1. Häufigkeit akuter Vergiftungen

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Autoren: M. Freissmuth/C. Nanoff
Akute Intoxikation
1. Häufigkeit akuter Vergiftungen
Vergiftungen sind häufige Ursachen für akute (potentiell lebensbedrohliche) Situationen:
bei ca. 30% der Patienten, die im komatösen Zustand (=bewusstlos) in einem Spital
(=typischerweise in der Notfallaufnahme = emergency room) aufgenommen werden, liegt
eine Vergiftung vor.
Vergiftungsursachen bei akuten Intoxikationen:
häufig:
- Pharmaka (inkl. Drogen) (>50%): Dies umfasst vor allem Analgetika: Acetylsalicylsäure
und Paracetamol; Schlafmittel; Antidepressiva & „mood stabilizer“ (z.B. Carbamazepin)
- CO (>20%)
- Alkohol
- Haushaltschemikalien
weit abgeschlagen andere Ursachen:
landwirtschaftliche (Pestizide) und gewerbliche Chemikalien, Pilze, Pflanzen, Tiere
Vergiftungshergang:
Es ist notwendig, den Vergiftungshergang zu rekonstruieren – nicht nur aus forensischen
(=gerichtlich relevanten) Gründen, sondern weil man das Ausmaß und die voraussichtliche
Gefährlichkeit der Vergiftung abschätzen will.
Daher:
7 Fragen des Kriminalisten: Wer, was, wo, womit, wann, wieviel, warum?
gezielt fragen, vor allem am Telefon (trotz allgemeiner Aufregung)
ad Frage Womit?: Material für nachträgliche (gerichstmedizinische-chemische) Untersuchung
gewinnen = bei sschweren Vergiftungen, bei Verdacht auf kriminelle Handlung etc. ist es
sinnvoll, die klinische Diagnose durch den Giftachweis zu sichern (=asservieren; Asservat =
Material, das zur die chemisch-gerichtsmedizinische = chemisch-forensische Untersuchung
eingeschickt wird; Asservat inkludiert Erbrochenes, Stuhl, Urin, Tablettenreste,
Medikamentenpackungen....)
ad Frage- Wann?: Viele Vergiftungen haben eine ausgesprochen lange Latenzphase; z.B.
braucht es bis zu mehr als 24 Stunden, bevor der Leberschaden nach Vergiftung mit
Paracetamol, Knollenblätterpilzen (und anderen „Lebergiften“) klinisch (und laborchemisch)
fassbar wird.
ad Frage- Wieviel?: Typischerweise werden Angabe mit Trivialmaßen gemacht, aus denen
die Menge geschätzt werden muss.
Mengenangabe:
1 Tropfen
ca. 0.05 ml = 50 µl (20 Tropfen = 1 ml)
1 Kaffeelöffel
ca. 5 ml
1 Kinderlöffel
ca. 10 ml
1 Eßlöffel
ca. 15 ml
1 Tasse
100-150 ml
1 Wasserglas
200 ml
1 Bierglas
300-500ml
1 Schluck
0.3-1 ml/kg
ad Frage- Warum?:
a) akzidentell:
(typisch = Verwechslung durch Aufbewahrung in falschen Behältern; z.B. Nitroverdünnung etc. in
Bierflaschen)
b) suizidal: (fremd)anamnestische Frage nach typischen Verhaltensauffälligkeiten beim
Verdacht auf Suizid („präsuizidales Syndrom“, s. Psychiatrie)  denn cave Sequenz:
überstandene Vergiftung  mangelnde psychiatrische Betreuung der betroffenen Person 
(„erfolgreicher“) zweiter Versuch
c) homizidal = Mord
NB.:
-viele typische Gifte, z.B. Kaliumcyanid = KCN= Zyankali oder Blausäure HCN sind nicht
leicht erhältlich; aber es gibt illegale Methoden an Gifte heranzukommen
-bei potentiell tauglichen Giften, die leicht erhältlich sind, sind Warnfarben zugemischt – z.B.
