Max Rheinstein - Deutsch-Amerikanische Juristen

Werbung
Max Rheinstein
1899 - 1977
Max Rheinstein gilt als einer Pioniere der modernen Rechtsvergleichung im Privatrecht.1
Forschung und Lehre auf diesem Gebiet waren sein Lebensinhalt. Zugleich war er ein großer
Förderer des transatlantischen Gedanken-, Wissenschaftler- und Studentenaustauschs. Sein
wissenschaftliches Wirken fand Anerkennung durch zahlreiche Einladungen zu Gastvorlesungen
und –professuren innnerhalb und außerhalb der USA, die Verleihung der Ehrendoktorwürde
durch mehrere europäische Rechtsfakultäten und die Ernennung zum Honorarprofessor an der
Universität Freiburg. Die Gründung der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung im Jahre
1975 geschah aus dem Geiste des transatlantischen Mittlers und Rechtsvergleichers Max
Rheinstein. Er hat ihre Entstehung nachdrücklich begrüßt (siehe sein "Grußwort" im Newsletter
Nr. 2/75) und ihre weitere Entwicklung in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb, mit großer
Sympathie verfolgt. Die DAJV hat ihn in einem der ersten Newsletter (Nr. 2/76) und durch
Ernennung zum Ehrenmitglied, durch Geburtstagsglückwünsche und schließlich durch einen
Nachruf ausführlich gewürdigt2
Max Rheinstein wurde am 5. Juli 1899 in Bad Kreuznach geboren. Nach dem Tod des Vaters und
dem Umzug nach München mit seiner Mutter studierte er dort ab 1919 Jura. 1922 bestand er das
Referendarexamen, 1924 wurde er zum Dr. jur. promoviert, und 1925 legte er das
Assessorexamen dort ab. In München begann er auch seine wissenschaftliche Laufbahn – ab 1920
als sog. „Bücherwart“ an dem 1916 von Ernst Rabel gegründeten Institut für Rechtsvergleichung
1
Siehe die Würdigungen von Wolfgang Frhr. v. Marschall, Max Rheinstein, in: Marcus Lutter/Ernst C.
Stiefe/Michael Hoeflich, Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in
Deutschland, Tübingen 1993 (Vorträge und Referate des Bonner Symposiums im September 1991), S. 333-341;
Konrad Duden, Max Rheinstein: Leben und Werk, in: Ius Privatum Gentium, Festschrift für Max Rheinstein, hrsg.
von Ernst v. Caemmerer, Soia Mentschikoff und Konrad Zweigert, Bd. I, Tübingen 1969, S. 1 ff.; Nadine Rinck, Max
Rheinstein – Leben und Werk. Studien zur Rechtswissenschaft Bd. 262, Hamburg 2011; Ulrich Drobnig, Max
Rheinstein, in: Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, hrsg. von Stefan
Grundmann/Michel Kloepfer/Christoph G. Paulus et al., Berlin 2010, S. 627-654; Reimer von Borries, Einleitung
des Herausgebers, in: Max Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 2. Aufl. München 1987, S. 1 ff..
2
Siehe die Nachrufe von Andreas Heldrich (NJW 1977, 1573), Hans G. Leser (JZ 1977, 613-615), Konrad Zweigert
(RabelsZ 42 (1978) 1 ff., Gerhard Casper (U. of Chicago Law Review 1978 p. 511 ff.), Mary Ann Glendon (ebda p.
516 ff.).
