Notizen vom 58sten Urologenkongress Hamburg 09/2006

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Meine persönlichen Notizen vom
58sten Urologenkongress in Hamburg
09/2006
Auffallend ist für mich so eine Art Amerikanisierung durch eine Menge
englischsprachiger Vorträge. Ohne bilinguale Kenntnisse ist das Verstehen von
speziellen Sachverhalten für mich, den Laien, sehr, sehr schwer. Ziehe ich für mich
ein Fazit aus den von mir besuchten Vorträgen und Gesprächen am Stand des BPS,
dann kann man auf die Frage: Was gibt es Neues? nur antworten: Lt. Expertenurteil
offensichtlich nichts Spektakuläres; jedoch immer wieder erweiterte Kenntnisse,
mehr Durchblick für uns Laien!
Persönliche Aufzeichnungen und Notizen von Vorträgen, Gesprächen und
ausliegenden Informationen. Die Vollständigkeit und Richtigkeit kann ich nicht
garantieren, vielleicht habe ich sogar das Eine oder Andere nicht richtig verstanden.
Donnerstag 21.09.2006
1 Wie gehe ich mit dem PSA um?
1.1 Von der Statik (nur absoluter PSA-Wert) zur Dynamik.
Prof. Peter Hammerer, Braunschweig:
Grundsätzlich: PSA erkennt das Prostatakarzinom eher als die DRU.
Grundsätzlich: Es gibt keinen PSA-Wert, der einen Prostatakarzinom ausschließt.
Bei Männern mit PSA
entdeckte Prostatakarzinome
2 bis 3
bei 24%
0,5
immer noch bei 6,6%
PSA Dynamik
Darunter versteht man die Verdopplungszeit und die Anstiegsgeschwindigkeit.
Sicherer sei die Feststellung der PSA-Verdopplungszeit (PSA-DT). Dazu seien aber
Messwerte aus 2 bis 3 Jahren erforderlich.
PSA-Anstiegsgeschwindigkeit
Die c-PSA-Anstiegsgeschwindigkeit erlaubt eine Verbesserung der Früherkennung.
Generell ist eine Anstiegsgeschwindigkeit, Velocity, (PSA-V) als verdächtig
anzusehen, wenn sie gemäß Prof. H. durchschnittlich 0,84 ng/ml/Jahr für Patienten
mit Prostatakarzinom und mit 0,09 ng/ml/Jahr bei Patienten ohne Prostatakarzinom
beträgt.
Die Kontrolle der PSA-V ist eine kontinuierliche Risikoabschätzung. Sie beträgt normal
bei Männern von 40 bis 49
0,7 ng/ml/Jahr
bei Männern von 50 bis 59
0,9 ng/ml/Jahr
bei Männern über 60
bis 1,4 ng/ml/Jahr
Erwähnt wurde noch der Slop als zusätzlich mögliches Kriterium.
Mehr Daten enthalten die Tabellen von Catalone und die Webseite
www.normograms.org
1.2 Can molecular techniques make prostate biopsies
redundant?
David Ornstein, MD, Irvine USA
Nur höchstens 30% der Männer haben einen normalen PSA, 70 bis 80% haben
unnormale PSA-Werte. Auch dies führe zu diagnostischen Unsicherheiten. O.
erläuterte die klinische Wertigkeit molekularer Faktoren bei der Diagnostik von
Prostatakarzinomen hinsichtlich genetischer Disposition, Malignität und Aggressivität.
Verschiedene Malignitätsgrade oder intra- und extraprostatische Tumoranteile
können lt. O. spezifisch analysiert und so molekulare Aggressivitätsmarker
identifiziert werden.
Gegenwärtig würde nur eine geringe Zahl von Proteinen für diagnostische Zwecke
analysiert. Jedoch ermöglichst keiner dieser Biomarker allein die eindeutige Diagnose
einer Krankheit. Es geht hierbei letztlich darum, invasive und manchmal recht teure
Eingriffe und die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen zu vermeiden.
Hier ging es um die Vermeidung von Biopsien.
O. untersuchte 22 Proteine, unter anderem CGA, PCA3(DD3), um Prostatakarzinome
zu entdecken. Diese Proetinprofile (klinische Proteomics) sollen ein Prostatakarzinom
frühzeitig erkennen sowie eine spezifische Diagnose ermöglichen. Von wesentlicher
Bedeutung für die klinische Einsetzbarkeit sei die Reproduzierbarkeit. O. kam bei
seinen Untersuchungen bei mehrmaliger Messung derselben Probe auf nahezu
identische Daten.