Rodentizide (=Ratten-/Mäusegift enthalten Coumarine = als Vitamin-K-Antagonisten)
enthalten eine rote Warnfarbe (=rote Körner), um die Beimengung zum Essen etc. zu
erschweren.
Besondere Situation bei Kindern:
Bei Kindern wird das Ausmaß der Giftaufnahme meist überschätzt – daher Rekonstruktion
(„Sind die fehlenden Tabletten nicht vielleicht doch in den Parkettritzen etc.?“)
Dank Aufklärung (und Kindersicherung bei Arzneimittelpackungen) sind Vergiftungen bei
Kindern zurückgegangen; dennoch sind sie nach wie vor eine häufige Todesursache bei
Kleinkindern.
kleinere Kinder (die die Wohnung erkunden): Haushaltschemikalien
größere Kinder (die die bereits Erwachsene nachahmen): Arzneimittel
Jugendliche: Drogen & Drogenersatzstoffe
2. Soforttherapie bei akuten Vergiftungen:
A) Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen:
B) Maßnahmen zur Verhütung weiterer Resorption
= primäre Detoxifikation
C) Maßnahmen zur Beschleunigung der Giftelimination
=sekundäre Detoxifikation
D) allgemeine Intensivtherapie
Am wichtigsten ist die Erhaltung der Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf)- solange dies
nicht gesichert werden kann (personeller Aufwand), sind weitere Maßnahmen nicht
sinnvoll
[pointiert formuliert: Magensonde gesetzt, Patient in der Atemlähmung verstorben]
ad A) Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen: s. Erste Hilfe:
Atmet die/der Patient/in? Hat sie/er einen tastbaren Puls ? Wie hoch ist der Blutdruck? Hat
sie/er aspiriert (= entfernen, absaugen)?...
(i) Atmung: O2-Gabe; Beatmung mit Maske bzw. Intubation; eventuell Coniotomie
(ii) Kreislaufstillstand: Adrenalin – Vorsicht die Suprarenin-Ampulle enthält 1 mg
Adrenalin in 1 ml – DAS DARF NICHT AUF EINEN SITZ INTRAVENÖS GEGEBEN
WERDEN
sondern dient ausschließlich zur s.c. Injektion (i.m. tut sehr weh) – typischerweise Gabe vom
0.5 mg s.c. (=0.5 ml)
Wenn INTRAVENÖSE Gabe notwendig, dann Ampulle 1:10 in 0.9% NaCl-Lösung
VERDÜNNEN (1 ml Adrenalin/Suprarenin + 9 ml Kochsalzlösung):
MAXIMAL 1 ml LANGSAM INTRAVENÖSE SPRITZEN (das sind 0.1 mg und langsam ist
langsam).
Die Plasmahalbwertszeit von Adrenalin beträgt 3 min - daher ist eine wiederholte Injektion in
kurzen Abständen möglich.
(iii) Kammerflimmern – Defibrillator
(iv) Krämpfe: Diazepam 10 mg langsam i.v. (wenn kein venöser Zugang möglich auch i.m.) –
maximal 2* wiederholen (30 mg insgesamt innerhalb einer Stunde)
Kinder: 2 mg/10 kg
ad B) Primäre Detoxifikation:
[Magenentleerung, Darmentleerung, Verdünnung, Entgiftung vor der Resorption durch
Bindung bzw. Bildung unlöslicher Komplexe]
1. Magenentleerung: provoziertes Erbrechen, Magenspülung
1.1. provoziertes Erbrechen:
 Indikation:
- Gifteinnahme liegt nicht lange (<1 h) zurück und
- Ingestion einer potentiell toxischen Dosis
Aber: meist erbricht der Patient und das kann die Problematik verschärfen – z.B.
Aspiration von Schaum bei Seifenlösungen,
Aspiration von organischen Lösungsmitteln (die auf Grund ihrer niedrigen
Oberflächenspannung besonders gut auch über den Larynx in die Trachea rinnen),
Wiederverätzung bei Säuren und Lösungen von Metallsalzen;
weitere Verseifung bei Laugen
 in diesen Situationen daher den Kopf des Patienten lange nach unten halten (und
vorzeitiges Wiederaufrichten verhindern.
