Wilke) – das weiße Ballkleid löst das Trauerkleid ab - und das Bühnenbild ( Steffi Wurster) realistisch wiedergegeben. Die am Anfang naturalistisch als Wohnung ausgestattete Bühne wurde am Ende zu einem hermetisch abgeschlossenen und isolierten „Media“- Raum, mit sich hinter Glas abspielenden Mikrophonsgesprächen, als Spiegel des modernen Zeitalters. Camus Stück sollte damals (1949) eine Antwort auf das thematisch verwandte Drama „Die schmutzigen Hände“ von Sartre darstellen. Gibt es aber heute eine Antwort auf die existenzielle Frage nach der Gerechtigkeit? „Das Volk schweigt. Dieses Schweigen...“ Alle Fragen: offen Walter Meierjohanns Inszenierung der „Gerechten“ von Camus am ForumFreiesTheater in Düsseldorf fordert den Zuschauer heraus. (Henry Wahlig) Der Tyrann muss sterben. Das fünfköpfige Mordkommando hat nach wochenlangen Vorbereitungen den Plan gefasst, den Machthaber bei nächster Gelegenheit auf offener Straße mit einer Bombe in die Luft zu sprengen. Mit dem Mord wollen die Terroristen die Unterdrückung des Regimes beenden und die Revolution in ihrem Land vorantreiben. Keine Szene aus den aktuellen Fernsehnachrichten, sondern Inhalt des Theaterstückes „Die Gerechten“ von Albert Camus, das am Donnerstag in einer Inszenierung der Schauspielschule „Ernst Busch“ Berlin im JuTA/FFT seine lokale Premiere feierte. Camus, der das Stück im Jahr 1949 veröffentlichte, datiert die Handlung ins zaristische Russland des frühen 20. Jahrhunderts. Eine längst vergangene Epoche – und dennoch hat der Text auch hundert Jahre nach der Handlung nichts von seiner Brisanz eingebüßt. So passt sich die Grundfrage des Camus-Stückes genau in unsere Zeit der selbst ernannten Gotteskrieger und Freiheitskämpfer ein: Wie weit dürfen Terror und Gewalt gehen, bis sie ihren moralischen Anspruch verlieren? Der Autor schildert dies am Konflikt innerhalb einer kommunistischen Gruppe, die einen Mordanschlag auf den zaristischen Großfürsten plant. Prinzipiell überzeugt von der Notwendigkeit ihrer Tat, werfen sie sich zunächst immer wieder durch ihre eigenen moralischen Bedenken selbst zurück – bis sie fast aufgerieben zwischen ihren idealistischen Zielen und der blutigen Realität doch noch zur Tat schreiten. Der junge Regisseur Walter Meierjohann betont in seiner Inszenierung die widersprüchlichen Aussagen des Textes. In einer Zeit (vor)schneller Einordnungen in „das Gut und das Böse“ hält er seine eigene Bewertung bewusst zurück. Er verzichtet darauf, die Terroristen von 1905 in diejenigen unserer Tage zu verwandeln und damit seine Zuschauer voreingenommen zu machen. Stattdessen arbeitet er mit feiner Hand die Überzeugungen der Handelnden heraus – und richtig „böse“ sein kann man danach eigentlich niemandem mehr: weder dem von Christian Beermann energisch verkörperten kommunistischen Draufgänger Stepan, dem sein Idealismus in der Polizeigefangenschaft herausgeknüppelt wurde, noch der von Melanie Straub gespielten Großfürstin, die nach der Ermordung ihres Mannes den Täter im Gefängnis aufsucht und mit ihm beten will. Durch den Verzicht auf eigene Antworten überlässt Meierjohann dem Zuschauer allein die Rolle des Richters. Dies spiegelt sich auch in dem kargen Bühnenbild und der schmalen Requisite wieder, auf die der Regisseur fast völlig verzichtet. Was gedacht ist, um beim Zuschauer eigene Bilder und Sichtweisen anzuregen, schießt jedoch teilweise über das Ziel hinaus: So bleibt es – Adaption hin oder her - für den Betrachter schlicht verwirrend, wenn sich der aufgebrachte Stepan entblößt, um Dora die Narben seiner Gefangenschaft zu zeigen; auf seinem blanken Oberkörper jedoch nicht eine einzige dieser Narben zu sehen ist. Und dennoch: In einer Welt, in der uns allzu oft vorgefertigte Pauschalantworten vorgesetzt werden, regt diese Inszenierung zur kritischen Reflektion scheinbar unumstößlicher Grundsätze an. So heißt es zwar am Ende „der Vorhang fällt – und alle Fragen offen“, doch selten war man darüber so befriedigt wie an diesem Abend. „Wir sind nicht mehr von dieser Welt, wir sind Gerechte.