1. Der Jazz Die Geschichte des Jazz Seit dem 17. Jahrhundert wurden viele Millionen Eingeborene vor allem aus Westafrika in ihren Dörfern überfallen und als Sklaven in die Neue Welt verschleppt. Viele überstanden den langen Marsch durch den Urwald und den Transport auf den Sklavenschiffen, wo sie unter unerträglichsten Bedingungen untergebracht waren, nicht. Die Musik, die die AfroAmerikaner aus ihrer Heimat brachten, ist durch einen äußerst lebendigen und vielschichtigen Rhythmus geprägt. In der Neuen Welt wurde ihnen ihre kulturelle Grundlage entzogen, indem sie die Sprache ihrer weißen Herren lernen und ihren Glauben annehmen mussten. Sie lernten die Musik der Weißen kennen. Indem sie sie nachzuahmen versuchten, drückten sie ihr mit dem ihnen eigenen Musikverständnis (Rhythmusgefühl und Formen des Zusammensingens) ihren besonderen Stempel auf. 1.1. Die Vorformen 1.1.1. Das Spiritual Im Spiritual, das häufig Ereignisse der Bibel zum Inhalt hat, drücken die Schwarzen ihre Sehnsucht Erlösung aus ( z.B. in: Swing low, sweet chariot, comin’ for to carry me home) nach Meistens wechseln sich ein Vorsänger und die Gemeinde ab. Die Melodik der Negro Spirituals ist meist pentatonisch (wie viele Kinderlieder), der Aufbau meist dreiteilig (ABA): Refrain - Strophe - Refrain. Bereits in der Sklavenzeit waren die Spirituals unter den Schwarzen weit verbreitet. Seit ca. 1880 wurden sie gesammelt und nach und nach auch von den Weißen übernommen. Das Gospel, eine neuere Form des Spiritual, verwendet moderne Tanzrhythmen und die Improvisation und ist insgesamt kommerzieller d.h. auf den Verkauf von Schallplatten ausgerichtet. 1.1.2. Der Worksong Die Schwarzen sangen sie, wenn sie sich auf den Plantagen über weite Strecken verständigen oder einander Nachrichten übermitteln wollten. Vor allem aber sangen sie sie, um kollektive Bewegungsabläufe bei der Arbeit zu koordinieren: bei der Arbeit auf dem Feld, beim Straßenbau, beim Holzfällen, beim Rudern usw. Hier ist oft schon das Call-Response-Prinzip zu erkennen, eine Art Frage- und Antwort-Spiel: 1.1.3. Der Blues Der Blues spricht aus, was der Schwarze in seinem Alltag erlebt: Armut, Not, Naturkatastrophen, Todesfälle, Liebe und Untreue, Kriminalität, soziale Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung. Viele Bluesgesänge weisen die gleiche harmonische und formale Anlage auf. Sie sind in drei Viertakt-Gruppen gegliedert und besitzen eine bestimmte Akkordfolge. Der Text einer Bluesstrophe ist dreizeilig, wobei die ersten beiden Zeilen textlich identisch sind z.B. im folgenden Blues: You don't know, you don't know, you don't know my mind You don't know, you don't know, you don't know my mind when you see me laughin', laughin' just to keep from cryin', from cryin' 1 Für die Melodik des Blues sind die sogenannten Blue Notes charakteristisch: Die Terz, die Septim werden etwas zu tief gesungen Quint und die Entstehungszeit: wie das Spiritual während der Sklavenzeit. Seit 1870 Aufspaltung in den ländlichen und den städtischen Blues. Vertreter u.a.: Bessie Smith, Louis Armstrong In den 20er und 30 Jahren wird der Blues als Boogie-Woogie auch auf dem Klavier beliebt. Neben der klassischen, meist 12-taktigen Form finden sich in ihm als typisches Merkmal die ostinaten d.h. immer wiederkehrenden gleichen Bassformeln. Vertreter u.a.: Pete Johnson Darüber hinaus ist der Blues als Formschema und Ausdrucksmittel (Bluesfeeling) in allen Jazzstilen bis in die Gegenwart wirksam gewesen. Auch die Rockmusik (seit 1955) verdankt ihm viel. So basieren noch fast alle Songs des Rock ‘n’ Roll auf der 12-taktigen Bluesstrophe. 1.1.4. Der Ragtime Der Ragtime gehört ebenfalls in das Vorfeld des Jazz, da ihm noch zwei wesentliche Merkmale fehlen: die Improvisation und die Bandbesetzung. Er ist eine auskomponierte Klaviermusik, die sich von der europäischen Salonmusik, die sie nachzuahmen versucht, durch den harten Beat der linken Hand und die stark synkopierten dh. gegen den Beat gerichteten Rhythmen der rechten Hand unterscheidet. ragged = zerrissen / time = Takteinheit Vertreter u.a.: Scott Joplin Blütezeit 1880-1900. Aus dieser Zeit existieren noch zahlreiche Tondokumente in Form von Walzen von mechanischen Klavieren, in die die Spieler ihre Stücke spielten. 