 Voraussetzung für induziertes Erbrechen:
ansprechbarer Patient
flüssigkeitsgefüllter Magen für produktives Erbrechen (vorher warmes Wasser trinken
lassen)
 Vorteil von (induziertem) Erbrechen:
Sofortmaßnahme, die auch von Laien gesetzt/unterstützt werden kann (bei Fehlen der
Kontraindikationen, s. unten)
Erbrechen entleert nicht nur den Magen sondern auch den Zwölffingerdarm (wie man am
gallig-bitteren Nachgeschmack aus eigener Anschauung weiß)
Es werden auch größere Brocken (z.B. Pflanzen, Tablettenklumpen, Minibatterien ...)
entfernt, die im Magenschlauch nicht erscheinen können.
 Kontraindikationen:
Bewußtseinstrübung/-losigkeit,
Kreislaufversagen (=Schock),
Krämpfe
Vergiftungen mit besonderer Aspirationsgefahr (Schaum, organische Lösungsmittel),
ätzende Substanzen (s. oben).
Wie kann man Erbrechen auslösen?
 mechanische Reizung der Rachenhinterwand:
Vorteil:
Laienhilfe
Nachteil:
unverlässlich
 Ipecacuanha-Sirup: (Erbrechen bei 90% in 20-30 min) evtl. nochmalige Gabe, wenn
erfolglos Magenspülung
Vorteil:
leicht ambulant durchzuführen.
Nachteil:
relativ lange Latenzzeit bis Erbrechen eintritt
kardiotoxisch (= Hemmung von Na+-Kanälen EKG: QT, T negativ);
Ki: Kinder unter 9 Monate.
Dosierung: bis 1.5a...30 mg; bis 5a...45 mg; ab 6a...90 mg (=ist auf der Flasche angegeben)
heute weitgehend verlassen (=obsolet):
 [Apomorphin: 0.1 mg/kg (+ 0.1 mg/kg Norfenefrin) i.m.; nach 3-5 min Erbrechen bei 80-90% der
Patienten
Vorteil: rasch und zuverlässig, auch bei Kindern ab 2a.
Nachteil: Blutdruckabfall und Tachykardie durch Vasodilatation (daher Zugabe des Rezeptoragonisten Norfenefrin)
unstillbares Erbrechen (= minutenlanges Erbrechen - gehemmt durch Opiatantagonisten Naloxon
oder D1/D2-Rezeptorantagonisten Haloperidol)
Daher wird Apomorphin heute bei induziertem Erbrechen als weitgehend obsolet betrachtet
NB.: Apomorphin enteht durch Kochen von Morphin in 6 N HCl im Vakuum; Apomorphin ist ein guter Agonist
an Dopaminrezeptoren der D1- und D2-Gruppe, hat aber keine relevante Affinität zu Opiatrezeptoren;
dennoch kann Apomorphin eine Hemmung der Atmung auslösen (diese ist auch durch Naloxon oder
Haloperidol aufhebbar; Interpretation: Dopaminerg  opioiderg  Atemdepression). Apomorphin wird
auch als Potenzmittel vermarktet (Dopaminrezeptorstimulation im Nucleus accumbens = Belohnung)
 Gabe warmer Kochsalzlösung (1-2 Gläser mit 1-2 EL Salz)
Nachteil: Gefahr der Kochsalzintoxikation (Hyperpyrexie, Hyperventilation, Alkalose,
Blutdruckanstieg, Krämpfe); daher wenn Kochsalz und kein Erbrechen – dann auf jeden Fall
rasche Magenspülung notwendig
besonders gefährlich bei Kindern, weil klein = Dosierungsproblem – dort kontraindiziert]
1.2 Magenspülung:
 Indikation:
- potentiell lebensbedrohliche Vergiftung und
- früher Zeitpunkt nach Vergiftung (<1-2 Stunden)
- bzw. nicht abgeschlossene Resorption (z.B. klassische (=trizyklische) Antidepressiva blockieren muskarinische Acetylcholinrezeptoren  daher kommt es rasch zu einer Darmatonie und Abnahme der Sekretion 
daher finden sich auch viele Stunden nach der Einnahme unaufgelöste Tablettenklumpen im Magen; außerdem:
Darmdurchblutung bei Koma)
-Bewusstlosigkeit bzw. wenn Erbrechen nicht auslösbar
2 Möglichkeiten:
 initiale Magenspülung: Durchführung
1. sicherer venöser Zugang
2. Sicherung der Atemwege (großzügige Intubationsindikation)
3. Atropin (vagale Reflexe)