2
und ab 1922 als dessen Assistent.3 Als Rabel 1926 Direktor des neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts
für ausländisches und internationales Privatrecht in Berlin wurde, folgte er ihm dorthin als
Assistent, Bibliothekar und Verwaltungsreferent des Instituts. In Berlin lernte er auch seine Frau
kennen, die als Bibliothekarin am benachbarten Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches
öffentliches Recht und Völkerrecht tätig war. Beide Institute waren im Berliner Schloß
untergebracht. Rheinstein wirkte u.a. an den ersten Vorarbeiten für die Vereinheitlichung des
internationalen Kaufrechts mit und verfasste 1929 einen detaillierten Bericht darüber für das
Institut4. 1932 habilitierte er sich mit einer (bis heute geschätzten) Arbeit über „Die Struktur des
vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht“. Anschließend wurde er
Privatdozent an der Friedrich-Wilhelm-(heute: Humboldt-)Universität mit einer venia legendi für
deutsches und ausländisches Bürgerliches Recht5, während er gleichzeitig im Kaiser-WilhelmInstitut arbeitete. Die Zusammenarbeit mit Rabel hat ihn lebenslang geprägt: Was ihn faszinierte
und für die wissenschaftliche Arbeit motivierte, war – wie er später formulierte – „Rabels
Enthusiasmus für Rechtvergleichung, für Lebensnähe, für realistische Rechtsbetrachtung, aber
auch seine Überzeugung von der Notwendigkeit klarer Dogmatik und begrifflicher Schärfe und
sein tiefes Gefühl für die Verantwortung des Rechtlehrers und Rechtsdenkers“.6
Im Wintersemester 1932/33 hielt Rheinstein seine erste Vorlesung, eine „Einführung in das
Privatrecht Englands und der Vereinigten Staaten von Amerika“. Im Januar 1933 – zeitgleich mit
der Machtübernahme Hitlers - beantragte er ein Stipendium bei der Rockefeller Foundation für
einen Forschungsaufenthalt in den USA, das ihm im Juni 1933 zugesagt.7 Am 27. April 1933
3
Siehe dazu Elmar Wadle, Einhundert Jahre Rechtsvergleichende Gesellschaften in Deutschland, Baden-Baden
1994, S. 48/49. Das Münchener Institut wird von Wadle als „Keimzelle der durch Rabel geprägten modernen
Rechtsvergleichung“ in Deutschland bezeichnet, a.a.O (Fußnote 3), S. 57
4
Rabel erwähnt lobend die Mitarbeit Rheinsteins (u.a.) an dem Projekt des Einheitlichen Kaufgesetzes, siehe Ernst
Rabel, Der Entwurf eines Einheitlichen Kaufgesetzes in: Gesammelte Aufsätze Bd. III, Tübingen 1967, S. 525
Fußnote 5. Außerdem verfasste Rheinstein in dieser Zeit mehrere Rezensionen und Beiträge zum
„Rechtsvergleichenden Handwörterbuch“ von Schlegelberger.
5 Siehe dazu Drobnig (Fußnote 1) S. 627 ff. , und v. Marschall (Fußnote 1) S. 335
6 Max Rheinstein, Gedächtnisrede für Geheimrat Professor Dr. Rabel bei der Gedenkfeier der Juristischen Fakultät
der Freien Universität Berlin, JZ 1956, 135 f., 137; ders., Ernst Rabel, in: Festschrift für Ernst Rabel, hrsg.von Hans
Dölle, Max Rheinstein und Konrad Zweigert, Bd. I, 1954; ders., In Memory of Ernst Rabel, AJCL 5 (1956) 185. Aus
Rabels „Schule“ ist eine größere Anzahl von bekannten Rechtswissenschaftlern hervorgegangen, von denen einige
wie z.B. Friedrich Kessler ebenfalls in die USA emigrierten. Siehe Johannes Köndgen, Friedrich Kessler, ein
Grenzgänger zwischen den Disziplinen, in: Marcus Lutter/Ernst C. Stiefel/Michael Hoeflich, Der Einfluss deutscher
Emi granten auf die Rechtsentwickung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 287 ff
7 Zum Folgenden siehe v. Marschall (Fußnote 1) S. 336;. Anna Maria Gräfin v. Lösch, Der nakte Geist. Die
Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999.
