Einführungsvortrag Prof. Rödder (17. Oktober 2006)

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Univ.-Prof. Dr. Andreas Rödder
Werte im Gespräch
Einführungsvortrag 17. Oktober 2006
Werte und Wertewandel in der Geschichte
der Bundesrepublik:
Historisch-politische Perspektiven
1. Der Papst, die Globalisierung und die Postmoderne:
Warum reden wir (wieder) über Werte?
2. Nietzsches Frage
3. Alles ist möglich:
Von der Bedeutung kollektiver Werte
4. Freiheit und Selbstentfaltung statt Pflicht und Akzeptanz:
Der „Wertewandel“ seit den sechziger Jahren
5. Ausblick auf die Gegenwart:
Ein Wandel des Wertewandels?
Dauer: ca. 55 min.
2
I.
Der Papst, die Postmoderne und die Globalisierung:
Warum reden wir (wieder) über Werte?
Werte sind im Gespräch, wie schon ein flüchtiger Blick auf den Buchmarkt zeigt:
„Werte als Wegweiser“ und „Werte für Europa“ finden wir in den Auslagen,
Jimmy Carter beklagt „Unsere gefährdeten Werte“; „Wertewandel“,
„Werteverlust“ und „Wertezerfall“ werden wahlweise kritisiert oder kritisch
hinterfragt, „Wert und Werte“ werden als „Ethik für Manager“ angeboten oder
die „Sehnsucht nach den alten Werten“, beschworen. „Werte bilden“, fordert
Wolfgang Thierse, „Schluß mit lustig“ ruft uns Peter Hahne vom Lerchenberg
zu, und die größte Aufmerksamkeit in diesem Herbst erregte Bernhard Bueb mit
seinem „Lob der Disziplin“ – einer jener Sekundärtugenden, mit denen man
Oskar Lafontaine zufolge auch ein KZ leiten konnte, oder auch, wie Helmut
Schmidt konterte, es befreien.
„Werte in Zeiten des Umbruchs“ forderte auch Joseph Kardinal Ratzinger, der
als Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede über Glaube und Vernunft
im September 20061 die Empfindlichkeiten eines schwelenden Konflikts traf,
der immer öfter als ein „Kampf der Kulturen“2 verstanden wird, als ein
Zivilisationskonflikt zwischen christlichem Okzident und muslimischem Orient,
zwischen West und Ost. Dabei tritt der Papst keineswegs als der Anwalt des
Westens auf, wie wir ihn mit den westlichen Industrie- und
Überflußgesellschaften verbinden. Vielmehr hält er gerade jenem modernen
oder postmodernen Westen vor, daß er die Stimme des Göttlichen nicht mehr
höre und sich allzu weit den Gefahren des Hedonismus, des Relativismus und
des Nihilismus ausgeliefert habe, daß es ihm an den rechten „Werten in Zeiten
des Umbruchs“ mangele.3
Dabei waren es gerade die sogenannten „westlichen Werte“ gewesen, die
Westeuropa und den USA als Banner im säkularen Konflikt des 20.
Jahrhunderts gedient hatten: im Ost-West-Konflikt zwischen parlamentarischer
Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft auf westlicher Seite gegenüber
Planwirtschaft und Diktatur mit dem Endziel der klassenlosen
kommunistischen Gesellschaft im Osten. Die Teilung Europas zu überwinden
und „eine Einheit zu schmieden, die auf den westlichen Werten beruht“, das war
das Fanal, mit dem George Bush sr. in den Endkampf des Ost-West-Konflikts
zog.4 Und mitten im Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums stritten die
3
Spitzen der amerikanischen und der sowjetischen Regierung, als sie Anfang
Dezember 1989 vor Malta zu einem Gipfeltreffen zusammenkamen, stritten
Gorbatschow, Bush und Außenminister über – Werte: Selbstbestimmung und
Wahlfreiheit, Demokratie und Markt, Offenheit und Pluralismus, das waren die
„westlichen Werte“, wie sie die Amerikaner vertraten. Recht indigniert
antwortete Gorbatschow: „Auch wir teilen sie. Das sind doch Werte, die der
gesamten Menschheit gehören.“5
In der Tat hatte Gorbatschow – ohne recht zu merken, was er tat – in vielem
westliche Werte übernommen, und in der Tat schienen der Westen und die
westlichen Werte am Ende des Ost-West-Konflikts in globalem Maßstab gesiegt
zu haben – so sehr, daß schon von einem „Ende der Geschichte“6 die Rede war,
nicht im hegelianischen oder marxistischen Sinne freilich, sondern im Sinne des
westlichen Pluralismus. „Ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und
der Einheit“ war es, das die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten im
November 1990 in der Charta von Paris ausriefen.7
Wir wissen, daß alles anders gekommen ist: Kriege, Terrorismus und Gewalt,
Spannungen und Unsicherheit suchen eine unübersichtlicher gewordene Welt
seit dem Ende des Ost-West-Konflikts heim. Und wenn wir auf Deutschland
schauen, dann haben sich auch hier die Erwartungen des Jahres 1990 alles
andere als erfüllt, als einem vereinten Deutschland eine so glänzende und
prosperierende Zukunft prophezeit wurde, daß viele es als die dominierende
„Zentralmacht Europas“ sahen und manche schon ein „Viertes Reich“
befürchteten. Doch neben manch anderem ist Deutschland, belastet durch einen
unreformierten Sozialstaat und die Kosten der deutschen Einheit, die
Globalisierung in die Quere gekommen, die mit ihren entfesselten Marktkräften
schweren Druck auf Politik, Gesellschaft und den Einzelnen ausübt. Die
beschleunigten technologischen und ökonomischen Entwicklungen eröffnen
neue Chancen ebenso wie neue Risiken, wobei im „alten Europa“ und in
Deutschland zumal angesichts der Krise, in die das Land geraten ist, vor allem
die Risiken wahrgenommen werden: die Risiken einer neuen sozialen Spaltung
und einer Erosion der Mittelschichten im Zeichen vordringender
Arbeitslosigkeit – Siemens und BenQ oder Airbus sind nur die aktuellsten
Beispiele. Wohin dies alles führt, ist kaum absehbar, und eben dies erzeugt
Unsicherheit.
4
Unsicherheit im Sinne von Ungewißheit hat neben der Globalisierung noch eine
weitere, eine gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung erzeugt: die Postmoderne,
das sozialkulturelle Signum von den siebziger Jahren bis zur Jahrtausendwende.
Postmoderne bedeutete radikale Pluralisierung im Sinne des „anything goes“8:
„alles ist möglich“, von Familien- und Privatheitsformen oder Lebensstilen über
die Religionsausübung und Spiritualität bis zu den Fernsehprogrammen.
Als Kern dieser Postmoderne benannte einer ihrer wichtigsten Theoretiker,
Jean-François Lyotard, das „Ende der großen Erzählungen“, der großen
Erzählung vor allem der Aufklärung: der Vorstellung von der Emanzipation des
Menschen durch Vernunft. An ihre Stelle trete, so Lyotard, Paralogie: wörtlich
übersetzt „Widervernünftigkeit“, Paradoxie und Ironie, und Zersplitterung, eine
unaufhebbare Pluralität, bis, in der Weiterung, hin zur Vorstellung von
multiplen Persönlichkeiten und Identitäten ohne einen konsistenten Kern.9
Alle Realität, so das Credo des eng mit der Postmoderne verwandten
Konstruktivismus, alle Wirklichkeit sei nur Konstrukt, sei nur das Produkt von
Kommunikation, von kommunikativ verhandelter Sinnzuschreibung. Nach
Michel Foucault, dem einflußreichsten Theoretiker innerhalb der westlichen
Humanwissenschaften, dienten all solche Zuschreibungen nur zur Errichtung
bzw. der Befestigung von Macht, indem sie vom „Anderen“ abgrenzten, das als
das „Andere“ erst konstruiert werde: Ausländer, Homosexuelle, psychisch
Kranke oder Straftäter.
