MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN

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MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN
Die Doppelmoral der Bush-Krieger
Von Harald Schumann
Mit der Gefahr durch ABC-Waffen in der Hand feindlicher Regime rechtfertigt die
US-Regierung ihre neue Doktrin des gerechten Präventivkriegs. Doch
Washingtons Strategen haben selbst entscheidend zur Aushöhlung der UnoVerbotskonventionen und zur Verbreitung der Terror-Technologien beigetragen
- nicht nur im Irak.
Berlin - Der Besucher aus dem fernen Amerika schüttelte
seinem Gastgeber herzlich die Hand. Dieser gab sich "lebhaft
und vertrauensvoll", notierte ein Mitarbeiter der USBotschaft. Dabei übermittelte der Sondergesandte aus
Washington "die Grüße des Präsidenten und brachte seine
Freude zum Ausdruck", die Hauptstadt des Gastlandes
besuchen zu dürfen. Anschließend sprachen die Partner
übers Geschäft und die Verbesserung der Beziehungen
zwischen ihren Staaten.
So schildert ein jüngst vom amerikanischen Magazin
REUTERS
"Newsweek" zitiertes Protokoll des US-Außenministeriums
Verteidigungsminister Rumsfeld:
Geschäfte mit Saddam
jene Begegnung, an die Amerikas Regenten heute nur noch
ungern erinnert werden. Denn es war Donald Rumsfeld,
heute Chef der gewaltigsten Streitmacht auf Erden, der einst, im Dezember 1983, im
Auftrag des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan in Bagdad das vertrauliche
Gespräch mit Saddam Hussein suchte.
In den folgenden acht Jahren, das ergaben Ermittlungen des US-Kongresses, scheuten
die Regierungen der Präsidenten Reagan und Bush senior weder Kosten noch Mühe, um
dem Despoten von Bagdad in seinem Angriffskrieg gegen den Iran beizustehen. Nach
dem Prinzip, 'der Feind meines Feindes ist mein Freund', arrangierten sie nicht nur
verdeckte Waffenkäufe über Ägypten sowie die Übergabe von militärisch wichtigen Daten
der US-Satellitenaufklärung.
Saddams Terrorwaffen, made in USA
Zugleich billigten die US-Behörden auch den Kauf von Ausrüstung und Rohstoffen zur
Herstellung biologischer und chemischer Waffen durch das Regime im Irak. So lieferten
US-Labors zum Beispiel am 2. Mai 1986 vier Kulturen von Milzbrand- und BotulinusBakterien an das Irakische Bildungsministerium, beides Erreger, die der Herstellung von
Bio-Waffen dienen können.
AP/ Space Imaging
Isotopentrennungsanlage im Irak
(Satellitenbild, 1999): Technologie
aus den USA
Daneben durfte sich die irakische Atomenergie-Kommission
unter den Augen der Exportkontrolleure des Washingtoner
Handelsministeriums über mehrere Jahre hinweg in den USA mit Labor-Ausrüstung
eindecken. Der Handel mit der Technik für die Massentötung setzte sich sogar noch fort,
nachdem Saddam Hussein im März 1988 über 5000 Kurden mit einem Giftgasangriff
hatte ermorden lassen. Insgesamt erteilten die US-Behörden nicht weniger als 711
Ausfuhrlizenzen für so genannte dual-use-Güter, die zur Herstellung von
Massenvernichtungswaffen benötigt werden.
"Die Vereinigten Staaten versorgten die Regierung des Irak mit Materialien, die zur
Entwicklung des irakischen Chemiewaffen, Biowaffen- und Raketen-System-Programms
beitrugen", resümierte der Ausschussvorsitzende, Donald Riegle, im Jahr 1992.