3
wurde den „nichtarischen“ und als „politisch unzuverlässig“ geltenden Privatdozenten vom
preußiuschen Kultusminister „empfohlen“, ihre venia legendi nicht auszuüben. Diese (scheinbar
unverbindliche, in Wirklichkeit bindende) „Empfehlung“ galt auch für Max Rheinstein.8 Zum
Ende des Wintersemesters 1933/34 wurde ihm schießlich auch formell die Lehrbefugnis
entzogen, und er wurde in den Ruhestand versetzt; auch aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut schied
er im Herbst 1933 „nicht ganz freiwillig“ aus.9 Inzwischen war er im September 1933 nach New
York gereist, um an der Columbia Law School seine Tätigkeit im Rahmen des RockefelerStipendiums aufzunehmen. Ab Juni 1934 war er an der Harvard Law School Mitarbeiter mehrerer
amerikanischer Professoren. Danach entschied er sich angesichts der Diskriminierung und
Verfolgung von Bürgern „nicht-arischer“ Abstammung im nationalsozialistischen Deutschland10,
in den Vereinigten Staaten zu bleiben. 1935 lud ihn die University of Chicago zu
Gastvorlesungen ein, 1936 berief sie ihn auf den neu geschaffenen „Max Pam Chair for
Comparative Law“, zunächst als Assistant Professor, dann als Associate Professor, ab 1942 als
Full Professor. Er war damit einer der ersten Universitätslehrer für „Comparative Law“ in den
Vereinigten Staaten.11 Dass er dort relativ problemlos Fuß fassen konnte, beruhte darauf, dass er,
anders als viele andere in die Vereinigten Staaten emigrierte deutsche Juristen, bereits mit dem
anglo-amerikanischen Rechtssystem vertraut war,12 denn dieses war eines seiner Spezialgebiete
am Kaiser-Wilhelm-Institut.13
8
Siehe Anna-Maria Gräfin von Lösch, Der nakte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im
Umbruch von 1933, Tübingen 1999, S. 209.
9 Siehe Anna-Maria Gräfin von Lösch a.a.O. (Fußnote 8) S. 214/15.
10 Siehe Anna-Maria Gräfin von Lösch a.a.O. (Fußnote 8) und Rainer Schröder, Die Geschichte der Juristischen
Fakultät zwischen 1810 und 1945, in: Festschrift 200 Jahre Humboldt-Universität zu Berlin, a.a.O. (Fußnote 1) S. 3
ff., S. 96
11 Zuvor hatten in den USA schon H.C. Gutteridge, Roscoe Pound und John Wigmore Rechtsvergleichung
betrieben. Siehe David S. Clark, Development of Comparative Law in the United States, in: Mathias
Reimann/Reinhard Zimmermann, The Oxford Handbook of Comparative Law, New York 2008, S. 176
12 Mary Ann Glendon, The Influence of Max Rheinstein on American Law, in: Marcus Lutter/Ernst Stiefel/Michael
Hoeflich, Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland,
a.a.O.(Fußnote 1), S. 171
13 „(He was) well acquainted with the common law.“ (Mary Ann Glendon a.a.O. S. 171). Dagegen konnte Rabel, der
erst 1938 emigrierte, in den USA nur schwer Fuß fassen, obwohl Rheinstein sich intensiv darum bemühte,. seinem
früheren Lehrer den Weg zu ebnen und ihm eine Position an einer amerikanischen Universität zu verschaffen. Rabel
bedankte sich, indem er Rheinstein im Vorwort zu seinem Monumentalwerk „The Conflict of Laws“ als „the most
faithful of friends“ bezeichnete (Bd. I, S. xxv). Die University of Michigan ermöglichte Rabel schließlich die
Abfassung dieses grundlegenden rechtsvergleichenden Werkes (4 Bde. 1945 bis 1958, 2nd. ed. Bd. 1 – 3 1958 bis
1964).
4
Im Sommer 1945 wurde die Tätigkeit Rheinsteins an der University of Chicago Law School
durch die Berufung in die Rechtsabteilung der amerikanischen Militärregierung in Deutschland
(OMGUS) als Berater für deutsches Recht unterbrochen. Auf diese Weise kam er wieder nach De
Deutschand. Die Tätigkeit in der Miitärregierung und die Aufgaben, die er in deren Auftrag im
Ausschuss des Alliierten Kontrollrats zur Bereinigung und Reform des deutschen Rechts (ab
Februar 1946) zu erfüllen hatte, befriedigten ihn ganz und gar nicht.14 So kehrte er Ende 1946 an
die Universität Chicago zurück.15
Dort entfaltete er nun eine umfangreiche wissenschaftliche, organisatorische und Lehrtätigkeit.