M.E. derzeit noch eine sehr wissenschaftliche Betrachtung (sieht man -soweit ich
mich traue, so etwas einzuschätzen- vom DIAPat-Test ab), die noch relativ weit von
klinischen Anwendungen entfernt ist.
1.3 Wie viele Biopsien aus welchen Regionen
Wann aufhören mit Re-Biopsien?
Prof. Wolfgang Höltl, Wien
Standard-Sextantenbiopsien haben gezeigt, dass zu viele Prostatakarzinome, 20 bis
30 Prozent, bei der Erstbiopsie nicht erfasst werden. Jeder suspekte Tastbefung und
oder eine PSA-Erhöhung größer 4 ng/ml ist grundsätzlich solange
karzinomverdächtig, bis das Gegenteil mit größtmöglicher Sicherheit bewiesen ist.
Eine Erstbiopsie bei negativem Tastbefund und nur gering erhöhtem PSA ist nicht
drindlich. Im Gespräch mit dem Patienten müssen die verschiedenen Ursachen , die
zu einem falsch-positiven PSA Anstieg geführt haben, abgeklärt werden. Deshalb:
Nicht jedes Prostatakarzinom muß mit aller Anstrengung gesucht werden.
Es muß auch die Frage gestellt werden: Soll überhaupt PSA gemessen werden?
Niemals solle eine Biopsie aufgrund eines einzelnen PSA-Wertes erfolgen.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Stanzen, desto höher die Detektionsrate. Das muß
allerdings in einem vernüftigen Einklang mit dem Volumen der Prostatadrüse stehen.
Mit einer 10fach Biopsie wird höchstens 1% des Volumens der peripheren Zone
entnommen. Es sei ein Wunder, dass da überhaupt was gefunden wird.
Heute reichen 6 Stanzen nicht mehr aus. Bei einem Prostatavolumen bis 35ml sollten
8 Stanzen genügen, bei größeren Volumen 10.
Das durch die Biopsie erfasste Tumorvolumen ist abhängig von den Faktoren:
- Prostatagesamtvolumen
- Tumorvolumen
- Karzinomvertzeilung innerhalb der Prostata
- Methodik der Biopsie
- Anzahl der Stanzen
- der Malignitätsgrad in der Biopsie sei in bis zu 45 Prozent unterklassifiziert und
- der Malignitätsgrad in der Biopsie sei in bis zu 32 Prozent überklassifiziert.
Es sei deshalb nicht zulässig, aus der Biopsie den Schluß zu ziehen, es handele sich
um einen hochdifferenzierten Tumor!
Bei der antibiotische Prophylaxe seien die Ergebnisse von einem oder drei Tagen
gleich. Ein Tag mit drei Antibiotikagaben seien ausreichend.
Der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Biopsie sei variable, bei
dringendem Karzinomverdacht empfiehlt Prof. Höltl eine Rebiopsie nach 6
Wochen.Eine Rebiopsie sei erforderlich bei ASAP (drei Momnate später) und bei
HGPIN (mind. ein Jahr später). Eine Saturationsbiopsie mit 20 bis 24 Stanzen ist mit
einer hohen Komplikationsrate verbunden und nur dann angezeigt, wenn die
vorherigen Biopsieergebnisse nicht eindeutig seien.
Wann aufhören zu biopsieren? Nach 2 Biopsieserien und Saturationsbiopsie ist Stopp!
Donnerstag 21.09.2006
2 Inkontinenz - Was tun - Patientenforum
Vorträge von Prof. H. Kölbl (Inkontinenz der Frau), Prof. Daniela Schultz-Lampel
(Überaktive Blase - Wenn die Blase drückt), Prof. KP Jünemann (Inkontinenz beim
Mann), Psychotherapeutin Almut Köwing (Inkontinenz und Beckenbodentraining)
Lange und breite Erläuterung der Organisation von der Deutschen
Kontinenzgesellschaft. Keine Patientenorganisation sondern eine Fachgesellschaft mit
Ärzten an der Spitze. Zentrale in Kassel. (Frau Thiel machte einen zwar nicht
unfreundlichen aber eher doch abweisenden Eindruck, als wir uns vom BPS zu
erkennen gaben. Wir seien „nur“ Patientenvertreter)
Inkontinent erst bei einer Miktion von mehr als 8x am Tag.
Vorübergehende Zurückhaltung des Harns ist auch trainierbar, siehe bei
Überlaufblase, Schlüssel ins Haustürschloss und dann läuft die Blase.
