GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE

Werbung
GRUNDBEGRIFFE
DER
SOZIOLOGIE
Markus Paulus
DIPL.-PSYCH. (UNIV.), M.A.
Radboud University Nijmegen
VI, SOZIALISATION
1, ALLGEMEINES
Historische (Extrem-)Perspektiven
Thomas Hobbes (1588-1679)
 
 
 
 
“homo homini lupus” im Naturzustand
Mensch von Natur aus egoistisch
Übertragung von Macht auf Souverän: Staat
Sicherheit
Jean Jacques Rousseau (1712-1778)
 
 
 
Naturzustand: Selbstliebe (amour de soi) & Mitleid: “edle
Wilde”
Zusammenschluss aufgrund äußerer Umstände:
Gesellschaft
Dadurch tritt Böses in die Welt: dauernde Vergleiche mit
Anderen: Selbstsucht (amour propre)
Quelle: Abels, 2009, 57ff
1, ALLGEMEINES
Sozialisation: “zweite, soziokulturelle Geburt des Menschen” (D. Claessens)
= Prozesse, in denen sich Individuen gesellschaftlich vorgefundene
Gewohnheiten, Handlungsmuster, Werte und Normen
aneignen
Thematik für
 
Soziologen
 
Psychologen
Anthropologen
 
Erziehungswissenschaftler
 
Psychologen: Lern- und Entwicklungsprozesse des Individuums;
innerpsychische Voraussetzungen, Verläufe und Folgen
Soziologen: soziale Interaktionen, Gruppen, Institutionen,
gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken als Kontexte
Quelle: Scherr, in Korte/Schäfers, 2000, 46ff
2, PSYCHOANALYSE:
SIGMUND FREUD (1856-1939)
Der Apparat des Seelenlebens
Ich: Versöhnung der Ansprüche aus Es, Über-Ich und Realität
Quelle: Abels, 2009, 57ff
2, PSYCHOANALYSE:
SIGMUND FREUD (1856-1939)
Pessimistische Kulturtheorie
•  Individuelle Triebbedürfnisse: Libido, Aggressionstrieb
•  Gesellschaft kann nur durch Regulation individueller
Triebbedürfnisse entstehen, Einschränkung individueller Freiheit
Freud’sche Sozialisationstheorie
•  Identifikation mit Eltern
•  nimmt sie in eigenes Ich hinein
•  führt zur Ausbildung des Über-Ichs (Gewissensinstanz)
•  dabei: Übernahme gesellschaftlicher Normen und Werte
 Gesellschaft dringt in Individuum ein
•  reguliert als Gewissen Handlungen des Ich
3, LERNTHEORIEN
Klassische Konditionierung
Der Pawlow’sche Hund
3, LERNTHEORIEN
Klassische Konditionierung
3, LERNTHEORIEN
Instrumentelle Konditionierung/ Verstärkungslernen
3, LERNTHEORIEN
Instrumentelle Konditionierung/ Verstärkungslernen
3, LERNTHEORIEN
Lernen am Modell/ Imitation
Quelle: nach Bandura, 1977
Quelle: Paulus et al., 2009
3, LERNTHEORIEN
Lernen am Modell/ Imitation
3, LERNTHEORIEN
Verschiedene Lernmechanismen
  Konkrete Umwelt (Lernmilieu) übt entscheidenden
Einfluss auf Verhalten aus
  Durch Veränderung des Lernmilieus Veränderung
des Verhaltens
Aber auch: Selbstsozialisation
  Mensch schafft Konditionen seines Verhaltens
selbst, stellt bedingte Reize her
  Kann Bedingungen, auf die er reagiert, selbst
herbeiführen
4, FUNKTIONALISTISCHE THEORIEN
(DURKHEIM, PARSONS)
Durkheim
 
 
 
