Prof. Manfred Nowak Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde! Ich möchte zuerst der Bruno Kreisky Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte sehr, sehr herzlich danken, dass sie mich heute mit diesem wichtigsten österreichischen Menschenrechtspreis auszeichnet. Es ist mir wirklich eine große Ehre, diesen entgegennehmen zu dürfen. Zweitens möchte ich auch ZARA, dir, Barbara, und allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von ZARA auch herzlich gratulieren zu diesem Preis. Es freut mich ganz besonders, dass wir gemeinsam geehrt werden, und ich möchte auch gerne allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte danken, dass sie es mir ermöglichen, im Rahmen dieses Instituts meine menschenrechtliche Arbeit durchzuführen. Ich möchte ganz kurz ein bisschen in die Vergangenheit schauen und danach in die Zukunft, wie ich die derzeitige Situation der Menschenrechte eher im internationalen Bereich einschätze. Menschenrechte haben sich immer in Wellenbewegungen entwickelt. Auslöser von neuen Menschenrechten und menschenrechtlichen Instrumenten sind leider immer sehr leidvolle Erfahrungen. Es bedurfte des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts durch den Nationalsozialismus – leider –, dass Menschenrechte überhaupt zu einer internationalen Angelegenheit wurden. Dann gab es in der zweiten Hälfte der 40er-Jahre wirklich eine Aufbruchstimmung. Menschenrechte wurden als eines der drei wichtigsten Ziele in der Satzung der Vereinten Nationen verankert. Innerhalb von drei Jahren kam es zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und zur Gründung des Europarates für die demokratischen Staaten Europas. Aber dann kam sehr schnell der Kalte Krieg, der sehr, sehr viel gelähmt hat in der Umsetzung dessen, was man sich im Jahr 1945 vorgenommen hat. Mit dem Ende des Kalten Krieges 1989 kam es wieder zu einer neuen Aufbruchstimmung, und die frühen 90er-Jahre waren geprägt von der Idee, eine neue Weltordnung zu schaffen, basierend auf den Werten der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte. Sehr, sehr viel ist in diesen 90er-Jahren dann auch geschehen. Sehr, sehr viele neue, innovative Schritte. Gerade die zweite Weltkonferenz der Vereinten Nationen, die hier in Wien stattgefunden hat, gab ganz wesentliche Anstöße, zum ersten Mal wurde wirklich die Universalität der Menschenrechte festgelegt. Die Unteilbarkeit aller bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wurde niedergelegt und vieles andere mehr. Dass zum Beispiel Gewalt gegen Frauen ein Menschenrechtsthema geworden ist, verdanken wir zu einem Gutteil der Wiener Weltkonferenz. Aber viel Weiteres ist geschehen in den 90erJahren: Die Verbindung von Frieden und Menschenrechten durch neue Friedensoperationen, in denen Menschenrechte ein ganz wesentliches Element sind. Oder die internationale Strafgerichtsbarkeit, wo die schwersten Menschenrechtsverletzungen zum ersten Mal auch wirklich individuell geahndet wurden vor internationalen Tribunalen – in Ex-Jugoslawien, in Ex-Ruanda. Aber insbesondere auch die Schaffung des internationalen Strafgerichtshofes, der für mich überhaupt eine der wichtigsten neuen Entwicklungen in den letzten zehn Jahren war. Oder denken Sie im Jahr 2000 an die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, die wirklich ein neues Paradigma geschaffen haben, indem die Armutsbekämpfung wirklich ins Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit gerückt wurde. Und wie Kofi Annan, einer der fünf Preisträger, auch in seinem viel beachteten Bericht „In Larger Freedom“ gesagt hat: „Die drei wichtigsten Ziele der Vereinten Nationen, und das heißt der internationalen Gemeinschaft, sind sehr eng zusammengerückt. Das sind internationale Sicherheit und Frieden, das sind Entwicklung und die Menschenrechte. Und es gibt keinen Frieden ohne Entwicklung, es gibt keine Entwicklung ohne Frieden und beide bedürfen aber der Menschenrechte.“ Das sind, glaube ich, ganz wesentliche Entwicklungen. Und dann kam der berühmte 11. September 2001, und damit hat leider eine neue Talfahrt begonnen, in der wir immer noch sind. Zum einen, weil die Durchsetzung dieser doch sehr wichtigen neuen Agenda – bis ins Jahr 2015 die Armut zu halbieren – und vieler anderer Entwicklungsziele sofort überlagert wurde, international durch eine sehr an der Sicherheit orientierte Form der Bekämpfung des Terrorismus, in den Vereinigten Staaten auch gerne als „Krieg gegen den Terrorismus“ apostrophiert. Das hat zu einer massiven Aushöhlung der Menschenrechte geführt. Zum einen eben, dass heute die Armut nicht geringer, sondern leider größer geworden ist, und zwar im Süden genauso wie im Norden. Dass die Kluft zwischen armen und reichen Menschen größer geworden ist als kleiner, ist eine sehr, sehr bedenkliche Entwicklung, denn die Armut ist die schwerste Menschenrechtsverletzung, die es überhaupt gibt. Zum Zweiten, dass durch den Kampf gegen den Terrorismus Grundsätze über Bord geworfen wurden, dass Menschenrechte, die als absolut gegolten