Heute, fast zwei Jahrzehnte nach Rumsfelds Besuch in Bagdad, stehen er und sein
Präsident an der Spitze einer Regierung, die sich anschickt, wegen ebensolcher Waffen
einen Präventivkrieg gegen den Irak zu führen. "Wenn die Feinde der Zivilisation offen
und aktiv nach den zerstörerischsten Technologien der Welt streben, dürfen die
Vereinigten Staaten nicht tatenlos bleiben", konstatiert die am vergangenen Freitag
veröffentlichte neue "Nationale Sicherheitsstrategie" der Regierung Bush. Auch wenn
"Zeit und Ort der Angriffe durch solche Feinde unsicher" seien, so künden Bushs
Strategen, "werden die Vereinigten Staaten, wenn nötig, auch präventiv handeln, um
feindliche Akte unserer Gegner zu vereiteln".
Doch die Gefahren, die Washingtons Falken nun beschwören, um ihren geplanten Bruch
mit dem Völkerrecht zu rechtfertigen, haben sie selbst und ihre Vorgänger aktiv mit
herbeigeführt - und das keineswegs nur wegen ihrer unheiligen Allianz mit dem
Schlächter von Bagdad während der achtziger Jahre. Vielmehr behindern und unterlaufen
Amerikas Regierungen seit Jahrzehnten und bis heute Bemühungen der internationalen
Staatengemeinschaft, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen wirksame
Riegel vorzuschieben.
Die Politik der Doppelmoral begann schon, da war die
Vokabel "Nichtweiterverbreitung" (Nonproliferation) gerade erst geboren. Gegen Ende der sechziger
Jahre drängten die damals erst fünf Atommächte (USA,
Sowjetunion, China, Frankreich, Großbritannien) unter
massivem politischen Druck die übrige Welt zur
Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages, dem
mittlerweile 185 Staaten beigetreten sind. Um die atomaren
Habenichtse zu ködern, verpflichteten sich die
Atomwaffenbesitzer in Artikel sechs des Vertrages zur
"generellen und vollständigen Abrüstung" ihrer Atomarsenale
"unter strikter und effektiver Kontrolle".
Zugang zum Club der Unangreifbaren
US-Raketensilo: "Vollständige
Abrüstung"
AP
Das Versprechen war wegen des Kalten Krieges von Beginn an wenig glaubwürdig. Doch
auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion übten sich die Atommächte in
Ignoranz, allen voran die USA, wo der Kongress im Jahr 1992 sogar den Vertrag über das
Ende von Atomwaffen-Tests zurückwies. Diese Verweigerung blieb nicht ohne Folgen.
Schwellenländer sahen sich geradezu aufgefordert, sich durch den Aufbau eigener
Atomwaffen-Arsenale Zugang zum Club der Unangreifbaren zu verschaffen.
Folglich rüsteten sich die Inder schon ab 1974 mit Atomwaffen aus,
nicht zuletzt unter Verweis auf das Arsenal des großen Nachbarn China.
Dem indischen Beispiel folgte irgendwann in den achtziger Jahren
Israel, das zwar keinen Demonstrationstest durchführte, über dessen
Atomwaffenfabrik in der Negev-Wüste aber ausreichende Belege
vorliegen. Und die "islamische Bombe" in den Händen von Saddam
Hussein mag zwar durch den Golfkrieg und die anschließende
Zerstörung der irakischen Atomlabors verhindert worden sein.
Gleichwohl gibt es sie - in Pakistan, dessen Regime 1998 mit einer
Serie von unterirdischen Bombentests seine Fähigkeit zum nuklearen
Vergeltungsschlag demonstrierte.
Insbesondere die Fälle Israel und Pakistan demonstrieren, wie
REUTERS Amerikas Kämpfer gegen die nukleare Bedrohung mit zweierlei Maß
messen. Gewiss, Israel ist umgeben von feindlichen Nachbarn, die mit
der ultimativen Waffe vor einem erneuten Überfall auf den Judenstaat
Pakistanische Atomabgeschreckt werden können. Ähnliche Abschreckung könnte freilich
Rakete: "Islamische
Bombe"
auch ein Beistandsvertrag mit den USA bewirken. So dient das
israelische Atomprogramm den Hardlinern der arabischen Welt stets als Rechtfertigung
für die Forderung nach eigenen Massentötungswaffen. Trotzdem enthielten sich die USRegierungen beider Parteien bis heute jeder ernsthaften Kritik an Israels
Atombewaffnung.
