AMGEN.Press.Academy Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie Allgemeines Krankenhaus – Medizinische Universität Wien Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie? Was sind Biologika? Die Gruppe der Biologika ist eine relativ neue Medikamentenklasse. Dabei handelt es sich um pharmazeutische Produkte, die auf biotechnologischem Weg hergestellt werden, also unter Zuhilfenahme lebender Zellen: Zumeist handelt es sich dabei um Mikroorganismen, aber auch Kulturen von Säugetierzellen kommen zum Einsatz. Die so gewonnenen Wirkstoffe können körpereigenen Molekülen entsprechen oder auch völlig neue Substanzen sein. Eine lange Geschichte Die Biotechnologie gehört zu den ältesten Technologien, die die Menschheit entwickelt hat. Schon seit Jahrtausenden nutzen Menschen Mikroorganismen für die Herstellung von Produkten wie Bier, Brot, Käse, Joghurt oder Wein – bei allen handelt es sich um biotechnologisch hergestellte Produkte. In der Entwicklung von Arzneimitteln jedoch hat die Biotechnologie erst vor relativ kurzer Zeit Einzug gehalten und ist dabei, die Medizin zu revolutionieren. Sie eröffnet völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie: Die Forschung geht heute zunehmend daran, die molekularen Grundlagen von Krankheiten zu analysieren. Durch das so gewonnene Wissen können Angriffspunkte identifiziert werden, die neue Therapiestrategien eröffnen. Dank der Möglichkeiten der modernen Biotechnologie können nun – basierend auf diesen Erkenntnissen – Wirkstoffe produziert werden, die diese Angriffspunkte („Targets“) genau anvisieren und somit zielgerichtet ins Krankheitsgeschehen eingreifen. Für die Patienten bedeutet dies eine Therapie, die direkt am Zielort angreift. Biotechnologisch hergestellte Medikamente, Biologika, machen zur Zeit „nur“ rund ein Fünftel aller Arzneimittel bezogen auf Umsatzzahlen aus. Der Sektor der Biologika bringt jedoch die meisten Medikamenten-Innovationen hervor. Wozu Biologika? Zum einen wird die Produktion zahlreicher wichtiger Therapeutika in ausreichender Menge und Qualität erst durch den Einsatz der Biotechnologie möglich. Das Musterbeispiel ist Insulin: Aus tierischen Quellen könnte der Bedarf nicht gedeckt werden, dem Körper würde ein Fremdprotein zugeführt werden und Verunreinigungen wären möglich. Oder Erythropoietin: Für die Behandlung eines einzigen Dialyse-Patienten bräuchte man 1,6 Millionen Liter menschlichen Urins pro Jahr, um es daraus zu isolieren. Zum anderen eröffnen Biologika, wie schon oben beschrieben, völlig neue therapeutische Ansätze. Erstens erweitern sie das Spektrum von Angriffspunkten für Arzneimittel. Diese neuen Targets können Signalmoleküle, deren Rezeptor oder jeder andere Rezeptor sein, z.B. Ionenkanäle, Hormone oder Enzyme – daher auch die Bezeichnung „Targeted Therapies“. Die Anzahl sinnvoller Targets wird derzeit auf rund 8.000 geschätzt. Amgen.Press.Academy. “Update:Biologika” Aus der Forschung in die Klinik 8. Februar 2010, Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt „Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie?“ 1 AMGEN.Press.Academy Zweitens sind Biologika hochspezifische Stoffwechselmodulatoren. Sie wirken ganz gezielt auf Zellen und Mediatorsysteme ein, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, zum Beispiel indem spezifische Rezeptoren für Wachstumsfaktoren auf Tumorzellen blockiert werden oder indem der Entzündungsmediator TNF-alpha gehemmt und damit der zentrale Mechanismus bei Autoimmunkrankheiten abgeschwächt wird. Was Biologika ausmacht Während klassische synthetische Wirkstoffe im Wesentlichen aus relativ simplen organischen Verbindungen mit nur einigen Molekülgruppen bestehen und daher in ihrer Struktur recht stabil sind, bestehen die meisten biotechnologisch hergestellten Wirkstoffe (therapeutische Proteine) zumeist aus Dutzenden bis zu Hunderten von Aminosäuren, die zu einer sehr komplexen räumlichen Struktur aufgefaltet sind. Diese Struktur basiert auf den vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den Aminosäuren und reagiert dementsprechend empfindlich auf Veränderungen ihrer Umwelt. Schon kleinste Änderungen der umgebenden Lösung (z. B. der Temperatur oder des pH-Wertes) können diese Struktur – und damit die Wirksamkeit als Medikament – zerstören. Darüber hinaus müssen bei der Herstellung therapeutischer Proteine die Aminosäureketten dazu gebracht werden, sich zu einer ganz bestimmten räumlichen Struktur aufzufalten. Denn nur dann kann das Medikament wie ein Schlüssel im Schloss die Zielstruktur angreifen und therapeutisch wirksam werden. Will man also zum Beispiel therapeutische Proteine herstellen, die spezielle Rezeptoren an der Zelloberfläche einer Tumorzelle besetzen und somit blockieren sollen, müssen diese exakt auf den anvisierten Rezeptor-Typ zugeschnitten sein. Das heißt, die Aminosäureketten müssen räumlich exakt so aufgefaltet sein, dass sie sich wie ein Schlüssel ins Schloss in die räumliche Struktur des Targets einfügen. Schon der Austausch oder die räumliche Fehlstellung einer einzigen Aminosäure eines therapeutischen Proteins wie z. B. eines Antikörpers würde dessen Funktion verändern. Im Reagenzglas ist dies nicht zu bewerkstelligen. Bei der natürlichen Proteinsynthese hingegen, also der Produktion von Eiweißmolekülen in der lebenden Zelle, sorgen verschiedene Enzyme für die korrekte Faltung. Dieser komplexe Prozess kann bislang chemisch nicht nachgestaltet werden. Daher nimmt man zur Produktion von therapeutischen Proteinen den Umweg über die lebende Zelle: Man nutzt Mirkoorganismen, tierische oder pflanzliche Zellen, deren Erbsubstanz, die DNA, zuvor dementsprechend manipuliert wurde, zur Erzeugung exakt jener Proteine, die man benötigt. Das ist das Prinzip der Biotechnolgie. Kurz gesagt: Mittels Biotechnologie „zwingt“ man lebende Zellen, genau jene Proteine herzustellen, die man zu therapeutischen Zwecken benötigt. Chemische „synthetische“ Medikamente/Therapeutika Biologika Chemische Synthese „im Reagenzglas“ Biosynthese durch lebende Zellen (Bakterien oder tierische Zell-Linien) Produktion mit meist klassischen chemischen/biochemischen Methoden Komplexer und komplizierter Herstellungsprozess, eigens angepasst und optimiert für jeden Wirkstoff Eher kleine Moleküle mit relativ einfacher Struktur Sehr große Biomoleküle mit hochkomplexer Struktur, meist Proteine Entdeckung neuer Therapeutika meist nach dem Trial-and-Error-Prinzip Entwicklung neuer Therapeutika von Anfang an gezielt nach dem Rational-Drug-DesignPrinzip: Identifizierung des Targets aufgrund detaillierter Analyse der Pathogenese – Validierung – Wirkstoff Amgen.Press.Academy. “Update:Biologika” Aus der Forschung in die Klinik 8. Februar 2010, Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt „Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie?“ 2 AMGEN.Press.Academy Von Chemotherapeutika können identische Kopien hergestellt werden (Generika) Exakte Kopien sind bei großen, hochkomplexen Molekülen praktisch unmöglich (Biosimilars) Immunreaktion selten Immunogene Effekte möglich Wechselwirkung mit anderen Arzneimitteln Wechselwirkungen selten Einsatzgebiete der Biologika Bisher hat die Biotechnologie rund 200 therapeutische Wirkstoffe hervorgebracht, in Österreich sind rund 150 Präparate zugelassen. Es handelt sich dabei um monoklonale Antikörper, verschiedene andere therapeutische Proteine, Impfstoffe oder Blutprodukte. Sie haben die Behandlungsoptionen bei verschiedenen Krebserkrankungen, Aids, Allergien, Bluterkrankheit oder Asthma entscheidend verbessert und kommen auch bei rheumatoider Arthritis und Psoriasis erfolgreich zum Einsatz. Monoklonale Antikörper werden meist durch Immunisierung von Mäusen hergestellt. Dann werden sie biotechnologisch modifiziert, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden. Gewisse immunogene Teile des Antikörpers werden durch Human-DNA ersetzt, wobei je nach Ausmaß der Veränderungen chimärisierte