haben, wie das Folterverbot, wieder in Frage gestellt werden. Denken Sie nur an Guantánamo, No Man’s Land für Leute, die des Terrorismus verdächtigt werden, oder an Folterskandale in Abu Ghraib, wo auch demokratische Staaten involviert sind. Aber nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Denken Sie auch an die CIA-Flüge, „Rendition“-Flüge in Europa, an geheime Lager in Europa, wo europäische Staaten sehr eng mit der CIA zusammengearbeitet haben und wahrscheinlich noch weiter zusammenarbeiten. Aber auch an vieles andere mehr, die Gefahr des totalen Überwachungsstaates im Namen des „Kampfes gegen den Terrorismus“. Daher gibt es momentan eine Stimmung, in der diese Aufbruchstimmung verloren gegangen ist und irgendwie der Dampf draußen ist aus dem, was wir derzeit versuchen zu verändern. Nur um das an ein paar Beispielen klarzumachen: Kofi Annan und alle werden dem zustimmen. Die Vereinten Nationen basieren noch immer auf der Welt des Jahres 1945, die sich aber radikal geändert hat. Wir brauchen eine grundlegende Reform der Weltgemeinschaft. Er hat sehr, sehr gute Vorschläge gemacht – auch im Bereich der Menschenrechte. Die Umsetzung ist äußerst halbherzig. Wir haben zwar zum Beispiel jetzt einen neuen Menschenrechtsrat, der die Menschenrechtskommission ersetzt hat, aber die Erfahrungen des ersten Jahres sind äußerst dürftig und besorgniserregend. Wir haben Versuche gestartet, das gesamte Vertragsüberwachungssystem zu verbessern, aber die Idee eines internationalen Gerichtshofes für Menschenrechte wird nicht einmal andiskutiert, weil man sagt, er sei völlig utopisch. Aber das gilt auch für andere Organisationen. Die OSZE ist in einer ständigen Krise, auch in einer wirklichen Identitätskrise. Wir denken an die schwersten Menschenrechtsverletzungen, die sich in vielen OSZE-Mitgliedsstaaten derzeit abspielen, ob das in Zentralasien oder in der Russischen Förderation ist und in vielen anderen Staaten. Selbst der Europarat, das Flaggschiff des Europarates – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte –, ist in einer tiefen Krise, und es ist wiederum die Russische Föderation, die verhindert, dass ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das das Verfahren vereinfachen soll, in Kraft tritt, und vieles andere mehr. Aber auch in der Europäischen Union merken wir, dass wir eigentlich mehr behindert werden, als dass etwas verbessert oder verändert würde. Es ist nicht ersichtlich, dass hier die Kräfte am Werk wären, die eine Verbesserung durchsetzen können oder wollen. Ein Beispiel dafür: Wir haben keinen Verfassungsvertrag und damit auch nicht die verbindliche Verankerung der Europäischen Grundrechtscharta. Eben jetzt wurde in Wien die Europäische Grundrechteagentur aus der Taufe gehoben als Ersatz für das Monitoringcenter für Rassismus und Xenophobie. Aber es ist ein sehr halbherziger Kompromiss. Österreich hat sich hier wirklich sehr, sehr dafür eingesetzt, dass sie ein starkes Mandat bekommt; aber letztlich ist es ein sehr schwaches Mandat, weil es keinen wirklichen Mut zu einer proaktiven Flüchtlings-, Migrations- und AusländerInnenpolitik trotz klarer demokratischer Notwendigkeit gibt. Es gibt keinen wirklichen Mut zu einer proaktiven und selbstbewussten Bekämpfung von Rassismus und Xenophobie, keine gemeinsame wirkliche Außenpolitik zu wichtigen Fragen der Europäischen Union, zum Nahen Osten etc. Alles, was wir heute brauchen – glaube ich –, ist eine neue Aufbruchstimmung und ich hoffe, dass die kommen wird. Ich hoffe, dass wir den tiefsten Punkt dieses Tales erreicht haben und dass es langsam wieder – es gibt Anzeichen – nach oben geht. Aber dazu bedarf es starker Staaten, die die Führungsrolle übernehmen, und auch starker Persönlichkeiten. Leider haben die Vereinigten Staaten – bisher kam es im Wesentlichen immer vom Norden – derzeit die moralische und politische Autorität verloren, hier wirklich als Verfechter der Menschenrechte eine neue Bewegung zu starten. Europa ist leider zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um in der internationalen Politik wirklich ein wichtiger Akteur zu sein, der neue Initiativen setzen kann. Zur Verbesserung der Situation der Menschenrechte sind wir auf den Süden angewiesen. Vielleicht kommen die neuen Entwicklungen aus dem Süden, aber auch da bin ich nach den letzten Erfahrungen durchaus skeptisch. Ich hoffe aber trotzdem, dass die nächsten Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten einen Präsidenten oder vielleicht eine Präsidentin hervorbringen werden, der oder die eine neue Initiative setzen wird, oder auch, dass es doch in Europa zu einer stärkeren gemeinsamen Politik auf der Basis eines wie immer gearteten Verfassungsvertrags und bindenden Grundrechtskatalogs und zu neuer Handlungsfähigkeit kommt. Oder dass auch wirklich im Süden neue wichtige Initiativen gesetzt werden, die wiederum eine neue Aufbruchstimmung schaffen, die wir dringend nötig haben, zur Bekämpfung sehr, sehr vieler gravierender Menschenrechtsverletzungen in der Welt. Danke vielmals!