13.3.03 Krieg für Öl und Gott Unordnung in der Weltordnung Istvàn

Werbung
home
zum Dossier
13.3.03
Krieg für Öl und Gott
Unordnung in der Weltordnung
Istvàn Eörsi
István Eörsi,
ungarischer
Autor, geb.
1931,
studierte bei
Georg Lukás.
Er wurde
wegen
Teilnahme am
Aufstand
1956 verhaftet
und zu acht
Jahren
Gefängnis
verurteilt.
Nach
vierjähriger
Haft wurde er
1960
amnestiert.
Heute lebt er
als
Schriftsteller
in Budapest
und Berlin.
Hinweis für
WindowsUserInnen:
Verwenden
Sie zum
Ausdrucken
Im Kampf gegen das Böse scheint jede Form der Kriegsführung
erlaubt, beurteilt der ungarische Schriftsteller István Eörsi die
amerikanische Kriegspolitik.
Nun ist es fast schon sicher, dass die Bush-Regierung in den nächsten
Tagen einen Präventivschlag gegen den Irak führen wird. Sie hält
diesen Krieg für unausweichlich und notwendig und stützt sich dabei
auf erschütternd schwache Argumente. Betrachten wir die wichtigsten
in aller Kürze etwas näher.
1. Saddam Hussein ist ein blutrünstiger, widerwärtiger Diktator,
von dessen unmenschlicher Herrschaft man das leidende
irakische Volk befreien muss.
Was Saddam Hussein anbelangt, ist wirklich kein Urteil
niederschmetternd genug. Ich möchte gleich betonen, dass meine
Argumente gegen den Krieg keine für die Erhaltung seiner Herrschaft
sind. Auch ich bin der Meinung, dass die Welt ohne Saddam Hussein
weniger unerträglich wäre. Aber erlaubt dies, eine moralische
Argumentation selektiv anzuwenden? Wenn jeder blutrünstige,
widerwärtige Diktator zu stürzen ist, dann müssten die Vereinigten
Staaten Dutzende von Ländern angreifen. Dies aber haben sie,
zumindest momentan, nicht vor. Mehr noch: Wenn sie sich Gedanken
über ihre gar nicht so ferne Vergangenheit machten, könnten sie wohl
kaum leugnen, dass sie selbst es waren, die einem so blutrünstigen
Diktator wie Augusto Pinochet gegen die demokratischen Kräfte an die
Macht geholfen haben. Ebenso wie sie in zahlreichen anderen
unserer
Artikel bitte
Opera oder
den Internet
Explorer,
ältere
NetscapeVersionen
unter
Windows
legen sich
quer.
südamerikanischen Staaten rechtsgerichtete Todesschwadronen und
Diktatoren unterstützten, die sich an Drogengeschäften bereicherten.
Zum anderen mutet es angesichts der amerikanischen Kriegsführung
als einigermassen paradox an, dass man Menschen von einem Diktator
befreien will, indem man sie umbringt. Mehr als die Hälfte der
irakischen Bevölkerung ist jünger als fünfzehn Jahre. Wenn der Segen
aus dem Himmel auf sie herunterfällt und die Panzer sie in den
Wüstensand walzen wie zu Zeiten des Krieges um Kuwait, dann
werden sie tatsächlich befreit sein von der Diktatur Saddams.
Ich muss gestehen, im Kosovo-Krieg habe ich die amerikanische
Intervention befürwortet. Nicht die Art und Weise, aber die Tatsache,
dass es sie gab. Dort musste eine begonnene, aber noch nicht zu Ende
gebrachte Volksvernichtung gestoppt werden. Von nationalistischem
Hass geleitet, hatte man dort eine europäische Muslimgemeinschaft
fast ausgerottet. Dies war – aber nur damals, in jenem historischen
Augenblick – ein Grund für eine Intervention.