1949 rief er ein „Comparative Law Research Center“ ins Leben - vermutlich mit dem Ziel, es zu
einem Forschungsinstitut nach dem Vorbild des früheren Berliner Rechtsvergleichungs-Instituts
auszubauen.16 Dies gelang ihm jedoch nicht, da er die dafür nötigen Mittel nicht mobilisieren
konnte. Erfolgreicher waren hingegen drei andere Initiativen Rheinsteins: das „German
Referendar Training Program“ (1950), das „Graduate Comparative Law Program“ für
ausländische Studenten zur Einführung in das amerikanische Recht mit einem M.C.L.-Degree als
Abschluss (1952) - das erste Programm dieser Art in den USA,17 Vorbild für zahlreiche spätere
LL.M.-Programme anderer amerikanischer Universitäten – und ein „Foreign Law Program“ für
amerikanische Studenten (1956). Für dieses lud er deutsche und französische Professoren als
Gastdozenten ein (u.a. Ulrich Drobnig, Wolfgang Frhr. v. Marschall, Murad Ferid und Peter
Schlechtriem).
1951 beteiligte Rheinstein sich an der Gründung der American Association for the Comparative
Study of Law18 und wurde Mitherausgeber des American Journal of Comparative Law. Diese
Initiativen, an denen auch zahlreiche andere Emigranten aus Deutschland beteiligt waren, trugen
Rheinstein war Leiter der „German Law Review Section“ von OMGUS. Dazu und zu OMGUS siehe Ernst C.
Stiefel/Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933-1950), Tübingen 1991, S.201 ff.;
Matthias Etzel, Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat (1945-1948),
Tübingen 1992, S. 56/57. Im September 1946 hielt Rheinstein an der Universität Marburg eine Reihe von
Vorlesungen
über Rechtssoziologie im Rahmen eines internationalen Ferienkurses. Hierbei stellte er einen Studentenaustausch
zwischen Deutschland und den USA in Aussicht, der aber zunächst nicht zustande kam; vgl. Ernst C. Stiefel/Frank
Mecklenburg aaO, S. 205.
15 Eine Gastprofessur Rheinsteins in Deutschland, die für 1947 vorgesehen war, kam nicht zustande. Ernst C.
Stiefel/Frank Mecklenburg aaO S. 205.
16 Rabel hatte die Schaffung von Rechtsvergleichungs-Instituten nach Berliner Vorbild in den USA angeregt: Ernst
Rabel, On Institutes for Comparative Law, 47 Col. L.R. (1947) S. 227 ff.,
17 Siehe v. Marschall (Fußnote 1) S. 339
14
5
wesentlich zur weiteren Verbreitung der Rechtsvergleichung in den Vereinigten Staaten bei. Sie
bestand für ihn aber nicht nur in der Erarbeitung von „Bücherweisheit“, sondern auch in der
persönlichen Begegnung von Juristen aus verschiedenen Ländern und im unmittelbaren Einblick
in das jeweilige „Rechtsklima“. So begann er eine umfangreiche Reisetätigkeit und hielt Vorträge
und Gastvorlesungen sowohl innerhalb der USA als auch in mehreren europäischen Ländern und
in Japan, die ihm zahlreiche Ehrungen einbrachten: Die Universitäten Basel, Aix-en-ProvenceMarseille, Löwen, Stockholm und Brüssel verliehen ihm die Ehrendoktorwürde; die Universität
Freiburg ernannte ihn zum Honorarprofessor. Er wirkte auch in internationalen Gremien und
Institutionen für Rechtsvergleichung mit, u.a. als Vizepräsident der Internationalen Fakultät für
Rechtsvergleichung in Straßburg. Die deutsche Gesellschaft für Rechtsvergleichung ernannte ihn
zum Ehrenmitglied. 1960 unternahm er im Auftrag der Rockefeller Foundation eine längere Reise
durch Afrika, um die Rechtsprobleme in den damals neu entstehenden afrikanischen Staaten zu
studieren und Vorschläge für eine „juristische Entwicklungshilfe“ zu machen.19
Im
Frühjahr
1965
kehrte
er
zu
einem
Gastseminar
über
deutsch-amerikanische
Rechtsbeziehungen und einer Vorlesung über amerikanisches Recht in das heimatliche München
zurück.20 Viele Jahre war es dann seine Gewohnheit, im Sommer einige Zeit in München und
anschließend in Bad Gastein im Salzburger Land zu verbringen. Diese Aufenthalte dienten nicht
nur der Erholung, sondern auch der konzentrierten Arbeit. Nachdem er 1968 in Chicago
emeritiert worden war, erwog er sogar eine Rückkehr nach Bayern. Jedoch entschloss er sich, in
den Vereinigten Staaten zu bleiben, und zog 1976 nach Palo Alto in Kalifornien (Sitz der
renommierten Stanford University). Im Sommer 1977 kam er wieder nach München, es war sein
letzter Besuch dort. Er starb am 9. Juli 1977 in Schwarzach-St.Veit (Österreich) auf der Fahrt von
München nach Bad Gastein im Alter von 78 Jahren.