“ (Katrin Wiesemann) Fünf Terroristen, ausgeschlossen von der Welt, in einem Zimmer und die Frage nach der Legitimation für Gewalt. Ist es gerecht eine Bombe auf Kinder zu werfen? Ist es gerecht zu hassen? Gibt es neben der Gerechtigkeit Platz für die Liebe? Fragen, denen sich die Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ um Regisseur Walter Meierjohann im Stück „Die Gerechten“ von Albert Camus stellten. Am 30.10.03 präsentierte das Ensemble aus Berlin das existenzialistische Drama im Forum Freies Theater Düsseldorf. Alle 60 Plätze im JuTA waren besetzt und boten jedem Zuschauer einen einzigartigen Blickwinkel. Die Bühne befand sich in der Mitte des Raumes und das Publikum sah von außen unter einer schwebenden Wand her in den Raum. Es tauchte ein in die Welt Russlands um 1900. Die Kostüme von Petra Schlüter-Wilke und die wenigen Requisiten unterstützten dieses Gefühl. Die Schauspieler boten jedem einzelnen Zuschauer immer wieder eine besondere Perspektive und spielten mit der Nähe und der Entfernung im Raum. Die Bombe soll auf den Großfürsten fallen, alle Vorbereitungen sind getroffen. Aber der erste Versuch scheitert. Iwan konnte sie nicht werfen, der Großfürst war zusammen mit seiner Nichte und seinem Neffen in der Kutsche. Stepan zweifelt seine Entscheidung an: „Und wenn beim nächsten Mal wieder Kinder in der Kutsche sitzen?“ Das Warten auf die nächste Gelegenheit zermürbt. Alexej, gespielt von Merten Schroedter, sollte die zweite Bombe werfen. Doch er bricht unter der Last zusammen, Schroedter zeigte mit ganzem Körpereinsatz die innerliche Zerrissenheit des Widerstandskämpfers. Die Gruppe verkleinert sich, doch das Ziel bleibt. Beim zweiten Versuch wirft Iwan die Bombe und der Großfürst ist getroffen. Nach der Pause hatte sich die Bühnensituation umgedreht, die Zuschauer saßen nun in demselben Zimmer, dessen Wände nun den Boden berührten und beobachteten geradeaus durch die Fenster das Geschehen. Nachdem Iwan die Bombe geworfen hatte, wurde er festgenommen und sitzt nun im Gefängnis. Der Polizeichef Scuratow, Janning Kahnert, bietet ihm mit Ironie in der Stimme die Begnadigung im Tausch gegen die Namen seiner Mit-Verschwörer an. Nachdem Iwan auch den Besuch der nun verwitweten und etwas wunderlichen Großfürstin, im russischen Hochzeitskleid, hinter sich hat, wechselt die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu den nun in den Zuschauerraum kommenden Akteuren aus dem ersten Teil. Dora, Catherine Janke, verzweifelt in Gedanken an ihren Geliebten Iwan. Zeigte sich Janke im ersten Teil noch recht kühl, wenn sie über die Liebe sprach, legte sie im zweiten Teil viel Gefühl in ihre Zweifel, war aber auch hart genug um weiterzukämpfen. „Jetzt wird es leichter. In einer kalten Nacht und mit dem gleichen Strick.“ Seit der Premiere des Stückes am 23.01.2003 hat Regisseur Walter Meierjohann die Vorführung immer weiterentwickelt. Die Striemen vom Foltern auf dem Rücken Stepans waren in der Aufführung im JuTA verschwunden. Seine Wunden seien innerlich, so wie sich das ganze Geschehen in gewisser Weise in den Köpfen der Akteure abspiele, bemerkte der Regisseur im Gespräch. Das Publikum dagegen war froh dieser Ausarbeitung des Stückes beiwohnen zu können und schwankte immer wieder zwischen Sympathie und Entsetzen.