2. Saddam Hussein ist eine Bedrohung für den Weltfrieden.
Ist er nicht. Er hat gar nicht die Kraft dazu. Er hat sich seit dem letzten
Golfkrieg militärisch nicht mehr erholt. Darüber hinaus kann er – wie es
sich bereits gezeigt hat – durch Ausübung massiven Drucks zur
Abrüstung gezwungen werden. «Wenn wir im Irak keine
Massenvernichtungswaffen finden, heisst das noch nicht, dass keine da
sind», sagte der US-Verteidigungsminister. Er ignorierte damit die
wichtigste Grundregel einer demokratischen Rechtsauffassung, wonach
eine Schuld nachgewiesen werden muss und nicht umgekehrt die
Unschuld. Es gibt eine ganze Reihe von Staaten – Indien, Pakistan,
Nordkorea zum Beispiel –, die von Zeit zu Zeit mit ihren Atomwaffen
drohen. Im Gegensatz zum Irak haben sie auch welche. Auch Israel
macht kein Geheimnis daraus, als letzten Ausweg seine Atomwaffen
einzusetzen. Die Bush-Regierung wendet also auch dieses Argument
selektiv und ausserdem nach unseren heutigen Kenntnissen
unbegründet an.
3. Der Irak befolgt die Beschlüsse des Uno-Sicherheitsrates nicht.
Wäre dieses Argument ein Kriegsgrund, hätte man gegen Israel schon
längst einen Krieg anfangen müssen. Dieser Vorwurf reicht als Grund
für einen Präventivschlag nicht aus, besonders seitdem klar ist, dass
man Saddam Hussein mit massivem Druck dazu bringen kann, seine
zu Recht beanstandeten Raketen zu vernichten. Israel hingegen befolgt
die substanziellen Beschlüsse der Uno und des Sicherheitsrats, die es
zur Rückgabe von Gebieten und der grundlegenden Änderung seiner
Siedlungspolitik verpflichten, auf noch so starken Druck nicht. Trotzdem
würden wohl nur Wahnsinnige verlangen, dass die internationale
Gemeinschaft oder die USA in ihrer Vertretung Israel angreifen sollte.
Konkurrenzlos machtvoll
In den Jahrzehnten zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und
dem Zerfall der Sowjetunion hat sich eine Atompattsituation zwischen
den beiden stärksten Weltmächten entwickelt. Da jede Seite die andere
hätte vernichten können und mit ihr die ganze menschliche Zivilisation,
musste die internationale Gemeinschaft eine Rechtsstruktur entwickeln,
um dies zu verhindern. Mit Hilfe des Vetorechts der ständigen
Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates konnten die Atomgrossmächte
ohne Krieg ihre wichtigen Interessen verteidigen. Dieses System
funktionierte selbst in den zugespitztesten Situationen der Weltpolitik.
Nachdem die Sowjetunion entgegen aller Erwartungen auseinander
gefallen war, entsprach diese Ordnung im Zusammenleben der Staaten
nicht mehr den neuen Kräfteverhältnissen.
Die das internationale Zusammenleben regelnde Rechtsordnung wurde
stets mit moralischen Argumenten untermauert. Wenn aber die
veränderten Kräfteverhältnisse nicht den moralischen Argumenten
entsprechen, werden letztere immer mehr an Überzeugungskraft
verlieren. Die Führung der USA zeigt immer weniger Lust, sich dem
Vetorecht zu unterwerfen. Warum sollte sie auch, wenn sie mit keinen
Konsequenzen zu rechnen hat, falls sie es nicht tut? Warum sollte sie
Abstand von ihren Forderungen nehmen, wenn sie durch nichts dazu
gezwungen wird? So gelang es ihr, die internationale Gemeinschaft
ohne die Anwendung übertrieben aggressiver Massnahmen dazu zu
bringen, ihr aufgrund ihrer Sonderstellung Sonderrechte zuzugestehen.
Da ein Machtkonkurrent fehle, fiele ihr eine besondere Verantwortung
zu und deswegen habe sie ein Anrecht auf besondere
Machtbefugnisse.
In dieser Situation, als die USA durchdrungen waren vom Bewusstsein
ihrer eigenen Stärke, ja ihrer Omnipotenz, stellte sich plötzlich heraus,
dass sie auch verwundbar sind. Sie mussten nicht den Angriff anderer
Staaten erleiden, sondern den einer Kraft, die sie noch nicht einmal
definieren können und deswegen als teuflisch empfinden: Die
Emanation des Bösen hat kein Territorium, keine Bevölkerung, keine
Geschichte, sie lässt sich nicht auf traditionelle Weise umschreiben.