oder humanisierte Antikörper entstehen. Therapeutische Proteine, die den körpereigenen entsprechen, werden als „Humanproteine“ bezeichnet. Bei Botenstoffen oder Wachstumsfaktoren handelt es sich häufig um Humanproteine. „Fusionsproteine“ enthalten Teile verschiedener Proteine. Sie werden aus neu zusammengesetzten Genen gebildet. Heute stellen Arzneimittel aus biotechnologischer Produktion rund 20 Prozent des Medikamentenumsatzes dar. In den USA befinden sich an die 420 Biologika in Entwicklung. Viele klinische Studien werden mit Biotech-Medikamenten durchgeführt. Im experimentellen Stadium befinden sich Biologika für weitere Einsatzbereiche wie Gentherapie oder Stammzelltherapie. Am Horizont stehen schließlich auch personalisierte Therapien, bei denen Gene der Patienten als Vorlage für das Therapeutikum dienen. Der Herstellungsprozess Biologika entstehen in einem hochkomplexen biotechnologischen Prozess unter Einbindung von Genetik, Molekularbiologie, Mikrobiologie und Verfahrenstechnik, der für jeden Wirkstoff adaptiert und optimiert wird und damit einzigartig ist. Der Prozess von Isolation und eventuellen Modifikationen des Wirkstoffgens bis zum fertigen Therapeutikum besteht aus sehr vielen Schritten, von denen die allermeisten wieder höchst variabel sind und den jeweiligen Anforderungen entsprechend angepasst werden müssen. Was unter Laborbedingungen noch recht einfach zu bewerkstelligen ist, wird im industriellem Maßstab (Scale-Up Prozess) zu einer komplexen technischen Herausforderung. Dabei spielen Expertise und Erfahrung bei Herstellern eine enorme Rolle. Die Herstellung von Biologika hat sich zu einer wissenschaftlichen Disziplin entwickelt, die sich in folgende Schritte zusammenfassen lässt: Entwicklung der Master-Zellbank, Zellkultivierung und Proteinproduktion (Fermentierung), Isolierung und Reinigung der Proteine aus den Zellen sowie Aufbereitung des Medikamentes zur Verabreichung. Am Anfang steht das Gen, oder die Gene oder die Modifizierung der Gene – also die Gentechnik. Eine zentrale Rolle spielt dabei die rekombinante DNA-Technologie beziehungsweise unter der Bezeichnung Genetic Engineering bekannte Techniken. Gene oder Genabschnitte werden aus dem Genom mit Restriktionsenzymen herausgeschnitten, um in Bakterien oder in anderen Zellen, die das entsprechende Protein produzieren sollen, Amgen.Press.Academy. “Update:Biologika” Aus der Forschung in die Klinik 8. Februar 2010, Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt „Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie?“ 3 AMGEN.Press.Academy gebracht zu werden. Das geschieht üblicherweise mit Hilfe von Vektoren wie Plasmiden oder Viren. „Transformation“ wird dieser Vorgang bei Bakterien genannt, bei Zellkulturzellen ist auch der Begriff „Transfektion“ gebräuchlich. Eines bleibt gleich: Die Zellen tragen nun neu kombinierte, „rekombinante“ DNA in sich, deren Produkte als rekombinante Proteine bezeichnet werden. Grundsätzlich kommen auch andere Zellen als Wirtszellen in Frage – Hefen, Insekten oder Pflanzenzellen – dabei sind allerdings noch viele Fragen offen. In der Praxis werden große, komplexe Moleküle vor allem in tierischen Zell-Linien produziert, kleinere und einfachere Moleküle in Bakterien. Für monoklonale Antikörper zum Beispiel werden vorwiegend Hamsterzellen verwendet, genauer gesagt Zell-Linien aus dem Ovar. Die Bezeichnung CHO-Zellen leitet sich von Chinese Hamster Ovary Cells her. Auch die Zell-Line NS 0 („NS zero“, „nonsecreting cells“ – bezieht sich auf deren eigene Antikörper) wird verwendet. Beide Zell-Linien sind als GRAS klassifiziert, was so viel heißt wie „generally regarded as safe“. Bei den Bakterien kommt vor allem das „Haustier der Mikrobiologen“, E. coli, zum Einsatz. Von den nun transgenen Bakterien oder Zellkulturzellen werden zwei „Banken“ mit zahlreichen Proben angelegt und in flüssigem Stickstoff tiefgefroren. Die Master-Zellbank als eiserne Reserve und die Arbeitszellbank, von