Erziehung keine rein individuelle Angelegenheit (vgl.
Aufklärung: Vervollkommnung der Eigenschaften der
menschlichen Gattung)
 Bedingungen der Zeit und des Ortes
Unterschiedliche Ideale der Erziehung in unterschiedl.
Gesellschaften
Bereiten Kinder auf Aufgaben in Gesellschaft vor
 “socialisation methodique”: Erziehung auf eine
bestimmte Ordnung hin
Quelle: Abels, 2009, 57ff
4, FUNKTIONALISTISCHE THEORIEN
(DURKHEIM, PARSONS)
Mensch als “homo duplex”
1, privater Teil: Triebe, Bedürfnisse
2, sozialer/moralischer Teil: verinnerlichte Normen und
Vorstellungen
NORMATIVE SOZIALISATIONSTHEORIE
Individuum muss Zwang der sozialen Tatsachen
akzeptieren
Nicht als Zwang empfinden, sich freiwillig fügen
 Soziale Tatsachen (Werte, Normen) gehen Individuum in
Fleisch und Blut über: Internalisierung
4, FUNKTIONALISTISCHE THEORIEN
(DURKHEIM, PARSONS)
Parsons:
  Durch Internalisierung: Motivationsstruktur geschaffen, die
gesellschaftlichen Erwartungen und Möglichkeiten entspricht
= stabile Wertverpflichtung (“commitment”)
  Kind erwirbt Eigenschaften, um von Gesellschaft gebotene
Rollen zu spielen
Beispiel: Aufgabe der Schule:
1, Sozialisation: Ausbildung von Persönlichkeiten, die Erfüllung
von Erwachsenenrollen motivationsmäßig und technisch
gewachsen
2, Allokation: Selektion nach Leistung weist in entsprechende
Karrieren ein
4, FUNKTIONALISTISCHE THEORIEN
(DURKHEIM, PARSONS)
Kritik:
1, Existenz abweichenden Verhaltens
2, Tatsache sozialen Wandels
  vielfach
ungeplante Sozialisationsprozesse
beeinflussen weitere Entwicklung (vgl. EinführungsVL: nichtintendierte Folgen sozialen Handelns)
 
 
Bsp. Rolle audio-visuellen Medien
Historisches Bsp. DDR-Erziehung zur “Gleichheit” im
Sozialismus
5, INTERAKTIONISTISCHE SICHT
Kommunikationstheoretische Auffassung
Sozialsation:
Kommunikation zwischen Individuum und konkreten
sowie dem generalisierten Anderen
Ziel der Sozialisation:
Integration in einen organisierten Verhaltensprozess
Dabei: Kommunikation des Selbst mit sich, keine
bruchlose Internalisierung; innere Welt als innerer
Prozess
Quelle: Abels, 2009,82ff, 200ff
5, INTERAKTIONISTISCHE SICHT
Kritik:
  Unterschätzt
  Überschätzt
objektiven Zwang der Verhältnisse
Kompetenzen des Individuums
6, MODELL PRODUKTIVER REALITÄTSVERARBEITUNG
Quelle: Hurrelmann, 2006
6, MODELL PRODUKTIVER REALITÄTSVERARBEITUNG
BASISANNAHME:
Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich auf Basis der genetischen
Anlagen und durch die Auseinandersetzung mit der sozialen
und ökologischen Umwelt.
THESEN ZUR SOZIALISATION
•  Wechselspiel Anlage und Umwelt
•  Lebenslanger, dynamischer und aktiver Prozess der Verarbeitung
der Anforderungen innerer und äußerer Realität
•  Für eine erfolgreiche Persönlichkeitsentwicklung ist eine gute Passung
zwischen individuellen Anlagen und den Umweltbedingungen
erforderlich
•  Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich lebenslang, wobei sich in
jedem Lebensabschnitt bestimmte Entwicklungsaufgaben stellen
•  Eine realistische Einschätzung der eigenen Identität führt zur
Bildung eines positiven Selbstwertgefühls, das Voraussetzung für eine
gesunde Persönlichkeitsbildung ist
7, ZENTRALE PUNKTE
Zusammenfassung: Funktionen der Sozialisation
1, Geteilte Werte und Normen/ Konsens:
 
 
Verinnerlicht, “sanfter Zwang”
Frei ausgehandelt
2, Geteilte Bedeutungen
3, Handlungskompetenzen
4, soziale Differenzierung, spezifische Rollen
7, ZENTRALE PUNKTE
Probleme
  Allokation:
da Gesellschaften nicht zentral gesteuert
  Soziale
Ungleichheiten: in Teilhabe an Macht und
Verfügung über Ressourcen
 