Diese Kraft lässt sich nicht bezwingen, ohne die Schranken zu
durchbrechen, die von einer untergegangenen Weltordnung geschaffen
worden sind. Also liessen die USA verlauten, dass sie die Uno-Charta
notfalls als Papierfetzen betrachten und handeln würden, wie sie es für
richtig hielten – im Wissen darum, dass die anderen Staaten sie dafür
nicht massregeln können.
Es stimmt zwar, dass bereits im Zusammenhang mit dem Eingreifen im
Kosovo das Argument laut wurde, wonach die Menschenrechte höher
zu werten seien als die von der Uno als unantastbar anerkannte
Rechtsordnung der Nationalstaaten der Weltgemeinschaft, da jene auf
elementare Interessen der gesamten Menschheit abzielen. Ein
Nationalstaat, der Völkermord verübt, schliesst sich selbst aus der
Staatengemeinschaft aus. Ich habe das damals als Fortschritt
betrachtet, als eine Entwicklung, die in Gefahrensituationen aus der
nationalen Provinzialität herausführt. Natürlich störte es mich, dass
auch dieses Prinzip nur selektiv anwendbar ist. Jugoslawien kann man
bombardieren, weil ihre Führer die albanische Minderheit ermorden,
China dagegen könnte man nicht bombardieren, wenn den Tibetern
Ähnliches drohte. Ich war bereit, diesen Widerspruch zu akzeptieren,
wenn auch nicht mit ganz reinem Gewissen. Denn nur so konnten die
Kosovo-Albaner vor dem Genozid bewahrt werden.
Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 kamen aber die Führer
der Vereinigten Staaten zum Schluss, es reiche nicht, die das
Zusammenleben der Nationen regelnden Vorschriften im einen oder
anderen Punkt zu ändern. Es müsste vielmehr eine vollkommen neue
Ordnung aufgestellt werden, basierend auf einer umfassenden
Vollmacht, die ihnen, ihrer Überzeugung nach, von der Vorsehung
verliehen worden sei. Um Russland und China für sich zu gewinnen,
willigten die Führer der USA ein, künftig keinen Unterschied mehr
zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen zu machen, das heisst,
jeden als Terroristen zu betrachten, der legitime Mächte ausserhalb der
legitimen staatlichen Strukturen bekämpft. Somit ist jeder zum
Verbrecher gestempelt, der den unter Anwendung von was für Gewalt
auch immer errichteten Status quo in Ermangelung anderer
Möglichkeiten gewaltsam zu ändern sucht. Als Teilnehmer am
ungarischen Volksaufstand von 1956 empfinde ich eine derartige
Auffassung als persönliche Beleidigung. Anschliessend bestimmten sie
den Kreis der Bösen, bastelten eine Achse zwischen den Feinden und
liessen verlauten, dass dieser Kreis jederzeit erweiterbar ist. So
gewannen tagespolitische Überlegungen metaphysische Dimensionen.
Aus diesem Grunde war es so gespenstisch, als der USVerteidigungsminister auf einer Pressekonferenz das aufmüpfige
Deutschland in einem Atemzug mit Kuba und Syrien nannte. Von einem
Augenblick zum nächsten kann jeder zum Bösen erklärt werden und
muss nicht nur aus politischen Gründen, sondern gleichsam aufgrund
eines göttlichen Befehls die Konsequenzen tragen. Denn im Kampf
gegen das Böse – einer bekanntermassen metaphysischen Existenz –
ist jede Form der Kriegsführung erlaubt.
Wenn eine Weltordnung nicht mehr zeitgemäss ist, aber noch keine
Grundlagen für eine neue, allgemein annehmbare neue Weltordnung
sichtbar sind, entsteht eine durch rohe Gewalt erzwungene, auf
brutalen Interessen und/oder auf einen willkürlichen Glauben
basierende Wertordnung, die nur eine unordentliche Ordnung in der
Welt schaffen kann.
Öl oder Gott?
Welche Rolle hat wohl die unstillbare Gier nach Öl gespielt, als man
Saddam Hussein, der nach heutigem Kenntnisstand keinerlei Kontakt
zu Bin Laden und dessen Terrororganisation aufrechterhält, in der
Hierarchie des Bösen noch vor Bin Laden den vornehmen Platz des
obersten Bösen zugesprochen hat? Die europäische Linke, besonders
jener Teil, welcher mit der einen oder anderen Form des Marxismus
gross geworden ist, schreibt die Kampfeslust der Vereinigten Staaten
eindeutig dem Öl zu. In der «Zeit» (20. 2. 03) wird aber auch ein
konservativer Energieexperte aus Washington, Paul Michael Whibey,
zitiert: «Nach einem Sturz Saddams werden wir bedeutende
zusätzliche Ölmengen aus dem Irak bekommen. Das Land hat
Reserven, die jene Saudi-Arabiens erreichen oder übertreffen.»