2. Die Stile des Jazz 2.1. Der New-Orleans-Jazz Der erste Jazzstil entsteht, als Schwarze nach dem Vorbild der weißen Militär- und Straßenkapellen eigene Bands gründen. Die Musik ist zunächst noch sehr marschmäßig, weist aber schon typisch „schwarze“ Merkmale auf: Blues Notes, Dirty Tones, Hot Intonation, Swing, Fill-Ins und Responses (s. auch Elemente des Jazz). Zentrum dieser Entwicklung ist die Stadt New Orleans mit ihrem Vergnügungsviertel „Storyville“. In jeder Kneipe spielte eine Band, und um für sich zu werben, zogen diese Bands tagsüber durch die Straßen. Trafen einmal zwei oder mehr Bands aufeinander, so spielten sie im Wettstreit miteinander, wobei es musikalisch immer ein Zusammengehen war. Wurde jemand beerdigt, so folgte eine Band langsam und traurig spielend dem Leichenzug. Auf dem Rückweg in die Stadt spielte die Band dann wieder ihre „heiße“ Musik. Die Band des New Orleans-Jazz besteht in der Regel aus drei Melodieinstrumenten: Trompete (tp), Klarinette (cl) und Posaune (tb) und aus einigen Rhythmusinstrumenten: Klavier (p) Schlagzeug (dm), Banjo (bj) oder Gitarre (g), Tuba (tu) oder Bass (b). Die Trompete ist die Melodieträgerin, die Klarinette umspielt sie und wirft Fill-Ins und Responses ein, während die Posaune eine ruhigere und tiefere Gegenstimme beiträgt. Die Rhythmusgruppe gibt den Beat = den 4/4-Grundschlag, wobei alle Taktzeiten fast gleich stark betont werden (Einfluss der Marschmusik) und das harmonische Grundschema an. 2 Wurde der Ragtime noch Note für Note aufgeschrieben, so wird der New Orleans-Jazz bereits durchgehend improvisiert. Für diesen Stil ist vor allem die Kollektivimprovisation charakteristisch, bei der alle Instrumente, vor allem die Melodieinstrumente, gleichzeitig improvisieren. Daneben existiert aber schon die Soloimprovisation. Blütezeit des New Orleans-Stils: 1900-1925. Vertreter u.a. Louis Armstrong mit den „Hot Five“ und „Hot Seven“, King Oliver Seit 1910 ahmten weiße Musiker diesen Stil nach. Man nennt ihre Musik „Dixieland“. 2.2. Der Chicago-Stil 1917 wegen des Eintritts der USA in den 1. Weltkrieg geschlossen)wurden immer mehr Weiße von dieser neuen Musik ergriffen . Das neue Zentrum war Chicago. Musikalische Merkmale des Chicago- Stils sind: - paralleles Spiel der Melodieinstrumente - allmähliches Verschwinden der Kollektivimprovisation - wachsende Bedeutung der Soloimprovisation - allmählicher Austausch von Instrumenten: Gitarre statt Banjo, Bass statt Tuba, - Saxophon statt Klarinette ein leichter und federnder Beat mit leichter Hervorhebung des 2. und 4. Schlages Auch nach dem erzwungenen Auszug der Musiker Vertreter u.a.: Bix Beiderbecke, Jimmy McPartland, die aus New Orleans (das Vergnügungsviertel wurde Austin Highschool Gang Blütezeit: 1920-1930 2.3 Der Swing die Rhythmusgruppe bleibt einzeln besetzt. Die Melodiegruppen treten an den Tutti-Stellen in geschlossener Formation auf, d.h. innerhalb einer Gruppe (tp, sax oder tb) spielen die Instrumente stark aneinander angeglichen. - Bass und große Trommel spielen unentwegt alle vier Schläge - Die Improvisation ist nur noch einem Soloinstrument gestattet. Die Tutti-Stellen sind arrangiert bzw. vorher abgesprochen Aufgrund der Weltwirtschaftskrise schließen sich die bisher kleinen Bands zu größeren Orchestern, den Big Bands zusammen, in denen Weiße und Afroamerikaner nebeneinander spielen. Die musikalischen Merkmale des Swing-Stils sind vor allem durch die Big Band bestimmt: Mehrfachbesetzung der Melodieinstrumente: 4-5 Saxophone, 3-4 Trompeten, 2-3 Posaunen Die Klarinette verschwindet (Ausnahme: Benny Goodman, der sie solistisch spielt) 2.4. - alle Melodieinstrumente