Jahrgangsstufe 11

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Grundwissen Q 11-1
Bevölkerung und Wandel der Altersstruktur
Bevölkerung: Man versteht darunter die Einwohner eines abgegrenzten Gebiets ohne Rücksicht auf ihre Staatsoder Volkszugehörigkeit. Die Dynamik (Entwicklung) des Bevölkerungsprozesses wird durch drei Faktoren
bestimmt: Geburten (=Zahl der Kinder pro Frau); Sterblichkeit (= Lebenserwartung) und Migration (= Zu- und
Abwanderung). Aus dem Saldo der drei Faktoren resultiert die Höhe des Bevölkerungswachstums bzw. dessen
Schrumpfung.
Generatives Verhalten (= auf Fortpflanzung ausgerichtetes Verhalten): Dramatische Veränderung seit Mitte der
60er-Jahre. Gründe: verbesserte Möglichkeiten der Familienplanung durch zuverlässige Geburtenkontrolle
(Pille), Veränderungen in den Familien- und Geschlechterbeziehungen (Emanzipation der Frau,
partnerschaftliche Beziehungen, Ansprüche an Partnerschaft), Individualisierung der Lebensplanung (materielle
und individualistische Ansprüche), neue Anforderungen in der Arbeitswelt, Wandel in den Werten und
Einstellungen (Akzeptanz der Kinderlosigkeit, Konsumdenken).
Demografischer Wandel bezeichnet den typischen Wandel von Geburten- und Sterberate im Zuge der
Industrialisierung in Europa. Der erste demografische Übergang beschreibt den Wandel von der
Agrargesellschaft (bis ca. Mitte 19. Jh.: relativ stabile Bevölkerungszahlen bei hoher Geburten- und Sterberate)
zur Industriegesellschaft (Mitte 19. bis Mitte 20. Jh.: Bevölkerungswachstum durch Absinken der Sterberate
höhere Lebenserwartung, geringere Säuglingssterblichkeit; später auch Absinken der Geburtenrate). Der
zweite demographische Übergang beschreibt den Wandel von der Industriegesellschaft hin zur
Dienstleistungsgesellschaft ab Mitte des 20. Jhd., der durch kontinuierlich niedrige Geburten- und Sterberaten
gekennzeichnet ist. Die Folge ist eine Alterung der Gesellschaft sowie der Rückgang der Bevölkerungszahl.
Formen des Altersaufbaus: Der Altersaufbau verändert sich im Zuge des demografischen Wandels von einer
Pyramide über eine zerzauste Wettertanne zu der Form einer Urne bzw. eines Pilzes. Diese Tendenz wird sich
in den nächsten Jahrzehnten noch verstärken und kann auch durch den Faktor Migration nur wenig beeinflusst
werden.
Folgen der Alterung der Gesellschaft: Die veränderte Altersstruktur hat Auswirkungen auf die Altersversorgung
(Generationenvertrag und damit auf die Funktionsfähigkeit des Rentensystems). Regional wird der
Bevölkerungsrückgang in Deutschland sehr unterschiedlich verlaufen. Weitere Problemfelder sind: Anpassung
der Infrastruktur (Schulen, Altenheime,
Wohnungen etc.), Veränderung des sozialen Klimas durch die
zunehmende Zahl an Einzelkindern sowie älterer Menschen ohne familiäre Bindungen, steigende Bedeutung
der ‚Generation Silber‘ für Konsum und Marketing. In diesem Zusammenhang wird auch die Gefahr eines
grundsätzlichen Generationenkonflikts wegen der Verteilung der knappen finanziellen Ressourcen diskutiert.
Migration: Nach der Herkunft unterscheidet man Binnen- und grenzüberschreitende Migration, nach dem
Motiv freiwillige und erzwungene Migration. Deutschland ist schon seit langem ein Einwanderungsland. In den
50er- und 60er-Jahren bis zum Anwerbestopp 1973 erfolgte die Anwerbung von „Gastarbeitern“ aus dem
südlichen und südosteuropäischen Europa aus arbeitsmarktpolitischen Gründen. Auf die steigenden
Asylbewerberzahlen in den 80er- und 90er- Jahren reagiert die Politik mit einer Verschärfung des Asylrechts
(vgl. Art 16a GG) und dem Versuch, den Zuzug von Ausländern einzudämmen. Nach dem Ende des Ostblocks
kamen Spätaussiedler, d.h. Gruppen deutscher Herkunft aus diesen Ländern nach Deutschland. Geklärt werden
muss das Ziel der Einwanderung. Integration bedeutet die Eingliederung von Ausländern in die deutsche
Gesellschaft und Kultur, ohne von ihnen die Aufgabe ihrer kulturellen Identität zu verlangen. Assimilation
bedeutet dagegen Aufgabe der eigenen, ursprünglichen Kultur- und Verhaltensmuster und eine vollständige
Angleichung an die Kultur und Lebensweise des Aufnahmelandes. Wegen der sinkenden Bevölkerung ist die
Notwendigkeit von Migration als ein Lösungsansatz zur Linderung des demographischen Problems kaum
umstritten. Der limitierende Faktor ist die Höhe der Zuwanderung und die Integrationswilligkeit und –fähigkeit
der Aufnahmegesellschaft. Für eine gezielte und gesteuerte Einwanderungspolitik sind Kriterien für die
Zuwanderer nötig; allerdings findet um die gesuchten Immigranten ein internationaler Wettbewerb statt.
