Kritiken zu "Die Gerechten" von Adalbert Camus, gespielt vom bat

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Kritiken zu "Die Gerechten" von Adalbert Camus, gespielt vom batstudiotheater (Schauspielschule "Ernst Busch", Berlin) im
FFT/JuTA, Düsseldorf (WiSe 2003/2004)
Beklemmende Intensität
„Die Gerechten“ von Albert Camus in der Inszenierung von Walter
Meierjohann (Elena Abrams)
Im Februar 1905 kommt der russische Großfürst Sergej, einer der
führenden Vertreter des zaristischen Russlands, bei einem
Bombenanschlag ums Leben. Das Attentat, hinter dem eine Gruppe junger
russischer Sozialrevolutionäre steht, reiht sich in eine Serie von
Anschlägen (der prominenteste war im Jahr 1881 auf Zar Alexander II.
gerichtet), mit denen versucht wurde, das in die Kritik geratene
Staatssystem zu treffen.
40 Jahre später befasst sich Camus, selber gerade aus dem französischen
Untergrund zurückgekehrt, in seinem Stück „Die Gerechten“ mit den
vorrevolutionären Strömungen Russlands. Es geht ihm dabei nicht um die
historische Genauigkeit, obwohl er dem Attentäter Ivan Kaliajew seinen
Namen lässt. Es geht um die Fragen nach den Opfern, dem ideologisierten
Hass und dem Recht auf Ausstieg, die die Gruppe fast sprengen.
Die Inszenierung des bat-studiotheaters (Regie: W. Meierjohann) – Ende
Oktober gastierte sie im FFT/JuTA Düsseldorf – macht das Camus´sche
Drama zum beklemmend-intensiven Erlebnis, in spannungsdichter
Atmosphäre, geschaffen durch ein erstaunliches, auf das Wesentliche
reduziertes Bühnenbild von S. Wurster: ein schwebender Raum bis zum
Ende des dritten Aktes, danach ein beengendes Zimmer mit einer
Glasscheibe, durch die der Zuschauer eingesperrt, zwangsweise auf der
Seite der Justiz, den Todeskandidaten Kaliajew beobachtet.
Die Aufführung überzeugt auch durch Details: die Kostüme entsprechen
trotz Bescheidenheit der Epoche, die karge Requisite birgt
Überraschungen .Man spürt die naive Hoffnung der idealistischen
Verschwörer als im Dunkeln eine Spieluhr zaghaft die Internationale
anstimmt.
Was die Vorstellung aber vor allem trägt, ist das hervorragende Spiel der
Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Catherine
Janke (Dora), die mit nur 24 Jahren eine erstaunliche Schauspielerfahrung
ausstrahlt, der Christian Beermann (Stepan), dem man auf´s Wort glaubt,
dass für ihn “nur die Bombe revolutionär ist“. Janning Kahnert
(Polizeiermittler Skuratow), der den Namensvetter des grausamen Dieners
Iwan des Schrecklichen, Maljuta Skuratow, einen sadistischen Hauptmann
eines Hinrichtungskommandos, in Russland die Personifikation der auf
Befehl ausgeführten Grausamkeit, tadellos gebügelt, neu interpretiert.
Im letzten Akt erreicht das Spiel eine fast unerträgliche Intensität, die
Schauspieler kämpfen, schreien, weinen, in einer halben Meter Entfernung
von den Zuschauern. Die Wirkung ist klaustrophobisch. Einige in der
ersten Reihe weichen unbewusst aus, schauen eher auf die Schuhe als auf
die Gesichter der Darsteller.
Der lange, lange Applaus hatte etwas Erlösendes.
Die Gerechten (Amrei Beck)
Langeweile kam bei den Besuchern der Düsseldorfer Premiere Albert
Camus` „Die Gerechten“ bestimmt nicht auf. Schon vor Beginn des
Stückes am Freitagabend entstand Spannung, beim Eintritt in den Saal
des FFTs,in dem die übliche Distanz zwischen Zuschauern und Bühne
aufgehoben worden war. Die Sitzplätze befanden sich im Carré, dicht um
die gesamte Bühne herum.
Die Nähe zum Publikum schien Regisseur Walter Meierjohann bei seiner
Inszenierung mit den Studenten der Berliner Hochschule für
Schauspielkunst „Ernst Busch“ sehr wichtig zu sein.
Nach der Pause wurde der Abstand nochmals verringert: Die Schauspieler
agierten nun teilweise zwischen den Zuschauern. Von der ersten bis zur
letzten Minute war das Publikum „dabei“.
„Die Gerechten“. Das sind Dora, Janek, Alexej, Stepan und Boris, eine
Gruppe russischer Sozialisten, die Anfang des vorigen Jahrhunderts einen
Anschlag auf den Großfürsten planen und durchführen. Camus beschreibt
ihre Beweggründe, Zweifel, Ängste und ihre „Liebe zur Organisation“.
Der Verzicht auf Vorhang, Bühnenbild und Musik (bis auf die
„Internationale“ auf einer kleinen Spieluhr), die Sparsamkeit der Requisite
und die Zurückhaltende Beleuchtung lenken das Augenmerk besonders
auf die Schauspieler.
Grelles giftiggrünes Licht in der ersten Szene kündet Unheil an, weißes
Spot-Licht in der folgenden erzeugt düstere Spannung, Halogenlicht
unterstützt die
Verhör-Szene.
Unglücklich fällt an der Inszenierung die Besetzung der beiden Hauptrollen
aus. Catherine Jankes Stimme ist angenehm tief und weich und passt gut
zu der mütterlichen Seite der Rolle Doras, sie spielt dagegen weder
mitreißend noch
überzeugend. Ihre Bewegungen sind zu gekünstelt, ihre Emotionen zu
übertrieben. Sie konzentriert sich zu sehr darauf, Dora zu spielen als sie
zu sein.