Unterspritzen des Blasenschließmuskels sei allemal auch mit Wiederholungen besser
âls dauernde Inkontinenz.
Jünemann dazu: Inkontinenz bringt Dich nicht um, aber sie kostet Leben
(Lebensqualität).
Sehr überraschend war für uns Anwesende das Eingeständnis der Psychotherapeutin,
die Ausbildungsinhalte bzgl. Inkontinenz seien für Probleme bei Frauen die Gleichen
wie bei Männern. Später müssen man sich halt selbst versuchen zu spezialisieren.
Abgesehen vom Vortrag von Frau Prof. Schultz-Lampel, der die psychosozialen
Aspekte mit erwähnte, war das insgesamt eine für Männer (es war rund ein Drittel
Männer unter den 200 Besuchern) wenig informative Veranstaltung, teils sogar recht
oberflächlich, da selbst die professoralen Experten keinen therapeutischen
(Medikamente) Unterschied zwischen Männern und Frauen machten. Da half auch
nicht der Einblick in ein Miktionstagebuch,k Hinweis auf PADS oder auf den
Kondombeutel und auch nicht der Hinweis, auf die Vorteile der kostenlosen
Benutzung von rd. 1000 Behindertenklos in Deutschland für Mitglieder der
Kontinenzgesellschaft. Das fand ich sogar ausgesprochen lächerlich. 1000 verteilt auf
Deutschland und ich muß dringend pinkeln. Die Inkontinenz nach
Prostatabehandlungen kam nur mit einem Satz im Zusammenhang mit der
Prostatektomie vor.
Freitag 22.09.2006
3 Therapie des lokal fortgeschrittenen und
metastasierten Prostatakarzinoms
3.1 Mechanismen der Androgenresistenz
Dr. Aria Baniahmad, Jena
Über die vom AR regulierten Gene und die nachgeschalteten zellulären Prozesse ist
noch wenig bekannt. Besonders interessieren die Mechanismen der AndrogenSignalweiterleitung. In den Zielzellen kann Testosteron direkt - oder nach
Umwandlung durch die 5-alpha-Reduktase in Dihydrotestosteron (DHT) - an den
intrazellulären Androgenrezeptor binden.
Insgesamt, so (wenig!) habe ich diesen Vortrag verstanden, ging es um die
Identifikation von Molekülen und deren Signalwege im Zusammenhang mit dem
Androgenrezeptor im hormonrefraktären Stadium.
3.2 Welche antihormonelle Therapie?
Prof. Manfred Wirth
LHRH ist heute die Standardtherapie.
Wenn Hormontherapien verglichen werden, dann sollte das hinsichtlich der
Nebenwirkungen erfolgen. Denn Hormontherapien seien - und hier wird Prof. Wolff
zitiert - kein Kamillentee.
Nichtsteriodale Antiandrogene (Bicalutamid/Casodex) haben lt. Prof. Wirth weniger
Wirkung bei hoher Tumorlast.
Interessant sei die Step-by-Step-Therapie,
zunächst ein Antianderogen, z.B. CPA oder Casodex
dann ggf. Therapiepause,
dann bei PSA Progress ein anderes Antiandrogen, z.B. Flutamid
dann ggf. Entzug des Antiandrogens (Antianadrogensyndrom),
dann bei erneutem Progress die maximale Androgeblockade mit einem LHRH und
einem Antiandrogen,
danach ggf. „second-Line-Hormontherapie“ z.B. mit Ketokonazol+Hydrokortison,
wobei Synthesehemmer wegen ihrer Nebenwirkung keinen hohen Stellenwert hätten.
Es müsse der Nutzen der antihormonellen Therapie gegen Nebenwirkungen und
Kosten abgewogen werden. Weniger sei mehr!
Die Antiandrogene Monotherapie, lt. Prof. Wirth derzeit in Deutschland nicht für PCa
zugelassen, sei eine Option für eine niedrigen Tumorlast bei jüngeren Patienten.
Die Triple Hormontherapie von Dr. Bob wurde erwähnt aber auch kritisiert als „ohne
Daten und Nachweise“ und damit -so hatte nicht nur ich den Eindruck- ad acta
gelegt. Ob endgültig wird man abwarten müssen, denn die sonstige Polemik fehlte.
Prof. Wirth betonte eher ausdrücklich, er habe sich wegen dieser Therapie bei
Selbsthilfegruppen um spezifische Informationen bemüht.
