PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/1 Wesentliche Merkmale des Arzneimittels (§ 2 AMG) Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper 1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen 2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen 3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen 4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder 5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Beispiele: - Mittel zur Verhütung von Krankheiten: Impfstoffe, Vitamingaben - Mittel zur Heilung unabhängig von der Darreichungsform: Tabletten, Infusionen, Creme - Mittel zur Erkennung: Kontrastmittel, diagnostische Radiopharmaka - Mittel zur Ersetzung von Körperstoffen und -flüssigkeiten: Hormone, Enzyme, Blutplasma, Blutserum - Mittel zur Abwehr etc. von Krankheitserregern: Antibiotika - Mittel zur Zustandsveränderung: Anästhetika, Schmerzmittel, Psychopharmaka PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/2 Ergänzungen und Einschränkungen des Arzneimittelbegriffs Ergänzungen § 2 Abs. 2 AMG: Als Arzneimittel gelten: 1. Gegenstände, die ein Arzneimittel nach Abs. 1 enthalten und dazu bestimmt sind, dauerhaft oder vorübergehend mit dem menschlichen oder tierischen Körper in Berührung gebracht zu werden (zB Heilpflaster) 1a bis 4 (betreffen Tierarzneimittel) Einschränkungen § 2 Abs. 3 AMG: Arzneimittel sind nicht 1. Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs.2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (Abgrenzung nach Zweckbestimmung: Ernährung oder zum Genuss; Abgrenzung unsicher, zB Knoblauchkapseln als Arzneimittel; Vitamintabletten als Lebensmittel) 2. kosmetische Mittel (Mittel zur äußerlichen Anwendung oder in der Mundhöhle zur Reinigung, Pflege, Beeinflussung des Aussehens oder des Körpergeruchs) 3. Tabakerzeugnisse [...] 4. .... betrifft Tiere 5. (weggefallen) 6. .... betrifft Tiere 7. Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 MPG, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 (Stoffe, die dazu bestimmt sind, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen [und dabei mit dem Körper in Berührung kommen]) 8. die in § 9 Satz 1 des Transplantationsgesetzes genannten Organe und Augenhornhäute, wenn sie zur Übertragung auf Menschen bestimmt sind. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/3 Fiktionen § 2 Abs. 4 AMG: Solange ein Mittel nach diesem Gesetz als Arzneimittel zugelassen oder registriert oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung oder Registrierung freigestellt ist, gilt es als Arzneimittel. Hat die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung oder Registrierung eines Mittels mit der Begründung abgelehnt, daß es sich um kein Arzneimittel handelt, so gilt es nicht als Arzneimittel. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/4 Begriff des Medizinprodukts (§ 3 MPG) – Teil 1 1. Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder d) der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/5 Begriff des Medizinprodukts – Teil 2 2. Medizinprodukte sind auch Produkte nach Nummer 1, die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten oder auf die solche aufgetragen sind, die bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes angesehen werden können und die in Ergänzung zu den Funktionen des Produktes eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können. 3. Medizinprodukte sind auch Produkte nach Nummer 1, die als Bestandteil einen Stoff enthalten, der gesondert verwendet als Bestandteil eines Arzneimittels oder Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Blutplasma im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 89/381/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und zur Festlegung besonderer Vorschriften für Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Blutplasma (ABl. EG Nr. L 181 S. 44) betrachtet werden und in Ergänzung zu dem Produkt eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können. 