S1-Seminar: Soziologie: Einführung und Grundbegriffe FT 2007

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Fakultät für Sozialwissenschaften
S1-Seminar:
Soziologie: Einführung und Grundbegriffe
FT 2007
Dozent:
Dr. Benedikt Köhler
Geb. 33 / Zimmer 2254, Tel.: 6004-4516
Email: [email protected]
Sprechstunde: nach Vereinbarung
2. Sitzung: Handeln
●
Verhalten: physikalische Bewegung eines Menschen oder
Tieres bzw. Aktion und Reaktion in Bezug auf Umwelt
●
Handeln: „soll ein menschliches Verhalten (einerlei, ob
äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder
Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die
Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“
●
Soziales Handeln: „aber soll ein solches Handeln heißen,
welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten
Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und in
seinem Ablauf daran orientiert ist“
●
Handlungstheorie: Erklärung des Handelns und der
Zusammensetzung komplexer Zusammenhänge
(Institutionen, Gesellschaft) durch einzelne Handlungen
●
Idealtypus: Bereinigung (Überzeichnen) eines
Zusammenhangs oder Vorgangs auf die ideale Struktur
bzw. den idealen Ablauf. Vergleich mit empirischer Realität
●
Typen des Handelns:
○
traditional: eingelebte Gewohnheiten, Überlieferungen
○
affektuell: Emotionen, Stimmungen
○
wertrational: Eigenwert des Handelns
○
zweckrational: andere Gegenstände, Personen,
Verhalten als Mittel, um Zwecke zu erreichen
3. Sitzung: Interaktion und Kommunikation
●
Interaktion: wechselseitig aufeinander bezogenes
soziales Handeln, Konsens über Handlungsziel
○
Reiz-Reaktions-Modell (Verhaltenstheorie)
○
Ego-Alter-Modell (Orientierung an komplementären
Erwartungen)
○
reflexives Ego-Alter-Modell (mögliche Reaktionen der
Handlungspartner auf eigenes Handeln vorwegnehmen)
●
Symbolische Interaktion: Interaktion auf Grundlage
symbolisch vermittelter Kommunikation
●
Kommunikation: gezielte wechselseitige Veränderung
von Bewusstseinszuständen mit dem Ziel, gemeinsames
Wissen herzustellen
○
Signal: „Es wird kommuniziert“ (Kundgabe)
○
Nachricht: Inhalt der Kommunikation (Verstehen)
○
Information: „Unterschied, der einen Unterschied macht“
(Veränderung, Wissen)
●
Verständigung: Vollständiges Fremdverstehen ist
unmöglich. Verständigung als Alternative zu
Einigung/Konsens (Weitermachen-Können). Auch als
Entscheidung bzw. unter Zwang möglich
4. Sitzung: Normen und Werte
●
Normen:
○
allgemein geltende Vorschriften für menschliches
Handeln, orientiert an verbreiteten Wertvorstellungen
○
Analytischer Begriff (inhaltsleer), Konkretisierung in
Gesellschaften
○
Regelmäßigkeit, Erwartbarkeit und Kalkulierbarkeit
○
Unterschied zu statistischen Normen
●
Sanktionen sichern Normen ab: positiv vs. negativ
●
Verinnerlichung von Normen: von Angst über Einsicht bis
hin zu Internalisierung („Gewissen“)
●
●
Grad der Verbindlichkeit:
○
Kann-Normen: Bräuche, Gewohnheiten
○
Soll-Normen: Sitten
○
Muss-Normen: Gesetze
Wertvorstellungen: überindividuelle Vorstellungen vom
Wünschenswerten (religiös, sozial, kulturell, ethisch)
●
Wertewandel: z.B. von Materialismus (Wohlstand) zu
Postmaterialismus (Selbstverwirklichung, Freiheit, ...) Meist
nur veränderter Stellenwert, nicht Veränderung
5. Sozialisation
●
Sozialisation:
○
Vergesellschaftung. Eingliederung einer Person in eine
Gruppe. Prägt Einstellungen zum sozialen Handeln, aber
auch Grundlage für soziale Identität
○
Sozialisation als Konditionierung/Assimilation oder als
Interaktion und Aneignung
●
Enkulturation: Vermittlung kulturspezifischer Werte, Normen,
Einstellungen, Überlieferungen
●
Sozialisierungstheorien:
○
Cooley: Spiegelung des Ich schafft Selbstbewusstsein
○
Mead: „role-taking“ und „I / Me“. Von signifikanten zu
generalisierten Anderen
○
Piaget: Auseinandersetzung mit Umwelt prägt inneres
System der Denkoperationen und Begriffe
○
Freud: Es (Triebe, Lustgewinn) – Ich (Rationalität) – ÜberIch (Gewissen, Normen)
●
●
Soziale Unterschiede durch Sozialisation:
○
Geschlechtsspezifische Sozialisation
○
Schichtspezifische Sozialisation
○
Soziale Identität
Instanzen: Familie, Peers, Massenmedien, Schule,
Arbeitswelt
●
Sozialisation im Lebenszyklus
Georg Simmel (1858-1918)
aus „Die Ausdehnung der Gruppe und die Ausbildung der
Individualität“:
„die Individualisierung lockert das Band mit dem Nächsten, um
dafür ein neues – reales und ideales – zu den Entfernteren zu
spinnen“
„je enger die Synthese innerhalb des eigenen Stammes, desto
strenger die Antithese gegenüber dem fremden; mit fortschreitender
Kultur wächst die Differenzierung unter den Individuen und steigt
die Annäherung an den fremden Stamm“
aus „Die Kreuzung sozialer Kreise“:
„Die Zahl der verschiedenen Kreise nun, in denen der Einzelne
steht, ist einer der Gradmesser der Kultur.“
„Die Möglichkeit der Individualisierung wächst auch dadurch ins
Unermeßliche, daß dieselbe Person in den verschiedensten
Kreisen, denen sie gleichzeitig angehört, ganz verschiedene
relative Stellungen einnehmen kann.“
6. Individuum und Gruppe
●
Gruppenbegriff: Großgruppe als Letztinstanz soziologischer
Analyse (19. Jh.) → Bedeutungsverlust der Großgruppen,
„Entdeckung“ der Kleingruppe (20. Jh.)
●
Individuum: Interesse wächst im 20. Jh. („Individualisierung“)
→ als Subjekt (ganze Person) oder Charaktermaske (Rollen)
●
Definitionselemente sozialer Gruppen:
○
Mitgliederzahl (bei Kleingruppen 3-25)
○
Gruppenziel (gemeinsames Ziel)
○
Gruppenidentität („Wir-Gefühl“)
○
System gemeinsamer Normen und Werte (Stabilisierung)
○
Geflecht aufeinander bezogener Rollen (Rollendifferenzial)
●
Formelle vs. informelle Gruppen (Hawthorne Studie)
●
Führungsstile in Gruppen:
○
Autoritär: hohe Leistung, aber nur bei Anwesenheit des
Führers; geringe Gruppen-Harmonie
○
Demokratisch: mittlere Leistung, auch bei Abwesenheit des
Führers; hohe Arbeitsmotivation
○
●
Laissez-faire: niedrige Leistung; Entmutigung, Lustlosigkeit
Individuum und Gruppe:
○
Max Weber: Einzelindividuum und sein Handeln als unterste
Analyseeinheit
○
Georg Simmel: Gruppenbildung als Voraussetzung der
Individualisierung und Rückwirkungen auf Gruppenbildung
(„Kreuzung sozialer Kreise“)
7. Rolle und Status
●
Rolle: Bündel von Verhaltenserwartungen (soziale Normen)
an Inhaber einer bestimmten sozialen Position
●
Bezugsgruppen: Träger der Erwartungen, Kontrollinstanz
●
Rollensegmente (verschiedene Bezugsgruppen einer Rolle)
und Rollen-Set/Rollen-Pluralismus (jede Person ist Träger
mehrerer Rollen)
●
Rollenattribute: z.B. Gewohnheiten, Bräuche, Bekleidung
●
Sanktionen bei Verstoß gegen Erwartungen an eine Rolle
●
Internalisierung der Rolle durch Lernen (Sozialisation)
●
Rollenkonflikte
○
Interrollenkonflikt durch Überschneidungen und
widersprüchliche Erwartungen verschiedener Rollen
○
●
Intrarollenkonflikt durch widersprüchliche Rollensegmente
Erweiterung der interpretativen Rollentheorie:
○
Typisierung + Interpretation und Verständigung in Situation
(Aushandeln der Situation; Situations- und Rollenwechsel)
●
○
Rollenhandeln als aktive Gestaltung (Aneignung)
○
Zwischen Fremdbestimmtheit/Unterordnung und Freiheit
Sozialer Status:
○
Position in arbeitsteilig-differenzierter Gesellschaftstruktur
○
Aber auch: Position in Gesellschaftsschichtung (Oben vs.