„FAMILIE“ und Wandel der Lebensformen
FAMILIENTYPEN: Die große Haushaltsfamilie (Vorindustrielle Zeit) umfasste mehrere Generationen, auch
wohnten z.T. Verwandte und familienfremde Personen (Gesinde) mit unter einem Dach. In der zweiten Hälfte
des 19. Jh. bildete sich mit der Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz beim wohlhabenden und gebildeten
Bürgertum(Kaufleute, hohe Beamte, Unternehmer)
die bürgerliche Kleinfamilie mit ihrer klaren
Rollenverteilung zwischen Mann und Frau heraus, die es bei den Arbeiterfamilien nicht gab, da hier meist alle
Familienmitglieder arbeiten mussten. In den Gründungsjahren der Bundesrepublik bis in die 1960er Jahre dem Golden Age of Marriage - war die Kern- oder Kleinfamilie der Normalfall (Paar mit Kindern  zwei
Generationen, Ehe aus Liebe, traditionelle Rollenverteilung: ♀ Ehefrau und Mutter nicht berufstätig,
verantwortlich für Haushalt und Kinder ♂ Vater als Ernährer). Die moderne Definition versteht unter Familie,
dass Elter(n), d.h. auch Alleinerziehende mit ihren Kindern zusammen leben (zwei Generationen als Kriterium)
FUNKTIONEN DER FAMILIE HEUTE
● Gesellschaftliche Reproduktion = Nachwuchssicherung
● Sozialisation und Erziehung der Kinder
● Platzierung der Nachkommen in der gesellschaftlichen Statushierarchie durch außerschulische Förderung und
Bildungsmotivation
● Regeneration = Erholung und Stabilisierung der Familienmitglieder
● Teilfunktionen, welche früher von der Familie wahrgenommen wurden, übernehmen gesellschaftlichen
Einrichtungen, z. B. Bildungsaufgaben /Kindergarten, Schule) oder Pflege- und Fürsorgeaufgaben
(Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime).
THESE VON DER FUNKTIONALEN SPEZIALISIERUNG: Wenngleich sich manche Funktionen im Zuge des
gesellschaftlichen Wandels verschieben, bleiben die Kernfunktionen von Familie erhalten. Die Familie verliert
also nicht alle Funktionen, sondern passt sich an: man spricht von funktionaler Spezialisierung als Wandel
innerhalb der familialen Funktionen.
MERKMALE DES WANDELS: (von Ehe und Familie seit den 60er-Jahren)
Modernisierung: „Enttraditionalisierung“ (Herauslösen von immer mehr Menschen aus traditionellen
Bindungen)
Individualisierung: „Individualisierung“ (Eröffnung vielfältiger Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten für den
Einzelnen) und „Pluralisierung“ (Aufkommen neuer Lebensformen). Die Folgen: Familienstrukturen ändern sich
dramatisch: Zunahme der Zahl der Ehescheidungen, Nichteheliche Lebensgemeinschaften, Verkürzung der
Familienphase durch spätere Geburten, geringere Kinderzahl, gestiegene Lebenserwartung nach der
Kinderphase, Anteil der Familienhaushalte fällt (nur noch 1/3), Rückgang der Zahl der Haushaltsmitglieder
Aber: Familiale Lebensformen sind beim Großteil der „familienrelevanten“ Altersgruppen vorherrschend.
AUFKOMMEN NEUER LEBENSFORMEN :
○ Allein Lebende (Singles)
○ Nichteheliche Partnerschaften und Ehepaare mit und ohne Kinder
○ Ein-Eltern-Familien
○ Binukleare Familien (Living apart together: Familie in zwei Haushalten)
○ Fortsetzungsehen („Patchworkfamilien“)
○ Commuter-Ehe bzw. -Familie („Pendler-Familien“: Beide Ehepartner haben getrennte Haushalte)
○ Gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit und ohne Kinder
Soziale Ungleichheit
Soziale Mobilität: Unter s. M. versteht man generell Bewegungen von Menschen zwischen sozialen Positionen
aller Art. Prinzipiell lassen sich zwei Ausprägungen unterscheiden:
Vertikale soziale Mobilität
Horizontale soziale Mobilität
= (Auf- oder Abwärts-)Bewegung zwischen
Positionen, die sich als besser oder schlechter, höher
oder tiefer klassifizieren lassen (z.B. Berufspositionen
mit höherem oder niedrigerem Einkommen oder
Ansehen). Dabei lässt sich unterscheiden zwischen:
Generationenmobilität
(intergenerationale
Mobilität): Kinder nehmen im Vergleich zu ihren
Eltern eine bessere oder schlechtere berufliche
Position ein. Karrieremobilität (intragenerationale
Mobilität): Auftreten von sozialer Mobilität innerhalb
des Lebenslaufs einer Person.
= Bewegung zwischen Positionen, die keine
Auswirkungen auf den sozialen Rang (Status) haben
(z.B.
Wechsel
des
Wohnortes
oder
des
Familienstandes).
Soziale Schicht: Zu einer s. S. werden Menschen mit ähnlichen „äußeren“ Lebensbedingungen
zusammengefasst. Wichtige Faktoren zur Ermittlung der Schichtzugehörigkeit sind die Berufsposition 
Sozialprestige, Einkommen und Vermögen, Bildung und Ausbildung, aber auch Macht und Einfluss. Die
„äußeren“, objektiven Lebensbedingungen beeinflussen dabei die Persönlichkeitsentwicklung und das
Verhalten eines Menschen und befördern die Herausbildung schichtspezifischer Mentalitäten und Lebensstile.
Bekannte Modelle unterscheiden nach Unter-, Mittel- und Oberschicht, die z.T. noch weiter unterteilt werden.
Soziale Milieus: S. M. fassen Menschen zusammen, die ähnliche Werte und Lebensweisen aufweisen, die also
gleichsam ‚subkulturelle‘ Einheiten innerhalb der Gesellschaft bilden. Nach diesem Modell lassen sich innerhalb
der Unter-, Mittel- und Oberschicht mehrere s. M. (z.B. Hedonisten, Konservative, Postmaterialisten)
nebeneinander finden, d.h. es erfolgt eine Differenzierung sowohl nach sozialen Schichten (Vertikalachse) als
auch zusätzlich nach Mentalitäten und Einstellungen (Horizontalachse).
Armut: Häufig wird eine Unterscheidung getroffen zwischen folgenden Armutsdefinitionen:
Absolute Armut: Durchschnittsverdienst von weniger
als einem US-Dollar pro Tag; Ressourcen-Armut;
bedeutet, dass Menschen allem über zu geringe
Geldmittel verfügen.
