Wir beginnen in 2 Minuten Wir beginnen in 1 Minute Vorlesung Entwicklungspsychologie I Lernen und Sozialisation J. Gowert Masche 14.06.2006 Klausur EGL-M Modul 1: Klausur 26.07.06, 14:00-16:00, HG 5 Anmeldung: Montag, 19.06., 9-16 Uhr, Dienstag, 20.06., 13-16 Uhr, Donnerstag, 22.06., 9-16 Uhr bei Herrn Langer, FB Psychologie (Gutenbergstr. 18), Raum 65 Modul 6: Klausur erst im Anschluss an die zweite Vorlesung im Wintersemester Entwicklungspsychologie kann nur entweder im Modul 1 oder im Modul 6 belegt werden. Semesterüberblick 26.04.: Grundbegriffe der Entwicklungspsychologie 10.05.: Vorgeburtliche Entwicklung, Entwicklung von Wahrnehmung und Psychomotorik 17.05.: Frühe Eltern-Kind-Interaktion, Bindungstheorie 24.05.: Soziale Kognition 31.05.: Kognitive Entwicklung nach Jean Piaget 07.06.: Begriffliches Wissen, Problemlösen 14.06.: Lerntheorien, Sozialisation 21.06.: Motivation, Emotion, Handlungsregulation 05.07.: Entwicklung unter ökologischer Perspektive 12.07.: Familienentwicklung 19.07.: „Zurück zur Natur“: Biologische Entwicklungsgrundlagen 14.06.: Lernen und Sozialisation • Behavioristische Lerntheorien • Sozial-kognitive Lerntheorien • Theorien der Sozialisation Literatur zu heute: v. a. Trautner-Lehrbücher, Band 1, Kap. 2.4 und 2.6, Band 2, Kap. 9.3. Einführung • Lernen: Sammelbegriff für von der Umwelt (exogen) gesteuerte Prozesse der dauerhaften Verhaltensänderung (auch Wissen, Einstellungen usw.) • Gegensätze: Erwerb, Reifung • Lernen = (latente) Aneignung, nicht immer erkennbar in Äußerung/Leistung • Lerntheorien unterscheiden sich, ob – nur offenes Verhalten oder verdeckte Prozesse Bestandteil sind – Bedeutung der Verstärker: zeitliche Kontiguität, Anreizwert, Informationsgehalt Behavioristische Lerntheorien Klassisches Konditionieren (1) Begründer: Iwan Pawlow (1849-1936), John B. Watson (18781958) Klassisches Konditionieren (2) • Signallernen 1. Unkonditionierter Stimulus (UCS) unkonditionierte Reaktion (UCR) 2. Neutraler Stimulus (NS) UCS UCR Bei mehrfacher Wiederholung wird neutraler Stimulus zum konditionierten Stimulus (CS) und unkonditionierte zur konditionierten Reaktion (CR). 3. CS CR • • Lernbedingung: Kontiguität von NS und UCS andere Bezeichnungen: Reflexlernen, respondentes Lernen Klassisches Konditionieren (3) • Little Albert von Watson & Rayner Angst vor Pelztieren beigebracht (damals gab es wohl noch keine Ethikkommission…) – UCS: Lärm eines Hammerschlages Prinzipien beim klassischen Konditionieren • • • • • • Konditionierung höherer Ordnung Löschung/Extinktion Spontanerholung Stimulus-Generalisierung Stimulus-Diskriminierung Reaktionsgeneralisierung Konditionierbarkeit im Säuglingsalter • Versuch Papoušek (1967) Nötige Darbietungen bis zur Konditionierung Anzahl – UCS: Milchflasche – UCR: Kopfdrehen zur Flasche – NS: Klingelton Reizdarbietungen Streuung 270 240 210 180 150 120 90 60 30 0 0 20 40 60 80 100 Alter in Tagen Keine Unterschiede in Reaktionslatenz und in Zahl der Durchgänge bis Extinktion. 