4. In-vitro-Diagnostikum ist ein Medizinprodukt, das als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriermaterial, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät oder System einzeln oder in Verbindung miteinander nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben einschließlich Blut- und Gewebespenden bestimmt ist und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dient, Informationen zu liefern a) über physiologische oder pathologische Zustände oder b) über angeborene Anomalien oder c) zur Prüfung auf Unbedenklichkeit oder Verträglichkeit bei den potentiellen Empfängern oder d) zur Überwachung therapeutischer Maßnahmen. [...] PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/6 Beispiele Zahnwerkstoffe, Knochenzement Implantate, Herzschrittmacher Künstliche Gelenke oder Nägel Ärztliche Instrumente: Spritzen, Endoskope, chirurgische Bohrmaschinen Dialysegeräte, Beatmungsgeräte Brillen, Prothesen Verbandmaterial, chirurgisches Nahtmaterial Röntgengeräte Sterilisationsgeräte PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/7 Klassen der Medizinprodukte (§ 13 MPG i.V.m. Anhang IX zur Richtlinie 93/42/EWG; relevant für die Anforderungen der Prüfung vor der Inverkehrgabe, vgl. §§ 3 ff. MPV) Klasse I: Geringer Gefährdungsgrad: zB Rollstühle, Verbandsmittel, Operationstische Selbstzertifizierung (vgl. § 6 Abs. 4 MPV i.V.m. RL 93/42) Klasse IIa/IIb: Mittleres bis erhöhtes Risikopotential: zB Kontaktlinsen, Hörgeräte, orthopädische Implantate, Röntgengeräte, Zahnfüllwerkstoffe Zertifizierung durch benannte Stellen nach Prüfung der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen (vgl. § 6 Abs. 2, 3 MPV i.V.m. RL 93/42) Klasse III: Hohes Risikopotential: zB künstliche Herzklappen, Herzschrittmacher Zertifizierung durch benannte Stellen nach Prüfung der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen und nach klinischer Prüfung durch den Hersteller (vgl. § 6 Abs. 1 MPV i.V.m. RL 93/42) Sonderregelungen: In-vitro-Diagnostika Zertifizierung durch benannte Stellen nach Prüfung der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen (vgl. § 5 MPV i.V.m. RL 98/79) Aktive implantierbare Medizinprodukte Zertifizierung durch benannte Stellen nach Prüfung der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen und nach klinischer Prüfung durch den Hersteller Besonderheiten für Sonderanfertigungen und Aufbereitungen (vgl. § 4 MPV i.V.m. RL 90/385) PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie A/8 Sonderproblem Arzneimittel-Medizinprodukt-Kombination § 2 Abs. 2 MPG: [...] werden die Medizinprodukte [...] so in den Verkehr gebracht, dass Medizinprodukt und Arzneimittel ein einheitliches, miteinander verbundenes Produkt bilden, das ausschließlich zur Verwendung in dieser Verbindung bestimmt und nicht wiederverwendbar ist, gilt dieses Gesetz nur insoweit, als das Medizinprodukt die grundlegenden Anforderungen [...] erfüllen muss, die sicherheits- und leistungsbezogene Produktdefinitionen betreffen. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes. - Ausprägung des Schwerpunktgrundsatzes, d.h. Produkt ist Arzneimittel Beispiel: Vorgefüllte Spritzen, Heilpflaster Werden AM und MP nur lose in einer Verkaufseinheit in den Verkehr gebracht, liegt keine solche Kombination vor, daher beide Komponenten isoliert zu betrachten Beispiel: Vaginalcreme mit Applikator PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie B/1 Arzneimittelsicherheit Zulassungspflicht, § 21 AMG; - Ausnahmen: Apothekenarzneimittel, Klinische Prüfung; Freistellung durch Standardzulassungen nach § 36 AMG; bei homöopathischen Arzneimitteln nur Registrierung, § 38 AMG - kein Einfluß auf die zivilrechtliche oder strafrechtliche Verantwortung, § 25 Abs. 10 AMG. Verbot der Inverkehrgabe bedenklicher Arzneimittel, § 5 AMG (Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen) Verbot der Herstellung bzw. der Inverkehrgabe zum Schutz vor Täuschung, § 8 AMG (Qualitätsgeminderte Arzneimittel; gefälschte Arzneimittel; Arzneimittel mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung (hinsichtlich Wirksamkeit, schädlichen Wirkungen etc.); abgelaufene Arzneimittel) Rezeptpflicht: - durch Rechtsverordnung: § 48 AMG (auf der Grundlage einer Risikobewertung nach § 48 Abs. 2 AMG) Anzeigepflicht und Neuzulassung; § 29 AMG (insbes. Anzeigen bei Verdacht schwerwiegender