4. Magenspülschlauch anfeuchten und Einführen (ca. 50 cm beim Erwachsenen)
5. Lagekontrolle !! (50 mL-Spritze ansetzen – hineinblasen; mit dem Stethoskop abhören
6. erstes Spülprobe zur Diagnosesicherung asservieren
7. Spülen mit je 300- 500 mL lauwarmen Leitungswassers bis Spülflüssigkeit klar ist (10 L)
8. Instillation von 50g Aktivkohle (250 mL Paraffin bei fettlöslichen Giften) – s. unten
 [Magendauerspülung = selten vetretebar; nur bei schweren, besonders gefährlichen
Vergiftungen- z.B. Alkylphosphate, Paraquat etc. orthograde Darmspülung)]
Kontraindikationen:
mangelhafte Ausrüstung
kardiozirkulatorische/ pulmonale Insuffizienz (Vitalfunktionen, s. oben)
Perforationsgefahr
[Aspirationsgefahr (vorher Intubation)]
Der Stellenwert der Magenentleerung wurde überbewertet; wenn man eine kontrollierte klinische Studie durchführt, stellt sich heraus, dass die Magenentleerung keinen nachweisbaren (=statistisch gesicherten = signifikanten Einfluss) auf den Verlauf hat, wie man dem nachfolgenden Abstract entnehmen kann.
Pond SM, Lewis-Driver DJ, Williams GM, Green AC, Stevenson NW. (1995) Gastric emptying in acute
overdose: a prospective randomised controlled trial. Med J Aust 163:345-349
Department of Medicine, Princess Alexandra Hospital, Brisbane, QLD.
OBJECTIVE: To test the hypothesis that administration of activated charcoal is as efficacious and safe
as the combination regimen of gastric emptying plus charcoal in adults after acute oral overdose.
DESIGN: Prospective randomised controlled trial, with subjects presenting on odd-numbered dates
allocated to the emptied group (E), and those on even-numbered dates to the not-emptied group (NE).
SETTING: Princess Alexandra Hospital, Brisbane (a tertiary referral hospital), which serves an adult
urban community, between 4 January 1988 and 11 June 1990. SUBJECTS: Consecutive patients (13
years or older) who presented to the Emergency Department after ingesting an overdose of one or
more compounds able to be adsorbed by activated charcoal. INTERVENTIONS: All patients received
charcoal by the oral or nasogastric route. Those in the E group also had gastric emptying by ipecacinduced emesis or gastric lavage. OUTCOME MEASURES: Clinical course during the first six hours
after treatment began, length of hospital stay, complications. RESULTS: 876 patients were eligible for
the study. There were no significant differences between the E and NE groups in age and sex
distribution, severity of the overdose or other characteristics, except the mean interval between
presentation and administration of charcoal (91 min [SD, 52]for E group and 55 [SD, 41] for NE group;
P = 0.0001). There were no significant differences between the E and NE groups in outcome, even
when the groups were stratified for severity of the overdose or into subgroups that presented sooner
or later than one hour after ingestion. CONCLUSIONS: Gastric emptying can be omitted from the
treatment protocol for adults after acute oral overdose.
1.3. Entgiftung durch Resorptionshemmung (zusätzlich oder -häufiger- anstelle von Emesis
und Magenspülung)
1.3.1. Aktivkohle (carbo medicinalis): DIE WICHTIGSTE MAßNAHME
amorpher Kohlenstoff mit großer Oberfläche; Adsorbens (Bindung erfolgt reversibel Kohle
sollte im Überschuß über Toxin sein), fördert gleichzeitig die Ausscheidung.