120 140 160 Konditionierbarkeit im Säuglingsalter • Versuch Papoušek (1967) Nötige Darbietungen bis zur Konditionierung Anzahl – UCS: Milchflasche – UCR: Kopfdrehen zur Flasche – NS: Klingelton Reizdarbietungen Streuung Reizdarbietungen bis Rekonditionierung 270 240 210 180 150 120 90 60 30 0 0 20 40 60 80 100 120 140 160 Alter in Tagen Keine Unterschiede in Reaktionslatenz und in Zahl der Durchgänge bis Extinktion. Rekonditionierung schneller, vor allem in jüngster Gruppe Bewertung • Klassisches Konditionieren schon ab frühestem Alter – Beispiel: Lernen, dass ein Bild abwechselnd links/rechts auftaucht, ab 0;2. – Reihenfolge, in der Reize „funktionieren“: • • • • • akustische Reize Berührung Geruch Geschmack visuelle Reize – Konditionierbarkeit steigt bis 6 Jahren an, fällt dann bis ins hohe Alter wieder ab • Am bedeutsamsten für Konditionierung von Gefühlen, z. B. Angst • An vielen Lernprozessen beteiligt, aber nicht allein ausreichend zur Verhaltenserklärung. Operantes Konditionieren (1) • • Begründer: Edward L. Thorndike (1874-1949), Burrhus F. Skinner (1904-1990) Gesetz der Auswirkung (Thorndike, 1898, 1932): Verhaltenskonsequenz bestimmt, ob Assoziation zwischen Reiz und Reaktion verstärkt oder vermindert wird Operantes Konditionieren (2) • • Verstärkungslernen: Operantes Verhalten (nicht durch bestimmte Reize ausgelöst) bewirkt Verstärker Wahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht Verstärker:= Konsequenz, die die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöht – – • positive Verstärkung: Belohnung negative Verstärkung: Wegfall eines aversiven Reizes Andere Bezeichnungen: Instrumentelles Konditionieren, Bekräftigungslernen Prinzipien beim operanten Konditionieren • • • • • • • Stimuluskontrolle: Diskriminative Stimuli erhalten Hinweisfunktion Verstärkungswert abhängig von Organismus/Person, Deprivationszustand, Reaktion, Lerngeschichte, Umgebung, Kontingenz Arten von Verstärkern: Gegenstände, Reize, Reaktionsmöglichkeiten. Soziale Verstärker besonders bedeutsam Verstärkungspläne: sofort/aufgeschoben, kontinuierlich/intermittierend Stimulus-Generalisierung und -Diskrimination Reaktionsdifferenzierung (Shaping) Verhaltensabbau durch – Extinktion – Kontrakonditionierung – Bestrafung (Wirkung umstritten, aber Nebenwirkungen) Operantes Konditionieren bei Säuglingen • Konditionierung von Vokalisierungen (Rheingold, Gewirtz, & Ross, 1959) • • Säuglinge in Säuglingsheim, 3 Monate alt Phase 1: Baseline. VL lehnt sich über Bettchen und macht ausdrucksloses Gesicht. Registrierung aller Lautäußerungen. Phase 2: operante Konditionierung: wie vor, aber immer, wenn Säugling vokalisiert, breites Lächeln, Äußern von „tsk, tsk, tsk“ und Berührung des Säuglings am Bauch Phase 3: Extinktion: wie Phase 1 • • • Ergebnis: Vokalisierungen in Phase 2 rasch verdoppelt, in Phase 3 wieder wie vorher. • Anderer Versuch: Schon mit 0;2 lernten Säuglinge, durch Armbewegung Fernseher einzuschalten. Blieb das Verhalten wirkungslos, zeigten Sie verstärkte Reaktion und Enttäuschung. Bewertung • • • • Aufgrund der Vielfalt operanter Verhaltensweisen vielfältigeres Auftreten als klassische Konditionierung Anwendungen in Pädagogischer und Klinischer Psychologie Für speziellere Formen wie Shaping ist Umwelt gewöhnlich nicht kontrolliert genug Unklar, was eigentlich verstärkt. Eventuell ist es auch die rückgemeldete Richtigkeit des Verhaltens Einsicht, Bewertungen usw. außerhalb behavioristischer Ansätze. Sozial-kognitive Lerntheorien Beobachtungslernen • Hauptvertreter: Albert Bandura (*1925) • Lernen am Modell: – Aneignungsprozesse • Aufmerksamkeit • Behalten – Ausführungsprozesse • motorische Reproduktion • Motivation (erst hier wird antizipierte Verstärkung bedeutsam) Einflüsse