Seitdem Saudi-Arabien der finanziellen Unterstützung von
antiamerikanischen Terrorgruppen verdächtigt wird, arbeitet eine ganze
Schar konservativer Energiestrategen an der Zurückdrängung der
saudiarabischen Ölmacht. In ihren Plänen spielt das irakische Öl eine
Schlüsselrolle.
Der Soziologe Wolf Lepenies («Süddeutsche Zeitung», 1/2. 3. 03)
behauptet hingegen, ein Irakkrieg würde nicht in erster Linie wegen des
Öls geführt. «Vielmehr handeln George W. Bush und seine Regierung
im festen Glauben, dass sie in ihrem Kampf gegen Saddam Hussein
das Gute zum Sieg über das Böse führen werden.» Bushs Pathos ist
tatsächlich von der Überzeugung durchdrungen, einen göttlichen
Auftrag zu erfüllen. Schon bei seinem Amtsantritt hat er seinen
Mitbürgern eine Renaissance der christlichen Werte angekündigt. Auch
seine Terminologie ist, wie wir sehen konnten, von der christlichen
Metaphysik durchdrungen. Und seine Methodik? Statt scholastische
Argumente bietet er den zögernden Staaten Geld für ihre Stimmen an –
und nicht wenig. Er ruft keine Konzilien ein, sondern lässt Wanzen in
den Besprechungsräumen der schwankenden Delegationen der Uno
anbringen. Die gefangenen Feinde betrachtet er nicht als Soldaten,
entzieht sie so dem Schutz der für Kriegsgefangene geltenden Verträge
und unterwirft sie inquisitorischen Massnahmen. Dies führt uns zurück
in die Sphäre des Glaubens. Der berühmte Spruch, wonach der Zweck
die Mittel heilige, wurde ebenfalls im Dienste Gottes ersonnen.
Um das Dilemma «Öl oder Gott» zu lösen, schlage ich also vor, das
«oder» durch ein «und» zu ersetzen, und schon können wir nicht mehr
gross falsch liegen.
Die amerikanischen Traditionen
Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mich mit dem bisher
Geschriebenen dem Verdacht der Amerikafeindlichkeit aussetze. In
seinem kriegsbefürwortenden Artikel (FAZ, 27. 2. 03 und «TagesAnzeiger», 4. 3. 03) beruft sich der ungarische Literaturnobelpreisträger
György Konrád auf die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und zieht für
die allein selig machende angelsächsische Orientierung zu Felde.
Diese Ausrichtung beinhaltet seiner Meinung nach die transatlantische
Solidarität, also ein harmonisches Zusammenwirken von Amerika und
Europa. Ohne den englisch-amerikanischen Schulterschluss wäre
Europa «heute entweder nationalsozialistisch oder kommunistisch (...)
