1. Einleitung - Universität Potsdam

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Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Die Bedeutung des Liberalismus bei der
Wiederbegründung des deutschen
Parteiensystems von 1945 - 1953
(Bundesrepublik Deutschland und Deutsche
Demokratische Republik)
Diplomarbeit im Studiengang Politikwissenschaften
Eingereicht am Lehrstuhl „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“
Erstgutachter: Prof. Dr. Jürgen Dittberner
Zweitgutachter: Dr. Jochen Franzke
Wintersemester 2006/07
Abgabedatum: 08.01.2007
Verfasser:
Marco Kirchhof
Park Babelsberg 14,
14482 Potsdam
Tel.: 0176/21144988
E-Mail: [email protected]
Matrikelnummer 71 85 14
2
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung __________________________________________________________________ 4
2. Die Entwicklung der Liberalen bis 1933 _________________________________________ 6
3. Der Neuaufbau ab 1945 _____________________________________________________ 15
3.1. Der Berliner Gründerkreis ______________________________________________ 17
3.2 Der Stuttgarter Kreis ___________________________________________________ 19
4. Die Situationen in den einzelnen Besatzungszonen _______________________________ 21
4.1 Die sowjetische Zone __________________________________________________ 21
4.2 Die amerikanische Zone ________________________________________________ 23
4.3 Die britische Zone ____________________________________________________ 25
4.4 Die französische Zone _________________________________________________ 26
5. Die theoretischen Ansätze und Konzepte nach 1945 ______________________________ 30
5.1 Die liberale Volkspartei ________________________________________________ 30
5.2 Die Rechtspartei ______________________________________________________ 32
5.3 Die Partei der breiten bürgerlichen Mitte ___________________________________ 33
6. Die wichtigsten Vertreter der drei Modelle und die Umsetzungen der Konzepte in die
Praxis ______________________________________________________________________ 34
6.1. Die LDP(D) unter Wilhelm Külz ________________________________________ 35
6.2. Die hessische LDP unter August Martin Euler ______________________________ 38
6.3. Die DVP unter Ernst Mayer ____________________________________________ 46
7. Stuttgart oder Berlin? _______________________________________________________ 52
8. Die gesamtdeutsche liberale Partei DPD________________________________________ 64
9. Die Entwicklung der LDP(D) bis 1953 _________________________________________ 67
9.1 Das Umbruchjahr 1948_________________________________________________ 67
9.2. Die Jahre der Gleichschaltung 1949-1953 _________________________________ 69
10. Die Entwicklung der Liberalen in der Westzone ________________________________ 71
10.1 Von der DPD zur FDP ________________________________________________ 72
10.2 Die Gründung der FDP ________________________________________________ 75
10.3 Bürgerliche Milieupartei oder rechte Sammlungsbewegung? __________________ 79
11. Die Entwicklung der FDP bis 1953 ___________________________________________ 80
11.1 Die Südweststaat-Krise________________________________________________ 82
11.2 Eine Partei – zwei Programme __________________________________________ 88
11.3 Die Naumann-Affäre _________________________________________________ 93
3
11.4 Die FDP nach der Bundestagswahl 1953 __________________________________ 98
12. Fazit ___________________________________________________________________ 101
13. Literatur- und Quellenverzeichnis __________________________________________ 108
15. Ehrenwörtliche Erklärung _________________________________________________ 116
16. Danksagung _____________________________________________________________ 117
4
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Konzeptionsansätzen, mit welchen die
Liberalen innerhalb des Betrachtungszeitraumes versuchten, eine starke sowie stabile liberale
Partei zu konstituieren und so erfolgreich liberale Politik betreiben zu können. Eine für die
Herausbildung des deutschen Parteieinsystems wichtige Frage ist, inwieweit die Liberalen
hierbei agierten oder lediglich reagierten. Entstand das System einzig und allein aus dem
Willen der Siegermächte heraus, also ohne jegliche Einflussmöglichkeit für die deutsche
Politiker? Für die Liberalen soll nachgewiesen werden, dass für die Parteienentstehung eine
Vielzahl verschiedener Einflüsse, Bedingungen, regionaler Traditionen und die Aktivitäten
unterschiedlichster Persönlichkeiten die entscheidenden Faktoren waren.
Auf eine umfassende Definition des Begriffs Liberalismus soll verzichtet und dieser nur zur
Unterscheidung zu anderen politischen Richtungen als gegeben angenommen werden.
Allerdings wird die Bezeichnung „liberal“ nur genutzt wenn die Verwirklichung folgender
Ziele angestrebt wurde: Parlamentarismus und Demokratie, rechtsstaatliche Ordnung und
Schutz des Individuums, Freiheits- und Bürgerrechten, Privateigentum und Marktwirtschaft,
Trennung von Kirche und Staat, sowie, innerhalb des Betrachtungszeitraumes, die deutsche
Einheit. Diese Ziele waren und sind unter den Anhängern des Liberalismus allgemeingültig
anerkannt, auch wenn es hierbei unterschiedliche Gewichtungen gab und gibt, und bilden die
Grundlage aller liberalen Gesellschaftspolitik.
Als innerparteiliches Hauptanliegen wird die Überwindung der Spaltung Deutschlands, die
Durchsetzung der o.g. Ziele und die Gewinnung sowie der Erhalt der Einheit der liberalen
Bewegung angenommen.
Weitere Grenzen waren dieser Arbeit aufgrund der Materiallage gesetzt. Die Frage nach den
liberalen Parteikonzeptionen wurde bisher kaum erörtert. Zwar ist Literatur über die
Gründerjahre der Parteien und der beiden deutschen Staaten zahlreich vorhanden, jedoch
beschäftigt sich erstere zumeist nur mit Landesverbänden, lokalen Vereinigungen und
Einzelpersönlichkeiten oder setzt wie die zweitere erst ab 1949 ein. Werke über die LDP(D)1
beschäftigen sich meistens lediglich mit den Bedingungen und Entwicklungen innerhalb der
SBZ bzw. dem Verhältnis der LDP(D) zur SED, während Publikationen die die FDP zu
Thema haben sich, wenn überhaupt, nur am Rande mit den Ost-Liberalen beschäftigen. Die
Publikationen die sich mit den Richtungskämpfen innerhalb der FDP beschäftigen,
1
Zur besseren Unterscheidung zwischen der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) Hessens und der LDP der
SBZ (Liberal-Demokratische Partei Deutschlands) wird letztere im Folgendem stets als LDP(D) bezeichnet.
Diese Bezeichnung ist auch dahin gehend die exaktere, da die Liberal-Demokraten der SBZ stets einen
gesamtdeutschen Anspruch vertraten und die Abkürzung LDPD ab 1951 offiziell eingeführt wurde.
5
vernachlässigen zumeist in ihren Darstellungen die Auseinandersetzungen zwischen den
Liberalen in Ost und West vor Heppenheim. Den Veröffentlichungen zur Geschichte der
einzelnen Landesverbände fehlt wiederum die gesamtdeutsche Perspektive, auch lässt sich bei
einigen dieser Bücher ein gewisses Bestreben erkennen die jeweilige Partei in gutem Licht
darzustellen, also eventuelle Schattenseiten zu vernachlässigen. Eventuell vorhandene Lücken
durch
Interviews
mit
maßgeblichen
Funktionsträgern
aus
dieser
Frühphase
der
Parteienbildung zu schließen war nicht möglich, da die meisten Persönlichkeiten der
Gründerphase entweder bereits verstorben bzw. Befragungen aus gesundheitlichen Gründen
nicht möglich waren.
Aus diesen Gründen bilden „Der deutsche Liberalismus 1945 bis 1955: Deutschland- und
Gesellschaftspolitik der ost- und westdeutschen Liberalen in der Entstehungsphase der beiden
deutschen Staaten“ von Theo Rütten und „Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler
Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen
Partei 1945-1949“ von Dieter Hein, die Basisgrundlage für die vorliegende Arbeit. Als
Erweiterung dieser Basis konnten mehrere Aufsätze diverser Autoren, sowie, „Die
Bundestagswahlkämpfe der FDP 1949-2002“ von Marco Michel, Jörg Michael Gutschers
„Die Entwicklung der FDP von ihren Anfängen bis 1961“ und Publikationen Erich Mendes
genutzt werden.
Hieraus ergab sich die, nach drei Konzepten unterscheidende, vorliegende Gliederung, der
Arbeit. Diese Konzepte wurden jeweils an einem Beispiel, an zwei Landesparteien bzw. an
der LDP(D) als Zonenpartei, verdeutlicht. Hierbei konnte auf die Publikationen über die
Landesparteien bzw. über die LDP(D) zurückgegriffen werden, wodurch das Manko des
begrenzten Materials in gewisser Weise ausgeglichen werden konnte.
Der Hauptaspekt der Arbeit soll auf der Betrachtung der inneren Entwicklung der liberalen
Parteien liegen, so dass bedeutende Ereignisse in dieser Zeit nur Erwähnung finden, wenn sie
sich direkt auf die liberalen Parteien ausgewirkt haben. Im Interesse der Überschaubarkeit der
Arbeit wird auch auf eine Betrachtung der Finanzierungssysteme der liberalen Parteien
verzichtete. Ebenso wird auf die Untersuchung der Gründe für Teilnahme bzw.
Nichtteilnahme
an
bestimmten
wichtigen
politischen
Prozessen
innerhalb
des
Betrachtungsraumes, wie z.B. dem „Volkskongress“ abgesehen. Genauso muss auf eine
Schilderung, Analyse und Bewertung von Ereignissen, wie der Berlinblockade, der Münchner
Ministerpräsidentenkonferenz oder des Volksaufstandes 1953 in der DDR verzichtet werden.
Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, welche verschiedenen Konzepte bestanden, um eine
starke liberale Partei im neuentstehenden Parteiensystem zu verankern, diese Vorstellungen
zu benennen und herauszuarbeiten.
6
Im Folgenden wird daher an Hand einiger Beispiele gezeigt, welche unterschiedlichen
Ansätze und Konzepte für die Liberalen von 1945-53 eine Rolle spielten, welche
innerparteilichen Auseinandersetzungen stattfanden und wie versucht wurde, Abspaltungen zu
vermeiden. Das Jahr 1953 wurde als Begrenzung gewählt, da dieses sowohl für Ost2- als auch
für West-Liberalen3 einen gewissen Endpunkt für die bisherige Entwicklung darstellt.
Weshalb es sinnvoll erscheint, diese Arbeit an diesem Punkt enden zu lassen, um ihren
Rahmen nicht zu sprengen. Als Einstieg wurde eine Abriss der Entwicklung von der
Paulskirche bis zum Ende der Weimarer Republik gewählte, da so die Handlungsmotive
vieler liberaler Politiker besser verständlich werden.
2. Die Entwicklung der Liberalen bis 1933
Seit dem Beginn der liberalen Bewegung zeichneten sich deren Anhänger durch einen
außerordentlichen Hang zur Zersplitterung aus. Die Lehre der Individualität schien
Unorganisiertheit, Eigensinn und Egoismus geradezu in sich zu bündeln. Immer wieder
zerfielen Gruppen, Fraktionen und Parteien der Liberalen in Grüppchen.
Die
häufigsten
Gründe
für
Abspaltungen
waren
meist
eher
persönlicher
denn
programmatischer Natur. Dennoch kann auch hier eine gewisse Bruchlinie innerhalb der
Liberalen ermittelt werden. Von Anfang an existierte eine Strömung, deren Hauptziel die
Umgestaltung der Gesellschaft war, und eine andere, deren Streben auf die Einheit der Nation
gerichtet war. Für die einen war die innere Struktur das Maß aller Dinge, für die anderen galt
die Vertretung des Reichs nach außen als das Nonplusultra. Diese Spaltung bildete über fast
ein Jahrhundert hinweg das Axiom des deutschen Liberalismus. Das Schisma zwischen
Sozial-Liberalen (auch als Linksliberale bzw. Demokraten bezeichnet) und NationalLiberalen (auch Rechte, Wirtschaftsliberale oder schlicht Liberale genannt) schien
unauflöslich und von Dauer zu sein.
Bereits 1848 deutete sich die später stärker um sich greifende Zersplitterung des deutschen
Liberalismus an, als in der Frankfurter Paulskirche 1848/1849 die bürgerlich-liberalen
Fraktionen Casino und Württemberger Hof für konstitutionelle Monarchie, Volkssouveränität
und parlamentarische Rechte eintraten, die Minderheit der Radikaldemokraten jedoch eine
deutsche Republik und die Beseitigung monarchistischer Strukturen forderte. Aus dieser Zeit
2
Der Sturz Hamanns und der Aufstieg Hans Lochs zum alleinigen LDP(D)-Vorsitzenden sowie die sich nach
dem 17.06.1953 konsolidierende Herrschaft der SED bedeuteten das Ende jeglicher liberaler Selbständigkeit.
3
Die Stimmenverluste zur zweiten Bundestagswahl und die anschließende Wahl Dehlers zum Fraktions- später
auch Parteivorsitzenden der FDP kündigten leiteten eine Wandlung der Partei ein.
7
stammte auch die jahrzehntelang gültige Unterscheidung zwischen Liberalen, die als die
Rechten galten, und Demokraten, die den linken Teil des bürgerlichen Spektrums bildeten.
Dennoch
gelang
es,
die
bürgerlichen
Gruppen
in
einer
gemeinsamen
Partei
zusammenzufassen. Die Deutsche Fortschrittspartei, die am 6. Juni 1861 im preußischen
Abgeordnetenhaus von liberalen Abgeordneten gründete wurde, war – mit in einem
Parteiprogramm formulierten politischen Zielen nach heutigem Verständnis – die erste
programmpolitische Partei Deutschlands. Die Mitglieder entstammten dem 1859 gegründeten
Deutschen Nationalverein, in dem beide Richtungen des Liberalismus vertreten waren. Das
Programm der Partei orientierte sich am traditionellen Liberalismus. So wurde vor allem die
Einheit Deutschlands, die Volksvertretung, das Prinzip des Rechtsstaates sowie eine
Selbstverantwortung der Kommunen gefordert. Seit 1861 war die Fortschrittspartei
Mehrheitsfraktion im preußischen Abgeordnetenhaus und konnte bis 1866 diesen Status
behaupten.
Nach dem preußischen Verfassungskonflikt in den 1860er-Jahren kam es zwischen 1866 und
1868 zu starken Spannungen und heftigen Flügelkämpfen innerhalb der Partei, besonders in
der Frage der Indemnitätsvorlage4. Diese Auseinandersetzungen führten zur Spaltung des
parteipolitisch organisierten deutschen Liberalismus und sollten Auswirkungen bis in die
Gegenwart haben.
Als Folge der Billigung der Indemnitätsvorlage von 1866/67 brach die Fortschrittspartei
auseinander. Die großbürgerlichen und national orientierten Kräfte gründeten 1867 die
Nationalliberale Partei (NLP), die demokratisch-republikanischen geprägten Mitglieder
bildeten 1868 die Deutsche Volkspartei (DtVP) des Kaiserreichs. Der „Rest“ der
Fortschrittspartei bestand bis 1884 fort und ging danach in einer Fusion mit der Liberalen
Vereinigung auf. Gemeinsam firmierte man von da an bis 1910 als Deutsche Freisinnige
Partei.
Die Nationalliberale Partei unterstützte die Politik Bismarcks und favorisierte im Prozess der
Reichseinigung die Kleindeutsche Lösung, die Österreich vom Deutschen Reich ausschloss.
Der Einheit und Freiheit der Nation wurde der Vorrang vor demokratischen Freiheitsrechten
4
Da das Parlament, das das Budgetrecht inne hatte, der Heeresreform von 1863 die Zusage verweigerte, für die
Rüstung jedoch Geld benötigt wurde, nutzte Bismarck eine Lücke in der Verfassung, um die Heeresreform ohne
Einwilligung des Parlaments, sondern lediglich mit der des Königs durchzuführen. Die Proteste des
Abgeordnetenhauses gegen Bismarcks Vorgehen blieben vergebens. Nach dem Sieg Preußens im Deutschen
Krieg wollte Bismarck im Nachhinein für sein Vorgehen eine Amnestie erwirken. Mit der Indemnitätsvorlage im
September 1866 erkannte er das Budgetbewilligungsrecht des Parlaments endgültig an. Er gestand ein, die
Verfassung einseitig ausgelegt zu haben. Im Gegenzug wurde ihm bescheinigt, dass er in dieser
Ausnahmesituation nicht anders hätte handeln können. Dies war der Versuch Bismarcks, eine Aussöhnung mit
den Liberalen zu erzielen.
8
eingeräumt, denn die Nationalliberalen gingen von der These aus, dass die Einigung
Deutschlands sowie die sich anschließende Schaffung eines gesamtdeutschen Nationalstaates
eine Parlamentarisierung des öffentlichen Lebens und eine Mehrung der bürgerlichen
Freiheitsrechte geradezu zwingend nach sich ziehen würden. Diese wurden aber zunehmend
in den Hintergrund gedrängt. So gab es ob der Zustimmung sowohl zum „Kulturkampf“ als
auch zum „Sozialistengesetz“, die beide liberalen Grundsätzen zuwiderliefen, starke
innerparteiliche Differenzen. Dessen ungeachtet kam es nur ein einziges Mal zu einer
Parteiabspaltung. Nach einem heftigen Streit über die Wiedereinführung von Schutzzöllen
verließen 28 führende Parteimitglieder5 die Reichstagsfraktion, da sie die von ihnen als
reaktionär empfundene Politik nicht weiter unterstützen wollten. Diese Sezessionisten
bildeten später die Liberale Vereinigung.
Dennoch blieb die NLP die stärkste und stabilste der liberalen Parteien des Kaiserreichs, auch
wenn ihre Bindungskraft allmählich nachließ6. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken,
unterhielt man ab 1890 enge Beziehungen zum Alldeutschen Verband, dem Deutschen
Flottenverein und zur Großindustrie. Erst unter Stresemanns Regie wurde ab 1900 mit dem
verstärkten Aufbau eines Vereinsnetzes und einer allmählichen Annäherung an die
Linksliberalen begonnen. Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel die Nationalliberale Partei. Ihr
größter Teil ging in der Deutschen Volkspartei (DVP) der Weimarer Republik auf.
Die DtVP ging aus dem linken Flügel der Fortschrittspartei und der 1863 gegründeten
südwestdeutschen Demokratischen Volkspartei hervor. Ihre Hochburgen hatte die Partei in
Süddeutschland. Aus diesem Grund forderte sie bis 1870 die Großdeutsche Lösung. Da diese
Variante mit Österreich de facto einen Vielvölkerstaat bedeutet hätte, forderte man, um für
das künftige Reich den Zusammenhalt zu gewährleisten, starke föderalistische Strukturen,
mehr demokratische Rechte für den Reichstag sowie soziale Reformen für die ärmeren
Schichten der Bevölkerung. Im Gegensatz zu den Nationalliberalen behielt die Forderung
nach demokratischen Freiheitsrechten bei der DtVP Priorität vor der nationalen Einigung. Die
Reichseinheit von 1871 führte zu einer Sinnkrise der DtVP, da nun die erhoffte Großdeutsche
Lösung gegenstandslos geworden war. Daraufhin musste die Parteiprogrammatik überarbeitet
werden. Man hielt weiterhin an demokratisch-föderalistischen Grundsätzen7 fest und bezog
5
U. a. Theodor Mommsen, Eduart Lasker, Georg von Siemens, Ludwig Bamberger und Franz August Freiherr
Schenk von Stauffenberg.
6
Hatten die Wahlergebnisse 1871 noch bei 30 % gelegen, erreichte die NLP 1912 nur noch 14 %.
7
Die DtVP forderte u. a. allgemeines, gleiches Wahlrecht, die Stärkung des Parlaments gegenüber
Reichsregierung und Kaiser, die strenge Trennung von Kirche und Staat sowie Plebiszite über alle wichtigen
Gesetze.
9
letztlich eine Position der Grundsatzopposition gegen die Politik Bismarcks 8, ebenso wie
später gegen die wilhelminische Politik9. Gelegentlich arbeitete die DtVP mit der
Sozialdemokratischen Partei (SPD) auf dem Gebiet der Sozialpolitik zusammen. Ab 1900
kam es vermehrt zu Absprachen und zur Zusammenarbeit mit anderen linksliberalen Parteien.
Die
Höhepunkte
dieses
Zusammenwirkens
waren
das
gemeinsame
„Frankfurter
Minimalprogramm“ und der gemeinsam geführte Wahlkampf von 1907, der seinen Abschluss
in einer Fraktionsgemeinschaft von DtVP, Freisinniger Vereinigung und Freisinniger
Volkspartei fand. 1910 fusionierten diese Parteien mit anderen linksliberalen Gruppen zur
Fortschrittlichen Volkspartei. Aus dieser wiederum ging 1918 die Deutsche Demokratische
Partei (DDP) hervor.
Die fatale Neigung zur Zersplitterung zeigt sich am weiteren Werdegang der
Fortschrittspartei. Nach der o. e. Fusion mit der Liberalen Vereinigung erfolgten keine
gemeinsame Programmatik oder einheitliche Parteiarbeit. In den neun Jahren ihres Bestehens
veranstaltete die Deutsch-Freisinnige Partei keinen einzigen Parteitag. Die bereits vor der
Fusion bestehenden Gegensätze wurden nie ausgeräumt, sodass es immer wieder zu
Spannungen kam, insbesondere wegen der Kolonialpolitik und des Militäretats. Diese führten
am 06.05.1893 zum Eklat. Bei der Abstimmung im Reichstag über die Heeresvorlage stimmte
eine Gruppe von sechs Abgeordneten, unter der Führung von Georg von Siemens, dieser im
Gegensatz zur übrigen Fraktion zu. Eugen Richter, Parteichef der Deutsch-Freisinnigen,
forderte daraufhin den Ausschluss der Abweichler, wofür er auch eine knappe Mehrheit
erhielt. Überraschenderweise erklärten sich die in der Abstimmung Unterlegenen mit den
Ausgeschlossenen solidarisch, verließen ebenfalls die Fraktion und bildeten fortan die
Freisinnige Vereinigung.
Diese kann als Musterbeispiel einer Honoratiorenpartei angesehen werden. Sie verfügte weder
über strenge Organisationsstrukturen noch über einen festen Mitgliederstamm, auch wollte sie
nicht als Partei gelten10. Eugen Richter hingegen gründet aus den „Überresten“ der DeutschFreisinnigen die Freisinnige Volkspartei. Geradezu dogmatisch lehnte Parteichef Richter
künftig jegliche Form von Mitregierung sowie jede erneute Parteienfusion ab. Die Freisinnige
Volkspartei entwickelte sich zu einer Fundamentalopposition und verweigerte jedwede Form
von Wahlabsprachen oder Listenverbindungen mit anderen Parteien. Erst nach dem Tod
So wurden sowohl Kulturkampf als auch das „Sozialistengesetz“ abgelehnt, lediglich die Sozialgesetze von
1880 fanden die Zustimmung der DtVP.
9
Alle Eckpunkte der kaiserlichen Politik, wie Flotten-, Kolonial-, Außenpolitik und Aufrüstungsprogramm,
erfuhren die Ablehnung der DtVP.
10
Laut ihrem Fraktionsvorsitzenden Paul Schrader bevorzugte man die Bezeichnung „Wahlverein der
Liberalen“.
8
10
Richters lockerte sich dessen Dogma und die Partei begann, sich wieder zu öffnen. 1910 ging
sie schließlich in der neuen Fortschrittlichen Volkspartei auf.
Mit dem Aufkommen der Sozialdemokratie mussten die Liberalen nach und nach ihren
Einfluss als prägende politische Kraft mit den Sozialisten teilen und – bezogen auf das
Wählerpotenzial – bis Anfang des 20. Jahrhunderts an sie abgeben. Erst in der Weimarer
Republik spielten die Liberalen neben SPD und Zentrum wieder eine sehr wichtige Rolle
innerhalb des parlamentarischen Parteienspektrums.
Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die bestehenden liberalen Parteien in zwei neu
gegründeten Parteien auf: der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Deutschen
Volkspartei (DVP).
Die DDP war die direkte Nachfolgerin der FVP, ihr Gründungsaufruf, den Theodor Wolff am
16.11.1918 im Berliner Tageblatt veröffentlichte, war von vielen namhaften Persönlichkeiten,
wie Albert Einstein, Max Weber, Hjalmar Schacht und Hellmut von Gerlach, unterzeichnet.
Die DDP stand in der Tradition ihrer zahlreichen Vorgängerinnen, d. h., sie war linksliberal
orientiert, bekannte sich zum Privateigentum, lehnte Sozialisierungen entschieden ab,
befürwortete aber die Zerschlagung von Monopolen und Kartellen sowie die Ausweitung der
Arbeitnehmerrechte und trat zudem für die Trennung von Kirche und Staat ein. Als liberaler
Partner der SPD war die DDP von Beginn an eine der wichtigsten Stützen der Weimarer
Republik, in deren Verfassung die Handschrift der Deutsch-Demokraten leicht erkennbar war.
So war die DDP bis 1932 auch an fast allen (17 von 20) Kabinetten Weimars beteiligt. Mit
Friedrich Naumann, Walther Rathenau, Theodor Heuss, Reinhold Maier und Hugo Preuß
waren einige der bedeutendsten Politiker Weimars und der frühen Bundesrepublik Mitglieder
der DDP gewesen. Die großen Anfangserfolge, fast 19 % bei den Reichtagswahlen 1919, und
der frühe Tod des Parteivorsitzenden Naumann verhinderten jedoch den Auf- bzw. Ausbau
der Organisationsstruktur, sodass dem ab 1922 einsetzenden, sich allmählich verstärkenden
Abwärtstrend nicht wirksam begegnet werden konnte.
Die Partei war nicht allein aus den verschiedenen linksliberalen Gruppen des Kaiserreichs
entstanden, sondern es schlossen sich ihr auch ehemalige Nationalliberale wie Wilhelm Külz
an. Jedoch gelang es der DDP nicht, ihre historische Chance zu nutzen und die liberalen
Strömungen endlich in einer Partei zu vereinigen. Als man Gustav Stresemann, dem vom
linken Flügel her tiefste Ablehnung entgegenschlug, und einigen seiner Anhänger die
11
Parteimitgliedschaft verweigerte, entschloss sich dieser zur Gründung einer weiteren liberalen
Partei, der DVP, die das Erbe der NLP antreten sollte.
Die DDP vereinigte sich 1930 nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen mit der
aus der bündischen Tradition kommenden Volksnationalen Reichsvereinigung, bekannter
unter dem Namen „Jungdeutscher Orden“, und benannte sich in Deutsche Staatspartei (DStP)
um.
Damit
folgte
sie
dem
nationalistischen
Trend
am
Ende
der
zunehmend
krisengeschüttelten Weimarer Republik, die zu dieser Zeit im Grunde schon faktisch
gescheitert war. Bedingt durch diese Entwicklung trat fast der gesamte linke Flügel aus der
Partei aus, darunter auch der Pazifist und Friedensnobelpreisträger von 1927 Ludwig Quidde.
Dieser linke Flügel der vormaligen DDP gründete die kurzlebige Radikaldemokratische
Partei, die aber in den letzten Jahren der Republik politisch erfolglos blieb.
Während die DDP eine eher sozialliberale Politik vertrat und die Republik von Anbeginn an
mittrug, ist für die DVP festzustellen, dass bedingt durch ihre Entstehung aus der
Nationalliberalen Partei, die das Kaisertum gestützt hatte, eine starke Gruppe von
republikfeindlichen Monarchisten fortbestand. Erschwerend kam hinzu, dass sich die
Nationalliberalen sehr schnell erneut aufspalteten. Die Partei verlor ihre Flügel und die
Zersplitterung des liberalen Lagers schritt weiter fort. Die der kleineren Gruppe des linken
Flügels der NLP Angehörenden wechselten entweder bereits 1918 in die DDP oder vollzogen
diesen Schritt innerhalb der nächsten 18 Monate. Der rechte national-völkisch orientierte
Flügel begründete die Deutschnationale Volkspartei (DNVP).
Dennoch blieb die DVP eine wichtige und einflussreiche Partei. Sie stellte nach 1920 mit
Gustav Stresemann über mehrere Jahre hinweg den Außenminister der Weimarer Republik
und 1923 für wenige Monate in einer Mehrparteienkoalition kurzzeitig sogar den
Reichskanzler. Stresemann versöhnte die Partei mit der demokratischen Staatsform. Nach
seinem Tod (1929) orientierte sich die DVP immer stärker nach rechts – bis hin zur Duldung
und schließlich Unterstützung der rechtsdiktatorischen Inhalte der völkischen Parteien DNVP
und NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei).
Die aus Teilen des rechten Flügels der NLP, mehreren Rechts- und Konservativparteien
entstandene DNVP verdeutlicht, wie bedenklich es war, den Liberalismus lediglich auf
Privatwirtschaft, Individualismus und Meinungsfreiheit zu reduzieren, denn auch die DNVP
empfand sich als Trägerin des Rechtsliberalismus, mehr jedoch noch als Erbin der
„Deutschnationalen Bewegung“. So überwogen nationale, monarchistische und antisemitische
Überzeugungen in der Partei deutlich die liberalen Tendenzen. Diese waren fast gänzlich auf
12
den Wirtschaftsliberalismus reduziert. Die DNVP stand der Republik feindlich gegenüber und
forderte eine Renaissance des Kaisertums. Sie wirkte maßgeblich an der Entstehung der
Dolchstoßlegende mit. Dazu beteiligte sie sich an Rufmordkampagnen gegen die „Verräter
des Novembers 1918“. Dennoch schien sich allmählich doch das liberale Erbe der Partei
durchzusetzen. So distanzierte man sich ab 1922 vorsichtig vom Antisemitismus, was zu
massiven Austritten und der Gründung der Deutschvölkischen Partei führte. Ab Mitte der
20er-Jahre gab man die Forderung zur Wiederherstellung der Monarchie auf, forderte
nunmehr lediglich einen starken Reichspräsidenten, quasi als „Ersatzkaiser“, und beteiligte
sich an Koalitionen in Reichs- und Länderregierungen. Die DNVP schien auf dem Weg zu
einer (sehr) rechtsliberalen Partei zu sein. Jedoch reagierte die Partei auf das enttäuschende
Wahlergebnis von 1928 mit einem sehr deutlichen Rechtsruck. Dieser wurde durch die Wahl
Hugenbergs an die Parteispitze nochmals verstärkt. Mit Hugenberg fuhr die Partei erneut
einen radikalen Rechtskurs. Die gemäßigten und liberalen Mitglieder wurden allmählich
herausgedrängt11. Ab 1929 kooperierte die DNVP mit der NSDAP, wobei Erstere allerdings
relativ schnell ins Hintertreffen geriet, da sie den Nationalsozialisten zwar half, „salonfähig“
zu werden, selbst aber kaum Stimmengewinne aus dem NS-nahen Milieu erzielen konnte.
Dessen ungeachtet gründete Hugenberg 1932 gemeinsam mit Hitler die „Harzburger Front“.
Gleichwohl verlor die DNVP gegenüber der NSDAP stetig mehr an Bedeutung. Man wurde
zwar noch am ersten Kabinett Hitlers beteiligt, was das Ende der Partei, die sich am
27.06.1933 selbst auflöste, dennoch nicht herauszögerte. Die Mehrzahl ihrer Mitglieder und
sämtliche ihrer Abgeordneten traten der NSDAP bei.
Aus Dissidenten aller drei Parteien wiederum formierte sich die Reichspartei des Deutschen
Mittelstandes (ab 1925 Wirtschaftspartei). Trotz einiger beachtlicher Erfolge zwischen 1924193012 blieb sie die unbedeutendste liberal orientierte Partei der Weimarer Republik und
verlor ab 1930 noch stärker als die anderen an Bedeutung.
Insgesamt lässt sich die Entwicklung der DDP und auch die der DVP am besten mit den
Worten Ernst Mayers beschreiben, der ausführte: „Die [...] Demokratische Partei stand von
1919 bis 1933 fast ununterbrochen in der Verantwortung und war dem Andrängen der
Opposition von links und rechts ausgesetzt. Die hinter ihr stehenden Wählerschichten waren
im besonderen Maße Leidtragende der wirtschaftlichen Folgen des verlorenen ersten
Weltkrieges und des Vertrages von Versailles. Diese Mittelschicht, nicht wie die des
Zentrums in einer [...] konfessionellen Bindung verankert und nicht wie die der SPD [und der
Aus Protest gegen den Kurs Hugenbergs verließen u. a. Hans Schlange-Schöningen und Gottfried Reinhold
Treviranus die DNVP.
12
Bei den Reichstagswahlen 1928 4,5 %; im 1. Kabinett Brüning stellte sie mit Johann Viktor Bredt den
Reichsjustizminister.
11
13
KPD] gewerkschaftlich und betrieblich organisiert, war in der Vereinzelung und in ihrer
Existenznot auch besonders anfällig für die Heilsbotschaften der Nazis, denen sie von Jahr zu
Jahr mehr folgte. So bestand die alte Demokratische Partei, die im Verlaß auf ihre
traditionelle Bindung auch nur sehr mangelhaft organisiert war, 1933 nur noch aus einer treu
zur demokratischen Sache stehenden Führerschaft und einer geringen Zahl Getreuer im
Lande.“13 Selbiges gilt natürlich auch für die DVP der Weimarer Republik.
Dem Ermächtigungsgesetz von 1933 stimmten die Liberalen im Reichstag zu. Innerhalb der
„Staatsparteiler“ kam es hierbei zu sehr starken Auseinandersetzungen in der Fraktion, zu der
sowohl Theodor Heuss als auch Reinhold Maier gehörten. Erst als sich drei der fünf
Abgeordneten zu einem Plazet entschlossen, entschied man sich für ein einheitlich positives
Votum. Diese Entscheidung wurde von vielen Parteifreunden scharf kritisiert, so u. a. vom
damaligen Dresdner Oberbürgermeister Wilhelm Külz. Auch nach 1945 sollte diese
Zustimmung immer wieder negativ auf die beteiligten Fraktionsmitglieder zurückfallen:
„Theodor Heuss und Reinhold Maier brachten nach 1945 ein schweres Erbe“14 in die neue
liberale Partei ein.
Dem Schisma des Liberalismus gesellte sich auf linksliberaler Seite zudem eine weitreichende
Zersplitterung hinzu, die verbunden mit der beängstigenden Kurzlebigkeit sämtlicher
Einigungs- und Fusionsversuche zu einem wesentlichen Faktor der politischen Schwäche
wurde. Zudem verfestigten sich die jeweiligen Positionen zu Dogmen und „Polarisationen“,
die sich als lähmend für die Liberalen insgesamt auswirkten. Zu verhärtet waren die Fronten
zwischen „prinzipienloser Bejahung“ und „prinzipienstarrer Negation“.
Im November 1918 änderte sich die Ausgangslage: „Die Überzeugung, man könne sich den
Luxus zweier liberaler Parteien nicht mehr leisten, fand in den Revolutionstagen immer
weitere Verbreitung.“15 Dennoch wurde letztlich keine Einigung, sondern lediglich eine
Umgruppierung bzw. Umordnung erreicht, die Spaltung aber blieb bestehen. Selbst 1933 gab
es aufgrund des erheblichen Widerstands gegen die Fusionspläne von DVP und DStP16 kein
Zusammengehen dieser beiden zu Splittergruppen herabgesunkenen Parteien.
13
Zitiert in: Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 152.
Dittberner, „Die FDP“, S. 13.
15
Hein, Milieupartei, S. 22.
16
U. a. stießen solche Pläne auf den entschiedenen Widerstand von Theodor Heuss.
14
14
„Ein zweites Phänomen, das zugleich in besonderer Weise Ausdruck der Krise des
Liberalismus wie auch ein wesentlicher sie begünstigender Faktor gewesen ist, war die
organisatorische Rückständigkeit und Schwäche der liberalen Parteien.“17
Trotz oder aber gerade weil der Liberalismus die älteste der modernen Politrichtungen war,
zeigte er organisatorische Mängel auf, die sich in der modernen Industrie- und
Massengesellschaft nachteilig auswirken mussten.
Lange Zeit fußte die liberale Bewegung nur auf loser Gesinnungsgemeinschaft. Eine feste und
verbindliche Partei- bzw. Fraktionsmitgliedschaft wurde geradezu als Verletzung des
freiheitlichen Prinzips betrachtet und daher scharf abgelehnt. Die Organisationsstruktur
beschränkte sich auf lokale Komitees und Vereine, die gleichfalls keine feste Form besaßen
und deren Hauptfunktionen die Kandidatenaufstellung, Spendenakquisition sowie die
Wahlkampfdurchführung waren. Zwischen den Wahlen ruhten die Aktivitäten zumeist. Nur
zögerlich bildeten sich Wahlkampfzentralen heraus, und aus diesen entstand erst allmählich
eine frühe Form der Parteiführung. Doch war deren Einfluss auf die Fraktion anfangs sehr
gering. Erst ab 1880 setzten sich die Zuordnungen von Partei und Fraktion durch.
Nachteilig wirkte sich für die Liberalen auch das von ihnen mehrheitlich geforderte
allgemeine Wahlrecht aus. Das neu entstandene Wählerpotenzial kam fast ausschließlich der
SPD, dem Zentrum und den Konservativen zugute, da seine Erschließung eine straffere
Organisation, stärkere Mitgliedereinbindung und -aktivierung sowie feste Bindungen der
Fraktion an Parteivorgaben erforderlich machten. Konnte dies nicht gewährleistet werden,
waren
zumindest
außerparteiliche
Organisationen
erforderlich,
um
dieses
Defizit
auszugleichen. So erfüllten die katholische Kirche und kirchlich geprägte Vereine diese
Aufgaben für das Zentrum. Trotz nicht zu verleugnender Bemühungen18 gelang es den
Liberalen bis 1919 nur in ungenügendem Maße, sich auf die neuen Anforderungen
einzustellen. Dass sich der Anpassungsdruck in der Zeit der Weimarer Republik durch
Faktoren wie Verhältniswahl, Frauenwahlrecht usw. immer weiter erhöhte, wurde aufgrund
der anfänglichen Erfolge von DDP und DVP lange Zeit ignoriert. Die späteren
Reformversuche blieben im Wesentlichen ohne Erfolg. Gründe hierfür waren u. a. die
traditionellen individualistischen Überzeugungen, denen sich die meisten Liberalen nach wie
vor verpflichtet fühlten, sowie das nur mäßige Interesse der Parteibasis in Fragen von
Organisation und Agitation.
Den liberalen Parteien bis 1945 ist gemeinsam, dass sie nur über schwache
Organisationsstrukturen verfügten, eine schwache Mitgliederbasis besaßen und ihre
17
Hein, Milieupartei, S. 23.
U. a. ein verstärkter Ausbau des Vereinswesens, regelmäßiges Abhalten von Parteitagen sowie erste Versuche
zum Parteiapparataufbau.
18
15
Programmatik nur gering ausgeprägt war und sie somit dem Typus der Honoratiorenpartei
entsprachen. Den durchorganisierten Massenparteien waren sie so in der politischen
Auseinandersetzung kaum gewachsen. Zudem war der Liberalismus als solcher in den Augen
vieler Deutscher diskreditiert, wurde er doch zum großen Teil für Inflation, Wirtschaftskrise
und Massenarbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Hauptsächlich wurden mit den Liberalen
Zerstrittenheit und Parteiengezänk in Verbindung gebracht, sodass der Freisinn ganz
allgemein in Verruf geriet und sich die Meinung bildete, er sei ein für das Allgemeinwohl
insgesamt äußerst schädliches, egozentriertes Fehlkonstrukt.
In der Zeit des Nationalsozialismus galt der Liberalismus als verfemt und wurde bekämpft.
Die entsprechenden Parteien wurden, wenn sie sich nicht selbst auflösten, wie alle anderen
demokratischen Parteien auch verboten. Viele, vor allem linke Liberale, wurden politisch
verfolgt oder sahen sich zur Emigration gezwungen, wenn sie sich dem System nicht
anpassten. Die in Deutschland Verbliebenen verbrachten die folgenden Jahre in der so
genannten inneren Emigration, d. h. in weitest gehender politischer Untätigkeit.
3. Der Neuaufbau ab 1945
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war der Gedanke der parteiübergreifenden
politischen Zusammenarbeit weit verbreitet und stark ausgeprägt. Angesichts der massiven
Probleme schienen Auseinandersetzungen zudem einfach nicht angebracht zu sein. Hinzu
kam außerdem, dass es an vielen Orten bereits kurz nach der Kapitulation zur Kooperation
aller nicht nationalsozialistischen Kräfte gekommen war. Zum Teil hatte diese
gemeinschaftliche Arbeit bereits auch schon vorher eingesetzt, wenn es z. B. um die
kampflose Übergabe einer Stadt oder um die Aufnahme von Flüchtlingen ging. Außerdem
betrafen Lebensmittelknappheit, Flüchtlingsproblematik, Wohnungsmangel und allgemeine
Versorgungsnot die Liberalen genau so wie die Konservativen, die Vertreter des politischen
Katholizismus, die Sozialdemokraten oder die Kommunisten. Die bereits angesprochenen
Schwierigkeiten wurden auch in den späteren Monaten nicht wesentlich entschärft.