All dies, so der radikale Konstruktivismus, werde erst durch Zuschreibung
geschaffen. Einen substantiellen Wesenskern der Phänomene gab es demzufolge
nicht, kein vorgängiges Sein und keine unhintergehbare Verbindlichkeit. Diese
Perspektive hilft, vieles von dem zu hinterfragen, was man einfach für gegeben
hält, und zu erkennen, daß es nicht einfach gegeben ist oder war. Ein Beispiel ist
die Nation: keine einfach gegebene Größe, sondern das Produkt von
Abgrenzungsprozessen und Feindbildern im 19. Jahrhundert – oder auch die
Geschlechterbeziehungen, in denen es keine natürliche Ordnung gibt, sondern
sehr wohl Zuschreibungen von dem, was man für weiblich und was man für
männlich hält. Und erst recht wirkte der Konstruktivismus massiv anti-totalitär.
Zugleich stellte der Konstruktivismus alles in Frage: Ehe und Familie, die
Essenz der Person und das Gewissen, Recht und Werte, falsch und richtig,
letztlich gut und böse. Das „Ende aller Gewißheit“ hat Zygmunt Baumann dies
genannt10, und die Protagonisten der Postmoderne haben darin vor allem
Chancen zur Kreativität und zur Selbstschöpfung einer Patchworkidentität
gesehen11, die Chance, sich selbst nach Belieben „neu zu erfinden“. Dieses „Ende
5
aller Gewißheiten“ erzeugt zugleich massive Verunsicherungen und
Desorientierung, wenn es keine verläßlichen Grundlagen und Gewißheiten mehr
gibt, nicht einmal einen verbindlichen common sense, sondern nur ein anything
goes in einer immer pluraleren Vielfalt von Möglichkeiten – was in den
westlichen Wohlstandsgesellschaften zugleich mit einem verbreiteten
Hedonismus einhergeht, wie ihn nicht zuletzt die audiovisuellen Massenmedien
transportieren.
Hedonismus, Relativismus, Nihilismus – das waren die Stichworte der Kritik
des Papstes am Westen. Und im „Ende aller Gewißheiten“, in der eigenen
Selbst-Ungewißheit liegen zugleich die Schwierigkeiten eines Westens, der nicht
an sich glaubt, weil es an sich nichts zu glauben gibt12, in dieser SelbstUngewißheit liegen die Schwierigkeiten des Westens in der Auseinandersetzung
mit einem Islam, für dessen weltweit hörbare Vertreter es kein anything goes
gibt. Das gibt es, im Gegensatz zum „alten Europa“, auch in der amerikanischen
Führung des George W. Bush nicht, die von zivil-religiöser Selbstgewißheit
beseelt ist – und sich in das Unternehmen Irak-Krieg gestürzt hat. „Unsere
gefährdeten Werte“ beklagt daher Jimmy Carter – was also?
Dies hier nicht weiter, aber so viel: Postmoderne und Globalisierung haben die
westlichen Gesellschaften und insbesondere die deutsche in fundamentale
Unsicherheiten geführt. Unsicherheit bedeutet aber, nach Orientierung zu
suchen, und Orientierung geben Werte, denn so sind sie definiert – bzw. wollen
wir sie folgendermaßen definieren: als allgemeine und grundlegende
Orientierungsstandards, die für das Denken, Reden und Handeln der Menschen
auf individueller und kollektiver Ebene als verbindlich akzeptiert, dabei explizit
artikuliert oder implizit angenommen werden.
II.
Nietzsches Frage
Was Werte sind, wird zwar unterschiedlich verstanden – schon Ende der
sechziger Jahre wurden 180 Definitionen gezählt –, aber es läßt sich
einigermaßen nachvollziehbar definieren. Was Werte sind, ist also nicht so sehr
das Problem – mehr schon ist es die Frage nach dem woher und warum.
Werte sind, darüber besteht nicht nur im Zeitalter des Konstruktivismus
Einigkeit, nicht einfach da. Max Scheler entwickelte im Zeitalter des Ersten
Weltkriegs eine ontologische Wertethik, die besagte, daß präexistente Werte von
6
außen vorgegeben seien und daß der Mensch diese apriorischen Werte nur zu
entdecken brauche und zu internalisieren habe. Scheler geriet darüber aber
schlußendlich selbst in Zweifel, und in der Tat war diese neu-kantiansche
Wertphilosophie mehr die Abwehr einer drohenden Einsicht, der sich das 20.
Jahrhundert schließlich nicht entziehen konnte: daß Werte in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit nämlich nicht vorgegeben und überzeitlich gültig
sind, sondern daß sie gemacht, daß sie gesetzt werden.
Aber es gibt doch überzeitliche Werte und Tugenden, so läßt sich einwenden,
seit alters her: die vier Kardinaltugenden etwa – Weisheit, Tapferkeit,
Besonnenheit und Gerechtigkeit – gegenüber den sieben Todsünden: Völlerei,
Unkeuschheit, Habsucht, Trägheit, Zorn, Stolz und Neid – vier
Kardinaltugenden, die Thomas von Aquin um die Trias von Glaube, Liebe und
Hoffnung erweiterte, oder die Werte vom Guten, dem Wahren und dem
Schönen.
In der Tat: es gibt sie seit langem, und immer wieder greifen Menschen auf sie
zurück – was ist höherer Maßstab als das „Gute“? Allein: sie werden je
unterschiedlich gefüllt und sind in ganz unterschiedlichem Maße in Geltung.
Gelten die sieben Todsünden noch als Sünden, überhaupt als Problem? Beispiel
„Unkeuschheit“: jeder Kiosk, ein Blick in das Abendprogramm im Fernsehen
oder ein Klick auf Bild.de: „klick dich durch zum Seitensprung“ suggerieren uns
eine Normalität, in der ein Begriff wie „Keuschheit“ hoffnungslos antiquiert
wirkt. Oder Sünde, überhaupt: wir werden dazu kommen, daß auch das
Tötungsverbot alles andere als eindeutig und verbindlich war und ist.
Im nächsten Abschnitt werden wir erleben, was Nietzsche als „Umwertung aller
Werte“ bezeichnete. Dieser Schlußsatz aus „Der Antichrist. Fluch auf das
Christentum“, seinem Spätwerk hart am Rande des Wahnsinns, war jedoch
anders gemeint: Nietzsche vertrat dort die These vom „Sklavenaufstand in der
Moral“: demzufolge hatte das Christentum sich mit einer Moral der Schwäche
und der Schwachen, von Brüderlichkeit und Erbarmen gegen die Starken und
Vornehmen durchgesetzt. Empirisch war das reichlich abenteuerlich
argumentiert, aber Nietzsche hatte die zentrale Frage gestellt: „unter welchen
Bedingungen erfand sich der Mensch jene Werturteile gut und böse“?