Marco Matthes, Doras Geliebter Janek, ist nicht überzeugender. Auch er
agiert überzogen. Seiner Umsetzung der Schriftsprache Camus` fehlt das
Selbstverständliche. Diese Schwächen ziehen die Aufmerksamkeit des
Zuschauers ein wenig von den Hauptrollen ab und lenken sie auf die
mitreißenden Schauspieler der Nebenrollen: Stepan - geheimnisvoll,
verletzt, wütend, rachsüchtig - grandios dargestellt von Christian
Beermann. Und Alexej, den Merten Schroedter naiv, aufgeregt, stotternd,
fast wahnsinnig vor Kummer darüber, dass er es nicht über sich bringt,
den Anschlag zu verüben, interpretiert. Sein Lachen, zum Schluss nicht
mehr vom Weinen zu unterscheiden, ist Symbol für die verzweifelte
Stimmung der Geschichte.
Heiligt das Mittel den Zweck?
"Die Gerechten" von Camus im FFT/JuTA Düsseldorf (Vera Lotte Böcker)
Was bewegt einen Menschen dazu, Terrorist zu werden? Wie rechtfertigt
er das Morden? Ist es rechtfertigbar? Ist der Tod Unschuldiger ein in Kauf
zu nehmender Preis für den Tod der vermeintlich Schuldigen? Welches
Mittel heiligt welchen Zweck? Um diese Fragen drehte sich das am 30.10
im FFT als Düsseldorfer Lokalpremiere aufgeführte Drama „Die Gerechten“
von Albert Camus. 1949 uraufgeführt könnte es heute aktueller kaum
sein.
Bei Camus spielt das Stück im feudalistischen Russland 1905 und auch der
Regisseur Walter Meierjohann lässt das Stück genau dort beginnen. Eine
Gruppe von Sozialrevolutionären plant ein Attentat auf den Großfürsten.
Doch erst beim zweiten Versuch stirbt der Fürst, erst, als keine Kinder
mehr bei ihm im Wagen sitzen, vermag es Kaliajew, die Bombe zu werfen.
Er wird später die Begnadigung ablehnen, - nur sein eigener Tod kann
seinen Mord sühnen. Marco Matthes spielt Kaliajew als idealistischen
Kämpfer, der aus Liebe zu den Menschen bereit ist zu töten, überzeugend.
Sein Gegenpart Fjodorow (packend dargestellt von Christian Beermann)
ist innerlich tot, er kennt keine Skrupel, ihn treibt der Hass an. Die Kunst
dieser Schauspieler - allesamt Studenten im vierten Jahr der
Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin – ist herausragend. Zwei von
ihnen werden wir in Düsseldorf weiter genießen können: Catherine Janke,
die die Bombenbauerin Dora spielt, ist in dieser Spielzeit am
Schauspielhaus als junge „Gertrud“ zu sehen. Marco Matthes zählt seit
kurzem ebenfalls zum Düsseldorfer Ensemble.
Die vielen Perspektiven, aus denen heraus die Problematik des
Camus´schen Dramas gesehen werden kann, spiegeln sich im Bühnenbild
(Steffi Wurster): Das Publikum schaut zunächst von allen Seiten auf die
Spielfläche, ein weißes, zur Hälfte einsehbares Zimmer. Jeder Zuschauer
beobachtet die Handlung aus einem anderen Blickwinkel, hat die
Spielenden und gleichzeitig das Publikum auf der anderen Seite im Auge.
Später wird es, auf derselben Seite wie der Polizeichef (Janning Kahnert)
inmitten eben dieses Zimmers sitzen und dem Gewissenskampf Kaliajews
durch eine Glaswand zusehen – so werden die Zuschauer zu Richtern. Die
Möglichkeit, sich dem Drama und seinen brennenden Fragen zu entziehen,
ist spätestens hier nicht mehr gegeben. Denn auch zeitlich rückt die
Inszenierung immer näher an unsere Gegenwart heran. Die trauernde
Fürstin erscheint Kaliajew wie ein Geist im weißen Brautkleid (Kostüme:
Petra Schlüter-Wilke), die Stimmen hinter der Glaswand tönen intim,
teilweise aus dem Off, elektronisch verstärkt, in die Zuschauerzelle hinein.
So schafft es der junge Regisseur, das Stück auch ohne Anspielungen auf
den 11. September in unsere Zeit zu holen.
Publikum besetzte die Bühne (Christian Consten)
Eine an Terrormeldungen fast schon gewöhnte Öffentlichkeit wie die
hiesige, vor allem aber eine, die dahinter den ungerechten Kampf des
Bösen gegen das Gute sieht, weiß vielleicht nicht, auf wie viele
verschiedene Weisen ein Mensch eine Bombe werfen kann. Der
existentialistische Camus hat es gewusst, dessen Stück „Die Gerechten“
(von 1949) Studenten der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst
Busch“ am Donnerstagabend im FFT/JuTA aufgeführt haben.
Und kaum, dass man sich gesetzt hat, wundert man sich: der Blick in die
konspirative Wohnung, die bei der Spärlichkeit der Einrichtung erst aus
der Handlung als solche zu erkennen ist, ist zugleich der Blick in die
Gesichter des Publikums. Wände, in der Luft schwebend, gibt es erst
oberhalb; ihr unteres Drittel ist im Rechteck versammelte Öffentlichkeit –
des Regisseurs (Walter Meierjohann) Absage an die klassische
Guckkastenbühne und zugleich deren Steigerung, ebenso einfach wie
wirkungsvoll von Steffi Wurster bühnenbildnerisch umgesetzt.