Unter diesen Umständen war es also kaum verwunderlich, dass die unterschiedlichen
politischen Gruppen, selbst wenn sie sich sonst diametral feindlich gegenüberstanden, zur
Zusammenarbeit bereit waren. Nur durch gemeinsame Anstrengungen schien es möglich, die
massiven Alltagsprobleme zumindest abzumildern. Zudem zeigte sich, dass ein einheitlich
geschlossenes Auftreten gegenüber der Besatzungsmacht stets von Vorteil war. Auf diesem
Wege konnte Petitionen und Hilfsersuchen mehr Geltung verschafft werden. Auch später
16
waren Allparteienregierungen in Städten und Gemeinden, später auch in den Ländern, eher
die Regel als die Ausnahme. Auch der Begriff „Block“ hatte in den ersten
Nachkriegsmonaten eine positive Bedeutung.
Gab es unter den obwaltenden Umständen überhaupt noch Spielraum für eine liberale Partei,
d. h., würde sie überhaupt noch ein ausreichendes Maß an Anhängern und vor allem an
Wählern
erschließen
können?
Würde
eine
solche
Partei
überhaupt
noch
eine
Existenzberechtigung besitzen?
Die Ausgangspositionen waren denkbar ungünstig. Immerhin hatte bisher noch jede liberale
Partei mit Zersetzungserscheinungen und schleichendem Bedeutungsverlust zu kämpfen. So
ist es kaum verwunderlich, dass das Konzept des „Bürgerblocks“, d. h. einer bürgerlichen
Sammlungspartei im Sinne einer Bündelung aller rechts von der SPD stehenden Kräfte,
großen Zuspruch erfuhr19. Dessen ungeachtet kam es nur vereinzelt zur Bildung einer solchen
Partei20. Immerhin hielt sich die Idee als solche jedoch noch bis zur Gründung der beiden
deutschen Staaten.
Wieso kam es dennoch nicht zum Entstehen des Bürgerblocks? Hierfür können drei
Hauptgründe bestimmt werden.
Zuerst sind die bestehenden Unstimmigkeiten bzw. sogar das Misstrauen zwischen den
beteiligten bürgerlichen Gruppen zu nennen. Hier zeigte sich, dass alte Ressentiments noch
nicht überwunden waren. Als Beispiel hierfür können die unterschiedlichen Auffassungen zur
Trennung von Kirche und Staat21 oder auch hinsichtlich der Fragen der Wirtschaftsordnung22
gelten. Zudem darf nicht vergessen werden, dass sich Liberale und das politische Christentum
(besonders
der
politische
Katholizismus)
über
Jahrzehnte
hinweg
feindlich
gegenübergestanden hatten.
Zum Zweiten ist hier der schlichte Unwille der jeweiligen Besatzungsmacht, einer solchen
Parteienkonstruktion das Plazet zu erteilen, zu nennen.
Zum Dritten wurden die Beteiligten besonders in der Provinz von den Entwicklungen in den
Zentren schlicht und ergreifend „überrollt“, sodass die Entwürfe und Konzeptionen der
„Großen“ relativ rasch übernommen wurden, weshalb der Gedanke der bürgerlichen
Sammlung nicht weiter verfolgt wurde.
19
Zu den Unterstützern dieser Idee zählten u. a. Wilhelm Heile und Theodor Heuss.
U. a. der Heilbronner Kreis.
21
Eine der Hauptauseinandersetzungen war das Für (christliche Demokraten) und Wider (liberale Demokraten)
der Konfessionsschulen und Reichskonkordatsanerkennung.
22
Die Differenzen ergaben sich aus den sich widersprechenden marktwirtschaftlichen Prinzipien, die die
Liberalen vertraten, und den Sozialisierungsvorstellungen, die z. B. im christlichen Sozialismus eine Rolle
spielten.
20
17
Aus diesem Grund empfiehlt es sich, einen besonderen Blick auf die Gründungszentren der
liberalen Bewegung zu werfen. Im Folgenden werden daher die wichtigsten Zentren genannt
und ihre Gründerkreise beschrieben.
3.1. Der Berliner Gründerkreis
Bereits am 10.06.1945 erließ die Sowjetische Militäradministration Deutschlands (SMAD)
ihren Befehl Nr. 2, der die „Bildung und Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien [...], die
sich die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der
Grundlage der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten in Deutschland und die
Entwicklung in diese Richtung zum Ziel“23 setzten, sich vom örtlich zuständigen
Kommandanten registrieren ließen sowie sich der Kontrolle der SMAD unterwarfen,
gestattete.
Am 16.06.1945 versammelte sich daher eine sechsköpfige Gruppe Honoratioren und
beschloss in klassisch liberaler Manier die Gründung einer neuen Partei. Drei Mitglieder des
liberalen Gründerkreises hatten vor 1933 der Weimarer DDP angehört, darunter die beiden
ehemaligen Reichsminister Wilhelm Külz und Eugen Schiffer, von dessen Schwiegersohn
Waldemar Koch die Initiative für die Bildung des Gründerkreises ausgegangen war. Zum
ersten Vorsitzenden wurde, dank der Fürsprache Eugen Schiffers, Waldemar Koch gewählt.
Wilhelm Külz amtierte als zweiter Vorsitzender, Artur Lieutenant bekleidete die Funktion des
Geschäftsführers.
Dass die Wurzeln der neuen Organisation im Weimarer Linksliberalismus lagen, zeigte
bereits der gewünschte Name, der „Deutsche Demokratische Partei“ lauten sollte. Man wollte
folglich, ohne große Überlegungen über Standortbestimmung und Wahlchancen im eventuell
neu entstehenden Parteiensystem anzustellen, an die Traditionslinie der DDP anknüpfen.
Diese Konzeption wurde allerdings bereits wenige Tage später wieder verworfen, als Koch
und Külz von den Bemühungen ehemaliger Zentrumspolitiker um Andreas Hermes und Jakob
Kaiser, eine große überkonfessionelle, bürgerliche Partei, die Christlich-Demokratische Union
(CDU), zu gründen, erfuhren. War diese Nachricht als solche noch nicht besonders Besorgnis
erregend, da sich das Zentrum bereits nach dem Ersten Weltkrieg kurzfristig in „ChristlichSoziale Volkspartei“ umbenannt hatte, so wirkte doch geradezu alarmierend, dass sich
namhafte Liberale, wie Walter Schreiber, Ernst Lemmer und Otto Nuschke, lieber an diesem
23
Zitiert nach: Krippendorff, S. 21.
18
Projekt beteiligten, als an einer DDP-Neugründung mitzuwirken. Nicht nur, dass der KochKülz-Kreis bei vielen dieser Liberalen fest mit deren Beitritt zu ihrer Partei gerechnet hatte,
sondern auch deren Begründungen, aus denen ersichtlich wurde, dass sie sich einer liberalen
Neugründung völlig bewusst und aus Resignation entzogen, stimmten bedenklich. So erklärte
Lemmer beispielsweise sein Fernbleiben damit, dass er „endlich einmal einer wirklich großen
Partei angehören“ wolle und die „Chance, eine solche zu werden, habe allein die erstmals
beide christlichen Konfessionen vereinigende CDU“24. Am deutlichsten sprach sich wohl
Walter Schreiber aus, als er erklärte, „nach den Erfahrungen von Weimar im Liberalismus
‚keine parteibildende Kraft mehr’“25 zu sehen. Derartig brüskiert versuchte nunmehr der
Koch-Külz-Kreis seinerseits, seine Grenzen weiter zu fassen. Man sah sich veranlasst, selbst
eine Sammlung von bürgerlichen Kräften zu betreiben und nahm mit anderen Gruppen
Kontakt auf.
Darum formulierte Külz in der ersten Fassung26 des Gründungsaufrufs die Zielsetzung „alle
diejenigen Deutschen zusammenschließen [zu wollen], die früher der Deutschen Volkspartei,
der Deutschnationalen Partei, der Wirtschaftspartei oder der Demokratischen Partei
angehörten“27. So traf sich Koch am 22.07.1945 mit Vertretern der ehemaligen DVP, um die
Möglichkeiten für eine gemeinsame Partei zu klären. Zwar konnte man sich schnell
grundsätzlich auf diese Option einigen, jedoch lehnten die ehemaligen Volksparteiler den
Namen DDP kategorisch ab. Ihrem Namensvorschlag „Liberal-Demokratische Partei“ wollte
wiederum Koch nicht zustimmen, da er fürchtete, durch das Attribut „liberal“ allzu viele
potenziell interessierte, christlich orientierte Gruppen und Personen unnötig zu verprellen. So
blieben diese Gespräche vorerst ohne das gewünschte Ergebnis. Nach diesem letztlich
erfolglosen Bemühen traf Koch sich am 29.07.1945 zu Sondierungsgesprächen mit der CDU
und ihrem Vertreter Schreiber. Erneut führte hier die Namensfrage zu einer heftigen
Kontroverse. Während die Betonung des Christlichen im Parteinamen auf grundsätzliche
Ablehnung bei Koch stieß, wollten die Gründer der CDU gerade darauf nicht verzichten,
sodass „mit diesem Gespräch [...] die Entscheidung für die Existenz von zwei
konkurrierenden bürgerlichen Parteien gefallen“28 war. Der Koch-Külz-Kreis entschloss sich
deshalb, seine „Parteikonzeption erneut zu modifizieren und schärfer zu fassen“29. Ganz
bewusst wollte man sich künftig von der CDU, in der man allerdings nach wie vor nur ein
24
Ebd., S. 35
Ebd.
26
Diese stieß wegen der Erwähnung von DVP und DNVP bei SMAD, KPD und SPD auf starke Ablehnung,
sodass Koch und Külz dem Druck nachgaben und in der zweiten endgültigen Fassung den entsprechenden
Passus strichen.
27
Erster Gründungsaufruf der LDP/DDP; abgedruckt in Hein, Milieupartei, S. 29.
28
Ebd.
29
Ebd.
25
19
„getarntes Zentrum mit demokratischem Anhängsel“30 sah, abgrenzen. Deshalb brauchte man
sich folglich nicht mehr weiter „um ehemalige Zentrumsanhänger [...] bemühen, sondern
[wollte] in klarer Frontstellung gegen Zentrum und CDU die Wähler der beiden [ehemalig]
liberalen Parteien und [...] der DNVP möglichst geschlossen [...] sammeln, also das
Ausgreifen der CDU in diese Bereiche [...] unterbinden“31.
Aus diesem Grund wurden zukünftig auch religiöse Einflüsse generell abgelehnt und
sämtliche bisherige Rücksichtnahmen auf religiöse Gefühle obsolet. So erklärte Waldemar
Koch ganz offiziell die Ablehnung seiner Partei gegen „die Verquickung von Religion und
Politik“32.
Außerdem wurde der zuvor abgelehnte Namensvorschlag „Liberal-Demokratische Partei“
nunmehr doch angenommen. Dieser schien die Botschaft der Vereinigung der beiden
Strömungen des Freisinns am besten zu transportieren, brachte er doch die alten jeweiligen
Bezeichnungen Demokraten (Linke) und Liberale (Rechte) in den Namen der neuen Partei
ein. Der liberale Aspekt stand damit weiterhin im Vordergrund.
Des Weiteren wollte man sich für dezidiert liberale Forderungen, wie „Freiheit in Wort und
Schrift“ sowie die „Erhaltung [...] des Privateigentums und der freien Wirtschaft“, einsetzen.
Die Verstaatlichung von Betrieben sollte jedoch gerechtfertigt sein, „wenn ein überwiegendes
Interesse des Gesamtwohls dies gebietet.“33 Völlig offen blieb hingegen die Verortung im
Parteiensystem, was allerdings eher den speziellen Bedingungen der SBZ zuzurechnen ist.
Die von der SMAD erzwungene Mitgliedschaft und Zusammenarbeit in der „antifaschistischdemokratischen Einheitsfront“ boykottierte eine klare Positionierung innerhalb des
politischen Spektrums.
3.2 Der Stuttgarter Kreis
Die wichtigste Figur für die Entstehung des Stuttgarter Gründungskreises war ohne Zweifel
der aus einer liberalen Traditionsfamilie stammende Wolfgang Haußmann34. Er hatte bereits
im April 1945 in der Bewegung „Rettet Stuttgart“ mitgewirkt und durch sein couragiertes
Engagement – er erlitt dabei eine schwere Beinverletzung – die Zerstörung der Stadt
verhindert. Aus den Mitgliedern jener Bewegung setzte sich auch die von der
30
Külz zitiert in Hein, Milieupartei, S. 30.
Ebd.
32
Zitiert nach: Frölich, Liberaldemokratische Partei Deutschlands, S. 314.
33
Zitiert nach: Stephan, Parteien und Organisationen der DDR, S. 1140f.
34
Sein Großvater, Onkel und Vater waren bedeutende Politiker der württembergischen Demokratischen
Volkspartei, der DtVP, der Fortschrittlichen Volkspartei und, wie er selbst, der DDP gewesen.
31
20
Besatzungsmacht eingesetzte vorläufige obere Verwaltungsebene der Stadt Stuttgart
zusammen, an deren Spitze Arnulf Klett als Oberbürgermeister und Haußmann als
Stellvertreter35 standen.
Mit dem Ziel, diese für den Stuttgarter Kreis zu gewinnen, sammelte Haußmann frühzeitig
frühere
DDP-Politiker
wie
Karl
Lautenschlager,
von
1911-1933
Stuttgarter
Oberbürgermeister, sowie einige wenige DVP’ler, wie den ehemaligen Privatsekretär
Stresemanns, Henry Bernhard, um sich und nahm frühzeitig Kontakt zu Reinhold Maier und
Theodor Heuss, die sich in Gmünd bzw. Heidelberg aufhielten, auf. Sowohl Maier als auch
Heuss folgten dem Ruf aus Stuttgart und fungierten neben Haußmann als Schlüsselfiguren.
Allerdings war an eine offizielle parteipolitische Arbeit als solche aufgrund von
Nachkriegsnot und der generell ablehnenden Haltung der französischen Besatzung gegenüber
den Liberalen noch nicht zu denken. Laut der Chronik der Stadt Stuttgart war „die Stimmung
der Bevölkerung in den ersten Monaten mit den Worten: Niedergeschlagenheit und Passivität,
Gerüchtemacherei, Rachsucht und Denunziation“36 zu beschreiben. Zusätzlich wurde die
Situation durch „gekürzte Lebensmittelrationen, die zum Teil unter das Kalorienmaß der
Kriegszeit
absanken37“,
verschärft,
sodass
sich
der
Zustand
der
„allgemeinen
Unzufriedenheit“38 verfestigte. Dennoch lehnte die französische Besatzungsmacht weiterhin
eigenständiges Handeln der Besetzten ab. „Deutsche Bestrebungen zu irgendeiner Art der
Mitarbeit und Mitbestimmung galten, wenn nicht überhaupt anmaßend, so doch verfrüht.“39
Erst nach dem Abzug der Franzosen und der Übernahme Stuttgarts durch die Amerikaner
besserten sich die Chancen.
Zwar galt noch einige Zeit das Credo: „Auf keinen Fall darf Politik betrieben werden!“ 40, aber
der Stuttgarter Kreis sollte schon bald Erfolge vorweisen können. So wurde Reinhold Maier
am 07.09.1945, nachdem Kurt Schumacher verzichtet hatte, die Ernennung zum
Ministerpräsidenten Württemberg-Badens von der amerikanischen Militäradministration
angeboten, die er zum 14.09.1945 annahm. Heuss wurde nach Vorschlag Maiers zum
Kultminister [sic!] des Landes ernannt und siedelte folglich dauerhaft nach Stuttgart über.
Auch im kommunalen Bereich gab es Erfolge. So zählte der vorläufige Gemeinderat sechs
liberale Mitglieder. Zudem erhielten sowohl Bernhard41 als auch Heuss42 jeweils eine der
begehrten Presselizenzen, sodass man auf dem Zeitungsmarkt gut vertreten war.
35
Dieses Amt trat er allerdings, bedingt durch seine Verletzung, erst zum 20.08.1945 an.
Vietzen, S. 248f.
37
Rothmund, S. 205.
38
Ebd.
39
Ebd.
40
Vietzen, S. 150.
41
Für die Stuttgarter-Zeitung, die fortan als Sprachrohr des Zirkels und später der DVP wirkte.
36
21
Ab August fanden auch vermehrt regelmäßige Treffen in Haußmanns Wohnung statt. Hier
wurde „am 18. September 1945 [...] in Stuttgart in der Hohenzollernstraße 18 die
‚Demokratische Volkspartei’ gegründet [...]. Was in keinem anderen der damals erst
entstehenden Länder möglich war, geschah hier: Die Gründung einer liberalen Landespartei43
erfolgte vor der Konstituierung der Christlich-Demokratischen Partei“44. Der Name
„Demokratischen Volkspartei“ war keineswegs zufällig gewählt. Ganz bewusst sollte so an
die württembergische Volkspartei von 1864 erinnert werden, an deren antipreußischen und
föderalistischen Traditionen man anknüpfen wollte.
4. Die Situationen in den einzelnen Besatzungszonen
Im folgenden Kapitel soll ein kurzer Überblick über die Startbedingungen zur Parteienbildung
in den vier verschiedenen Besatzungszonen gegeben werden und einige diesbezügliche
Unterschiede
veranschaulicht
werden.
Zudem
werden
die
Auswirkungen
der
unterschiedlichen Startbedingungen kurz benannt werden.
4.1 Die sowjetische Zone
Da am Beispiel der LDP(D) die wichtigsten Gegebenheiten in der SBZ ersichtlich werden,
sollen an dieser Stelle lediglich einige allgemeine Punkte benannt werden.
Der alles beherrschende Gedanke für das Handeln der SMAD war die Erweiterung des
Einflusses Moskaus auf Gesamtdeutschland und die gleichzeitige „Bestandssicherung“ in der
SBZ. Diesen beiden Zielen dienten sämtliche Maßnahmen der Besatzungsmacht.
Der Befehl Nr. 2 der SMAD erlaubte nicht nur die Gründung von Parteien, sondern verbot
zugleich die Etablierung unabhängiger und nicht in Berlin entstandener Vereinigungen, damit
die Besatzungsmacht die neuen Parteien besser beobachten und beeinflussen konnte. So
wurden die Berliner Parteien schnell zum zentralen Kristallisationspunkt zahlreicher
Gründungsinitiativen. Um die Kontrolle über die lizenzierten Parteien zu erhalten, wurde
42
Für die Rhein-Neckar-Zeitung.
Eigentlich erfolgte zu diesem Datum lediglich die Gründung der DVP Stuttgarts, während sich die eigentliche
Landespartei erst am 14.12.1945 konstituierte. Jedoch zeigt diese Vorwegnahme Haußmanns, in seinen
Erinnerungen, dass bereits von Anfang an die Absicht bestand, weit über die Grenzen Stuttgarts hinaus
zuwirken.
44
Rothmund, S. 215.
43
22
diesen eine „freiwillige“ Mitgliedschaft in der „Einheitsfront der antifaschistischen
demokratischen Parteien“, dem späteren „Block“, nahe gelegt. Zugleich wurde der
zentralistische Aufbau der Parteien gefördert. Zu unterscheiden ist zwischen den bürgerlichen
Parteien und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sowie der späteren
Sozialistischen
Einheitspartei
Deutschlands
(SED).
Während
Erstere
systematisch
benachteiligt wurden und de facto als Transmissionsriemen bzw. Dekoration für die
Westmächte vorgesehen waren, wurde Letztere immer wieder auf verschiedene Arten
gefördert und bevorzugt. Die Existenz von CDU und LDP(D) hing einzig und allein von der
Gnade der SMAD ab, die nur der gesamtdeutschen Perspektive wegen auf die Errichtung
eines Einparteiensystems verzichtet hatte.
Als eine besondere Belastung stellte sich für die beiden bürgerlichen Parteien die
Mitgliedschaft im „Block“ dar. Da hier quasi kontinuierlich eine sozialistische Politik
betrieben wurde und ein Zwang zur Einmütigkeit bestand sowie jede Sitzung unter den Augen
der SMAD stattfand, befanden sich CDU und LDP(D) permanent in der Defensive. Statt zu
agieren, sahen sie sich gezwungen zu reagieren. Große Vorhaben wie die Bodenreform
konnten sie nicht verhindern, lediglich punktuelle Abmilderungen waren durchsetzbar. Diese
Blockpolitik wurde zur offenen Flanke aller bürgerlichen SBZ-Parteien, denn ihre westlichen
Schwesterparteien warfen ihnen oft eine Hörigkeit gegenüber Moskau vor.
Jedoch ergaben sich aus der Lizenzpolitik der SMAD auch einige nicht zu unterschätzende
Vorteile für die Parteien. So sorgte der geforderte Zentralismus dafür, dass ohne größere
innerparteiliche Auseinandersetzungen Landes- und Zonenparteien entstanden. Die Tatsache
dass die SMAD nach KPD, SPD, CDU und LDP(D) über Jahre keine weiteren Lizenzen
ausstellte, sorgte für einen raschen Auf- und Ausbau der Parteiorganisationen sowie schnell
anwachsende Mitgliederzahlen, die weit über dem Niveau ihrer Schwesterparteien im Westen
lagen. Auch verfügten die SBZ-Parteien bereits sehr früh über eigene, wenn auch von der
SMAD kontrollierte, Publikationsmittel und eine relativ gute finanzielle Ausstattung, was
einen
weiteren
deutlichen
Entwicklungsvorsprung
gegenüber
ihren
westlichen
Schwesterparteien bedeutete. Diese Startvorteile ermöglichten es den Parteien der SBZ, ihre
gesamtdeutschen Ansprüche zu untermauern.
Im Vergleich zu ihren westlichen Pendants waren die SBZ-Parteien viel stärker
gesamtdeutsch ausgerichtet, die Wiedererlangung der deutschen Einheit war, zumindest in
den ersten Jahren, ihr oberstes Ziel und vorderstes Streben.
23
4.2 Die amerikanische Zone
Die Parteienentwicklung in der amerikanischen Zone gestaltete sich wesentlich schwieriger
als in der SBZ. Das Gebot, dass alle politischen Vereinigungen der ausdrücklichen
Genehmigung des amerikanischen Militärgouverneurs bedurften, wurde zumindest zu Beginn
sehr restriktiv gehandhabt. Die Regelung wurde als faktisches Verbot jedweder politischen
Arbeit ausgelegt und durchgesetzt. „Die Deutschen sollten sich erst dann politisch betätigen
dürfen, wenn das ‚gigantische Programm der Austilgung des Nationalsozialismus und der
Umerziehung zur Demokratie’ Früchte getragen hatte.“45 Theodor Heuss bezeichnete dieses
Umerziehungsprogramm mit seinem, zumindest anfangs sehr starren Vorgehen nach
Instruktionsschablonen,
einmal
bitter
ironisch
als
„Gebrauchsanweisung
für
die
Domestizierung einer wilden Bevölkerung“46. Spätestens nach dem Befehl Nr. 2 der Sowjets
wurde diese Handhabung auch im amerikanischen Kommandostab heftig kritisiert und
hinterfragt. Hatte es zuvor schon Zweifel daran gegeben, ob diese Regelung bei Anhängern
totalitärer Lehren – am Anfang waren damit vor allem die Nationalsozialisten, später immer
mehr die Kommunisten gemeint – überhaupt eine nachhaltige Wirkung erzielen könnte, so
kam nach den Parteigründungen in der SBZ die Sorge hinzu, dass diese Parteien – da ohne
Konkurrenz – über ihre Zone hinauswachsen und somit auch zu Einfluss in den Zonen der
Alliierten gelangen würden. Der Einflusszugewinn der SBZ-Parteien würde zwangsläufig
auch einer Ausweitung des sowjetischen Einflusses gleichkommen, so die Befürchtungen im
US-Hauptquartier.
Aus diesen Gründen wurde am 07.07.1945 die Regelung dahingehend verändert, dass von da
an Orts- und Gemeinderäte zugelassen wurden, die der zuständigen Militärverwaltung vor Ort
bei bestimmten Themen, z. B. Versorgungs- und Entnazifizierungsproblemen, behilflich sein
sollten. Dies war nahe liegend, denn „in den Gemeinden war schon bald der Ruf nach
unbelasteten Männern zu vernehmen gewesen, die fähig wären, die noch ziellos
dahintreibenden Dinge in den Griff zu bekommen“47.
Auf der Potsdamer Konferenz traten die Amerikaner gemeinsam mit den Briten endgültig die
„Flucht nach vorn“ an, denn das Potsdamer Abkommen enthielt auf ihren Wunsch hin den
Passus, dass Parteien zuzulassen und zu fördern seien. Jedoch sollte gleichzeitig auf eine
strikte Dezentralisierung aller politischen Strukturen hingearbeitet werden, u. a. durch
Stärkung der Gemeindeselbstverwaltung. Außerdem sollten rasch demokratische Wahlen
45
Rothmund, S. 204.
Reutimann, S. 17.
47
Rothmund, S. 205.
46
24
abgehalten werden. Die meisten dieser Maßnahmen zielten darauf ab, den sowjetischen
Einfluss einzudämmen und aus der SBZ initiierte Parteiengründungen zu unterbinden.
Besonders diese Gefahr hoffte man mit der Taktik des „grass roots approach“48 zu umgehen,
weshalb Eisenhower am 07.08.1945 lediglich die Weisung erteilte, Parteien auf Kreisebene
zuzulassen. Allerdings verzögerte sich die Umsetzung dieser Weisung aus bürokratischen
Gründen um mehrere Wochen. Dennoch wurde am 20.09.1945 bekannt gegeben, dass im
Januar Gemeindewahlen, im März Kreistagswahlen und im Mai Wahlen in den Städten
durchgeführt werden sollten. Alle neuen Parteien sollten sich also schon sehr früh der
Wettbewerbssituation einer Wahl stellen müssen. Die amerikanische Militäradministration
hoffte so auch, die eventuell wiedererstarkten Kommunisten bereits im Vorfeld zu schwächen
bzw. zu isolieren. Jedoch verlief diese Taktik des strikten Aufbaus von „unten nach oben“
alles andere als nach Wunsch und Plan. Nicht nur, dass die meisten Gründerkreise von
Politikern, die bereits in der Weimarer Republik aktiv gewesen waren, geleitet bzw. gegründet
wurden, was dem Ansinnen der Militäradministration zuwiderlief, auch konzentrierten sich
diese Gründungen besonders auf die mittleren bis großen Städte der Zone, wohingegen viele
Kreise49 bis Mitte Dezember gänzlich ohne Parteigründungen blieben.
Obwohl diese Umsetzungen nicht den ursprünglichen Plänen entsprachen, wurden diese
Entwicklungen mit der am 23.11.1945 erteilten Erlaubnis zur Gründung von Landesparteien
und mit der Billigung von Zonenparteien am 28.02.1946 nachträglich abgesegnet.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der von der Militäradministration geplante
dezentrale Parteienaufbau nicht erfolgreich war. Dennoch wurde das Ziel, den Einfluss der
SBZ-Parteien zu minimieren, erreicht, denn die „amerikanische Politik verstärkte mithin –
und dies war ja durchaus intendiert – die [...] ohnehin vorhandenen föderalistischen
Tendenzen
[und]
begrenzte
damit
zugleich
die
Einflussmöglichkeiten
der
,Reichsparteiführungen’ und förderte in den Landesparteien eine in weiten Bereichen
eigenständige Politik“50. Auch nach der Errichtung von Zonenparteien blieben die
Landesparteien und das Land die Hauptbezugspunkte, weil für einfache Parteimitglieder und
die meisten Funktionäre die Zonen- oder gar Reichsverbände eher nachrangige Bedeutung
besaßen.
Also eines „organischen“ Wachstums von unten nach oben.
Hein geht von etwa 50 % aus. Vgl. Hein, Milieupartei, S. 37.
50
Vgl. Hein, Milieupartei, S. 38.
48
49
25
4.3 Die britische Zone
Die Gründungen der Parteien der britischen Zone verliefen unter fast identischen
Bedingungen wie im amerikanischen Besatzungsgebiet. Auch hier bestand anfangs das
„Politikverbot“, das später durch die Bewilligung kommunaler Beiräte abgeschwächt und
schließlich im Potsdamer Abkommen weitestgehend abgeschafft wurde. Diese Kongruenzen
sind allerdings nicht besonders verwunderlich, bedenkt man, wie eng sich die Vereinigten
Staaten und das Vereinigte Königreich in den ersten Nachkriegsjahren miteinander
abstimmten. So entstand das Bild eines gemeinschaftlichen Blocks innerhalb der
Siegermächte, den vergleichbare deutschlandpolitische Vorstellungen – und nicht nur diese –
miteinander verbanden. Diese analoge Entwicklung unterschied die angloamerikanischen
Besatzungsgebiete sowohl von der sowjetischen als auch der französischen Zone. Dennoch
ergaben sich einige nicht zu vernachlässigende Unterschiede, und die Entwicklungen
verliefen keinesfalls völlig parallel. Die für die Parteienbildung wichtigsten Abweichungen,
die im Folgenden kurz angesprochen werden sollen, sollten Auswirkungen bis weit in die
50er-Jahre hinein haben.
Der erste Unterschied zwischen britischer und amerikanischer Zone lässt sich in der
Handhabung des „Politikverbots“ erkennen. Die Briten handhabten dieses Credo wesentlich
weniger strikt als die US-Amerikaner. Auch war ihre Ableitung des Grundansatzes eine völlig
andere. Während die Amerikaner vorläufig jedwede parteipolitische Tätigkeit unterbanden,
sah die britische Interpretation lediglich ein Demonstrations- und Versammlungsverbot vor.
Selbst Letzteres wurde zum Teil sehr lax und uneinheitlich durchgesetzt, sodass je nach
lokaler Gegebenheit und Strenge der örtlichen Kommandantur Vorgespräche bzw. sogar
Vorbereitungen für Parteienbildungen im kleineren Kreis in einem halb legalen Rahmen
möglich waren.
Auch bei der Umsetzung des Potsdamer Abkommens in Bezug auf die strikte Dezentralität
der Parteiengründungen lässt sich, wie beispielsweise Wieck51 aufzeigt, ein Unterschied zum
US-Äquivalent feststellen. Während die Amerikaner unter allen Umständen das „GrassRoots“-Prinzip durchzusetzen versuchten, ließen die Briten auch hier eine zum Teil
erstaunliche Flexibilität erkennen. So wurden mit der am 15.09.1945 erlassenen „Verordnung
Nr. 12 der Militärregierung über die Gründung und Betätigung politischer Parteien“ neben der
Gründung von Kreisparteien auch Zusammenschlüsse auf höheren Ebenen als dieser
ermöglicht. So entstanden relativ schnell nicht nur Kreis- sondern auch Provinz-, Landes- und
51
Vgl. Wieck, Gründung der CDU ab S. 36 bzw. Hein, Milieupartei, S. 85.
26
schließlich Zonenparteien. Wobei zu beachten ist, dass oftmals die Einigung der Parteien,
nicht wie beabsichtigt, von oben nach unten erfolgte, sondern die obere Ebene als
einheitsstiftendes „Dach“ für die unteren Ebenen diente.
Die dritte maßgebliche Abweichung vom US-Modell war die britische Herangehensweise an
die Organisation von Wahlen. Während man bei den zuvor genannten Unterschieden jeweils
der Entwicklung der amerikanischen Zone vorausgeeilt war, wurde in diesem Punkt eine eher
zurückhaltende Position eingenommen. Erst relativ spät wurden Wahlen angesetzt, in den
Kommunen etwa ein Jahr nach der Verordnung Nr. 12 und für die Länder gar erst im April
194752. Dementsprechend verlagerte sich auch die weitere Rückübertragung von
Verwaltungsverantwortung an deutschen Politiker weiter nach hinten.
Als Auswirkungen dieses unterschiedlichen Verlaufs der Parteienentstehung können im
Wesentlichen folgende Punkte genannt werden: Zum Ersten der organisatorische Vorsprung,
den die Parteien der britischen Zone besaßen, da ihre Sondierungen bereits Monate vor denen
der in der amerikanischen Zone beheimateten Gründungskreise erfolgen konnten.
Zum Zweiten hatten sich die Bedeutung, Wertlegung und Orientierung immer mehr auf die
höheren Ebenen der Parteien verlagert, sodass das Primat der Willensbildung bereits relativ
früh auf die Landesebene verlagert wurde. Mit der Entstehung der Zonenparteien erfuhr dieser
Trend zur zentralistisch geführten Partei einen erneuten Auftrieb.
Durch die verspätete Wahlterminierung wurde zumindest der von den Amerikanern
gewünschte Effekt, die Parteien, weil verhältnismäßig schnell dem Wettbewerb durch Wahlen
ausgesetzt, auf eine realpolitische und kompromissbereite Linie einschwenken zu lassen,
unterbunden. Stattdessen bildete sich ein Trend zur überstarken Prinzipienhaftigkeit in der
Parteienpolitik heraus, der denkbar ungeeignet war, programmatische Gegensätze zu
überbrücken.
4.4 Die französische Zone
Die französische Besatzungsmacht zeigte sich in punkto Parteienzulassung und politischer
Betätigung der Besetzten als die zögerlichste aller Siegermächte. Nirgendwo sonst kamen die
parteibildenden Prozesse so schwer und langsam in Gang wie im französisch besetzten
Südwesten. Erst am 13.12.1945 begann hier das Lizenzierungsverfahren. Zusätzlich
verhinderte die Besatzungspolitik lange Zeit eine eigenständige parteipolitische Entwicklung.
52
Vgl. Hein, Milieupartei, S. 85.
27
So unterband sie die Entfaltung von selbstständigen Gründerkreisen und die Herausbildung
von parteiähnlichen Organisationen. Der Grund hierfür ist in dem sehr ausgeprägten
Sicherheitsbedürfnis der französischen Regierung zu sehen, dem jede eigenständige
Betätigung, die von Deutschen ausging, wenn nicht als Vorstufe zum Widerstand, so doch
wenigstens als höchst verdächtig erschien.
In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass die Franzosen im Gegensatz zu den
Amerikanern und Briten, die in ihren Besatzungszonen bestrebt waren, möglichst große
Länder zusammenzufassen, die Schaffung möglichst kleiner Verwaltungseinheiten anstrebten.
Als Beispiel sei hier nur die Handhabung der Verwaltungsaufteilung des heutigen BadenWürttembergs erwähnt. Während die Amerikaner ihre Teile Nord-Badens und NordWürttembergs bereits sehr früh zu einem Land Württemberg-Baden zusammenfassten, wurde
in den französisch besetzten Teilen strikt an der Aufteilung festgehalten, und es wurden so
dementsprechend zwei Länder, Baden und Württemberg-Hohenzollern, geschaffen.
Auch bei der Parteienlizenzierung wurden Sonderwege beschritten, denn weder das
angloamerikanische noch das sowjetische Modell wurde übernommen. Obwohl sonst eher
Förderer
aller
föderalistischen
Tendenzen,
verweigerten
sich
die
französischen
Militärgouverneure der Idee des dezentralen Parteiaufbaus, sondern bestanden auf einer
zentralistischen Gründung. Dies entsprach allerdings ebenso nicht dem sowjetischen Konzept,
da sich der Zentralismus nur auf die Landesebene beschränkte, eine Ausbreitung auf die
gesamte Zone oder gar darüber hinaus war weder gewünscht noch beabsichtigt. So verlangten
die Militärgouverneure, dass „jede politische Partei eine Landesdirektion [habe]. Außerdem
müssten örtliche Ausschüsse gebildet werden. Soweit sich ein solcher örtlicher Ausschuss der
Landesdirektion der Partei unterstelle, werde er ohne weiteres anerkannt“53. Hinzu kam die
Auflage, dass das Element der Landespartei zwingend festgeschrieben wurde, so hieß es
beispielsweise für das Land Württemberg-Hohenzollern „der Gouverneur wünscht, dass die
Parteien in ihrer Bezeichnung das Wort ‚württembergisch’ zu führen“54 haben. Wieck schrieb
hierzu: „Zugelassen werden sollten danach nur Parteien, die weder mit anderen Gruppen im
übrigen Deutschland Verbindung besaßen noch für einen zentralistischen Staatsaufbau
eintraten. Aus diesem Grund wollten die Franzosen auch nur die Gründung von
‚Landesparteien’, die sich ausschließlich mit ‚Landesangelegenheiten’ zu beschäftigen hätten,
genehmigen“55. Selbst vorsichtigen Formulierungen zur eventuellen Reichseinheit, wie
beispielsweise „Gemeinschaft der deutschen Länder“ traten die Behörden Frankreichs
53
Protokoll der Gouverneurssitzung vom 08.01.1946. Zitiert in: Hein, Milieupartei, S.157.
Protokoll der Gouverneurssitzung vom 08.01.1946. Zitiert in: Hein, Milieupartei, S.158.
55
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 158.
54
28
vehement entgegen, gestatte wurde maximal von einer „Gemeinschaft der süddeutschen
Länder“ zu sprechen bzw. zu schreiben.
Um sich die Kontrolle über die politischen Institutionen ihrer Zone zu sichern, ging die
französische Militärregierung soweit, alle zentralistisch bzw. des Zentralismus verdächtigen
Organisationen entweder zu untersagen oder zu partikularisieren. Dies konnte zum Teil zu
sehr skurrilen Ergebnissen führen. So berichtet Dr. Fleig, ein Mitbegründer der BCSV56,
davon, dass „sogar das Rote Kreuz [...] nicht mehr Deutsches heißen [durfte], sondern [...]
sich Badisches nennen [musste]“57. Zusätzlich wurde versucht, eine Art Informationssperre zu
errichten, Dr. Fleig schreibt hierzu: „In den ersten Zeitungen durfte nichts von einem
Deutschen Reich geschrieben werden; die Zensur strich alles Derartige“58. Die französische
Militärregierung handelt faktisch als Gegenpart sowohl der Alliierten als auch der Sowjets.
Während die Sowjets die Parteien ihrer Zone stets ermutigten, interzonal zu wirken, und den
Status der „Reichsparteien“ ausdrücklich billigten, versuchten die Franzosen, gerade dieses zu
verhindern, „ihre“ Parteien sollten auf gar keinen Fall zonale oder interzonale Bedeutung
erlangen, vielmehr sollten faktisch die Landesgrenzen auch die Grenzen der parteipolitischen
Tätigkeiten
bilden.
Weshalb
beide,
Sowjets
und
Franzosen,
die
zentralisierte
Parteiengründung favorisierten, ist damit zu begründen, dass hierin die Möglichkeit der
maximalen
Einflussnahme
gesehen
wurde.
Diesem
Begehren
und
nicht
den
angloamerikanischen Überlegungen des langsamen Wachstums ist auch die Gestattung von
Landesparteigründungen geschuldet. Die französische Militärregierung wählte also einen
Weg zwischen den anderen westlichen Alliierten und den Sowjets und betrieben eine
partikulare Zentralisierung „ihrer“ Lizenzparteien voran.
Die zudem gezielt betriebene Isolation der „französischen“ Landesverbände untereinander
führte dazu, dass wenn die Parteien „überhaupt überregionale Kontakte unterhielten, gingen
sie über die Zonengrenzen hinweg in die Nachbarländer oder [...] zur ‚Reichsparteileitung’“ 59
in Berlin, was den Zielen der Besatzungsmacht gänzlich widersprach. Es war ihr folglich
nicht gelungen, sämtliche äußeren Einflüsse von „ihren“ Parteien fern zu halten. So war es
beispielsweise der LDP(D) bereits sehr früh gelungen, auf die Liberalen in Rheinland-Pfalz
Einfluss zu nehmen und stabile, wenn auch meist inoffizielle Verbindungen aufzubauen 60.
Der Name auf dem ersten Lizenzierungsantrag der Liberalen des südlichen Rheinlands lautete
56
Badische Christlich-Soziale Volkspartei.
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 158.
58
Ebd.
59
Hein, Milieupartei, S. 275.
60
Ebd. S. 157ff und S. 173f.
57
29
deshalb auch LDP, der aber auf Druck der Besatzungsmacht in „Liberale Partei RheinlandPfalz“ umgeändert werden musste.
Zur insgesamt schlechten Ausgangsbasis für alle Parteien kam für die Liberalen noch die
Ungeneigtheit der Besatzungsmacht hinzu. In der Regel erhielten die Liberalen erst nach
mehreren Monaten Verzögerung ihre Lizenzen, was sie in Hinsicht auf Parteiorganisation und
-entwicklung nochmals deutlich zurückwarf. So ist es kaum verwunderlich, dass, als sich in
den anderen Besatzungsgebieten bereits Zonenparteien gebildet hatten und das Für und Wider
einer gesamtdeutschen Partei erwogen wurde, „sich die Liberalen im französisch besetzten
Südwesten Deutschlands noch nicht einmal als Landesorganisationen konsolidiert“61 hatten.
Erst am 04.01.1947, als die Isolierung durch die Militärbehörden nachgelassen hatte, wurde
der Versuch unternommen, einen Zonenverband der französischen Zone zu gründen. Auf
Einladung der badischen Demokratischen Partei trafen sich die Vertreter der jeweiligen
Landesparteien in Freiburg, um die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft der Demokratischen
Parteien in der französischen Zone“ zu beschließen.
Bereits am 15.02.1947 erklärte der Militärgouverneur Badens, dass seiner Meinung nach „die
neue in Aussicht genommene Organisation eher den Charakter einer demokratischen
Einheitspartei für die ganze französische Besatzungszone [...] als einer Verbindung der in
Betracht kommenden Parteien“ habe, außerdem lehne er „die eine oder die andere dieser
Lösungen ab“62. Die Militärregierung beharrte darauf, dass sie die Parteien lediglich auf
Landesebene zugelassen habe und keine zonale oder gar eine über die Zone hinausreichende
Organisation akzeptieren würde. Somit blieb die französisch besetzte Zone die Einzige, in der
es niemals zur Errichtung eines Zonenverbandes kam. Zwar nahmen später einige Delegierte
aus der französischen Zone an Interzonengesprächen teil, fungierten aber maximal als
Beobachter bzw. Botschafter ihrer eigenen Landesverbände. Zu einer einheitlichen Linie
fanden die einzelnen Delegierten auch auf dieser Grundlage nicht.