Relative Armut: weniger als 60 Prozent des
Durchschnittseinkommens des jeweiligen Landes;
Lebenslagen-Armut;
berücksichtigt
auch
Lebensbedingungen wie Ernährung, Bekleidung,
Wohnung, Bildung, Gesundheit, Bildung, Arbeitsplatz,
Einkommen, Ansehen etc.
Prekariat: Der Begriff umschreibt einen Personenkreis, der sich in instabilen und unsicheren
Beschäftigungsverhältnissen befindet, die keine Planungssicherheit für die Zukunft bieten können und der
deshalb auch unter Einkommensunsicherheit leidet.
Arbeitswelt im Wandel
Einteilung der Berufe nach der arbeitsrechtlichen Stellung:
Angestellte beziehen ein monatliches Gehalt und üben überwiegend geistige oder höhere technische
Tätigkeiten aus. Arbeiter verrichten körperliche Arbeitskraft gegen Lohn (häufig Stunden-/Stücklohn).
Allerdings verschwindet die Unterscheidung Arbeiter-Angestellter zusehends. Selbstständige sind entweder
Eigentümer eines Unternehmens oder als Freiberufler tätig. Beamte stehen in einem besonderen öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis.
Bei einer Einteilung der Erwerbstätigen nach Wirtschaftsektoren unterscheidet man: Primärer Sektor (Landund Forstwirtschaft, Bergbau, Fischerei), sekundärer Sektor (Industrie und Handwerk = weiterverarbeitende
Produktion) und tertiärer Sektor (Dienstleistungen, wie Handel, Verkehr, Bildung, Beratung, Verwaltung). Es
lassen sich konsumorientierte Dienstleistungen, die unmittelbar vom Verbraucher konsumiert werden von
produktionsorientierten Dienstleistungen, die indirekt zur Herstellung eines Produkts beitragen, unterscheiden.
Je nachdem, in welchem Sektor die meisten Erwerbstätigen arbeiten, spricht man von Agrar-, Industrie- oder
Dienstleistungsgesellschaft. Neuere Theorien verweisen auf die zunehmende Bedeutung des vierten Sektors,
des Informationssektors, der in allen anderen Bereichen zu finden ist und alle Tätigkeiten im Zusammenhang
mit Informationen umfasst.
Drei-Sektoren-Theorie von Jean Fourastié (Der Titel seines Werkes: Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts).
Nach Fourastié kommt es zu einer Verschiebung zunächst vom primären zum sekundären und dann vom
sekundären zum tertiären Sektor. Ursachen: Der technische Fortschritt führt zu einer enormen
Produktivitätssteigerung und damit auch Sättigung im Agrar- und im Industriesektor, wodurch Arbeitskräfte frei
und in den Dienstleistungssektor verlagert werden. Fourastié ging davon aus, dass eine
Produktivitätssteigerung im dritten Sektor kaum möglich sei und folglich langfristig Vollbeschäftigung herrschen
würde.
Der Wandel der Arbeitswelt zeigt sich an einer Abnahme des Normalarbeitsverhältnisses
(sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Vollzeit, fester Arbeitgeber, unbefristete Beschäftigung, Trennung
Wohnung- Arbeitsplatz) und einer Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit, Leiharbeit,
befristet, Telearbeit). Dadurch nimmt die Gefahr, dass Erwerbstätige nicht mehr von ihrem Gehalt leben
können und einen Zweitjob annehmen müssen, zu.
Schlüsselqualifikationen sind Kenntnisse und Fähigkeiten, die keinen direkten Bezug zur konkreten Berufspraxis
besitzen, sondern helfen, sich rasch in neuen Situationen zurechtzufinden, sich an die verändernden
wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen anzupassen und so die Beschäftigungsfähigkeit zu sichern.
Beispiele: Sozial-, Methoden-, Wissens-, Selbstkompetenz.
Zukunftstendenzen der Arbeitswelt: Nach Forschungserkenntnissen wird die Arbeit in Zukunft mobiler,
weiblicher, anspruchsvoller, wissensintensiver und individualisierter, was die Notwendigkeit verstärkt, das
Verhältnis von Freizeit und Arbeit auszutarieren („Work-Life-Balance“). Der Zukunftsforscher Horst W.
Opaschowski geht davon aus, dass die Menschen in Zukunft deutlich mehr für ihr Geld arbeiten müssen.
Sozialstruktur, Sozialstaat, soziale Sicherung
Sozialstruktur: Der Begriff der Sozialstruktur ist ein Schlüsselbegriff der Gesellschaftsanalyse, der auf die
dauerhaften und grundlegenden Wirkungszusammenhänge einer Gesellschaft verweist, in die die Individuen
eingebunden sind (Familien-, Bildungs-, Wirtschafts-, Vermögens-, Bevölkerungsstruktur).
Werte/ Wertewandel: Werte bieten dauerhafte Orientierungen, besitzen verhaltenssteuernde Funktion und
beziehen sich auf gesellschaftlich akzeptierte Positionen. Der Begriff des Wertewandels bezeichnet einen etwa
seit Beginn der 1960er Jahre einsetzenden Prozess in den westlichen Industrieländern, der zu umfassenden
Verhaltens- und Einstellungsänderungen geführt hat. Inglehart konstatiert einen Rückgang von Pflicht- und
Akzeptanzwerten und eine Zunahme sog. nicht-materieller (postmaterieller) Werte (Umweltschutz und
Emanzipation). Dagegen sieht Noelle-Neumann einen Werteverfall. Klages unterscheidet zwischen
zurückgehenden Pflicht- und Akzeptanzwerten (Disziplin, Fleiß, Gehorsam) und zunehmenden
Selbstentfaltungswerten (Emanzipation, Genuss, Kreativität).
Sozialer Wandel: Unter sozialem Wandel wird die tiefgreifende Veränderung der Sozialstruktur einer
Gesellschaft oder einzelner ihrer Bereiche in einem bestimmten Zeitraum verstanden. Modernisierung ist eine
der zentralen Theorien zur Erklärung des sozialen Wandels. Sie beschreibt den Übergang von einer
traditionalen Form von Gesellschaft bzw. Kultur hin zu moderneren Formen, etwa der Industriegesellschaft.