Es beginnt: nein, es ist schon mittendrin, nach Monaten angespannter
Vorbereitung steht eine Gruppe von fünf Terroristen im Russland des
Jahres 1905 kurz vor der Ausführung eines Bombenanschlags auf den
Großfürsten Sergej. Wer soll das Volk befreien? Der Idealist Janek (Marco
Matthes)? Der desillusionierte Stepan (Christian Beermann), der im
hochgeschlossenen Mantel, die Hände in den Taschen, von der
„Gerechtigkeit, die über dem Leben steht“ spricht? Dialoge mit viel
Abstand voneinander, oft stehen die Darsteller in den gegenüberliegenden
Winkeln. Anführer Annenkow (Ronald Zehrfeld), dessen offensichtliche
Körperkraft hinter die kleinen Brillengläser zurückgenommen scheint,
vertraut Janek. Aber der Anschlag bleibt aus, es hätte Kinder getroffen:
Stepan hätte es dennoch getan. Ein neuer Anlauf. Diesmal tötet Janek den
Fürsten und wird verhaftet.
Pause, Umbau. Und wieder die Verwunderung beim Platznehmen: nun das
Publikum auf der Bühne, von Wänden umgeben, jenseits einiger Fenster
Janek in seiner Zelle, diesseits unter den Zuschauern der Polizist Skuratow
(Janning Kahnert), der wie ein aufstrebender Anwalt gegen den Terror
plädiert – stehen wir wirklich auf seiner Seite? Ist die Scheibe die Grenze
zwischen privatem und öffentlichem Raum, der Terrorist nur Privatkrieger?
Worum geht es? Nicht Gerechtigkeit, sondern Liebe verbindet
Bombenbauerin Dora (Catherine Janke) mit Janek, der am Galgen endet.
Sie will weitermachen und ihm folgen. Es fragt sich, in wessen Namen:
von Anfang an.
Revolution für's Leben
Berliner Schauspielstudenten zeigen Camus´ „Die Gerechten“ im FFT/JuTA
(Julia Falck)
Kein Meter trennt die Zuschauer von der Bühne. Sofort fühlt man sich in
der Rolle des heimlichen Beobachters, der vor der halb geöffneten Tür
eines Wohnzimmers steht und ein Geschehen beobachtet, das eigentlich
nicht für ihn bestimmt ist. Die Tür ist nicht geöffnet, doch die vier Wände
sind nach oben gezogen, hängen in der Luft und lassen einen Spalt frei,
durch den man das Stück sieht: Albert Camus´ „Die Gerechten“ im
Düsseldorfer JuTA, gespielt von Studierenden des 4. Studienjahres
„Schauspiel“ an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in
Berlin. Ein Stück über Revolution und die Frage der Gerechtigkeit, vor
allem aber, und das wird in der Inszenierung von Walter Meierjohann
deutlich, ein Stück über die Liebe.
Wenn Marco Matthes in der Rolle des Iwan Kaliajew die „Revolution fürs
Leben“ unterstützt oder Christian Beermann als Stepan Fjodorow sein
Hemd vom Körper reißt, um Dora (nicht sichtbare und doch vorhandene)
Spuren früherer Misshandlungen zu zeigen; wenn Alexej Woinow (sehr
überzeugend dargestellt von Merten Schroedter) an der nervlichen
Belastung des Terrors zerbricht und Catherine Janke alias Dora Duljebow
feststellen muss, dass die Idee der Revolution, in der sie völlig aufgeht,
ihr keine Liebe zurückgeben kann, dann klingt alles wie die verzweifelte
Suche nach Trost und Wahrheit inmitten all der Ungerechtigkeit.
Unterstützt wird die sich steigernde Verzweiflung der „Gerechten“ und die
Konzentration auf ihr Handeln und ihre Dialoge von den schon in der
ersten Szene sparsam verwendeten Requisiten, die im Laufe des Stückes
immer weniger werden. Nach der Pause werden die Zuschauer zu
Gefängnisbesuchern von Iwan Kaliajew: Sie sitzen nun aufgereiht vor
einer Glaswand, hinter der ein Häftling die Scheiben putzt und sich mit
Iwan unterhält. Und als wenig später Janning Kahnert als Polizeichef
Skuratov zwischen den Zuschauern nach vorne zur Glaswand stolziert und
versucht, Iwan zum Verrat seiner Genossen zu zwingen, fühlt man sich
ungewollt als Verbündeter Skuratovs - und möchte am liebsten selbst ins
Geschehen eingreifen. Erst als das letzte Wort gesprochen wurde und die
Schauspieler den wohlverdienten Applaus ernteten, waren die Rollen
wieder eindeutig konventionell verteilt: Man war nicht länger der heimliche
Beobachter, sondern ein Theaterpublikum, das die großartige Leistung der
Berliner Schauspielstudenten, die mit einer überzeugenden
Selbstverständlichkeit ihre Rollen verkörperten, zu würdigen versuchte.
Mord für eine bessere Welt?
Walter Meierjohann inszeniert „Die Gerechten“ von Albert Camus im FFT
Juta. (Melanie Fuchs)
Am 23. Februar 1905 kam der russische Großfürst Sergej bei einem
Bombenanschlag ums Leben. Die Bombe wurde von Iwan Kaliajew,
Mitglied einer fünfköpfigen Widerstandsgruppe geworfen. Verletzt wurde
niemand.
Änderte man Datum und Namen könnte diese Meldung auch in den
Zeitungen von heute stehen. Bombenanschläge als blutige Antwort auf
Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Attentate aus Liebe zu den Seinen,
aus Hass auf die Anderen, für eine bessere Welt. Das Thema von Albert
Camus` „Die Gerechten“ ist heute so brisant wie 1905.