Nebenwirkungen oder schwerwiegender Wechselwirkung; Pflicht trifft den pU, bei klinischen Prüfungen denjenigen, der die Prüfung veranlasst oder durchführt; wird überlagert durch ein europäisches Meldesystem) Ruhen/Rücknahme/Widerruf der Zulassung, § 30 AMG Stufenplanverfahren, §§ 62 ff. AMG (Plan über Maßnahmen bei Bekanntwerden von Gefahren; Meldepflichten des Zulassungsinhabers insbes. bei Verdacht schwerwiegender Nebenwirkungen) Registrierungspflicht für homöopathische Arzneimittel, § 38 AMG PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie C/1 Vertragshaftung/Deliktshaftung im Arzt- und Krankenhausbereich Vertragshaftung Haftungsgrund Haftender Haftung für andere Beweislast und Beweiserleichterungen Haftungsumfang Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 BGB) Verletzung einer vertragliKörper- oder Gesundchen Verpflichtung heitsverletzung, sofern (zB Behandlung nach den widerrechtlich (entfällt Regeln der ärztlichen Kunst) bei wirksamer Einwilligung) Vertragspartner Verletzender oder Geschäftsherr bei Verrichtungsgehilfen Für alle Hilfspersonen, § 278 Nur für VerrichtungsgeBGB hilfen; Möglichkeit der (Chefarzt: weisungsfreier ver- Entlastung fassungsmäßig berufener (Chefarzt: weisungsfreier Vertreter; Haftung nach § 31 verfassungsmäßig beruBGB) fener Vertreter; Haftung nach § 31 BGB) Körper- oder GesundBestehen der vertraglichen Verpflichtung, heitsverletzung Verletzung der VerpflichWiderrechtlichkeit wird tung (Erleichterung bei Doindiziert, entfällt bei kumentationsmängeln) wirksamer Einwilligung (Aufklärung, Einwilligungsfähigkeit) Verschulden (Umkehr nach § 280 Abs. 1 S. 2, sofern Pflichtverletzung feststeht), Verschulden (Erleichterung bei Dokumentationsmängeln) Kausalität (Erleichterung/Umkehr bei groben Behandlungsfehlern), Kausalität (Erleichterung/Umkehr bei groben Behandlungsfehlern) Schaden Schaden Materieller und immaterieller Materieller und immateSchaden rieller Schaden PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie C/2 Besonderheiten der Arzneimittelhaftung im Vergleich zum Delikt Haftungsgrund Haftender Haftung für andere Deliktshaftung (§ 823 Abs. 1 BGB) Körper- oder Gesundheitsverletzung, sofern widerrechtlich Arzneimittelhaftung (§ 84 AMG) Nicht unerhebliche Körper- oder Gesundheitsverletzung infolge Anwendung eines zum Gebrauch beim Menschen bestimmten AM, wenn es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unvertretbare schädliche Wirkungen hat oder Schaden infolge einer Kennzeichnung oder Gebrauchsinformation eingetreten ist, die nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entspricht Verletzender oder Geschäfts- Pharmazeutischer Unternehmer herr bei Verrichtungsgehilfen Verrichtungsgehilfen; Mög- Entfällt lichkeit der Entlastung Weisungsfreier verfassungsmäßig berufener Vertreter, Haftung nach § 31 Beweislast Körper- oder GesundheitsAnwendung und Beverletzung weiserleich- Widerrechtlichkeit (u.U. Erterungen leichterungen) Verschulden (u.U. Beweislastumkehr) Kausalität wird bei Eignung des Kausalität (u.U. ErleichteAM zum Hervorrufen des Scharungen) dens vermutet; hinsichtlich Eignung: Auskunftsanspruch nach § 84a AMG Schaden Schaden Haftungsum- Materieller und immaterieller Materieller und immaterieller fang Schaden Schaden PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie D/1 Haftungsfragen bei der Arzneimittelanwendung Eingriffe ohne ausreichende Aufklärung sind auch dann rechtswidrig, wenn dabei dem Arzt kein Behandlungsfehler unterläuft. - Grundsätzlich ist der Patient auch über das gewählte Arzneimittel und dessen Wirkweise, etwaige Unverträglichkeiten, Nebenwirkungen usw., im Rahmen einer Grundaufklärung zu informieren. - Über mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen eines Medikaments, hat der verordnende Arzt immer aufzuklären. Warnhinweise in der Packungsbeilage können dem Arzt nicht die Aufklärungspflicht abnehmen. Bsp.: Erhöhtes Risiko von Herzinfarkt/Schlaganfall durch Wechselwirkung von östrogen-gestagenhaltigen Arzneimittel („Pille“) und Nikotin bei Frauen über 30 Jahren (BGH, NJW 2005, S. 1617 ff.). PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie D/2 Haftungsfragen bei der