Die Schwäche der „französischen“ Liberalen resultiert hauptsächlich aus dem stark
restriktiven Einfluss, den ihre Besatzungsmacht auf die parteipolitischen Belange nahm. „Es
ist wahrscheinlich, dass nirgendwo anders in den westlichen Besatzungszonen auch nur ein
annähernd so starker Druck von einer Militärregierung auf die [...] sich neu bildenden
Parteien ausgeübt wurde [...], dass die Franzosen [...] mit stärksten Mitteln versuchten, die
politische Neugestaltung [...] ganz ihren eigenen Zielen unterzuordnen.“63 Die Summe dieser
genannten Gegebenheiten macht deutlich, warum es den Liberalen des französisch besetzten
Südwestens nicht gelang, Einfluss auf die gesamtdeutschen Entwicklungen zu nehmen oder
61
Ebd.
Schreiben der französischen Militärregierung für Baden vom 15.02.1947, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 277.
63
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 114.
62
30
sie gar mitzubestimmen. Aus diesem Grund sind ihre Entwicklungen und Programmatiken
auch für den Rest dieser Arbeit zu vernachlässigen.
5. Die theoretischen Ansätze und Konzepte nach 1945
Die Situation der Liberalen nach dem Zweiten Weltkrieg, nach 12 Jahren der Unterdrückung,
lässt sich wie folgt beschreiben: „Der Marxist hatte in den 12 Jahren als Regulativ seiner
Meinung die marxistische Lehre64, der Anhänger des Zentrums die Satzungen seiner Kirche.
Sie alle hatten es 1945 sehr viel leichter als die Demokraten. Die einen kannten sich aus
Gewerkschaften bzw. Arbeitsfront, die anderen aus der Kirchenbank, die einen konnten an die
personellen Restbestände ehemaliger Massenorganisationen anknüpfen, die anderen hatten
Pfarrer und Schwestern als Kernpunkte einer neuen Organisation. Den Demokraten fehlte dies
alles.“65
Im Folgenden sollen die drei Modelle – liberale Volkspartei, Rechtspartei und Partei der
breiten
bürgerlichen
Mitte
–,
mit
denen
liberale
Politiker
innerhalb
des
Betrachtungszeitraumes versuchten, die o. g. Nachteile zu überwinden, um eine möglichst
starke Partei liberaler Ausrichtung aufbauen zu können, kurz vorgestellt und an einem
praktizierten Beispiel veranschaulicht werden.
5.1 Die liberale Volkspartei
Das Konzept der Volkspartei nahm den alten Anspruch vieler Vorgängerinnen, den diese
allerdings meist nur nominell erhoben hatten, auf, eine Partei für das gesamte Volk zu sein. In
dieser Konzeption werden besonders Gedanken Friedrich Naumanns wieder aufgenommen
und vertreten. „Liberalismus muß wieder Volksglaube werden“66, verlangte er und gab eine
bezeichnende Definition: „Wer darauf noch hofft, der ist liberal.“67 Außerdem stellte er fest:
„[E]s ist wieder ein allgemeiner deutscher Liberalismus nötig, eine Volkspartei, in der
64
Gleiches galt selbstverständlich auch für die damaligen noch marxistisch orientierten Sozialdemokraten.
Ernst Mayer in einem Bericht an die amerikanische Militärregierung, zitiert in: Wieck, Christliche und Freie
Demokraten, S. 152.
66
Friedrich Naumann, S. 43.
67
Ebd.
65
31
Demokratie und Nationalsinn beieinander wohnen, eine breite schaffende Mehrheitspartei mit
freien neuen Gedanken.“68
Ziel war und ist es folglich, große Teile der Bevölkerung über die unterschiedlichsten Klassen
und Schichten hinweg zu erreichen und möglichst fest zusammenzuschließen. Eine solche
Partei soll nicht als Vertreterin einer Bevölkerungs- oder Interessengruppe, sondern muss als
allgemein gültige Botschafterin gelten können. Die wichtigste Neuerung dieser Konzeption ist
also die angestrebte Einbindung von Bevölkerungsschichten bzw. Teilen davon, die bisher
dem
Liberalismus
ferngeblieben sind
oder
ihm
gar
ablehnend
gegenüberstehen,
voranzutreiben.
Um den beabsichtigten Zuspruch zu erhalten, ist allerdings eine gewisse programmatische
Unschärfe unabdingbar. Für eine Verbreiterung der potenziellen Anhängerschaft müsste eine
Verwässerung der liberalen Leitgedanken, eventuell sogar Kompromisse mit anderen
Leitbildern, in Kauf genommen werden. In diesen Abweichungen liegt auch die Gefahr des
Volksparteikonzeptes, denn die Abweichungen und Kompromisse könnten letztendlich das
Wesen der Partei als solches in gänzlich andere unliberale Richtungen lenken. Zwar soll eine
liberale Volkspartei prinzipiell ihren Platz in der Mitte des Parteienspektrums finden bzw.
erhalten, aber das ständige Ausloten der eigenen liberalen Grenzen nach rechts und links birgt
zusätzliche Risiken in sich. Allzu leicht entsteht so die Gefahr, die Ideen und Ideale des
Liberalismus auf einige wenige Grundsätze zu reduzieren, sodass auch extreme
Ausrichtungen möglich werden. Dies kann umso leichter geschehen, da keine klaren Grenzen,
nach rechts oder links vorgegeben sind.
Dennoch war und ist das Modell trotz der gegebenen Schwierigkeiten außerordentlich
attraktiv, da es davon ausgeht, dass eine liberale Partei zu einer sehr starken und eventuell
sogar zur bestimmenden Partei aufsteigen und dennoch eine Partei der Mitte bleiben kann.
Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass es, da sich der Liberalismus für diese
Konzeption nur wenig eignet, starken Zwängen von außen und einer straffen Organisiertheit
im Inneren sowie der permanenten Bereitschaft, den Spielraum der liberalen Prinzipien bis an
ihre äußersten Grenzen auszureizen, bedarf, um das Volksparteimodell erfolgreich umsetzen
zu können.
68
Ebd., S. 35f.
32
5.2 Die Rechtspartei
Die Rechtsparteikonzeption ist auf den ersten Blick der der Volkspartei recht ähnlich. Auch
ihr Ziel ist eine starke liberale Partei, die so großen Zuspruch erfährt, dass an ihr kein Weg
vorbeiführt. Auch in diesem Konzept wird das Aufweichen einiger Grundsätze zugunsten der
Ausweitung der Anhängerschaft gebilligt bzw. ist man bereit, einige Prinzipien sehr
„großzügig“ auszulegen.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Konzept der Volkspartei und dem der
Rechtspartei liegen darin, dass bei Ersterem eine Öffnung nach beiden Seiten des Spektrums
angedacht ist und zum Erreichen dieses Ziels eine Bereitschaft, den Spielraum der liberalen
Prinzipien bis an ihre äußersten Grenzen auszureizen, postuliert wird, wohingegen bei
Letzterem nur eine Öffnung zum rechten Rand hin gewünscht und dabei auch ein
gelegentliches Übertreten der Grenzen zum Nationalismus gebilligt wird. Soll die Volkspartei
auch weiterhin eine Partei der bürgerlichen Mitte, wenn auch mit sehr starken Flügeln nach
rechts und links sein, verzichtet das Rechtsparteikonzept hierauf und verschiebt den Standort
der Partei konsequent nach rechts. Während das Konzept der Volkspartei Kompromisse mit
anderen politischen Leitideen und auch die Übernahme anderer Ideen in ihren
Forderungskatalog vorsieht, jedoch nur, wenn dies mit den liberalen Grundsätzen in Einklang
zu bringen ist, sieht das Konzept der Rechtspartei sogar vor, auf liberale Ideen, die der
Entwicklung zur Massenpartei zuwiderliefen, gänzlich zu verzichten. Von den liberalen
Grundsätzen sollen lediglich die als attraktiv geltenden genutzt werden, sodass der Begriff
Liberalismus faktisch auf Begriffe wie Marktwirtschaft, Privateigentum oder Antisozialismus
reduziert wird.
Die Grundüberlegung, die dem Rechtsparteikonzept zugrunde liegt, ist schlicht und einfach
die, dass man am rechten Rand des Parteienspektrums ein großes Wählerreservoir vermutet,
das nur auf seine Erschließung wartet. Da sich die meisten Parteien im Nachkriegsdeutschland
auf Links-, Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Positionen festgelegt haben, ist in diese
Richtungen kaum Zugewinn an Wählerstimmen möglich, so die weiteren Überlegungen.
Während also links von der CDU ein harter Konkurrenzkampf herrscht, bei dem zudem die
meisten „Claims“ bereits abgesteckt sind, ist das „Fischen“ am rechten Rand fast völlig
konkurrenzlos möglich. Hier Stimmen zu gewinnen, erscheint vergleichsweise mehr als
einfach und scheint außerdem mit schnellen Wahlerfolgen verbunden zu sein.
33
5.3 Die Partei der breiten bürgerlichen Mitte
Das Konzept der Partei der Mitte könnte auch als eine Art Projekt der „reinen Lehre“
bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den anderen beiden Entwürfen soll hier auf jegliche
Abweichungen und Kompromisse, die eine Aufweichung oder Verwässerung der liberalen
Grundsätze bedeuten würden, generell verzichtet werden. Die Prinzipientreue steht über dem
Gedanken der Verbreiterung der Wähler- und Anhängerbasis. Ein weiterer Gegensatz zum
Konzept von Volkspartei und Rechtspartei zeigt sich darin, dass eine scharfe Abgrenzung
nach links und rechts angestrebt wird, allerdings ohne sich dabei Kooperationsmöglichkeiten
in die jeweilige Richtung zu verbauen. Es wird davon ausgegangen, dass weder Rechte noch
Linke eine absolute Mehrheit erreichen können, ferner diese – da einander diametral
gegenüberstehend – zu einer gemeinsamen Koalition unfähig sind und bleiben. Zum
Erreichen einer Regierungsmehrheit wird daher immer die Partei der Mitte benötigt werden,
sodass ihr eine quasi ewig währende Schlüsselrolle zukäme. Dies bedeutet, dass die liberale
Mittelpartei je nachdem, wie es der Situation nach erforderlich ist, einmal mit den Vertretern
der Rechten und ein anderes Mal mit deren Äquivalent auf der linken Seite des
Parteienspektrums zusammenarbeiten kann. Im Idealfall kann so die Mittelpartei ein
Maximum ihrer Vorstellungen bzw. Ideen durchsetzen und verwirklichen. Sie sucht sich ihre
Bündnispartner selbst, was sie de facto zur Herrin der Politik machen würden. Bei geschickter
Verhandlungstaktik würden für sie so trotz ihrer geringen Größe die höchsten Staatsämter in
Reichweite liegen, z. B. bei einer von ihr gestellten Minderheitsregierung.
Ernst Mayer beschrieb die Konzeption wie folgt: „Im übrigen [sind die] grundsätzlichen
Unterschiede zwischen den beiden Flügelparteien SPD und CDU [...] so groß [...], dass bei
einem abwechselnden Regieren beider zu große Erschütterungen unseres staatlichen Lebens
eintreten müssten, um eine ausgleichende Mittelpartei nicht als notwendig erscheinen zu
lassen. Eine solche wird, immer nach beiden Seiten kämpfend, selten die Chance haben, eine
große Massenpartei zu werden, aber sie wird auch als kleinere Partei die Möglichkeit haben,
einen Ausgleich auf mittlerer Linie herbeizuführen ...“69
Die Gefahr in diesem Konzept ist zweierlei Gestalt. Zum Ersten gilt zwar der Leitsatz
Reinhold Maiers „klein aber fein“, dennoch muss eine ausreichend große Wählerschaft der
Partei gerade wegen ihrer exakt mittigen Ausrichtung die Stimme geben. Dies setzt allerdings
eine ungemein treue Stammwählerschaft und den freiwilligen Verzicht der Partei auf
traditionelle Koalitionen und auf taktische Wechselwähler voraus, denn welchen Vorteil
69
Ernst Mayer in einem Bericht an die amerikanische Militärregierung; zitiert in: Wieck, Christliche und Freie
Demokraten, S. 152.
34
sollten Letztere aus ihrem Übertritt gewinnen? Weder könnten sie ihr eigenes Lager stärken,
noch würden sie genau wissen, zu welchem Partner sich die Mittelpartei letztendlich
bekennen würde. Auch müssten bei Koalitionen, sollen diese stabil sein, stets gewisse
Kompromisse geschlossen werden, sodass zumindest für eine Legislaturperiode die exakte
Mitte verlassen werden müsste, also die Gesamtkonzeption in diesem Punkt nicht
funktionieren kann.
Zum anderen birgt die absolute Mitte auch die Gefahr in sich, zwischen den größeren Blöcken
aufgerieben zu werden. Auch verkennt diese Grundkonzeption völlig die Möglichkeit des
Eindringens in ihr Revier durch andere Parteien ebenso wie die von möglichen
Flügelkämpfen innerhalb der eigenen Partei.
Durch Übernahme von Teilen der Agenda könnten andere Parteien durchaus versucht sein, in
das Lager der Liberalen einzubrechen, um auf diese Weise doch noch zu einer eigenen
Mehrheit zu gelangen. Zudem ist zweifelhaft, ob sich nicht auch in der eigenen Partei gewisse
Präferenzen zur jeweils einer Richtung herausbilden würden. Dies würde, sollte bei
Koalitionen
die
andere
den
Zuschlag
erhalten,
durchaus
zu
parteiinternen
Auseinandersetzungen führen.
6. Die wichtigsten Vertreter der drei Modelle und die
Umsetzungen der Konzepte in die Praxis
Die praktische Umsetzung der verschiedenen Modelle wird im Folgenden anhand der drei
wichtigsten Vertreter des jeweiligen Konzepts veranschaulicht. Dies geschieht anhand der
Zonenpartei LDP(D) und der Landesparteien LDP (Hessen) und DVP (Württemberg-Baden).
Da bei der Ausrichtung der Parteien die jeweiligen Führungspersönlichkeiten eine
entscheidende Rolle spielten, muss stark auf die jeweiligen Führungspersönlichkeiten der
Parteien bezug genommen werden. Da aus den Gründerphasen der Parteien keine feste
Programmatik vorhanden war, müssen die Aussagen der Männer an der Spitze als
allgemeingültig angenommen werden.
35
6.1. Die LDP(D) unter Wilhelm Külz
Im Gegensatz zu den liberalen Parteien der Weimarer Republik entwickelte sich die LDP(D)
zu einer Mitgliederpartei. Anfang des Jahres 1946 zählte sie bereits 100.000 Mitglieder 70 und
war damit die größte liberale Organisation in ganz Deutschland. Sie wurde schon früh als
Sammelbecken für Nicht-Marxisten begriffen und ihr individuelles Freiheitsverständnis
machte sie für breite Bevölkerungsschichten attraktiv. Obwohl die Kontakte zu liberalen
Schwesterorganisationen im Westen in den ersten Nachkriegsjahren recht eng waren und die
Liberaldemokraten diese organisatorisch und finanziell unterstützten, konnte der Berliner
Kreis seinen Führungsanspruch dennoch nicht über die Grenzen der SBZ hinaus durchsetzen.
Ursache hierfür war
der Einfluss
der
Sowjets
sowie der
KPD/SED auf die
liberaldemokratische Politik, der von vielen Liberalen im Westen erkannt oder zumindest
befürchtet wurde.
Dieser Einfluss zeigte sich zunächst in der Einbindung der LDP(D) in den „Block der
antifaschistisch-demokratischen Parteien“, dem sie am 14.07.1945 beitrat. „Dieser Block, der
zunächst als eine Art Allparteienkoalition zur Überwindung der schlimmsten Not erschien
und ursprünglich eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Partner sein sollte, wandelte
sich [...] mehr und mehr zum Vollzugsorgan der SED-Bündnispolitik.“71 Der begrenzte
Spielraum der LDP(D) wurde noch im Herbst 1945 bei der Auseinandersetzung um die
Bodenreform deutlich. Die entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer wurde
mehrheitlich abgelehnt. Als der Vorsitzende Koch jedoch offen dagegen opponierte, wurde er
durch die SMAD zum Rücktritt gezwungen, indem sie drohte, der Partei andernfalls die in
Aussicht gestellten Presselizenzen zu verweigern. Den Parteivorsitz übernahm daraufhin
Wilhelm Külz, der bis dahin Stellvertreter gewesen war. Külz vermied offene
Auseinandersetzungen mit der Besatzungsmacht und zeigte sich kompromissbereit, weil er
die Auffassung vertrat, keine Politik gegen die SMAD verwirklichen zu können. Während er
deshalb aus dem Westen stark kritisiert wurde, galt er in der SBZ weiterhin als politische
Autorität und wurde auf der ersten Delegiertenkonferenz im Februar 1946 in seinem Amt
bestätigt.
Das kompromissbereite Verhalten von Külz, für das er später oft, besonders von westzonalen
Liberalen kritisiert wurde, hatte durchaus einen tieferen Sinn. Zum einen hoffte Külz, durch
ein gutes Verhältnis zur SMAD Druck von seiner Partei nehmen zu können. Zum anderen
setzte sich Külz wie kein anderer Politiker im Betrachtungszeitraum für die Wiedergewinnung
70
71
Vgl. Malycha, S. 33.
Frölich, Liberaldemokratische Partei Deutschlands, S. 315.
36
der deutschen Einheit ein. Wenn dieses Ziel erreicht werden würde, so die Überlegung von
Külz, würden die meisten Blockentscheidungen Makulatur werden, da, hiervon war Külz fest
überzeugt, die deutsche Einheit nur eine Frage der Zeit sein würde und die SED in den dann
folgenden freien Wahlen keine parlamentarische Mehrheit würde erringen können. Die
külz’sche Nachgiebigkeit lag also im Wesentlichen darin begründet, dass Külz nicht an die
Dauerhaftigkeit der deutschen Teilung glaubte, die der SED gemachten Zugeständnisse also
seiner Meinung nach nur von temporärer Natur waren. Daher war sowohl für die LDP(D) als
auch für ihren Vorsitzenden die gesamtdeutsche Perspektive im Handeln und Agieren von
immenser Wichtigkeit, verhieß doch das Erreichen des Ziels der deutschen Einheit auch die
Wiedererlangung der persönlichen wie auch politischen Freiheit. Um dieses Ziel zu erreichen,
waren deshalb keine Opfer (z. B. Nachgiebigkeit gegenüber der SED) zu groß und keine
Handlungen zu verzweifelt, als das diese nicht zu erbringen wären.
In der Zwischenzeit galt es der SMAD zu zeigen, dass die LDP(D) eine Existenzberechtigung
besaß, d. h., den Status einer Partei, die für viele, wenn möglich sogar alle Schichten wählbar
war zu erreichen, war auch eine Sache des politischen Überlebens.
Für die LDP(D) ermutigend war das Ergebnis der Landtagswahlen vom 20.10.1946. Obwohl
die Partei bei der Kandidatenaufstellung massiv durch die SMAD behindert und bei der
Papierzuteilung benachteiligt wurde, ging sie aus den Wahlen mit durchschnittlich knapp
25 %72 als zweitstärkste Kraft hervor. In Sachsen-Anhalt stellte sie mit Erhard Hübner sogar
den einzigen Ministerpräsidenten, der nicht der SED angehörte.
Bei ihrem organisatorischen Aufbau orientierte sich die LDP(D) stark am Vorbild der
Massenparteien Weimars. So unterschied sie, ähnlich wie z. B. SPD und KPD, zwischen
Ortsgruppen und Betriebsgruppen, Ziel war es, vermehrt Arbeiter anzusprechen. Bis zur
Gründung der Einheitsgewerkschaft FDGB wurde sogar über die Formierung einer liberalen
Massengewerkschaft nachgedacht73. Ebenfalls ungewöhnlich für eine liberale Partei war es,
dass die LDP(D) auch Parteischulungszentren aufbaute, um eine gewisse Form der
Kaderförderung zu betreiben.
Unter dem Vorsitzenden Külz besaß die LDP(D) kein Parteiprogramm, zum einen, um sich
nicht vorzeitig festlegen zu müssen, d. h. jederzeit einen flexiblen Kurs steuern zu können,
zum anderen, um weder SMAD noch SED zusätzliche Angriffsfläche zu bieten. Lange Zeit
galt in der Partei: „Solange wir kein geschriebenes Programm kennen, heißt unser Programm:
Dr. Külz!“74
72
Vgl. Sommer, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 46.
Vgl. Krippendorff, S. 75f.
74
Hermann Kastner auf dem 2. Parteitag der LDP(D). Zitiert nach: Rütten, Liberalismus, S.121.
73
37
Die Partei, die dem Typus der linken Volkspartei am nächsten kam, war ohne Zweifel die
LDP der SBZ. Jedoch war das Streben des Kreises um Külz nach der Volkspartei nicht allein
darin zu sehen, dass man aus Prestigegründen diesen Status erreichen wollte, vielmehr war die
Gewinnung des Status Volkspartei und dessen Erhaltung eine Art Lebensversicherung für die
Liberalen in der SBZ. Külz’ Überlegungen lassen sich in etwa wie folgt grob umreißen:
Das Überleben der LDP hing fast gänzlich vom Wohlwollen der SMAD ihr gegenüber ab,
weshalb jedwede politische Aktion, die als Provokation ausgelegt werden konnte,
unterbleiben musste.
Da die SMAD die Mitarbeit aller Parteien im Block wünschte, konnte die LDP sich nicht
verweigern, selbst wenn es dort zu Beschlüssen kam, die nur schwer mit liberalen Prinzipien
in Einklang zu bringen waren.
Auch akzeptierte die SMAD außer der KPD/SED nur Parteien, die eine Existenzberechtigung
aufweisen konnten, dies bedeutete, diese Parteien mussten eine nicht zu vernachlässigende
große Gruppe bzw. Schicht o. Ä. repräsentieren. Aus Sicht der SMAD waren dies die KPD
(ihr direkter Verbündeter, daher über dieser Regel schwebend), die SPD (traditionelle
Arbeiterklasse) und die CDU (Christen). Die LDP musste also, wenn sie überleben wollte,
alles daran setzen, die nicht konfessionell gebundenen und nicht sozialistisch orientierten
Wähler zu gewinnen, so gesehen also dasselbe Problem, das sich auch ihren
Schwesterparteien in den Westzonen stellte. Allerdings hing für die LDP der SBZ wesentlich
mehr davon ab, ob es ihr gelingen würde, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Es ging um Sein
oder Nichtsein der Partei, eventuell sogar der gesamten liberalen Weltanschauung.
Ähnlich wie Euler später in Hessen erkannte auch Külz, dass für die LDP im neuen
Parteiensystem nur wenig Platz blieb.
Da sowohl KPD als auch SPD sowie später natürlich auch die SED sozialistische Ziele
verfolgten und auch ein nicht unbeträchtlicher Teil der CDU Anhänger des „christlichen
Sozialismus“ waren, blieb für die Liberalen lediglich der rechte Teil des Parteienspektrums
übrig. Wie ungern sie diesen zu füllen bereit waren, zeigte sich an der Äußerung nach der
Hoffnung auf eine „ehrliche Rechtspartei“, denn viele der parlamentarisch Erfahrenen ahnten
bereits, was die Rechtsposition für die LDP bedeuten würde, denn die politischen Gegner
würden künftig immer wieder die Liberalen als die „Nachfolger“ der Reaktion bzw. die
abgemilderte Form der Nazis darstellen und verunglimpfen können.
Allerdings bot die Tatsache, die einzige nicht sozialistische Partei zu sein, auch eine große
Chance, nämlich die, hierüber den Status einer Partei für das ganze Volk zu erlangen. Eine
Volkspartei würde die SMAD weder verbieten, noch könnte sie deren Forderungen
ignorieren, so die Überlegungen in dieser Hinsicht.
38
War das Überleben dann vorläufig gesichert, mussten alle Kräfte für die Widererlangung der
Reichseinheit mobilisiert werden, da in einer freien Wahl, so die feste Überzeugung von Külz,
die SED verlieren würde. Bis es allerdings soweit war, musste sowohl gegenüber der SED als
auch gegenüber der SMAD guter Willen demonstriert werden, was bedeutete Bodenreform
und Verstaatlichungen als gegeben und unabänderlich hinzunehmen bzw. sogar mitzutragen.
Nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit und der erwarteten Wahlniederlage der
SED würden die meisten der Blockbeschlüsse ganz einfach wieder aufgehoben werden.
Külz’ Überlegungen werden in etwa darauf hinausgelaufen sein, dass kurzfristig
wohlgefälliges Verhalten gegenüber der SMAD und gute Beziehungen zu einzelnen hohen
Offizieren das Überleben der Liberalen würden sichern können. Mittelfristig jedoch waren
das Errichten einer liberalen Volkspartei und die Herstellung der deutschen Einheit die
einzige Möglichkeit, Eigenständigkeit und Fortbestand der Partei bzw. (und) der liberalen
Idee zu sichern. Um allerdings aus den bisherigen Beschränkungen der Liberalen auf
bürgerliche Kreise auszubrechen, bedurfte es mehr als nur des Verweises, die einzigen
Nichtsozialisten zu sein. Vielmehr mussten bestimmte Formen der Massenpartei kopiert und
übernommen werden, z. B. Parteischulen, feste Strukturen, Betriebsgruppen parallel zu den
Kreisverbänden. So begann innerhalb der LDP eine für eine liberale Partei bis dato völlig
untypische Zentralisierung. Die entstandenen Landesverbände besaßen zwar weiter einige
Freiheiten, jedoch wurden Entscheidungen prinzipiell nur noch von der Reichsparteileitung
bzw. dem Parteivorstand gefällt. Auch die Aus- und Weiterbildung von Personal erfolgte per
zentraler Planung.
6.2. Die hessische LDP unter August Martin Euler
Kein liberaler Politiker innerhalb des Betrachtungszeitraums verkörperte so sehr die
Konzeption der Rechtspartei wie August-Martin Euler. Zwar waren sowohl Friedrich
Middelhauve, Arthur Stegner u. a. ebenso Vertreter des Rechtskurses, aber keiner war bei der
Umsetzung so erfolgreich wie der langjährige Landesvorsitzende Hessens. Bis weit in die
50er-Jahre der Bundesrepublik galt Euler als derjenige, der der nationalen Sammlung Gesicht
und Stimme gab. Gleiches galt auch für den hessischen Landesverband, wo dieser Kurs, so
erschien es zumindest dem Betrachter von außen, absolut unumstritten akzeptiert wurde.
Dies war jedoch nicht von Anfang an so, wie ein kurzer Abriss über die Entstehung und die
ersten Jahre der hessischen LDP zeigt. „Während die SPD, die CDU und auch die KPD sich
39
schon im Herbst des Jahres 1945 gründeten, taten sich liberale Gruppierungen in den Städten
Hessens mit einer gemeinsamen landespolitischen Gründung schwer.“75
Die Unterschiede zur Entwicklung in der SBZ und im Südwesten Deutschlands zeigten sich
zu Beginn des liberalen Neuaufbaus in Hessen. Ein monistisches Zentrum mit großer
„Strahlkraft“, wie es Stuttgart und in noch stärkerem Maße Berlin darstellten, existierte in
Hessen nicht. Zwar hatten mehrere hessische Städte eine liberale Tradition, die mit der
Stuttgarts und Heidelbergs vergleichbar war, aber dennoch „hatte der Liberalismus im
hessischen Raum nie jene relativ weitreichende Geschlossenheit […] erreicht, die sich im
deutschen Südwesten beobachten lässt“76, Grund hierfür war, dass „Struktur und Ausrichtung
einer alten Reichsstadt und Handelsmetropole wie Frankfurt am Main nur zu deutlich
geschieden [war] von jener der jeweils in hohem Maße durch den öffentlichen Dienst
geprägten, untereinander auch keineswegs einheitlichen Städte Darmstadt, Wiesbaden und
Marburg, und beide Formen trennte wiederum eine tiefe Kluft von den politischen Kräften
Mittel- und Nordhessens, die im parteipolitischen Rahmen der liberalen Bewegung ein
vielfach eher agrarisch-konservatives Milieu vertraten.“77 Diese sich zum Teil auch nach 1945
verfeindet
gegenüberstehenden
liberalen
Strömungen,
so
wie
das
Fehlen
eines
Kristallisationspunktes, wie ihn, wenn auch nicht gänzlich unumstritten, Stuttgart und Berlin
darstellten, waren einer der Gründe für den schleppenden Parteiaufbau in Hessen. Hinzu kam,
dass, anders als in Berlin, organisatorische Schwächen nicht durch die Präsenz von hoch
angesehenen Führungspersönlichkeiten wettgemacht werden konnten, d. h., dass die
Initiatoren der hessischen Gründerkreise lediglich über lokale Bekanntheit verfügten bzw. nur
als Kommunalpolitiker in Erscheinung getreten oder gar gänzliche Neueinsteiger waren. Aus
den genannten Gründen ergab sich, dass nicht nur eine zeitliche Verzögerung die hessischen
Liberalen, im Vergleich zur SBZ, behinderte, sonder auch „eine unvergleichlich schmalere
Grundlage als in Württemberg-Baden“78 zur Verfügung stand.
Da ein monistisches Zentrum fehlte, ergaben sich mehrere verschiedene Gründerkreise, von
denen die wichtigsten im Folgenden kurz gestreift werden: In Frankfurt bildete sich um den
Unternehmer Georg-Ludwig Fertsch, der „früher in der DVP [Weimars] kommunalpolitisch
aktiv gewesen war“, ein „aus den lokalen Führungsspitzen beider liberale[n] Parteien der Zeit
vor 1933“79 bestehender liberaler Zirkel. Der Frankfurter Kreis war also von Anfang an
darauf ausgelegt, beide liberalen Richtungen in sich zu vereinigen. Unter Fertschs Führung
Aus der Festrede Ruth Wagners zu „60 Jahre FDP Hessen“ am 08.01.2006.
Hein, Milieupartei, S. 55.
77
Ebd.
78
Ebd., S. 56.
79
Ebd.
75
76
40
wurde Anfang September 1945 die „Liberal Demokratische Partei“ gegründet, der am
28.09.1945 die Zulassung der Militärregierung erteilt wurde. Die Wahl des Parteinamens
erinnerte nicht zufällig an die der Berliner „Reichspartei“. Sie wurde vielmehr „jedenfalls von
Fertsch – als bewußte Anlehnung an die Berliner Parteigründung und Unterordnung unter die
,Reichsparteileitung’ verstanden“. Ferner wollten die Frankfurter mit dem Namen LDP, genau
wie der Koch-Külz-Kreis einige Monate zuvor, die neue liberale Einheit zum Ausdruck
bringen und mit dem Vergangenen brechen. So sah man sich zwar als „Vereinigung von
Liberalismus und Demokratie im Sinne der beiden überkommenen liberalen Parteirichtungen.
[Zudem sollte] über deren frühere Anhängerschaft hinaus […], das Bürgertum im weitesten
Sinne des Wortes vertreten“80 werden. Die LDP sah sich nicht als Fortsetzungspartei, sondern
als völlige Neugründung, was sie bereits in ihren frühesten Wahlaufrufen betonte. Darin
wurde der traditionellen Konzeption, die die Stuttgarter vertraten, eine deutliche Absage
erteilt. So stellt ein Aufruf vom Januar 1945 klar: „Es ist ganz unmöglich, an Vergangenes
anzuknüpfen oder es gar erhalten zu wollen. Sentimentalitäten sind im politischen Leben fehl
am Ort […]. Die Liberaldemokraten richten […] ihren Blick nicht rückwärts; die Partei ist
eine völlige Neugründung.“81
Die Fraktionen nahmen also die Position der Mitte innerhalb des liberalen Spektrums ein. Als
„im württemberg-badischen Sinne eines ganz überwiegend auf der linksliberalen
Parteitradition fußenden Neubeginns wich von ihr vor allem die Entwicklung in der
Universitätsstadt Marburg ab.“82 Hier fanden sich bereits „im Frühjahr und Sommer 1945
vorwiegend ehemalige DDP-Mitglieder“83 zusammen. Trotz dieser frühen Zusammenkunft
und des starken liberalen Engagements innerhalb des provisorischen Stadtrats dauerte es bis
Oktober 1945, bis die Gründung einer Partei angestrebt wurde. Die Marburger Liberalen
konkretisierten ihre dahingehenden Bemühungen erst, als die Vertreter von SPD und KPD
ihre Lizenzen bereits beantragt hatten. „Die offizielle Konstituierung der neuen Partei erfolgt
[…] am 27. Oktober 1945 unter der Bezeichnung ,Demokratische Volkspartei’.“84 Auch diese
Namenswahl bzw. ihre Übereinstimmung mit der der Stuttgarter Liberalen war keinesfalls
zufällig. Der für die Marburger DVP-Gründung federführende Karl-Theodor Bleek verfügte
über exzellente persönliche Kontakte nach Stuttgart. Er und Theodor Heuss kannten und
schätzten sich bereits seit ihren gemeinsamen Berliner Zeiten von vor 1933. Auffällig ist
zudem, dass ohne die Unterstützung aus dem Südwesten nur wenige dezidiert linksliberale
80
Aus dem Aufruf der LDP zu den Gemeindewahlen 20./27.01.1946, zitiert nach: Hein, Milieupartei, S. 57.
Ebd.
82
Ebd., S. 58.
83
Ebd.
84
Ebd.
81
41
lokale Parteien entstanden. So kam es lediglich in Gießen (Demokratische Partei, November
1945) und in den Kreisen Findberg (DP, November 1945) und Waldeck (Deutsche
Demokratische Partei) zu entsprechenden Gründungen. „Politisch gewichtiger […] waren
jene Kreise […] in Nordhessen, in denen die nationalliberalen Kräfte von vornherein die
Oberhand hatten oder jedenfalls noch in der Gründungsphase gewannen.“85 Als Beispiel für
Erstere kann der Kreis der Liberalen Bad Hersfeld genannt werden, nicht nur, weil die beiden
dominierenden Persönlichkeiten hier Max Becker und eben August-Martin Euler waren,
sondern vor allem, weil man hier unter dem Namen „Stresemann-Partei“ mehr als deutlich
Bezug auf die DVP Weimars nahm. Wie stark die gegenseitigen Abneigungen zwischen
ehemaligen DDP’lern und DVP-Anhängern waren, zeigt sich am Beispiel von Kassel. Hier
war man auf deutliche Trennung geradezu erpicht gewesen. So wurde selbst in der
vorläufigen Bürgervertretung die Separierung beibehalten. Als im Oktober 1945 die
Linksliberalen die „Demokratische Partei“ Kassels gründeten, auch um der Frankfurter LDP
eine Absage zu erteilen, strebten die Nationalliberalen um Fritz Catta wie selbstverständlich
eine eigne Partei an. Deren Konstituierung scheiterte jedoch am Veto der Militärregierung.
„Erst unter diesem äußeren Druck kam es zur Vereinigung beider liberaler Initiativen in einer
gemeinsamen ‚Liberal-Demokratischen Partei’ […], wobei der linksliberale Kreis […] schon
bald ganz an den Rand gedrängt wurde.“86
Aus den beschriebenen Gründen ist es wenig verwunderlich, dass auch die Gründung der
Landespartei letztlich eher auf äußeren Druck hin erfolgte, als aus innerer Überzeugung.
Die Druckkulisse ergab sich aus den bereits für das Frühjahr 1946 von der Militärregierung
anberaumten Wahlen für Kommune, Stadt bzw. Kreis und Land. Sollten die Wahlen nicht
zum Desaster geraten, waren der Aufbau einer Organisation und die Bündelung der
vorhandenen Kräfte nötig. Dieser Einsicht entsprechend folgten die Gruppierungen aus
Marburg, Kassel und Bad Hersfeld der Einladung der Frankfurter Gruppe zur Gründung einer
Landesorganisation. Jedoch war, um zu dieser Einsicht zu gelangen, eine weitere Erhöhung
des Drucks nötig gewesen, denn erst als bereits die Landeslizenzen für KPD, SPD und CDU
erteilt worden waren, waren alle liberalen Gruppierungen bereit, an der Versammlung
teilzunehmen, zu der Fertsch am 29.12.1945 in die Mainmetropole einlud. Auf der
Gründungsversammlung konnte Fertsch seine Vorstellungen weitestgehend durchsetzen. So
gab sich der Landesverband mit „Liberal-Demokratische Partei Landesverband Großhessen“
nicht nur den von ihm gewünschten Namen, auch inhaltlich folgten die Delegierten seiner
Linie. So wurde per Beschluss bestätigt, dass „es sich bei der Liberal-Demokratischen Partei
85
86
Ebd., S. 59.
Ebd., S. 60, vgl. auch Luckemeyer, S. 118ff.
42
nicht um die Fortsetzung alter bürgerlicher Parteien handelt[e], sondern um den
Zusammenschluß aller aufbauwilligen Kreise mit neuen und zeitgemäßen Zielen.“87 Zudem
suchte man die enge Anlehnung an die Berliner „Reichsparteileitung“, deren Satzung
weitgehend unverändert übernommen wurde. Folglich bekannte sich auch die hessische LDP
„zum demokratischen Einheitsstaat, dem geheimen und gleichen Wahlrecht, den Menschenund Bürgerrechten, einem geordneten Rechtsstaat […], zu ‚freien Initiativen des arbeitenden
Menschen’, der christlichen Gemeinschaftsschule, [dem] Privateigentum, aber auch [der]
Verstaatlichung von Unternehmen [sic!]“88, wenn es das „Gemeinwohl“ erforderlich machte.
Auch personell folgten die Delegierten der Frankfurter Linie, indem sie Fertsch zum ersten
Vorsitzenden wählten.
Die landesweite Zulassung der LDP durch die amerikanische Besatzungsmacht erfolgte am
11.01.1946. Da die ersten Kommunalwahlen bereits für den 20. bzw. 27.01.1946 angesetzt
waren, kann das schlechte Abschneiden der Liberalen bei diesem ersten demokratischen
Urnengang seit 1933 nur wenig überraschen.
Zwar galten die meisten schlechten Voraussetzungen, wie kaum Papier, schlechte
Verkehrsverbindungen, Mangel an Versammlungsräumen, wenige Möglichkeiten einer
zentralen Organisation usw., auch für die anderen Parteien, doch bei der LDP kam noch
zusätzlich hinzu, dass die Partei in vielen Landesteilen schlicht und ergreifend noch nicht
existent war. So beschreibt die heutige FDP-Vorsitzende Hessens, Ruth Wagner, die damalige
Situation wie folgt: „Die Gründung [der LDP] in den Landkreisen war nur spärlich und in den
beiden Städten Darmstadt und Wiesbaden wurden ebenfalls Kreisverbände erst zu Beginn des
Jahres 1946 gegründet.“89 Dennoch muss das Ergebnis von lediglich 2,7 % sehr ernüchternd
bis beängstigend auf die Beteiligten gewirkt haben. Zwar wiesen die Kreistagswahlen dank
verbesserter und gefestigter Organisation bereits ein Ergebnis von 6,2 % auf, jedoch dürften
viele Hoffnungen und Erwartungen mehr als deutlich enttäuscht worden sein. Fest steht, dass
es bereits im Frühjahr 1946 erneut zu Konflikten unter den Liberalen kam, denn bereits auf
dem
ersten
Landesparteitag der
LDP
am
01.06.1946 in
Gießen erfolgte eine
Personalentscheidung, die die späteren Jahre entscheidend prägen sollte. Der Parteitag fasste
in Abwesenheit des Gründungsvorsitzenden Fertsch einstimmig den Beschluss, „die
geschäftliche und repräsentative Vertretung der LDP für Groß-Hessen hauptamtlich“90 auf
August Martin Euler zu übertragen. Zwar wurde Fertsch erneut als erster Vorsitzender
bestätigt, faktisch aber hatte ihn der Parteitag entmachtet. So ist es nicht verwunderlich, dass
87
Vgl. Tagesordnung der Konferenz vom 29.12.1945, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 61.
Aus der Festrede Ruth Wagners zu „60 Jahre FDP Hessen“ am 08.01.2006.
89
Ebd.
90
Luckemeyer, S. 132.
88
43
Fertsch bereits am 21.06.1946 von seinem Parteiamt zurücktrat. Euler führte daraufhin den
hessischen
Landesverband
bis
zum
Marburger
Parteitag
am
20.06.1947
als
„geschäftsführender“ Vorsitzender weiter, um sich dort schließlich ganz offiziell zum
Landesvorsitzenden und Karl-Theodor Bleek zu seinem Stellvertreter küren zu lassen.