Regisseur Walter Meierjohann brachte das schwer lastende Gedankengut
Camus`, nach der Premiere am 23. Januar 2003 in Berlin, auch auf die
Bühne des FFT/JuTA. Die Inszenierung war außergewöhnlich. Die
Schauspieler, acht Studenten der Schauspielschule „Ernst Busch“,
befinden sich im vierten Jahr ihrer Ausbildung, das Publikum war auf
Grund des grandiosen Bühnenbildes von Steffi Wurster in das Geschehen
involviert. Die Wände des geheimen Verstecks der Gruppe hingen
während den ersten drei Akte über der Bühne in der Mitte des Saales. Die
Zuschauer konnten von außen in den Raum hinein- und durch ihn
hindurch schauen. Nach der Pause wurden die Wände heruntergelassen.
Das Publikum saß dann im Innern vor einer großen Scheibe. Dort stand
auch Polizeichef Skuratow (Janning Kahnert) und verhörte den inhaftierten
Iwan (Marco Matthes). Erfolglos. Iwan verriet seine „Brüder“ nicht,
verschmähte die Aussicht auf Begnadigung, wollte den Tod. Dabei hatte er
sich der Revolution angeschlossen, weil er das Leben liebte.
Alle Mitglieder der Gruppe haben ihr Leben aus Liebe der Revolution
verschrieben, aus Liebe zum russischen Volk, aus Liebe zu ihrem Traum
von Gerechtigkeit. Allein Stepan (Christian Beermann), gerade aus der
Gefangenschaft entlassen, kämpft aus Hass. Der Tag des Attentats wird
zum Desaster für die Gruppe. Die Bande der Bruderschaft, einst von
einem gemeinsamen Ziel geknüpft, drohen zu zerreißen, Zweifel und
Angst ersetzen Entschlossenheit. Wie weit darf man im Namen der
Revolution gehen? Rechtfertigt das scheinbar gute Ziel alle Mittel? Ist
Mord im Namen einer besseren Welt noch dasselbe? Alexej (Merten
Schroedter) hält es nicht mehr aus. Nervös erklärt er dem Anführer Boris
(Ronald Zehrfeld), das er „für diese Art von Revolution“ nicht geschaffen
sei. Eine unglaublich mitreißende Szene. Auch der Zuschauer hat in diesen
Minuten das Gefühl der Situation nicht mehr standhalten zu können. Die
Verzweiflung der Männer bahnt sich über ihre Körper den Weg an die
Oberfläche, sie atmen schwer, sie zittern, Schweißperlen rinnen über ihr
Gesicht. Sie scheinen unter dem Druck „größer sein zu müssen als sie
sind“ zusammenzubrechen. Auch persönliche Liebe zerbricht unter dem
revolutionären Gedankengut. So verabschiedet sich Iwan nicht mit den
Worten „ich liebe dich“ von Dora (Catherine Janke), sondern mit dem Satz
„Russland wird schön werden“.
Iwan Kaliajew wurde am folgenden Morgen um zwei Uhr gehängt.
"Die Ehre ist der letzte Reichtum der Armen“
Walter Meierjohann inszeniert „Die Gerechten“ von Albert Camus im
FFT/JuTA. (Gregor Kühn)
„Revolutionär ist nur die Bombe“. Im zaristischen Russland um 1905
klügelt „die Organisation“ einen akribischen Anschlagsplan aus. Ziel ist es,
den Großfürsten Sergej zu stürzen.
Da ist der Dichter Janek, der mit Dora, die die Bomben herstellt, liiert ist.
Aus Liebe zum Volk geben sie ihr persönliches Glück auf. Alexej ist aus
Idealismus zum Terrorismus gekommen, zweifelt aber daran, ob er
wirklich dazu geeignet ist. Und dann gibt es noch Stepan, einen Fanatiker,
der am liebsten ganz Moskau sprengen würde, sich aber von den anderen
nicht ausreichend unterstützt fühlt („Die Ehre ist der letzte Reichtum der
Armen.“) Zusammengehalten wird die Gruppe von Boris, der die
aufkeimenden Konflikte zu entschärfen versucht.
In der Inszenierung von Walter Meierjohann, die Ende Oktober im FFT in
Düsseldorf ihre lokale Premiere hatte, wird der Zuschauer mit der Frage
konfrontiert „Was ist eigentlich gerecht?“ und gezwungen, darüber
nachzudenken, ob der Zweck tatsächlich die Mittel heiligt.
Was Albert Camus schon 1949 in der Uraufführung seines Dramas „Die
Gerechten“ thematisierte, könnte heute nicht aktueller und brisanter sein:
die Problematik der politischen Legitimation von Gewalt. Verbindungen
etwa zum 11. September oder zur blutigen Auseinandersetzung zwischen
Israelis und Palästinensern werden deutlich.
Ein großer Verdienst kommt Steffi Wurster zu, die das Bühnenbild
minimalistisch gestaltet hat. Es gibt kaum Requisiten, keine musikalische
Begleitung, keine besonderen Beleuchtungseffekte, dafür einen
hochgezogenen weißen Raum, der dem Publikum gleichsam als
erweiterter Guckkasten dient. Dieser stellt die isolierte Geheimwohnung
der russischen Verschwörer dar. Die gerade mal sechzig Zuschauer sitzen
in einem Quadrat direkt um die Bühne herum. Dadurch gibt es keine
Möglichkeit, sich dem klaustrophobisch aufgeladenen Mikrokosmos zu
entziehen.
Mit dem vierten von insgesamt fünf Akten des Schauspiels ändert sich das
Bühnenbild: Die Zuschauer sitzen quasi auf der bisherigen Bühne, jetzt
mit Blick auf eine Glaswand, hinter der Janek im Gefängnis zu sehen ist.
Beim ersten Mal hatte er es nicht geschafft, eine Bombe auf die
Zarenkutsche zu werfen, weil darin Kinder saßen. Sein zweiter Versuch
aber hatte „Erfolg“. Er wurde verhaftet; nun verweigert er jegliche
Begnadigung und Verzeihung. Er muss sich mit dem Polizeichef Skuratow
unterhalten: „Ich biete Ihnen Ihr Leben, wenn Sie Ihre Genossen
verraten.“ Auch die verwitwete Großfürstin versucht, Janek zum Verrat zu
verführen, doch der schwört auf Brüderlichkeit und Solidarität und zieht
den Opfertod vor.