3.3 Intermittierende Hormonblockade
Prof. Ulf Tunn
Bei der Intermittierenden Androgendeprivation wechseln Zyklen des
Androgenentzuges, die zeitlich fixiert sind, mit therapiefreien Intervallen, die
abhängig sind in ihrer Dauer von dem Verhalten des PSA-Wertes, ab.
Das hat einen tierexperimentell erforschten Hintergrund. Die sogenanntge
Vancouvergruppe konte zeigen, dass die Androgenwiederzufuhr das apoptopische
Potential von den Tumorzellen wieder herstellt, die den primären Androgenentzug
überlebt hatten und deshalb in der Konsequenz zu einer Verlängerung des
Zeitintervalls bis zur Androgenunabhängigkeit geführt hat. Weiter bedeutet das, dass
die Androgenwiederzufuhr die Nebenwirkungen einer kontinuierlichen
Androgendeprivation erniedrigt.
Tunn: Wir haben in einer europäischen Multicenterstudie die iADT gegen die
kontinuierliche ADT überprüft bei Patienten mit einem Relaps nach RPE, die klinisch
keine Anzeichen eines lokalen Rezidivs hatten.
Die IADT v erlängert den Überlebenszeitraum um das 3fache.
Die Pausenlänge ist abhängig von der Anstiegsgeschwindigkeit.
Für welche Patienten ist die IADT geeignet:
die normal reagieren mit einem Nadir kleiner 0,5 einen Monat nach Therapiebeginn.
PSA zwischen 6 und 15 nach RPE oder 10 bis 20 bei Strahlenbehandlung
Therapiert wird 6 bis 9 Monate (Monotherapie zumeist 8 Monate, dann tritt die
Kastrationsapoptose ein),
Testosteron befindet sich etwa nach 2 bis 3 Monaten im Normalbereich
Wann ist ReStart?
Der Restart erfolgt PSA-gesteuert.
nach RPE bei PSA = 3
nach Radiotherapioe bei PSA = 10 und
bei Metastasen bei PSA = 20 ng/ml.
Folge- und Ergänzungsmedikamente seien:
5 alpha Reduktasehemmer wie Proscar oder Avodart
Thalidomid, LHRH (z.B. Enantrone), Bisphosphonate (Zometa)
3.4 Secondary antihormonal therapy
Sartor, Oliver, Boston, USA
von dem Vorrag habeich nur sehr wenige Passagen und die dann auch nur zum Teil
verstanden. Die Entwicklung von Zellen, die Mutationen des Tumor Suppressor Gen
p53 haben, der Verlust von TGF beta-Rezeptoren und die Expression von Peptid
Wachstumsfaktoren (Insulin- like groth factor , keratinocyte growth factor , epidermal
growth factor, Interleukin-6) spielen eine Rolle in der Entwicklung der
Hormonresistenz bei Prostatakarzinomen……..
Freitag 22.09.2006
3.5 Chemoterapie
Prof. Johannes Wolff
Die systemische Chemotherapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms wurde
lange Zeit nur als palliative Behandlung eingesetzt. Die Ergebnisse von Studien bei
HRPC-Patienten unter einer docetaxelhaltigen Therapie dokumentieren deutliche
Überlebenszeitverlängerungen. Die bisherige Standard-Chemotherapie des
metastasierten, hormonrefraktären Prostatakarzinoms war Mitoxantron plus
Prednison. Bei dieser Behandlung konnte ein Überlebensvorteil nicht nachgewiesen
werden.
Es folgten Daten und Fakten zu Studien mit Docetaxel und Docetaxel/Estramustin:
Nach den Ergebnissen scheinen HRPC-Patienten, die mit Docetaxel und Estramustin
therapiert werden, sowohl ein besseres PSA-Ansprechen als auch eine verlängerte
Zeit bis zur Tumorprogression und eine bessere Überlebensrate zu haben.
Wann Chemotherapie:
bei einer Progression mit klinischem Nachweis
bei schnellem PSA-Anstieg, Progression und Karnofski Index über 80
Anzahl der Zyklen:
hier muß die Gefahr der chronischen Toxizität beachtet werden
sie steigt mit Anzahl der Zyklen
empfohlen daher: intermittierend zu therapieren.