Dass Eulers Wahl 1946 keine graduelle, sondern eine elementare Veränderung bedeutete,
zeigte sich bereits wenige Wochen nach seiner Ernennung zum „geschäftsführenden“
Vorsitzenden. Euler strebte einen kompletten Kurswechsel der hessischen LDP an. So ging er
nicht nur auf Distanz zur Schwesterpartei LDP(D), sondern entwickelte sich zu einem ihrer
heftigsten Kritiker. Doch auch intern wurde der Richtungswechsel bald spürbar. So erfolgte
ein groß angelegter Austausch des politischen Personals. „Von Ausnahmen wie Bleek
abgesehen wurden in Partei und Fraktion Anhänger von Fertsch und ehemalige Linksliberale
zunehmend durch neue dem Euler-Kurs verbundene Kräfte ersetzt.“91 Zwar ist diese
Vorgehensweise bei Führungswechseln nicht unüblich, jedoch sollte festgehalten werden,
wen Euler statt dessen in die Führungsebenen berief. Mit den genannten neuen Kräften waren
nämlich „nicht in erster Linie jene früheren DVP-Mitglieder wie Max Becker oder Fritz Catta,
die […] nie einen Zweifel an ihrer dezidiert liberalen Grundeinstellung aufkommen ließen
[gemeint], sonder Politiker wie der […] frühere Präsident des Reichslandbundes Karl Hepp
oder der […] ehemalige Deutschnationale Heinrich Fassbender.“92 Besonders in den
Landkreisen wurden auf Eulers Initiative der LDP viele ehemalige DNVP-Mitglieder und
Sympathisanten zugeführt. „[G]erade sie waren nicht nur die entscheidenden Stützen von
Eulers Rechtskurs, sie prägten zugleich den sozialen Charakter des hessischen
Landesverbandes immer stärker.“93 Letzte Zweifel, in welche Richtung er die LDP zu steuern
gedachte, räumte Euler höchst selbst in einem viel beachteten Artikel mit dem Titel „Die
Rechtspartei“ im LDP-Kurier aus94.
Für ihn war der Kampf gegen den „antidemokratischen ‚Kollektivismus’ der Kommunisten
und der Nationalsozialisten“ die Hauptaufgabe aller demokratischen Parteien von vor 1933
gewesen. Jedoch hätten sie alle, laut Euler, hierbei ausnahmslos versagt; die
Sozialdemokraten und Deutschnationalen, weil sie eine „ideologische Begünstigung“ gewährt
hätten, die anderen Parteien durch die schlichte „laue Unentschlossenheit“ sowie ihre
„Zersplitterung“. Da dieses Versagen auch ausdrücklich die liberalen Parteien Weimars mit
einschloss, konnte bzw. durfte es konsequenterweise auch kein Wiederanknüpfen an deren
Traditionslinien geben.
91
Hein, Milieupartei, S. 62.
Ebd., S. 63.
93
Ebd., vgl. auch Luckemeyer, S. 162ff.
94
Die folgenden Zitaten sind diesem Artikel entnommen, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 63f.
92
44
Nach Eulers Auffassung hätten folglich die Liberal-Demokraten „im Gegensatz zur SPD […]
den Schluss gezogen, dass völlig neu angefangen werden musste und daß es eine
Identifizierung mit irgendwelchen Parteien und ihren Überlieferungen aus der Zeit vor 1933
nicht geben dürfe. Die LDP [würde] deshalb mit immer neuer Entschiedenheit verkünden, daß
sie eine völlig neue Partei ist, daß die Vergangenheit nur den Anschauungsunterricht darüber
gibt, wie man es nicht machen dürfe und welche Fehler zu vermeiden sind.“
Ergo war nach Eulers Verständnis die strenge Ausrichtung an der Traditionslinie, wie sie z. B.
in Stuttgart praktiziert wurde, ein gänzlich falscher und geradezu törichter Grundansatz, der
zwangsläufig zum Scheitern verurteilt war. Für eine liberale Partei nach 1945 wäre, laut
Euler, eine in jeder Beziehung andere Ausgangslage vorhanden, die sich von der von vor
1933 dahingehend unterscheide, dass die kollektivistische Bedrohung von rechts zur Gänze
wegfiele, denn, so führte Euler weiter aus, die nationalsozialistische Variante des
Kollektivismus habe in der „größten Katastrophe Deutschlands [, dem Zweiten Weltkrieg,] ihr
Ende gefunden“ und falle daher als Bedrohung künftig aus. Die aktuelle Gefahr bestünde
durch die andere Form des Kollektivismus – die marxistisch-sozialistische! Diese bilde schon
allein deshalb „eine größere Gefahr für die Wiederbegründung von Recht und Freiheit in
Deutschland“, weil ihr nicht nur die Kräfte von Sozialdemokraten und Sozialisten zu
wüchsen, sondern auch die der „christlichen Sozialisten“, d. h., einer „halb oder dreiviertel
sozialistischen CDU“ [sic!]. Daher sei eine Neudefinition der politischen Begriffe „ ‚[r]echts’
und ‚links’ im neuen Sinne erforderlich“, denn es stünde außer Frage, dass die LiberalDemokratische Partei als die „entscheidende Gegnerin jeder Art von Kollektivismus und
Sozialismus […] seit zwei Jahren im neuen Parteiensystem die Rechtspartei [sei]“. So ist nur
allzu verständlich, dass der neue LDP-Vorsitzende verkündete: „[W]enn von manchen Seiten
heute eine Rechtspartei gefordert wird, so läßt sich dem gegenüber nur sagen: Öffnen Sie die
verschlafenen Augen, die Rechtspartei ist schon lange da.“
Die Gründungen weiterer „Rechtsparteien“, so Euler, würden lediglich die Kräfte zersplittern,
die gebündelt in der LDP „ihre Hauptaufgabe darin sehen sollten, der […] von links
ausgehenden Gefahr des Kollektivismus und des Zuchthausstaates zu begegnen“. Wer
dennoch die Gründung weiterer Rechtsparteien forcierte, „stelle entweder den persönlichen
Ehrgeiz über alles [oder aber er wolle im Grunde nichts anderes als] die Wiedererrichtung
einer Partei des nationalsozialistischen Kollektivismus“. Diese aber dürfe es „in Deutschland
nicht wieder geben“. Soweit Euler in dem besagten Artikel.
Was war nun das wesentlich Neue in Eulers Aussagen? Denn auch die LDP der SBZ und
Liberale in andern Teilen Deutschlands hatten festgestellt, dass liberale Parteien, die sich
nicht allein auf DDP-Traditionen gründeten, schnell an den rechten Rand des neuen
45
Parteienspektrums gedrängt wurden. Neu war hauptsächlich wohl der Fakt, dass Euler diese
Stellung als Rechtspartei im Gegensatz zu den meisten seiner Parteifreunde nicht nur nicht
fürchtete, sondern guthieß und diese Etikettierung sogar noch vorantrieb. Seine
Situationsanalyse, die darauf hinauslief, dass von einer liberalen Grundposition ausgehend,
angesichts der Übermacht von Sozialdemokraten, Kommunisten und christlichen Sozialisten,
einer dezidiert antisozialistischen Partei nur der Platz auf der rechten Seite des politischen
Spektrums blieb, schien zumindest für Hessen durchaus richtig gewesen zu sein, was seine
überaus guten Wahlergebnisse sowohl bei Landtags- als auch Bundestagswahlen beweisen.
Jedoch zeigen sich an Eulers Beispiel auch die Grenzen einer solchen Rechtspartei. Zwar
erreichte er für eine liberale Partei geradezu Schwindel erregend hohe Wahlergebnisse, sodass
die Liberalen in Hessen zeitweise die zweitstärkste Partei waren und die CDU hinter sich
ließen, aber sie blieben zugleich doch die Oppositionspartei. Während des gesamten
Betrachtungszeitraumes vermochten es die Liberalen trotz hoher Wahlergebnisse, die mit
31,8 % bei der Landtagswahl 1950 ihren absoluten Höhepunkt erreichten, nicht, eine
Regierungsbeteiligung zu erlangen. Der Preis für Eulers scharfen Rechtskurs war, dass die
hessischen Liberalen trotz ihrer relativen Stärke ohne echte politische Gestaltungskraft
blieben, da sich, zumindest auf Landesebene, kein Koalitionspartner auf sie einlassen wollte.
Die neue Stärke konnte also kaum genutzt werden.
Auch sollte beachtet werden, dass zwischen dem, was Euler forderte bzw. nach außen
kommunizierte, und seinem tatsächlichen politischen Handeln deutliche Unterschiede
feststellbar sind. Euler nutzte zwar Vokabular und z. T. auch Symbole der nationalen Rechten,
um von dieser Seite möglichst viele Wähler binden zu können, jedoch vertrat er tatsächlich
nie eine dementsprechende Politik. Während das deutsch-nationale Lager die deutsche
Einheit, die Neutralität zwischen den Blöcken und vor allem die absolute nationale
Souveränität einforderte, war Euler einer der ersten deutschen Politiker, der für einen
Weststaat eintrat und damit den Osten Deutschlands verloren gab, die Westintegration
einforderte sowie dem Gedanken einer Europäischen Union sehr offen gegenüber stand. Die
rechte Ausrichtung, so lässt sich vermuten, war in Eulers Fall lediglich Mittel zum Zweck der
Stimmengewinnung. Nach heutigen Maßstäben gemessen würde Euler wohl eher als
Rechtspopulist einzuordnen sein, denn, wie z. T. behauptet, als überzeugter Rechter.
Jedoch war Euler zum Zweck der Stimmenmaximierung stets bereit, mit politischen Gruppen
zu kooperieren, die mit dem Liberalismus lediglich die antisozialistische Haltung gemein
hatten. So ging Euler, um seine Partei in ländlich geprägten Wahlkreisen mehrheitsfähig zu
machen, ein Bündnis mit Kurt Wittmer-Eigenbrodt, dem einflussreichen Präsidenten des
46
Hessischen Bauernverbandes ein95. Dass dieser Verband eher konservativ-national und
agrarisch orientiert war, spielte für Euler keine Rolle, entscheidend waren lediglich die aus
dieser Kooperation zu erwartenden Stimmengewinne.96 Fortan war Euler, der bis dahin nur
wenig mit Agrarpolitik vertraut war, ein entschiedener Verteidiger der landwirtschaftlichen
Interessen.
6.3. Die DVP unter Ernst Mayer
Die DVP Württemberg-Badens betonte wie keine andere liberale Partei die demokratische,
d. h. die linksliberale Tradition. Bereits auf der Kundgebung des 03.11.1945 betonte
Haußmann, dass die neue Partei eben „keine Fusion der alten Demokraten und der alten
Volkspartei“97 sei, sondern für die Fortsetzung der alten demokratischen Traditionslinie im
Südwesten stehe. Da aber auch den traditionellen Liberalen in der DVP klar war, dass bei den
anstehenden Wahlen die Wählersubstanz der ehemaligen DDP nur sehr schmal sein würde,
betonte Haußmann noch in derselben Rede, dass man bereit sei „die Arme weit aufzumachen
für alle, die auf dem Boden der Demokratie ehrlich mitarbeiten wollen“. 98 Diese Aussage ist
jedoch mit einer gewissen Skepsis zu lesen, da die „großen Drei“ (Haußmann, Mayer und
Maier) stets eine Konzeption der „reinen Lehre“ vertraten und u. a. sämtliche Versuche, eine
bürgerliche Sammlungspartei zu errichten, unterbanden. Das Angebot der „weit geöffneten
Arme“ ist daher mehr als Hommage an die Anhänger der Sammlungsidee in den eigenen
Reihen, wie z. B. Theodor Heuss, zu verstehen, denn als ehrliches Kooperationsangebot.
Die Konzeption der DVP-Führung sah nicht die Größe der linken Partei als das wichtigste
und entscheidende Element, sondern ihre Schlüsselposition zwischen den Blöcken. Diese
Mittelposition war von Haus aus nicht dazu geeignet, große Wählermassen anzuziehen oder
gar zu binden.
Natürlich erhoffte man sich, einen nicht geringen Teil der bürgerlich-demokratisch
orientierten Wähler binden zu können, jedoch zeigt sich am folgenden Beispiel, das man
dabei aber bestimmte Grenzen nicht bereit war zu überschreiten.
95
Vgl. Luckemayer, S. 166ff.
Diese waren allerdings beachtlich, so gewannen die Liberalen 7 Direktmandate in überwiegend
landwirtschaftlich geprägten Regionen und wurden mit 28,1 % der Stimmen hinter der SPD (32,1 %) zur
zweitstärksten Partei. Euler selbst setzte sich mit 35,5 % der Stimmen in seinem Wahlkreis im Prestigeduell
gegen den Spitzenkandidaten der CDU Hans Schlange-Schönigen (13,6 %) durch. Vgl. Luckemeyer S. 178ff.
97
Zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 44.
98
Ebd.
96
47
Bereits am 20.08.1945 wandte sich Alfred Krämer an Reinhold Maier, mit dem er seit
„Weimarer Zeiten“ bekannt war, mit der Idee einer neuen liberalen Partei. Krämer hatte bis
1933 für die DVP Weimars im Stuttgarter Gemeinderat gesessen. Er ließ Maier wissen, dass
er (Krämer) mit einigen Anhängern der alten Volkspartei in Verbindung stehe und gemeinsam
mit dem Stuttgarter Kreis um Haußmann eine gemeinsame, Rechts- und Linksliberale
vereinende Partei gründen wolle. Es sollte auf diesem Wege „auf liberaler und demokratischer
Grundlage unter einer entsprechenden Bezeichnung, die beide Gedankengänge zum Ausdruck
[brächte], eine Einheit“99 erzeugt werden. Diese neue „Einheitspartei“ sollte auf bürgerlicher
Seite ein gewisses Gegengewicht gegenüber der „Christlich-Sozialen Partei“ aufbauen.
Krämer selbst traute ihr durchaus zu, die Mehrheit im bürgerlichen Lager zu erringen. Um die
neue Partei weiter zu verstärken, regte Krämer an, auch „unbelasteten Volksgenossen“100,
d. h. ehemaligen DNVP’lern den Zutritt/die Aufnahme nicht zu verwehren. Interessanterweise
decken sich Krämers Vorschläge, besonders die liberale Vereinigung und der Parteiname, der
beide Strömungen verdeutlichen sollte, mit den Konzepten der LDP der SBZ. Ob Krämer von
dieser instrumentalisiert oder lediglich inspiriert worden war, lässt sich leider nicht feststellen.
Auch dafür, ob Maier auf die Anschreiben Krämers reagierte, gibt es keine verlässlichen
Quellen. Es kann jedoch angenommen werden, dass Maier Krämers Anfragen schlicht
ignorierte.
Auch nach der Gründung der DVP bemühte sich Krämer weiterhin, die Ausrichtung in
Richtung seiner Idee zu beeinflussen. Da die Kontaktaufnahme über Maier augenscheinlich
nicht funktioniert hatte, schrieb Krämer nun direkt an Haußmann. Er erklärte seine
Bereitschaft, in die DVP einzutreten, unter der Bedingung, „dass meine Freunde bei Ihnen um
Aufnahme nicht nach[zu]suchen haben, sondern als gleichberechtigt paritätisch eingeschaltet
werden“101. Haußmann und der Stuttgarter Vorstand lehnten dies strikt ab. Warum der Kreis
um Krämer letztlich weder eine rechtsliberale Parteiengründung in Erwägung zog, noch durch
geschlossene Eintritte versuchten Einfluss auszuüben, kann nicht endgültig geklärt werden,
Krämer selbst trat später tatsächlich der DVP bei, ohne jedoch seine Ideen weiterhin zu
verfolgen.
Hier wird deutlich, dass Haußmann, Mayer und Maier eher bereit waren, die ehemaligen
DVP-Wähler
„abwandern“
zu
lassen,
als
eine
„Verwässerung“
ihrer
eigenen
Grundkonzeption hinzunehmen. Die DVP-Spitze war bereit und willens, ihre Vorstellung von
der Mittelpartei mit äußerster Hartnäckigkeit durchzusetzen.
99
Schreiben Krämer an Maier, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 45.
Ebd.
101
Ebd.
100
48
Dennoch blieb diese Ausrichtung nicht unangefochten. Während es jedoch recht erfolgreich
gelang, äußere Einflüsse abzuwehren, blieb eine weitaus gewichtigere Form der potenziellen
Unterminierung des Konstrukts der Mittelpartei bestehen, nämlich die nach wie vor in der
DVP vorhandene Anhängerschaft der Sammlungsidee. Prominentester Befürworter dieser
Idee war Theodor Heuss. Er war zwar dem Ruf nach Stuttgart gefolgt, hatte aber seine
Auffassung in Hinblick auf die bürgerliche Sammlung nicht aufgegeben. Noch Ende 1945
hielt er die „Taufrede“ für die Heilbronner Volkspartei102. Heuss musste sich darüber im
Klaren sein, dass er sich damit in Opposition zu seinem Vorsitzenden Haußmann setzte. Der
Wunsch nach dem Bürgerblock musste, auch angesichts der prominenten Unterstützung, so
groß gewesen sein, dass weder Haußmann noch Maier ihn ignorieren konnten.
Doch nicht nur die theoretischen Abweichungen von Heuss stellten den Führungsanspruch
des Stuttgarter Kreises infrage. Mehr als die heuss’schen Gedankenspiele bedeutete die
Existenz der nordwürttembergischen Volksparteien ein ständiges Ärgernis. Die Volksparteien
aus Heidenheim, Heilbronn, Esslingen und Leonberg waren ein nicht zu vernachlässigendes
Hindernis auf dem Weg zur Durchsetzung der Stuttgarter Konzeption. Darüber hinaus kam es
u. a. zwischen Heidelberg und Stuttgart zu Differenzen, da Erstere den Führungsanspruch von
Letzteren nicht akzeptieren wollten. Bei diesen Auseinandersetzungen spielten sowohl
persönliche als auch politische Animositäten eine nicht unerhebliche Rolle.
Diese Schwierigkeiten führten dazu, dass „sich [...] unter dem Druck dieser relativ breiten
gegenläufigen Bewegung der Führungszirkel um Haußmann und Maier bereit finden [muss],
für mehrere Monate eine zweigleisige Entwicklung der DVP [zu] akzeptieren: Einerseits
kamen Gespräche mit der Christlich-Sozialen Partei über eine Zusammenarbeit in Gang,
andererseits wurde die weitere Konsolidierung der Partei vorangetrieben“103.
Über die Vorgehensweise Maiers und Haußmanns existieren unterschiedliche Berichte.
Während Hein schreibt, die beiden „hatten zwar jede offene Stellungnahme gegen eine Fusion
vermieden, konkrete Vereinbarungen jedoch zu verhindern gewusst“104, also eher indirekt
gewirkt, zitiert Wieck den Zeitzeugen Staatssekretär a. D. Paul Binder: „Wie mir im Sommer
1947 der damalige Kultminister und jetzige Bundespräsident, Herr Dr. Th. Heuss, mitteilte,
ist die Verschmelzung der demokratischen Kreise mit der CDU in Stuttgart lediglich an dem
Einspruch des damaligen Ministerpräsidenten, Dr. Reinhold Maier, gescheitert.“105 Im
Gegensatz zu Hein geht Wieck deshalb von einer deutlich aktiveren Rolle der Stuttgarter
Führung aus. Diesen Punkt unterstreicht auch Willy Dürr mit seiner Aussage: „Leider hat sich
102
Vgl. Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 150f.
Ebd., S. 151f.
104
Hein, Milieupartei, S. 53.
105
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 150.
103
49
das Heilbronner Experiment in Stuttgart nicht verwirklicht. Die dortigen Liberalen Maier und
Haußmann und die Volksdienstler wünschten diese Einigung auch gar nicht.“106
Dass zwischen ehemaligen Volksdienstlern und Liberalen eine tiefe gegenseitige Ablehnung
bestand, lässt sich mit mehreren Quellen belegen. So erklärt die Göppinger Resolution der ExVolksdienstler vom 01.10.1945, „... eine Verschmelzung der Christlich-Sozialen Volkspartei
mit der [...] Demokratischen Volkspartei wird grundsätzlich abgelehnt, weil wir in der DVP
ein Wiederaufleben der früheren Nationalliberalen Partei erblicken müssen, deren
Weltanschauung und politische Tendenzen zu einer Verwässerung unserer politischen
Grundsätze führen müssten“107. Während also vielen ehemaligen Zentrumspolitikern
beispielsweise in Berlin bei der Gründung der CDU Bedenken kamen, dass in der Union
liberal-protestantische Elemente obsiegen und den christlichen Grundgedanken überlagern
könnten, zeigte sich, dass diese Vorbehalte zumindest gegenüber den Volksdienstlern
Württembergs und Badens haltlos waren. Die Politiker, Mitglieder und Anhänger des
ehemaligen CSVDs standen „dem Liberalismus in seiner Gesamtheit noch ablehnender als die
Katholiken“108 gegenüber. Bereits im Sommer 1945 hatten die Wortführer des Ex-CDVDs
ihre Bereitschaft zur Gründung einer interkonfessionellen Partei signalisiert, „zur Bedingung
machten die Volksdienstler allerdings, dass die Liberalen [...] nicht zum dritten Partner
werden dürften“109.
Dass es zu Beginn des Jahres 1946 dennoch zu Kooperationsgesprächen mit den Liberalen
kam, lag an dreierlei Gründen. Zum einen erschien vielen Christdemokraten die Basis des
Volksdienstes allein als zu schmal, um dauerhaft auch protestantische Kreise gewinnen zu
können. Zum Zweiten wollte man so einer Gefahr vorbeugen, die Willy Dürr wie folgt
beschreibt: „Dr. Heuss versuchte mit der Heilbronner Volkspartei auch auf Landesebene eine
ähnliche Sammlung, deren Sinn die Ausschaltung einer konfessionellen Partei war,
voranzutreiben.“110 Dies kam also auch der Absicht vieler christlich-demokratischer Politiker
und Gründer entgegen, war doch die Bewahrung ihrer christlichen Grundsätze in diesem
Parteienmodell keinesfalls sicher. Zum Dritten wollten sowohl Befürworter als auch Gegner
einer Fusion den Gesprächen endlich die von ihnen jeweils gewünschte Richtung geben und
sie zum Abschluss bringen.
Die endgültigen Kooperationsgespräche wurden am 12.01.1946 in Stuttgart geführt und
waren entsprechend prominent besetzt. Für die DVP saßen u. a. Heuss, Mayer und
106
Ebd., S. 151.
Ebd., S. 145.
108
Ebd.
109
Ebd., S. 146.
110
Ebd., S. 150.
107
50
Haußmann, für die Union (in Württemberg-Baden CSVP) Andre und der Vorsitzende der
CDU der SBZ Andreas Hermes am Verhandlungstisch. Bei dieser Gesprächsrunde zeigten
sich erneut unterschiedliche Zielsetzungen bei der DVP und daher auch verschiedene
Verhandlungstaktiken. So war besonders Heuss „bestrebt, das Gespräch gar nicht erst in eine
kontroverse Diskussion von Grundsatzfragen abgleiten zu lassen, sondern die Fusionsfrage
zunächst offen zu halten und sie über eine sich allmählich intensivierende Zusammenarbeit
[...] zu einer positiven Beantwortung zu führen.“111 Dass sich das Gespräch genau in die
entgegengesetzte Richtung entwickelte, lag am Vertreter der „Reichsparteileitung“ der CDU
und am Landesvorsitzenden der DVP sowie deren Generalsekretär. „Hermes auf der einen
sowie Haußmann und Mayer auf der anderen Seite [hatten dem Gespräch] bewusst diese
[negative] Wendung gegeben“112, denn kurz nachdem beide Seiten die „prinzipielle
Bereitschaft zur Billigung einer demokratischen Einheitspartei“113 bekräftigt hatten, wurde
nicht mehr über Zwischenschritte und eventuelle Kompromisse gesprochen, sondern einzig
und allein über den Weg zum Zusammenschluss gestritten. Während Hermes erklärte, eine
Fusion von CSVP und DVP wäre nur unter dem Dach der „Reichs-CDU“ möglich, was den
Beitritt beider zu dieser und die Unterordnung unter die Berliner Zentrale zur Folge gehabt
hätte, sah Mayers Taktik vor, die regionalen Besonderheiten zu betonen und deshalb auf
regionale Vereinbarungen bzw. Verhandlungen zwischen den beiden Parteien als einzig
möglichen Weg zu bestehen. „Damit stellten sie [Mayer und Haußmann] die CSVP praktisch
vor die Alternative, sich entweder für den letztlich höchst unsicheren Weg einer Offenhaltung
der Fusionsfrage oder aber für die Zusammenarbeit mit den anderen Unionsparteien [...] zu
entscheiden.“114
Die Debatte wurde mit solcher Heftigkeit geführt, dass Mayer am 17.01.1946 notierte: „[D]ie
Verhandlungen [sind] praktisch und zwar im negativen Sinne abgeschlossen.“115
Dennoch scheint es noch gewisse Überlegungen, zumindest in der Union, in Richtung einer
„großen Lösung“, d. h. über den Zusammenschluss mit den Liberalen, gegeben zu haben,
jedoch obsiegte ab Frühjahr 1946 das Prinzip über die Taktik. Wieck beschreibt die
Überlegungen der christlichen Demokraten sicherlich sehr exakt, denn er notiert: „Ihr
Zusammenschluss mit den Liberalen hätte der neuen interkonfessionellen Partei sicher eine
sehr viel breitere Basis gegeben, sie wären aber gezwungen gewesen, der Forderung der
Gruppe um Haußmann nachzugeben, die das Wort ,christlich’ im Parteinamen aufzunehmen
111
Hein, Milieupartei, S. 54.
Ebd.
113
Ebd.
114
Ebd.
115
Aktennotiz von Mayer, zitiert in Hein, Milieupartei, S. 54.
112
51
nicht bereit war, so wie in Schul- und Kulturfragen [...] Kompromisse zu schließen. Die
Vereinigung mit den Volksdienstlern brachte ihnen dagegen sehr viel weniger Anhänger ein,
diese wenigen verfochten jedoch politische Grundsätze, die den ihren sehr nahe waren.“116
Auch hier zeigt sich eine gewisse Differenz in der Literatur. Während Hein die gescheiterten
Kooperationsverhandlungen als Hauptgrund für das Ende des Parteienmodells à la Heilbronn
sieht, geht Wieck von den oben genannten Überlegungen in Unionskreisen sowie einer
paritätischen Schuld der „Stuttgarter“ und der Volksdienstler aus: „Der Heilbronner Versuch
[..] scheiterte also an den Stuttgarter Liberalen, [...] er scheiterte aber auch ebenso sehr an den
ehemaligen Volksdienstlern, denen der Liberalismus der politische Feind war und blieb.“117
Wieck führt als Zeitzeugen einen Mitbegründer der CDU Stuttgarts, Johannes Gross, auf:
„Wir haben 1945 die Chance, mit den ,liberalen’ Protestanten oder den Korntalern 118 (?)
zusammenzugehen. Da wir uns für die letztere Lösung entschieden hatten, ist die CDU in
Württemberg kleiner geblieben.“119
Der heftigste Widerstand gegen die Stuttgarter Dominanz gab es in Heidelberg. Nach dem
Weggang von Theodor Heuss war hier das Projekt „bürgerliche Sammlung“ sehr bald beendet
worden. Unter der Führung von Karl Grathwohl begannen linksliberal orientierte Kreise mit
der Wiedereinrichtung der alten „Demokratischen Partei“ (DP), die sie am 06.11.1945 mit der
Wiedergründung auch abschlossen. „Obwohl diese Entwicklung [...] ganz im Sinne der
Stuttgarter Parteiführung um Haußmann liegen musste, blieben die Beziehungen zwischen
Heidelberg und Stuttgart gespannt.“120 Grathwohl und seine Gruppe sahen in der
Christdemokratie, wie auch viele andere Stuttgarter Liberale, nichts anderes, als die
Fortsetzung des Zentrums unter neuem Namen. Aus diesem Grunde und der bekannten
Feindschaft vieler Liberaler zum politischen Katholizismus lehnten sie auch jedwede
Kooperation mit den Christdemokraten ab. Diese Ablehnung bezog sich jedoch auch auf jene
liberalen Kreise, die, wie Heuss, eine solche Zusammenarbeit nicht ablehnten. Hieraus und
aus den alten landsmannschaftlichen Ressentiments der Badener gegenüber den
Württembergern speiste sich der Argwohn, den die Gruppe um Grathwohl den Stuttgartern
entgegenbrachte. Die Anwesenheit von Theodor Heuss in Stuttgart und dessen exponierte
Stellung waren Grund genug, der DVP vorzuwerfen, heimlich die Fusion mit den
Christdemokraten zu forcieren.
116
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 155.
Ebd., S. 151.
118
Gemeint sind die Volksdienstler, deren Hochburg in Württemberg in der Gemeinde von Korntal lag.
119
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 156.
120
Hein, Milieupartei, S. 52.
117
52
Diese Spannungen hielten noch bis ins Jahr 1946 hinein, also auch nach der Konstituierung
der Landespartei, an. So weigerte sich die DP kategorisch, den Namen des Landesverbandes
anzunehmen, da dieser dem der Stuttgarter entsprach. Erst als Ernst Mayer seinen
Heidelberger Parteifreunden androhte, die DP, „als nur örtlich zugelassen, von der
amerikanischen Militärregierung verbieten zu lassen und [eine] neue Ortsgruppe zu
gründen“121, lenkte diese ein.
Im Konflikt mit anderen liberalen Gruppen hatte es sich für die Stuttgarter bezahlt gemacht,
dass sie bereits früh, am 14.01.1945, die landesweite Zulassung erlangt hatten. So konnten sie
am traditionsreichen Dreikönigstag am 06.01.1946 zur konstituierenden Landesversammlung
nach Stuttgart einladen. Dies wiederum konnte als vollständiger Erfolg gewertet werden, zum
Ersten, weil alle liberalen Gruppen Vertreter entsandten, zum Zweiten, weil der Name DVP
auch für die Landespartei übernommen wurde, und zum Dritten, weil es gelang, im
Landesvorstand ein „eindeutiges Übergewicht für die Befürworter des von Haußmann
eingeschlagenen Kurses sicherzustellen“122. So wurde Haußmann selbst erster DVPLandesvorsitzender, Mayer Generalsekretär und Karl Beacher zum Schatzmeister gewählt.
Von nun an, da die Stuttgarter den Landesvorstand dominierten, konnten „Abweichler“, wie
das Beispiel Heidelberg zeigte, relativ schnell zur Raison gebracht werden. Fakt ist jedoch,
dass keine der kleinen Sammlungsparteien die erste Jahreshälfte 1946 überlebte, sie wurden
entweder von der Union oder der DVP aufgesogen. Die Konsolidierung und Stabilisierung
der DVP ging vor allem deshalb so zügig voran, weil ab März 1946 alle divergierenden
Richtungen innerhalb der Partei beseitigt bzw. „auf Linie“ gebracht worden waren.
7. Stuttgart oder Berlin?
– Die Auseinandersetzungen zwischen DVP und LDP(D) am Beispiel der Gründung der
amerikanischen Zonenpartei –
Die Versuche von Külz, den Einheitskurs zu halten, zwangen ihn zu widersprüchlichem
Handeln, da er einerseits die SMAD zufrieden stellen musste, anderseits gleichzeitig die
Westalliierten und seine eigenen Parteifreunde in deren Zonen nicht verprellen durfte. So
erklärte er auf dem Parteitag der LDP in Eisenach „Die Frage nach westlicher oder östlicher
Orientierung gibt es für uns nicht, wir kennen nur eine Orientierung, die heißt schlicht und
121
122
Ebd.
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 157.
53
zwingend: Deutschland.“123, um dies zu erreichen musste Külz jedoch Zugeständnisse an die
SED und die SMAD machen. Dies „trug ihm im Westen das Etikett des Russen- oder
Kommunistenfreundes ein [und] bewirkte ein in den Jahren 1946 und 1947 ständig steigendes
Misstrauen [ihm] gegenüber“124.
Dennoch war Külz Ende 1945 bis weit in das Jahr 1947 hinein die unumstrittene
Führungspersönlichkeit der Liberalen und besaß mit seiner LDP(D) die Führungsrolle
innerhalb der liberalen Schwesterparteien.
Dessen ungeachtet waren bereits die ersten Monate von Auseinandersetzungen um diese
Führungsrolle geprägt. Hierbei zeigte sich die besondere Fähigkeit Külz’, sein Vorgehen stets
den veränderten Gegebenheiten anzupassen und durch diese Geschmeidigkeit den Abläufen
seinen Stempel aufzudrücken.
Den Gründungen liberaler Parteien in den Westzonen stand man in der LDP(D)-Führung
gelassen gegenüber, auch wenn diese meist keiner direkten Einflussnahme aus Berlin
unterlagen. Zum einen erschien fraglich, ob diese lokalen bzw. regionalen Parteien je fähig
sein würden, die Berliner Führungsposition herauszufordern. Auch gab es keine Anzeichen
nach derartigen Bestrebungen. Schließlich hatte es bereits in der SBZ von Berlin unabhängige
Gründungen gegeben, ohne dass diese für den Koch-Külz-Kreis zur Opposition erwachsen
wären.
Dass ab Anfang 1946 dennoch eine Änderung der ursprünglichen Konzeption erfolgte, lag an
den z. B. bei der Errichtung des britischen Zonenverbandes deutlich werdenden Aversionen
gegen den Zentralismusgedanken der Berliner Führung. Die Reserviertheit der westdeutschen
Liberalen zeigte sich offen bei der Delegiertenversammlung der LDP im Februar 1946 in
Weimar, an der sie einfach nicht teilnahmen. Infolge dessen korrigierte Külz die bisher
übliche Vorgehensweise und nahm von einem Versuch der Unterwerfung und Eingliederung
der FDP Abstand, da diesem Unternehmen augenscheinlich nur wenig Erfolg beschieden sein
würde.
Die neue Strategie sah nunmehr vor, die Unabhängigkeit der Schwesterparteien zu
respektieren, ohne dabei allerdings den Berliner Führungsanspruch gänzlich aufzugeben.
Külz’ Idee, die er u. a. den Liberalen der US-Zone am 24.03.1946 in Frankfurt am Main
unterbreitete, sah vor, dass sich zuerst innerhalb der Zonen liberale Arbeitsgemeinschaften
nach Vorbild der LDP (SBZ) und der FDP (britische Zone) bilden sollten. Diese
Zonenverbände sollten dann „ihrerseits
123
124
Rütten, Liberalismus, S. 48.
Ebd., S. 49.
in Arbeitsgemeinschaft
mit
der Liberal-
54
Demokratischen-Partei Deutschlands“125 treten. Die Frankfurter Zonentagung sollte, so die
Hoffnung von Külz, diesen Vorschlag billigen und somit in den beabsichtigten Einigungskurs
eingebunden werden. Die Erfolgsaussichten waren nicht schlecht, zumal die hessische LDP
ausdrücklich im „Auftrag der Reichsparteileitung“126 eingeladen hatte und Külz selbst
zusammen mit seinem Stellvertreter Arthur Lieutenant extra aus Berlin angereist war, um
gegebenenfalls sofort persönlich intervenieren zu können.
Als sein Gegenspieler trat einmal mehr Ernst Mayer, der Generalsekretär der DVP, auf, der
mit der Maßgabe seines Vorstands angereist war, entschiedenen Widerstand gegen jedwede
Kooperationsvorschläge zu leisteten und maximal einem Zonenverband die Bewilligung zu
erteilen. Mayer lehnte jeglichen Führungsanspruch der LDP(D) kategorisch ab und bestand
u. a. auf der Formulierung, dass die Partner in „Arbeitsgemeinschaft mit den liberaldemokratischen und freien demokratischen Parteien Deutschlands“127 treten würden, um
damit eine Parität der Zonenverbände zu erreichen. Auf diesem Wege sollte eine Dominanz
der LDP(D) verhindert werden. Letztlich folgten die bayerischen und hessischen Liberalen
zwar den Empfehlungen von Külz, eine Zonenpartei zu gründen, bei der Vorbereitung der
Konstituierung aber folgte man den Vorstellungen Mayers.
Am Ende der Tagung wurde also lediglich der Beschluss gefasst, einen Zonenverband zu
gründen. Über die von Külz angeregte deutschlandweite Arbeitsgemeinschaft konnte keine
Einigung erzielt werden. Auch die Errichtung des Zonenverbandes musste der Vorsitzende
der LDP der SBZ eher als Rück- den als Fortschritt interpretieren, denn nicht nur, dass
Stuttgart als „Vorort“ des Verbandes benannt wurde, noch schwerer wog der Umstand, dass
ausgerechnet Ernst Mayer die Federführung übertragen wurde. Dies bedeutete, dass die DVP
alle Chancen erhielt, den neu zugründenden Zonenverband ihren Stempel aufzudrücken.
Deshalb stellte Mayer durchaus treffend fest, dass Külz „mit seinem Erfolg recht wenig
zufrieden“128 gewesen war. Auf der Tagung in Frankfurt war der Gegensatz zwischen
Stuttgart und Berlin, der die folgenden zwei Jahre maßgeblich bestimmen sollte, erstmals
offen zutage getreten.
Wieso aber stellten sich die Stuttgarter so massiv gegen alle Berliner Bemühungen?
125
Hein, Milieupartei, S. 265.
Vgl. Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 201 ff; Hoffmann, S. 91 ff; Hein, Milieupartei, S. 265.
127
Ebd.
128
Ebd.
126
55
War es, wie Gutscher schreibt, nur die berechtigte Sorge der DVP-Führung, unter den
Einfluss der Sowjets zu geraten bzw. befürchtete man eine undemokratische Entwicklung,
wenn zügig eine Reichspartei errichtet würde?
Laut Gutscher widersetzten die Südwest-Liberalen „sich von Anfang an den Külzschen
Versuchen, eine Berliner zentrale Parteileitung durchzusetzen. [Da sie] argwöhnte[n] – wie
die weiteren Ereignisse wohl zu Recht erwiesen – daß dahinter die Führungsabsichten der
Ost-LDP stehen könnten.“129
Dass dies gleichbedeutend mit der Unterwerfung unter die Sowjets sein müsste, wird damit
begründet, dass „bekannt war, dass der Ost-LDP-Vorsitzende Külz schon mehrfach
kommunistischem Druck erlegen war“130, somit die Handlungsfreiheit einer liberalen
Rechtspartei mit Sitz in Berlin nicht gegeben sei. Ein eigener Führungsanspruch der DVP als
Grund scheidet laut Gutscher aus, denn er führt aus: „Schärfster Gegner derartiger
Ambitionen [gemeint ist der Führungsanspruch der Berliner] waren die Stuttgarter
Demokraten, denen es nicht um den Ausbau regionaler oder persönlicher Machtpositionen,
sonder allein um den ‚ruhigen, sachlichen Aufbau’ einer liberalen Parteiorganisation ging, der
von ‚unten’ und nicht durch Erlaß von ‚oben’ her erfolgen sollte.“131 Dass man keinesfalls
überregionale
Zusammenschlüsse
verhindern
wollte,
„das
brachte
der
Stuttgarter
Vereinigungsparteitag vom September 1946 deutlich zum Ausdruck“132, so Gutscher.
Ähnlich argumentiert auch Wieck, der die Vorwürfe vieler Zeitgenossen zu relativieren
versucht, wenn er schreibt: „Es ging in diesen Auseinandersetzungen [...] keineswegs um
irgendeinen regional bedingten Egoismus und auch nicht um persönliche Machtkämpfe,
sondern die westdeutschen Gruppen wurden in ihrer Haltung durch die klare Erkenntnis
bestimmt, dass die Parteien [in der SBZ] nicht frei in ihren Entschließungen waren und es in
der Zukunft immer weniger sein würden.“133
Gänzlich anders analysiert Krippendorff, für den das Verhalten der Südwest-Liberalen das
Ergebnis aus sich vermischenden „traditionell Berlin-feindliche[n] und aktuell-politische[n]
Motiven“134 ist. Auch Hein führt das Argument über die eingeschränkte Freiheit der LDP der
SBZ an, jedoch lediglich als Teilmotiv. Danach empfanden es die DVP-Politiker als
unerträglich, politische „Arbeit beeinflussen zu lassen von Parolen, wie sie Külz ausgibt,
vielleicht ausgeben muß“135. Ernst Mayer erklärte gar, dass „in dieser Zone [SBZ] keinerlei
129
Gutscher, S. 26.
Ebd.
131
Ebd.
132
Ebd.
133
Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 203.
134
Krippendorff, S. 141.
135
Schreiben von Theodor Heuss an Thomas Dehler, zitiert in Hein, Milieupartei, S. 266.
130
56
Freiheit“136 existiere, weshalb Widerstand nötig sei. Als den wichtigeren Aspekt sieht Hein
aber den eigenen Führungsanspruch der DVP, denn „die Propagierung ‚eines organischen
Wachstums von unten nach oben’ hatte mithin nicht zuletzt die Aufgabe, den eigenen
organisatorischen Vorsprung zu sichern und einer führenden Rolle der DVP in einer
zukünftigen deutschen liberalen Partei den Weg zu bereiten.“137
Mögliche Gründe für das Handeln der Stuttgarter benennt auch Rütten, verzichtet jedoch
darauf, diese zu belegen oder zu entkräften. Er stellt lediglich fest: „Ob hinter der Politik der
DVP die nicht unberechtigte Sorge stand, als Teil einer liberalen gesamtdeutschen Partei unter
der Führung von Külz mitverantwortlich zu werden an Verletzungen von Menschenrechten in
der SBZ, ob den Schwaben die Freiheit des Unternehmers zu lieb war, um eine
gesellschaftspolitische, risikoreiche, offensive Deutschlandpolitik zusammen mit Külz zu
betreiben, ob in der DVP nicht an die Möglichkeit geglaubt wurde, daß das geeinte
Deutschland existieren könne, ohne in den sowjetischen Machtbereich integriert zu werden,
diese Fragen werden erst in Zukunft geklärt werden können.“138
Endgültig fest stünden, so Rütten, nur folgende Fakten: Erstens, „daß zur Jahreswende
1946/47 der Führungsanspruch von Külz innerhalb des deutschen Liberalismus fast
unumstritten war“139; dass aber zweitens „die, was Organisationsgrad und Wählerzuspruch
anging, zweitstärkste Gruppe der Liberalen, nämlich die Demokratische Volkspartei
Württemberg-Badens […] offensichtlich schon im Verlaufe des Jahres 1946 Widerstand
gegen die Politik von Külz [leistete]“140; und drittens, dass dieser Widerstand „schon im
Spätsommer 1946 zum regelrechten Kampf gegen die Vorherrschaft der LDP in der liberalen
Gesamtpartei führte“141.