Bis zum Ende der Inszenierung ist man zwischen den widerstreitenden
Perspektiven und Erkenntnissen hin- und hergerissen: Wenn es gerecht
ist, für eine gute Sache einen Menschen umzubringen, wer und wie viele
dürfen getötet werden? Und welche Sühne ist dafür zu zahlen?
Meierjohann meint dazu: „Ich wollte es in der Schwebe lassen, keine
Antworten vorgeben.“
Zu Recht wurde die renommierte Schauspielschule „Ernst Busch“ mit dem
Ensemblepreis beim 14. Deutschsprachigen Theatertreffen in Graz
ausgezeichnet. Die Darsteller in der Inszenierung von „Die Gerechten“
sind im vierten Studienjahr. Sie waren in ihren Rollen sicher und
überzeugend, insbesondere die erst 24-jährige Catherine Janke als Dora,
die, mal kühl abwägend und dann wieder durch Angst und Ungewissheit
außer sich, ein enormes darstellerisches Spektrum abzudecken wusste.
Wenn der Regisseur allerdings schon Wert auf eine naturalistische
Darstellung legt, so sollte er zukünftig auch auf die Details achten:
Lotkolben gab es 1905 noch nicht.
„Ich glaube sie stellen sich diese Fragen, - auch heute noch.“
Gastspiel des bat-Studiotheater Berlin. Mit den „Gerechten“ von Albert
Camus wird im FFT/JuTA eine Terrorzelle der Menschlichkeit ausgehoben.
(Daniel Myslinski)
Zunächst schweben die vier Wände über der Bühne. Wie ein
Damoklesschwert drohen sie jeden Moment herabzustürzen, ringsherum
sitzt das Publikum. Betrachtet wird das konspirative Treffen einer
sozialrevolutionären Gruppierung, bereit den Großfürsten mittels
Wurfbombe zu töten und dies doch moralisch hinterfragend – Russland
1905. Die Mimik der Protagonisten ist durch das hervorragend
durchdachte Bühnenbild (Steffi Wurster) nicht immer erkennbar, dann
dienen die Gesichter der Zuschauer gegenüber als Spiegel des
Geschehens.
„Die Gerechten“, 1949 in Paris uraufgeführtes Stück von Albert Camus,
stellt sich die Frage „nach der Berechtigung von Gewalt“. Mit einer
Verbindung zur RAF und Stammheim rief Claus Peymann 1976 einen
Skandal hervor. So weit will Regisseur Walter Meierjohann bei seiner
Umsetzung für das Berliner bat-Studiotheater, die das FFT nun als
Lokalpremiere zeigt, nicht gehen. Ungeachtet des 11.Septembers,
ungeachtet des weltweiten Kampfes gegen die „Achse des Bösen“. Er will
nicht sympathisieren, nicht Stellung beziehen. Verständnis aufbauen?
Nein. Es sollen keine Antworten geliefert werden. Das Stück soll in der
„Schwebe“ gehalten bleiben, nicht einmal ansatzweise bestehe die Absicht
dem Zuschauer eine Perspektive aufzuerlegen, so Meierjohann im
Gespräch. Der Regisseur will sich und dem Zuschauer Fragen stellen.
Fragen, die sich seines Erachtens auch moderne Terroristen „immer noch“
stellen. Und es gelingt ihm bei diesen Fragen zu bleiben. Trotz auferlegter
Perspektive, trotz bereitgestellter Antwortansätze.
Im letzten Akt auf der Bühne sitzend erscheint es, als sei man als Zeuge
einer Hinrichtung geladen. Den Blick unausweichlich nach vorne gerichtet,
eingeschlossen in die eben noch erhobenen Wänden des
Terroristenverstecks. Der Zuschauer betrachtet den erfolgreichen, doch
gefassten Attentäter. Die Hinrichtung erwartend, bekleidet mit einem OPHemd, wie es auch von den Pflegern einer Intensivstation getragen wird.
Die tödliche Injektion, „humane“ Todesstrafe der Moderne, staatlich
legitimierte Gewalt – Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Die Gruppe, die
Idee verraten und so dem Tod entgehen? Nein: „Die Ehre ist der letzte
Reichtum der Armen“, der Opfertod wird folgen.
Die Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (C.
Janke, M. Matthes, C. Beermann, R. Zehrfeld, M. Schroedter, J. Kahnert,
M. Morche und M. Straub – 4. Studienjahr!) bieten ganz großes Theater,
sie schweben im Dualismus ihrer Figuren - sind weder Gut noch wirklich
Böse. Meierjohann bezieht Stellung. Camus´ „zartfühlenden Mördern“
belässt er die Notwendigkeit der Tat, hinterfragt zugleich die an den
Tätern ausgeübte Gewalt. Er lässt seine Protagonisten aber auch
erkennen: „Ja, ...trotzdem, wir werden töten.“
Liebe und Gerechtigkeit
„Die Gerechten“ von Albert Camus im FFT/JuTA Düsseldorf
(Oda Sabelberg)
Um 1905 haben sich fünf junge russische Idealisten zusammengefunden
um durch ein politisches Attentat auf den Großfürsten ein Zeichen für die
Gerechtigkeit und die Befreiung des russischen Volkes zu setzen. Sie
treffen sich in einem Zimmer, dargestellt durch eine rechteckige Bühne
über der vier Wände schweben. Dieser beengte Raum, um den das
Publikum ringsherum sitzt, ist der Ort des Geschehens der ersten drei
Akte.