 Indikation: praktisch alle Vergiftungen
Ausnahmen (weil unwirksam und daher sinnlos):
Säuren, Laugen, Schwermetalle, Äthanol, Methanol, die meisten organische Lösungsmittel (s.
Paraffinum subliquidum)
Dosierung: 30-50g (Kinder 15-25 g) in Wasser suspendiert
meist in Kombination mit einem Laxans (=Abführmittel):
Na2SO4 (=Glaubersalz) 20 (2 gehäufte Esslöffel)
bei Kindern (½ Esslöffel bis 1 Esslöffel)
Kontraindikation gegen Laxantiengabe:
- fehlende Darmgeräusche
- intestinale Obstruktion, Perforation (Vergiftung mit ätzenden Substanzen!)
- Elektrolytverschiebungen, Volumenmangel, Blutdruckabfall
1.3.2. Paraffinum liquidum:
Verteilung von lipidlöslichen Stoffen Resorptionsminderung (z.B. Benzin, Benzol,
Petroleum); unbedingt in Kombination mit salinischem Laxans (cave: gleichzeitige Anwesenheit von Fetten = Milch oder Substanzen, die die Gallesekretion steigern (=choleretisch
wirken, wie Schnaps..); unwirksam bei halogenierten Kohlenwasserstoffen (z.B.
Dichloräthan, TrichloräthylenAktivkohle); Dosierung: 200ml (Kinder 3-5 ml/kg)
1. 4. Darmentleerung:
Gabe von Laxantien: 10-20 g Na2SO4 (Kinder 0.5 g/kg) – vor allem bei der Aufnahme von
Gegenständen (Minibatterien)
Aber: es existiert keine gesicherte Infomation dafür, dass Laxantien tatsächlich die Prognose
bei akuten oralen Vergiftungen beeinflussen.
Kontraindikation gegen Laxantiengabe:
- fehlende Darmgeräusche
- intestinale Obstruktion, Perforation (Vergiftung mit ätzenden Substanzen!)
- Elektrolytverschiebungen, Volumenmangel, Blutdruckabfall
1.5. Maßnahmen, die eine Entgiftung vor der Resorption bewirken:
1.5.1. Verdünnungstherapie: wichtigste Maßnahme bei Verätzung (2-3 L Wasser); evtl. Milch
(Pufferwirkung meist überschätzt)
1.5.2. Aktivkohle: s. oben
1.5.3. Cholestyramin (Quantalan ): in Wasser unlöslicher Anionenaustauscher; wirksam bei
oralen Antikoagulantien (=Vitamin-K-Antagonisten), Digitalisglykoside (Digoxin, Digitoxin),
[chlorierten Kohlenwasserstoffen], Dosierung: 12-16g
[der Vollständigkeit halber – bei uns derzeit in der Praxis unbedeutend:
1.5.4. Entschäumung: Dimethylpolysiloxan (in SAB-Simplex Tropfen, Lefax-Tabletten) bei Einnahme
von Detergentien (Aspirationsgefahr) – in Allgemeinen unbedeutend, weil Haushaltsseifen,
Shampoos, Geschirrspülmittel etc. nicht sehr gefährlich sind
1.5.5. Bentonit, (Fullererde): kolloidales wasserhältiges Aluminiumsilikat – Alternative = Lehm
- bei Bispyridiniumvergiftung (Paraquat, Diquat = Herbizide); Dosierung: 500 ml 7%ig Bentonit (30%ig
Fuller's earth)
1.5.6. Berlinerblau [Fe(III)-Hexacyanoferrat(II)=Fe(III)4-(Fe(II)(CN)6)3]:= ein Kationenaustauscher wird
nicht resorbiert bindet Thallium im Darm (Thallium wurde früher als Rattengift
verwendetThalliumvergiftung (Antidotum Thallii Heyl; Dosierung 3g/d
1.5.7. Bildung unlöslicher Salze: Calcium (bzw. Milch) bei Fluorid (lokal, bzw. Fluoridingestion –
Zymafluortabletten bei Kindern – eine Fluoridintoxikation ist aber erst bei beim Konsum sehr vieler