Welche Argumente waren nun die ausschlaggebenden?
Fest steht, dass Ernst Mayer, bevor er DVP-Generalsekretär wurde und in seine schwäbische
Heimat zurückkehrte, die identische Funktion in der LDP Sachsens ausübte, er also die
politischen Gegebenheiten der SBZ aus eigenen Erfahrungen heraus kannte. Dies sprach er
auch häufig selbst an: „Persönlich ist meine Einstellung gegen den Osten bekannt und die
Ablehnung der Berliner Bestrebungen. Sie erfolgte vielleicht schärfer, weil ich die
Verhältnisse selbst kenn, unter denen die Freunde dort leben müssen.“142 Die persönlichen
136
Vgl. Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 201 ff; Hoffmann, S. 91 ff; Hein, Milieupartei, S. 266.
Hein, Milieupartei, S. 267.
138
Rütten, Liberalismus, S. 53.
139
Ebd., S. 50.
140
Ebd., S. 51.
141
Ebd.
142
Mayer auf der Zonenkonferenz am 31.08.1946, zitiert in Hein, Milieupartei, S. 266.
137
57
Erfahrungen ihres Generalsekretärs können und werden innerhalb der DVP eine gewisse
Rolle gespielt haben. Jedoch muss einschränkend erwähnt werden, dass Mayer die SBZ
bereits zum Jahreswechsel 1945/46 verlassen hatte, also nur eine relativ kurze Zeit dort
politisch tätig gewesen war. Auch gilt es zu beachten, dass die Monate seiner Anwesenheit
alle in den Zeitraum der Aufbauphase der LDP fielen und die Parteianfänge auch in den
westlichen
Zonen
von
starker
Überwachung
und
Reglementierung
seitens
der
Besatzungsmacht geprägt waren.
Das Motiv des Antisowjetismus lässt sich ebenfalls nachweisen. So ist in den
Aufzeichnungen Reinhold Maiers vom Mai 1945 folgende Grundüberlegung zu finden: „Es
[ist] für die Zukunft entscheidend […], ob die Amerikaner in Deutschland bleiben. Wenn
nicht, so kommt mit Allgewalt die neue Diktatur der östlichen Welt. Deutschland ist
übergefährdet.“143 Aus dieser Sicht erscheint der als sowjet-freundlich geltende Külz dieser
Gefährdung als geradezu ignorant gegenüberzustehen, somit als jemand, der die
Gesamtpartei, die Zone und das gesamte Land in fahrlässiger Weise der Gnade der Sowjets
ausliefern würde. Auch hierzu sollten folgende Fakten bedacht werden: Zum einen war die
Furcht
vor
den
Sowjets
keine
schwäbische
Eigenart,
da
viele
Liberale
diese
– Zonen übergreifend – teilten. Zum anderen konnten wohl selbst die Beteiligten schwerlich
politische Prognosen wagen, die weiter als einige Monate in die Zukunft wiesen, allein schon
deshalb, weil die meisten Deutschland betreffenden Entscheidungen von den Siegermächten
und nicht von deutschen Politikern oder Parteien getroffen wurden.
Die oft behauptete Sowjet-Hörigkeit von Külz, die aus einigen Entscheidungen der LDP, wie
z. B. deren Zustimmung zu Enteignungen in der SBZ, abgeleitet wurde, ließ sich letztlich,
dies durfte auch den Beobachtern aus Württemberg-Baden bekannt gewesen sein, nicht auf
die innere Überzeugung der Ost-Liberalen zurückführen, sondern auf den Willen der
Besatzungsmacht. Hieraus ergibt sich, dass dieser Vorwurf ein nicht widerlegbares Faktum
vernachlässigt, nämlich das der eingeschränkten Freiheit der politischen Entscheidung.
Doch wie bereits im entsprechenden Kapital erwähnt, hoffte Külz ja gerade, diese durch seine
gesamtdeutschen Bemühungen nach und nach zurückzugewinnen. Zudem galt, wie bereits
erwähnt, dass in sämtlichen Zonen die politische Handlungsfreiheit zumindest zwischen 1945
und 1946 noch stark eingeschränkt war und es zum Teil auch noch lange blieb.
Auch für das Motiv der traditionellen Haltung lassen sich zahlreiche Belege finden. So sprach
Reinhold Maier auf einer DVP-Kundgebung im Juni 1946 aus, was viele seiner Landsleute
dachten, als er erklärte: „Berlin war immer ein ungeeignetes Pflaster für Demokratie.“144 Die
143
144
Maier, Ende und Wende, S. 256.
Zitiert in Hein, Milieupartei, S. 267.
58
„Demokratie Berliner Prägung“ – Maier bezeichnete sie als „Asphaltdemokratie“ – „war für
die bei uns beheimatete bodenständige Demokratie, einer Demokratie in einem
lebenstüchtigen, aber besinnlichen Volk, ein Schaden, eine Bedrohung, ein Hindernis.“145
Hieraus schlussfolgerte Maier, dass „die Regeneration des deutschen Parteiwesens […] nicht
von Berlin aus erfolgen [darf],“ denn „hier liegt im Südwesten die überlegene Begabung. Von
unserem Lande muß die deutsche Demokratie […] neu geboren werden.“146 Diese feindselige
Haltung gegenüber Berlin wurde sowohl bedingt durch die traditionelle antipreußische
Haltung der Südwest-Liberalen als auch durch ihr föderalistisches Streben, das den Berliner
Überlegungen zum Einheitsstaat – wenn auch in dezentraler Form – diametral entgegen stand.
Dass die föderalistischen Bestrebungen in der DVP gelegentlich ausuferten, legt eine Rede
von Theodor Heuss nahe, in der er zum Thema Föderalismus ausführt: „[D]aran [am
Föderalismus] werden wir festhalten; aber nicht um schwäbische Partikularisten zu werden,
eine Gefahr, in der wir heute stehen.“147
Als Auftakt für die Auseinandersetzungen zwischen LDP(D) und DVP muss der Parteitag der
FDP der britischen Zone in Bad Pyrmont am 19.05.1946 gesehen werden. Während die
LDP(D) mit ihren Spitzenvertretern, d. h. Külz und weiteren Vorstandsmitgliedern, vertreten
war,
fehlten
die
DVP-Vertreter.
Das
Fernbleiben
wurde
mit
unaufschiebbaren
Wahlkampfverpflichtungen begründet.
Festgehalten werden sollte auf jeden Fall, dass die DVP zu Anfang ihre organisatorische
Stärke kaum nutzte, um Parteigründungen in den benachbarten Ländern anzuregen bzw. in
ihrem Sinne zu beeinflussen. Geschah dies – wie z. B. in Marburg – dennoch, so lag dieser
Handlung keine Parteistrategie zugrunde, sondern war lediglich auf persönliche Kontakte
zurückzuführen, folgte also keiner Strategie. Exemplarisch hierfür ist auch die Haltung der
DVP gegenüber den bayerischen Liberalen. Hein bemerkt hierzu, dass die DVP „aus einer Art
selbstgewählter Isolation heraus […] die Gelegenheit versäumte, Einfluß auf die Partei des
Nachbarlands zu gewinnen“148.
Diese Verhaltensweise der Südwest-Liberalen führte dazu, dass ihnen – nicht völlig zu
unrecht – über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg immer wieder der Vorwurf des
Egoismus und der Rücksichtslosigkeit gegenüber den Liberalen der andern Länder gemacht
wurde.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die LDP(D), die eine gänzlich andere Politik
praktizierte und daher bereits sehr früh ihre Emissäre von Berlin aus in die Länder sandte, nur
145
Ebd.
Ebd.
147
Zitiert in Hein, Milieupartei, S. 268.
148
Ebd., S. 71.
146
59
wenige Erfolge erringen konnte. Zwar wurden zahlreiche Initiativen angeregt, jedoch gelang
es nur selten, direkten Einfluss zu gewinnen. Als Ausnahmen können hierbei die LDP
Hessens und Teile der bayerischen Gründungen (besonders im Raum München) gesehen
werden.
Die Zurückhaltung der DVP-Führung in diesem Fall muss wohl als ein Zeichen des
Vertrauens auf die eigene Stärke gewertet werden. Angesichts der eigenen strukturellen und
organisatorischen Stärke glaubte man, keine Bündnisse eingehen zu müssen. Nur
gelegentlich, wenn es galt Berliner Vorstöße abzuwehren, war die DVP zu einem
kurzfristigen Engagement über die württemberg-badischen Landesgrenzen hinaus bereit. Die
Parteiführung beabsichtigte, „die Partei nicht mehr als tragbar zu binden“149. Gleichzeitig sei
jedoch „die Führung mit den befreundeten Parteien zu halten“, um „sie nicht noch mehr dem
Einfluss der russischen Zone preiszugeben.“150
Das Fernbleiben der Stuttgarter verstand Külz zu nutzen, indem er in Bad Pyrmont die
bisherige Linie der LDP(D) verließ. Diese hatte bis zum 19.05.1946 gelautet: Eine
Reichspartei ist nicht zu gründen, da sie bereits in Form der LDP(D) besteht. Die einzelnen
Landesverbände haben sich zum Wohl aller Liberalen dieser Reichspartei anzuschließen, d. h.
beizutreten und unterzuordnen, d. h. die Berliner Vormachtstellung anzuerkennen. In Pyrmont
aber trug Külz den unterschiedlichen Zonenentwicklungen Rechnung und akzeptierte die
anderen liberalen Zonenparteien als gleichwertige Partner. Auf Basis der Zonenverbände
sollte ein gemeinsamer Koordinierungsausschuss gebildet und so die Fusion zu einer
gemeinsamen, gesamtdeutschen Partei vorbereitet werden. Die Vertreter in der SBZ, der
britischen Zone sowie die Delegierten der hessischen LDP und der bayerischen FDP fassten
hierzu den Beschluss, „sich zu einer demokratischen Partei für ganz Deutschland
zusammenzuschließen“151. Külz hatte zwar den Führungsanspruch der LDP[D] preisgeben
müssen, war aber einer isolierten, rein westdeutschen Gründung zuvorgekommen und hatte
die Zonen-FDP auf seine Seite gebracht.
Sehr verärgert reagierten die Führer der DVP auf diese neuen Entwicklungen. Ernst Mayer
sprach den Delegierten von Bad Pyrmont gar jegliches „Recht, […] solche Fusionsbeschlüsse
zu fassen“152, ab. Die Absage der DVP an jegliche Fusionsbestrebung begründete ihr
Generalsekretär damit, dass „die Zeit für eine Reichspartei […] noch nicht gekommen“ 153 sei.
Außerdem solle „keiner demokratischen Partei in einer anderen Zone zugemutet werden, auch
149
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff, S. 162.
Ebd.
151
Wortlaut der Resolution, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 282.
152
Schreiben Mayers an die Vorsitzenden der FDP, LDP(D), zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 283.
153
Ebd.
150
60
nur stillzuschweigen, von einer Billigung gar nicht zu reden, zu dem Weg, den die LiberalDemokratische Partei der Ostzone […] gehen [muss]“154.
Intern bezeichnete Mayer den Verzicht auf die Entsendung einer DVP-Delegation nach Bad
Pyrmont nachträglich als „verhängnisvoll“, da nunmehr die Gefahr bestand „von Berlin aus
überrundet“155 zu werden. Durch die Vereinbarungen von Bad Pyrmont sah sich die DVP nun
ihrerseits zu einem Strategiewechsel gezwungen.
Der bisherige Isolationskurs ließ sich nicht länger durchhalten. So gut die DVP auch im
Südwesten aufgestellt sein mochte, einem Bündnis aus FDP und LDP(D) würde sie über kurz
oder lang unterliegen müssen, erst recht, wenn sich die LDP Hessens und die FDP Bayerns
dem Zonenbündnis anschließen sollten. Dem wollten die Stuttgarter „dadurch begegnen, daß
sie sich selbst im Rahmen ihrer Zone aktiv in die Kooperationsmöglichkeiten einschalteten.
[Ziel war es,] dem Berliner Führungsanspruch in einem Zonenverband ein unüberwindliches
Hindernis entgegenzusetzen.“156 So kam es nach den oben genannten Ereignissen in Frankfurt
zu intensiven Bemühungen seitens der DVP, einen amerikanischen Zonenverband zu
gründen. Die in Frankfurt gefassten Entschlüsse hatten bis Ende Mai nur auf dem Papier
existiert. Ernst Mayer rühmte sich sogar, „dass er die Angelegenheit [Zonenparteigründung]
dilatorisch behandelt und […] alles auf die Arbeit im eigenen Land konzentriert“ 157 hätte.
Unter den neuen Gegebenheiten sah sich Mayer nun jedoch gezwungen – auch dem Drängen
der Hessen und Bayern nachgebend –, die zonale Zusammenwirkung zu intensivieren und
endlich eine Zonenkonferenz einzuberufen.
Auf der am 13.-14.07.1946 in Augsburg stattfindenden Konferenz sah sich Mayer massiven
Vorwürfen aus Hessen und Bayern ausgesetzt. So wurde sowohl ihm persönlich als auch der
DVP im Allgemeinen zur Last gelegt, sich in den vergangenen Monaten „in egoistischer
Weise nur mit [sich] selbst beschäftigt und die anderen im Stich gelassen“158 zu haben.
Dass die Konferenz nicht vollends zu einem Scherbengericht für den Generalsekretär der
DVP wurde, lag an zwei Gründen: Zum Ersten an internen Veränderungen und
organisatorischen Schwächen bei seinen Gesprächs- und Verhandlungspartnern. So war mit
Euler ein heftiger Kritiker der LDP(D) die neue Führungspersönlichkeit der hessischen
Liberalen geworden, und die Liberalen in Bayern verfügten zu dieser Zeit weder über einen
Landesverband noch über unumstrittene Wortführer, sodass keine gemeinsame gegnerische
Position gefunden wurde. Der zweite Grund war die zum Teil historisch bedingte Furcht vor
154
Ebd.
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff, S. 162.
156
Hein, Milieupartei, S. 283, vgl. auch Krippendorff, S. 162.
157
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff, S. 162.
158
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff, S. 163, vgl. auch Hein, Milieupartei, S. 269.
155
61
einer Berliner Dominanz. Schließlich gelang es Mayer, das Verhalten Külz’ nach dem
Erfurter Parteitag der LDP(D) für seine Zwecke zu nutzen, indem er „das Mißtrauen gegen
Berlin“159 stärkte und so von eigenen Fehlern ablenkte. Der Erfurter Zonenparteitag, der vom
6.-8.07.1946 – also kurz vor der Augsburger Konferenz – tagte, hatte die Hoffnungen von
Külz auf eine Beschleunigung für die gesamtdeutsche Partei weitgehend enttäuscht. Nur
wenige namhafte bzw. bevollmächtigte Vertreter der Westzonen waren überhaupt angereist.
„Wohl aus Enttäuschung darüber entschloß sich Külz zu einem […] politischen Theatercoup:
Unmittelbar anschließend an den Parteitag nahm er die westlichen Gäste mit nach Berlin und
konstituierte mit ihnen, die dazu in keiner Weise legitimiert waren, kurzerhand eine ‚LiberalDemokratische-Partei Deutschlands’.“160 Vorgesehen wurden auch ein paritätischer Vorstand
sowie ein geschäftsführender Vorsitzender. „Das Ganze war nur ein der persönlichen
Überredungskunst Külz’ zu verdankendes und politisch ebenso wertloses wie im Westen
durchweg abgelehntes Manöver.“161
Angesichts dieses Berliner „Possenspiels“162 stellte Mayer die Konferenzteilnehmer in
Augsburg ultimativ vor die Alternative: „Ihr könnt Euch entscheiden, entweder wir [Stuttgart]
oder Berlin, etwas anderes gibt es nicht.“163
Der Entschluss der Teilnehmer, eine zweite Zonenkonferenz, diesmal in Stuttgart, abzuhalten,
stellte bereits eine symbolträchtige Antwort auf Mayers Frage dar, ebenso die Festlegung des
6. Januars [dem Dreikönigstag] als anzustrebendes Datum für die Konstituierung der
Zonenpartei.
Das Entscheidende der Augsburger Konferenz war jedoch, dass sich hier erstmals „ein
Wandel der DVP-Position von einer eher destruktiven Einstellung zur überregionalen
Zusammenarbeit zu einem stärker offensiven Verständnis einer solchen Kooperation
an[deutete]“164. Die Württemberg-Badener mussten also von ihrer bisher üblichen Praxis
abgehen. Mayer schlussfolgerte: „Wir sind durch unsere Zurückhaltung zweifelslos in sehr
starkem Maße schuldig geworden“, denn „es besteht die Gefahr von Berlin aus überrundet zu
werden.“165 Bei einem Festhalten an der bisherigen Praxis befürchtete der DVPGeneralsekretär „daß wir […] von unseren Freunden […] des Separatismus und der
Reichsfeindschaft gezeiht [werden]“.166
159
Krippendorff, S. 145.
Ebd. S. 144.
161
Ebd.
162
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff, S. 163.
163
Mayer laut Sitzungsprotokoll, zitiert in: Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 204, siehe auch Rütten,
Liberalismus, S. 51.
164
Hein, Milieupartei, S. 270.
165
Aktennotiz von Ernst Mayer, zitiert in: Krippendorff S. 164, siehe auch Hein, Milieupartei, S. 270.
166
Ebd.
160
62
Stattdessen empfahl Mayer, „den Ansprüchen Berlins […] dadurch zu begegnen, dass wir zur
Gründung der Zonenpartei kommen.“167 Zugleich mahnte er zur Eile in dieser Angelegenheit,
denn er vermerkte: „[Ich] halte es nach all dem für die dringenste [sic!] Aufgabe […] dass der
geschäftsführende Landesvorstand [der DVP] sich in allernächster Zeit [!] mit den Dingen
beschäftigt.“168
Die Gründe, weshalb Mayer plötzlich so sehr auf eine zügige Konstituierung der Zonenpartei
drängte, waren zweierlei Art. Zu allererst wollte er die Gefahr der innerparteilichen Isolation
der DVP bannen, wozu der Zonenverband ein effektives Mittel zu sein versprach, außerdem
erschien ihm der Zeitpunkt äußerst günstig. Der „Theatercoup“ von Külz hatte die bereits
bestehenden Bedenken gegen dessen LDP(D) geschürt, wohingegen der Zorn über das
Verhalten der DVP einstweilen verflogen war. Mayer hoffte, durch eine zügig durchgeführte
Gründung der Zonenpartei diese für die LDP(D) ungünstige Stimmung nutzen zu können.
Auf diese Art würde Berlin kaum, Stuttgart hingegen sehr großen Einfluss auf den neuen
Zonenverband erlangen können. Mayer ging davon aus, dass „die Führung unsers Landes […]
von allen als selbstverständlich anerkannt [wird]“.169
Die Einschätzungen des Generalsekretärs sollten sich bewahrheiten. Auf der zweiten
Zonenkonferenz, am 21.08.1946 in Stuttgart, wurden die meisten DVP-Vorschläge
übernommen. Mayer gelang es sogar, den Gründungstermin auf den 28.09.1946 vorverlegen
zu lassen. Ebenso wurde die neu zu gründende Partei bereits in der Vorphase den Stuttgarter
Bedürfnissen angepasst, d. h., sie wurde abgeschwächt. „Lediglich eine Dachorganisation
über den drei Landesparteien mit einem gemeinsamen Vorstand, einem Rahmenprogramm
und einer knappen Satzung, die den einzelnen Parteien alle Freiheiten läßt und sich im
wesentlichen auf die gegenseitige Zusammenarbeit der 3 Landesparteien beschränkt“ 170, sollte
konstituiert werden. Einzig bei der Namenswahl herrschte Dissens, da insbesondere die
hessischen Liberal-Demokraten sich weigerten, künftig unter dem Namen „Demokratische
Volkspartei“ zu firmieren. So blieb dieser Punkt auch der einzige, in dem nicht den Stuttgarter
Erwartungen entsprochen wurde. Stattdessen wurde eine Kompromissformel gefunden, die es
den Parteien erlaubte, ihre bisherigen Namen beizubehalten und diese lediglich mit den
Zusatz „Landesverband der Demokratischen Volkspartei“ zu ergänzen.
Der Zonenverband der liberalen Parteien der amerikanischen Besatzungszone wurde am
28.09.1946 auf dem gemeinsamen Parteitag von FDP (Bayer), LDP (Hessen) und DVP in
Stuttgart konstituiert. Theodor Heuss wurde zum ersten Vorsitzenden, Thomas Dehler und
167
Ebd.
Ebd.
169
Ebd.
170
Hein, Milieupartei, S. 271.
168
63
August Martin Euler zu seinen Stellvertretern gewählt. Ansonsten nutze die DVP, mit Blick
auf die bevorstehenden Landtagswahlen, den Parteitag weidlich für ihren Wahlkampf aus und
präsentierte sich ihren Anhängern als eine weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus
bedeutende politische Kraft.
Die „Demokratische Volkspartei in den Ländern Bayern, Großhessen und WürttembergBaden“ war der erste und letztlich auch einzige zonale Verband im amerikanischen
Besatzungsgebiet. Aus diesem Vorsprung einen bleibenden Vorteil zu ziehen, gelang in der
Folgezeit jedoch nicht. Die amerikanische Zonenpartei reichte nie auch nur annähernd an die
Bedeutung ihrer zonalen Schwestern FDP und LDP(D) heran. Die lag an drei Faktoren. Zum
einen ließ sowohl bei den Liberalen Hessens, bedingt durch Eulers Rechtskurs, als auch bei
der DVP Württemberg-Badens, wegen deren dezidiert föderalen Grundausrichtung, das
Interesse an verstärkter zonaler Zusammenarbeit deutlich nach. Nachdem das gemeinsame
Ziel, eine Ausweitung des Einflusses der LDP(D) auf die amerikanische Zone zu unterbinden,
erreicht worden war, hatten diese beiden Parteien kaum noch weitere Übereinstimmungen.
Des Weiteren „gab [es] denn auch in der amerikanischen Zone […] keinen Politiker, der die
Parteipolitik auf der Zonenebene als sein vorrangiges Aufgabenfeld betrachtet hätte“ 171,
sodass der Zonenverband in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle spielte und
somit seine durchaus vorhandenen Entwicklungschancen nicht nutzen konnte. Als dritter
Grund sind nochmals explizit die Stuttgarter zu erwähnen, die nach der Konstitution des
Zonenverbandes in ihre alten Gewohnheiten zurückfielen und „keinen ernsthaften Schritt
[unternahmen,] der über die Struktur eines lockeren Dachverbandes hinausgeführt hätte“172.
Angesicht dieses Verhaltens ist der Vorwurf, die DVP betrachte den gemeinsamen
Zonenverband ausschließlich als „Schutzwall gegen den Reichsausschuß [gemeint war der
Koordinierungsausschuss]“173, den ein Vertreter der bayerischen FDP bereits im Frühjahr
1947 gegen Mayer und Heuss vorbrachte, nur allzu verständlich und berechtigt, denn nur aus
der Furcht vor einem Einschwenken Bayerns und/oder Hessens auf den Külz-Kurs hatten die
Stuttgarter ihr Plazet zur Zonenparteigründung gegeben, und tatsächlich war diese nichts
anderes als ein „Schutzwall“ gegen den Einfluss der LDP(D). Die Tatsache, dass nach dem
offiziellen Bruch mit den Liberalen der SBZ der Zonenverband der amerikanischen Zone nie
mehr in Erscheinung trat, ist deshalb auch der anschaulichste Beweis für den Wahrheitsgehalt
des „Schutzwall“-Vorwurfs.
Zwar war es den Stuttgartern gelungen, die „Überrundung“ durch Berlin abzuwenden, auch
wurde Külz gezwungen von seinem „Theatercoup“ Abstand zu nehmen und zur Konzeption
171
Ebd., S. 273.
Ebd., S. 276.
173
Laut Sitzungsprotokoll des Gesamtvorstands vom 14.03.1947. Zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 276.
172
64
des Koordinierungsausschusses zurückzukehren, aber die DVP mussten sich letztlich
ebenfalls zur Mitarbeit in diesem Ausschuss bereit erklären sowie diesen als verbindliches
Organ aller liberalen Parteien anerkennen. Somit war zwar der Versuch von Külz, seinen
wichtigsten innerparteilichen Widerpart zu isolieren, nicht gelungen, jedoch erreichte er, dass
die DVP dem Aufbau einer gesamtdeutschen liberalen Partei zustimmen und von ihrer
prinzipiellen Opposition Abstand nehmen musste. Die Teilnahme der Stuttgarter an der
Vorbereitung der Gründung einer „Reichspartei“ wurde also quasi von Berlin erzwungen.
8. Die gesamtdeutsche liberale Partei DPD
Die Entwicklungen bis zum Herbst 1946 hatten gezeigt, dass es der DVP trotz der Kritik am
Berliner Führungsanspruch, den gelegentlichen külz’schen Alleingängen sowie der Skepsis
zur LDP(D) ob ihrer Kompromissbereitschaft gegenüber der SMAD nicht gelungen war,
Unterstützung für ihren grundsätzlichen Oppositionskurs zu finden, sodass sich letztlich, aus
den
bereits
beschriebenen
Gründen,
auch
die
Stuttgarter
zur
Kooperation
im
Koordinierungsausschuss verpflichten musste. In diesem Ausschuss trafen die Kontrahenten
aus Berlin und Stuttgart erneut aufeinander, nun aber, um eine gesamtdeutsche liberale Partei
zu konstituieren. Bereits an der Frage des Zeitrahmens dieses Vorhabens entwickelte sich
erneuter Dissens. Während die Stuttgarter die „augenblickliche Unmöglichkeit einer
Reichspartei“174 postulierten und keine weiteren dahingehenden Diskussionen vor den
Landtagswahlen in ihrer Zone wünschten, drängten FDP und LDP(D) auf Intensivierung und
forderten, dass die ersten Ergebnisse noch vor dem Jahreswechsel 1946/1947 vorliegen
sollten175.
Insofern
überrascht
es
Koordinierungsausschusses
nicht,
am
dass
es
08.11.1946
bereits
in
bei
der
ersten
Sitzung
des
Coburg
zu
tiefen,
beiderseitigen
Verstimmungen kam, denn in Coburg wurden nicht nur die Errichtung einer paritätisch
aufgebauten, gesamtdeutschen „Arbeitsgemeinschaft“ der Liberalen vereinbart sowie mit
Otto-Heinrich Greve und Arthur Lieutenant deren Geschäftsführer gewählt, sondern auch ein
Bekenntnis zur Reichseinheit und zum dezentralisierten Einheitsstaat beschlossen. Besonders
Letzteres führte unter anderem dazu, dass sich die Vertreter der französischen Zone auf Druck
der Besatzungsmacht aus dem Ausschuss zurückziehen mussten. Dass die stark föderalistisch
174
175
Rundschreiben Ernst Mayers, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 290.
So Friedrich Middelhauve in einem Bericht an den FDP-Zonenvorstand.
65
orientierten Stuttgarter diese Beschlüsse nicht verhinderten, lag einzig und allein daran, dass
sie der Sitzung gänzlich ferngeblieben waren.
Die Verstimmung der Württemberg-Badener ob der Coburger Beschlüsse hielt mehrere
Monate an. So wurden die entsprechenden Sitzungseinladungen vom 14.12.1946 (Coburg)
und vom 22.02.1947 (Bad Pyrmont) von ihnen komplett ignoriert. Erst an der Sitzung in
Rothenburg ob der Tauber am 17.03.1947, die zeitgleich mit dem „Demokratentag“ des
amerikanischen Zonenverbandes stattfand, nahm die DVP wieder teil. Somit waren erstmals
auf einer Sitzung des Koordinierungsausschusses Vertreter aller deutschen Liberalen
anwesend176.
Dass dies möglich wurde, war im Wesentlichen dem Engagement Thomas Dehlers zu
verdanken. Dieser hatte auf der Zonenvorstandssitzung vom 14.03.1947 die Absicht Mayers
„die Dinge [Koordinierungsausschuss und gesamtdeutsche liberale Partei] wie schon so oft
eher dilatorisch zu behandeln“177 vereitelt. Da sich schließlich auch Euler der Forderung
Dehlers nach Teilnahme und aktiver Mitarbeit im Koordinierungsausschuss sowie der
Schaffung einer „repräsentativen Spitze der deutschen Liberalen“178 anschloss, konnte Mayer
sein Plazet nicht verweigern.
Die Sitzung des Koordinierungsausschusses begann wenig verwunderlich mit heftigen
Vorwürfen sowohl an die Adresse der DVP als Partei („partikularistische Gesinnung“ 179) als
auch an Ernst Mayer persönlich („Motor gegen eine Reichseinheit“180). Überraschenderweise
wurde jedoch sehr bald nicht mehr darüber debattiert, ob eine Gesamtpartei zu gründen sei,
sondern vielmehr über deren Namen und infrage kommende Vorsitzende beraten. Am Ende
der Debatten einigte man sich auf zwei Kompromisse. Da die LDP(D) für Külz den Vorsitz
beanspruchte und die DVP diesen ebenso vehement für Heuss einforderte, wurde auf den
Vorschlag von Euler hin eine Doppelspitze installiert. Heuss und Külz sollten die neue Partei
als gleichberechtigte Vorsitzende repräsentieren, Lieutenant und Mayer ebenso gleichrangig
als Geschäftsführer agieren. In der Namensfrage einigte man sich letztlich auf
„Demokratische Partei Deutschlands“ (DPD). Der bisherige Koordinierungsausschuss sollte
als vorläufiger Vorstand der DPD fungieren und bildete damit auch das einzige Organ der
neuen Partei.
Die DPD-Gründung bildete in zweierlei Hinsicht eine Wendemarke in der Parteiengeschichte
der Liberalen nach 1945. Zum einen bedeutete sie das vorläufige Ende der zonalen
Allerdings wurde die französische Zone lediglich von einem „Beobachter“ repräsentiert.
Hein, Milieupartei, S. 291.
178
Ebd.
179
Ebd.
180
Ebd.
176
177
66
Zersplitterung der liberalen Parteien und stellte die erste gesamtdeutsche Partei dar. Wichtiger
ist zum anderen aber, dass in Rothenburg nicht, wie bis dahin üblich, nach den vier Zonen,
sondern erstmals nach Ost und West unterschieden wurde. So vermerkte die
Sitzungsniederschrift ausdrücklich, dass „Heuss für den Westen, Külz für den Osten
bestimmt“181 worden war. Die Wahl der beiden kann also als offizielles Ende der
Zonengegensätze und als offizieller Anfang des Ost-West-Gegensatzes interpretiert werden,
denn vom bis dato üblichen Modus der Parität nach Zonen wurde bei der Besetzung der
Vorsitzendenposten erstmals abgewichen und auf eine weitere Wahl, z. B. von Blücher als
Repräsentanten der britischen Zone, verzichtet. Laut der Sitzungsniederschrift verwendete
Mayer erstmals ganz offiziell die Begriffe Ost- und Westzone und schränkte den
Wirkungsbereich der beiden DPD-Vorsitzenden ein, als er erklärte, „kein Mann der Westzone
könne verbindliche Zusagen für die Ostzone geben und umgekehrt“.182 Die DPD, die die
Liberalen in ganz Deutschland einen sollte, trug also bereits bei ihrer Gründung den Keim
einer erneuten Spaltung in sich. Die reservierte bis ablehnende Haltung sowohl Berlin als
auch dem Projekt DPD gegenüber blieb nach Rothenburg besonders im Südwesten erhalten.
Zum Teil wurden bereits Überlegungen für die Zeit nach der DPD angestellt. So schieb Mayer
bereits im April 1947: „Mag aus der Reichpartei werden was will, wir sind uns auf jeden Fall
hier unten näher gekommen, und es läuft dann doch den von mir schon verfolgten Weg, dass
wir hier im Süden abseits von großen Deklamationen und anspruchsvollen Beschlüssen die
neue Partei vorbereiten und prägen müssen“183.
Der Bruch folgte bereits Ende des Jahres 1947.
Da Külz seine Übereinstimmung mit der SED im „Bekenntnis zu einer positiven
Friedenspolitik“184 erklärte und durch seine Teilnahme an der „Volkskongress-Bewegung“ zu
bekräftigen schien, wurde dies im Westen als einseitige Festlegung auf die sowjetische
Deutschlandpolitik interpretiert.
Theodor Heuss erklärte Külz schriftlich, dass man sich vorerst „mit Ihnen nicht mehr an einen
Tisch setzen werde“185. So war der LDP(D)-Vorsitzende auf der letzten DPD-Sitzung nicht
anwesend. Die von den Vertretern der Westzonen geforderte Demissionierung von Külz und
Lieutenant versagten die Delegierten aus der SBZ ihre Zustimmung. Daraufhin verließen die
Vertreter der Ostzone die Sitzung, da offensichtlich war, dass es zu keiner Einigung mehr
181
Sitzungsniederschrift des Koordinierungsausschusses vom 17.03.1947, zitiert in: Hein, Milieupartei, S. 292,
Vgl. auch Wieck, Christliche und Freie Demokraten, S. 194f.
182
Ernst Mayer laut Sitzungsniederschrift des Koordinierungsausschusses vom 17.03.1947, zitiert in: Hein,
Milieupartei, S. 292.
183
Mayer in einem Brief an Dehler, zitiert in: Rütten, Liberalismus, S. 52, vgl. auch Hein, Milieupartei, S. 274.
184
Zitiert nach: Frölich, Liberaldemokratische Partei Deutschlands, S. 316.
185
Ebd.
67
kommen würde. Nach diesem Ereignis hörte die DPD faktisch auf zu bestehen, auch wenn sie
nie offiziell aufgelöst wurde.
9. Die Entwicklung der LDP(D) bis 1953
Nach der Trennung von den westdeutschen Liberalen und mit dem Tod von Wilhelm Külz
standen die Liberalen Ostdeutschlands vor den Trümmern ihrer bisherigen Hoffnungen. Nicht
nur, dass die erhoffte deutsche Einheit in immer weitere Ferne rückte, auch ihre politischen
Möglichkeiten wurden mehr und mehr beschnitten. Diese Entwicklung wurde durch die sich
abzeichnende staatliche Teilung Deutschlands nochmals verstärkt. Die Befürchtungen Külz’,
dass die Gründung eins Oststaat die Situation der LDP(D) deutlich verschlechtern würde, da
dies mit einer „Sowjetisierung“ einhergehen würde, sollte sich letztlich bewahrheiten. Es
begann der Umformungsprozess der LDP(D) zu einer gleichgeschalteten und der SED
unterworfenen Partei. Am Ende dieses Prozesses stand nicht nur das Ende der politischen
Eigenständigkeit der LDP(D), sondern auch die Preisgabe aller ihrer bisher vertretenen
Prinzipien durch die Parteispitze.
9.1 Das Umbruchjahr 1948
Die Zurückhaltung und Kooperationsbereitschaft mit der SED wurden von der Mehrheit der
LDP(D) solange als taktische Leitlinie akzeptiert, wie die gesellschaftspolitischen
Veränderungen die Kerninteressen der Partei noch nicht entscheidend gefährdeten und die
Perspektive der Revision in einem vereinigten Deutschland bestand. Alle realistischen
Hoffnungen auf eine baldige deutschlandpolitische Verständigung der Alliierten starben
jedoch mit dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz Ende 1947. Die
gleichzeitige Verschärfung der Enteignungen stellte die Politik von Külz endgültig infrage.
Bereits auf dem sächsischen Landesparteitag im Oktober 1947 wurde die bisherige
Parteiführung um Hermann Kastner und Johannes Dieckmann durch Kandidaten ersetzt, die
als Garanten einer konfrontativen Politik galten. Zum neuen Landesvorsitzenden wurde
68
Arthur Bretschneider gewählt. Stellvertreter wurden Ralph Liebler und Wolfgang
Mischnick186.
Durch den überraschenden Tod von Külz am 10.04.1948 verlor die Partei ihre überragende
Integrationsfigur, und die innerparteilichen Konflikte traten offen zutage. Als Folge blieb der
Vorsitz fast ein Jahr vakant. In dieser Zwischenzeit verstärkte sich der liberaldemokratische
Widerstand. Nachdem der spätere Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, den
Machtanspruch der SED mit neuer Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht hatte, drohte die
LDP(D) mit einer am 14.07.1948 veröffentlichten Erklärung das Ende der gemeinsamen
„Blockpolitik“ an. Zudem wurden auf dem thüringischen Parteitag Mitte Juli 1948 die
Forderungen nach rechtsstaatlichen Verhältnissen und verlässlichen Rahmenbedingungen für
die Privatwirtschaft bekräftigt. Offensichtlich begrüßte die Parteibasis diese deutliche
Stellungnahme, denn bis „Ende September wuchs die Zahl der Parteimitglieder auf nahezu
200.000 an.“187
SED und Sowjets versuchten daraufhin einerseits, so genannte „reaktionäre Kräfte“
einzuschüchtern und aus ihren Ämtern zu verdrängen. Zahlreiche Liberaldemokraten wurden
verhaftet und aus politischen Gründen verurteilt oder entzogen sich den Repressalien durch
die Flucht in den Westen. Andererseits wurde der Aufstieg so genannter „fortschrittlicher“
Liberaldemokraten, die zur uneingeschränkten Kooperation mit der SED bereit waren,
gefördert. Einen rasanten Aufstieg erfuhren damals beispielsweise Hans Loch, Johannes
Dieckmann und Manfred Gerlach. Letzterer wurde mit gerade einmal 20 Jahren gegen die
Stimmen seiner eigenen Partei zum stellvertretenden Bürgermeister von Leipzig gewählt.
Um das politische Kräfteverhältnis weiter zu ihren Gunsten zu verändern, organisierte die
SED bereits im Frühjahr 1948 die Gründung der National-Demokratischen Partei
Deutschlands (NDPD) und der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD). „Beide
Parteien fungierten von Anfang an als Organe der SED.“188 Insbesondere die
Nationaldemokraten
versuchten
dieselben
Zielgruppen
zu
gewinnen
wie
die
Liberaldemokraten. Da die Nationaldemokraten jedoch eine reine Fremdschöpfung
darstellten, unterbleibt ihre nähere Betrachtung in dieser Arbeit.
Zudem hatte die von der SMAD kontrollierte Presse eine Kampagne gegen die LDP(D) und
ihren kommissarischen Vorsitzenden Arthur Lieutnant gestartet. Ende Juli 1948 stellte die
Besatzungsmacht gar die weitere Existenz der LDP(D) in Frage. Lieutnant zog seine
186
Die Wahl Mischniks, der für den Widerstand der jungen LDP(D)-Mitglieder stand, wurde von der SMAD
nicht bestätigt, und er durfte sein Amt nicht antreten. Er floh später in den Westen und machte in der FDP
Karriere.
187
Malycha, S. 38.
188
Sommer, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 52.
69
Kandidatur für den Parteivorsitz daraufhin zurück, und der vorgesehene Parteitag musste auf
unbestimmte Zeit verschoben werden, denn der einzig übrig gebliebene Kandidat, Alphons
Gärtner, floh in die Westzonen. Erst auf dem Eisenacher Parteitag im Februar 1949 wurden
Karl Hamann und Hermann Kastner zu gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt. Beide
hielten am Ziel der pluralistischen Demokratie nach westlichem Muster fest, repräsentierten
aber nicht mehr die marktwirtschaftlich orientierte Grundüberzeugung der LDP(D). Die Partei
forderte keine Revision der Enteignungen, sondern zog sich auf eine defensive Linie, die
Verteidigung der verbliebenen privatwirtschaftlichen Räume, zurück. Gleichzeitig wurde fast
der gesamte Parteivorstand im Sinne der SED ausgetauscht. Unter anderem erhielten Hans
Loch und Johannes Dieckmann Stellvertreterposten. Zwar bekannte sich die LDP(D) im hier
verabschiedeten „Eisenacher Programm“ noch einmal „zur pluralistischen Demokratie und
zur Unabhängigkeit der Rechtssprechung [...] und zum Schutz des Privateigentums“189, doch
schon wenige Monate nach seiner Verabschiedung durfte das Programm nicht mehr öffentlich
vorgestellt werden.
9.2. Die Jahre der Gleichschaltung 1949-1953
Bereits zur Gründung der DDR am 07.10.1949 wurde die Kluft zwischen Parteiführung und
Basis deutlich. Obwohl die Verfassung die Planwirtschaft festschrieb und weitgehende
Enteignungsmöglichkeiten enthielt, wurde sie von den Führungsgremien der LDP(D) begrüßt.
Sie
wurde
als
gesellschaftlichen
verbindliche
Rechtsgrundlage
Status
angesehen.
quo
Dies,
und
die
vermeintliche
erneute
Fixierung
des
Verschiebung
der
Parlamentswahlen auf Oktober 1950 und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze löste an
der Parteibasis massive Proteste aus. Diese verschärften sich im November 1949 weiter,
nachdem die SED die parlamentarische Beteiligung von NDPD und DBD durchgesetzt hatte.
Gleichzeitig setzte eine neue Welle systematischer Verfolgungen ein. Einzelne LDP(D)Funktionäre
und
ganze Unterverbände polemisierten dennoch
weiter
gegen den
Machtanspruch der SED und leisteten offenen Widerstand.
Gegen die Aufstellung einer Einheitsliste zu den Volkskammerwahlen erhob im März 1950
Kastner190 als einziger Parteivorsitzender Bedenken. Erst nachdem ihm Wilhelm Pieck,
Präsident der DDR, eine schriftliche Existenzgarantie für eine unabhängige LDP(D) zugesagt
189
Papke, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR
1945-1952, S. 40.