Noch absurder ist der amerikanische Umgang mit Pakistan.
Die Diktatur des Pervez Musharraf darf getrost als Brutstätte
des internationalen Terrors bezeichnet werden. Sein
Geheimdienst nährte nicht nur die Taliban bis zum abrupten
Richtungswechsel nach dem 11.9. 2001. Daneben stützen
Musharrafs Schergen auch die Islamisten in Kaschmir und
regieren das Land mit brutalen Polizeistaatsmethoden bis zu
Folter und Mord. Trotzdem erfreut sich die herrschende
Offiziers-Clique in Islamabad der ungeteilten Unterstützung
aus Washington, einschließlich großzügiger Milliardenkredite
des Internationalen Währungsfonds.
Sitzung des Nationalen
Sicherheitsrats in Washington:
Kein Interesse an Verträgen
AP
Im Klartext: Demokratie hin, Menschenrechte her, wer auf
Seiten der USA steht, darf sich ungestraft ABC-Waffen verschaffen. Und das eigene
Arsenal der Vereinigten Staaten bleibt ohnehin sakrosankt.
Vor diesem Hintergrund sind die Methoden, mit denen Regierung und Parlament in
Washington die Uno-Konventionen gegen die Verbreitung von Bio- und Chemiewaffen
sabotieren, wenig überraschend. Gleich zwei mal demonstrierte die Bush-Administration
in den vergangenen zehn Monaten, dass sie kein Interesse mehr an solchen Verträgen
hat.
Den ersten Sprengsatz an das Nichtverbreitungs-Regime im Rahmen der Uno legte VizeAußenminister John Bolton, der in Washington den irreführenden Titel
"Abrüstungsbeauftragter" führt, im vergangenen Dezember persönlich.
Als die Vertreter der 144 Mitgliedstaaten der Bio-WaffenKonvention in Genf zusammentraten, um endlich - nach sieben
Jahren mühevoller Verhandlungen - ein Protokoll zu verabschieden,
das wirksame Kontrollen vorschreiben sollte, ließ Bolton die
Konferenz kurzerhand platzen. Die US-Regierung unterstütze dieses
Vorhaben nicht mehr, teilte er mit; den verblüfften Diplomaten
blieb nichts anderes übrig, als sich um ein Jahr zu vertagen.
Vergangene Woche ließ Bolton mitteilen, dass seine Regierung an
einer Fortsetzung der Verhandlungen kein Interesse mehr hat und
alle Ideen für ein Kontroll-Regime gegen Bio-Waffen für "den
falschen Ansatz" halte, bei dem zu befürchten sei, "das er
grundsätzlich nicht funktioniert". Man könne doch "nicht glauben,
dass 150 Länder am Tisch sitzen und von gleich zu gleich
verhandeln, wenn einige die Konvention verletzen, über die man
redet", erläuterte ein leitender US-Beamter der "Financial Times
Deutschland" diese Position. Das sei, "als würden Mafia und Polizei
über eine bessere Verbrechensbekämpfung reden."
AP
Vizeverteidigungs
minister Bolton: "Mit der
Mafia verhandeln"
Die Biowaffen-Projekte der US-Army
Erst recht, wenn das Pentagon Teil der Mafia ist. Denn nicht nur der Irak, Israel,
Ägypten, China, Indien und Pakistan stehen im Verdacht. Auch die Vereinigten Staaten
haben in Sachen Bio-Waffen einiges zu verbergen. So enthüllte die "New York Times" ein
Woche vor den Anschlägen vom 11. September, dass die Regierung mindestens drei
Projekte verfolge, die, wenn nicht den Paragrafen, so doch dem Sinn der Konvention
fundamental widersprächen. Demnach arbeiten Wissenschaftler der US Army an einer
Produktionsanlage für Biowaffen, an der Vorbereitung einer Testexplosion einer
unvollständig ausgestatten Bakterienbombe und der Entwicklung eines gentechnisch
veränderten Milzbranderregers, der gegen die gebräuchlichen Impfstoffe resistent ist.