Begriff Sozialstaat: Der soziale Rechtsstaat (Art. 28 GG) bezeichnet einen Staat, der verfassungsgemäß nicht nur
die Grundrechte und persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten garantiert (Rechtsstaat), sondern auch
rechtliche, finanzielle und materielle Maßnahmen ergreift, um die Bürger in sozialer Hinsicht abzusichern,
ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen sowie ihnen soziale Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Dementsprechend fordert das allgemeine Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG) den Staat als Gesetzgeber auch auf,
für dessen konkrete Ausgestaltung Sorge zu tragen. Allerdings haben der Sozialstaat und die ihn realisierende
Sozialpolitik nicht die Aufgabe, völlige soziale Gleichheit herzustellen, aber die Verpflichtung, dem Bürger ein
menschenwürdiges finanzielles Existenzminimum zu sichern.
Prinzipien der sozialen Sicherung: Die Ausgestaltung des Sozialstaats folgt verschiedenen sozialethischen
Prinzipien. Das Prinzip der Solidarität (wechselseitige Verantwortung der Gesellschaftsmitglieder füreinander)
bedeutet auf horizontaler und vertikaler Basis die Umverteilung von Lasten und Leistungen zugunsten der
sozial Schwächeren. Das Prinzip der Subsidiarität meint, dass der Staat erst dann helfend eingreift, wenn
Selbsthilfe/Hilfe durch die Familie oder Hilfe durch Wohlfahrtsorganisationen nicht mehr möglich ist. Das
Äquivalenzprinzip bringt einen versicherungstypischen Wesenszug in den Sozialstaat ein: Man bekommt, was
man einzahlt. Staatliche Sicherung beruht auf den drei Säulen Versicherung (Beiträge, aus denen ein
Leistungsanspruch entsteht), Fürsorge (Hilfen für Bedürftige aus Steuermitteln) und Vorsorge (Leistungen für
Gruppen, die besondere Dienste für die Gemeinschaft erbringen).
Sozialversicherung: Die Sozialversicherung ist Teil der Sozialpolitik im Rahmen der sozialen Sicherung, die dem
Schutz des Bürgers vor Risiken in bestimmten Lebenslagen und vor materieller Not dient. Neben der
Sozialversicherung ist auch die Sozialhilfe Bestandteil dieser Politik. Die Sozialversicherung ist eine gesetzliche
Versicherung (Zwangsversicherung) für alle Arbeiter und Angestellten; ihre Pfeiler sind die Kranken-, Pflege-,
Unfall-, Arbeitslosen-, und Rentenversicherung. Finanziert wird die Sozialversicherung über die Sozialbeiträge
von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und staatliche Zuschüsse.
Sozialhilfe: Aufgabe der Sozialhilfe ist es, Menschen, denen es nicht gelingt, aus eigener Kraft ihre Existenz zu
sichern, die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen.. Sie ist in ihrer Höhe einheitlich
bemessen. So ist das Arbeitslosengeld II (ALG II) in Deutschland die Grundsicherungsleistung für erwerbsfähige
Hilfebedürftige, bei nicht erwerbsfähigen Personen heißt diese Hilfe Sozialgeld.
Grundwissen Sozialkunde Q 11-2
Definition Menschenrechte: Als Menschenrechte werden subjektive Rechte bezeichnet, die jedem Menschen
gleichermaßen zustehen. Das Konzept der Menschenrechte geht davon aus, dass alle Menschen allein aufgrund
ihres Menschseins mit gleichen Rechten ausgestattet und dass diese egalitär begründeten Rechte universell,
unveräußerlich und unteilbar sind. Die Idee der Menschenrechte ist eng verbunden mit der im Zeitalter der
Aufklärung entwickelten Idee des Naturrechts.
Die drei Generationen von Menschenrechten:
Freiheits- und Schutzrechte (Menschenrechte der „1. Generation“ – gelten als Abwehrrechte
bürgerliche,
politische Rechte); zu unterscheiden sind:
„äußere Freiheiten“: Schutz vor staatlichen Eingriffen in die persönliche Rechtssphäre,
z.B.: Recht auf Leben, Freiheit der Person, Verbot von Folter, Verbot von Ausweisung
„innere Freiheiten“: Schutz vor staatlichen Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre,
z.B.: Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit
Gleichheits-und Sozialrechte (Menschenrechte der „2. Generation“ – gelten als Individualrechte)
Fürsorge des Staates für seine Bewohner,
z.B.: Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung, Recht auf gerechtes Entgelt, Recht auf soziale Sicherheit
Entwicklungsrechte (Menschenrechte der „3. Generation“ – gelten als Kollektivrechte)
Wohlfahrtsziele der Staatengemeinschaft,
z.B.: Recht auf Frieden, Recht auf eine eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwickung, Recht auf
intakte Umwelt.
Beispiele für Fixierungen der Menschenrechte:
1689 Bill of Rights
1776 Virginia Bill of Rights
1776 Amerikanische Unabhänigkeiterklärung
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
1950 Europäische Menschenrechtskonvention
1966 UN- Sozialpakt (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)
Kennzeichen demokratischer Systeme
Volkssouveränität
Grundprinzip einer Demokratie; der Souverän (=Inhaber der Staatsgewalt) eines Staates ist das Volk, nicht ein
König oder Fürst;
Das bedeutet, dass die oberste Gewalt vom Volk ausgeht; um dies umzusetzen, sind (direkte oder indirekte)
Wahlen nötig (Wahlen zur Legitimation, Herleitung aus einem Akt des Souveräns; Staat ist Ausdruck und
Ausfluss des Bürgerwillens). Alle wichtigen Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) werden direkt oder
indirekt durch das Volk legitimiert.
Gewaltenteilung
Um Willkürherrschaft oder einem Missbrauch der Macht und Gewaltkonzentration vorzubeugen, ist es sinnvoll,
die staatliche Gewalt nicht in eine Hand zu geben, sondern sie zu teilen. Hier kann man zwischen horizontaler
und vertikaler Gewaltenteilung unterscheiden. Weitere Möglichkeiten der Gewaltenteilung sind „zeitlich,
konstitutionell, dezisiv und sozial“.
