Soziologie Wie wirken gesellschaftliche Vorgaben für menschliches Verhalten? Werte: Definition • Werte oder Wertvorstellungen sind Vorstellungen über Qualitäten, die Dingen, Ideen, Beziehungen u.a.m. von Einzelnen oder von Gruppen von Menschen beigelegt werden, und die den Wertenden wünschenswert sind • Werte können persönliche Werte (z. B. Vertrauenswürdigkeit), materielle Werte (z. B. Geld), geistige Werte (z.B. Weisheit), religiöse Werte (z.B. Glaubensfestigkeit) oder sittliche Werte (z.B. Treue) sein. Aus Werten bilden sich spezifische Kulturen heraus, sie definieren Sinn und Bedeutung innerhalb eines Sozialsystems (d.h. Gruppe, Gesellschaft) • Werte sind in verschiedenen Kulturen unterschiedlich und unterliegen dem Wandel Werte: Klassifikation Grundwerte sind höchste und abstrakte Prinzipien, über die Einigkeit herrscht und die vielseitig verwendet werden Interpretationen dieser Werte und ihre Umsetzung sind aber sehr verschieden Funktionen von Werten • Orientierung bei Bewältigung alltäglicher Komplexität • angewandte Ethik = Anwendung moralischer Prinzipien der normativen Ethik auf konkrete moralische Konfliktfälle und Entscheidungen (Beispiele: Berufsethik, Bioethik, Medizinethik, Wirtschaftsethik, Wissenschaftsethik) • Legitimations- bzw. Rechtfertigungsgrundlage • Motivation zur wertgerechtem Handeln Historische Entwicklung westlicher Werten aus Tugenden • • • Primärtugenden sollen in jeder Gesellschaft gelten – Klugheit (Weisheit) – Gerechtigkeit (jedem das Seine zukommen lassen) – Tapferkeit (zum Durchsetzen des Gerechten bereit sein) – Mäßigung (Selbstbeherrschung) Ergänzung um die theologische Tugenden: – Glaube – Hoffnung – Liebe Sekundärtugenden (Charaktereigenschaften, die zum Gelingen der Gesellschaft beitragen, aber den Primärtugenden nachgeordnet werden): Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Treue, Gehorsam, Fleiß Merkmale westlicher Wertkultur • der Wert des Menschen als Einzelwesen gegenüber der Gemeinschaft • die Herrschaft des Rechts, auch Macht muss sich Recht beugen – Werte machen Rechtsnormen erst legitim, – Werte werden idealerweise freiwillig befolgt, nicht durch Zwang durchgesetzt – rechtliche durchsetzbar sind nur Mindeststandards (StGB) – Goethe: „Es gibt zwei friedliche Gewalten: Das Recht und die Schicklichkeit“ • Freiheit und Mitwirkung des Volkes an der Staatsgewalt (Demokratie) • Toleranz als Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens Erlernen von Werten: Sozialisation • Vergesellschaftung oder Enkulturation des Individuums: „Prozesse, in denen ein Mensch in seiner sozialen Umwelt lernt, vorwiegend solche Verhaltensweisen zu zeigen, sowie die Einstellungen, Werte, Bedürfnisse, usw. zu übernehmen, die den in dieser sozialen Umwelt anerkannten Wertvorstellungen und Normen entsprechen, bzw. solche Verhaltensweisen, Einstellungen usw. abzubauen, die damit in Widerspruch stehen“ (Brandstätter, Schuler & Stocker-Kreichgauer, 1974) • Primäre (Familienverband und Kernfamilie) und sekundäre Sozialisation (Schule und Gleichaltrige) Sozialisation für den Beruf • Herstellung von „Beruflichkeit“: Herstellung des Sozialcharakters (gesellschaftstypische Persönlichkeitsausformung, die zum Funktionieren in einer Gesellschaft vorhanden sein muss) • Schicht, Familie und Bildungssystem als Agenten dieses Prozesses, Geschlecht als differenzierendes Merkmal (unterschiedliche Erfahrungen von Jungen und Mädchen prägen Lebensentwürfe) • Sozialcharakter des Lohnabhängigen als prägendes Bild kapitalistischer Systeme (Ware Arbeitskraft) Berufswahl und Interessen Berufliche Interessen von großer Bedeutung für Berufswahl: Berufswahltheorie von Holland (1997) • Sechs grundlegende Persönlichkeitstypen, die durch bestimmte berufliche Interessen, Fähigkeiten und Einstellungen gekennzeichnet sind – Praktisch-technisch (realistic) – Intellektuell-forschend (investigative) – Künstlerisch-sprachlich (artistic) – Sozial (social) – Unternehmerisch (enterprising) – Konventionell (conventional) • Konsistenz und Kongruenz: Nähe zwischen den sechs Orientierungen und Frage des Fit zwischen Person und Umwelt Erfassung beruflicher Interessen mit Explorix Organisationale Sozialisation Phasen-Modell von Wanous (1992): • 1. Stufe: Konfrontation und Akzeptanz der organisationalen Realität • 2. Stufe: Erreichen der Rollenklarheit • 3. Stufe: Selbstverortung im organisationalen Kontext • 4. Stufe: Erkennen von Anzeichen erfolgreicher Sozialisation Wertewandel • Werte einer Gesellschaftsgruppe können sich ändern => Wertewandel. Die Gründe für den Wertewandel können veränderte Umweltbedingungen, Konflikthaltung gegenüber anderen Generationen oder technischer Fortschritt sein. • In der Soziologie