Da sind Janec, der sich selbst Dichter nennt und das Leben liebt und Dora,
die die Bomben herstellt. Sie beide verbindet eine zarte Liebe zueinander,
die allerdings im Schatten der Organisation und hinter der Liebe zum Volk
steht. Alexey, vom Idealismus zum Terrorismus gekommen, zweifelt
daran die Aufgaben der Organisation ausführen zu können, er verlässt
seine Kameraden. Stepan, der durch Gefangenschaft gezeichnete
Fanatiker ist unzufrieden mit allen, er selbst will die Bomben werfen.
Zusammengehalten wird die Gruppe von Boris, der kühlen Kopf behält und
immer wieder die verschiedenen Charaktere zu vereinen und die Konflikte
zu lösen hat.
Jeden der fünf jungen Menschen treiben unterschiedliche Beweggründe
voran. Bald stellt sich heraus, dass die Bewertung der Tat und auch die
Grenzen sehr unterschiedliche Reichweiten besitzen. Nicht nur die jungen
Darsteller, auch der Zuschauer wird mit der Frage der Gerechtigkeit
konfrontiert. Besonders deutlich werden die Konflikte durch die poetische
Sprache Camus´, die den Zuhörer fasziniert bannt.
Nach der Pause ist die räumliche Position von Publikum und Schauspieler
vertauscht. Doch nicht nur, dass das Publikum nun aus dem Raum heraus
schaut, wir befinden uns in der Inszenierung von Walter Meierjohann
plötzlich auch in der Gegenwart und werden Zeugen der Gefangenschaft
und Hinrichtung Janecs.
Wo man die ganze Zeit den aktuellen politischen Umständen entsprechend
den Realitätsbezug dieses 1949 von Camus geschriebenen Stückes „Die
Gerechten“ geahnt hat, so findet man ihn nun bestätigt. Und auf einmal
fühlt man sich selbst beengt und genötigt, dieses Stück nicht einfach zu
konsumieren, sondern sich mit der Thematik auseinander zu setzen und
zu urteilen.
In der Inszenierung wird auf die Phantasie der Zuschauer gesetzt. Das
Spannende, so der Regisseur, seien die Bilder, die durch seine Umsetzung
des alten, aber auch hochaktuellen Themas Terrorismus unbeabsichtigt in
den Köpfen entstehen. Ein ständiger Wechsel zwischen Realität und
Surrealität fordert das Publikum heraus, aufmerksam zu sein, der
Assoziation sind keine Grenzen gesetzt.
Die acht Schauspielschüler der Hochschule für Schauspielkunst Berlin
„Ernst Busch“ schafften es bei der ersten Aufführung von „Die Gerechten“
von Albert Camus Ende Oktober im FFT/ JuTA in Düsseldorf die sechzig
Zuschauer zwei Stunden lang durch hervorragende Schauspielkunst,
phantastisches Bühnenbild und ein aktuelles Thema in ihren Bann zu
ziehen. Zum Dank gab es begeisterten Applaus und eine Rose für jeden
der jungen Künstler.
Eine Frage des Blickwinkels
“Die Gerechten” von Albert Camus am ForumFreiesTheater/JuTA in
Düsseldorf (Diane Sellenmerten)
„Schauspielschule Ernst Busch“- dieser Name weckt Erwartungen. Schön,
wenn diese auch erfüllt werden. Acht Schauspielschüler im vierten
Studienjahr boten am Donnerstag in der Premiere des Gastspiels „Die
Gerechten“ von Albert Camus eine bühnenreife Leistung. Mit den
Gerechten haben sie sich zusammen mit Regisseur Walter Meierjohann an
ein anspruchsvolles, ernstes Stück mit erschreckendem Gegenwartsbezug
herangewagt. Eine russische Terroristengruppe führt 1905 einen
Mordanschlag auf den Großfürsten Sergij aus, den Ivan mit dem Leben
büßt. Den Reiz des Textes und der Inszenierung macht dabei aus, dass
der historische Stoff das Problem des Terrorismus von allen Seiten
beleuchtet.
So gibt es Stepan, kraftvoll und sehr präsent von Christian Beermann
gespielt, der für die Befreiung Russlands über Leichen gehen und den Tod
von Kindern als „Kollateralschaden“ des geplanten Anschlags rigoros in
Kauf nehmen würde. Der Idealist Ivan hat sich noch Reste von
Menschlichkeit bewahrt und kann die Tat nur mit hohem moralischem
Anspruch an sich selbst ausführen. Nach seiner Verhaftung lehnt er jede
äußere Gnade ab. Er muss den Mord mit dem eigenen Tod bezahlen, um
gerecht zu bleiben. So sehr er auch das Volk liebt - einen anderen
Menschen zu lieben ist er nicht fähig – auch nicht Dora. Dieser
Widerspruch zwischen altruistischer Liebe ohne Gegenliebe, die sich
paradoxerweise in Hass äussern muss und vermeintlich egoistischer,
dialogischer Liebe wird von Catherine Janke als Dora beklemmend
vorgelebt. Sie wird immer maschinenhafter, skandiert „Vorwärts“ und
zeigt gleichzeitig Momente ergreifender Schwäche in ihrer absoluten
Einsamkeit. Neben den höchst unterschiedlichen Figuren unterstreicht das
Bühnenbild sehr raffiniert die Vielseitigkeit der Positionen. War man als
Zuschauer die ersten drei Akte auf der Seite der Terroristen, so wechselt
der Blickwinkel nach der Pause. Weg von dem intimen Einblick in die
terroristische Zelle - ein Zimmer, von allen Seiten einsehbar, dessen
Wände schweben - hinein in den Gesellschaftskäfig: in einem Kasten
eingeschlossen, eine Glaswand trennt uns von dem Angeklagten und
plötzlich befindet sich der zynische Polizeichef Skoratov auf unserer Seite.