der Material zur Inokulation der bis zu 20.000 Liter enthaltenden Produktionsfermenter entnommen wird. Herstellung – Fermentation und Reinigung Von der Master-Zellbank bis in den 20.000 Liter-Bioreaktor ist es ein weiter Weg. Die Probe aus der Zellbank muss über mehrere Zwischenstufen geführt werden, bei denen das Volumen sukzessive erhöht wird. Abgesehen davon, dass die Zusammensetzung der Nährmedien eine Wissenschaft für sich ist, können minimale Abweichungen in Temperatur, Sauerstoff/Kohlendioxid-Verhältnis, pH-Wert und zahlreichen anderen Parametern die Kulturbedingungen und somit das Endprodukt verändern. Außerdem muss die gesamte Produktion unter aseptischen Bedingungen ablaufen. Aus dem Gemisch von Zellen, Zellbestandteilen, Nährmedium und Abbauprodukten muss der Wirkstoff unter Erhaltung der biologischen Aktivität und Vermeidung jeder Kontamination nun extrahiert und gereinigt werden. Zu den fixen Stationen gehören Zentrifugationsschritte zur Absonderung von Zellbestandteilen. Für die Anreicherung und Reinigung des Produkts spielen Chromatografie-Techniken eine große Rolle. Resumé Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel sind als „Biologika“ oder „Biologicals“ bekannt. Der Name wird abgeleitet vom Herstellungsprozess: Die moderne Biotechnologie hat ermöglicht, dass große Moleküle wie Hormone, Antikörper, Gerinnungsfaktoren und andere Eiweißkörper durch Zellen synthetisiert werden, in die zuvor die gewünschte Erbsubstanz eingebracht wurde. Diese Übertragung mit Neukombination der genetischen Information führt so zur Bildung von definierten Zellprodukten, die als „rekombinant“ bezeichnet werden. Da der Vorgang der körpereigenen Produktion entspricht, kann ein biologischer Syntheseweg nachgeahmt werden. Aufgrund der vergleichbaren Größe und Struktur der Moleküle sind rekombinante Wirkstoffe den körpereigenen Produkten sehr ähnlich. Bei angeborenem Mangel von Eiweißstoffen ist eine Substitution dadurch einfach und sicher möglich, wie die jahrelange Erfahrung mit Insulin bei Zuckerkrankheit oder Gerinnungsfaktoren bei Hämophilie (Bluterkrankheit) zeigt. Neue therapeutische Angriffspunkte in der Medizin sind durch die Programmierung von Antikörpern entstanden, die gezielt gegen überschießende Entzündungsaktivität, Rezeptoren, oder andere Bestandteile der Zellen gerichtet sein können. Amgen.Press.Academy. “Update:Biologika” Aus der Forschung in die Klinik 8. Februar 2010, Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt „Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie?“ 4 AMGEN.Press.Academy Biologika bieten derzeit noch nicht die Möglichkeit einer tatsächlich personalisierten Therapie, also für eine einzelne Person die individuelle Therapie zuzuschneidern. Es kann aber bereits für spezifische Krankheitsprozesse eine Therapie nach Maß gestaltet werden. Zum Beispiel statt hochdosiertem Kortison ein Medikament, das genau in den krankheitsbildenden Immunprozess bei Darmentzündungen oder Gelenksentzündungen eingreift. Mögliche Nebenwirkungen dieser „Therapie nach Maß“ betreffen Immunreaktionen, falls der Körper ein Eiweiß als körperfremd erkennt. Die Reaktionen können von Inaktivierung des zugeführten Moleküls bis zu seltenen allergischen Zwischenfällen reichen. Dieses Reaktionsmuster wird von Produktfaktoren und Patientenfaktoren beeinflusst. Weiters ist bei der Entwicklung der Medikamente zu berücksichtigen, dass Ergebnisse aus Testreihen an isolierten Zellen, Organen oder Tierdaten nicht unbedingt unverändert übertragbar für die Anwendung beim Menschen sein müssen. Kontakt für Journalisten-Rückfragen Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie AKH Wien und Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18-20 1090 Wien : +43/01/40 400-2981 E-Mail: [email protected] Amgen.Press.Academy. “Update:Biologika” Aus der Forschung in die Klinik 8. Februar 2010, Univ.-Prof. Dr. Michael Wolzt „Biologika – Was sind sie? Was können Sie? Wie wirken Sie?“ 5