190
Seine exzellenten Kontakte zur Besatzungsmacht schützten ihn bisher vor unmittelbaren Übergriffen der
SED.
70
hatte, erklärte er seine Zustimmung. Dennoch löste die Bekanntgabe der Einheitsliste zwei
Monate später innerparteilich eine weitere Protestwelle aus. Aber auch Resignation begann
sich auszubreiten. Im August wurde der Generalsekretär der LDP(D), Günther Stempel,
verhaftet, weil er sich der Einheitsliste widersetzte. Als Hermann Kastner sich ebenfalls der
Protestwelle anschloss und Einwände erhob, wurde er kurzerhand seines Amtes enthoben und
aus der Partei ausgeschlossen. Herbert Täschner wurde neuer Generalsekretär und damit zur
Schlüsselfigur bei der Umwandlung der LDP(D) zu einem Transmissionsorgan der SED. Die
ehemals dezentrale Struktur der LDP(D) wurde schrittweise dem „demokratischen
Zentralismus“ der SED angeglichen. Im Zuge der Auflösung der Länder und der
Umstrukturierung der gesamten DDR-Verwaltung 1952 durch die SED wurde die
Organisationsstruktur der LDP(D) ebenfalls auf Basis der neuen Bezirksstruktur umgestaltet.
Die Einsetzung der neuen Bezirksfunktionäre erfolgte dabei durch die Parteiführung nach
Vorschlägen der SED oder bedurfte zumindest deren Zustimmung. So konnten oppositionell
gesonnene Funktionäre ausgeschaltet und durch „zuverlässige“ Parteifreunde ersetzt werden.
Diese „Strukturreform“ setzte sich analog auch auf der Kreis- und Ortsebene fort. „Durch die
gelenkten personalpolitischen Entscheidungen wurden die Liberalen eine von der [...] SED
abhängige Organisation.“191
Die Rolle der LDP(D), die ihr von der SED zugedacht wurde, offenbarte sich erstmals im
Dezember 1950 im „Arbeitsprogramm“ des Landesverbandes Sachsen-Anhalt. Danach
bestand die Aufgabe der LDPD darin, „bürgerliche Bevölkerungskreise praktisch und
ideologisch an die neue Gesellschaftsordnung heranzuführen“192.
Unter der unmittelbaren Einflussnahme der SED verkehrte die LDP(D) im Juli 1951 ihre
ursprüngliche Zielsetzung des Eisenacher Parteitags in ihr Gegenteil, indem sie sich auf die
Integration der verbleibenden privatwirtschaftlichen Freiräume in die sozialistische
Planwirtschaft umorientierte, statt diese zu schützen. Doch ungeachtet der massiven Eingriffe
der SED in die Delegiertenauswahl und der permanenten Sanktionsandrohungen wurde die
Politik der Einheitssozialisten unter offenem Beifall kritisiert und ihr Führungsanspruch
vereinzelt
explizit
zurückgewiesen,
womit
dieser
Parteitag
gleichzeitig
den
Selbstbehauptungswillen dieser Partei verdeutlicht. Der durch die SED protegierte Loch
konnte dann auch nur in einem gemeinsamen Wahlgang mit Hamann zum Vorsitzenden
gewählt werden, denn während Hamann trotz seiner Anpassungsbereitschaft einen großen
Rückhalt in der Partei besaß, hätte Loch in einer Einzelwahl kaum eine Chance gehabt.
191
192
Sommer, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 56.
Papke, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 42.
71
Am 28.07.1952 ordnete sich die LDP(D) mit ihrer Zustimmung zum „Aufbau des
Sozialismus“ jedoch endgültig dem Führungsanspruch der SED unter und gab damit ihre
liberale Identität auf. Der Politische Ausschuss der LDP(D) erklärte: „Wir erkennen dabei die
führende Rolle der Arbeiterklasse uneingeschränkt an.“193 Stimmungsberichte aus den Ortsund Kreisverbänden zeigen jedoch, dass ein großer Teil der Mitglieder dieses Bekenntnis
nicht unterstützte.194 Zum Teil kam es in den Versammlungen zu Tumulten. Viele
Parteimitglieder reagierten hingegen mit anhaltender Passivität und dem Rückzug ins
Privatleben, was zum Verfall ganzer Ortsgruppen führte.
Nach der Verhaftung Hamanns195 im Dezember 1952 übernahm Loch allein den Parteivorsitz.
Auf den folgenden Protest an der Parteibasis reagierte die Ostberliner Spitze mit
weitreichenden Beschlüssen zur politischen „Säuberung“ der LDP(D). Auf allen Ebenen
schlossen Überprüfungskommissionen in den nächsten Jahren tausende Mitglieder aus und
setzten illoyale Kreisvorsitzende ab. Ganze Ortsgruppen wurden von der „Staatssicherheit“
verhaftet.
Die innerparteiliche Demokratie der LDP(D) war bereits soweit ausgehöhlt, dass Loch auf
dem nächsten Parteitag im Mai 1953 ohne größere Probleme bestätigt wurde. „Seitdem lag
ihre Parteiführung völlig auf SED-Kurs und folgte fast immer ohne Widerspruch den
Vorgaben des Politbüros und dessen Apparates.“196 Als Folge der Anpassung der
Parteiführung an die SED verlor die LDP(D) in den zwei Jahren bis Ende 1952 rund ein
Drittel ihrer Mitglieder.197 Die Parteimitglieder an der Basis verfielen in der „Hoffnung auf
besserer Zeiten“ in eine Art politischer Lethargie und blieben bis auf individuelle Einzelfälle
politisch passiv.
10. Die Entwicklung der Liberalen in der Westzone
Bereits kurz nach dem endgültigen Bruch der West- mit den Ostliberalen bahnte sich die
nächste Auseinandersetzung um die innerparteiliche Vorherrschaft ab. Hatten die Vertreter
des traditionellen, milieugebundenen Liberalismus bisher mit den Befürwortern der
nationalen Sammlung gegen den Külz-Kurs zusammengearbeitet, so war nach dem
193
Sommer, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 76.
Vgl. Sommer, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 83ff.
195
Er wurde als zuständiger, aber über kaum Einfluss verfügender Minister für die gravierenden
Versorgungsmängel verantwortlich gemacht.
196
Frölich, Liberaldemokratische Partei Deutschlands, S. 318.
197
Die Zahl der Mitglieder sank von 199.000 (1950) auf 134.033 (1952). Vgl. Sommer, Die LiberalDemokratische Partei Deutschlands, S. 313.
194
72
Ausscheiden der LDP(D) aus der gemeinsamen „Dachpartei“ dieses Bündnis obsolet
geworden. So begann bereits kurz nach dem Ausscheiden der LDP(D) eine weitere
Auseinandersetzung innerhalb der Liberalen, die für die nächsten Jahre bestimmend sein
sollte. In dieser ging es um die zukünftige Ausrichtung der Gesamtpartei, um ihre Konzeption
entweder als Partei der Mitte oder aber als rechte Sammlungspartei. Diese prinzipiellen
Meinungsunterschiede waren zwar auch zuvor existent, aber bis dahin immer vom
Auseinandersetzung zwischen Berlin und Stuttgart verdeckt worden. Die Konflikte zwischen
den Traditionsliberalen und den Befürwortern eines strikten Rechtskurses, die Flügelkämpfe
innerhalb der später gegründeten Bundespartei drohten diese zu zerreißen.
10.1 Von der DPD zur FDP
Anfangs war die Anhängerschaft eines Rechtskurses noch zu schwach gewesen, um die
direkte Konfrontation mit den Traditionsliberalen suchen zu können. Quasi im Schatten der
Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Stuttgart waren Einfluss und Zahl der
Befürworter eines Rechtskurses gewachsen. Begünstigt wurde dieser Machtzuwachs durch
die Lockerung der Entnazifizierung. So traten ab Anfang 1947 „mehr und mehr jene
politischen und sozialen Kräfte bei, die 1945/46 noch an einer Mitwirkung gehindert gewesen
waren“198. Bei diesen Kräften handelte es sich zunächst einmal um ehemalige Mitglieder und
Unterstützer der DVP Weimars und etwas später, d. h. im Laufe des Jahres 1947, auch im
zunehmenden Maße um ehemalige Anhänger der DNVP. Da diese von Haus aus für eine
betont nationale Ausrichtung standen, war es von Beginn an nicht unwahrscheinlich, dass
deren Auffassungen auch in die neuen liberalen Parteien einfließen und sie mehr in die
national-liberale Richtung beeinflussen könnten. Die spätere Aufnahme von weniger
belasteten „Ehemaligen“199 ließ eine weitere Verstärkung dieses Trends erwarten. Zugleich
erfolgten ab 1946 auch verstärkt Eintritte von weiteren Gruppen, die bisher nicht politisch
aktiv gewesen waren. Hierbei handelte es sich sowohl um Vertriebene und Kriegsflüchtlinge
als auch um Jugendliche ohne Weimar-Erfahrung. Auch diese Neu-Liberalen ließen durchaus
eine Kursverschiebung erwarten, da sie entweder eine andere Sozialisation als die AltLiberalen durchlaufen hatten oder aber nicht die regionale Verwurzelung der Traditionalisten
besaßen.
198
199
Vgl. Hein, Der Weg, S. 57.
Also ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.
73
Den bereits zuvor gefestigten Landesverbänden gelang es, die neuen Mitglieder zu
integrieren, ohne dass dies größere Veränderungen auf die Ausrichtung der Landespartei zur
Folge gehabt hätte. So lässt sich weder bei den Württemberg-Badenern noch bei den
Liberalen der beiden Hansestädte nach 1947 eine Richtungsverschiebung nach rechts
erkennen, d. h., der traditionelle, eher links-liberale Kurs der Parteigründer blieb dort auch
weiterhin gültig.
In den nicht so stark traditionell geprägten Ländern war dies jedoch nicht der Fall. Nördlich
der „Mainlinie“200 kam es zu deutlichen Richtungswechseln, wurde der Kurs der
Traditionsliberalen abgelehnt sowie eine allgemeine „Abkehr vom Liberalismus alter
Prägung“201 gefordert. In diesen Landesverbänden erfolgte ein Paradigmenwechsel hin zum
Konzept der Rechtspartei. Dieser Wechsel war oft mit dem Austausch der Parteiführung
verbunden. Die bisherigen Vorsitzenden wurden durch Befürworter des Rechtskurses ersetzt,
die Linksliberalen sowie die Vertreter des Konzepts der Mittelpartei sahen sich zunehmend an
den Rand gedrängt. Dieser Prozess führte dazu, dass mit August Martin Euler in Hessen,
Friedrich Middelhauve in Nordrhein-Westfalen, Arthur Stegner in Niedersachsen und Fritz
Oellers in Schleswig-Holstein ausgesprochene Vertreter des Rechtskurses an die Spitze ihrer
Landesparteien gelangten. Unter der Führung ihrer neuen Vorsitzenden entwickelten sich
diese Landesverbände zum Kern des rechten Lagers innerhalb der Liberalen, das den –
besonders durch die Stuttgarter vertretenen – Traditionsliberalen allmählich zum bedrohlichen
Rivalen erwuchs.
Bis etwa Mitte 1948 gingen sich diese beiden Lager jedoch mehr oder weniger aus dem Wege
und suchten keine direkte Konfrontation. Während die Vertreter der national gesinnten
Liberalen sehr früh die Möglichkeiten erkannt hatten, die sich ihnen im neu gegründeten
Wirtschaftsrat der Bi-Zone202 boten, und ihre Spitzenkräfte203 in dieses Gremium entsandten,
brachte beispielsweise die DVP-Führung diesem nur sehr geringes Interesse entgegen und
beorderte lediglich einige Fachpolitiker nach Frankfurt. Der Wirtschaftsrat wurde also
faktisch kampflos dem rechten Flügel überlassen. Dessen Vertreter verstanden es, den
Wirtschaftsrat zur Profilierung ihres Kurses zu nutzen, d. h., sie bezogen eine klare
Frontstellung gegenüber den Sozialdemokraten und gegen jegliche Form des Sozialismus.
Insbesondere traten sie als Verfechter und Verteidiger der Freien Marktwirtschaft auf. Der
liberalen Fraktion im Wirtschaftsrat, die sich im Übrigen bereits als FDP204 bezeichnete,
200
Erich Mende im Interview mit Fritz Fliszar, in: Verantwortung für die Freiheit, 40 Jahre F.D.P., S. 128.
Zitat Friedrich Middelhauve, in: Hein, Der Weg, S. 57.
202
Amerikanische und britische Besatzungszone.
203
U. a. Blücher und Euler.
204
Ab Februar 1948.
201
74
gelang es, einige bedeutende Entscheidungen zu forcieren. So wurde z. B. Ludwig Erhard auf
ihren Vorschlag hin zum Wirtschaftsdirektor der Bi-Zone berufen. Ihre permanente
Gegnerschaft zur SPD erzwang förmlich eine koalitionsähnliche Zusammenarbeit der
bürgerlichen Gruppen (FDP, DP und Christdemokraten) in diesem Gremium.
Die Traditionsliberalen konnten dem lange Zeit nichts entgegensetzten. Dies änderte sich erst,
als im September 1948 der Parlamentarische Rat in Bonn zusammentrat. In dieses Gremium
entsandte die DVP ihren Spitzenvertreter Heuss, der auch die liberale Fraktion 205 führte.
Diese konnten im Prozess der Verfassungsgebung das Modell der Mittelpartei anschaulich
praktizieren, denn ganz im Sinne dieses Konzeptes arbeitete die Fraktion der Liberalen, je
nach Situation bzw. Sachfrage, sowohl mit den Sozialdemokraten als auch mit den
Christdemokraten zusammen und wirkte so als Mittlerin zwischen den Blöcken.
Eben diese Praxis führte zur ersten direkten Konfrontation zwischen dem traditionellen und
dem rechten Flügel der Liberalen. Als Vertreter von Letzterem warf Middelhauve Heuss vor,
zugunsten der Mittlerfunktion auf eigene unverwechselbar liberale Forderungen, wie die
Errichtung einer Präsidialdemokratie, den dezentralisierten Einheitsstaat usw., zu verzichten.
Obwohl diese Forderungen mehrheitlich nur von den national eingestellten Landesverbänden
erhoben wurden, blieben die Vorwürfe Middelhauves nicht ungehört. Zugleich erhoben die
traditionell gesinnten Liberalen ihrerseits Vorwürfe ob des „Hugenberg-Kurses“ der
rechtsgesinnten Landesverbände. Willy Max Rademacher, Hamburg, und Wolfgang
Haußmann, Stuttgart, starteten eine „Artikelkampagne“ gegen die Bestrebungen der rechten
Landesverbände und warben gleichzeitig für das Modell der Mittelpartei. Ernst Mayer nutze
letztmalig das Mittel des DPD-Rundbriefs, um gegen die Vertreter des Rechtskurses
vorzugehen. In den Rundbriefen verlieh Mayer seinen Befürchtungen Ausdruck, dass von
einer liberalen Partei erneut die „gefährlichen nationalistischen Instinkte“206 angesprochen
werden könnten. Dies geschehe aber „von Leuten, die in ihrer ganzen politischen Auffassung
nach gar nicht zu uns gehören“.207 Aber auch aufrechte Liberale würden den „Gebrauch des
Harzburger Vokabulariums“ einsetzen, um einen „ehrlichen, aber [letztlich] hoffnungslosen
Versuch“208 zur Verhinderung einer Rechtspartei zu unternehmen. Ferner zeigte sich Mayer
entsetzt ob der Einstellung vieler junger Liberaler, denn er müsse „fortwährend [...]
feststellen, dass die Jahre der maßlosen Bestialität, des unerhörten Leidens und Leides, dass
205
Die anderen Landesverbände entsandten Höpker-Aschoff, Schäfer, Becker und Dehler.
Aus dem DPD-Rundbrief an die Mitglieder des Koordinierungsausschusses vom 27.11.1948, zitiert in Hein,
Milieupartei, S. 332.
207
Ebd.
208
Ebd.
206
75
die [...] Grausamkeit des Dritten Reiches an ihrem Denken offenbar spurlos vorübergegangen
sind“209.
In dieser vorbelasteten Atmosphäre fand der Kongress von Heppenheim statt, auf dem eine
gemeinsame Partei aller Westzonen konstituiert werden sollte.
10.2 Die Gründung der FDP
Bereits kurz nach dem Bruch mit der LDP(D) war unter den Liberalen der Westzone die
Forderung laut geworden, wenigstens für die westlichen Besatzungsgebiete eine einheitliche
Gesamtpartei zu errichten, um eine weitere Entfremdung zwischen den einzelnen liberalen
Parteien zu verhindern. Erneut hatte die DVP den Aufbau einer Gesamtpartei zu verhindern
gesucht und auf die bereits bestehende DPD verwiesen, deren Beschaffenheit als loser
Dachverband eher ihren Vorstellungen entsprach, als die nun geforderte durchorganisierte
Drei-Zonen-Partei. Erst gegen Ende 1948 war man zur Konstituierung einer Drei-ZonenPartei bereit, die auf einer Konferenz vom 11.-12.12.1948 an symbolträchtiger Stelle – in
Heppenheim210 – erfolgen sollte. Jedoch war es wegen der bereits genannten Ereignisse dazu
gekommen, dass sowohl der rechte als auch der linke Flügel der Liberalen im Vorfeld der
Konferenz von Heppenheim eher auf eine Schärfung des eigenen Profils bedacht waren,
anstatt sich auf einen tragfähigen Kompromiss zu einigen. So fand die Konferenz, die die
Einheit der Liberalen erbringen sollte, schon in einem Klima der Konfrontation statt. Die
angereisten
89
Delegierten
waren
sich
bereits
darüber
im
Klaren,
dass
eine
Kompromissfindung zwischen den beiden großen innerparteilichen Lagern schwierig, wenn
nicht gar unmöglich sein würde.
Bereits die äußere Gestaltung von Tagungsraum sowie Programmvorlage führten zu ersten
Streitigkeiten. Der Hauptorganisator der Konferenz, Ernst Mayer, hatte, der Traditionslinie
von 1848 entsprechend, beides in den Farben Schwarz-Rot-Gold gestalten lassen. Aber
besonders die Schwarz-Rot-Gold-Drapierung des Tagungsraumes erregte das Missfallen der
rechten Landesverbände, die dies als eine gegen sie gerichtete Symbolik verstanden. Um ihr
nationales Profil zu schärfen, verwandten sie in ihren Ländern die alten kaiserlichen Farben
Schwarz-Weiß-Rot.
209
Aus dem DPD-Rundbrief an die Mitglieder des Koordinierungsausschusses vom 27.11.1948, zitiert in Hein,
Milieupartei, S. 332.
210
Bereits 1847 hatten sich in Heppenheim liberale Abordnungen getroffen.
76
Angesichts dessen erfolgte am ersten Konferenztag auch keine Austragung der Gegensätze,
sondern es wurden lediglich nochmals die unterschiedlichen Standpunkte umrissen sowie
Berichte über die Arbeit im Parlamentarischen Rat und im Wirtschaftsrat per Referat
abgegeben211 und stattdessen entbrannte ein heftiger Streit um den Parteinamen.
Zwar hatte sich die DVP bereiterklärt, den Namen „Freie Demokratische Partei“ trotz seiner,
besonders von Heuss beklagter, Farblosigkeit als den der neuen Bundespartei zu akzeptieren,
jedoch zeigten sich ganz besonders Eulers Hessen nicht bereit, auf den Begriff „liberal“ zu
verzichten. Eulers Namensvorschlag „Liberale Volkspartei“ konnte 35 Stimmen212 auf sich
vereinen. Damit wäre diese Gruppe allerdings weiterhin in der Minderheit gewesen. Dies
änderte sich jedoch, als Blücher den Namen „Liberale Partei Deutschlands“ als
Kompromissvorschlag unterbreitete. Dieser Bezeichnung wollten nun auch die Delegierten
aus Nordrhein-Westfalen – mit ihren entscheidenden 17 Stimmen – die Zusage erteilen. Erst
als daraufhin der designierte Vorsitzende der Bundespartei, Theodor Heuss, erklärte, dass er
sich außerstande sehe, einer Partei dieses Namens vorzusitzen, fiel die Entscheidung für die
Bezeichnung FDP. Der Name „Freie Demokratische Partei“ setzte sich letztlich dennoch erst
in einer Kampfabstimmung am zweiten Konferenztag mit 64 zu 25 Stimmen gegen den
Alternativvorschlag „Liberal-Demokratische Partei“ durch.
Was sich in der Namenfrage bereits angedeutet hatte, setzte sich am 12.12.1948 bei den
Personalentscheidungen fort. Euler war es gelungen, die rechten Landesverbände darauf
festzulegen,
ein
„Übergewicht
Dementsprechend traten bei
innerparteilichen
Verwerfungen
der
ehemaligen
Staatsparteiler“213
den Abstimmungen für Vorsitz
offen
zutage.
Zwar
wurde
zu
verhindern.
und Vorstand die
Theodor
Heuss
zum
Bundesvorsitzenden gewählt, jedoch erreichte er lediglich 72 Stimmen, während sein
künftiger Stellvertreter Franz Blücher 81 Stimmen auf sich vereinen konnte. Bedeutete dies
allein schon eine Schwächung der Position des gerade erst gewählten Vorsitzenden, so
bedeutete das Ergebnis der Vorstandswahlen einen vollkommenen Eklat. Der engste Vertraute
von Heuss, Ernst Mayer, fiel bei dieser Wahl mit nur 31 erreichten Stimmen glatt durch. Auch
der anschließende Versuch, Mayer wenigstens als geschäftsführendes Vorstandsmitglied
wählen zu lassen, schlug fehl, da auch in diesem Wahlgang nur eine Minderheit von 40
211
Die Referenten waren mit Höpker-Aschoff (Parlamentarischer Rat) und Blücher (Wirtschaftsrat) allerdings
entsprechend prominent besetzt.
212
Euler konnte neben den hessischen auch auf die Stimmen von Baden, Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz
zählen.
213
Persönliche Aufzeichnung über die Gründungsversammlung der FDP in Heppenheim, verfasst von CarlHubert Schwennicke. Zitiert in: Rütten, Liberalismus, S. 170.
77
Delegierten
für
den
DVP-Generalsekretär
stimmte.
Einstimmig
wurden
hingegen
Schwennicke und Wildermuth214 in den geschäftsführenden Vorstand gewählt.
Die Nichtwahl Mayers führte die neue Situation innerhalb der Liberalen deutlich vor Augen:
Die Vorherrschaft der DVP und damit der traditionsliberalen Richtung war nicht länger
gegeben. Wie war es zu dieser Verschiebung gekommen? Wieso konnten die WürttembergBadener ihre bisherige Dominanz nicht aufrechterhalten? Drei Gründe sind hierfür
maßgeblich: Zum einen die Tatsache, dass die DVP wegen des Machtkampfes mit der
LDP(D) den Machtzuwachs der Apologeten des Rechtskurses unterschätzt und sich von den
eigenen Wahlerfolgen hatte blenden lassen. Hieraus ergab sich auch der nächste Grund: Der
Delegiertenschlüssel für Heppenheim war auf absolute Wähler- und Mitgliederzahlen
angelegt, ein Umstand, der den Verbänden der bevölkerungsreichen Länder zugute kam. Dies
garantierte den rechten Landesverbänden fast automatisch eine relative Mehrheit an
Delegiertenstimmen215. Und drittens war es für unwahrscheinlich gehalten worden, dass es
dem rechten Flügel gelingen würde, sich untereinander auf eine einheitliche Stimmenabgabe
zu verständigen216.
Die Konferenz von Heppenheim ist daher aus mehrerlei Hinsicht von parteigeschichtlicher
Bedeutung. Hier wurde die liberale Bundespartei, die FDP, konstituiert und versucht, die
Einheit der Liberalen zu manifestieren. Zugleich begann an dieser Stelle auch ganz offiziell
und öffentlich die Konfrontation zwischen den Traditionsliberalen und den Vertretern der
nationalen Sammlung, um den künftigen Kurs und die allgemeine Konzeption der Partei.
Selbst die gerade erst gegründete Bundespartei schien wieder bedroht zu sein, als Theodor
Heuss sechs Tage nach seiner Wahl bereits als „Verlegenheitslösung“ bezeichnet wurde, „die
bald durch eine endgültige ersetzt werden müsse“217 und dieser seiner Sorge, die FDP könne
durch ihren rechten Flügel „von einem billigen Nationalismus der Phrase überschwemmt
werden“218, Ausdruck verlieh. Die Vertreter des rechten Flügels selbst waren in Sorge, dass
wegen der „mimosenhaften Empfindlichkeit [der Traditions- bzw. Linksliberalen] gegenüber
der Betonung eines gesunden Nationalgefühls“219 der Aufwärtstrend der FDP gebremst oder
gar gestoppt werden könnte.
214
Wildermuths Ergebnis überrascht deshalb, weil er eigentlich zu den Unterstützern von Heuss zählte. Ernst
Mayer vermutete später, dass Wildermuth dies seinem Ritterkreuz zu verdanken habe. vgl. Hein, Der Weg,
S. 57.
215
Die Landesverbände Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen stellten zusammen fast die Hälfte der
Delegierten.
216
Dass dieses Annahme nicht gänzlich unberechtigt war, zeigte das unterschiedliche Abstimmungsverhalten des
rechten Lagers bei der Namensfrage.
217
So Max Dominicus in einem Schreiben an Blücher, zitiert in Hein, Der Weg, S. 65.
218
So Theodor Heuss in einem Schreiben an Blücher, zitiert in Hein, Der Weg, S. 65.
219
So eine Aktennotiz von Schwennicke. Ebd.
78
Der Öffentlichkeit bot die FDP das Bild einer, vorsichtig ausgedrückt, sehr heterogenen
Partei, die sich weder auf ein gemeinsames Programm noch auf den weiteren Politikkurs hatte
festlegen können. Die erhoffte Manifestation der Einheit war keinesfalls erreicht worden,
allenfalls war es gelungen, die widerstreitenden Lager mit einer provisorischen Klammer
zusammenzuhalten.
Auch der erste Bundesparteitag vom 10.-12.06.1949 in Bremen verdeutlichte einmal mehr,
welch starke Differenzen innerhalb der FDP herrschten.
So verwundert es nicht, dass auf dem Bremer Parteitag kein vollwertiges Parteiprogramm,
sondern lediglich die „Bremer Plattform“ als vorläufige programmatische Grundlage
beschlossen werden konnte. In dieser wurde versucht, die innerparteilichen Differenzen außen
vor zu lassen und keine Festlegungen über den künftigen Kurs der FDP zu treffen. In der
Plattform ging man lediglich auf einige der aktuellen Probleme in Deutschland ein und war
dabei bemüht, möglichst Formulierungen zu finden, denen beide innerparteilichen Lager
zustimmen konnten. Auf diesem Wege gelange es, bei den allgemeinpolitischen Problemen
Wahl- und Elternrecht sowie Steuern Kompromisse zu finden. Auch in den speziellen
Nachkriegsthemen, wie Demontagen, Wohnungsbau und besonders der Problematik der
Vertriebenen, konnten Einigungen erzielt werden, sodass diese Themen einmütig beschlossen
wurden. Wider Erwarten konnte selbst in der heiklen Frage der Entnazifizierung ein
Kompromiss erreicht werden. Man verständigte sich dahingehend, eine Amnestie zu fordern,
von der lediglich „kriminell Schuldige“ ausgenommen werden sollten.
In der Frage der Raumbeflaggung entbrannte ein neuerlicher heftiger, weil symbolhafter
Streit, da der demokratische Flügel auf dem traditionellen Schwarz-Rot-Gold bestand, aber
die Vertreter des rechten Flügels ihrerseits auf den Farben Schwarz-Weiß-Rot beharrten. Man
verständigte sich in diesem Punkt letztlich drauf, Schwarz-Rot-Gold als die deutschen Farben
anzuerkennen, „den schwarz-weiß-roten Farben aber immer ein ehrfurchtsvolles Gedenken
[zu] bewahren“220. Dies wurde von der jeweiligen Seite stets in ihrem Sinne interpretiert.
Folglich verwendeten einige Landesparteien weiterhin die kaiserlichen Farben für ihre
Veranstaltungen und offiziellen Auftritte.
Durch die „Bremer Plattform“ wurde versucht, für jeden Wähler etwas Ansprechendes
anzubieten, ohne die innerparteilichen Spannungen zu verstärken. Erich Mende fasste dies
später wie folgt zusammen: „National, ohne nationalistisch zu werden; liberal, ohne
bindungslos zu sein, ausgerichtet auf die Werte der Humanität; sozial, ohne sozialistisch zu
werden, orientiert an [...] Eigentum und Freiheit als unabdingbare Normen [...]; christlich,
ohne klerikale Einflüsse in der Politik zu dulden: Das waren die Leitsätze, unter denen die
220
Michel, S. 41.
79
Freie Demokratische Partei ihren Wahlkampf führte.“221 Faktisch bedeute dies, dass sich die
FDP in der Wirtschaftspolitik gegen die SPD sowie den linken Flügel der CDU positionierte
und den Bundestagswahlkampf vor allem mit wirtschaftspolitischen Themen führte, sich
jedoch in der Kulturpolitik mit ihrem Konzept der christlichen Gemeinschaftsschule gegen die
Vorstellungen der Union stellte und somit ihre Eigenständigkeit unterstrich. Einigkeit
herrschte also in der Definition der FDP als strikt antisozialistische, nicht klerikale (jedoch
nicht kirchenfeindliche) Partei. Die SPD wurde somit als Hauptgegner im bevorstehenden
Wahlkampf gesehen. Einhellig wie selten erklärten die Exponenten der verschiedenen
innerparteilichen Gruppen, dass der Bundestagswahlkampf mit aller „Schärfe gegen die SPD
geführt werden“222 müsse, „damit eine SPD-Mehrheit verhindert werden kann“223.
Ein einheitlicher Bundestagswahlkampf fand dennoch nicht statt. Zu sehr beharrten die
größeren Landesparteien auf ihrer Eigenständigkeit, sodass es regional zu sehr
unterschiedlichen Strategien und Vorgehensweisen kam. Während die Kampagnen in
Süddeutschland – getreu dem Konzept der Mittelpartei – sowohl gegen Sozialdemokraten als
auch gegen die Unionsparteien geführt wurden, traten die Freien Demokraten Hamburgs
zusammen mit der CDU einen gemeinsamen Wahlblock an. Auch in anderen Ländern kam es
zu
Wahlabsprachen
bzw.
Bündnissen,
von
denen
Eulers
Allianz
mit
der
„Nationaldemokratischen Partei“ von Heinrich Leuchtgens224, der den vierten Platz auf der
hessischen Landesliste erhielt, die umstrittenste, aber zugleich auch mit einem Ergebnis von
über 28 % sowie 7 errungenen Direktmandaten die erfolgreichste war225.
10.3 Bürgerliche Milieupartei oder rechte Sammlungsbewegung?
Mit dem Ausscheiden der LDP(D) aus der DPD verlor das Konzept der liberalen Volkspartei
zunehmend an Bedeutung. Da auch in der SBZ und später noch stärker in der DDR der
Volksparteicharakter der LDP(D) eingeschränkt wurde, fehlte alsbald das in der Praxis
existierende Modell für dieses Konzept.
Die
nächsten
Jahre
der
westdeutschen
Liberalen
waren
geprägt
durch
die
Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern der bürgerlichen Milieupartei gegen die
der nationalen Sammlungsbewegung. Aus diesem Widerstreit ergaben sich die beiden Flügel
221
Mende, S. 26.
Franz Blücher in der Bundesvorstandssitzung der FDP, zitiert in: Michel, S. 43.
223
Ernst Mayer in der Bundesvorstandssitzung der FDP, zitiert in: Michel, S. 43.
224
Leuchtgens, als Vorsitzender der NDP, erhielt den aussichtsreichen vierten Platz auf der hessischen FDPLandesliste, über die er auch in den Bundestag einzog.
225
Tatsächlich ist dieses Ergebnis bis heute unübertroffen geblieben.
222
80
der FDP. Die Anhänger der nationalen Sammlung bildeten den rechten und die Vertreter der
liberalen Traditionslinie bzw. der Milieupartei den linken Flügel der Freien Demokraten,
wobei die Bezeichnung „links“ für die Traditionsdemokraten mehr der deutlichen
Unterstreichung des Gegensatzes zu ihrem innenpolitischen Widerpart geschuldet ist, als dass
sie der politischen Richtung dieser Gruppen entspricht. Diesen beiden sehr starken Flügeln
stand nur eine relativ kleine Mitte gegenüber, sodass die Flügelkämpfe der nächsten Jahre die
Partei immer wieder zu zerreißen drohten.
In folgendem Punkt sollen an ausgewählten Beispielen die Flügelkämpfe innerhalb der FDP
und das fortwährende Ringen um eine Kompromissfindung, um eine Spaltung der Partei zu
verhindern, dargestellt werden.
11. Die Entwicklung der FDP bis 1953
Nach der ersten Bundestagswahl wurde die von Vertretern des linken Flügels der Union226
sowie einigen liberalen Politikern227 ins Spiel gebrachte Möglichkeit einer große Koalition
unter Einbindung der Sozialdemokraten nicht verwirklicht. Stattdessen trat die FDP
zusammen mit der DP als Juniorpartner an der Seite der Union in die Koalition des
bürgerlichen Lagers ein, obschon dieses Bündnis lediglich über eine sehr knappe Mehrheit
verfügte. Die Ministerien für Justiz (Dehler), Wohnungsbau (Wildermuth) und Europafragen
(Blücher) gingen an die FDP. Zusätzlich stellten die Freien Demokraten auch mit Franz
Blücher den Vizekanzler sowie mit Theodor Heuss den ersten Bundespräsidenten.
Da
Heuss
sämtliche
seiner
Parteiämter
von
Amtswegen
niederlegte
und
seine
bundespräsidiale Rolle als eine politisch neutrale definierte, folglich für seine Partei nicht
mehr zur Verfügung stand, verlor die FDP damit einen ihrer wichtigsten Programmatiker.
Franz Blücher, sein Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, war an Debatten über
Grundsatzfragen nur wenig interessiert und zudem in die Kabinettsdisziplin in Bonn stark
eingebunden, sodass es in den folgenden Jahren zu keiner Klärung der programmatischen
Fragen kam. So wies die FDP weiterhin jene Heterogenität auf, die schon in Heppenheim
deutlich geworden war. Zwar disziplinierte die Regierungsbeteiligung in Bonn die beiden
Flügel der FDP und stabilisierte auf diese Weise die Partei, jedoch musste, um diese
226
Z. B. Jakob Kaiser, Jürgen Hilpert und Karl Arnold.
So argumentierte u. a. Dehler für eine Beteiligung der SPD, um in der „schwierigen Zeit der Staatsgründung“
möglichst alle relevanten politischen Kräfte einzubinden, sowie „die im Wahlkampf aufgerissene politischen
Kluft zwischen den Parteien zu überbrücken“. Ähnlich plädierten auch Haußmann und Höpker-Aschoff.
(Görtemaker, S. 96f).
227
81
innerparteilichen Unterschiede zumindest teilweise zu überbrücken und eine Abgrenzung zu
anderen Parteien vorzunehmen, ein liberales Profil präsentiert werden.
Da die Erarbeitung eines gemeinsamen Programms nicht möglich war, wurden die
unstrittigen Gemeinsamkeiten der Liberalen betont und hervorgehoben. Dies erfolgte
allerdings auf der Basis von Gegenpositionen, d. h. da die künftige Parteiausrichtung
ungeklärt war und vorerst blieb, einigte man sich darauf, was man nicht wollte. Als
gemeinsame Positionen galten daher: der Antimarxismus, der sich in erster Linie sowohl
gegen die KPD als auch die SPD richtete, aber sich auch ebenso gegen den christlichen
Sozialismus des linken Flügels von CDU/CSU richtete, der Antiklerikalismus, der sich u. a. in
der Ablehnung der von den Christdemokraten geforderten Bekenntnisschulen ausdrückte
sowie das Eintreten gegen die Beteiligung von Gewerkschaft an wirtschaftlichen
Entscheidungsprozessen und das Eintreten gegen ökonomische Staatsinterventionen228.
Diese Gegenpositionen und die Koalition im Bund führten zu einer verstärkten
Polararisierung gegen die Sozialdemokraten. So galt die SPD aufgrund ihrer noch sehr starken
klassenkämpferischen Ausrichtung als politisch unzuverlässig und stand wegen der
marxistischen Grundhaltung auch permanent im Verdacht der Moskauhörigkeit, ihre
„Ächtung“ traf folglich in der FDP auf breite Zustimmung.
Diese Entwicklung spielte den Befürwortern eines Rechtskurses der FDP in die Karten, da sie
ihren Vorstellungen vom Kampf gegen den Sozialismus entsprachen und sie ihnen spürbar
Aufwind verliehen. Auf diese Weise stiegen innerparteilich Ansehen und Einfluss von Euler,
Middelhauve, von Rechenberg und Stegner, also den Hauptrepräsentanten des rechten Flügels
der FDP, weiter an. Die geradezu spektakulären Wahlerfolge, die die Repräsentanten der
Parteirechten erzielten, so erreichten die hessische FDP unter Eulers Führung bei den
Landtagswahlen 1950 sensationelle 31,8 % und überholten damit die CDU in der
Wählergunst, ermutigten zur Beibehaltung bzw. Verstärkung des Rechtskurses.
Dieser Zuwachs an Einfluss und Macht stachelte die Angriffslust des rechten Flügels der FDP
immer weiter an, sodass es immer häufiger zu innerparteilichen Machtproben kam. Dies
zeigte sich unter anderem in immer häufiger stattfindenden Kampfkandidaturen um
Parteiämter. Als erster großer Erfolg für den rechten Flügel kann die Wahl von Euler im
Januar 1951 zum Fraktionsvorsitzenden der FDP gesehen werden. Auf dem Münchner
Bundesparteitag wagte der rechte Flügel gar, einen ihrer Repräsentanten, Hans Albrecht von
Rechenberg, in einer Kampfkandidatur gegen den Bundesvorsitzenden Franz Blücher antreten
zu lassen. Zwar konnte sich dieser letztlich nochmals mit 153 gegen 91 Stimmen
228
Hiervon ausgenommen wurden allerdings sämtliche Maßnahmen, z. B. Antikartellgesetze, die der Sicherung
bzw. Wiederherstellung des wirtschaftlichen Wettbewerbs dienten.
82
durchsetzten. Da jedoch das Antreten von Rechenbergs mehr als Denkzettel gegen den
Vorsitzenden und als Wahrnung an die Adresse von Bundeskanzler Adenauer gedacht war,
war das Wahlergebnis dementsprechend innerhalb der Parteirechten abgesprochen und
inszeniert worden229. Auf demselben Parteitag wurde der Streit um die Nationalhymne von
den rechtsgerichteten Delegierten genutzt, um ein weiteres Zeichen zu setzen. Kaum hatte
sich Blücher, stellvertretend für den Parteivorstand, zur dritten Strophe des Deutschlandliedes
als neuer Nationalhymne bekannt und wollte diese vom Parteitag absingen lassen, stimmten
die Delegierten des rechten Flügels lautstark die erste Strophe an230. Zu diesen Muskelspielen
der Parteirechten in München und kurz danach zählten auch einige kontroverse Redebeiträge,
wie die Forderung nach einer Generalamnestie nach dem „Tabula-rasa-Prinzip“231 und dem
Ende der Entnazifizierung (von Rechenberg) oder die Gleichsetzung Kurt Schumachers mit
Adolf Hitler (Euler).
Mit diesen Demonstrationen gelang es der Parteirechten, ihren gestiegenen Einfluss und ihre
gewachsene innerparteiliche Machtposition sichtbar werden zu lassen. Jedoch riefen diese
Aktionen und Redebeiträge nicht nur den energischen Widerstand des linken Parteiflügels
hervor, sie erregten auch in der als neutral geltenden Parteimitte Unmut und Widerwillen.
Selbst der als nachsichtig geltende Blücher, der bis zum Münchner Parteitag stets bemüht war,
sein Amt als Parteivorsitzender neutral zu führen, versuchte nun zusammen mit dem linken
Parteiflügel, den Einfluss der Parteirechten zurückzudrängen.
Seit dem Münchner Parteitag steigerten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der FDP,
und es begann endgültig der Kampf um die Ausrichtung der Freien Demokratischen Partei,
der in den Jahren 1952/53 seinen Höhepunkt fand. In diesen Monaten stand die FDP
mehrfach vor der Spaltung, mehrfach wurden bisher nur intern schwelende Konfliktherde und
vorhandene Spannungen öffentlich ausgetragen.
11.1 Die Südweststaat-Krise
Nach der erfolgreichen Volksabstimmung über eine Fusion der Länder Baden, WürttembergHohenzollern und Württemberg-Baden zum gemeinsamen Bundesland Baden-Württemberg
Von Rechenberg selbst gab später an: „Das Wahlergebnis war genau abgezirkelt. Eine Stimme mehr für mich,
und Blücher hätte nicht mehr mit gutem Gewissen annehmen können. Ein paar Stimmen weniger, dann wäre der
Effekt […] verpufft.“ Zitiert in Rütten, Liberalismus, S. 234
230
Dies wurde vor allem von den bereits in der Weimarer Republik politisch tätigen Mitgliedern als ein Affront
gegen die eigenen Traditionen verstanden. So bezeichnete Wildermuth diese Aktion des rechten Flügels auf
einer späteren FDP-Vorstandssitzung als eine „SA-ähnliche Geschichte“. Vgl. Rütten, Liberalismus, S. 232ff.