Er wird von Janning Kahnert hinreißend dargestellt als geschmeidig-fieser
Moderator der Macht. Jede Gemütlichkeit des ersten Teils ist
verschwunden und eine sich selbst entlarvende Voyeurperspektive auf den
Verurteilten wechselt sich mit unerträglicher physischer Nähe ab.
Ein Stück, das endlich einmal jeden zu einer Stellungnahme zwingt.
Die Suche nach Gerechten
Albert Camus' „Die Gerechten“ im FFT Düsseldorf
(Reka Török)
„Ich liebe nicht das Leben, sondern die Gerechtigkeit...“ - Worte des
russischen Sozialrevolutionärs Stepan und damit ist schon das wichtigste
Thema des Stückes genannt: Gerechtigkeit. - Unter der Regie von Walter
Meierjohann gaben die Studenten der Berliner Hochschule für
Schauspielkunst „Ernst Busch“ bei der lokalen Premiere am 30. Oktober
2003 eine mehr als überzeugende Leistung.
Camus greift in diesem streng gebauten Dialogstück einen historischen
Stoff auf - das 1905 von russischen Terroristen verübte Attentat auf den
Großfürsten Sergej - um vom Standpunkt seiner Existenzphilosophie aus
Sinn und Konsequenzen des „gerechten Mordes“ am Verhalten einiger
Sozialrevolutionäre zu erhellen. Nach einem ersten gescheiterten
Attentatsversuch von Kaliayev (Marco Mattes), der im entscheidenden
Moment vor der Tat zurückstreckte, weil sich zwei Kinder in Begleitung
des Großfürsten befanden - kommt es innerhalb der Gruppe zu einer
kontroverseren Diskussion über Ziel und Rechtfertigung des politischen
Umsturzes.
Nach Recht oder Unrecht fragt Janek, nach der Legitimation seiner Tat.
Sowohl Kaliayev als auch Camus vertreten den Glauben, der als
notwendig erkannte, aber moralisch nicht zu rechtfertigende Mord könne
nur durch den Tod des Mörders gesühnt werden, nur in der Preisgabe des
eigenen Ichs werde der Achtung vor dem Leben der erforderliche Tribut
gezahlt. Doras (Catherine Janke) Fragestellungen an Janek – „Liebst du
die Gerechtigkeit zärtlich? Liebst du mich zärtlich?“ - verweisen aber auf
etwas Höheres als die Gerechtigkeit - auf das Wesen der Liebe: alles
geben, alles opfern, ohne auf Lohn zu hoffen.
Lüge und Terror, Revolte, Konflikt zwischen Mensch und Geschichte,
Rebellion gegen das absurde Dasein des Menschen sind Themen, die auch
heute die Aktualität bewahren. Die zeitgeschichtliche Entwicklung wurde
durch die Kostüme (Petra Schlüter-Wilke) – das weiße Ballkleid löst das
Trauerkleid ab - und das Bühnenbild ( Steffi Wurster) realistisch
wiedergegeben. Die am Anfang naturalistisch als Wohnung ausgestattete
Bühne wurde am Ende zu einem hermetisch abgeschlossenen und
isolierten „Media“- Raum, mit sich hinter Glas abspielenden
Mikrophonsgesprächen, als Spiegel des modernen Zeitalters.
Camus Stück sollte damals (1949) eine Antwort auf das thematisch
verwandte Drama „Die schmutzigen Hände“ von Sartre darstellen. Gibt es
aber heute eine Antwort auf die existenzielle Frage nach der
Gerechtigkeit? „Das Volk schweigt. Dieses Schweigen...“
Alle Fragen: offen
Walter Meierjohanns Inszenierung der „Gerechten“ von Camus am
ForumFreiesTheater in Düsseldorf fordert den Zuschauer heraus.
(Henry Wahlig)
Der Tyrann muss sterben. Das fünfköpfige Mordkommando hat nach
wochenlangen Vorbereitungen den Plan gefasst, den Machthaber bei
nächster Gelegenheit auf offener Straße mit einer Bombe in die Luft zu
sprengen. Mit dem Mord wollen die Terroristen die Unterdrückung des
Regimes beenden und die Revolution in ihrem Land vorantreiben.
Keine Szene aus den aktuellen Fernsehnachrichten, sondern Inhalt des
Theaterstückes „Die Gerechten“ von Albert Camus, das am Donnerstag in
einer Inszenierung der Schauspielschule „Ernst Busch“ Berlin im JuTA/FFT
seine lokale Premiere feierte. Camus, der das Stück im Jahr 1949
veröffentlichte, datiert die Handlung ins zaristische Russland des frühen
20. Jahrhunderts. Eine längst vergangene Epoche – und dennoch hat der
Text auch hundert Jahre nach der Handlung nichts von seiner Brisanz
eingebüßt.
So passt sich die Grundfrage des Camus-Stückes genau in unsere Zeit der
selbst ernannten Gotteskrieger und Freiheitskämpfer ein: Wie weit dürfen
Terror und Gewalt gehen, bis sie ihren moralischen Anspruch verlieren?
Der Autor schildert dies am Konflikt innerhalb einer kommunistischen
Gruppe, die einen Mordanschlag auf den zaristischen Großfürsten plant.
Prinzipiell überzeugt von der Notwendigkeit ihrer Tat, werfen sie sich
zunächst immer wieder durch ihre eigenen moralischen Bedenken selbst
zurück – bis sie fast aufgerieben zwischen ihren idealistischen Zielen und
der blutigen Realität doch noch zur Tat schreiten.