Wenn es kein präexistentes Gutes oder Wahres mehr gab, dann trat der Wert
„an die Stelle, an der in der philosophischen Tradition der Begriff des ‚Guten’
stand.“13 Dies bedeutet einen eklatanten Verlust an Gewißheit bereits an der
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, der ja auch zu den vielfältigen
7
sprichwörtlichen Leiden an der Moderne führte. Denn Werte waren und sind
wandelbar, sie wandeln sich von innen heraus, sowohl auf kollektivgesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene, als auch durch äußere
Setzung.
Was dies bedeutet und welche Tragweite es hat, werde ich nun anhand des
deutschen Traumas schlechthin erörtern: der Ermordung der europäischen
Juden im Zweiten Weltkrieg. Ich werde eine der schwierigsten Fragen der
Geschichtswissenschaft, die Frage, warum „ganz normale Männer“
hunderttausende Männer, Frauen und Kinder an Erschießungsgruben und in
Vernichtungslagern umbrachten, im Hinblick auf die gesamtgesellschaftlichen
Werte und Normen diskutieren und mich dabei auf ebenso beunruhigende wie
höchst plausible sozialpsychologische Erkenntnisse stützen14, die zugleich die
Bedeutung unseres Themas aufzeigen.
III.
Alles ist möglich:
Von der Bedeutung kollektiver Werte
Warum werden Menschen, die keineswegs radikale Ideologen, notorische
Kriminelle oder Sadisten sind, sondern „ganz normale Männer“, zu
Massenmördern? Unendlich viel ist darüber im Hinblick auf den Holocaust
nachgedacht und geschrieben worden, und Christopher Browning kam mit
seiner Studie über das Polizeibataillon 101 einer nachvollziehbaren Erklärung
am nächsten15. Und doch bleibt, konfrontiert mit dem Unbegreiflichen, die
unübersteigbare Frage: wie konnten diese Menschen nur? Harald Welzer nun,
ein historisch arbeitender Sozialpsychologe, tut etwas ebenso Einfaches wie
durchschlagend Plausibles: er dreht die Perspektive der Ausnahmesituation, der
Überwindung von moralischen Hemmungen und ethischen Barrieren einfach
um: zugunsten der Perspektive einer so empfundenen Normalität des
Gewalthandelns – gestützt im übrigen durch den Umstand, daß die Täter der
Einsatzgruppen in Vernehmungen der 60er und 70er Jahre ihr Tun nach wie
vor als normal darstellten, selbst wenn sie sich damit selbst belasteten.
Natürlich kam beim konkreten Vollzug des Judenmordes vielerlei zusammen:
nicht zuletzt die konkrete Situation des Krieges und der konkreten sozialen
Gruppe – davon werde ich im folgenden nicht umfassend sprechen, sondern
8
verkürzt auf das Wesentliche im Hinblick auf unser Thema: die Bedeutung der
gesamtgesellschaftlich akzeptierten Werte.
Die Mörder von Berditschew und Babi Yar, von Auschwitz und Treblinka waren
überzeugt, etwas Notwendiges zu tun, und sie taten es mit professioneller
Distanz zu ihrem Objekt, so wie ein Chirurg arbeitet. Auf diese Weise schrieben
sie ihrem Handeln Sinn zu, und das ist das Entscheidende: die Zuschreibung
von Sinn. Dies ist zuerst ein individueller Prozeß, und er läuft im
Zusammenhang mit dem psychologischen Mechanismus der kognitiven
Konsonanz ab, mit dem Menschen ihre Einstellungen und ihr Verhalten in
Einklang bringen und stimmig machen. Im Kern ein individueller Vorgang,
eingebettet in den situativen Kontext einer bestimmten sozialen Situation, in
diesem Fall die Situation des Auftrags, die Juden eines Ortes zu liquidieren –
wie gesagt: diese beiden inneren Kreise des Tatzusammenhangs werde ich hier
nicht näher verhandeln. Der erste, äußere oder grundlegende „Kreis des
Tatzusammenhangs“16 aber ist ein gesellschaftlicher, der Kreis nämlich der
gesamtgesellschaftlich akzeptierten Normen und Werte.
Menschen tun in aller Regel, so sagen es uns die empirischen Erkenntnisse der
Sozialpsychologie, was allgemein bzw. was in ihrer Umgebung als richtig
angesehen wird, sprich: was der so empfundenen bzw. der gesetzten
„Normalität“ entspricht. In Normalität steckt schon der Begriff der Norm – und
in der Tat stehen die Ebenen der immateriellen Werte und des konkreten
Handelns
in
engem
Zusammenhang
und
Wechselverhältnis.
Anpassungsfähigkeit ist ein herausragendes Merkmal der Spezies Mensch;
Konformität und Gehorsam stellen wesentliche Antriebsfaktoren sozialen
Handelns dar – das haben vielfältige sozialpsychologische Experimente schon
seit den fünfziger Jahren belegt, und es entspricht auch den Ergebnissen der
Allensbacher Meinungsforschung bzw. der Theorie von der „Schweigespirale“:
Menschen sagen in der Regel öffentlich nur das, womit sie nicht auf
Widerspruch stoßen.
Eben dieser Referenzrahmen des so empfundenen Normalen hatte sich im
nationalsozialistischen Deutschland verschoben. Nicht daß in Deutschland, wie
es Daniel Goldhagen so überzogen plakativ formuliert hat, ein indigener
eliminatorischer Antisemitismus geherrscht hätte. Aber die Juden waren seit
1933 sukzessive herausdefiniert worden aus dem Kreis des zu schützenden
Menschengeschlechts und waren umdefiniert worden Schädlingen. Dies war der
Hintergrund und die Grundlage dafür, daß die Angehörigen der Einsatzgruppen
und der Polizei in der nochmals radikal verschärften Situation des Krieges, vor
9
allem im Rußlandfeldzug seit dem Sommer 1941 und in einer konkreten
Situation in einer Gruppe außerhalb und fernab ihres gewohnten Umfeldes, daß
diese Täter es letztlich für etwas Normales hielten, Juden zu töten, so wie man
Schädlinge ausmerzt, Fliegen und Mücken erschlägt. Dahin zu kommen, war ein
stufenweiser Prozeß, ein Prozeß, in dem sich das Normengefüge im
Zusammenhang mit der sozialen Praxis verschoben hatte und an dessen Ende
sich eine so empfundene Normalität etabliert hatte, zu der auch Massenmord
gehörte. Harald Welzer beschreibt dieses eigendynamische Kontinuum mit
großer Eindringlichkeit:
Es ist „zweifellos jeweils etwas anderes, ob ich die Straßenseite wechsele,
wenn mir ein jüdischer Bekannter begegnet, weil ich fürchte, in eine
peinliche Situation zu geraten, oder ob ich in die schöne Wohnung, aus
der zuvor eine jüdische Familie ‚entmietet’ wurde, oder ob ich den Tod
eines Menschen durch eine Unterschrift unter ein ärztliches Formular
anordne oder ob ich Krematoriumsöfen entwerfe oder ob ich den
Karabiner am Hinterkopf eines auf den nackten Leichen seiner Eltern
liegenden Kindes ansetze. All dies sind qualitativ verschiedene Stufen, die
unterschiedlich schwierig zu überschreiten sind, aber ich fürchte, dabei
handelt es sich um ein Kontinuum, an dessen Anfang etwas scheinbar
Harmloses steht und dessen Ende durch die Vernichtung markiert ist. es
ist nur für die meisten von uns wichtig, die ersten überschritten zu haben,
um die letzten überschreiten zu können.“17
Wie gesagt: die Tötung ist eine Handlung in einer bestimmten Situation, aber
die Grundlage dafür ist ein Prozeß, die Verschiebung des Normengefüges, eine
Verschiebung der so empfundenen Normalität, und dies in Verbindung mit
sozialer Praxis. Diese so empfundene Normalität wirkte auch in der Erinnerung
der Täter weiter, bis hin zum völligen Unverständnis für das Unverständnis
anderer: Franz Stangl, der Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka
empörte sich noch in den siebziger Jahren über den Vorwurf, er hätte Juden im
Vernichtungslager unkorrekt behandelt. Er legte vielmehr größten Wert darauf,
daß er einem Juden hatte Recht widerfahren lassen, dem ein SS-Mann seine
Uhr weggenommen hatte – daß er eben diesen Juden wenig später töten ließ,
stellte für ihn kein Problem dar. Wir sehen: ein Teil des Normensystems, sich
korrekt zu verhalten, ist hier noch in Kraft, aber ein anderer, fundamentaler
Teil, der Rahmen hat sich ganz verschoben: die Tötung von Hunderttausenden
gilt als etwas Notwendiges, als moralische Pflicht.