 
“das katholische Mädchen vom Lande”
Widerspricht demokratischer Idee
7, ZENTRALE PUNKTE
Schwerpunkte der Sozialisationsforschung (nach A.
Scherr, 2000):
1, Stadien des Sozialisationsprozesses (bspw.
Kindesalter, Jugendalter)
2, Dimensionen der Sozialisation (bspw.
Spracherwerb, moralische Entwicklung,
Identitätsbildung)
3, Auswirkung von Sozialisationsbedingungen
(bspw. Erziehungsstile, milieuspezifische
Sozialisation)
4, Sozialisationsinstanzen (bspw. Familie,
Freunde, Schule, Massenmedien)
7, ZENTRALE PUNKTE
Beispiel: lerntheoretischer Zugang zur
schichtenspezifischen Sozialisation
Bernstein (1964): unterschiedliche Sprachcodes
 
 
Unterschicht: restringiert
Mittelschicht: elaboriert
Unterschiede in:
- 
- 
- 
Umfang Wortschatz
Logische Struktur der Sätze
Soziale Praxis: Selbstsicht, Zukunftspläne, uvm.
8, SOZIALISATIONSINSTANZEN
Instanzen spielen verschiedene Rollen, haben
verschiedene Ziele, unterschiedlich starken Einfluss in
verschiedenen Gesellschaften
  Familie
Peers (Gleichaltrigen)
  Massenmedien
  Schule
 
Wichtig:
  Latente Funktionen
  Nicht-intendierte Folgen
Quelle: Geulen, in Joas, 2007, 150ff.
8, SOZIALISATIONSINSTANZEN
Familie:
  Primäre Sozialisationsinstanz
 
Abnahme Funktion durch soziale Institutionen
(Kinderhort) und Medien (Fernsehen, PC)
  Erste
intime, persönliche Beziehungen
  Normen und Werten
  Beziehungsmuster in der Familie
 
 
 
Distanz Eltern-Kinder
Distanz männliche-weibliche Mitglieder
Kooperativ, wettbewerbsorientiert
  Interaktion
 
mit Geschwistern, Aushandeln
Geschwisterreihe
  Verortung
auf sozialer Landkarte: sozialer Status
8, SOZIALISATIONSINSTANZEN
Peers (Gleichaltrige):
  Erfahrungen mit gleichberechtigten Beziehungen
 
Normen des Teilens und der Reziprozität
  Konzept
und Praxis der Freundschaft
  Große Bedeutung in der frühen Adoleszenz
 
 
 
 
 
Akzeptanz und Beliebtheit überragen andere Probleme
Jungen: meist Clique männlicher Freunde
Mädchen: oft einzige “beste” Freundin
Vorwiegend gleiche Schicht, Ethnie
Eigene Symbole (Sprache, Musik, Haarschnitt, Kleidung)
  Jugendliche
in später Adoleszenz offen für
Präferenzen Eltern bzgl. Lebensziele und Werte
 
Wahl von Peer-Gruppen, deren Werte Eltern ähneln
8, SOZIALISATIONSINSTANZEN
Massenmedien
  Kommunikationsformen, die große Menschenmengen
verbinden
 
 
Großer Einfluss des Fernsehens (weniger bekannt über PC
und Internet)
Problematisch
 
 
 
 
Aber auch:
 
 
 
Verarmte Darstellungen der Kultur: Klischees, Stereotype
Gewaltdarstellungen können aggressives Verhalten fördern
Verkümmerung der Sprachentwicklung, begriffliche
Strukturierung der Welt (Neil Postman)
Förderung sozialen Verhaltens durch entspr. Programme
Anregend, informativ (vgl. Sesamstraße, Löwenzahn)
Wichtig: Kind nicht nur passiv! Aktive Auseinandersetzung
und Integration
 
Diskussion der Fernsehinhalte in Familie
8, SOZIALISATIONSINSTANZEN
Schule
  Vermittlung staatlich sanktionierter Fähigkeiten
und Fertigkeiten (Arbeitswelt)
  “heimlicher Lehrplan” (Jackson)
 
 
Vertrautmachung mit Gesellschaft: Regeln
unpersönlicher, bürokratischer Organisation
Lektionen in Disziplin und Gehorsam
  Neue
 
 
Probleme
Familie wird primärer Sozialisation nicht mehr gerecht
Rascher Wandel der Arbeitswelt: heute stattfindende
Sozialisation Wirklichkeit nicht mehr angemessen
Herunterladen