231
Vgl. Rütten, Liberalismus, S. 232.
229
83
erfolgte am 09.03.1952 die Wahl der verfassungsgebenden Landesversammlung. Bei dieser
erhielten die DVP 18 %, die CDU 35,9 %, die SPD 28 % und der Block der
Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) 6,3 % der Wählerstimmen. Bundeskanzler
Adenauer
empfahl
dem
neuen
Bundesland
eine
Allparteienregierung,
um
das
Zusammenwachsen zu fördern und dieses nicht durch parteipolitische Diskrepanzen zu
gefährden. Auch der Bundesvorstand der FDP „war einmütig der Meinung, die Fraktion in
Stuttgart solle die große Koalition [Allparteienregierung] anstreben, und wenn dies nicht
möglich wäre, mit der CDU in Koalition gehen“232. Jedoch zeigte sich alsbald, dass die
Sozialdemokraten keinerlei Interesse an einer solchen Koalition hatten. Der Vorsitzende der
Christdemokraten Gebhard Müller bemühte sich nun, keine Koalition nach Bonner Vorbild
mit der DVP zu bilden. Dies gestaltete sich für ihn jedoch schwierig, da seine Partei im
Wesentlichen noch aus verschiedenen Landesverbänden bestand, er folglich nicht garantieren
konnte, dass einigen elementaren Forderungen der Liberalen entsprochen werden würde.
Besonders mit den Stuttgarter Liberalen bestanden einige Meinungsverschiedenheiten, so
hatten Teile der CDU die Länderfusion energisch abgelehnt, und eine Mehrheit in der Partei
pochte auf die Einhaltung des „Reichskonkordats“ und damit auf den Erhalt der von der DVP
bekämpften Bekenntnisschule.
Eben um diese Fragen hatte die Führung der DVP, Wolfgang Haußmann als
Landesvorsitzender und Reinhold Maier als Ministerpräsident in Württemberg-Baden,
jahrelange Grundsatzdebatten mit der dortigen CDU geführt. Außerdem regierte Maier bereits
seit 1950 mit der SPD, die ihm u. a. auch beim Kampf um die Gemeinschaftsschule gegen die
CDU unterstützt hatte, in Stuttgart. Hinzu kam auch noch, dass Maier, der seit 1946
Ministerpräsident von Württemberg-Baden war, diese Position in einer Koalition mit der
CDU wohl hätte preisgeben müssen, da die Christdemokraten in Baden und WürttembergHohenzollern stets die Regierungschefs gestellt hatten.
Maier und Haußmann warben also in ihrer Fraktion für eine „kleine Koalition“, bestehend aus
den Parteien, die die Gründung des Südweststaates stets vorbehaltlos unterstützt hatten. Dies
bedeutete ein Regierungsbündnis mit der SPD sowie dem BHE unter dem Ausschluss der
Christdemokraten. In den Gesprächen mit den Vertretern der Sozialdemokraten und des
Vertriebenenbundes erzielte man schnell Fortschritte. Durch geschickte Verhandlungsführung
gelang es Haußmann und Maier sogar, das Amt des Ministerpräsidenten für die DVP zu
sichern. Jedoch würde eine solche Koalition bedeuten, dass die DVP-Führung einen
ausdrücklichen Wunsch des Bundeskanzlers und einen ebenso unzweifelhaften Beschluss des
FDP-Bundesvorstands einfach ignorieren würde.
232
Vgl. Protokoll S. 28, zitiert in Gutscher S. 121.
84
Der Bundesvorstand der Freien Demokraten bemühte sich seinerseits nun nach Kräften, dies
zu verhindern. So gelang es Ernst Mayer als Fürsprecher, den Bundespräsidenten Theodor
Heuss dafür zu gewinnen, auf seine alten Stuttgarter Weggefährten einzuwirken, um die sich
anbahnende Koalition mit der SPD zu verhindern. Zugleich wurde versucht, bei Adenauer auf
dessen Einwirken auf die Südwest-CDU zu dringen, um deren Entgegenkommen in einigen
Positionen zu erreichen. Am 21.04.1952 konnte Blücher dem Bundesvorstand berichten, dass
die CDU in der Schulfrage zur Beibehaltung des Status quo bereit sei, Mayer, immerhin
immer noch Generalsekretär der DVP, gab zu Protokoll, dass die Christdemokraten sich den
Positionen der DVP soweit angenähert hätten, dass „eine Absage an sie [die CDU] praktisch
unmöglich“ wäre, zudem stünden „mindestens 75 % der DVP-Fraktion gegen Wolfgang
Haußmann“233. Da aus Stuttgart aber immer noch keine positiven Signale kamen, wurde
beschlossen, dass sich Mayer noch einmal fernmündlich mit Haußmann in Verbindung zu
setzen habe. Für den Fall der Erfolglosigkeit seiner Intervention solle Hermann Schäfer als
Botschafter des Bundesvorstands nach Stuttgart reisen234, um „die drohende SPD/DVPKoalition abzuwenden“235. Sämtliche Bemühungen des Bundesvorstands blieben letztlich
erfolglos, denn am 25.04.1952 wurde Reinhold Maier mit den Stimmen von DVP, SPD und
BHE unter lautstarken Protesten sowie heftigen Empörungen der Christdemokraten236 zum
ersten Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gewählt.
Noch heftiger waren jedoch die Reaktionen auf Maiers Coup in der eigenen Partei. In einem
zornigen Rundumschlag forderte Euler die sofortige Einberufung eines Sonderparteitags und
den unverzüglichen Parteiausschluss der von ihm als „Demi-Marxisten“ bezeichneten
Hauptverantwortlichen Maier und Haußmann. Middelhauve wies zwar diese Forderungen
zurück, verlangte aber eine Änderung der Parteisatzung, sodass künftig sämtliche
Länderkoalitionen einer Billigung durch die Bundespartei bedürften. Dehler und Schäfer
bekräftigten zwar eine „moralische Bindung der DVP-Fraktion an die Bundespartei“237,
wollten sich aber nicht für eine generelle Ablehnung von Koalition mit den Sozialdemokraten
aussprechen. Auch in Baden-Württemberg selbst sah sich Maier alsbald Angriffen aus den
eigenen Reihen ausgesetzt. So erklärte der Vorsitzende der DVP Württemberg-Hohenzollerns,
Eduart Leuze, seine Ablehnung gegenüber der Stuttgarter Koalition und drohte, dem
233
Vgl. Sitzungsprotokoll vom 21.04.1952, S. 3, zitiert nach: Gutscher S. 122.
Schäfer musste jedoch feststellen, dass Maier und Haußmann bereits Tatsachen geschaffen hatten, sodass er
in Stuttgart nichts erreichen konnte.
235
Vgl. Sitzungsprotokoll vom 21.04.1952, S. 3, zitiert nach: Gutscher S. 122.
236
Hierzu muss angemerkt werden, dass Maier seine erste Rede mit den Worten „Gott schütze das neue
Bundesland“ schloss, was viele CDU-Abgeordnete als eine direkt gegen sie gerichtete Provokation empfanden.
Vgl. Hofmann, S. 262.
237
Vgl. Sitzungsprotokoll vom 11.11.1952, S. 2-3, zitiert nach: Gutscher S. 123.
234
85
Fusionsprozess zu einer gemeinsamen liberalen Landespartei künftig seine Unterstützung zu
entziehen238.
Die Gründe für diese heftigen Gegenrektionen waren verschiedenartig. Zum einen waren dies
innenpolitische Gründe. Die damalige SPD war noch eine marxistische, klassenkämpferische
Partei, deren Politik von vielen Liberalen energisch bekämpft wurde. Einige Politiker der FDP
sahen in den Sozialdemokraten gar eine permanente Bedrohung für den Fortbestand der
Bundesrepublik. Zudem waren beide Parteien schon in vielen Wahlkämpfen erklärte Gegner
gewesen. Zum anderen lagen auch außenpolitische Gründe vor. Die Stuttgarter Koalition
veränderte die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, zugleich sollten in diesem Jahr die
Verträge zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) verabschiedet werden. Die
EVG-Verträge waren ein wichtiger Bestandteil der Außenpolitik der Bundesregierung,
wurden jedoch von der SPD auf das Heftigste bekämpft. Nun würde Baden-Württemberg in
der entscheidenden Zeit auch den Vorsitz in der Länderkammer innehaben, sodass dieses
wichtige Projekt nun im Bundesrat zu scheitern drohte. Es gab also vielerlei Gründe, um die
Stuttgarter Koalition zu missbilligen.
Obwohl der Bundesvorstand mehrheitlich die Stuttgarter Koalition nicht guthieß, hielt man
sich mit einer direkten formalen Stellungnahme vorerst zurück und wollte auf einer
Sondersitzung am 01.05.1952, an der nur der Vorstand sowie die direkt Betroffenen, also die
Südwest-Liberalen teilnehmen sollten, über den Antrag der Hessen beraten. Kurzfristig sagten
sowohl Haußmann als auch Maier ihr Kommen ab, sodass die „Hauptschuldigen“ nicht
anwesend waren. Dennoch wurde das Thema Südweststaat besprochen. Besonders der
hessische
Landesverband
forderte
einschneidende
Maßnahmen
gegen
Maier
und
Haußmann.239 Aus den Reihen der Hessen wurde auch die Anschuldigung laut, die DVPLandtagsfraktion sei „Opfer einer Art des politischen Betruges, woran Haußmann schuld“240
wäre. Bemerkenswert ist hierbei, dass Dehler und Schäfer die hessischen Anschuldigungen
zurückwiesen, Ernst Mayer und Pfleiderer dies jedoch nicht taten. Man verständigte sich
darauf, das zweithöchste Parteiorgan, den Bundeshauptausschuss, einzuberufen, um die
Südwest-Krise zu lösen.
Am 17.05.1952 trat der Bundeshauptausschuss in Bonn zusammen, abermals war kein
Mitglied des DVP-Landesvorstands erschienen. Erneut ließen sich Maier und Haußmann mit
der Begründung entschuldigen, bereits andere unaufschiebbare terminliche Verpflichtungen
238
In der Tat blieb Leuze von da an der Gegenspieler Maiers in Baden-Württemberg. Seinen Landesverband
löste Leuze erst 1953 nach langen innerparteilichen Auseinadersetzungen auf.
239
Das aggressive Verhalten der Hessen ist damit zu erklären, dass zu dem prinzipiellen Dissens, der zwischen
ihnen und der DVP bestand, noch die bevorstehenden Kommunalwahlen (04.05.1952) hinzu kamen. Bei dieser
drohten den Hessen Stimmenverluste.
240
Vgl. Sitzungsprotokoll vom 02.05.1952, S. 38, zitiert in: Gutscher S. 124.
86
zu haben, sie baten allerdings darum, die Tagesordnungspunkte, die die Koalition von
Stuttgart zum Thema hatten, einstweilen zu streichen. Dieses Mal widersprachen nicht nur die
Hessen dieser Bitte. Das wiederholte Nichterscheinen, besonders von Reinhold Maier, hatte
dessen Rückhalt in der FDP geschwächt, sodass selbst enge Weggefährten Kritik übten. Sogar
Lüders241, Dehler und selbst Heuss242 verlangten die Behandlung der Südwest-Problematik
und kritisierten das Verhalten des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Dennoch
herrschte über das weitere Vorgehen Uneinigkeit. Die Vorschläge reichten vom weiterhin
vom Landesverband Hessen verlangten Ausschlussverfahren über die Rücktrittsforderung
gegen Maier als Ministerpräsident bis zu einem von Middelhauve vorgeschlagenen
Ehrenratsverfahren gegen Maier und Haußmann. Selbst in den einzelnen innerparteilichen
Lagern gelang es nicht, zu einer einheitlichen Haltung zu gelangen. Während Maier in seinem
eigenen Lager an Zustimmung zu verlieren schien, stritten sich die Vertreter des rechten
Flügels, ob die Angelegenheit mit Härte, wie Euler und Middelhauve vorschlugen, oder mit
Augenmaß, wie Mende243 empfahl, zu behandeln sei. So kam es zu einigen überraschenden
Allianzen, z. B. als sich Ernst Mayer und Arthur Stegner gemeinsam gegen ein
Ehrenratsverfahren aussprachen. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Die
Situation sollte auf einem außerordentlichen Landesparteitag in Baden-Württemberg selbst
geklärt, auf parteidisziplinäre Schritte vorerst verzichtet werden.
Als Maier sich allerdings über den Beschluss des Bundeshauptausschusses hinwegsetzte und
statt eines Landesparteitags lediglich einen Landesvertretertag einberief, kam das „Problem
Stuttgart“ erneut auf die Tagesordnung des FDP-Vorstands. Erneut hatte sich die Situation für
Maier und Haußmann verschlechtert, denn nun sahen selbst Vorstandsmitglieder, die bisher
zur Mäßigung geraten hatten, wie Mende, in der von Euler vorgeschlagenen Entlassung der
DVP aus der Bundes-FDP ein akzeptable Lösung. Nach einigen Vorschlägen sollte die DVP
innerhalb der Liberalen künftig denselben Status erhalten wie die CSU innerhalb der Union.
Auf diese Weise hoffte Euler, die stärksten Kräfte der Alt-Liberalen aus der FDP entfernen zu
können.
So beschloss der Parteivorstand die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags zum
12.07.1952 in Essen, auf dem die Stuttgarter Koalition parteiintern diskutiert werden sollte.
Frau Lüders äußerte sich speziell zum Nichterscheinen Maiers: „Wir haben allen Grund erstaunt zu sein,
wenn ein Familienmitglied von einer Familie dreimal [die beiden vorangegangenen Bundesvorstandsitzungen
mitgezählt] eingeladen wird, und dann immer unter fadenscheinigen Gründen wieder absagt. Dann muß man
beinahe annehmen, daß das Familienmitglied gar nicht mehr zur Familie gehören will.“; zitiert in: Gutscher,
S. 125.
242
Zugleich forderte Heuss die Delegierten auf, nichts Überhastetes [Parteiausschluss] zu tun und riet davon ab,
„die Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen“, zitiert in: Gutscher, S. 125.
243
Mende galt zu dieser Zeit allgemein als ein Parteigänger Middelhauves, was sich jedoch während der
Ereignisse von 1952-53 nicht bestätigen sollte.
241
87
Um diesen Sonderparteitag zu verhindern, nahm Haußmann am 15.06.1952 erstmals seit
Monaten wieder an einer Sitzung des Vorstands teil. Er bat darum, statt eines Parteitags mit
Gästen, lediglich eine Delegiertenversammlung unter Ausschluss von Gästen abzuhalten. Sein
Ersuchen wurde allerdings abgelehnt. Da jedoch befürchtet wurde, es könnte auf dem
Parteitag zu einer allgemeinen Diskussion um die politische Ausrichtung der gesamten Partei
kommen, einigte man sich darauf, den Parteitag „hinter verschlossenen Türen“, d. h. mit nur
einer sehr begrenzten Gästezahl stattfinden zu lassen.
Dass der Parteitag quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, ist wahrscheinlich der
Hauptgrund für seinen vergleichsweise ruhigen Ablauf. Dennoch musste der Bundesvorstand
erneut in stundenlangen Beratungen hinter den Kulissen einen „Waffenstillstand“ zwischen
rechtem und linkem Flügel aushandeln, und abermals kam es zum inzwischen üblichen
Schlagabtausch zwischen den beiden konkurrierenden Lagern. Allerdings konnte das von
Hessen angestrebte Ausschlussverfahren gegen Maier und Haußmann ebenso wie die
drohende Abspaltung der DVP vermieden werden. Der in Essen ausgehandelte Kompromiss
sah vor, dass die Stuttgarter Koalition vom Parteitag generell missbilligt wurde, aber dennoch
fortbestehen durfte, sofern die Verantwortlichen garantierten, dass die Grundsätze der FDP
hierbei gewahrt blieben und die innen- und außenpolitische Gesamtlinie der Partei nicht
gefährdet würde. Damit wollte man vor allem auf das Stimmverhalten im Bundesrat
einwirken, um eine Mehrheit für die abzustimmenden Verträge zu erhalten. Dass die Vertreter
des rechten Flügels diesem Kompromiss zustimmten, liegt in der Tatsache begründet, dass es
ihnen längst nicht mehr allein um die Stuttgarter Koalition, sondern viel mehr um die
Gesamtausrichtung der FDP ging. Mit Reinhold Maier war nunmehr einer ihrer stärksten
Widersacher und einer der wichtigsten Exponenten des linken Flügels politisch schwer
angeschlagen, was bedeutete, dass sich sowohl er als auch die DVP vorerst bei den
innerparteilichen Machtkämpfen würde zurücknehmen müssen. Allein die Tatsache, dass es
ihnen gelungen war, einen Sonderparteitag gegen den Willen des stärksten linken
Landesverbandes einzufordern, konnte als Erfolg für das rechte Lager gewertet werden. Auch
war es den Landesverbänden Hessens und Nordrhein-Westfalens gelungen, in die Essener
Resolution auch einen Passus zur Abwehr des „klassenkämpferischen Marxismus“ aufnehmen
zu lassen, der der Denkweise des rechten Flügels entgegenkam, aber auch für die
Gesamtpartei Gültigkeit besaß.
Tatsächlich ging besonders Reinhold Maier aus der Südweststaat-Krise geschwächt hervor,
allerdings war dies zu einem großen Teil seinem eigenen Verhalten während dieser Zeit
geschuldet. Besonders der Versuch, die Krise „auszusitzen“, hatte ihn in Misskredit innerhalb
des eigenen Lagers gebracht und zu immer weiteren Zuspitzungen geführt. Hinzu kam, dass
88
sein späteres Taktieren im Bundesrat und die Probleme, die ihm die CDU bei der
Regierungsarbeit in Baden-Württemberg bereitete244, viele seiner persönlichen Kräfte und die
seiner Partei banden, zugleich aber weiterhin zu Ansehensverlusten führten. In die großen
Auseinandersetzungen um die Parteiprogrammatik gingen die Führungskräfte des stärksten
Landesverbandes der Alt-Liberalen in einem denkbar schwachen Zustand.
11.2 Eine Partei – zwei Programme
Beide innerparteilichen Strömungen versuchten bis zur Bundestagswahl 1953, die Partei
programmatisch möglichst großteilig auf ihre Linie zu bringen. Da bis dahin kein
Parteiprogramm existierte, konnten beide relativ frei bei der Ausgestaltung agieren. Die
Beeinflussung des künftigen Parteiprogramms in ihrem Sinn war das Ziel beider FDP-Flügel.
Dennoch war es eine Überraschung, als Friedrich Middelhauve im Juli 1952 das „Deutsche
Programm – Aufruf zur nationalen Sammlung“ als Entwurf des Landesverbandes NordrheinWestfalen vorstellte. In diesem schwarz-weiß-rot umrandeten Programm wurden die
Grundforderungen aller national gesinnten Rechten, also nicht nur die des rechten Flügels der
FDP, artikuliert und eingefordert. So wurden u. a. die Einführung einer Präsidialdemokratie,
in der das direkt zu wählende Staatsoberhaupt unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im
Parlament Regierungen ernennen und entlassen können sollte, sowie die Umwandlung der
Bundesrepublik in einen dezentralisierten Einheitsstaat, in dem die Länder lediglich als
Verwaltungseinheiten fortbestehen sollten, gefordert. Diese und einige andere Forderungen
waren bereits verfassungsrechtlich umstritten oder liefen ganz offen dem Grundgesetz
zuwider. Weitere Passagen des „Deutschen Programms“245 hingegen, wie das Bekenntnis
„zum Deutschen Reich als der überlieferten Lebensform“ des deutschen Volkes sowie der
Forderung nach Widergutmachung des „Unrechts“, das „Nationalsozialismus, Siegerwillkür
und Entnazifizierung schufen“, die so formuliert die Verbrechen der nationalsozialistischen
Herrschaft faktisch mit der Entnazifizierung gleichstellten, waren geeignet, die Grenzen zum
Rechtsradikalismus zu verwischen oder gar fließend werdend zu lassen. Überhaupt
verwendeten die Autoren des Programms sehr stark das Vokabular der nationalen Rechten. So
wurde der Zweite Weltkrieg ganz allgemein als „das Unglück, das über uns kam“ bezeichnet,
244
So blockierte die CDU zusammen mit einigen Abweichlern aus der Regierungskoalition die Durchsetzung
wichtiger Landesgesetze sowie die Verabschiedung der Landesverfassung.
245
Im Folgenden wird zitiert aus dem „Deutschen Programm“, abgedruckt bei: www.politik-für-diefreiheit.de/files/77/Deutsche_Programm.pdf
89
das „Deutschlands tiefste Erniedrigung“ zur Folge hatte, die nun mit dem „Deutschen
Programm“ überwunden werden sollte.
Das „Deutsche Programm“ war von Beginn an nicht mit Blick auf eine mögliche
Konsensfähigkeit innerhalb der FDP verfasst worden, sondern zielte vielmehr auf eine
Kooperations- bzw. Fusionsmöglichkeit mit anderen Parteien, wie der DP und anderen
rechten Parteien. Ziel war es, die FDP zu einer Massenpartei umzuformen, ihr Wähler aus
Bevölkerungsschichten zuzuführen, die sich stark von der traditionellen Wählerschaft
unterschieden. „Politische Macht sollte die FDP [künftig] zunächst durch ihre schiere Größe,
nicht durch geschicktes Taktieren erringen.“246 Interessanterweise finden, wahrscheinlich
wegen der Ausrichtung auf Akzeptanz bei rechts-nationalen Parteien, weder die Worte
„liberal“ oder „demokratisch“ im „Deutschen Programm“ Verwendung, auch der Name der
FDP fällt kein einziges Mal.
Bereits im Oktober 1952 trafen sich Euler und andere Repräsentanten des rechten FPDFlügels mit hohen Funktionären der Deutschen Partei (DP). Bereits am 13.10.1952
verkündete Siegfried Zoglmann der Presse, man sei „übereingekommen, auf den kommenden
Bundesparteitagen der FDP und der DP die Zusammenfassung aller nationalen Kräfte in
Deutschland im Sinne einer sozialen, christlichen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen
Entwicklung zu beantragen“247.
Als das „Deutsche Programm“ auf der Bundesvorstandssitzung am 25.10.1952 scharf
kritisiert wurde, verwies Middelhauve stolz darauf, dass dieses „auch die Zustimmung der
Deutschen Partei [DP] und der Nationalen Rechten gefunden“248 habe. Euler ergänzte: „Wir
fühlen uns den Abgeordneten der DP, die durch ihre Arbeit im Bundestag gezeigt haben, daß
sie wirtschafts- und staatspolitisch auf unserer Linie liegen, näher als einigen von uns, die
unter dem Titel ‚gegen Faschismus und rechtsradikale Tendenzen zu kämpfen’ ihre geringe
Einsicht verbergen. Was die Herrschaften Reif, Margulies, Ilk und Hoffmann aufführen,
rechnet dazu.“249 Hiernach kam es zu Tumulten, u. a. warf Otto Bezold seine Akten auf den
Tisch und rief: „Da können wir ja Schluß machen, ich gehen nach Hause, hier habe ich nichts
mehr verloren.“250 Erst nach beschwörenden Appellen seitens des Parteivorsitzenden Blücher,
die Einheit der FDP nicht auf diese Weise zu gefährden, gelang es, die Situation zu beruhigen.
Die Antwort der Parteilinken ließ nicht lange auf sich warten. Unter der Federführung von
Hans Reif und der Unterstützung der Landesverbände Hamburg, Baden-Württemberg,
246
Vgl. Hans-Heinrich Jansen, S. 202.
Zoglmann in der „Frankfurter Rundschau“ vom 13.11.1952, zitiert in Rütten, Liberalismus, S. 242.
248
Laut Sitzungsprotokoll, zitiert in Rütten, Liberalismus, S. 242.
249
Ebd.
250
Ebd.
247
90
Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz entstand „Das Liberale Manifest“. Dieses stellte den
Gegenentwurf zum „Deutschen Programm“ dar. Der nationalen Sammlung wurde die
„Sammlung aller liberalen Kräfte“, dem Bekenntnis zum Deutschen Reich das
uneingeschränkte Bekenntnis zur Bundesrepublik entgegen gesetzt. Im „Liberalen
Manifest“251
wurde
festgestellt:
„Menschen
liberaler
Gesinnung
müssen
jetzt
zusammenstehen, um die Freiheit des Schaffenden auf allen Gebieten wiederherzustellen und
gegen die lebensfeindlichen Tendenzen des Kollektivismus aller Spielarten zu schützen.
Kollektivismus und Vermassung sind nicht nur das Ergebnis kommunistischer Bestrebungen,
sondern ebenso sehr eines überspannten, in Machtgedanken verirrten Nationalismus“. Gegen
diese Gefahren könne man aber nur bestehen, wenn „eine starke liberale Mitte vorhanden ist,
gegen die und ohne die Entscheidungen in der Demokratie nicht mehr möglich sind“.
Zudem benannte man die historischen Verdienste des Liberalismus, wie den Rechtstaat, das
frei gewählte Parlament, Föderalismus und Selbstverwaltung, zu denen man sich weiterhin
uneingeschränkt bekannte. Um diese Errungenschaften zu erhalten und zu verteidigen, hieß es
im „Liberalen Manifest“: „Wir bekämpfen daher jeden Radikalismus von rechts und links“.
Die Zeit des Nationalsozialismus wurde als das „entsetzlichste Unglück aller Zeiten“
beschrieben für das „antiliberale Kräfte“ die Verantwortung trügen.
Im Gegensatz zum „Deutschen Programm“ wurden also die liberalen Traditionen und das
Grundgesetz der Bundesrepublik verteidigt, außerdem wurde das Konzept der Mittelpartei im
Wesentlichen bestätigt. Zudem wurde mit Erscheinen des „Liberalen Manifests“ erstmals der
Begriff „liberal“ offiziell als gemeinsames Etikett gewählt. Dies ist besonders deshalb
bemerkenswert, da sich die Vertreter der Traditionslinie, z. B. die Anhänger der DVP, selbst
stets als „Demokraten“ bezeichnet hatten.
Auf dem Parteitag in Bad Ems kam es erneut zur direkten Konfrontation zwischen den beiden
Flügeln. Beide Gruppen ließen bereits im Vorfeld des Parteitags keinerlei Neigung zu
Kompromissbereitschaft erkennen. Um diese bemühte sich zwar erneut Blücher, der sich
einmal mehr in die Rolle eines Schiedsrichters der FDP gedrängt sah, aber allein die beiden
folgenden Redner personifizierten den innerparteilichen Konflikt.
Mit Reinhold Maier ergriff einer der exponiertesten Vertreter des linken Flügels das Wort.
Maier sprach sich energisch gegen das „Deutsche Programm“ aus und warnte vor den
Gefahren, die eine Vernachlässigung der liberalen Grundsätze zugunsten einer Öffnung nach
rechts bedingen würden. Er sprach den Anhängern des linken Flügels, aber auch den meisten
der neutralen Mitte zugehörigen Liberalen aus dem Herzen, als er ausführte: „Ein Schrecken
Im Folgenden wird zitiert aus dem „Liberalen Manifest“, abgedruckt bei: www.politik-für-diefreiheit.de/files/77/Das_Liberale_Manifest.pdf
251
91
fuhr uns in die Glieder, als wir von Gerüchten über eine neue FDP hörten, der Freien
Deutschen Partei. Übersetzt man nämlich […] das Wort ‚frei’ mit national, so haben wir die
neue Firma: Nationale Deutsche Partei. […] Dann machen wir es doch gleich richtig und
sagen: Deutschnationale Volkspartei – und diese Partei wollen wir nicht!“252
Direkt nach Maier ergriff, stellvertretend für die Unterstützer des „Deutschen Programms“,
August Martin Euler das Wort. Dieser verteidigte nicht nur den Rechtskurs, sondern sprach
sogar von einer „Pflicht nach rechts“253, denn nur so könnte den Gefahren für die Demokratie,
die von der SPD254 ausgingen, wirksam begegnet werden. Er argumentierte: „Gegenüber den
alten Soldaten und den früheren Anhängern des Nationalsozialismus sollten wir eine Politik
betreiben, die beherrscht ist von unserer Pflicht, diese Menschen für unseren demokratischen
Rechtsstaat und unsere Partei zu gewinnen.“255 Mit den ständigen Warnungen vor der Gefahr,
die von rechts drohe, stöße man „diese Menschen, die noch kein inneres Verhältnis zum
demokratischen Rechtsstaat haben und die unserer Partei noch nicht gewonnen sind, vor den
Kopf“256. Den Alt-Liberalen wie Maier warf Euler vor, die Fehler der Weimarer Zeit, „das
nicht entschieden kämpferische Auftreten gegenüber der NSDAP und […] ein allgemeines
Räsonnieren gegen die Gefahr von rechts“257, zu wiederholen. Diese Fehler hätten letztlich
dazu geführt, „daß diejenigen [die damaligen Staatsparteiler] dann schließlich auch teilweise
noch zu denen gehörten, die der Regierung Adolf Hitler das Ermächtigungsgesetz gaben“258.
Der Grund, weshalb beide Seiten ihre begabtesten Redner vorschickten und diese sogleich
schweres rhetorisches Geschütz auffuhren, war, dass sich keiner der Kontrahenten einer
Stimmenmehrheit sicher sein konnte. Das Kräfteverhältnis wurde, trotz eines für die rechten
Landesverbände günstigen Delegiertenschlüssels259, als in etwa gleich stark eingeschätzt. So
versuchten die Repräsentanten der Parteirechten ebenso wie die der Parteilinken, möglichst
große Unterstützung von der Parteimitte zu erhalten. Letztlich fühlte sich keiner der beiden
Parteiflügel stark genug, den offenen Kampf und damit auch die Spaltung der Partei zu
riskieren.
Völlig überraschend jedoch drängte der Bericht der Mandatsprüfungskommission den Streit
um die Programmatik der Partei in den Hintergrund. Dieser ergab, dass es bei den
Delegiertenwahlen der Landesverbände Bremen, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-
252
Aus der Bad Emser Parteitagsrede von Reinhold Maier, zitiert nach: Rütten, Liberalismus, S. 244.
Michel, S. 53.
254
Die laut Euler versuchte, einen neuen Totalitarismus in Deutschland zu errichten.
255
Aus der Bad Emser Parteitagsrede von August Martin Euler, zitiert nach: Rütten, Liberalismus, S. 245.
256
Ebd.
257
Aus der Bad Emser Parteitagsrede von August Martin Euler, zitiert nach: Rütten, Liberalismus, S. 244.
258
Aus der Bad Emser Parteitagsrede von August Martin Euler, zitiert nach: Rütten, Liberalismus, S. 245.
259
Dieser errechnete sich aus absoluten Mitgliederzahlen und Wählerstimmen, was für die bevölkerungsreichen
rechtslastigen Landesverbände, wie Nordrhein-Westfalen und Hessen, von Vorteil war.
253
92
Westfalen zu schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten gekommen war260. Daraufhin stellte sich
die Frage, ob der Parteitag überhaupt beschlussfähig sei. So wurde von Bezold auf der eilig
einberufenen Vorstandssitzung vorgeschlagen, die wichtigsten Entscheidungen, wie die Wahl
des Vorstands, auf den nächsten Parteitag zu verlegen. Doch gerade dieser Vorschlag führte
zu einer weiteren Eskalation. Aus Protest verließen mehrere Vorstandsmitglieder die
Sitzung261. Dennoch hatte angesichts der Tatsache, dass die meisten Unregelmäßigkeiten in
Landesverbänden mit betont rechter Ausrichtung vorgekommen waren, die Bereitschaft der
Parteirechten,
ihre
Vorstellungen
per
Kampfabstimmung
durchzusetzen,
merklich
abgenommen. So unterbreitete Euler schließlich den Vorschlag, dieses Mal zwei
Stellvertretende Vorsitzende anstatt nur einen wählen zu lassen, um so der drohenden
Kampfabstimmung zwischen Schäfer und Middelhauve zu entgehen. In der bis 3 Uhr
morgens dauernden Sitzung einigte man sich auf drei innerparteiliche Koalitionsgeschäfte:
Erstens wurden das „Deutsche Programm“ und „Das Liberale Manifest“ in die zuständigen
Parteiausschüsse262 überwiesen. Diesen wurde damit die Aufgabe übertragen, daraus ein
einheitliches FDP-Wahlprogramm zu gestalten. Zweitens wurde erstmalig ein zweiter
stellvertretender Vorsitzender gewählt. Dieses Amt unterlag wie auch die der Beisitzer dem
innerparteilichen Proporz. Drittens wurde der Delegiertenschlüssel für die nachfolgenden
Parteitage verändert. Künftig sollten nicht mehr die Mitgliederzahlen, sondern nur noch das
Stimmenaufkommen der Bundestagswahlen zur Ermittlung der Delegiertenzahlen maßgeblich
sein.
Tatsächlich folgten die Delegierten den Vorgaben des Vorstands. Erneut wurde Blücher zum
Vorsitzenden und Hermann Schäfer, als Repräsentant der Parteilinken, zu seinem
Stellvertreter gewählt. Das neu geschaffene Amt des zweiten Stellvertreters ging an Friedrich
Middelhauve, der maßgeblich für das „Deutsche Programm“ verantwortlich gewesen war.
Die Vorgänge des Emser Parteitags hatten erneut die Verwerfungen innerhalb der FDP
öffentlich werden lassen. Angesichts der Tatsache, dass sowohl „Das Liberale Manifest“ als
auch das „Deutsche Programm“ weiterhin vertreten wurden, konnte der neutrale Beobachter
zu dem Schluss gelangen, dass sich unter dem Dach der FDP nicht nur zwei Flügel energisch
bekämpften, sondern sich zwei ideologisch selbstständige und verfeindete Parteien
gegenüberstanden, die lediglich auf die passende Gelegenheit warteten, um ihren
Kontrahenten aus der Partei zu zwingen. Vorerst wurden weder das „Deutsche Programm“
noch das „Liberale Manifest“ beschlossen. So wurde von vielen erwartet, dass es schon bald
260
So waren beispielsweise die Delegierten aus Bremen nur vom Landesvorstand ernannt, jedoch nicht gewählt
worden, beim Landesverband Niedersachsen wurden die angegebenen Mitgliedszahlen in Zweifel gezogen.
261
U. a. Ernst Mayer und Friedrich Middelhauve.
262
Dem Ausschuss gehörte u. a. erneut Erich Mende an, der eine Synopse der beiden Programme erstellte.
93
zur endgültigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Flügeln der FDP kommen und
1953 das Jahr der Entscheidung werden würde.
11.3 Die Naumann-Affäre
Das Jahr 1952 hatten dem rechten Flügel der FDP einige denkwürdige Triumphe beschert, die
zu nicht unbeträchtlichen „Terraingewinnen“ im Kampf um die Gesamtlinie der Partei
führten. Die „großen Drei des rechten Lagers“, die Landesverbände Hessen, NordrheinWestfalen und Niedersachsen, verzeichneten seit Jahren die stärksten Mitgliederzuwächse der
gesamten FDP. Dies war zu einem großen Maße ihrer Strategie der Öffnung nach rechts zu
verdanken. Tatsächlich hatten sich diese Landesverbände bzw. ihre Repräsentanten bereits
sehr früh und sehr stark für die Belange der „Ehemaligen“263 eingesetzt sowie Soldaten- und
Vertriebenenverbände unterstützt. Nicht zufällig findet sich deshalb im „Deutschen
Programm“ die Forderung, von den „Urteilen der Alliierten, mit denen unser Volk und
insbesondere sein Soldatentum diskriminiert werden sollten“264 Abstand zu nehmen.
Prominente Vertreter des rechten FDP-Flügels, wie Euler oder Middelhauve, hatten sich
bereits sehr früh für ein Ende der Entnazifizierung und eine Generalamnestie stark gemacht.
Ähnlich waren sie auch in ihren Landesverbänden verfahren. „Wir haben nicht danach zu
fragen, ob jemand früher einmal, so bedauerlich es ist, Schulungsbriefe der NSDAP
geschrieben hat. Es ist nicht wesentlich, was der Betreffende 1934 gewesen ist, sondern was
er heute ist.“265 Diese Aussage von Middelhauve beschrieb die Einstellung zu diesem Thema
innerhalb des national gesinnten Lagers der FDP. Zugleich betonte besonders Euler oftmals,
dass die „Ehemaligen“ bessere Streiter für die Sache des Antimarxismus seinen als dessen altliberale Kritiker.
Die Verfechter der Rechtspartei waren stets der Meinung gewesen, die durch die Öffnung
nach rechts einströmenden Neumitglieder im „Griff“ zu haben, d. h., ihren liberalen
Schwerpunkt auch in der von ihnen erstrebten nationalen Sammlung behaupten zu können.
Folgt man einigen ihrer Argumentationen, sahen sie ihren Rechtskurs nicht nur als taktisches
Mittel, um der FDP neue Kräfte zuzuführen, sondern auch als eine Art Weg zur
263
Dies war die damals übliche Kurzbezeichnung für ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus, sie galt
sowohl für Parteigänger und Mitglieder als auch für Mitläufer der NSDAP.
264
Zitiert aus dem „Deutschen Programm“, abgedruckt bei: www.politik-für-diefreiheit.de/files/77/Deutsche_Programm.pdf
265
Friedrich Middelhauve. Zitiert nach: Gutscher S. 149.
94
Demokratisierung der „Ehemaligen“, der einstigen Berufssoldaten und der Vertriebenen266.
Zudem hoffte man angesichts immer noch vorhandener struktureller Schwächen der liberalen
Landesverbände im Vergleich zu den Massenparteien, durch den Rechtskurs einige engagierte
Parteiarbeiter gewinnen zu können, um so das Defizit auszugleichen. Besonders im
organisatorischen Bereich wollte man vom unbestreitbar vorhandenen Know-how einiger
„Ehemaliger“ partizipieren. Den Bedenken der Alt-Liberalen, die um den Erhalt der liberalen
Grundsätze fürchteten, entgegnete Middelhauve: „Ich bin der festen Überzeugung, daß wir als
FDP, als liberale Partei so stark sind, daß wir das Einströmen der Leute, die vor 10 Jahren
einen Standpunkt einnahmen, den wir verurteilt haben, als Mitarbeiter ohne Schaden für die
Partei hinnehmen können.“267
Mit Beginn der Naumann-Affäre, benannt nach Werner Naumann, dem letzten Staatssekretär
von Joseph Goebbels, wurde der Irrtum dieser Überlegung offenbar. In der Nacht vom 14.
zum 15.01.1953 wurden auf Weisung des britischen Hohen Kommissars Kirkpatrick die
wichtigsten Vertreter der später als Naumann-Kreis bekannten Gruppe vom englischen
Geheimdienst verhaftet. Der Gruppe wurde vorgeworfen, Teil einer neonazistischen
Verschwörung zu sein, die versucht hatte, durch gezielte Unterwanderung von Parteien,
negativen Einfluss auf die Entwicklung der Bundesrepublik zu nehmen.
Die Affäre weitet sich rasch auch auf die FDP aus, da einige der Verschwörer in engem
Kontakt zu FDP-Politikern gestanden hatten. Dies verstärkte sich nochmals, als bekannt
wurde, dass der persönliche Assistent von Middelhauve, Wolfgang Diewerge, zugleich auch
der Vertraute Naumanns in der FDP war. Somit war der engste Mitarbeiter des
Landesvorsitzenden der FDP als auch Middelhauve selbst belastet.
Aufgrund dieser Tatsachen sowie durch die von den Briten nach und nach veröffentlichten
Aufzeichnungen Naumanns sah sich der Bundesvorstand der FDP veranlasst, eine
Untersuchungskommission, bestehend aus Thomas Dehler, Fritz Neumayer und Alfred
Onnen, zur Klärung einzusetzen. Unter dem Vorsitz von Thomas Dehler begann diese
„Dreierkommission“ mit der Analyse, inwieweit FDP-Landesverbände in die Machenschaften
des Naumann-Kreises verstrickt waren. Zu bemerken ist, dass aufgrund der innerparteilichen
Differenzen und der scharfen Frontstellung gegeneinander, tiefere Einblicke in die Interna
eines Landesverbandes bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie unmöglich gewesen waren.
Die „Dreierkommission“ stellte u. a. nach Sichtung des ihr ab März zugänglichen Materials
der britischen Behörden tatsächlich fest, dass Teile der FDP in der Tat fest in der Hand einst
höher rangigerer ehemaliger Nationalsozialisten waren.
266
267
Siehe beispielsweise Eulers Äußerungen in Bad Ems, im vorherigen Punkt dieser Arbeit.
Gutscher, S. 150.
95
Der Bericht Thomas Dehlers vor dem Bundesvorstand der FDP am 25.04.1953 verdeutlichte
auch dem letzten Zweifler, wie tief Teile der FDP in die Naumann-Affäre verstrickt waren.
Als besonders belastet erwiesen sich die Landesverbände Nordrhein-Westfalens und
Niedersachsens, die besonders auf der Ebene der Geschäftsführer eine beängstigende
Entwicklung aufwiesen. Insbesondere bei der Personalgewinnung der beiden Landesverbände
schien Naumann eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. So hatte der
niedersächsische Landesvorsitzende Stegner, wie Dehler berichtete, mehrfach zwecks
Personalgewinnung den telefonischen Kontakt zu Naumann gesucht. Es war sogar zu
persönlichen Treffen zwischen Stegners Landesgeschäftsführer Horst Huisgen und Naumann
gekommen. Das Prinzip der Außengeschäftsführung268 machte es Naumann relativ leicht,
seine Leute zu platzieren. Als Geschäftsführer der Kreis- und Bezirksverbände waren viele,
aber anscheinend nicht nur, ehemalige Nationalsozialisten an gut besoldete Positionen
gelangt, von denen aus sie die Möglichkeit besaßen, den Prozess der Meinungsbildung in der
FDP zu beeinflussen. Der Einfluss der „Ehemaligen“ reichte so weit, dass z. B. die Betreuung
der „Deutschen Zukunft“, der Parteizeitung der FDP NRWs, komplett Personen mit NSVergangenheit anvertraut worden war269.