Bei der horizontalen Gewaltenteilung werden drei Bereiche Exekutive (ausführende Gewalt), Legislative
(gesetzgebende Gewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt) unterschieden. Diese Funktionen werden
unterschiedlichen Staatsorganen zugewiesen, die sich gegenseitig kontrollieren.
Unter vertikaler Gewaltenteilung ist zu verstehen, dass die jeweiligen Kompetenzen noch unterteilt sind; so
gibt es beispielsweise bei der Exekutive die Gliederung in Bund (Bundesregierung), Länder (z.B. Bay.
Staatsregierung), Kreise und Gemeinden.
(Die Bundesrepublik ist ein Beispiel für ein parlamentarisches System; hier spricht man von einer
Gewaltenverschränkung, da die Regierung [Exekutive] aus der Mehrheit des Bundestages [Legislative]
hervorgeht und sich auf diese stützt; dabei kommt der Opposition im Bundestag eine wichtige Kontrollfunktion
zu. Der Judikative kommt als vollkommen eigenständiger Gewalt eine besondere Rolle zu.)
Pluralismus geht von einer Vielzahl frei gebildeter politischer, wirtschaftlicher, religiöser, ethnischer und
anderer Interessengruppen aus, die untereinander in Konkurrenz stehen und um politischen und
gesellschaftlichen
Einfluss
ringen.
Die
Vielfalt
der
Interessen
und
Werte in einer Gesellschaft wird dabei nicht negiert oder unterdrückt, sondern als legitim und erwünscht
betrachtet. Konkret äußert sich Pluralismus z. B. in der Existenz unterschiedlicher Parteien und von
Interessenverbänden. Um trotz unterschiedlicher Interessen allgemein verbindliche Entscheidungen treffen zu
können, besteht die Notwendigkeit von Kompromissen. Die Legitimität einer Entscheidung ergibt sich aus der
Tatsache, dass alle relevanten Gruppen an der Kompromisssuche beteiligt sind.
Der Rechtsstaat stellt ein unverzichtbares Kernelement jeder freiheitlichen Demokratie dar und ist das
Gegenteil des Polizei- und Willkürstaats, in dem der Bürger in ständiger Überwachung durch den Staat und in
permanenter Unsicherheit vor staatlichen Übergriffen lebt.
Wichtigste Voraussetzung für den demokratischen Rechtsstaat ist die Unabhängigkeit der Justiz von Exekutive
und Legislative (Gewaltenteilung!), die notwendigerweise mit der Unabhängigkeit der Richter einhergehen
muss. Vom Staat garantierte und durchgesetzte Grundrechte sichern die Freiheit der Bürger. Die
Rechtssicherheit der Bürger wird z. B. dadurch gewährleistet, dass
eine Bestrafung ohne gesetzliche
Grundlage (nulla poena sine lege) oder eine rückwirkende Bestrafung ausgeschlossen sind. Diese
Bestimmungen dürfen auch nicht einfach dadurch unterlaufen werden, dass es eine Strafgewalt neben der
Justiz gibt (Rechtssprechungsmonopol der Justiz). Die Rechtsgleichheit besagt, dass alle vor Gericht gleich
behandelt werden müssen.
Die Inhaber öffentlicher Ämter (Verwaltung, Regierung) können grundsätzlich nur im Rahmen der Gesetze tätig
werden (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) und sind in ihrem Handeln an Recht und Gesetz gebunden (keiner
steht über dem Gesetz). Entscheidungen der Verwaltung können im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit
vor Gericht angefochten werden.
Der formale Rechtsstaat beschränkt sich dabei weitgehend auf die Einhaltung des formellen Verfahrensweges
und sieht vom Inhalt der Gesetze ab (Prüfung der Legalität = Gesetzmäßigkeit). Im materialen Rechtsstaat
hingegen darf sich auch das Parlament (oder gegebenenfalls der Volkssouverän) bei der Gesetzgebung nicht
über die Verfassung hinwegsetzen, welche die Grundrechte garantiert. Ziel ist die Orientierung an Prinzipien
wie Gerechtigkeit oder Menschenwürde und damit die Herstellung der Legitimität (Rechtmäßigkeit) staatlichen
Handelns.
Formen der Demokratie
Als Basis einer Demokratie muss immer das Prinzip der → Volkssouveränität im Mittelpunkt stehen. Zunächst
kann man zwischen repräsentativer und direkter Demokratie unterscheiden. Artikel 20 GG beschreibt, dass das
Volk seine Staatsgewalt unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen ausübt.
Direkte Demokratie: die politischen Entscheidungen werden vom Volk selbst durch Abstimmungen getroffen.
Die Bürger legen ohne ein Parlament allgemeingültige gesetzliche Regelungen fest. Ziel ist es, den Willen des
Volkes so unverfälscht wie möglich in politische Entscheidungen umzumünzen. In reiner Form gibt es dieses
System in modernen Staaten nur noch selten [Gründe: moderne Staaten sind zu groß, Überforderung der
Bürger, Schutz vor Demagogen (Volksverhetzern)]. Direktdemokratische Verfahren sind aber in viele
repräsentative Demokratien in Form von fakultativen und obligatorischen Referenden ergänzend eingebaut. In
Deutschland sind auf Länderebene und auf kommunaler Ebene plebiszitäre Elemente vorgesehen. Bayern liegt
ganz vorne mit seinen zahlreichen direktdemokratischen Elementen. Neben Volksbegehren und Volksentscheid
auf Landesebene wurde 1995 die direkte Demokratie auf Kommunalebene eingeführt (Bürgerbegehren/
Bürgerentscheide).
Repräsentative Demokratie: die politischen Sachentscheidungen werden nicht direkt vom Volk, sondern von
einer Volksvertretung getroffen. Die Abgeordneten besitzen ein freies Mandat. Durch
Mehrheitsentscheidungen (Wahlen) entscheidet das Staatsvolk, wer regieren soll. Diese Legitimation muss in
regelmäßigen Abständen erneuert werden (Neuwahlen/Periodizität). Außerdem muss es bei der Wahl
Alternativen geben (konkurrierende Parteien). Demokratie bedeutet also Macht auf Zeit Von der
repräsentativen Demokratie verspricht man sich mehr sachkundige als stimmungsabhängige Entscheidungen.