Das wissenschaftliche Werk Rheinsteins umfasst mehr als vierhundert Veröffentlichungen –
Monographien,
Case
Books,
Zeitschriftenaufsätze,
Festschrift-
und
Handbuchbeiträge,
Buchbesprechungen und Rechtsprechungsübersichten.21 Außerdem verfasste er eine große Zahl
18
Seit 1992: American Society of Comparative Law
Siehe „Rechtsprobleme der Entwickungsländer: Recht und sozialer Wandel in Afrika“ in: Max Rheinstein,
Einführung in die Rechtsvergleichung, 2. Aufl. München 1987, S. 104 ff.; v. Marschall a.a.O. (Fußnote 1) S. 340
20 d.h. an den „Ausgangspunkt“ seiner Laufbahn, das „Institut für Rechtsvergleichung“; dieses wurde später mit
einem anderen Institut unter dem Namen „Institut für Internationales Recht“ zusammengelegt.
21 siehe die Bibliographie in Bd. 2 der Gesammelten Schriften S. 431-471.
19
6
von
Vorträgen,
Ansprachen,
Unterrichtsmaterialien
und
kürzeren
Beiträgen
zu
den
verschiedensten Anlässen, zu juristischen, philosophischen, historischen, politischen, kulturellen
und persönlichen Themen, von denen ein großer Teil nicht veröffentlicht ist.22 In seinen
Publikationen widmete er sich vor allem den Grundfragen der Rechtsvergleichung (insbesondere
der
Herausarbeitung
von
Unterschieden
und
Gemeinsamkeiten
zwischen
kontinentaleuropäischem und angloamerikanischem Recht) sowie den Rechtsgebieten, auf die er
sich in Chicago spezialisiert hatte: Kollisionsrecht (conflict of laws), Familienrecht und
Erbrecht.23 1971 erschien sein Casebook "The Law of Decedents' Estates" (in der 3. Auflage
zusammen mit Mary Ann Glendon), 1972 das rechtsvergleichend-rechtssoziologische Buch
"Marriage Stability, Divorce, and the Law". As Chief Editor betreute er den Band IV „Persons
and Family“ der International Encyclopedia of Comparative Law (hrsg. von Konrad Zweigert
und Ulrich Drobnig, den Direktoren des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und
internationales Privatrecht). Für diesen Band verfasste er zusammen mit dem Soziologen René
König (Köln) eine umfangreiche Einleitung. Für Band I der Enzyklopädie schrieb er den
Länderbericht über das Recht der Vereinigten Staaten. Es hätte angesichts des Werdeganges von
Rheinstein nahegelegen, dass er ein Lehrbuch oder Casebook zur Rechtsvergleichung verfassen
würde, wie es Rudolf B. Schlesinger tat.24 Dazu fand er nicht die Zeit, zumal sich die Materie
damals rapide weiterentwickelte. Die Kompilation verschiedener Texte von ihm zu diesem
Thema (aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet) in der „Einführung in die
Rechtsvergleichung“ muss daher das Fehlen einer systematischen Darstellung aus seiner Feder
ersetzen.25
22
Siehe The University of Chicago, Guide to the Max Rheinstein Papers 1869-1977. Die Sammlung umfasst 102
Schachteln bzw. Mappen von Schriften, Manuskripten, Kursmaterialien, Entwürfen, Beiträgen aller Art,
Korrespondenz und persönlichen Dokumenten. Das Inhaltsverzeichnis ist im Internet unter „Max Rheinstein“
einsehbar.
23 Daneben hatte er auch Vertragsrecht, Kaufrecht und Deliktsrecht (torts) gelehrt.
24 Das erste amerikanische Lehrbuch auf diesem Gebiet soll das Casebook „Comparative Law, Cases, Text, and
Materials“ von Rudolf B. Schlesinger (1950) gewesen sein. Es wurde zum Standard Casebook in vielen
amerikanischen law schools und erschien seither in mehreren Neuauflagen (mit weiteren Bearbeitern). Siehe
Friedrich K. Juenger, Schlesingers Influence on the Development of American Law, in: Marcus Lutter/Ernst C.