Optionen:
Adjuvant
neoadjuvant
Kombination mit Hormonen
Womit:
Docetaxel (Prof. Wolff: „Docetaxel als Monotherapie ist besser“)
oder
Docetaxel mit Mitoxantron
oder
Docetaxel mit Estramustin
oder
Docetaxel + Calcitriol (Vitamin D3)
danach sei Satraplatin eine mögliche Alternative
Wann aufhören mit der Chemotherapie?
wenn allgemeine Verschlechterung eintritt
wenn PSA-Verdopplungszeit kleiner 3 Monate
Die Frage eines Urologen aus dem Auditorium zur Therapie mit
Docetaxel+Estramustinphosphat und einem geringen durchschnittlichen
Überlebensvorteil von nur wenigen Monaten wurde mit kräftigem Beifall begleitet:
„Kann ich meinem Patienten eine solche Behandlung zumuten, die neben erheblichen
Nebenwirkungen und Lebensqualitätverschlechterung und ganz zu schweigen von
den Kosten nur sowenig Lebenszeitgewinn verspricht?“ Nicht nur ich als Gastzuhörer
vermerkte aufmerksam die Antwort: Das ist erst der Anfang, es wird
weiterentwickelt.
3.6 Vakzinetherapie
Dr. Christian Doehn
Es geht um die Zielgruppe HRPCa mit hohem PSA und um die T-Zellen (Tumorspezifischen Immunantwort -Cytotoxische T-Lymphozyten - CTL‘s)
Eine Impfung gegen Tumoren funktioniert im Prinzip ähnlich wie eine Impfung gegen
Krankheitserreger: Der Impfstoff enthält Antigene, die das Immunsystem so
stimulieren, daß die Immunzellen alle diejenigen Zellen attackieren, die solche
Antigene tragen - in diesem Fall eben Tumorzellen. Damit das Immunsystem
Krebszellen als Eindringlinge erkennt, müssen die Antigene Tumor-Proteine sein, die
fast nur auf den jeweiligen Krebszellen vorkommen. Entsprechende Antigene zu
finden und so aufzubereiten, daß sie immunologisch aktiv sind, ist dabei mit das
Hauptproblem.
Das Prostatakarzinom ist vor allem deswegen ein geeignetes Ziel für die
Vakzinetherapie, weil dafür bereits mehrere Antigene bekannt sind, an denen man
therapeutisch ansetzen kann. Am bekanntesten sind das Prostata-spezifische Antigen
(PSA), das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) und die prostatische saure
Phosphatase (PAP). Allerdings handele es sich streng genommen nicht um
tumorspezifische Antigene, so PD Dr. Christian Doehn
Die Vakzinetherapie des Prostatakarzinoms unter Studienbedingungen hat erst in den
letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Erprobt werden Vakzinetherapien derzeit bei
Patienten, die bereits eine primär kurative Therapie (Operation oder Bestrahlung)
hinter sich haben und bei denen ein Rezidiv aufgetreten ist sowie bei
hormonrefraktären Prostatakarzinomen, d.h. bei Patienten mit fortgeschrittenem
Prostatakarzinom und nach Versagen einer antihormonellen Therapie.
Unterschieden wird die Vakzinierung mit ganzen Zellen und die Vakzinierung mit
dendritischen Zellen wie folgt:



Für die Vakzinetherapie mit Tumorantigenen werden körpereigene (autologe)
Tumorzellen eingesetzt. Der Vorteil körpereigener Tumorzellen besteht darin,
daß daraus individuelle Tumorantigene gewonnen werden können. Der
Nachteil: Die Vakzineherstellung ist aufwendig, und es muß dafür genug
Tumormaterial vorhanden sein. (GVAX aus den USA)
Es werden allogene Tumorzellen verwendet. Allogene Tumorzellen sind besser
(billiger!) verfügbar, sie stammen von etablierten Zellinien oder von anderen
Individuen und können im Labor gezüchtet werden. Problem: Dafür fehlt
ihnen vielleicht das für den Therapieerfolg entscheidende individuelle
Antigenprofil. (Onyvax-P, GB)
Bei einer zellulären Immuntherapie werden körpereigene dendritische Zellen
mit Tumor-Antigenen beladen. Der technische Aufwand zur Isolierung der
Zellen aus dem peripheren Blut sei lt. PD. Dr. Doehn jedoch erheblich und
müsse für jeden Patienten individuell erfolgen
Bei allen Tumor-Vakzinierungsstrategien wird in der Regel frisches Tumormaterial mit
dem Ziel der Gewinnung einzelner Tumorzellen aufgearbeitet. Diese Tumorzellen
(Immunogen) werden mit einem Zusatz (Adjuvans) versehen, um deren Antigenität
zu steigern und so zu einer tumorspezifischen Antwort des Immunsystems zu führen.