10
Oder eine Krankenschwester: „Wenn mir vorgehalten wird, ob ich auf
entsprechenden Befehl hin einen Diebstahl ausgeführt hätte, so sage ich hierzu,
daß ich das nicht getan hätte. Die Verabreichung von Medikamenten und sei es
auch zum Zweck der Tötung von Geisteskranken gewesen, sah ich allerdings als
eine mir obliegende Dienstpflicht an, die ich nicht verweigern durfte.“18
Wir sehen auch: es war nicht der Befehlsnotstand, der die Täter zu ihrem Tun
bewegte, sondern sie maßen ihrem Tun durchaus Sinn im Rahmen der so
empfundenen Normalität bei – und dieser Rahmen wurde durch den Begriff
„ordnungsgemäß“ gezogen. So liest sich sogar Himmlers berüchtigte Posener
Rede, der im Hinblick auf die „Ausrottung des jüdischen Volkes“ davon sprach,
dies „durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen
menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein“19: als Ausdruck einer so
empfundenen, mit chirurgischer Professionalität ausgeführten Notwendigkeit
eines Massenmordes.
Was dem voraufgeht, noch einmal, ist eine Verschiebung von Norm und
Normalität, von falsch und richtig, eine Umkehr der Grundsätze der modernen
Verfassungsentwicklung, wie sie in der amerikanischen Declaration of
Independence niedergelegt worden waren: that all men are created equal und
daß sie über unveräußerliche Rechte verfügen: life, liberty and the pursuit of
happiness – eine Umkehr des Zentralebegriffs aller Ethik: des Guten und eine
Umkehr des fünften Gebots im Vernichtungskrieg in sein Gegenteil: „Du sollst
töten“ – die „Umwertung aller Werte“.
Natürlich gab es Ausnahmen von dieser Verschiebung des kollektiven
Normengefüges samt der damit verbundenen sozialen Normalität: Menschen,
die sich entzogen, verweigerten oder gar Widerstand leisteten.
Sozialpsychologische Experimente zeigen aber, wie sehr die umgebende
Normalität den Menschen prägt und wie schwer demgegenüber individuelles
nonkonformes Handeln fällt – und nur wenige tun dies. Das heiß aber
umgekehrt: der Weg in einen aktiven Widerstand war viel weiter, als es die
heute so suggestiv und vorschnell gestellte Frage voraussetzt, warum die
Einzelnen keinen Widerstand geleistet haben. Daß sie es nicht taten, war nicht
nur eine Frage von Gewalt, die sie bedrohte, sondern von einer elementaren
Normalität, die sie umgab. Und warum soll es in dieser Zeit und obendrein
unter massiv verschärften Bedingungen anders gewesen sein als heute: Auch
heute ist die kollektive, die gesamtgesellschaftlich akzeptierte Normalität und
Norm handlungsleitend – nur merken wir es in der Regel gar nicht, was
11
wiederum im historischen Umkehrschluß heißt: die Zeitgenossen des
Nationalsozialismus auch nicht.
Nun ist die Normalität in einer pluralistischen Gesellschaft weniger dramatisch
als in einer Diktatur, noch dazu einer solchen wie der des Nationalsozialismus.
In pluralistischen Gesellschaften gibt es keinen zentral steuernden Willen samt
seiner destruktiven Gewaltpotentiale, vielmehr sind die bedingenden Kräfte
kaleidoskopisch aufgefächert. Die allgemein akzeptierten Werte werden im
öffentlichen Diskurs ausgehandelt, dabei beeinflußt durch die soziale Praxis, die
wiederum durch das gültige Werte- und Normensystem bestimmt wird. So
verschiebt sich auch in pluralistisch-demokratischen Gesellschaften das als
Normalität Akzeptierte, das normative Gefüge von falsch und richtig, oft
unmerklich und zugleich kollektiv handlungsleitend, aber ohne Garantie für die
Richtung.
Ich möchte drei Schlußfolgerungen aus diesen Beobachtungen ziehen.
Erstens eine allgemeine historische Lehre, in aller Eindringlichkeit: alles ist
möglich, grundsätzlich überall und binnen kurzer Zeit. Ein Blick auf die
Massenmorde der neunziger Jahre im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda
genügt. Und auch die Staaten, die lange Zeit den Mythos von Widerstand oder
Neutralität gegenüber dem NS-Deutschland pflegten, haben schmerzlich
erkennen müssen, daß sie viel weitergehend, viel aktiver und viel freiwilliger mit
NS-Deutschland kooperiert, ja kollaboriert haben, als es mit ihrem Selbstbild
vereinbar war: Frankreich, die Niederlande oder die Schweiz nur zum Beispiel.20
Oder das berühmt-berüchtigte Milgram-Experiment mit Probanden, die einem
vermeintlichen Schüler Stromschläge verabreichen sollten, um ihn für falsche
Antworten zu bestrafen. Die Dosis wurde mal um mal mit dem Argument
gesteigert, der Schüler sei damit einverstanden und diese Bestrafung sei für das
wissenschaftliche Experiment notwendig. Auch als der vermeintliche Schüler
nicht nur schmerzerfüllt schrie und um Aufhören bettelte, sondern sogar bereits
verstummt war, verabreichten die Testpersonen noch weitere Stromschläge,
deren Dosis im Ernstfall absolut tödlich gewesen wäre.
Alles ist möglich: die Kreuzzüge oder Sklaverei, die Verbrennung von Hexen in
Europa oder die Verbrennung von Witwen in Indien, die Ausrottung der
Indianer oder islamistische Selbstmordattentate. „Thin is the crust of
civilisation over the boiling lava of human passions“21, schrieb Robert Cecil, der
nachmalige 3. Marquess of Salisbury im Jahr 1857 – “ganz dünn ist die Kruste
der Zivilisation über der kochenden Lava menschlicher Leidenschaften.“ Nicht
12
daß der Mensch von Grund auf schlecht ist, so möchte man modifizieren, aber
er ist zu allem in der Lage, und ihm ist alles zuzutrauen. Wir alle potentielle
Massenmörder? Undenkbar, und doch passiert. Und daher ist die normative
Einhegung durch einen Rahmen allgemein verbindlicher normen und Werte so
entscheidend – zumal, und das ist entscheidend, die Teilnehmer am MilgramExperiment oder an einer Witwenverbrennung ebenso wie die islamistischen
Selbstmordattentäter oder auch die Mörder der Juden in Osteuropa der
subjektiven Überzeugung waren, daß es richtig und notwendig ist, was sie tun.