Durch den Bericht Dehlers wurde beispielsweise der NRW-Landtagsabgeordnete und
außenpolitische Experte der FDP, Ernst Achenbach, sehr schwer belastet. Aus dem Bericht
ging hervor, dass Achenbach quasi als „Türöffner“ für Personen aus dem Naumann-Kreis
fungiert hatte. Beispielsweise empfahl er Diewerge bei Middelhauve und stellte die beiden
einander vor. Nach der Verhaftung des Naumann-Kreises übernahm Achenbach auch die
juristische Verteidigung Diewerges.
Dehler sah die Hauptschuld für diese Verstrickungen bei Friedrich Middelhauve, den er auch
scharf kritisierte: „Wer ist schuld, daß Achenbach etwas bedeutet? Nur, Sie Herr
Middelhauve. [...] Diewerge hatte intimste Beziehungen zu Naumann, Ihr nächster Ratgeber,
Herr Middelhauve, der Mann dem Sie völlig vertraut haben, den Sie verteidigt haben, ein
Werkzeug Naumanns war er!“270 Auch machte Dehler deutlich, dass er mit seiner Aussage
Middelhauve direkt gemeint und nicht als stellvertretend für den NRW-Landsvorstand
genommen hatte, denn er führte weiter aus: „Ich habe restloses Vertauen zu Mende, Weyer
268
In den Landesverbänden NRW und Niedersachen wurden die Geschäftsführer der Bezirks- und
Kreisverbände nicht von diesen Parteigliederungen vorgeschlagen und gewählt, sondern direkt von der
Landesgeschäftsführung, also zentral, bestimmt und eingesetzt.
269
Rütten, Plattform, S. 73.
270
Thomas Dehler laut Sitzungsprotokoll des FDP-Bundesvorstand vom 25.04.1953, zitiert nach: Rütten,
Liberalismus, S. 255.
96
und anderen Vorstandsmitgliedern von Nordrhein-Westfalen, ich habe es aber nicht zu
Ihnen.“271
Auch auf das von Middelhauve vorgelegte „Deutsche Programm“ ging Dehler in seinem
Bericht ein: „Es steht fest, daß ein Herr Brand [Walter Brand] mit schlimmster politischer
Vergangenheit [Brand war der Adjutant des „Reichsstatthalters Sudetengau“ Konrad
Heinlein] das ‚Deutsche Programm’ in Bielefeld vorgelegt hat.“272 Dehler schloss seinen
Bericht mit dem Satz: „Wenn das nicht genügt, sie273 politisch zu töten, ist es
hoffnungslos.“274
Letztlich konnte die Untersuchungskommission feststellen, dass die FDP als solche nicht
unterwandert war. Kein führendes FDP-Mitglied hatte belastende Verbindungen zu Naumann
unterhalten, auch an der Basis ließ sich keine Unterwanderung erkennen. Die
Unterwanderung
betraf
größtenteils
das
mittlere
Parteimanagement,
weshalb
die
Kommissionsempfehlung275 lautete: „Diewerge [...] und Brand haben schwer gegen die
Grundsätze der FDP verstoßen. Sie sind aus der Partei auszuschließen. Ihre hauptamtliche
Tätigkeit in der Partei ist, soweit noch nicht geschehen, zu beendigen.“ Im Fall von
Middelhauve kam man zu dem Schluss, dass dieser „durch sein Verhalten eine Gefahr für den
Bestand und das Ansehen“ der FDP heraufbeschworen habe, der gute Glaube ihm aber nicht
in Abrede gestellt werden könne. Deutlich drastischer wurde über Achenbachs Verhalten
beschieden. Es wurde festgestellt, „Herr Dr. Ernst Achenbach hat der Gesamtpartei durch sein
Verhalten schwer geschadet. Er hat nach seiner Grundhaltung niemals zu uns gehört. Sein
Ausscheiden aus der FDP ist unabweislich.“
Obwohl die Affäre für die Beteiligten somit relativ glimpflich ausging, hatte sie doch für das
weitere Schicksal der FDP einschneidende Bedeutung. Die Gefahren, die eine Öffnung nach
rechts für die Partei bedeuteten, wurden für jedermann ersichtlich. Die Naumann-Affäre
wirkte auf die Befürworter einer Nationalen Sammlung wie ein Schock. Stärker noch als die
gesamte Partei hatten sie über viele Wochen hinweg eine durchgängig negative Presse. Somit
war ihre Angriffslust vorerst verflogen und einige ihrer wichtigsten Exponenten zumindest
moralisch diskreditiert. Von diesem Schlag sollte sich der rechte Flügel in der Folgezeit nicht
mehr erholen, sodass mit dem Ende der Naumann-Affäre auch die Ära seines scheinbar
unaufhaltsamen Aufstiegs abrupt beendet wurde.
271
Rütten, Liberalismus, S. 255.
Ebd.
273
Leider lässt sich nicht eindeutig klären, ob diese Aussage ausschließlich auf die Person Middelhauves oder
auf die angestrebte Nationale Sammlung als solche zu beziehen ist.
274
Thomas Dehler laut Sitzungsprotokoll des FDP-Bundesvorstand vom 25.04.1953, zitiert nach: Rütten,
Liberalismus, S. 255.
275
Im Folgendem wird zitiert aus dem Bericht der Kommission vom 05.06.1953 an den Gesamtvorstand. Quelle:
http://www.kokhavivpublications.com/kuckuck/archiv/karc0007.html
272
97
Warum aber hatte der Naumann-Kreis versucht, gerade die FPD zu unterwandern?
Zum einen war das Parteiensystem der Bundesrepublik innerhalb des Betrachtungszeitraumes
dieser Arbeit noch keineswegs so gefestigt, wie es sich heute darstellt, sodass viele
Beobachter es durchaus für möglich hielten, dass die FDP die CDU innerhalb des
bürgerlichen Lagers würde überflügeln können. Ausschlaggebend waren jedoch zum anderen
die Tatsache, dass die FDP keine strenge Parteidisziplin und Dogmatik kannte sowie die
schon bekannte vorhandene schwache Organisationsstruktur der Liberalen. Diese strukturelle
Schwäche war es, die Naumann zur Schlussfolgerung, „[m]it nur 200 Mitgliedern können wir
den ganzen Landesverband [Nordrhein-Westfalen] erben“276, kommen ließ. Weit weniger
bekannt als dieses Zitat aus Naumanns Aufzeichnungen ist sein Briefwechsel mit Wilhelm
Kiefer, der als eine Art Spiritus Rector der rechten Szene fungierte, zum Thema
„Unterwanderung der FDP“.
Kiefer zeigte sich Naumanns Idee gegenüber sehr skeptisch, er schrieb: „Man sagt mir, daß
Sie aufs engste mit der FDP in Rheinland-Westfalen liiert wären und [...] diese in ihrem
Bemühen um die nationalen Kräfte sehr unterstützen. [...] Ich kenne die schönen Theorien
[...], daß man durch eine solche Unterstützung der Bemühungen Middelhauves dahin kommen
müsse und auch kommen werde, die FDP zu unterlaufen und sie unseren Zwecken untertan zu
machen. Ich versichere Ihnen, daß sie das nie erreichen.“277 Diese Zweifel speisten sich
hauptsächlich aus dem Fakt, dass die Nationalismen von Euler, Middelhauve, von
Rechenberg und anderen Exponenten des rechten Flügels der FDP stets, wie bereits erwähnt,
taktischer Natur waren und ihnen keine nationalistische Politik als Umsetzung folgte. So
waren die exponierten Vertreter des Rechtskurses zugleich auch Befürworter der
Westintegration der Bundesrepublik, was sie in der Realpolitik in eine Gegenposition zu den
nationalistischen
Kreisen
brachte.
Das
erklärte
Ziel
dieser
Gruppen
war
ein
antikommunistisches, bewaffnetes und bündnisfreies bzw. neutrales Deutschland. Die
Westintegration galt daher als Verrat an der nationalen Sache. Da die Bejahung der
Westbindung aber Konsens durch alle innerparteilichen Lager der Freien Demokraten war
und blieb, wandelte sich die Skepsis der nationalistischen Kreise gegenüber Naumanns Plänen
in allmähliche Ablehnung. So schrieb Kiefer im November 1952, also noch vor der
Aufdeckung des Naumann-Kreises, an Naumann: „Nach der Entscheidung der FDP für die
Westverträge, für die auch die Gruppe um Middelhauve sich nunmehr entschieden hat, halte
ich ein Zusammengehen unserer Kräfte mit der FDP für untragbar.“278 Es besteht also eine
276
Aus den Tagebuchaufzeichnungen Werner Naumanns, zitiert in: Gutscher, S. 157.
Zitiert in: Rütten, Liberalismus, S. 249.
278
Ebd.
277
98
hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch ohne die Naumann-Affäre das Ende der Verfilzung von
nationalistischen Gruppen und einem Teil der FDP absehbar gewesen wäre.
11.4 Die FDP nach der Bundestagswahl 1953
Der Herausforderung der zweiten Bundestagswahl musste sich die FDP unter denkbar
ungünstigen Bedingungen stellen. Wegen der Flügelkämpfe und der beiden jeweils von einem
Parteiflügel zu verantwortenden Krisen, war das Ansehen der Partei als solcher merklich
gesunken. Der Dissens zwischen den beiden großen innerparteilichen lagern zeichnete sich
auch dafür verantwortlich, dass eine ordnungsgemäße gemeinsame Wahlkampfplanung nicht
realisiert werden konnte. Somit ruhte die Wahlkampfvorbereitung erneut ganz auf den
Schultern der Landesverbände, was eine einheitliche Linie de facto unmöglich machte.
Der einzige zu verzeichnende Vorteil war der, dass sowohl der rechte als auch der linke
Flügel der FDP deutlich angeschlagen und geschwächt waren, somit erstmals seit langer Zeit
der Partei keine Zerreißprobe bevorstand. So wurde der Wahlparteitag in Lübeck auch zum
bis dato harmonischsten in der noch kurzen Geschichte der FDP. Die herrschende
weitgehende Einmütigkeit die, „selbst die Formale Abstimmung über das Wahlprogramm
erübrigte“279,
war
jedoch
mehr
der
Kampfmüdigkeit
als
einer
tiefgreifenden
Übereinstimmung geschuldet. Die Entscheidung über die Ausrichtung der Partei wurde
abermals vertagt, so dass das Lübecker Wahlprogramm jede Festlegung in diese Richtung
vermied. Als einzige allgemein gültiger Verhaltensmaßnahme für die Wahl galt die Bitte
Blüchers, die Koalitionspolitik in Bonn als Wahlkampfthema außen vor zulassen, bestehende
Differenzen mit der CDU also nicht anzusprechen. Zur Koalition mit der CDU Adenauers sah
der FDP-Vorsitzende zudem keinerlei Alternative.
Aus den Erinnerungen Erich Mendes geht hervor, dass der Wahlkampf 1953 „in allen
Landesverbänden zu einem Spießrutenlauf zwischen den beiden anderen Parteien CDU und
SPD wurde, die mit offenen und versteckten Vorwürfen und Angriffen gegen die Liberalen
nicht sparten, um ihr eigens Wählerpotential aufzubessern“280. Zudem gelang es der FDP
kaum eigens Profil zu zeigen, so dass die Regierungserfolge fast ausschließlich Adenauer und
der CDU zugerechnet wurden. Der Verzicht auf Kritik am großen Koalitionspartner führte
279
280
Michel, S. 58.
Ebd., S. 55.
99
dazu, dass sich der FDP-Vorsitzende Schleswig-Holsteins, Bernhard Leverenz, oft fragte ob
er auf einer „FDP-Versammlung oder eine Adenauer-Versammlung war“.281
Somit überraschte es wenig, dass es der FDP nicht gelang ihre Stimmanteile zu halten oder
gar auszubauen. Obwohl aus heutiger Sicht der Absturz um 2,4 % von 11,9 % auf 9,5 % nicht
sehr dramatisch wirkt, löste er 1953 in der FDP blankes Entsetzten aus. Dies lag vor allem
daran, dass es in den bisherigen Hochburgen zu überdurchschnittlich hohen Verlusten
gekommen war. So verloren Eulers Hessen im Vergleich zu 1949 mehr als 8 % ( von 28,1 %
auf 19,7 %) die streitbaren Südwest-Liberalen um Maier und Haußmann büßten mehr als 5 %
(von 18,2 % auf 12,7 %) ein. Obwohl er die FDP für eine Regierungsbildung nicht mehr
benötigte, ging Adenauer eine erneute Koalition mit ihr ein, da er eine sich einer
verfassungsändernden Mehrheit gewiss sein wollte.
So lebten bereits bei der ersten Fraktionssitzung die alten Grabenkämpfe erneut auf, als sich
hessische und baden-württembergische Liberale gegenseitig die Verantwortung für das
schlechte Abschneiden ihres Landesverbandes zu wiesen. Nach Meinung der Hessen hatten
die Stuttgarter Ereignisse maßgeblich zu ihren Verlusten beigetragen, die Südwest-Liberalen
wiederum sahen in der Naumann-Affäre den Grund für ihr schlechtes Abschneiden. Für die
Südwest-Liberalen war die Wahlschlappe vor allem deshalb besonders schmerzhaft, weil
Reinhold Maier die Bundestagswahl zu einer Art Plebiszit sowohl über sein persönliches
Schicksal als Ministerpräsident als auch über den Fortbestand der Regierungskoalition
gemacht hatte. Maier hatte darauf gehofft mit einem guten Ergebnis, also quasi einer
Bestätigung seiner Politik durch den Wähler, den Widerstand der CDU besonders in den
Fragen der Landesverfassung Baden-Württembergs brechen zu können. Das es aber den
Christdemokraten gelang die absolute Mehrheit der Wählerstimmen in Baden-Württemberg
auf sich zu vereinen, sah sich Maier dazu gezwungen sein Amt niederzulegen und seiner
Partei den Eintritt in eine Allparteienkoalition unter Führung der CDU zu empfehlen. Somit
verloren die Südwest-Liberalen nicht nur Prozente bei der Bundestagswahl sondern auch
„ihren“ Ministerpräsidenten.
Nachdem sich die Gemüter in dieser Hinsicht wieder beruhigt hatten, wurden erstmals
Vorwürfe gegen Blücher ob seiner nachsichtigen Haltung im Wahlkampf gegenüber
Adenauer laut.
Nach und nach wurde der Parteivorsitzende als Hauptgrund für die Profilschwäche der FDP
im Wahlkampf verantwortlich gemacht. Zumal dieser auch weiterhin, mit Verweis auf seine
Position als Vizekanzler und Minister, eine kritische Distanz zum Bundeskanzler ablehnte. In
281
Ebd., S. 62.
100
der FDP setzte sich damit relativ rasch die Meinung durch, dass der Vorsitzen möglichst bald
auszutauschen sei.
Als potentieller Nachfolger für Blücher wurde schnell Thomas Dehler ausgemacht. Dehler
hatte als einer der wenigen FDP-Politiker bereits im Wahlkampf eine gewisse Distanz zur
CDU erkennen lassen, zudem hatte er seinen Amt als Justizminister282 auf Betreiben
Adenauers verloren, so dass er keinerlei Veranlassungen mehr hatte, um mit dem
Bundeskanzler schonend umzugehen.
Bereits die Wahl Dehlers zum Fraktionsvorsitzenden bedeute einen Paradigmenwechsel in der
FDP-Geschichte. In seiner Person wurde der Burgfrieden zwischen linken und rechtem
Flügel, seit dem Lübecker Parteitag herrschte, bestätigt, da Dehler in beiden Lager hohe
Akzeptanz besaß. Der ehemalige Justizminister stand zu dem für eine neue Art des Umgangs
mit der CDU und Bundeskanzler Adenauer. Anstatt sich wie bisher in Rolle des genügsamen
Juniorpartners zu fügen und stets die Gemeinsamkeiten mit der Union hervorzuheben, sollte
nun der „begrenzte Konflikt“ zur Maxime werden, indem die unterschiedlichen Auffassungen
in bestimmten Politikbereichen, wie z.B. der Saarfrage, gezielt betont werden sollte. Mit dem
Weg Dehlers an die Parteispitze trat auch eine weitere Parteienkonzeption zu den bisherigen
hinzu.
Dehlers Konzept entsprach dem der Korrektivpartei, also einer Partei, welches sich mehr oder
weniger damit abgefunden hatte im Vergleich zu SPD und CDU klein zu sein, ihre Stärke
aber durch Profilierung in ausgewählten Bereichen finden sollte. Dies bedeutet, dass man
immer der kleinere Partner einer großen Partei seine müsste, um in einer solchen Koalition
nicht wie 1953 befürchtet über kurz oder lang vom großen Partner aufgesogen zu werden,
wurde es als erforderlich angesehen sowohl gegen die Opposition als auch gegen den
Koalitionspartner Profilschärfung zu betreiben. Die Vorstellungen des Partners sollten
korrigiert werden, um eine deutliche liberale Linie zu verdeutlichen. Das Korrektivkonzept
übernahm Teile aus den Vorstellung der Rechtspartei, wie das strikte Bekenntnis zur
deutschen Einheit und die Konfliktsuche zu den anderen Parteien in ausgewählten Fragen
vermied aber die Überzeichnung des nationalen, von der Volkspartei übernahm man das
Prinzip der Wählbarkeit durch alle Schichte, welche aber nicht mehr durch Kopieren der
Massenparteien sondern durch breite Zustimmung in den bestimmten Politikfragen. Die
meisten Anleihen bezog dieses Konzept von der Mittelpartei, verwarf jedoch dessen strikte
Bindung an ein traditionelles Milieu, sondern legte besonderes Augenmerk auf die
Mittelschicht, nicht mehr die Traditionsbindung sondern die Zustimmung in den mit der
Union strittigen Fragen sollte der Partei ihre Wähler zu führen.
282
Dehler war ob des Verlustes seines Ministeramtes gegenüber Adenauer und Heuss zutiefst verbittert.
101
Ab Ende 1953 begann erneut ein Wettstreit der verschiedenen Konzepte für eine liberale
Partei. Neben die Konzeption der Rechtpartei und der Mittelpartei trat von da an das Prinzip
der Korrektivpartei. Während die beiden älteren Konzept allmählich an Bindungskraft
verloren, gewann das neuere des Korrektivs weiter hinzu.
12. Fazit
Die Frage, ob die Entwicklung des deutschen Parteiensystems lediglich einem Entwurf der
Siegermächte folgend entstanden ist, also für deutsche Politiker keinerlei Möglichkeiten der
Einflussnahme bestanden, muss verneint werden. Sollten die ehemaligen Alliierten tatsächlich
die Einführung eines Vier-Parteiensystems beschlossen haben, so erfolgte dessen Umsetzung
sehr dilettantisch. Denn nur selten gelang eine flächendeckende Ausprägung dieser
Konstellation. Besonders mit Hinblick auf die Liberalen lässt sich feststellen, dass von einer
generalstabsmäßig geplanten Konstituierung keinesfalls die Rede sein konnte. Auch sprechen
die umfangreichen Aktivitäten zur Bürgerblockbildung nicht für eine vorherbestimmtes
Parteienmodell. Vielmehr scheint sich zu bewahrheiten, dass vergleichbare Situationen zu
ähnlichen Ergebnissen führen. Die Anfangsbedingungen waren für alle Parteien
gleichermaßen schwierig. Hieß es doch nach Jahren der Diktatur, in einem vom Krieg schwer
gezeichneten Land in mitten des täglichen Überlebenskampfes und dem Fehlen der meisten
Mittel der Kommunikation, politisch tätig zu werden. So war die Kooperation aller
politischen Politikrichtungen in den ersten Monaten die Regel, es entstanden die ersten
Bürgerblocks. Erst allmählich begann die Ausdifferenzierung in verschiedene politische
Richtungen und anschließend in Parteien. Hier existierte zwar mit der Lizenzvergabe bzw.
deren Verweigerung ein wirksames Steuerungsmittel der Siegermächte, jedoch kam es nur
innerhalb der SBZ zu einer konsequenten Anwendung dieses Mittels283. Hier Stellte die
SMAD relativ früh klar, dass sie - vorerst - nicht mehr als vier Parteien lizenzieren würde.
Dies und die frühe Vergabe der Lizenzen verschafften den Parteien ihrer Zonen einen
gewaltigen Entwicklungsvorsprung.
In den westlichen Besatzungszonen kann ein Trend zur protektionierten Schaffung eines
Vier-Parteien-Systems nicht erkannt werden. Allein die Existenz von bürgerlichen
Sammlungsparteien wie der von Heilbronn spricht gegen die These, dass die Entwicklung des
deutschen Parteinsystems einem festgefassten Plan folgte und von Anfang an von den
283
Abgesehen von der Tatsache, dass nationalistische oder gar faschistische Parteien in keiner der vier Zonen
eine Aussicht auf die Erteilung einer Lizenz hatten.
102
Siegermächten auf eine 4er Konstellation hin ausgerichtet wurde. Hätte ein Grundkonsens
unter den Alliierten bestanden, wie z.B. Mitzel behauptet, dann wären solche
Sammlungsparteien bereits im Vorfeld unterbunden worden. Auch wäre zu erwarten gewesen,
dass die Besatzungsmächte um dieses Vier-Parteien-System zu fördern, aktiv eingegriffen,
und z.B. die flächendeckende Gründung von Parteien durchgesetzt hätten. Zudem hat sich
gezeigt,
dass
im
Bezug auf die
Beeinflussung des
Parteiensystems,
auch die
Besatzungsmächte an gewisse Grenzen stießen. So gelang es z.B. den Amerikanern nicht, den
von ihnen gewünschten „organischen“ Parteienaufbau durchzusetzen. Ebenso scheiterten die
französischen Versuche, die Parteien ihrer Zone komplett von den Parteien anderer Zonen zu
isolieren. Das sich am Anfang vielerorts ein System mit vier Parteien herausbildete, hat seine
Ursachen eher darin begründet, dass an die Entwicklungen in Berlin, wo es zu den ersten
Parteigründungen kam, versucht wurde anzuknüpfen bzw. diesen zu begegnen, in dem man
selbst aktiv wurde. Jedoch sollte auch dieser Aspekt nicht allzu hoch bewertet werden, da
angesichts der erschwerten und eingeschränkten Kommunikationswege sich Informationen
nur sehr langsam und vage verbreiteten. Die unterschiedlichen Entwicklungswege besonders
der westdeutschen lokalen liberalen Parteien zeigen, dass eine Orientierung an ein System von
vier Parteien erst relativ spät, meist im Zuge der Gründung von Landesparteien, erfolgte und
dieses System nicht allzu lange Bestand hatte, da im Laufe der Zeit mehrere neue Parteien 284
zugelassen wurden.
Die von 1945-1953 für die Liberalen maßgeblichen Parteikonzeptionen waren die liberale
Volkspartei, die Milieupartei bzw. die Partei der breiten bürgerlichen Mitte/Mittelpartei und
die Rechtspartei. Während die beiden erst genannten bereits sehr früh große Anzugskraft
besaßen, gelang es der Rechtspartei erst allmählich ihre Bedeutung zu steigern. So waren die
ersten Jahre durch die Zwistigkeiten zwischen der LDP(D), die das Konzept der Volkspartei
vertrat, und der DVP, die als Prototyp Partei der breiten bürgerlichen Mitte gesehen werden
muss, bestimmt. Erst nach dem Ausscheiden der LDP(D) aus dem gemeinsamen
Dachverband der Liberalen gelang es den Vertretern des Prinzips der Rechtspartei zum neuen
Rivalen der Alt-Liberalen aufzusteigen. Das durch den Wegfall der LDP(D) entstandene
innerparteiliche Machtvakuum wurde von den Werbern des Rechtskurses erfolgreich genutzt.
Bereits mit dem Gründungstag der FDP begann der Kampf zwischen rechtem und linken
Flügel um die Ausrichtung der Gesamtpartei.
284
Als Beispiel seien hier nur lokale Parteien wie die Niedersächsische Landespartei (die spätere Deutsche
Partei) oder die Bayernpartei sowie Parteien mit z.T. deutschlandweiter Bedeutung wie das Deutsche Zentrum
oder der spätere Bund der Vertriebenen und Entrechteten zu nennen, die in ein Vier-Parteien-System einfach
nicht passten.
103
Jedes der drei Konzepte besaß auch gewisse Fehler bzw. beruht auf fehlerhaften
Einschätzungen, die sich allerdings erst mit zeitlichem Abstand erkennen lassen. So
unterschätzten die Befürworter der Mittelpartei, im geringeren Maße auch die des Konzepts
der liberalen Volkspartei, die Anziehungskraft die von einer interkonfessionellen Partei wie
der Union ausging bzw. waren davon ausgegangen, dass diese Partei bald wieder auf
politischen Katholizismus zurückgeworfen werden und faktisch wieder zum alten Zentrum
werden würde. Gleichzeitig überschätzten sie die eigene Bindungskraft, da sie wie
selbstredend davon ausgingen, im bürgerlich-protestantischen Milieu über kurz oder lang
ohne echte Konkurrenz zu sein. Zudem gingen die Hauptvertreter dieses Konzepts allzu sehr
von ihren lokalen bzw. regionalen Gegebenheiten und Traditionen aus, die allerdings nicht
auf andere Regionen Deutschlands übertragbar waren. Der Traditionsliberalismus wie er
Maier, Haußmann und Mayer vorschwebte verfügte lediglich im deutschen Südwesten sowie
in den beiden Hansestädten Hamburg und Bremen über die erforderliche Basis bzw. Milieu
und den Rückhalt, den es erforderte die Rolle einer Mittelpartei zu spielen. In andern Teilen
Deutschlands war diese Basis einfach zu schmal um Erfolge zeitigen zu können. Aus diesem
Grund sahen sowohl der Entwurf der Volkspartei als auch der Rechtspartei eine starke
Erweiterung dieser Basis vor. Während jedoch das Modell der Volkspartei eine liberale Mitte
als Zentrum für die Partei vorsah, von der aus dann nach links und rechts „erweitert“ werden
sollte, strebte das Konzept der Rechtspartei eine Verschiebung nach rechts an. Die Verfechter
der rechten Sammlungspartei waren zumindest zeitweise bereit, den Liberalismus
ausschließlich auf die Position des Antimarxismus zu reduzieren, also auf einige liberale
Grundsätze vorrübergehend zu verzichten, um durch den erhofften Zustrom der rechten
Kräfte die Partei deutlich zu verstärken. Dem gegenüber sah das Konzept der liberalen
Volkspartei vor, die freisinnigen Grundsätze beizubehalten und nur mit einigen
Erweiterungen zu versehen, um z.B. einen größeren Zuspruch bei der Arbeiterschaft zu
erzielen. Beide Konzepte vernachlässigten allerdings den Fakt, dass mit einer solchen
Veränderung der Grundsätze auch über kurz oder lang eine programmatische Veränderung
der Partei erfolgen würde, mit ungewissen Ausgang für ihre liberalen Wurzeln.
Bis 1953 konnte sich keines der drei Konzepte durchsetzten. Mit dem Ausscheiden der
LDP(D) aus der DPD und der immer stärker werdenden Gleichschaltung der LiberalDemokraten verlor das Konzept der liberalen Volkspartei sowohl seinen wichtigsten
Verstreter, als auch seine bis dahin durchaus vorhandene Attraktivität. Die Konzeption der
Rechtspartei hatte mit der Naumann-Affäre eine Rückschlag erlitten und war derartig
diskreditiert, dass der Plan, die FDP in eine rechte Sammlungspartei umzuwandeln, nicht
mehr weiter verfolgt wurde. Auch die Vertreter der Konzeption der Mittelpartei, also die
104
traditionell ausgerichteten Liberalen hatten durch die über Monate andauernde Südwest-StaatKrise an Ansehen verloren und bei der Bundestagswahl empfindliche Einbußen hinnehmen
müssen. Zudem bedeutete diese Wahlschlappe sowohl das Ende der so mühsam
aufrechterhaltenen Koalition als auch der Ära des Ministerpräsidenten Reinhold Maier. Zum
Ende 1953 wurde damit begonnen eine gänzlich neue Konzeption, die der Korrektivpartei, zu
erarbeiten. Dieses Konzept wurde allerdings erst
ab 1954 mit der Übernahme des
Parteivorsitzes durch Thomas Dehler ernsthaft betrieben, so dass es in dieser Arbeit nur
benannt, aber nicht analysiert wurde.
Die Kontroversen zwischen Berlin (LDP(D)) und Stuttgart (DVP) können als eine
Wiederholung des alten Konfliktes aus der Frühzeit der liberalen Bewegung betrachtet
werden. Wie bereits in der Paulskirche und später im Preußischen Landtag ging es auch 19451948 um die Fragen, ob der Einheit oder der Freiheit der Vorzug zu geben sei. Während Külz
als LDP(D)-Vorsitzender ersehnte durch Einheit zur Freiheit zu gelangen, bestanden Mayer
und die Führung der DVP auf dem Grundsatz, dass nur durch Freiheit auch die Einheit
errungen werden könnte. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass den Liberalen der SBZ die
Freiheit sicher ebenso wichtig war wie ihren Pendants im Südwesten, jedoch sahen sie in der
Wiederherstellung der deutschen Einheit den einzigen Weg, diese Freiheit wiederzugewinnen.
Die späteren Differenzen zwischen dem linken und dem rechten Flügel der FDP erscheinen
oberflächlich betrachtet ebenfalls als eine Neuauflage der Streitigkeiten zwischen NationalLiberalen und Liberal-Demokraten zu sein, dies ist jedoch nicht der Fall, da es bei diesen
Auseinandersetzungen viel mehr darum ging, ob die FDP künftig eine dezidiert liberale Partei
bleiben sollte oder in eine Rechtspartei mit liberalen Elementen umgewandelt werden würde.
Es ging hierbei also mehr um den Fortbestand der FDP als Partei des politischen Liberalismus
oder um einen grundsätzliche Wechsel ins rechts-nationale Lager. Zwar ließen die
Exponenten des Rechtskurses wie Euler oder Middelhauve ihrer rechten Rhetorik keine
wirkliche nationalistische Politik folgen, jedoch wurde mit der Naumann-Affäre sehr deutlich,
dass die Gefahr der Umgestaltung der FDP in eine rechts-nationale Partei bestanden hatte und
bei einem Erfolg des „Deutschen Programms“ wohl auch kaum zu verhindern gewesen wäre.
Inwieweit gelang es die eingangs erwähnten Hauptziele der liberalen Bewegung zu
verwirklichen?
Bei dieser Beurteilung muss zwischen den Entwicklungsverläufen in Ost und West
unterschieden werden.
Lange Zeit hatten die führenden Köpfe der LDP(D) dem Ziel der deutschen Einheit alles
andere untergeordnet und hatten vielen Einengungen der individuellen sowie wirtschaftlichen
Freiheiten nicht entgegengewirkt bzw. diesen sogar zugestimmt. Erst ab 1948 wurde der
105
Versuch unternommen, einen Oppositionskurs gegen die SED einzuschlagen, was allerdings
die bereits begonnene Gleichschaltung der Partei nicht mehr aufhalten konnte. So konnte die
LDP(D) auch nicht die Tatsache nutzen, dass sie die einzige liberale Partei war, der es je
gelang eine Massenpartei zu werden. Die Liberal-Demokraten waren zudem die einzige
liberale Partei die sich bis 1953 auf ein Parteiprogramm einigen konnte. Unter dem
anhaltenden Druck von SED und SMAD gelang es ihr jedoch nicht, diese Umstände zu ihrem
Vorteil zu nutzen und liberale Politik zu betreiben. Mit der von SED und SMAD initiierten
Gründung der NDPD wurde zudem die Einheit der Liberalen „von außen“ beendet, so dass
die Einheit der Liberalen nicht mehr bestand. Spätestens als der von der SED protegierte und
in der eigenen Partei zutiefst verhasste Hans Loch zum alleinigen Vorsitzenden wurde, konnte
die
LDP(D) nicht mehr als anti-sozialistische Partei bezeichnet werden. Der neue
Vorsitzende versuchte vielmehr eine Theorie des „neuen Liberalismus“ zu konstruieren, die
den Aufbau des Sozialismus als ein ur-liberales Ziel definierte, die Überwindung des
„Individualismus“ propagierte und die Umwandlung der LDP(D) in eine sozialistische Partei
forderte.
In diesem Sinne war die LDP(D) als die Vertreterin der liberalen Volkspartei bei der
Durchsetzung der eingangs benannten Ziele am wenigsten erfolgreich. Weder gelang es die
liberalen Bürger- und Freiheitsrechte zu verteidigen noch die Marktwirtschaft zu verteidigen.
Die Einheit der Liberalen konnte nicht aufrecht erhalten und die deutsche Teilung nicht
überwunden werden. Obwohl diese Misserfolge zu einem Großteil „künstlich“ und „von
außen“ herbei geführt wurden, wurden die Liberal-Demokarten doch auch Opfer ihrer eigenen
Politik. Dadurch, dass vielen führenden Köpfen der LDP(D) der Erhalt der Partei zur einzigen
Maxime geworden war, sie sich daher letztlich allen Wünschen von SMAD und SED
beugten, erleichterten sie die Gleichschaltung ihrer eigenen Partei beträchtlich und wurden in
letzter Konsequenz durch SED-treue Kräfte ersetzt.
Die westdeutschen Liberalen waren mit der Gründung der FDP in einer gemeinsamen Partei
organisiert. Somit gelang es zumindest auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik die
Einheit der liberalen Strömungen vorerst sicher zu stellen. Durch diese, wenn auch mühsam
aufrecht erhaltene, Einheit der Liberalen wurde es möglich die Ziele des Liberalismus
durchzusetzen. Bereits im Wirtschaftsrat der Bi-Zone, wo die Liberalen als strikte Verfechter
der Marktwirtschaft auftraten, bildete sich eine Lagerkonstellation, die der späteren
Bundestagskoalition aus Christdemokraten, DP und FDP in weiten Zügen entsprach, so dass
diese Institution als Vorort des späteren Regierungsbündnisses gelten kann. Da die Delegation
der Liberalen im Wirtschaftsrat stark von den Vertretern des Rechtskurses dominiert wurde,
war die strikte Frontstellung, die diese Fraktion gegenüber der SPD einnahm, nicht
106
verwunderlich. Durch ihre konsequente Haltung erreichten die Beauftragten der FDP, dass die
bis dato noch unentschlossenen Christdemokraten auf ihre marktwirtschaftliche Linie
einschwenkten. So gelang es, die Pläne zur Sozialisierung der Wirtschaft, die von der SPD
aber auch von Teilen der CDU vertreten wurden, scheitern zu lassen.
Im Parlamentarische Rat zu Bonn vertrat die liberale Fraktion, in der die Vertreter der
Mittelparteienkonzeption federführend waren, eher eine Mittlerrolle zwischen den beiden
großen Parteien CDU und SPD, ganz wie es diesem Konzept entsprach. Durch dieses
Vorgehen waren Entscheidungen fast nur durch die Aushandlung von Kompromissen
möglich, so dass es hierüber zum ersten großen Konflikt zwischen den späteren Flügeln der
FDP kam, da besonders die Parteirechte eine kämpferisches Eintreten für die liberale Linie,
selbst um den Preis des Scheiterns, bevorzugt hätte. Dennoch gelang es den Liberalen, im
Parlamentarischen Rat durch ihr Taktieren sowohl den Klerikalismus, den ein Teil der
Christdemokraten befürworteten, als auch den Sozialismus der Sozialdemokraten in seine
Schranken zu verweisen und einen relativ gut ausbalancierten Verfassungsentwurf
mitzuerarbeiten.
Der relative große Erfolg der FDP bei der ersten Bundestagswahl ermöglichte eine
bürgerliche Koalition in der die Liberalen ihre Vorstellungen mit einbringen konnten. Da eine
Koalition von CDU/CSU und SPD vermieden werden konnte, die eine stärkere Sozialisierung
bzw. Verstaatlichung der Wirtschaft zur Folge gehabt hätte, gelang es den Liberalen z.B. ihre
marktwirtschaftlichen Vorstellungen in der Bundesrepublik durchzusetzen. Die soziale
Marktwirtschaft von Ludwig Erhard wäre ohne die FDP nicht möglich gewesen. Dadurch,
dass sie die Kräfte der Liberalen bündelte, gelang es der FDP sowohl den sozialistischen
Vorstellungen der SPD und des linken Flügels der CDU, als auch dem Klerikalismus den
Teile der CDU befürworteten wirksam entgegen zu treten.
Bis auf die deutsche Einheit, die angesichts der weltpolitische Lage nicht möglich war, hatten
also die westdeutschen Liberalen die meisten gesellschaftspolitischen Ziele erreicht. Selbst
die Einigung der liberalen Kräfte war ihnen gelungen.
Diese Einigkeit muss allerdings als äußerst fragil angesehen werden, da aufgrund der heftigen
Flügelkämpfe die Partei mehrfach kurz vor der Spaltung stand. Jedoch wurde diese stets
vermieden, trotz aller Differenzen wollte niemand eine Auseinanderbrechen der FDP
riskieren. Diese Flügelkämpfe erreichten ihren Höhepunkt 1952, als jedes Lager mit dem
„deutschen Programm“ und dem „Liberalen Manifest“ jeweils ein eigenes Programm für die
Gesamtpartei vorlegten. Nur die Tatsache, dass beide Lager im Laufe der nächsten Monate
durch Südwest-Staat-Krise bzw. Naumann-Affäre geschwächte, waren bewarte die FDP vor
einem existenzbedrohenden finalen Flügelkampf.
107
Dennoch zeigen auch diese Flügelkämpfe wie wichtig allen Liberalen der Erhalt der Einheit
ihrer Partei war. Selbst 1952/53, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen
linkem und rechtem Flügel, forderte niemand die Abspaltung. Das äußerste Maximum ist der
während der Südwest-Staat-Krise aufkommende Vorschlag der DVP einen ähnlichen Status
zuzugestehen wie der CSU innerhalb der Christdemokratie. Man war zwar bereit, sich von
den Stuttgartern zu distanzieren und verlangte z.T. auch Parteistrafmaßnahmen gegen
führende Köpfe der Südwest-Liberalen, aber eine endgültig Separation wurde weder gefordert
noch erwünscht. Immer wenn sich die innerparteilichen Konflikte extrem zuspitzten, suchten
selbst so kämpferische Exponenten wie Euler und Maier lieber durch Kompromisse,
Proporzregelungen und Absprachen die Situation zu entschärfen, als es auf die Existenz der
FDP gefährdende Kampfabstimmungen ankommen zu lassen. Um die Einheit der Liberalen
zu erhalten war man bereit, sehr weit zu gehen und die z.T. beträchtliche Unterschiede
zwischen rechtem und linkem Flügel zu tolerieren. Diese Handhabung verlangte allerdings
auch eine gewisse programmatische Unschärfe, um den „Burgfrieden“ zwischen den beiden
innerparteilichen Kontrahenten zu bewahren, so musste z.B. auf ein Parteiprogramm der FDP
verzichtet werden. Die zeitgenössische Einschätzung, dass sich unter dem Dach der BundesFDP nicht nur zwei Flügel, sondern Anfang der 50er Jahre sogar zwei ideologisch
selbständige Parteien gegenüberstanden, mag angesichts des „Deutschen Programms“ und des
„Liberalen Manifests“ durchaus zutreffend sein, aber viel wichtiger war, daß diese beiden
Lager unter diesem einen Dach blieben. Nicht die Frage, ob die FDP der Gründerjahre der
Bundesrepublik nur teilweise eine liberale Partei war ist hierbei entscheidend, sondern die
Tatsache, dass es sich im Gegensatz zur Weimarer Republik und zum Kaiserreich um eine
Partei handelte. Denn dieser Punkt erst ermöglichte es den Liberalen in diesen Jahren eine
entscheidende Rolle bei der Wiederbegründung eines demokratischen Parteiensystems in
Deutschland zu spielen. Um sich in dieser Rolle allerdings weiterhin behaupten zu können,
mussten, wie die Bundestagswahl 1953 deutlich zeigte, gänzlich neue Wege beschritten
werden.
108
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Wahlergebnisse von 1946-1953 in: Wahlen in Deutschland: www.election.de
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15. Ehrenwörtliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfe Dritter
verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Die
Passagen, die aus Veröffentlichungen stammen, sind kenntlich gemacht.
Diese Arbeit lag in gleicher oder ähnlicher Weise noch keiner Prüfungsbehörde vor und
wurde bisher noch nicht veröffentlicht.
Marco Kirchhof, im Januar 2007
117
16. Danksagung
Hinweise, Ratschläge und offene Ohren – all das hat zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen.
Aus diesem Grund möchte ich mich bei allen, die mir geholfen haben, an dieser Stelle herzlich
bedanken:

bei Herrn Professor Dr. Jürgen Dittberner für die ausgezeichnete Betreuung

bei meinen Eltern, die mich während des gesamten Studiums unterstützt haben

bei Lisa Teichmann, für die Korrektur am Rohmanuskript sowie ihren ideellen Beistand

bei den Teilnehmern von Professor Dittberners Diplomkolloquium für ihre Ratschläge
Marco Kirchhof
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