Individualisierung und Wertewandel Einstieg in das Thema • „Ich habe keine Hoffnung mehr für die Zukunft unseres Volkes, wenn sie von der leichtfertigen Jugend von heute abhängig sein sollte.“ (Hesiod) • „Die Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren, missachtet die Autorität und hat keinen Respekt vor dem Alter.“ (Sokrates) • „Mit einer Weisheit, die nicht zu lachen versteht, einer Philosophie, die keine Tränen kennt, und einer Größe, die sich nicht vor Kindern verneigt, wollen wir nichts mehr zu tun haben.“ (Graffiti am Giebel de Hamburger Gymnasiums Blankenese) 1 Individualisierung und Wertewandel Einstieg in das Thema 2 Individualisierung und Wertewandel 3 Definition Werte/Wertewandel • In der empirischen Einstellungsforschung gelten Werte als Vorstellungen von gesellschaftlich Wünschenswerten, im Unterschied zu Normen, die Verpflichtungscharakter besitzen und deren Nichtbefolgung also sanktionierbar ist. • Werte werden funktional als Steuerungsmechanismen für individuelle Einstellungen und Verhaltendispositionen definiert. • Bei Veränderungen im Wertehaushalt, die sowohl auf Verlust alter Wertorientierungen als auch auf Gewinn neuer, sowohl auf Veränderungen als auch auf Synthesen unterschiedlicher Werthaltungen beruhen können, spricht die Sozialforschung vom Wertewandel. Individualisierung und Wertewandel 4 Definition Werte/Wertewandel • Die traditionellen Richtwerte: Leistung, Effizienz, Hierarchie, Gehorsam, Qualifikation, Produktivität, technische Perfektion, Disziplin, Lustaufschub, Karriere, Macht und Status. • Die neuen Werte: Partizipation, Humanverträglichkeit, Solidarität, Lebensqualität, Selbstbestimmung, Kreativität, Mitmenschlichkeit, Persönlichkeitsentfaltung. Individualisierung und Wertewandel R. Inglehart: „Stille Revolution der Werte in modernen Gesellschaften • • Schlüsselhypothesen der Theorie des Wertewandels: – Mangelhypothese. Die Prioritäten eines Menschen reflektieren sein sozioökonomisches Umfeld: den größten subjektiven Wert misst man den Dingen zu, die relativ knapp sind. – Sozialisationshypothese. Wertprioritäten ergeben sich nicht unmittelbar aus dem sozioökonomischen Umfeld, Wertvorstellungen eines Menschen spiegeln weithin die Bedingungen wider, die in seiner Jugendzeit vorherrschend waren. Das impliziert, dass jüngere Altersgruppen ihrer ökonomischen und physischen Sicherheit viel weniger Wert zumessen als ältere Menschen. Menschen der jüngeren Generation weisen den nichtmateriellen Bedürfnissen eine höhere Priorität zu. 5 Individualisierung und Wertewandel 6 Folgen des Wertewandels: J.S.Coleman, M.Miegel, S.Wahl • • • • Auf sich selbst orientierte Individuen in modernen Gesellschaften seien weniger bereit sich zu engagieren. Sie stellten ihre private Glücks- und Lebenserfüllung in den Vordergrund und fänden sich immer seltener bereit, die Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation wahrzunehmen. Sie interpretieren auch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen als beliebig, nutzenorientiert und unverbindlich, was zur Konsequenz habe, dass die Zwänge der Ehe und Familie weniger akzeptiert würden und die Bereitschaft für andere zu sorgen schwinde. Die individualistische Wertorientierung könne in letzter Konsequenz sogar zu einem Erlöschen der europäischen Kulturen führen, weil langfristig deren Träger aussterben. Individualisierung und Wertewandel 7 Emile Durkheim (1858-1917): Utilitaristischer oder kooperativer Individualismus • • • Individualistische Wertorientierungen sind eine notwendige Konsequenz der Modernisierung und Differenzierung von Gesellschaften. Der moderne Individualismus prägt sich unterschiedlich aus: – nutzorientierter oder „utilitaristischer Individualismus“, in dem das Individuum ohne Rücksicht auf die Interessen anderer nur den eigenen Nutzen als Maßstab des Handelns gelten lässt, – „kooperativer Individualismus“, in dem das Individuum zwar ebenfalls auf der Basis eigener Vorstellungen handelt, aber auch Interessen anderer reflektiert. Es hat eingesehen, dass die Komplexität modernen Gesellschaften nur in Kooperation mit anderen bewältigt werden kann. Ein Individualismus, der die Selbstentfaltung des Einzelnen zum Ausgangspunkt des Handelns nimmt und gleichzeitig die Beziehungen mit anderen reflektiert, ist eine notwenige Voraussetzung für erfolgreiches Handeln. Individualisierung und Wertewandel H.Klages, Soziologe: Neue Orientierung als Folge von Modernisierungsprozessen • „Symptome“ des Wertewandels - Beispiele – das Bedürfnis, sich als autonome Person zu verwirklichen – die Inanspruchnahme des Rechts auf ein Verhalten, das nur eigener Entscheidung entspricht – die stark anwachsende Neigung, öffentliche Entscheidungen auf der Grundlage persönlicher Nutzwertgesichtspunkte zu beurteilen – die Neigung zur Ablehnung formaler Rollenanforderungen • Die veränderte Motivlage führt zur Bildung neuer Wertetypen bei Individuen: – (ordnungsliebende) Konventionalisten – (nonkonforme) Idealisten – (aktive) Realisten – (hedonistische) Materialisten – (perspektivlos) Resignierte 8 Individualisierung und Wertewandel 9 Alles schon mal da gewesen