auf Aneignungsprozesse • Merkmale der Modellreize: – – – – – • Deutlichkeit Komplexität Häufigkeit affektive Valenz: auch Merkmale des Modells: Beziehung zwischen Modell und Beobachter, Alter, Geschlecht, Status, Fähigkeiten usw. funktionelle Bedeutung Merkmale des Beobachters: – – – – – – sensorische Kapazität Wahrnehmungsstil momentane Aufmerksamkeit kognitive Kapazität Erregungsniveau Präferenzen Behaltensprozesse • Arten des Sich-Einprägens – – – • symbolische Kodierung kognitive Wiederholung aktionale Wiederholung Merkmale des Beobachters: – – kognitive Fähigkeiten kognitive Strukturen Motorische Reproduktionsprozesse • Ablauf der Reproduktion – – – • kognitive Repräsentation der vollständigen Handlung Selbstbeobachtung des Verhaltens Rückmeldung über die Genauigkeit der Reproduktion Merkmale des Beobachters: – – physische Fähigkeiten Verfügbarkeit über Teilkomponenten Motivationsprozesse • Verstärkung – – – – – sensorisch materiell sozial stellvertretende Verstärkung Selbstverstärkung • • • Merkmale des Beobachters: – – – • materiell selbstbewertend Verstärkerpräferenzen soziale Vergleichsstandards interne Standards Außer dem Lernen neuer Verhaltensweisen kann Modelllernen auch vorhandene Verhaltensweisen enthemmen/hemmen. Lernen aggressiven Verhaltens • Bandura (1965): Experiment zum Einfluss stellvertretender Verstärkung • Kindergartenkinder (Alter 3;6-6). Einzelversuch. • Kind sieht Film (5 min.), in dem ein Mann „Rocky“ eine lebensgroße Puppe mehrfach auf 4 verschiedene Weisen angreift und dies sprachlich begleitet, z. B. boxt er sie und sagt „Puh, direkt auf die Nase, bum-bum“ • 3 Bedingungen stellvertretender Verstärkung: – Rocky wird gelobt („Champion“, „starke Leistung“ usw.) und bekommt Süßigkeiten und Schokolade – Rocky wird beschimpft („brutaler Kerl“, „wirst du wohl aufhören“), mit einer zusammengerollten Zeitung gehauen und bedroht – Rockys Verhalten bleibt ohne Konsequenzen • Kind wird 10 min. in Spielzimmer allein gelassen, in dem sich unter anderem dieselbe Puppe befindet. Kind darf ausdrücklich mit allem spielen Beobachtung spontaner Imitation • VL fordert Kind auf, gesehene Verhaltensweisen nachzuahmen, und erhält Belohnung (Abziehbild und Fruchtsaft) für jede Nachahmungsreaktion Feststellen latenten Lernens Ergebnisse • Mädchen imitierten das aggressive Verhalten weniger. • Wenn sie dazu aufgefordert werden, imitieren Kinder gleich viel, unabhängig von der Verstärkung für „Rocky“. • In der spontanen Imitationsphase waren Mädchen aggressiver, wenn sie stellvertretende Verstärkung oder keine Konsequenz beobachtet hatten, im Vergleich zu stellvertretender Bestrafung. Jungen zeigten tendenziell denselben Effekt. • Motorische Aggression wurde in dieser Altersgruppe häufiger nachgeahmt als die verbalen Attacken. • Schlussfolgerung: Kinder lernen in jedem Fall, zeigen Verhalten aber nur, wenn es (stellvertretend) belohnt oder zumindest nicht bestraft wird. Entwicklung des Nachahmungslernens • Fähigkeit zur Nachahmung entwickelt sich mit Verfügbarkeit der Teilkomponenten • Reziproke Imitation zwischen Eltern und Säugling • verzögerte Nachahmung gegen Ende der sensumotorischen Phase – – • 24 Stunden Verzögerung von mimischer Nachahmung schon ab 6 Wochen Alter 24 Stunden Verzögerung bei Spiel mit Objekten spätestens mit 1;0, sofern Objekt völlig gleich. später gedankliche