Stiefel/Michael H. Hoeflich (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in
Deutschland, a.a.O. (Fußnote 1), S. 255; Hein Kötz, Rudolf B. Schlesinger, ebda. S. 301, 306; Rudolf B. Schlesinger,
Recollections, ebda., S. 487 ff., 489. Rheinstein verfasste allerdings bereits 1939 ein rechtsvergleichendes Casebook
zum Kaufrecht „Cases and Materials on Comparative Law of Sales“ für den Unterricht an der Universität Chicago.
25 JuS-Schriftenreihe Bd. 17, München 1974, 2. Aufl. 1987, hrsg. von Reimer von Borries.
7
1969 wurde das Engagement Rheinsteins für die Rechtsvergleichung von seinen Fachkollegen
durch eine zweibändige Festschrift unter dem Titel „Ius Privatum Gentium“ gewürdigt.26 Sie ist
eine hommage an den Anreger, Forscher und Lehrer Max Rheinstein und trägt dazu bei, die
Facetten seiner Persönlichkeit und sein Rechtsverständnis lebendig zu halten. Aus Anlass seines
80. Geburtstages (den er leider nicht mehr erlebt hat) hat Hans G. Leser die (in z.T. schwer
zugänglichen amerikanischen Fachzeitschriften veröffentlichten) Aufsätze Rheinsteins und
sonstige Beiträge in einem zweibändigen Sammelwerk neu herausgegeben.27 Einige Aufsätze
sind bereits 1974 im Rahmen der „Einführung in die Rechtsvergleichung“ (wie erwähnt) auf
Deutsch veröffentlicht worden.28
Rheinstein war durch Ernst Rabels Methode der Rechtsvergleichung geprägt, die auf die Funktion
einer Rechtsnorm im jeweiligen Rechtssystem und in Wirtschaft und Gesellschaft abstellte, sich
also als „Interessenjurisprudenz“ – im Gegensatz zur sog. „Begriffsjurisprudenz“ – verstand.29
Dabei befürwortete Rheinstein eine „mehrdimensionale Betrachtungsweise“30, d.h. die
Einbeziehung von Rechtsgeschichte und Rechtssoziologie. Er sah die Aufgabe der
Rechtsvergleichung nicht nur in der Darstellung des begrifflichen Gehalts ausländischer
Rechtsnormen, sondern vor allem in der Herausarbeitung ihrer Funktion im jeweiligen Rechts-,
Wirtschafts- und Sozialsystem unter Berücksichtigung der „complex interaction of law, behavior,
and ideas“31. Dies erfordert nach seiner Auffassung einen multidisziplinären Ansatz („a
multidisciplinary study of law“32).
Bei seinem Verständnis der Rechtsvergleichung war Rheinstein nicht nur von der Methode
Rabels, sondern auch von der Rechtssoziologie Max Webers, den er als Student in München
26
Hrsg. von Ernst von Caemmerer, Soia Mentschikoff und Konrad Zweigert bei J.C.B. Mohr, Tübingen
„Gesammelte Schriften“, J.C.B. Mohr, Tübingen 1979
28 Siehe Fußnote 1
29 Max Rheinstein, Comparative Law and Conflict of Laws in Germany, 2 U. of Chicago Law Review (1934/35) 232
30 Heldrich a.a.O. 1573
31
Mary Ann Glendon a.a.O. S. 178. Siehe auch Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung,
Bd. 1, 1. Aufl. 1971, S. 27 bis 48; kritisch zum „Funktionalismus“: Ralf Michaelis, The Functional Method of
Comparative Law, in: Mathias Reimann/Reinhard Zimmermann a.a.O (Fußnote 1), S. 339 ff., S. 362
32 Mary Ann Glendon a.a.O. S. 175. Rheinstein hat versucht, dieses anspruchsvolle Konzept in seinem Buch über die
Ehestabilität beispielhaft umzusetzen. Zur heutigen Sicht: Susanne Baer, Interdisziplinäre Rechtsforschung. Was uns
bewegt, in: Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin 1810 bis 1945, S. 917 ff.