Politik machen Fachleute aus verschiedenen Sachgebieten. Ein Hauptkritikpunkt besteht in dem geringen Grad
an Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger.
Bei der repräsentativen Demokratie muss man noch einmal unterscheiden:
1. Parlamentarische Demokratie: Die wichtigsten politischen Entscheidungen werden von einem aus freier
Volkswahl hervorgegangenen Parlament getroffen. Es besteht eine Kompatibilität zwischen Mandat und
Regierungsamt, da die Regierung aus der Parlamentsmehrheit hervorgeht. Das Parlament (D: Bundestag)
kontrolliert die Regierung (D: Kanzler und Bundesminister). Es wählt den Regierungschef und kann diesen auch
abberufen (D: Konstruktives Misstrauensvotum). Der Regierungschef (D: Kanzler) besitzt innerhalb des
Kabinetts eine relativ starke Stellung (Richtlinienkompetenz, Vertrauensfrage). Ferner ist die Regierung
(Exekutive) dem Parlament gegenüber verantwortlich. Dem Parlament obliegt auch die Gesetzgebung. In
diesem System sind also Exekutive und Legislative relativ stark miteinander verschränkt (→
Gewaltenverschränkung). Eine besondere Kontrollfunkton im parlamentarischen System kommt der Opposition
zu, da sie nicht als Träger der Regierung gilt. Eine parlamentarische Demokratie ist grundsätzlich auf
Öffentlichkeit angelegt. Es debattiert und entscheidet vor dem Volk; sein Plenum tagt stets öffentlich.
2. Präsidentielle Demokratie: Ein Präsident als Staatsoberhaupt hat auch die Funktion des Regierungschefs
inne. Charakteristisch ist dessen relative Unabhängigkeit vom Parlament. Abgeordnetenmandat und
Regierungsamt sind nicht kompatibel. Der Regierungschef kann im Unterschied zu einer parlamentarischen
Demokratie nicht durch eine Parlamentsmehrheit abgesetzt werden, sondern nur aufgrund rechtlicher
Verfehlungen nach einem Amtsenthebungsverfahren (Impeachment).
Während in parlamentarischen Demokratien nur das Parlament direkt vom Volk gewählt wird und die
Regierung aus ihm hervorgeht, gibt es in präsidentiellen Demokratien zwei Volkswahlen, die Parlamentswahl
(Legislative) und die Präsidentenwahl (Exekutive). Wesentliche Funktionen des Präsidenten sind:
Regierungschef, Staatsoberhaupt, Oberbefehl über Militär und Außenpolitik. So besteht eine weitgehende →
Gewaltentrennung, einhergehend mit einer starken gegenseitigen Kontrolle (USA: Checks and Balances), d.h.
die verschiedenen Gewalten besitzen ausreichend Machtmittel, ihre Interessen zu verteidigen. Weil der
Präsident, um ins Amt zu kommen und in ihm zu bleiben, nicht über eine Parlamentsmehrheit verfügen muss,
kann es sogar dazu kommen, dass der Präsident gegen die Parlamentsmehrheit anderer Parteien regiert.
Parlamentarische Systeme im Vergleich: Deutschland und Großbritannien
Das parlamentarische Systems Großbritanniens entspricht in seinen Grundzügen dem System Deutschlands,
allerdings mit ein paar wichtigen Unterschieden. Grundsätzlich fehlt eine geschriebene Verfassung. Zu den
Quellen des britischen Verfassungsrechtes gehören daher das Common Law, also das durch vielfache
Präzedenzen geschaffene Gewohnheitsrecht sowie Konventionen, die meist der Begrenzung politischen
Handelns dienen. Das britische Verfassungsrecht verfügt über fünf Grundprinzipien, nämlich den Einheitsstaat,
die konstitutionelle Monarchie, die Parlamentssouveränität, repräsentative Demokratie sowie
Rechtsstaatlichkeit.
Bezüglich der Organe ist zunächst die stärkere Position des Premierministers im Vergleich zum deutschen
Bundeskanzler hervorzuheben. Der Premierminister hat innerhalb der Regierung die Richtlinienkompetenz,
ernennt die Mitglieder seines Kabinetts und koordiniert ihre Arbeit und die ihrer Ministerien. Die britische
Regierung ist zwar vom Vertrauen des Parlaments abhängig, jedoch kann der Premierminister jederzeit per
Konvention die Parlamentsauflösung durch die Monarchin verlangen. Weitere Unterschiede finden sich in der
parlamentarischen Struktur. Das britische Parlament ist als stark asymmetrisches Zweikammer-Parlament
organisiert, wobei das Unterhaus (House of Commons) gegenüber dem Oberhaus (House of Lords) dominiert.
Ähnlich wie beim deutschen Bundesrat werden die Mitglieder des Oberhauses nicht gewählt. Während der
Bundesrat aus Vertretern der Landesregierungen besteht, sitzen im Oberhaus Vertreter der anglikanischen
Kirche (Lords Spiritual) und Mitglieder des Adels (Lords Temporal). Letztere werden vom Premierminister
ernannt und sind mehrheitlich mittlerweile Life Peers (auf Lebenszeit ernannt). Die Kompetenzen des
Oberhauses im Gesetzgebungsprozess sind geringer als beim Bundesrat, der bei zustimmungspflichtigen
Gesetzen ein Vetorecht hat. Das Oberhaus hat lediglich ein suspensives (aufschiebendes) Veto, d.h. ein Gesetz
kann bis zu einem Jahr blockiert werden. Dadurch, dass das Unterhaus ein Redeparlament ist und es – anders
als im deutschen Bundestag – nur ein schwach entwickeltes Ausschusssystem gibt, bedeutet dies einen großen
Machtverlust gegenüber der Regierung. Ohne die Ausschussarbeit haben die Parlamentarier wenige
Möglichkeiten zu Sachexperten zu werden, so dass der Gesetzgebungsprozess von der Regierung dominiert
wird. Die Struktur der zweiköpfigen Exekutive (Erbmonarchin, Premierminister mit Kabinett) gliedert sich wie
folgt: Die Monarchin ernennt den Mehrheitsführer im Unterhaus zum Premier, und dieser ernennt wiederum
die Minister. Die Organisationsprinzipien sind die gleichen wie im deutschen System: Premierprinzip
(Richtlinienkompetenz und Organisationsgewalt des Regierungschefs), Kabinettsprinzip und Ressortprinzip.