Tabletten zu erwarten)]
ad C) sekundäre Detoxifikation:
1) Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufes:
z.B. bei oralen Antikoagulantien, trizyklische Antidepressiva, Digitalis (Thallium)
durch wiederholte Verabreichung von Aktivkohle (4*40 g/d) oder von Cholestyramin (oder
Berlinerblau); s. auch oben
2) forcierte Diurese:
Steigerung des Harnflusses auf 0.5 L/h bis 1L/h mit Furosemid (30 mg/h) und darauf
abgestimmten Elektrolytlösungen (z.B. NaCl 90 mmol/l; KCl 30 mmol/l) und bei Bedarf
Alkalisierung (HCO3- statt Cl-; z.Bsp.: Acetylsalicylsäure, Phenobarbital) oder Ansäuerung
des Harnes (mit NH4Cl Puffer, z.B. Amphetamin)
Wie das nachfolgende Abstract zeigt, kann die Manipulation des Harn-pH erstaunlich wirkungsvoll sein:
Schmoldt A, Iwersen S, Schluter W.(1997) Massive ingestion of the herbicide 2-methyl-4chlorophenoxyacetic acid (MCPA). J Toxicol Clin Toxicol 35:405-8
Department of Legal Medicine, University of Hamburg, Germany.
OBJECTIVE: To report the course of a massive ingestion of the herbicide 2-methyl-4-chlorophenoxyacetic acid or MCPA (4-chloro-2-methyl phenoxy acetic acid) and to correlate plasma 2-methyl-4chlorophenoxyacetic acid levels with symptoms of intoxication and treatment. CASE REPORT: After
intentional ingestion of the herbicide, 2-methyl-4-chlorophenoxyacetic acid, a young man suffered
burning in his mouth, spasmodic pain in the extremities and a severe hypotensive crisis. Plasma 2methyl-4-chlorophenoxyacetic acid concentration was 546 mg/L two hours after ingestion. Therapy by
forced diuresis was ineffective until the urine was alkalinized (Day 4). This resulted in a rapid decline
of the plasma 2-methyl-4-chlorophenoxyacetic acid level to 6 mg/L and recovery of the patient.
Kontraindikation für forcierte Diurese:
Herzinsuffizienz und Schockzustände
Niereninsuffizienz (>2 mg/100 ml Serumkreatinin)
Hirnödem (und andere manifeste Ödeme)
Abbruch: keine Diurese (Furosemid 50 mg/h); Hinweis auf Lungen-/Hirnödem
Vorteil: geringes Komplikationsrisiko, geringer Personal-/Sachaufwand
limitierend: hohe Proteinbindung, niedriger Blutspiegel bei hohem Gewebsspiegel
Effizienz geringer als Dialyse/Hämoperfusion.
3) Dialyse - Hämodialyse:
Prinzip: Patientenblut wird durch Kapillaren (s. Abbildung 1; bzw. Patrone in Abb. 3 unten)
gepumpt, die eine auf Grund der Porengröße den Durchtritt niedermolekularer Substanzen
erlauben – das Patientenblut wird gegen eine Elektrolytlösung dialysiert, die auf der anderen
der semipermeablen Membran vorbeiströmt (s. Flussschema, Abb. 2 unten):
Da Blut mit einer unphysiologischen Oberfläche in Kontakt kommt, muss die Blutgerinnung
durch Gabe von Heparin gehemmt werden  Blutungsgefahr
Da auch die körpereigenen vasopressorischen Hormone entfernt werden, dem Patienten auch
Volumen+Elektrolyte durch die Dialyse entzogen werden kann, kann es zu einem
Blutdruckabfall und Muskelkrämpfen kommen.