REUTERS
Milzbrand-Bakterien: Mit der
Gentechnik zur perfekten Waffe
Nicht anders halten es die Bush-Krieger mit den chemischen
Waffen. Zwar gelang es der Uno im Jahr 1997 die weltweit
tätige Kontroll-"Organisation for the Prohibition of Chemical
Weapons" (OPCW) zu gründen, deren 200 Inspektoren bis
2012 die Vernichtung aller Chemiewaffen-Bestände
überwachen sollen. Doch die im Vertrag vorgesehenen
unangekündigten Verdachtskontrollen können ausgerechnet
in den USA gar nicht stattfinden. Mehrfach verwehrten USBehörden den OPCW-Experten den Zugang zu bestimmten
Einrichtungen. Und der Kongress verabschiedete dazu ein
Gesetz, das es dem Präsidenten erlaubt, die Inspektoren
überhaupt abzuweisen, wenn deren Tätigkeit "die Sicherheit
der Vereinigten Staaten" gefährde.
Im April diesen Jahres erzwang die Bush-Regierung schließlich auch noch den
Rausschmiss des noch ein Jahr zuvor einstimmig in seinem Amt bestätigten OPCWDirektors José Bustani. Der 59-jährige brasilianische Diplomat hatte den Fehler
begangen, ganz im Sinne seines Auftrages auch Saddam Hussein zur Unterzeichnung des
Vertrages zu drängen und damit seinen Kontrolleuren auch im Irak Zutritt zu
verschaffen.
Weil das dem Regime in Bagdad womöglich zusätzliche Legitimation verschafft hätte,
stellten die Amerikaner kurzerhand ihre Beitragszahlungen ein und warfen Bustani
"Kompetenzüberschreitung" vor. Anschließend schmiedeten sie eine Allianz zur
Absetzung des als störrisch und eigensinnig gebrandmarkten Brasilianers, bei der neben
den Europäern sogar die Delegierten des pazifischen Zwergstaates Kiribati als Stimmvieh
eingespannt wurden. Bustani blieb nach der entscheidenden Abstimmung in Den Haag
nur der Protest gegen den seiner Meinung nach "gefährlichen Präzedenzfall", bei dem
erstmals auf Druck der USA der Chef einer multilateralen Institution während seiner
laufenden Amtszeit davongejagt wurde.
Es liegt nahe, all diese Widersprüche und Übergriffe der
US-Strategen beim Umgang mit
Massenvernichtungswaffen achselzuckend als jene
Realpolitik anzusehen, wie sie eine komplexe und
gewalttätige Welt nun einmal erfordert. Doch gerade die
jüngere Geschichte der US-Außenpolitik liefert zahlreiche
Belege, dass sie zur Befriedung und Demokratisierung der
Menschheit etwa so viel beiträgt wie die gefälschten
Bilanzen von Enron und Co. zur Gesundung der
amerikanischen Volkswirtschaft. Gleich ob im Falle des
Irak oder Saudi-Arabiens, ob bei der UCK-Guerilla im
Kosovo oder Afghanistans Gotteskriegern, allzu häufig
mündete die US-Realpolitik am Ende im Ruf nach Schutz
vor Amerikas Freunden von gestern - und ihren Waffen.
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Die "Selektivität der amerikanischen Politik" beim
Umgang mit Massenvernichtungswaffen sei daher selbst
ein zentrales Problem bei deren Bekämpfung, warnt Bernd Kubbig, Rüstungsexperte bei
der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Daran werde auch der
geplante Krieg gegen den Irak nichts ändern. Zu befürchten sei vielmehr, dass erneut ein
"substaatlicher Boden für Terroristen" geschaffen werde. Für deren Zugriff auf die
Technologien der Massenvernichtung ist der Weg nur noch kurz.
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