Damit bin ich bei der zweiten Schlußfolgerung: der Bedeutung der Werteebene,
des Rahmens der allgemein akzeptierten Werte und der daraus abgeleiteten
gültigen Normen – denn sie sind kollektiv handlungsleitend. Dieser Rahmen
ermöglichte den Judenmord durch Angehörige eines Landes, das als das
Kulturvolk schlechthin galt, und ein anders gezogener Rahmen machte aus
diesen Deutschen weithin gute Demokraten – oder weithin konforme DDRBürger. Die allgemein akzeptierten Werte sind die Voraussetzung für
Barrierefreiheit für Behinderte oder für die Tötung sogenannten
„lebensunwerten Lebens“, für gender mainstreaming ebenso wie für
Kinderlosigkeit als normal gewordene Lebensform, für Straffreiheit von
Abtreibung, für Antidiskriminierung oder für allgemeine Toleranz – sie
bedingen, alles zusammen und ganz zugespitzt, Menschenrechte ebenso wie
Massenmord.
Das heißt: es gibt historisch-empirisch keine verläßlich vorgängigen,
universellen, überzeitlich verbindlichen, unverrückbar gültigen Werte. Und dies
führt uns zur dritten Schlußfolgerung: die allgemein verbindlichen Werte
müssen gesetzt werden – im Grunde eine postmodern-konstruktivistische
Position. Heißt das aber auch, daß wir jeden Gedanken an Substanz, Konsistenz
und Verbindlichkeit aufgeben müssen? Hier setzt die Philosophie von Hans Joas
ein: Normen und Werte sind, so Joas, nötig und möglich. Er verbindet die
Einsicht in die kontingente Entstehung von Werten mit ihrer universalen
Gültigkeit und verbindet somit Wertepluralismus mit moralischem
Universalismus. Dabei sind es, wie Hans Joas in dieser Reihe selbst ausführen
wird, insbesondere Gewalterfahrungen, die den Wert der Menschenwürde
befördern.22
Und natürlich müssen wir die Werte nicht aus dem Nichts holen, sondern
können auf den Reichtum der abendländischen Philosophie, der jüdischchristlichen Tradition und der Aufklärung zurückgreifen: dann sind es im Kern
das fünfte Gebot und die Menschenwürde, die Grund- und Menschenrechte, die
13
auch durch die „Umwertung aller Werte“ ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Was das aber konkret bedeutet, ist stets wandelbar, wie uns allein die
Diskussionen um Abtreibung, Sterbehilfe und Stammzellforschung vor Augen
führen, und es bewegt sich, wie die gesamte Geschichte, stets auf dünnem Eis.
Aber auch jenseits der Elementarfragen von Leben, Tod und Menschenwürde
wandeln sich die Werte bzw. ihre allgemeine Akzeptanz, und das ist es, auf
verschiedenen Feldern, was wir im engeren gegenwartsorientierten Sinne unter
dem „Wertewandel“ verstehen. Dieser „Wertewandel“ hat sich in der
Bundesrepublik seit den sechziger Jahren vollzogen, in engem Zusammenhang
und in Wechselwirkung mit einer veränderten sozialen Praxis im Zeichen von
Pluralisierung und Individualisierung.
IV.
Freiheit und Selbstentfaltung statt Pflicht und Akzeptanz:
Der „Wertewandel“ seit den sechziger Jahren
Die sozialkulturelle Entwicklung im Zeichen des Wertewandels spielte und
spielt sich in wesentlichem Maße im Bereich der Privatheitsformen ab, mit
substantiellen öffentlichen und gesellschaftlich-politischen Weiterungen.
Pluralisierung ist das Stichwort, in der sozialen Praxis ebenso wie, eng damit
verbunden, im Hinblick auf die allgemein akzeptierten Normen und Werte.
Dabei haben wir es mit einem „Wertewandelsschub“23 zwischen den mittleren
sechziger und den mittleren siebziger Jahren zu tun, parallel zum Durchbruch
zu spürbarem Massenwohlstand und etablierter Konsumgesellschaft. Diese
Entwicklung hat sich in der Zeit danach weiter fortgesetzt und vor allem in den
achtziger Jahren verstärkt.
Pluralisierung heißt zunächst, daß aus der Kernfamilie eines verheirateten
Ehepaares mit Kindern – der Norm und auch der Regel in den fünfziger Jahren
– sich allein schon vier Paarkombinationen herausbildeten: verheiratete und
unverheiratete Paare mit und ohne eigene und nicht eigene Kinder. Hinzu
kamen die Alleinerziehenden sowie die Alleinlebenden und, neuerdings sozial
zumindest offiziell nicht mehr geächtet, homosexuelle Lebensgemeinschaften.
Fast alle dieser Lebensformen sind als soziale Massenphänomene ebenso neu
wie der Tatbestand der gewollten Kinderlosigkeit als ein akzeptiertes und sozial
üblich gewordenes Phänomen. Auf diese Weise haben sich die Geburtenraten
seit den sechziger Jahren beinahe halbiert, und die Reproduktion der
14
Gesellschaft um den Faktor 0,7 geht inzwischen in die zweite Generation. Diese
Pluralisierung der Formen des Zusammenlebens steht in enger Wechselwirkung
mit einer Fülle von weiteren Entwicklungen, von denen ich vier herausstellen
möchte: Geschlechterbeziehungen, Sexualmoral, Freizeit und Entkirchlichung.
Erstens: die Geschlechterbeziehungen im Zeichen dessen, was Trutz von Trotha
bekannt thesenfreudig – wir dürfen auf sein Gespräch über Familien- und
Privatheitswerte mit Andreas Wirsching freuen – die „Entfamiliarisierung der
Frau“24 genannt hat, jedenfalls ihrer Lösung aus dem Modell der „ErnährerHausfrau-Familie“. Die Entwicklung der Geschlechterbeziehungen seit den
sechziger, eher siebziger Jahren zählt zu den tiefstgreifenden Veränderungen in
der Geschichte der Bundesrepublik, die sich erst jetzt wirklich in voller Breite
durchsetzt. Politisch zunächst von der „neuen Frauenbewegung“ in den
siebziger Jahren aufgebracht, setzte sich der Anspruch auf Gleichberechtigung
bzw. den Abbau von geschlechtsspezifischer sozialer Ungleichheit vor allem auf
dem Wege einer schrittweisen Veränderung der allgemein akzeptierten Werte
und Normen, der so empfundenen Normalität durch. Was ich meine, zeigt sich
in nuce an unserem automatischen Befremden über einen Satz, der im
Wahlkampf von 1972 nicht allzu viele störte: „Wir haben die richtigen Männer“,
plakatierte die SPD – „Wählen Sie Anke Fuchs“. Der Unterschied zu einer Zeit,
in der die Bundesrepublik von ihrer ersten Kanzlerin regiert wird und im
Bundeskabinett sechs von 16 Positionen mit Frauen besetzt sind, liegt auf der
Hand. Daß Angela Merkel dabei um ihre Weiblichkeit wenig Aufhebens macht,
macht diesen Wandel nur um so deutlicher.