Bei der Akutdialyse braucht man naturgemäß einen zentralvenösen Zugang, um an das Blut
heranzukommen. (Patienten haben in dieser Situation keine arteriovenöse Fistel (=“shunt“),
wie sie beim chronischen Dialysepatienten operativ gelegt wird und im unten stehenden
Schema gezeigt ist)
Voraussetzung für eine Hämodialyse: Wenn man daher betrachtet, dass eine Hämodialyse für
den Patienten nicht ohne Risiko ist, ist es nachvollziehbar, dass diese Methode nur bei einer
schweren Vergiftung in Betracht kommt, und dass das Gift dialysabel sein muss
 limitierend: hohe Proteinbindung, geringe Wasserlöslichkeit, Molekulargewicht, niedrige
Plasmaspiegel/ hohe Gewebsspiegel (Verteilungsvolumen: z.B. Digoxin, Tricyclische
Antidepressiva)
Abb. 1. Ansicht der Kapillaren
Abb. 2 Flussschema einer Hämodialyse NB: Bei der Akutdialyse wird das Blut aus dem
zentralvenösen Katheter entnommen und nicht aus der arteriovenöse Fistel (=“shunt“), die hier (beim
chronischen Dialysepatienten) operativ gelegt worden ist und eingezeichnet ist)
Indikation für Hämodialyse bei Intoxikationen:
-Schwere Vergiftung: lebensbedrohliche Vergiftung (=letaler Blutspiegel des Giftes) oder
Vergiftung, bei der ein bleibender Schaden als Folge absehbar ist)
-Nierenfunktionsstörung (bei renaler Elimination, bzw. bei Schwermetallen, die Chelatbildner
erfordern): bei vielen Intoxikationen tritt ein Nierenversagen auf (direkte toxische Wirkung
des Giftes, Folge des Kreislaufschocks etc.); dann muss sowieso dialysiert werden, auch wenn
das Gift selbst nicht dialysabel ist.
typische dialysierbare Substanzen:
Methanol* (und andere Alkohole),
Salicylate* (Acetylsailcylsäure, Salicysäure),
Lithium (bei bipolaren = manisch-depressiven Erkrankungen eingesetzt)
Äthylenglykol* (=Frostschutzmittel  Weinskandal 1986),
*NB: Der Vorteil der Hämodialyse liegt auch darin, dass die Acidose rasch korrigiert werden kann
(daher ist eine Hämodialyse z.B. bei einer Salicylatvergiftung sinnvoller als eine Hämoperfusion, weil
Salicylate auch nicht gut an das Trägermaterial der Hämoperfusionspartonen gebunden werden (s.
unten]
[Ergänzung – Peritonealdialyse als Alternativverfahren: geringere Effizienz (nur
durchgeführt, wenn Hämodialyse personell/technisch nicht verfügbar ist oder ein
Blutdruckabfall droht oder akute Blutungsgefahr besteht)]
4) Hämoperfusion:
Blut wird über gepumpt (Fluss: 100-200 ml/min) über eine Patrone, gepumpt (Beispiel für
eine Patrone und Flussdiagramm, s. Abbildungen unten); daher Heparinisierung notwendig
um plasmatische Gerinnung zu hemmen (z.B. 10 000 I.E. Heparin Bolus; 1000 I.E.
Heparin/h). Hämoperfusion kann auch mit Hämodialyse kombiniert werden (s. Abbildung 4)
Prinzip: das Trägermaterial ist durch ein Polymer beschichtet, das es damit vom Blut trennt;
kleine Moleküle gegangen durch das Polymer und werden an das Trägermaterial adsorbiert.
(Abbildung 3).
Die Patronen enthalten als Adsorbentien (=Trägermaterial):
(i) Acrylhydrogen-beschichtete Aktivkohle: Haemocol
oder
(ii) Amberlite XAD 4 (Haemoresin): Austauscherharz auf Polystyrolbasis, adsorbiert z.T.
besser lipophile Substanzen; Thrombozytenabfall stärker
Komplikation:
Thrombozytenabfall (um 30%)- [Kontraindikation.