Arzneimittelanwendung Arzt haftet nach Delikt und nach Vertrag nur bei Verschulden (folgendes gilt jeweils auch für Verabreichung) - Verschreibung eines erkennbar nicht erforderlichen AM mit Nebenwirkungen - Verschreibung trotz Kontraindikation (sofern Kontraindikation bekannt oder in Folge Verschuldens unbekannt) - Ko-Verschreibung trotz bekannter oder in Folge Verschuldens unbekannter schädlicher Wechselwirkungen (Lipobay) - Verschreibung nach Bekanntwerden der Unvertretbarkeit des AM Regelmäßig kein Verschulden und damit keine Haftung des Arztes: - Verschreibung von AM mit nicht erkennbarer schädlicher Wirkung - Verschreibung von AM, die unvermeidbare schädliche Wirkungen haben, über die ausreichend aufgeklärt wurde - Verschreibung von AM auf der Grundlage einer unrichtigen Fachinformation, wenn der Fehler für den Arzt nicht erkennbar war PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie D/3 Sonderproblem: Verschreibung/Verabreichung außerhalb der Zulassung oder ohne Zulassung – Teil 1 I. Außerhalb der Zulassung - Der Gebrauch außerhalb der Indikation ist bei der Erkrankung Standardmethode (sehr häufig in der Pädiatrie): keine Haftung Beispiel: „Aciclovir-Fall“ (OLG Köln VersR 1991, 186 ff.) Arzt haftete, weil er (u.a. in Folge unzureichender Diagnose) einem an Herpes-Enzephalitis erkrankten Kind zu spät Aciclovir verabreichte - Mittel war zwar zu diesem Zeitpunkt nicht für Herpes-Enzephalitis zugelassen - Mittel galt dennoch als Standardtherapie und als einziges erfolgversprechend (entsprechende wissenschaftliche Erkenntnis und Praxis lagen vor) - Ansonsten gilt wie sonst bei der Therapiewahl: Ist der Einsatz keine anerkannte Methode (sog. Außenseitermethode), so ist der Patient umfassend (über Alternativen, Risiken etc.) aufzuklären, wobei hohe Anforderungen zu stellen sind - Ggf. Grundsätze des Heilversuchs: Zwecksetzung des Heilversuchs ist primär die Heilbehandlung, nicht die wissenschaftliche Erkenntnis (die Nebenzweck sein kann – insofern fließende Grenze zur klinischen Prüfung, bei der Kranke teilnehmen). Voraussetzungen für Heilversuch: - Standardmethoden bestehen nicht, sind aussichtslos oder bereits erfolglos durchgeführt worden - Patientenbezogene Nutzen-Risiko-Abwägung - Umfassende Aufklärung, die der Aufklärung bei der klinischen Prüfung entsprechen muss (letzteres str.), soweit möglich PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht WS 2005/2006 PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie D/4 Sonderproblem: Verschreibung/Verabreichung außerhalb der Zulassung oder ohne Zulassung – Teil 2 II. Ohne Zulassung - Der Einsatz nicht zugelassener Arzneimittel ist grundsätzlich verboten Ggf. aber Rechtfertigung des Einsatzes im Rahmen eines Heilversuchs (zB. austherapierter Krebspatient) Oftmals auch „Compassionate Use“ genannt: Arzneimittel wird - aus humanitären Gründen einer Gruppe von Patienten zur Verfügung gestellt, - die an einer zur Invalidität führenden chronischen oder schweren Krankheit leiden oder deren Krankheit als lebensbedrohend gilt und - die mit einem genehmigten Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können. Befreiung von der Zulassungspflicht gemäß §§ 21 II Nr.6, 80 Nr. 3a AMG i.V.m. Art. 83 EG-VO 726/2004 III. „Orphan Drugs“ (Arzneimittel für seltene Leiden) Fehlender wirtschaftlicher Anreiz zur Erforschung und Herstellung; geringe Anzahl an Probanden EG-VO 141/2000: - Erleichtertes Zulassungsverfahren Forschungshilfen, soweit erforderlich Zunächst Alleinvertriebsrecht Soweit keine Zulassung besteht, gelten auch hier die Voraussetzungen für den Off-Label-Use und den Heilversuch. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie D/5 Sonderproblem: Verschreibung/Verabreichung außerhalb der Zulassung oder ohne Zulassung – Teil 3 IV. Exkurs: Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln im Off-Label-Use durch die Gesetzliche Krankenversicherung Nur ausnahmsweise, wenn (1) Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung (insb. im Bereich Onkologie, Infektiologie (HIV/AIDS), Neurologie); (2) keine andere Therapie verfügbar und (3) begründete Aussicht auf Behandlungserfolg. Errichtung einer Expertengruppe zur Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über Off-Label-Anwendungen. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie E/1 Haftung bei Fehlern von Medizinprodukten: Hersteller, Quasihersteller Haftungsgrund Haftender Haftung für andere Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) Produkthaftungsrecht nach ProdHaftG Körper- oder Gesundheitsverletzung, sofern widerrechtlich Körper- oder Gesundheitsverletzung (oder Schaden an privat genutzten Sachen) durch Fehler eines Produkts Ausnahmen: Fehler erst nach Inverkehrgabe entstanden, Fehler konnte nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Inverkehrgabe nicht erkannt werden Verletzender oder Geschäfts- Hersteller (jur. oder naherr bei Verrichtungsgehilfen türliche Person, die für die Herstellung des Produkts verantwortlich ist) Hersteller eines Teilprodukts (zB. Rad eines Rollstuhls) Quasihersteller (Person die durch Label etc. als Hersteller erscheint) Importeur in EWR ggf. Lieferant Verrichtungsgehilfen; Mög- Entfällt lichkeit der Entlastung Weisungsfreier verfassungsmäßig berufender Vertreter, Haftung nach § 31 BGB PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Beweislast und Beweiserleichterungen Haftungsumfang Körper- oder GesundheitsFehler Fehlerbereichsnachweis verletzung Widerrechtlichkeit (u.U. Er- beim Hersteller leichterungen) Verschulden (u.U. Beweislastumkehr) Entlastungsmöglichkeiten für Hersteller, u.a. bei nicht erkennbaren Fehlern Kausalität (u.U. Erleichterungen) Kausalität Schaden Schaden Materieller und immaterieller Materieller und immateSchaden rieller Schaden PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/1 Haftungsfragen der Betreiber und Anwender von Medizinprodukten § 4 MPG (1) Es ist verboten, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, zu errichten, in Betrieb zu nehmen, zu betreiben oder anzuwenden, wenn 1. der begründete Verdacht besteht, dass sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender oder Dritter bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend gefährden oder 2. das Datum abgelaufen ist, bis zu dem eine gefahrlose Anwendung nachweislich möglich ist (Verfalldatum). (2) Es ist ferner verboten, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, wenn sie mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn 1. Medizinprodukten eine Leistung beigelegt wird, die sie nicht haben, 2. fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann oder dass nach bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten, 3. zur Täuschung über die in den grundlegenden Anforderungen nach § 7 festgelegten Produkteigenschaften geeignete Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen verwendet werden, die für die Bewertung des Medizinproduktes mitbestimmend sind. § 14 MPG Medizinprodukte dürfen nur nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 5 (= MPBetrV) errichtet, betrieben, angewendet und in Stand gehalten werden. Sie dürfen nicht betrieben und angewendet werden, wenn sie Mängel aufweisen, durch die Patienten, Beschäftigte oder Dritte gefährdet werden können. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/2 Begriff des Betreibers: Wer das Produkt montiert, instandhält, anpasst, implantiert, kontrolliert und dabei die tatsächliche Sachherrschaft ausübt (idR. Krankenhaus/Arztpraxis); Eigentumsverhältnisse sind ohne Bedeutung; angestellte Mitarbeiter sind nicht Betreiber. Betreiber kann Herstellerpflichten und Herstellerhaftung treffen, wenn er eine dem erstmaligen Inverkehrbringen gleichwertige Handlung vornimmt (zB wesentliche Veränderung eines Produkts; nicht schon Wiederaufbereitung von sog. Einmalprodukten [vgl. § 4 Abs. 2 MPBetreibVO], sofern zur Selbstverwendung und damit keine Inverkehrgabe) Begriff des Anwenders: Person, die das Gerät (tatsächlich) benutzt, d.h. eigenverantwortlich handhabt (d.h. nicht lediglich unter Aufsicht bedient), kann mit Betreiber personenidentisch sein. Auch sonstige Personen haften ggf. nach allgemeinen Grundsätzen (Verkehrssicherungspflichten) im Zusammenhang mit Medizinprodukten PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/3 Allgemeine Pflichten für Betreiber und Anwender