oder aber geteilt beides.» Woraus sonnenklar hervorgeht, dass Europa
auch heute an der Seite Amerikas stehen muss. Diese Analogie lahmt
aber gleich an mehreren Stellen. Ich möchte nur so nebenbei
erwähnen, dass Hitlers weltpolitische Lage 1942 nicht mit der von
Saddam Hussein heute zu vergleichen ist. Für mein Thema ist es aber
wichtiger, dass Franklin D. Roosevelt nicht mit George W. Bush zu
vergleichen ist. Der in radikalkonservativen Kreisen formulierte Vorwurf
des Antiamerikanismus ist deswegen irreführend, weil es nicht eine,
sondern zwei miteinander unvereinbare US-Traditionen gibt. Wer der
einen folgt, ist vom Blickwinkel der anderen betrachtet
antiamerikanisch. Der Einfachheit halber leite ich diese beiden
Traditionen aus dem Bürgerkrieg von 1864 ab, als es darum ging, die
Sklavenhaltung zu zerstören oder aber zu bewahren. Der texanische
Plantagenbesitzer und Sklavenhalter verstand sich ebenso als
Amerikaner wie der freiwillige Sanitäter der Nordtruppen, der Dichter
Walt Whitman. McCarthy hat, angeblich «unamerikanischen»
Umtrieben nachjagend, zahlreiche Glanzlichter der amerikanischen
Kultur auf die Anklagebank gezwungen. Die politische Nomenklatura,
die nicht nur mit Massenvernichtungswaffen drohte, sondern sie in
Vietnam auch reichlich einsetzte, war amerikanisch, ebenso wie die
dagegen angehende Friedensbewegung und die grosse amerikanische
Beat-Dichtung. Die geistigen Väter der ersten Verfassung der
Vereinigten Staaten, in der das erste Mal die Grundprinzipien eines
säkulären Staates in den Rang eines Gesetzes erhoben wurden, waren
Amerikaner, aber auch der von göttlichem Sendungsbewusstsein
durchdrungen politisierende jetzige Präsident ist ein Amerikaner. Und
der ihm entgegen tretende 88-jährige Senator Robert C. Byrd? Ist er
etwa kein Amerikaner? Am 13. Februar 2003 sagte er im Senat
Folgendes: «Hiermit erkläre ich, dass ich starke Zweifel an der
Urteilsfähigkeit eines Präsidenten habe, der fähig ist zu behaupten, ein
unprovozierter Militärschlag gegen eine zur Hälfte aus Kindern
bestehende Nation würde den ‘erhabensten moralischen Traditionen
unseres Landes entsprechen’.» Byrd legte ein besonderes Gewicht
darauf, zu betonen, dass auch er Amerikaner sei: «Ich bete aus
tiefstem
Herzen, dass diese grosse Nation und ihre vertrauensvollen, guten
Bürger nicht die
Qual eines furchtbaren Erwachens erleiden müssen.»
Vernichtung und Terror
Was für Qualen des Erwachens mag Byrd befürchten, abgesehen vom
Anblick der Vernichtung? Da kann ich nur rätseln. Der Präsident hat
allem Anschein nach keinerlei Vision, wie das Leben im Irak nach
einem Krieg weitergehen soll. Schon beim Angriff auf Afghanistan
wusste er nicht, was die Herrschaft der Taliban ablösen sollte. Aus
Berichterstattungen und den Schilderungen der neuen Emigranten
erfahren wir, dass im grössten Teil des Landes Chaos, Elend und
Unsicherheit herrschen. Die Taliban wurden zwar verjagt, viele auch
getötet, doch die verschiedensten fundamentalistischen Gruppen
übernehmen wieder die Macht, die Lage der Frauen ist nicht viel besser
als zu Zeiten der Diktatur der Taliban. Die Unsicherheit ist gross, und
die jetzige Lebensqualität entschädigt immer weniger für das viele Leid,
das mit dem Krieg verbunden war.
Im Zusammenhang mit dem Irak gibt es den Plan, für zwei Jahre einen
amerikanischen General zum Verwalter des Landes zu bestellen. So
eine Führungsstruktur kann von der Bevölkerung unmöglich unterstützt
werden. In der islamischen Welt wird die Empörung wachsen, weil
Christen ein muslimisches Land unter ihre Herrschaft gebracht haben.
Es ist anzunehmen, dass es vermehrt zu Selbstmordattentaten und
anderen Terrorakten kommen wird, und nicht nur auf israelischem
Gebiet. Doch Zorn und Rache werden sich in erster Linie gegen Israel
richten, da es verwundbarer ist als die USA und da die «Auge um
Auge, Zahn um Zahn»-Politik, die von seiner rechtsgerichteten
Regierung immer entschlossener verfolgt wird, den Zorn seiner Feinde
immer mehr anstachelt. Die Antwort der USA auf die Verbreitung des
Terrorismus kann nur aus einer weiteren Einschränkung der
freiheitlichen Rechte und aus der Vergiftung der demokratischen
politischen Atmosphäre bestehen. Der Qualitätsverfall der westlichen
Demokratien und die steigende Frustration (und die damit
einhergehende Aggression) der islamischen Staaten stacheln sich
gegenseitig an. Das Ende dieses Prozesses ist nicht abzusehen.
Vielleicht hatte Senator Byrd so etwas vor Augen, als er über die
Qualen eines furchtbaren Erwachens sprach.
Herunterladen