Und natürlich wird dies durch einen Beruf sichtbar. Denn Berufstätigkeit von
Frauen war der Kristallisationskern der weiblichen Emanzipation – ganz im
Sinne der Moderne: denn im Gegensatz zur vormodernen ständischen
Gesellschaft
wird
gesellschaftlicher
Status
in
der
modernen
Leistungsgesellschaft nicht durch Geburt, sondern in erster Linie über
Erwerbstätigkeit und Berufsposition zugewiesen.25 Der wirksamste Katalysator
dieser Entwicklung war Bildung – insofern waren es in wesentlichem Maße
Frauen, die von den Bildungsreformen seit den sechziger und siebziger Jahren
profitierten.
Überhaupt die Bildungsreformen: viel wird an Universitäten und Schulen, oft
mit gutem Recht, über den Verfall von Bildung und Bildungsinstitutionen
lamentiert. Ein anderes wird aber dabei übersehen: nämlich eine gleichzeitige
Höherqualifizierung von weiten Teilen der Bevölkerung und somit, in den guten
Zeiten der Bundesrepublik, eine allgemeine gesellschaftliche „Umschichtung
15
nach oben“26. Zugleich beförderte zunehmende Bildung die Individualisierungsund Pluralisierungstendenzen im Bereich von Werten sowie von
Privatheitsformen und Lebensstilen. Damit kommen wir zum Ausgangspunkt
zurück und nun zur zweiten Entwicklung.
Indem die sogenannte bürgerliche Kernfamilie nicht mehr den Norm- und den
Regelfall darstellte, verlor auch die Institution Ehe an Funktion und Bedeutung.
Fand es noch 1967 weniger als ein Viertel der jungen Frauen in Ordnung, mit
einem Mann unverheiratet zusammenzuleben, so hatte sich das Verhältnis
bereits wenige Jahre später umgekehrt: nun sahen gut drei Viertel nichts dabei.
Ehe und Elternschaft entkoppelten sich ebenso wie Partnerschaft überhaupt
und Elternschaft, und ebenso Sexualität und Ehe.
Dahinter steht ein Wandel der Sexualmoral, der weit über die sexuelle Befreiung
im Umfeld von 1968 und der Kommune 1 hinausging, ja auch hier vielmehr
durch allgemeine sozialkulturelle Prozesse vorangetrieben wurde, in diesem
Falle nicht zuletzt die Massenmedien im Zeitalter des dualen Rundfunksystems.
Allgemein ist eine zunehmende Permissivität festzustellen, sowohl in den
Haltungen als auch – dort allerdings, wie die Sexualwissenschaftler gemessen
haben, weniger – im Verhalten.
Damit sind wir bei einer dritten Entwicklung: der Freizeitgestaltung im Zeichen
anspruchsvoller individualisierter Lebensstile. Freizeit gewann in der sozialen
Praxis und mehr noch im Diskurs der achtziger Jahre eine solche Bedeutung,
daß Sozialwissenschaftler ihr eine größere Bedeutung für die Struktur der
Gesellschaft zuzuschreiben begannen als der materiellen Schichtung. Statt nach
Klassen und Schichten wurde die Gesellschaft – nicht zuletzt von der
Marktforschung – nach „neuen sozialen Milieus“ unterschieden: subkulturellen
Einheiten, die sich nach Wertorientierungen und Lebensstilen unterscheiden –
vom „konservativen gehobenen Milieu“ über das „aufstiegsorientierte Milieu“
oder das „hedonistische Milieu“ bis zum „traditionslosen Arbeitermilieu“.27
Diese gesellschaftlichen Gesamtbeschreibungen, die sich auch in Begriffen wie
„Erlebnisgesellschaft“ oder – kritisch – „Spaßgesellschaft“ niederschlugen,
stammen aus der prosperierenden Wohlstandsgesellschaft der achtziger Jahre.
Nun ist dieser Wohlstand unübersehbar rückläufig, und Peter Scholl-Latour
ebenso wie Peter Hahne haben das „Ende der Spaßgesellschaft“ ausgerufen.
Nach wie vor aber beschreiben diese „neuen sozialen Milieus“ eine wesentliche
16
Strukturierung der bundesdeutschen Gesellschaft, wie auch eine neue Studie
über „Lebensstile und religiöse Orientierung“ bestätigt28.
Damit sind wir bei der vierten Entwicklung: dem Rückgang von
Kirchenbindung, am deutlichsten ablesbar an den Kirchenbesucherzahlen, die
seit den sechziger Jahren erheblich zurückgegangen sind – zu diesem Thema
werden mit Karl Gabriel ein führender Religionssoziologe und mit Daniel
Deckers einer der besten Kenner der katholischen Kirche in Deutschland
sprechen. Religion ist zunehmend privatisiert worden, und Religiosität ist
diffuser geworden – ganz zu schweigen vom sozialistischen Erbe der
flächendeckenden Entkirchlichung in den neuen Ländern. Die Kirchen haben an
allgemeingesellschaftlicher Normsetzungskompetenz verloren, wie sich im Falle
der Sexualmoral oder der Abtreibung zeigte. Zugleich hat der Rückgang an
Kirchenbindung Auswirkungen auf die allgemeinen Werthaltungen: wie die
Allensbacher Meinungsforscher mit einem obligat kulturpessimistischen
Einschlag festgestellt haben, urteilen kirchlich Gebundene nämlich in vielen
gesellschaftlichen Fragen moralisch anders als kirchlich nicht Gebundene: von
Abtreibung und Sterbehilfe bis hin zur Steuerhinterziehung und zum
Schwarzfahren.29
Diese Entwicklungen sind seit den siebziger Jahren von einer internationalen
und interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Wertewandelsforschung
empirisch untersucht worden, in aller Regel mit den Methoden der
Umfrageforschung. Eine besonders plausible Kategorisierung des Wertewandels
hat dabei Helmut Klages mit seiner Speyerer Wertewandelsforschung erarbeitet.
Er beschrieb die Veränderungen der Präferenzen im gesamtgesellschaftlichen
Werte- und Normengefüge seit den mittleren sechziger Jahren als eine
Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanzwerten – Akzeptanz verstanden als die
Hinnahme des Vorfindlichen – hin zu Freiheits- und Selbstentfaltungswerten.30
Freiheits- und Selbstentfaltungswerte, das sind
partizipatorische Werte wie Freiheit und freier Wille, Selbstbestimmung,
Autonomie des Individuums und Emanzipation von Autoritäten,
verbunden mit tendenziell hedonistischen Werten wie Genuß, Erfüllung,
Ungebundenheit und Abwechslung.
Demgegenüber verloren Pflicht- und Akzeptanzwerte an Wertschätzung und
gesamtgesellschaftlicher Verbindlichkeit:
17
Disziplin und Leistung, Ordnung und Pflichterfüllung, Verzicht und
Treue, Anpassung und Gehorsam, Bindung und Verpflichtung.