Ein wesentlicher Unterschied in den beiden Systemen betrifft schließlich die Verfassungsgerichtsbarkeit.
Verfassungsrechtlich ist die Souveränität beim britischen Parlament verortet (Parlamentssouveränität). Eine
geschriebene Verfassung als normativer Maßstab zur Prüfung von einfachen Normen auf ihre
Verfassungskonformität fehlt. Eine eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeit konnte sich daher in
Großbritannien lange Zeit nicht entwickeln. Seit 2009 gibt es aber einen Supreme Court, der in Zivilsachen nun
die oberste gerichtliche Instanz in Großbritannien ist.
Präsidentielle Regierungssysteme am Beispiel der USA
Der Präsident fasst in sich drei Positionen (Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber)
zusammen, die in vielen anderen Ländern von mindestens zwei Personen wahrgenommen werden. Obwohl er
also die Verkörperung der amerikanischen Bundesexekutive schlechthin ist, so wird er doch durch das System
der Checks and Balances vom Kongress (Legislative) und den Bundesgerichten (Judikative) kontrolliert. Dem
Gedanken der strikten Gewaltenteilung entsprechend darf der Präsident daher auch nicht Mitglied des
Kongresses oder eines Bundesgerichts sein. Präsident und Kongress werden im Präsidialsystem in getrennten
Wahlen bestellt. Das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten (engl.: United States House of
Representatives, oft nur House) ist neben dem Senat eine der beiden gleichberechtigten Kammern des
Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika. Jeder Bundesstaat ist im Verhältnis zu seiner Bevölkerung im
Repräsentantenhaus vertreten, während jeder Bundesstaat zwei Senatoren in den Senat entsendet. Die Bürger
der USA wählen die Abgeordneten des Repräsentantenhauses für je zwei Jahre, Senatoren auf je sechs Jahre.
Im politischen System der USA ist der Kongress für die Gesetzgebung zuständig und hat einige
Kontrollfunktionen gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Es besitzt das alleinige Initiativrecht
bei Steuer- und Haushaltsgesetzen. Die Regierung wird im parlamentarischen Regierungssystem vom
Parlament bestellt, und sie kann von ihm auch wieder abberufen werden. Dem (amerikanischen) Kongress
steht dieses Abberufungsrecht im Normalfall nicht zu. Er kann den Präsidenten nicht wegen politischer
Meinungsverschiedenheiten oder wegen veränderter Mehrheiten stürzen. Nur für den Fall, dass ein Präsident
sich strafbarer Vergehen schuldig gemacht hat, kann das Repräsentantenhaus gegen ihn Klage mit absoluter
Mehrheit (impeachment) erheben, und der Senat kann ihn daraufhin mit Zweidrittelmehrheit seines Amtes
entheben. Umgekehrt fehlt dem Präsidenten ein wichtiges Disziplinierungsmittel gegenüber dem Kongress. Er
kann ihn nicht — wie zum Beispiel der britische Premierminister das Unterhaus — auflösen und Neuwahlen
ausschreiben. Die Verfassung der Vereinigten Staaten verlangt eine Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) von
Regierungsamt und Parlamentsmandat. Der Präsident und die Mitglieder seiner Regierung — mit der
Ausnahme des Vizepräsidenten, der gleichzeitig Vorsitzender des Senats ist — dürfen also keinen Sitz im
Kongress innehaben. In den Vereinigten Staaten vereinigt der Präsident die Funktionen des Staatsoberhauptes
und des Regierungschefs in einer Person (eingipfelige Exekutive). Dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ist
formal — nicht aber in der Verfassungswirklichkeit — die Möglichkeit der Gesetzesinitiative verschlossen. Er
besitzt nur die Möglichkeit, Gesetzesbeschlüsse des Kongresses mit seinem Veto zu belegen. Das Veto des
Präsidenten kann allerdings mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses überstimmt
werden (→ Gefahr des Machtmissbrauchs bei ungenügend ausgebildeter Kontrolle des Präsident; vgl.
Russland).
Ziel der Verfassung ist eine Trennung der Gewalten, aber auch die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit –
separate instutitutions sharing power.
Totalitäre und autoritäre Systeme
Totalitäre Systeme
In einer totalitären Diktatur beansprucht eine einzige, nicht durch Wahlen legitimierte und eng mit der
Bürokratie verbundene Partei unter der Leitung eines charismatischen Führers oder ein Führer, die
gesellschaftliche Entwicklung erkennen und gestalten zu können. Grundlage dafür ist eine quasireligiöse
Ideologie, die ihren Wahrheitsanspruch im Rahmen eines Freund-Feind-Denkens betont und mittels
Propaganda und Kontrolle der Massenkommunikationsmittel durchsetzt. So werden alle Bereiche
menschlichen Lebens durchdrungen, dabei die aktive Unterstützung der Massen eingefordert und das Recht
auf Privatheit bestritten. Ziel ist die vollständige Erfassung des Menschen in allen Lebensbereichen, wobei das
Individuum staatlichem Handeln schutzlos ausgeliefert ist. Denn die Ablehnung jeglichen Pluralismus führt
dazu, dass oppositionelle Gruppen und Minderheiten durch ein lebensverachtendes Terrorsystem
eingeschüchtert und ausgeschaltet werden. Unabdingbare Mittel dazu sind ein allumfassendes Spitzelsystem
und Geheimpolizei(en), wenngleich wenigstens letztere auch als Kennzeichen von → autoritären Systemen
gelten müssen.
Der Begriff des Totalitarismus wird meist auf die historischen Erscheinungen des Nationalsozialismus und des
Stalinismus angewandt. Das einzige heute existierende totalitäre System ist das des „Kimismus“ in Nordkorea.