Vgl. § 2 MPBetrV: - Betrieb und Anwendung nur gemäß Zweckbestimmung (daneben besteht aus allgemeinen Grundsätzen die Pflicht zur sachgemäßen Anwendung) - Betrieb und Anwendung nur durch fähiges Personal - Anwender handelt selbst pflichtwidrig, wenn er nicht die entsprechende Eignung besitzt - Jeweiliges Leitungspersonal darf die Anwendung nur Personen überlassen, die zur Anwendung geeignet sind (entsprechende Qualität der Auswahl und Überwachung) - Bei Kombinationen aus verschiedenen Medizinprodukten: Kombination muss unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und der Sicherheit zur Anwendung und zum Betrieb geeignet sein (entsprechendes gilt nach allgemeinen Grundsätzen auch für Kombinationen und kombinierte Anwendungen von Medizinprodukten und Arzneimitteln) Vgl. Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung: U.a. Meldepflicht bei Funktionsstörungen oder Ausfällen, sofern sie zum Tode oder zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten oder eines Anwenders oder einer anderen Person geführt haben oder hätten führen können; zu den Einzelheiten bei Angehörigen der Heilberufe vgl. § 3 Abs. 4 MPSV. PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/4 Besondere Pflichten der Betreiber eines Medizinprodukts Beispiele (aus MPBetrV): § 4 – Instandhaltung (Auswahl von geeignetem Personal, bestimmte Anforderung an steril zu haltende MP, nach Instandsetzung Funktionsprüfung) Besonderheiten bei aktiven Medizinprodukten: § 5 – Betrieb bestimmter (aktiver) Produkte erst nach Prüfung am Betriebsort; Einweisung der beauftragten Person (höhere Anforderung an den Anweisenden als in § 2) § 6 – Sicherheitstechnische Kontrollen iVm. § 15 Nr. 6 § 9 – Aufbewahrung von Gebrauchsanweisungen § 10 – Patienteninformationen bei aktiven implantierbaren Medizinprodukten (zB Herzschrittmacher) Sonstige Besonderheiten: § 11: Messtechnische Kontrollen bei Medizinprodukten mit Messfunktion (z.B. EKG) Achtung: Den Betreiber treffen neben den in der MPBetrV genannten Pflichten auch solche aus allgemeinen Grundsätzen, insb. Verkehrssicherungspflichten (zB Organisationspflichten) PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/5 Besonderheiten für Anwender Beispiel (aus MPBetrV): § 2 Abs.5 – Prüfung und Überwachung der Geräte Daneben treffen auch den Anwender die allgemeinen Pflichten zB Wärmflaschenfall (BGH NJW 1994, 1594 ff.): Chefarzt muss durch organisatorische Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass bei Wärmflaschen, die für die Anwendung im Inkubator gedacht sind, zumindest das Anschaffungsdatum erfasst wird, dass sie vor jedem Einsatz äußerlich geprüft werden und dass sie relativ frühzeitig ausgesondert werden zB Hüftgelenkfall (OLG Saarbrücken MedR 1999, 84) Arzt muss künstliches Hüftgelenk, dass nach seinem Entwurf von einem MPHersteller gefertigt wird, nicht einer Materialprüfung unterziehen, es reicht optische und mechanische Prüfung (Vertrauensgrundsatz / eigene Verantwortlichkeit) PROFESSOR DR. WOLFGANG VOIT WS 2005/2006 Arzneimittel- und Medizinproduktehaftungsrecht Folie F/6 Einzelne Probleme (Auswahl) - Fehlfunktion: Keine Haftung für bloße Fehlfunktion Aber ggf. Haftung, wenn aus der Fehlfunktion auf ein Fehlverhalten des Personals geschlossen werden kann – hier sogar ggf. Beweislastumkehr - Benutzung außerhalb der Zweckbestimmung: Nur im Rahmen eines Heilversuchs - Einsatz alter oder veralteter Geräte: Unbedenklich, wenn technisch mit modernerem Gerät gleichwertig. Ggf. höhere Anforderungen an die Fähigkeiten des Anwenders - Einsatz konstruktionsbedingt gefährlicher Geräte: Dürfen angewendet werden, wenn erforderlich und Patient auf die Gefahr deutlich hingewiesen wurde zB „Duschstuhl“ (BGH NJW 1991, 2960) Patientin wurde nicht hinreichend vor dem Risiko gewarnt, dass Duschstuhl kippen kann und verletzte sich - Zurücklassen von Medizinprodukten in Operationsgebiet: Nicht notwendig (grober) Behandlungsfehler zB „Metallclip“ in Bauchraum nach Gallenoperation: Keine Haftung, da hier keine Gesundheitsschäden entstehen (LG Heidelberg MedR 1998, 175) - Beweisprobleme: Allgemeine Grundsätze gelten auch hier, d.h. Beweislastumkehr bei groben Verstößen