gibt es zwei konkurrierende Modelle des Wertewandels im 20. Jahrhundert: – Nach 1970er wenden sich Menschen von materiellen Werten ab und den postmateriellen Werten (z.B. Freiheit, Selbstverwirklichung) zu (vgl. Ronald Inglehard, 1977, 1998) – Seit 1968 findet sich ein kontinuierlicher Wertewandel statt (vgl. Noelle-Neumann, 1987). Religion, klassische Tugenden, Gemeinsinn verlieren an Bedeutung, Individualisierung nimmt zu (Werteverfall) Normen: Definition • Normen sind Verhaltensvorschriften, die auf Wertvorstellungen basieren. - Sie definieren mögliche Handlungsformen in einer sozialen Situation. - Die Einhaltung von diesen Verhaltensvorschriften wird von Gesellschaftsmitgliedern erwartet, die Nicht-Einhaltung wird sanktioniert. - Normen sind gesellschaftlich und kulturell bedingt und von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden. - Die Verbindlichkeit von Normen und die Härte von Sanktionen ist unterschiedlich stark. • Émile Durkheim war einer der ersten Soziologen, der die Wirkung normativer Regelungen untersuchte, später betrachtete insbesondere Talcott Parsons die Wirkung von Normen auf das Verhalten von Individuen Bedeutung von Normen im Alltag • Normen sind ein zentraler Bestandteil gesellschaftlicher Kommunikation. Sie ermöglichen „verschlüsselte“(schnellere) Kommunikation per Zeichen z.B. • Diese Zeichen werden von einem Individuum gesendet (kodiert) und von einem anderen verstanden (dekodiert). • Normen ermöglichen eine Bewertung von Erlebnissen, ob sie gut/richtig/normkonform oder falsch/schlecht/abweichend waren. • Abweichungen von Normen rufen Irritation, Ärger, Sanktionen bis hin zu öffentlichen Diskussionen hervor Funktionsweise sozialer Normen 1 1. Handlungen werden typisiert: bestimmte Situation wird als solche erkannt, die Geltung der Norm wird anerkannt (z.B. Lehrveranstaltung und aufmerksames Zuhören) 2. Wechselseitige Erwartungen: – Alle Interaktionspartner verstehen, dass ihr Gegenüber Erwartungen hat und richten ihr Verhalten danach aus. – Trifft die eigene Erwartung (Vorhersage) nicht zu, ist die Person enttäuscht/ irritiert/ verärgert, weil das eigene Handeln den Sinn verliert. 3. Adressatenkreis: einige soziale Normen gelten nur für bestimmte Gruppen und soziale Rollen (z.B. Eltern). Funktionsweise soziale Normen 2 4. Weitergabe: Normen werden anerzogen, keine Übernahme von Normen unter Zwang, Verhaltenserwartungen müssen internalisiert und zu eigenen Ansprüchen werden 5. Orientierung an Wertvorstellungen: es gibt eine Hierarchie von Normen und Werten (z.B. Mord vs. bei Rot über die Ampel gehen), je wichtiger das Wert, desto seltener wird die Norm überschritten. – Normensets können an Bedeutung gewinnen, wenn damit eigene Identität verbunden wird (z.B. Islam in Deutschland). – Alle Normen können sich verändern. Eine Veränderung kann (z.B. gesetzlich) aufgehalten oder gefördert werden. – In Zeiten des Normumbruchs sind Menschen verunsichert, weil scheinbar Vieles möglich ist und die Konsequenzen für einen Normbruch noch nicht feststehen. – Es kommt zur starken Verbreitung der gruppenspezifischen Normen (z.B. Arbeitszeiten in Unternehmensberatungen vs. Verwaltung) Konformität und Nonkonformität Konformität als Tendenz, eigene Verhaltensweisen und Überzeugungen an anderen Personen auszurichten – Normative Einflüsse: Menschen wollen von anderen gemocht, angenommen und akzeptiert werden – Einflüsse von Informationen: Menschen wollen sich korrekt verhalten und verstehen, wie man in einer Situation am besten agiert, deshalb Suche nach Informationen, wie sich andere verhalten • Konformitäts-Experiment von Asch: eine Mehrheit von 3-4 Personen löst die Tendenz zur Konformität (gegen die eigene Überzeugung!) aus, 30% schließen sich fast immer der Mehrheit an, 25% nie, ein Verbündeter schwächt den Effekt deutlich ab • Majorität/Minorität: auf der Ebene der Gesellschaft hat die Majorität die Tendenz, den Status Quo zu verteidigen, Veränderungen und Innovationen werden typischerweise von Minderheiten oder Einzelpersonen ausgelöst Übungsfragen zu sozialen Werten und Normen 1. Wie sind Werte definiert und welche Arten von Werten gibt es? 2. Welche Funktionen haben Werte für Menschen? 3. Was versteht man unter Primär- und Sekundärtugenden? 4. Was sind die wesentlichen Merkmale westlicher Wertekultur? 5. Was ist Sozialisation und welche Phasen gibt es dabei? 6. Welche grundlegenden Persönlichkeitstypen unterscheidet Holland? 7. Welche Phasen hat die organisationale Sozialisation? 8. Was versteht man unter dem Wertewandel? 9. Wie sind soziale Normen definiert? 10. Welche Bedeutung haben Normen im Alltag? 11. Was versteht man unter Konformität? 12. Wie werden Normen erlernt?