Schleimhautblutungen
Blutdruckabfall, Septikämie,
Adsorption bereits verabreichter Medikamente.
bei
<50,000
Thrombos/µL]
limitierend: hohe Proteinbindung, hohe Gewebsspiegel/niedrige Blutspiegel, Abnahme der
Effizienz bei längerer Dauer (Fibrinablagerung  Druck im System steigt; s. Flussschema
Abbildung 5)
Indikation: schwere Vergiftung z.B. mit
Paracetamol (VD ~1 L/kg)
Theophyllin (VD ~0.5 L/kg)
Carbamazepin (VD ~1.5 L/kg)
weitere Bespiele:
Paraquat,
Digoxin;
Insektizide (Alkylphosphate),
Amanita phalloides (=Knollenblätterpilz),
Biguanide (=orale Antidiabetika);
Schlafmittel (=Hypnotika/Sedativa)
Effizienz - zweifelhaft bei Substanzen mit Verteilungsvolumina >> 3 L/kg (z.B. trizyklische
Antidepressiva: Imipramin VD 20 l/kg; Amitryptilin: VD 15 L/kg)
Vorteile der Hämoperfusion gegenüber Hämodialyse: raschere, effizientere Detoxifikation;
wasser- und lipidlösliche eliminiert (Mischintoxikation); hohe Proteinbindung evtl.
überwindbar (z.B. Digitoxin); auch höhermolekulare Substanzen eliminiert; Sach- und
Kostenaufwand geringer.
Aber: in vielen Fällen ist der tatsächliche Nutzen der Hämoperfusion nicht adäquat
dokumentiert; pointiert formuliert – es nützt wenig, wenn man die Konzentration des Giftes
im Patientenblut senkt (das ist ein Surrogatparameter) – beweisen muss man, dass nach
Hämoperfusion mehr Patienten überleben.
Abb. 3 Hämoperfusionspatrone (rechts oben) mit einer Hämodilaysepatrone (links unten) verbunden;
der seitliche Ein- und Auslass dienen dazu, die Elektrolytlösung (gegen die dialysiert wird) in die
Patrone zu leiten.
Abbildung 4: Die Polymermembran überzieht das Adsorbens (in diesem Fall Aktivkohle) um die
korpuskulären Besteandteile des Blutes zu schützen (ein Thrombozytenaktivierung = und damit deren
Verbrauch findet dennoch statt); die niedermolekularen Substanze (die es zu entfernen gilt) dringen in
die Poren der Tierkohle ein und werden daran adsorbiert.
Abb. 5 Flussdiagramm der Hämoperfusion; vor die Hämoperfusionspatrone kann noch eine
Hämodialysepatrone vorgeschaltet sein (s. auch Abb. 3)
5) Austauschtransfusion bzw. Plasmapherese:
Austauschtransfusion: (Prinzip = auf einer Seite Blut wird entnommen, auf der anderen
Seite werden Fremd-Erythrozyten + Fremdplasma zurück infundiert)
- bei lebensbedrohlichen Vergiftungen, wo eine forcierte Elimination nicht möglich ist (z.B.
hohe Proteinbindung)
- bzw. wenn die Erythrozyten selbst das Ziel des Giftes sind = bei massiver Hämolyse (Arsin
= Arsenwasserstoff = AsH3; massive Vergiftung mit Methämoglobinbildner; Hämolyse beim
Neugeborenen = morbus hämolyticus neonatorum).
Plasmapherese =Plasma und korpuskuläre Bestandteile (Erythrozyten, Plättchen und
Leukozyten) werden durfch Zenrtifugation voneinander getrennt: korpuskuläre Bestandteile
und Plasmaersatz (oder Fremdplasma) reinfundiert
bei lebensbedrohlicher Intoxikation, wo eine Hämoperfusion nicht möglich ist
6) forcierte Abatmung:
Mittel der Wahl bei flüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen
2-3 x Atemminutenvolumen (8% CO2-Zusatz); Dauer=~60 h
[das normale Atemminutenvolumen beträgt (in Ruhe) 6-8 L/min; dieses soll daher auf 25
L/min erhöht werden]
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