Gelingt die Immunisierung, sollten tumorspezifische cytotoxische T-Lymphozyten
(CTL‘s) nachweisbar sein
Die Applikation der Vakzine erfolgte
intradermal,
subkutan,
intravenös oder
intratumoral.
Die mittlere Anzahl der verabreichten Vakzinationen liegt zwischen 2 und 9 und die
Applikationsintervalle zwischen einer und 8 Wochen
Derzeit wird die Vakzinierung mit GVAX® von Cell Genesys, USA, in zwei Phase-3Studien allein oder in Kombination mit Docetaxel klinisch getestet. In
vorangegangenen Studien war eine dosisabhängige Antikörperbildung sowie bei
einigen Patienten ein PSA-Abfall um mehr als 50 Prozent beobachtet worden.
Mit der Vakzine Onyvax-P vom britischen Unternehmen Onyvax, einer Kombination
aus drei allogenen Prostata-Ca-Zellinien, kam es in einer Pilotstudie mit 26 Männern
mit hormonrefraktärem Prostata-Ca bei knapp der Hälfte innerhalb eines Jahres zu
einer Tumorregression.
Bei der Vakzinierung mit dendritischen Zellen (Provenge® von dem BiotechnikUnternehmen Dendreon) ist der technische Aufwand zur Isolierung der Zellen aus
dem peripheren Blut erheblich und müsse für jeden Patienten individuell erfolgen,
betont Dr. Doehn. In einer Phase-3-Studie bei 127 Patienten (entweder 3
Vakzinierungen in je zwei-Wochen-Abstand oder Plazebo), die ein metastatisches,
Androgen-unabhängiges Prostatakarzinom hatten, lag das mediane Gesamtüberleben
bei 25,9 Monaten (Plazebo 21,4) und die Dreijahres-Überlebensrate bei 33 Prozent,
mit Placebo waren es nur elf Prozent. Bei dem Verfahren wurden dendritische Zellen
mit prostatisch saurer Phosphatase beladen. Das Nebenwirkungsprofil der ProvengeVakzinetherapie sei als günstig zu bezeichnen, kaum Nebenwirkungen. Beobachtet
wurden in erster Linie Fieber und Schüttelfrost in den ersten Stunden nach
Applikation der Vakzine.
Lt. PD Dr. Doehn bleiben noch viele offene Fragen wie Art und Dosierung der Zellen,
Co-Stimulation, Verabreichung i.D. oder i.V.; Tumorescape (persönliche Anmerkung:
Tumoren besitzen Mechanismen sich der Erkennung und dem Angriff des Immunsystems zu entziehen. Die
Krebszellen selbst können sich einer Immunantwort entziehen, indem sie sich dem Immunsystem nicht als 'fremd'
zu erkennen geben. Aber auch aktiv produzieren Krebszellen Substanzen, die das Immunsystem schwächen.
Beispielsweise wird die Bildung von Dendritischen Zellen verhindert, die für die Erkennung von Krebszellen durch
Immunmonitoring, PSA als klinischer Surrogatparameter
(persönliche Anmerkung: PSA ist organspezifisch, nicht prostatakarzinomspezifisch), dennoch brauche die
Vakzinierung den Vergleich mit der Docetaxeltherapie nicht zu scheuen.
das Immunsystem wesentlich sind),
Meine persönliche Anmerkung: Einen raschen, klinisch nutzbaren Erfolg bei der
Impfstoffentwicklung wird man, so sehe ich das als Medizinlaie, aber nicht erwarten
dürfen. Zu schwierig scheint die gezielte Stimulation des Immunsystems, nur gegen
entartete Zellen vorzugehen und gesunde Zellen und Gewebe unbehelligt zu lassen
Freitag 22.09.2006
4 Was macht das Prostatakarzinom signifikant?
4.1 Welche Rolle spielen biologische Faktoren des Patienten und
des Tumors?
Prof. A. Stenzel, Tübingen
Biologische Faktoren des Tumors und des Patienten sind entscheidende Faktorten für
die Diagnose. 42 Prozent aller Männer haben das Risiko, an ein em Prostatakarzinom
zu erkranken. Ein signifikantes Prostatakarzinom entwickelt sich bei bis zu 9,5
Prozent aller Männer, jedoch nur 3 Prozent versterben daran.
Bedeutende biologische Risikofaktoren beim Patienten sind das Alter, die ethnische
Zugehörigkeit, genetische Faktoren und ausserdem werden Umweltfaktoren,
Ernährung und Adiupositas diskutiert.