spielen jetzt rhythmisch gegen den Grundschlag (leichtes Vorziehen oder Verzögern der Akzente = Swing), was diesem Stil den Namen „Swing“ gab. Blütezeit 1930-1945 Vertreter u.a.: Benny Goodman(cl), Duke Ellington(p), Glenn Miller(tb) mit ihren Big Bands Der Bebop Seine musikalischen Merkmale sind: - an die Stelle der Big Band tritt die solistisch besetzte Band, die Combo - die Harmonik wird komplizierter (die normalen Akkorde bekommen zusätzliche Töne, diesie stark „einfärben“) - die Themen wirken „zerrissen“ (der Name Bebop ist lautmalerisch gemeint) - der Bass hat nun die Beatfunktion übernommen und spielt meist tonleiterartige Melodien im strengen 4/4Rhythmus Während der Swing-Jazz noch in voller Blüte steht - Die Instrumente sind gleichberechtigter bei den und zu einem riesigen Geschäft wird, stößt er bei Soloimprovisationen (Schlagzeug, Klavier!) einer Reihe von jungen afroamerikanischen - Insgesamt wird dieser Stil sehr hektisch Musikern auf Ablehnung. Als sich diese zusammentun, entsteht ein neuer Stil, von dem sich Blütezeit 1940-1955 / Vertreter u.a.: Charlie Parker, Thelonius wiederum die Liebhaber des „alten“ Jazz schockiert Monk abwenden: der Bebop. 3 2.5 2.6 Der Cool-Jazz Kurze Zeit nach dem Aufkommen des Bebop entsteht ein kontrastierender Stil, der melancholisch und resigniert klingt: der Cool-Jazz Seine musikalischen Merkmale: - meist gleitende Melodiebewegung - meist verhauchte, immer gleich laute Tongebung - Anlehnung an klassische Kompositionstechniken (z.B. Bach) Blütezeit: 1950-1960 / Vertreter u.a.: Miles Davis, Lennie Tristano Der Free Jazz Wie der Name schon andeutet, bedeutet dieser Jazzstil die Loslösung von allen bisher geltenden Einschränkungen: - Entwicklung neuer Spieltechniken durch Ausnutzung extrem tiefer oder hoher Lagen, schrilles, schreiendes, quäkendes Spiel, Geräuscheffekte - ekstatische Wildheit, Härte, Aggressivität - keine Bindung an Form und Harmonik - äußerste Freiheit in der Improvisation - kein verbindlich durchlaufender Beat - Interaktion, Aufeinander-Reagieren der einzelnen Musiker; Blütezeit: seit 1960 / Vertreter: Ornette Coleman, John Coltrane 2.7 Der Rock-Jazz (auch Electric-Jazz)., oder Crossover-Jazz. genannt) Verbindung von Jazz und Rock, deren - Rock-Elemente wie z.B. starke Hervorhebung des Beat gemeinsame Wurzel der Blues ist. - traditionelle Zusammenklänge - Verwendung elektrisch verstärkter oder voll Blütezeit seit ca. 1970 Free Jazz und Rock-Jazz bestehen nebeneinander. elektronischer Instrumente - wie vor dem Free Jazz Improvisation über „eine“ Tonleiter 3. 3.1. Die Elemente des Jazz Blue Notes Das „Zu-tief-Singen oder -Spielen“ bestimmter Töne einer Tonleiter: des 3., 5. und 7.Tones. In C-Dur: die Töne e(wird fast zum es), g (wird fast zum ges) und h (wird fast zum b). Die Improvisation Zu einer vorgegebenen Harmonie spielt der Musiker aus dem Stegreif heraus eine Melodie, die zu dieser vorgegebenen Harmonie passt, d.h. die Akkordtöne müssen als wichtige Töne in der improvisierten Melodie enthalten sein. Dirty Tones Die Spieler streben nicht das Ideal des „schönen“ Tons an, wie es in der klassischen Musik gefordert wird. Im Gegenteil: das Instrument soll rau, gepresst, „schmutzig“ klingen Hot Intonation Damit ist die kraftvolle, explosive Tongebung vor allem der Blasinstrumente gemeint. Swing Darunter versteht man, wie oben schon erwähnt, das Vorziehen und Verzögern der Melodietöne gegenüber dem Beat, dem grundlegenden 4/4-Schlag, sowie das triolische Spielen von Achteln: 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. Fill-Ins und Call-Response-Prinzip Das sind Arten des Zusammenspiels und -singens, wie sie schon im Worksong und Gospel praktiziert wurden: Auf ein Melodieinstrument (z.B. Trompete) reagieren andere (z.B. Klarinette, Saxophon) durch kurze Einwürfe (Fill-Ins) zwischendurch oder durch längere Melodiephrasen (Responses) als „Antworten“ auf die Zeilen des führenden Melodieinstruments. 4