Dies betrifft in wesentlichem Maße die Werte, die die historische
Bürgertumsforschung, mit Bezug vor allem auf das 19. Jahrhundert, als die
klassischen bürgerlichen Werte ausgemacht hat:
Arbeitsethos und Leistungsbereitschaft im Zeichen von Erfolgsstreben,
Disziplin und Pflichtbewußtsein
Selbständigkeit des selbstverantwortlichen Individuums, das sich
zugleich auf das Gemeinwohl verpflichtet sieht
Bildung und Hochkultur
Religiosität und Kirchlichkeit sowie
die bürgerliche Familie.31
Im ersten Werte-Gespräch haben wir die Gelegenheit, diese Bedeutung der
bürgerlichen Werte mit zwei hochrangigen Sozialhistorikern, mit Klaus Tenfelde
und Andreas Schulz zu diskutieren. Aber noch einmal zurück zu Helmut Klages:
Sein zentrales Beispiel ist die Entwicklung der Erziehungswerte: hier stellt er
eine „dramatische Scherenbewegung“ seit den mittleren sechziger Jahren fest.
Die Wertegruppe „Gehorsam und Unterordnung“ verlor nämlich beharrlich an
Bedeutung, wohingegen die Wertegruppe „Selbständigkeit und freier Wille“ in
erheblichem Maße an Bedeutung gewann.32
Es ist genau diese Entwicklung, die Bernhard Bueb mit seinem vieldiskutierten
„Lob der Disziplin“ fundamental kritisiert: „Der Erziehung ist vor Jahrzehnten
das Fundament weggebrochen: die vorbehaltlose Anerkennung von Autorität
und Disziplin. [...] Viele irren ziel- und führungslos durchs Land. Denn der
Konsens, wie man Kinder und Jugendliche erziehen soll, ist einem beliebigen,
individuell geprägten Erziehungsstil gewichen. Es gibt keine Übereinkunft über
die Notwendigkeit, die Legitimation und die praktische Ausübung von Autorität
und Disziplin.“ Denn nur durch Disziplin, so Bueb, erwirbt man wirkliche
Freiheit.33 Sein Gespräch mit dem Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth
wird sicher einer der Höhepunkte in einer Reihe sein, in der alle Gespräche
hohes Niveau und reiche Erkenntnis versprechen: etwa mit den beiden grand
old men Gerhard A. Ritter und Hans-Peter Schwarz über Sozialpolitik, Staat und
Nation oder mit dem früheren Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus
Naumann, und Ute Frevert aus Yale über militärische und zivile Werte.
Noch einmal zurück zu Bernhard Bueb: was er, wie eben zitiert, über die
Erziehung sagt, klingt beinahe wie eine Abrechnung mit dem gesamten
18
Wertewandel, mit der gesamten Pluralität der Postmoderne. Deutet sich darin,
daß solches wieder ausgesprochen wird, ein „Wandel des Wertewandels“ an?
V.
Ausblick auf die Gegenwart:
Ein Wandel des Wertewandels?
Ein „Wandel des Wertewandels“ ist schon seit einigen Jahren von seiten der
Sozialwissenschaften ins Gespräch gebracht worden, von Stefan Hradil34 etwa,
auf den wir uns in der großen Abschlußdiskussion freuen dürfen. Seit den
neunziger Jahren, so haben die Allensbacher Meinungsforschung oder die ShellJugendstudien festgestellt, haben Gemeinschaftswerte und Sicherheitswerte an
Bedeutung gewonnen: Sicherheit insbesondere bezogen auf den Arbeitsplatz,
und gemeinschaftliche Wertvorstellungen im Hinblick auf langfristig
verbindliche Partnerschaften, Familie und Treue oder auf Solidarität und
Nächstenliebe.
Ist dies ein Richtungswandel der Wertvorstellungen, in den sich auch das „Lob
der Disziplin“ einfügt oder wie er sich in der Begeisterung für den Papst und den
Weltjugendtag niederschlägt? Die jüngste Studie über „Lebensstile und religiöse
Orientierung“ spricht eine andere Sprache: zwei Drittel der Gesellschaft, die
modernen und postmodernen Milieus der Individualisten und der MultiOptionalisten, stehen der katholischen Kirche grundsätzlich distanziert
gegenüber. Und selbst in den traditionell kirchennahen Milieus erodiert die
Bindung an die Kirche, wie ja etwa im Fall der CDU und namentlich ihrer
Parteiführung ganz deutlich erkennbar ist.35
Ein neuerlicher Bedeutungsgewinn von klassischen bzw. Pflichtwerten wie
Familie, Bindung oder Disziplin hat bislang weder auf die öffentliche
massenmediale
Kommunikation
und
deren
Standards
nachhaltig
durchgeschlagen noch auf die soziale Praxis: weder steigen die Zahlen der
Geburten und Eheschließungen an, noch geht jene der Ehescheidungen zurück,
im Gegenteil.
Allerdings deuten sich auf sprachlicher Ebene Verschiebungen an: die
Unbefangenheit, mit der heutzutage wieder von „Elite“ gesprochen wird, selbst
auf politisch linker Seite, deutet darauf hin, daß hier Veränderungen im Gange
sind. Und wenn in der Tat die materielle bzw. Wohlstandsentwicklung für die
Entwicklung allgemein gültiger Wertvorstellungen so bedeutsam ist, wie es zu
19
sein scheint, da der Wertewandel seit den sechziger Jahren einherging mit dem
Durchbruch der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft – dann wird sich die
möglicherweise fortschreitende Erosion des deutschen Wohlfahrtsstaates und
auch der Wohlstandsgesellschaft mit ihrer starken Mittelschicht, dann wird sich
eine solche Entwicklung auch auf die Entwicklung der gesamtgesellschaftlich
akzeptierten und praktizierten Werte und Normen auswirken, dann stehen uns
möglicherweise einschneidende Veränderungen bevor.
Als Historiker kann ich weder die Frage beantworten, ob bzw. welche Werte wir
brauchen. Noch will ich prognostizieren. Denn wenn es eine verläßliche
historische Lehre für die Gegenwart gibt, dann die, daß die Entwicklungen der
Zukunft anders verlaufen als gedacht und auch nicht linear – wie es die
sozialwissenschaftliche Wertewandelsforschung zumeist angenommen hat,
wenn sie etwa den Wertewandel als „vorläufige[n] Schlußstein“ der „inzwischen
ausgereifte[n] Moderne“ und als einen Prozeß ständig wachsender Autonomie
und Individualisierung aufgefaßt hat36. Historische Entwicklungen verlaufen
aller Erfahrung nach vielmehr kurvenreich und vom Standpunkt der Gegenwart
aus meist unabsehbar. Und wir haben gesehen: alles ist möglich – von der
Menschenwürde bis zum Massenmord.
Die Aufgabe der historischen Perspektive liegt darin, die Gegenwart im größeren
Zusammenhang der Vergangenheit neu zu sehen. Auf diese Weise vermag die
historische
Betrachtung
auch
die
sozialwissenschaftliche
Wertewandelsforschung zu erweitern, die in aller Regel auf den knappen
Zeitraum ihrer je eigenen Gegenwart konzentriert war und die somit den
Wertewandel nicht in eine langfristige Perspektive einzuordnen vermochte.37
Dieses Defizit erkennt die sozialwissenschaftliche Wertewandelsforschung auch
selbst: daß nämlich die zentrale Frage nach wie vor offen ist, ob es sich bei den
Wertewandeln des späten 20. und des frühen 21. Jahrhunderts „nur um
kurzfristige Schwankungen oder in der Tat um einen langfristigen
Wertewandel“ und historischen Trendbruch handelt.38
Um eben diese historische Perspektive des Wertewandels – auch
wissenschaftlich weithin Neuland – bemühen sich die „Werte im Gespräch“,
vom Kaiserreich bis heute, von bürgerlichen Werten über Familie und
Erziehung oder Staat und Nation bis zu militärischen und zivilen Werten. Ich
hoffe, ich habe zumindest andeuten können, daß der Themenkomplex von
weitreichender und grundlegender Bedeutung ist und daß unsere Reihe
reichlich Gesprächsstoff enthält.