Beim Tumor sind die folgenden biologischen Faktoren zu berücksichtigen:
PSA-Wert; Bildgebung; stanzbioptisches präoperatives Ergebnis und die derzeit noch
experimentellen Faktoren wie immunhistochemische Marker oder die Anzahl der
positiven Stanzbiopsien. Nicht zu vernachlässigen sind die psychologischen Faktoren
des Patienten wie Ängste, Wünsche, Nebenwirkungen, Familien- bzw.
Beziehungssituation.
Es wurden in Tübingen entwickelte Leitlinienempfehlungen vorgestellt.
Im Internet aufrufbar unter: www.tumorzentrum-tuebingen.de/pdfinhal/prostata.pdf
4.2 Gibt es ein insignifikantes Karzinom in der Peripherie?
Prof. Helpap, Singen
Ein Pca mit max. 1ml Tumorvolumen wurde viele Jahre als insignifikantes
Prostatakarzinom bezeichnet. Bei Verstorbenen ab 70 hatte fast jeder Zweite solch
ein kleines Prostatakarzinom, das zu Lebzeiten des Patienten weder Symptome
aufwies und auch nicht behandelt wurde. Hackethal bezeichnete es als Haustierkrebs
und prangerte an,dass viel zu viele Patienten mit einem solchen Haustierkrebs durch
Operation oder Hormone behandelt würden.
Heute wird ein insignifikantes Pca wie folgt klassifiziert: Gleasonscore <6;
Tumorbefall nur in einer Stanze, Tumoranteil < 1mm, keine Kaspelpenetration d.h.
organbegrenzt, niedriges PSA, PSA-Dichte < 0,15cmm³
Kritik:
Ein sehr niedriger PSA oder ein gar nicht erhöhter PSA-Wert muss nicht für ein
insignifikantes Prostatakarzinom sprechen.
Die Übereinstimmung des Gleasonscore zwischen Stanzbiopsie und RP liegt etwa bei
35 bis 45 Prozent. Häufig erfolgt ein Undergrading.
Es gibt keine sichere Aussage über die Gesamttumorgröße aus nur 1mm Tumorbefall
in einer von 6 oder 12 Stanzen.
Ob ein Tumor auch biologisch insignifikant bleibt z.B. DANN-zytometrisch periploid,
kann mit den derzeitigen molekular-pathologischen Methoden nicht vorausgesagt
werden.
Die Frage von Patienten mit einem „nur“ möglicherweise insignifikanten peripheren
Prostatakarzinom: „Herr Doktor, muß ich ich behandelt werden oder brauche ich
nicht behandelt werden?“ kann lt. Prof. Helpap derzeit mit der notwendigen
Sicherheit nicht beantwortet werden. Dem Patienten wird die Last, ein Karzinom
täglich mit sich herumzutragen, auch wenn es anfänglich noch „schläft“, nicht durch
Abwarten genommen werden.
Fazit: Das insignifikante (latente) Prostatakarzinom in der Peripherie ist eher selten
Freitag 22.09.2006
4.3 Helfen uns neue molekularbiologische Marker bei der
Prognosefindung?
Dr. Schlomm (anstelle von Graefen, Hamburg)
In den USA werden in 2006 rund 240.000 Neuerkrankungen bei Prostatakrebs und
etwa 24.000 Prostatakrebs Sterbefälle zu erwarten sein.
Hatte bei den Neuerkrankten vor 7 bis 8 Jahren noch jeder Vierte ein T4 Karzinom
sind es heute nur noch 15 Prozent. Das trifft heute nicht mehr zu.
Jedoch: PSA-Anstieg wird immer noch gleichbedeutend zu TOD gesetzt, aber nur
20% der Erkrankten sterben an einem Rezidiv. Allerdings sei der absolute PSA-Wert
nicht verläßlich, allenfalls PSA-DT und PSA-V. Es besteht also eine unzureichende
Einschätzbarkeit bezügl. des natürlichen Krankheitsverlaufes. Denn der Tumor wird
erst entdeckt, wenn der Patient ihn „zu spüren bekommt“. Dr.Schlomm: „Einen
insignifikanten Pca gibt es eigentlich nicht!“
Das Gleason-Grading ist bisher der stärkste Faktor für eine Vorhersage. Und man
weiß, so dfer Referent, dass reine Gleason 3 Muster immer einen sehr günstigen
Krankheitsverlauf zeigen würden, erst mit Gleason 4 Anteilen ändere sich die
Aggressivität des Tumors. Dier spannenden Fragen seien : Reifen Gleason3 Tumore
zu Gleason 4 oder 5 Tumoren aus? Helfen neue molekularbiologische Marker bei der
Prognosefindung?