27
8
gehört hatte,33 und von der „sociological jurisprudence“ des amerikanischen Rechtsdenkers
Roscoe Pound beeinflusst. 1954 veröffentlichte er zusammen mit Eduard Shils eine Übersetzung
von Webers Rechtssoziologie ins Englische mit vielen Anmerkungen und einer umfangreichen
Einleitung aus seiner Feder.34 Das Werk gilt als ein wichtiger Beitrag zur Max Weber-Rezeption
in den USA.35 In einem Festvortrag bei der Tagung für Rechtsvergleichung in Regensburg i.J.
1969 stellte Rheinstein Max Webers Lehre von der maßgeblichen Rolle der „Rechtshonoratioren“
bei der Gestaltung des Rechts in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.36 Darunter verstand er in
Anlehnung an Max Weber diejenigen Personen(gruppen), die in einer Gesellschaft den
wesentlichen Einfluss auf die Rechtsordnung haben, also im modernen Rechtsstaat vor allem die
Richter: Sie bestimmen zwar nicht über den Erlass der Gesetze (law in the books), aber über ihre
Anwendung in der Praxis (law in action). Daher war für ihn die richterliche Rechtsfindung von
zentraler Bedeutung, verstanden als eine wertende Tätigkeit, nicht als ein quasi automatischer
Vorgang logischer Deduktion (im Sinne der „Begriffsjurisprudenz“): Sie enthält unvermeidlich
„ein Element schöpferischer Tätigkeit“ und schließt auch Rechtsfortbildung ein.37 Diese müsse
allerdings in Schranken gehalten werden, das könne aber nicht durch Rechtskonstruktionen und
institutionelle Vorkehrungen gelingen, sondern nur durch „politisches Feingefühl und moralische
Kraft“ der Richter.38
Von seiner Assistentenzeit bis zu seinem Tod hat Max Rheinstein sich wissenschaftlich und
pädagogisch mit den Gemeinsamkeiten und Besonderheiten von „civil law“ und „common law“
beschäftigt. Er hat in den USA die Kenntnis des kontinentaleuropäischen Rechts und in
Kontinentaleuropa die Kenntnis des angloamerikanischen Rechts gefördert39 und damit als
Max Weber war 1919/1920 Professor in München. Im Sommersemester 1919 las er über „Die allgemeinen
Kategorien der Geschichtswissenschaft“, im Wintersemester 1919/1920 über „Universale Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte“. Er starb noch während des Sommersemesters, am 14. Juni 1920.
34 Cambridge/Mass. 1966
35 Mary Ann Glendon a.a.O. S. 177/8: „a monumental contribution to sociology in general and legal sociology in
particular“.
36 RabelsZ 34 (1970) 1 ff. ; siehe dazu auch das Kapitel „Rechtsvergleichung und Rechtssoziologie“ in: Max
Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 2. Aufl. München 1987, S. 143 ff.
37 Siehe Josef Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung, Tübingen 1956
38 Siehe Rheinsteins Aufsatz „Wer wacht über die Wächter?“, JuS 1974, 409 ff. , 416 (Übersetzung und Neufassung
eines 1947 in den USA erschienenen Festschrift-Beitrages „Who watches the watchmen?“). Rheinstein hat hierbei
vermutlich vor allem an die herausgehobene Rolle der Richter im anglo-amerikanischen Rechtsbereich gedacht. Diese
Gedanken dürften inzwischen auch in Deutschland weitgehend Allgemeingut sein.
39 "a window on Europe for students and teachers of the United States and also a sympathetic interpreter of the
United States to Europeans" (John N. Hazard)
33
9
„Mittler“ zwischen den „Rechtskreisen“ gewirkt.40 Eine große Zahl von Juristen, vor allem seine
Chicagoer Austauschstudenten, erhielten von ihm wesentliche Anstöße für ihr juristisches
Weltbild, ihren beruflichen Werdegang und ihre persönliche Entwicklung.41 Rheinsteins direkter
Einfuss auf das amerikanische Recht war nach Auffassung seiner Schülerin Mary Ann Glendon
gering42,
u.a.
soll
seine
Untersuchung
zur
Ehestabilität
zur
Einführung
der
verschuldensunabhängigen Ehescheidung („nonfault divorce“) in den USA beigetragen haben.