Unten) → Abstammung, Beruf, Einkommen, Bildung,
Statussymbole, Habitus
Rolle?
Spaziergänger
Sportsegler
Gelehrter
Frau
Cousine
Deutscher
Katholik
Autofahrer
Soldat
Patient
Rentner
Liebhaber
Einbrecher
Student
Kleinkind
Status Bezugsgruppe(n)
Erwartungen
Rollenseg- Rollenatmente
tribute
Sank- Internali- Konfliktionen sierung te
8. Fragen zur Institution
○
Leitidee, „Verfassung“ der Institution?
○
Personalbestand, Rollen?
○
Regeln und Normen für Umgang?
○
Materieller Apparat (Architektur)?
○
Entstehung?
○
Verankerung in Gesellschaft?
○
Verankerung in Person (Internalisierung)?
○
Bedeutung? Wirkung? Funktion?
○
Veränderung (Bedeutungsverlust oder -wandel)?
Fragen zur Organisation
○
Ziele und Zwecke? Zielkonflikte? Persönliche
Motive? Nebenfolgen?
○
Koordination, Kommunikationswege und
Machtverteilung (Organigramme / Abläufe)?
○
Architektur?
○
Informelle Strukturen?
○
Verankerung in physischer Umwelt? In organizational
set?
Beispiele: Bundeswehr? Kirche? Museum? Uni?
9. Soziale Schichtung
●
●
Ebenen sozialer Ungleichheit:
○
Ursachen (z.B. Industriegesellschaft, Ausbeutung)
○
Determinanten (Wege zu Vor- und Nachteilen)
○
Dimensionen (ökonomische Ressourcen, Bildung, Macht)
○
Auswirkungen (Mentalitäten, Konsumstile)
Status: Stellung in Hierarchie von Bildung, Einkommen,
Prestige, Macht
○
Statuskonsistenz vs. Statusinkonsistenz
○
Statusaufbau aus Gruppen mit ähnlichem Status →
Schichten als vertikal angeordnete Statusgruppen
●
Soziale Schicht: Gruppe mit ähnlicher Position in Schichtung
aufgrund ähnlichem Status
●
Kaste: Homogene, extrem geschlossene Gruppe basierend
auf angeborenen, unveränderlichen Merkmalen, Legitimierung
durch Religion
●
Stand: Beruf, Abstammungsprinzip, Legitimierung durch
Tradition („Immer-schon-so-gewesen-Sein“), strenge soziale
Regeln, Aufstieg begrenzt möglich
●
Klasse: Ähnliche Lage durch gemeinsame ökonomische
Merkmale. Klasse an sich (ökonomische Merkmale) → Klasse
für sich (Bewusstsein)
●
Vertikale vs. horizontale Ungleichheiten
●
Pluralisierung von Milieus (Gruppen Gleichgesinnter) und
Lebensstilen (typische Regelmäßigkeiten i. Alltagsgestaltung)
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