Das Ziel molekularer Marker ist es, das biologische Verhalten eines Tumors
vorherzusagen, und zwar dort, wo die biologischen Prozesse einer Zelle gesteuert
werden. Der Referent nannte Hemmstoffe der Signaltransduktion ,
Endothelinrezeptorantagonisten sowie Inhibitoren von Angiogenese und
Matrixmetalloproteinasen.
Das Ziel sei, so Dr. Schlomm, vor der Therapie zu wissen und zu bestimmen, welche
Therapie die beste für den individuellen Patienten ist
Kritik von Dr. Schlomm
Teils werden in Studien immunhistologisch nicht stabile Materialen verwendet (keine
stabilen Proteine), deren Egebnisse prognostisch nicht verwertbar sind. Prof. Helpap
ergänzt: Eine Stunde nach Entnahme verwertbar, danach nicht mehr.
Freitag 22.09.2006
4.4 Wann sofortige Therapie, wann active surveillance?
Prof. Schmitz-Dräger
Unterscheide:
Watchful Waiting bei nur geringer Gefahr
active surveillance als verzögerte Therapie.
Im Volumen des Tumors mit Gleason 6 seien Tumore „versteckt“, die aggressiv seien
aber nur als „promille“-Veranstaltung zu betrachten seien. Prof. Schmitz-Dräger: „Bei
einem Tumor mit Gleason 2 bis 5 stirbt kaum ein Mann an einem Prostatakarzinom.“
Eine aktive Überwachung der Patienten mit regelmäßigen Biopsien könnte beim
Prostatafrühkarzinom eine Übertherapie vermeiden, ohne die Überlebenschancen der
Patienten zu schmälern. Eine frühzeitige radikale Prostatektomie, die immer eine
Belastung darstelle und gelegentlich zu irreversiblen Komplikationen wie Impotenz
oder Inkontinenz führt, sei deshalb umstritten. Patienten verlören an Lebensqualität,
ohne dass sie dafür einen sicheren Vorteil erhielten. Denn das langsame Wachstum
des Prostatakarzinoms hat zur Folge, dass viele der zumeist älteren Patienten
ohnehin die fortgeschrittenen Stadien der Tumoren nicht mehr „erleben“ würden,
weil sie vorher an anderen Ursachen sterben
Die Zeit, in der der Tumor kurabel ist, erstreckt sich auf ein Zeitfenster von mehreren
Jahren. Dadurch wäre es möglich, die potentielle Morbidität der kurativen Verfahren
hinauszuzögern, ohne das krankheitsspezifische Überleben zu verkürzen. Die
Herausforderung für den betreuenden Urologen läge nun darin, das Zeitfenster der
Kurabilität nicht zu verpassen. Ein Patient mit einem PCa-Stadium T1c, einem
Gleasonscore 6 und einem PSA-Wert 5 ng/ml habe laut Kattan-Nomogramm eine 95
%-ige Chance, und beim doppelten PSA-Wert 10 ng/ml eine 90 %-ige Chance, durch
eine Prostatektomie geheilt zu werden. Dazwischen liegen möglicherweise einige
Jahre, die ohne Belastung durch Operation bzw. Bestrahlung erlebt werden können.
Für wen ist active surveillance eine Option:
PSA < 10
Gleason-Score < 7
T1c - T2a Tumore
bei Biopsie weniger als 3 Stanzen mit weniger als 50% Tumoranteilen
PSA-DT > 3 Jahre
Es seien allerdings noch viele Fragen offen z.B. zur Neigung bzgl. einer
Fernmetastasierung oder einer lokalen Progression des Tumors oder nach
zwischenzeitlichen PSA-Anstiegen.
5 Gesagt ist gesagt:
Prof. Wieland zur Frage, wie er einem „sehr“ ländlichen Patienten die Bedeutung von
Impotenz im Zusammenhang mit der Prostataentfernung erläutere: Ich sage ihm
„Lieber ein gesunder Ochs’ als ein toter Stier!“
Prof. Gasser: Wir müssen uns fragen, ob jeder Patient das Maximum an Therapie
erhalten soll und ob wir uns das in Zukunft noch leisten können.
© Bielefeld, 02. Oktober 2006
Wolfhard D. Frost
PSA-Selbsthilfegruppe Prostatakrebs Bielefeld
58_dgu-notizen.doc
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