Der junge Regisseur Walter Meierjohann betont in seiner Inszenierung die
widersprüchlichen Aussagen des Textes. In einer Zeit (vor)schneller
Einordnungen in „das Gut und das Böse“ hält er seine eigene Bewertung
bewusst zurück. Er verzichtet darauf, die Terroristen von 1905 in
diejenigen unserer Tage zu verwandeln und damit seine Zuschauer
voreingenommen zu machen. Stattdessen arbeitet er mit feiner Hand die
Überzeugungen der Handelnden heraus – und richtig „böse“ sein kann
man danach eigentlich niemandem mehr: weder dem von Christian
Beermann energisch verkörperten kommunistischen Draufgänger Stepan,
dem sein Idealismus in der Polizeigefangenschaft herausgeknüppelt
wurde, noch der von Melanie Straub gespielten Großfürstin, die nach der
Ermordung ihres Mannes den Täter im Gefängnis aufsucht und mit ihm
beten will.
Durch den Verzicht auf eigene Antworten überlässt Meierjohann dem
Zuschauer allein die Rolle des Richters. Dies spiegelt sich auch in dem
kargen Bühnenbild und der schmalen Requisite wieder, auf die der
Regisseur fast völlig verzichtet. Was gedacht ist, um beim Zuschauer
eigene Bilder und Sichtweisen anzuregen, schießt jedoch teilweise über
das Ziel hinaus: So bleibt es – Adaption hin oder her - für den Betrachter
schlicht verwirrend, wenn sich der aufgebrachte Stepan entblößt, um Dora
die Narben seiner Gefangenschaft zu zeigen; auf seinem blanken
Oberkörper jedoch nicht eine einzige dieser Narben zu sehen ist.
Und dennoch: In einer Welt, in der uns allzu oft vorgefertigte
Pauschalantworten vorgesetzt werden, regt diese Inszenierung zur
kritischen Reflektion scheinbar unumstößlicher Grundsätze an. So heißt es
zwar am Ende „der Vorhang fällt – und alle Fragen offen“, doch selten war
man darüber so befriedigt wie an diesem Abend.
„Wir sind nicht mehr von dieser Welt, wir sind Gerechte.“
(Katrin Wiesemann)
Fünf Terroristen, ausgeschlossen von der Welt, in einem Zimmer und die
Frage nach der Legitimation für Gewalt. Ist es gerecht eine Bombe auf
Kinder zu werfen? Ist es gerecht zu hassen? Gibt es neben der
Gerechtigkeit Platz für die Liebe?
Fragen, denen sich die Studenten der Hochschule für Schauspielkunst
„Ernst Busch“ um Regisseur Walter Meierjohann im Stück „Die Gerechten“
von Albert Camus stellten. Am 30.10.03 präsentierte das Ensemble aus
Berlin das existenzialistische Drama im Forum Freies Theater Düsseldorf.
Alle 60 Plätze im JuTA waren besetzt und boten jedem Zuschauer einen
einzigartigen Blickwinkel. Die Bühne befand sich in der Mitte des Raumes
und das Publikum sah von außen unter einer schwebenden Wand her in
den Raum. Es tauchte ein in die Welt Russlands um 1900. Die Kostüme
von Petra Schlüter-Wilke und die wenigen Requisiten unterstützten dieses
Gefühl. Die Schauspieler boten jedem einzelnen Zuschauer immer wieder
eine besondere Perspektive und spielten mit der Nähe und der Entfernung
im Raum.
Die Bombe soll auf den Großfürsten fallen, alle Vorbereitungen sind
getroffen. Aber der erste Versuch scheitert. Iwan konnte sie nicht werfen,
der Großfürst war zusammen mit seiner Nichte und seinem Neffen in der
Kutsche. Stepan zweifelt seine Entscheidung an: „Und wenn beim
nächsten Mal wieder Kinder in der Kutsche sitzen?“ Das Warten auf die
nächste Gelegenheit zermürbt. Alexej, gespielt von Merten Schroedter,
sollte die zweite Bombe werfen. Doch er bricht unter der Last zusammen,
Schroedter zeigte mit ganzem Körpereinsatz die innerliche Zerrissenheit
des Widerstandskämpfers. Die Gruppe verkleinert sich, doch das Ziel
bleibt. Beim zweiten Versuch wirft Iwan die Bombe und der Großfürst ist
getroffen.
Nach der Pause hatte sich die Bühnensituation umgedreht, die Zuschauer
saßen nun in demselben Zimmer, dessen Wände nun den Boden
berührten und beobachteten geradeaus durch die Fenster das Geschehen.
Nachdem Iwan die Bombe geworfen hatte, wurde er festgenommen und
sitzt nun im Gefängnis. Der Polizeichef Scuratow, Janning Kahnert, bietet
ihm mit Ironie in der Stimme die Begnadigung im Tausch gegen die
Namen seiner Mit-Verschwörer an. Nachdem Iwan auch den Besuch der
nun verwitweten und etwas wunderlichen Großfürstin, im russischen
Hochzeitskleid, hinter sich hat, wechselt die Aufmerksamkeit des
Zuschauers zu den nun in den Zuschauerraum kommenden Akteuren aus
dem ersten Teil. Dora, Catherine Janke, verzweifelt in Gedanken an ihren
Geliebten Iwan. Zeigte sich Janke im ersten Teil noch recht kühl, wenn sie
über die Liebe sprach, legte sie im zweiten Teil viel Gefühl in ihre Zweifel,
war aber auch hart genug um weiterzukämpfen. „Jetzt wird es leichter. In
einer kalten Nacht und mit dem gleichen Strick.“
Seit der Premiere des Stückes am 23.01.2003 hat Regisseur Walter
Meierjohann die Vorführung immer weiterentwickelt. Die Striemen vom
Foltern auf dem Rücken Stepans waren in der Aufführung im JuTA
verschwunden. Seine Wunden seien innerlich, so wie sich das ganze
Geschehen in gewisser Weise in den Köpfen der Akteure abspiele,
bemerkte der Regisseur im Gespräch. Das Publikum dagegen war froh
dieser Ausarbeitung des Stückes beiwohnen zu können und schwankte
immer wieder zwischen Sympathie und Entsetzen.
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