Nachahmung, Kombinieren gelernter Verhaltensweisen zu neuen Handlungen Bewertung • Betonung sozialer Prozesse • Betonung von Sprache und symbolischer Repräsentation • Große Bedeutung für Pädagogik • Komplexität der Theorie erschwert Überprüfung und Verhaltensvorhersage Erweiterung zu einer sozialkognitiven Theorie (1) • • Beobachtungslernen als aktiver Informationserwerb Anfangs mehr Betonung universeller Lerngesetze, später Untersuchung, wie sich die Lernprozesse mit dem Alter verändern – – – – • • verbesserte Aufmerksamkeit effektivere Gedächtnisnutzung gesteigerte motorische Fähigkeiten umfassenderes Verständnis für die Handlungsfolgen Verstärkung: nicht nur Anreiz, sondern Information Reziproker Determinismus: Wechselseitige Beeinflussung zwischen – – – Umwelt Person: aktuelle Interessen, Wertmaßstäbe, Erwartungen, Fähigkeiten Verhalten Interaktionistische (organismische) Theorie Erweiterung zu einer sozialkognitiven Theorie (2) • • • • Abstrahierendes Modelllernen: Verallgemeinerungen aus wiederholt gemachten Erfahrungen – mit zunehmendem Alter wichtiger, da Lernen vorwiegend verdeckt und nicht mehr sofort im Verhalten gezeigt Selbstregulation: Menschen setzen sich Ziele und streben diese an – Ziele von Umwelt beeinflusst – Beobachtung selbstregulierten Verhaltens fördert eigene Selbstregulation Selbstwirksamkeit (self-efficacy): Einschätzung eigener Tüchtigkeit. Quellen: – eigene Einschätzung – Vergleich mit anderen – Reaktionen von anderen Bezüge zu anderen Theorien: – Rotter: Kontrollüberzeugungen – Handlungstheorien: Erwartungs-mal-Wert-Modelle Theorien der Sozialisation Grundbegriffe • Sozialisation: Einfluss soziokultureller Faktoren auf Hineinwachsen in Gesellschaft • Je nach Blickwinkel Betonung von Sozialwerdung oder Sozialmachung • Disziplinen: – Psychologie: Persönlichkeitsentwicklung, z. B. Geschlechtsrollen – Soziologie: Wirkung von Gruppen und Institutionen – Kulturanthropologie: kulturtypische Persönlichkeit, Kulturunterschiede in Sozialisationsprozessen Modelle der Sozialisation (1) • Childs Trichtermodell: Konformitätszwang engt Verhalten zunehmend ein, v. a. im Vorschulalter • Sozialisation als Erwerb von Rollen: – Rolle: Bündel von Verhaltenserwartungen entsprechend Position aufgrund Alter, Geschlecht, Status, Verwandtschaft usw. – Rollensegmente: Erwartungen unterschiedlicher Bezugsgruppen, z. B. Kollegen, Familienangehörige – Faktoren zur Rollenübernahme: • Klarheit und Konsens über die Rolle • Stärke der Konformitätsforderungen • Persönliche Merkmale, z. B. Perspektivenübernahme Modelle der Sozialisation (2) • Sozialisation als Abfolge von Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1948): Für jedes Alter Entwicklungsziele, die z. T. von der Gesellschaft vorgegeben oder beeinflusst sind. Nichterreichen wird sanktioniert. Beispiel: Berufswahl in später Jugend • Bidirektionales Modell der Sozialisation (Bell, 1971): Eltern und Kind beeinflussen sich wechselseitig: Eltern stimmen Erziehungsverhalten auf wahrgenommene Notwendigkeit ab • Ökopsychologische Ansatz Bronfenbrenners (1979): verschiedene, sich wechselseitig beeinflussende Systeme: – Mikrosystem: unmittelbare soziale Beziehungen – Mesosystem: Beziehungen zwischen Mikrosystemen, z. B. Familie und Schule – Exosystem: Systeme, denen Individuum nicht angehört, z. B. Arbeitsstelle der Eltern – Makrosystem: Gesellschaft, Kultur