Autoritäre Systeme
Im Unterschied zu totalitären Systemen spielt nicht eine Weltanschauung, sondern die Herrschaftssicherung
die zentrale Rolle. Daher sind die Herrschaftseliten vielfach zur Duldung eines eingeschränkten Pluralismus und
eingeschränkter Partizipation bereit, indem sie die Privatsphäre und sogar abweichende politische Meinungen
der Bürger hinnehmen, solange keine öffentliche Kritik geübt wird. Dissidenten werden dagegen als Bedrohung
empfunden und verfolgt. Wahlen sind zweckgemäß manipuliert, eine horizontale Gewaltenteilung besteht
somit höchstens formal, vielmehr ist die Macht auf eine oligarchische Basis bestimmter sozialer Kräfte einer
Gesellschaft konzentriert. Diese Kräfte können militärisch, tribal, religiös, bürokratisch oder parteipolitisch
gestützt sein. Autoritäre Regimes greifen daher aus Pragmatismus auf als allgemeingültig angenommene
Wertvorstellungen wie Patriotismus, Nationalismus, Ordnung oder religiöse Inhalte zurück.
Häufig entstehen solche Systeme aus einer Krise, dem Zusammenbruch demokratischer Systeme, aus
Konflikten in multiethnischen Gesellschaften, bei der Dekolonisierung, aber auch nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion.
Defekte Demokratien
Stehen zwischen Demokratien und autoritären Diktaturen. Das Merkmal einer funktionierenden Demokratie ist
die Verzahnung bestimmter Elemente (Wahlregime, politische Teilhaberechte, bürgerliche Freiheitsrechte,
Gewaltenkontrolle und effektive Regierungsgewalt). Bei defekten Demokratien gibt es zwar Wahlen und
politischen Wettbewerb, aber Einschränkungen bezüglich grundlegender Bürger- und Freiheitsrechte,
Gewaltenteilung und –kontrolle.
Man unterscheidet drei Untertypen:
Exklusive Demokratien: Hier gibt es nur ein eingeschränktes Wahlrecht, keine freien und fairen Wahlen, weil
ein bedeutender Teil der Bürger aufgrund von Analphabetismus, Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht
oder Religionszugehörigkeit von den Wahlen ausgeschlossen wird (Einschränkung des aktiven und/oder
passiven Wahlrechts), Wahlen manipuliert oder bestimmte Parteien systematisch behindert werden.
Enklavendemokratie: Hier haben demokratisch nicht legitimierte Institutionen, wie Drogenmafia,
Großgrundbesitzer, Guerillabewegungen, das Militär sowie nationale und multinationale Unternehmen, die
politische Macht. Es fehlen Kontrollmechanismen sowie die demokratische Legitimation des
Regierungsmonopols.
Illiberale Demokratien: Hier sind der Verfassungs- und der Rechtsstaat beschädigt, denn eine Umgehung der
Legislative ist möglich, ebenso eine Aufhebung der Gewaltenteilung, wodurch es zu einer Informalisierung der
Entscheidungen und einer Zentralisation der Gewalt bei der Exekutive kommen kann. Die Einhaltung der
Grund-, Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte ist nicht in vollem Maße gewährleistet. Die mildere Variante
wird als delegative Demokratie bezeichnet, wo Regierungen beispielsweise das Parlament umgehen oder
Einfluss auf die Justiz ausüben können.
Möglichkeiten zur Weiterentwicklung demokratischer Staatsformen
In Deutschland stehen den Bürgern an direktdemokratischer Beteiligungsformen auf Bundesebene lediglich das
Kollektivpetitionsrecht (Art. 17 GG) und die Möglichkeit zu, über die Neugliederung der Bundesländer (Art. 29
GG) per Volksentscheid abzustimmen. Auf Landes- bzw. Kommunalebene gestalten sich diese
Beteiligungsmöglichkeiten umfangreicher. Hier sind das Volksbegehren bzw. der Volksentscheid auf
Landesebene sowie das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid auf Kommunalebene zu nennen. Als
grundlegende Möglichkeiten, den Bürger auch auf Bundesebene stärker in den politischen Prozess integrieren,
können in Betracht gezogen werden:
Fakultative Referenden (vom Parlament gerade beschlossene Gesetzte, Bundesbeschlüsse bzw.
völkerrechtliche Verträge sollen dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden),
obligatorische Referenden (Verfassungsänderungen und supranationale Verträge müssen dem Volk zur
Abstimmung vorgelegt werden),
Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene (als Mittel gegen Politik- und Parteiverdrossenheit),
Direktwahl des Bundespräsidenten (Unabhängigkeit gegenüber Parteieninteressen),
Einführung von Vorwahlen (nach amerikanischen Vorbild), bei denen der Bürger direkt auf die
Kandidatenaufstellung der Bundestagsabgeordneten bzw. der Kanzlerkandidaten Einfluss nehmen kann
(entspricht einer Personalisierung des Wahlsystems) oder auch die Absenkung des Wahlrechtes auf 16 Jahre
(Einbindung Jugendlicher).
Will man zudem die Effektivität demokratischer Institutionen und Verfahrensweisen verbessern, so wären
folgende Maßnahmen denkbar:
Reformen im Bereich föderaler Struktur- und Organisationsprinzipien ( siehe Föderalismusreform zur
Senkung von Kosten und Kompetenzstreitigkeiten).
Nutzung der Möglichkeiten neuer Informationstechnologien (E-democracy) im Bereich von Wahlen,
Abstimmungen und Vernetzung des Bürgers mit Entscheidungsträgern zur Senkung des Zeitaufwandes.
Umstrukturierung der Verwaltung nach Prinzipien des New Public Management (NPM) zur Kostensenkung und
Effektivitätssteigerung (z.B. Bearbeitung von Anträgen im Online-Verfahren; elektronische Steuererklärung;
Abschaffung bürokratischer Strukturmuster im Verwaltungsbereich; Privatisierung jener staatlichen
Aufgabenfelder, in denen private Unternehmen effektiver agieren können).
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