Die von ihm geäußerte Kritik an den starren Regeln des traditonellen amerikanischen conflicts
law wurde zwar allmählich zu vorherrschenden Auffassung in der Wissenschaft43 und fand ihren
Niederschlag im Restatement Second on the Law of Conflicts of Laws (1971), allerdings nur
zögernd in der Rechtsprechung der amerikanischen (einzelstatlichen) Gerichte.44 Rheinstein hat
sich zwar für die Revision des ersten Restatement eingesetzt, war aber an den Arbeiten für das
Restatement Second nicht direkt beteiligt. Seine Wirkung dürfte vor allem darin bestanden haben,
dass er durch seine wissenschaftliche und Lehrtätigkeit wesentlich zur Verbreitung der
Rechtsvergleichung in den USA beigetragen hat – mit erheblichen (wenngleich nicht
„messbaren“) Folgen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung in den Vereinigten Staaten.45 Zu
seinem Einfluss in Deutschland schreibt Heldrich: „Eine ganze Generation der deutschen
Rechtsvergleichung nach dem Ende des 2. Weltkrieges hat unmittelbar oder mittelbar auch von
ihm die Schlüssel zum Verständnis des anglo-amerikanischen Rechtsdenkens erhalten.“
Ich fasse zusammen: Max Rheinstein hat sich über fünfzig Jahre lang als Forscher und Lehrer der
modernen Rechtsvergleichung gewidmet und sie auf den Spuren Ernst Rabels fortgeführt. Als
Forscher war er ein engagierter Verfechter ihrer Verbindung mit Rechtssoziologie und
Rechtstatsachenforschung. Als akademischer Lehrer wollte er seine Hörer und Leser dazu
motivieren, über die Grenzen der eigenen („nationalen“) Rechtsordnung „hinauszudenken“, und
40
Heldrich, Max Rheinstein, NJW 1977, 1573
Siehe v. Marschall, a.a.O. (Fußnote 1) S. 333 f.; Heldrich, a.a.O. (Fußnote 35), 1573
42
Mary Ann Glendon, a.a.O. (Fußnote 1) S. 171/2
43 Siehe Ulrich Drobnig, Max Rheinstein a.a.O. (Fußnote 1), S. 634/35; David Cavers, The Coice-of-Law Process,
1965 (mit einem Beitrag von Max Rheinstein)
44 Siehe dazu u.a. Friedrich Juenger, Choice of Law and Multistate Justice, 1993
45 Zur schnellen Verbreitung der Rechtsvergleichung an den amerikanischen law schools zwischen 1950 und 1990
siehe Friedrich K. Juenger, Rudolf B. Schlesinger, in: Lutter/Stiefel/Hoeflich (a.a.O. Fußnote 1), S. 257-259
(insbesondere durch das Wirken von Emigranten aus Deutschland wie Max Rheinstein, Rudolf B. Schlesinger, Stefan
A. Riesenfeld, Wolfgang G. Friedmann, Kurt Nadelmann und Arthur Nußbaum); David S. Clark, Development of
Comparative Law in the United States, in: The Oxford Handbook on Comparative Law, a.a.O. (Fußnote 7), S. 175 ff.;
41
10
ihnen die Fähigkeit vermitteln, mit anderen Rechtsordnungen „umzugehen“ und dabei die
Funktion der Rechtsnormen im politisch-sozialen Geschehen in den Blick zu nehmen. Besondere
Verdienste hat Rheinstein um den deutsch-amerikanischen Juristen- und Gedankenaustausch. In
den Würdigungen aus Anlass seines Todes kommt zum Ausdruck, dass er einen substantiellen
Beitrag zur Entwicklung der Rechtsvergleichung in Europa und in den USA im 20. Jahrhundert
geleistet hat. Dass diese in der heutigen „globalisierten“ Welt einen festen Platz hat, ist daher
auch dem unermüdlichen Wirken Max Rheinsteins geschuldet.46
Reimer von Borries
Mathias Reimann, Comparative Law and Private International Law, in: The Oxford Handbook on Comparative Law,
a.a.O. (Fußnote 7), S. 1362.
46 Zur Rechtsvergleichung heute siehe den Gesamtüberblick in The Oxford Handbook of Comparative Law, hrsg.
von Mathias Reimann und Reinhard Zimmermann, New York 2006. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung schuf
1976 ein Sonderförderungsprogramm für Studien amerikanischer Rechtswissenschaftler in Deutschland. Die
Stipendien erhielten zu Ehren Max Rheinsteins die Bezeichnung „Max Rheinstein Fellowships“.
Herunterladen