20
Benedikt XVI., Glaube, Vernunft und Universität, in: FAZ vom 13. September 2006, S. 8.
Samuel P. Huntington, The clash of civilisations and the remaking of world order, London
1998.
3 Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der
Zukunft bestehen, Freiburg 2005, S. 43-46 und 50-52
4 George Bush auf einer Pressekonferenz nach dem NATO-Gipfel in Brüssel, 30. Mai 1989, hier
nach Philip Zelikow/Condoleezza Rice, Sternstunde der Diplomatie. Die deutsche Einheit
und das Ende der Spaltung Europas, Berlin 1997, S. 62.
5 Zit. nach Michail Gorbatschow, Gipfelgespräche. Geheime Protokolle aus meiner Amtszeit,
Berlin 1993, S. 128.
6 Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992.
7 Charta von Paris für ein neues Europa. Erklärung des Pariser KSZE-Treffens der Staats- und
Regierungschefs vom 21. November 1990, zit. nach Karl Kaiser, Deutschlands Vereinigung.
Die internationalen Aspekte, Bergisch Gladbach 1991, S. 368.
8 Paul Feyerabend, Anything goes. Wider den Methodenzwang. Frankfurt a.M. 1976, bes. S. 13
und 21.
9 Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, hrsg. von Peter Engelmann,
Wien 1999, S. 112, 119f. und 175-177.
10 Zygmunt Baumann, Postmoderne Ethik, Hamburg 1996.
11 Richard Rorty, hier nach Hans Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M. 1997, S. 229.
12 Vgl. Gerhard Schulze, Hedonismus. Schriftenreihe der Vontobel-Stiftung, Zürich 2005, S. 14.
13 Hans Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M. 1997, S. 39; ; vgl. auch die Gleichsetzung
von „moralische[r] güte“ und „werth“ bei Moses Mendelssohn, hier nach Deutsches
Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Vierzehnten Bandes I. Abteilung 2. Teil,
Neuausg. Leipzig 1960, S. 460.
14 Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt
a.M. 2005.
15 Christopher Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Bataillon 101 und die „Endlösung“
in Polen. Reinbek 1993
16 Welzer, Täter (wie Anm. 14), S. 16.
17 Welzer, Täter (wie Anm. 14), S. 257.
18 Welzer, Täter (wie Anm. 14), S. 24-30 (Stangl) und 67 (Krankenschwester).
19 Heinrich Himmler, Rede auf der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943, in:
Internationaler Militärgerichtshof, Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Nürnberg
1948, Bd. 29, S. 149 (1919-PS).
20 Vgl. etwa den eindringlichen „Epilog: Erinnerungen aus dem Totenhaus“ von Tony Judt,
Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München 2006, S. 933-966, bes. S. 939953.
21 Robert Cecil, Mr. T. Gladstone on Kansas, Saturday Review III, Nr. 78 (25. April 1857), S. 384.
22 Vgl. Hans Joas, Die Entstehung der Werte (wie Anm. 11), v.a. S. 252-293; vgl. auch Hans Joas,
Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Weilerswist 2000.
23 Helmut Klages, Werte und Wertwandel, in: Bernhard Schäfers/ Wolfgang Zapf (Hrsg.),
Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. 2. Aufl. Bonn 2001, S. 726-738, hier S.
730f.
24 Trutz von Trotha, Zum Wandel der Familie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie 42 (1990), S. 452-473, hier S. 459.
25 Vgl. Lothar Gall, Vom Stand zur Klasse? Zu Entstehung und Struktur der modernen
Gesellschaft, in: HZ 261 (1995), S. 1-21, bes. S. 6-11.
26 Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer
Zwischenbilanz zur Vereinigung. 2. Aufl. Opladen 1996, S. 234.
27 Vgl. Horst Nowak/ Ulrich Becker, Es kommt der „neue“ Konsument, in: Form. Zeitschrift für
Gestaltung 111 (1985), S. 14 (Lebensweltforschung des Heidelberger Sinus-Instituts).
28 Vgl. Carsten Wippermann, Zusammenfassung und zentrale Tendenzen [zu: Lebensstile und
religiöse Orientierung. Milieu Welten. Ergebnisse einer aktuellen Studie], zur debatte
4/2006, S. 29f.
1
2
21
Vgl. Renate Köcher, Religiös in einer säkularisierten Welt, in: Elisabeth Noelle-Neumann/
Renate Köcher, Die verletzte Nation. Über den Versuch der Deutschen, ihren Charakter zu
ändern, Stuttgart 1987, S. 164-281 und 298f., bes. S. 187.
30 Vgl. Helmut Klages, Wertorientierungen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse,
Prognosen. Frankfurt a.M. 1984; Ders., Traditionsbruch als Herausforderung. Perspektiven
der Wertewandelsgesellschaft. Frankfurt a.M. 1993, S. 9f., 15, 23 und 26.
31 Vgl. Andreas Schulz, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert. (=
Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 75), München 2005, S. 3, 8-9, 19-22; vgl. auch die
Aufschlüsselung von Pflicht- und Akzeptanz- sowie von Freiheits- und
Selbstentfaltungswerten bei Helmut Klages, Wertorientierungen im Wandel. Rückblick,
Gegenwartsanalyse, Prognosen, Frankfurt a. M./New York 1984, S. 17f.
32 Helmut Klages, Werte und Wertwandel, in: Bernhard Schäfers/ Wolfgang Zapf (Hrsg.),
Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. 2. Aufl. Bonn 2001, S. 726-738, hier S.
730.
33 Bernhard Bueb, Lob der Disziplin. Eine Streitschrift, Berlin 2006, S. 11.
34 Stefan Hradil, Vom Wandel des Wertewandels – Die Individualisierung und eine ihrer
Gegenbewegungen. in: Wolfgang Glatzer/ Roland Habich/ Karl Ulrich Mayer (Hg.),
Sozialer Wandel und gesellschaftliche Dauerbeobachtung. Opladen 2002, S. 31-47.
35 Vgl. Anm. 28.
36 Vgl. Thomas Gensicke, Sozialer Wandel durch Modernisierung, Individualisierung und
Wertewandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1996, S. 3-17, hier S. 5. und schon den
Klassiker der Wertewandelsforschung: Ronald Inglehart, The Silent Revolution. Changing
Values and Political Styles Among Western Publics, Princeton: Princeton University Press
1977; vgl. dazu Andreas Rödder, Vom Materialismus zum Postmaterialismus? Ronald
Ingleharts Diagnosen des Wertewandels, ihre Grenzen und ihre Perspektiven, in:
Zeithistorische Forschungen 2006 (im Druck). Skeptisch gegenüber dem linearen Verlauf
von Wertewandelsprozessen auch Hradil, Wandel des Wertewandels (wie Anm. 32), S. 42f.
und 45.
37 Die eben zitierte Interpretation des Wertewandels als Schlußstein der Modernisierung steht
dazu insofern nicht im Widerspruch, als es sich dabei um eine recht pauschale, aber nicht
historisch-empirisch fundierte Aussage handelt.
38 Jürg Berthold, Wertewandel; Werteforschung, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried
Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 12, Basel 2004, S. 609-611,
hier S. 611.
29
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