Lessing - rainer71.de

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Proseminar: Lessing
SS 1993
Seminarleiter: Dr. H. Schmiedt
Rainer Lakmann
2. Semester, Magister Artium
Geschichte, Germanistik, Medienwissenschaft
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................... 3
2. Historisch-biographische Einordnung des Textes ...................................... 3
2.1. Absolutismus und Aufklärung ....................................................................... 3
2.2. Lessing in Absolutismus und Aufklärung ..................................................... 5
2.3. Ursprung und Entstehung der "Emilia Galotti" ............................................. 8
2.4. Der Begriff "Bürger" ..................................................................................... 9
3. Ist "Emilia Galotti" ein politisches Stück? ............................................... 10
4. Motive der Hofkritik ................................................................................. 14
4.1. Die Einzelszenen ......................................................................................... 14
4.2. Die Charaktere ............................................................................................. 19
5. Fazit ........................................................................................................... 22
6. Literaturliste .............................................................................................. 24
3
1. Einleitung
Daß Gotthold Ephraim Lessing der führende kritische Geist der Aufklärung im 18. Jahrhundert war, ist unbestritten. Mit Mut, Leidenschaft und planvollem Denken sagte er jeglichen Dogmen und überkommenen
Verhältnissen, die der menschlichen Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung im Wege standen, den
Kampf an und trat für Geistesfreiheit, Toleranz und Humanität ein. Nach Nathan der Weise gilt das 1772 uraufgeführte Trauerspiel Emilia Galotti als Lessings bedeutendstes literarisches Werk, welches wegen seiner
fugenlosen Knappheit und strengen Folgerichtigkeit der Handlung einhellig gelobt wird.
Umstritten ist dagegen nach wie vor die These, daß das Stück ein politisches Drama mit hofkritischem oder
sogar revolutionärem Inhalt sei. Die Frage nach dem politischen Gehalt bewegt die Interpretatoren seit zwei
Jahrhunderten und kann natürlich auch in der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden. Um aber den Streitpunkt etwas aufzuhellen und Interpretationsansätze für eine vorhandene höfische Kritik bieten zu können,
muß die Komplexität des in vielfachen gesellschaftlichen, historischen und individuellen Bezügen stehenden
Werks faßbar gemacht werden.
Daher wird in Kapitel 2 eine historisch-biographische Einordnung des Textes versucht; Grundzüge von Absolutismus und Aufklärung und Lessings Wirken darin werden beschrieben und der Gebrauch des Begriffs
Bürger im 18. Jahrhundert erläutert. Kapitel 3 gibt einen, allerdings nur bruchstückhaften Einblick in die
kontroverse Diskussion über das Für und Wider einer hofkritischen Deutung. Kapitel 4 will erkennbare Motive der Hofkritik direkt im Text aufzeigen, wobei diese teilweise durchaus in Frage gestellt werden können.
In Anbetracht der quantitativen, wenn auch nicht immer qualitativen Reichhaltigkeit der Sekundärliteratur
über Lessing und sein Werk konnte hier nur eine begrenzte Auswahl getroffen werden.
2. Historisch-biographische Einordnung des Textes
2.1. Absolutismus und Aufklärung
Der Absolutismus war im 17. und 18. Jahrhundert das vorherrschende Regierungssystem in Europa. Gesetzgebung, Rechtsprechung, exekutive und militärische Gewalt, Verwaltung, Finanz- und Steuerwesen und
Wirtschaftsführung unterlagen dem Willen des absolut, d.h. uneingeschränkt herrschenden Monarchen, alle
Staatsdiener waren ihm persönlich durch Eide verpflichtet. Diese Macht war aber eingebunden in die Verantwortung gegenüber Gott, wodurch Tyrannei und Willkür ausgeschlossen sein sollten. Dennoch gab es
Entartungen. Im 18. Jahrhundert wurde der gesamte Bereich des staatlichen Lebens durch Zentralisierung
und Bürokratisierung neu reglementiert und die Freiheits- und Mitspracherechte des Volkes eingeschränkt
oder ganz beseitigt. Der absolutistische Staat unterdrückte jede Gegengewalt und Kontrolle der Stände und
degenerierte sich zu einem Polizei- oder Gewaltstaat.
Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnte sich der Absolutismus auf Reichsebene nicht
durchsetzen, da das Land in etwa dreihundert Territorialstaaten aufgesplittert war. In dieser Situation bildeten die deutschen Fürstenhöfe die Zentren, wo mit Macht die Landesentwicklung betrieben wurde, wo
Geldmittel und kulturelles Sendungsbewußtsein sich verbanden. In einer insgesamt sehr immobilen Gesellschaft war der Hof der einzige Ort, wo Karriere möglich war, gesellschaftlicher Aufstieg und Fall nahe beieinander lagen. Auf Berechnung, Schmeichelei, Bestechung und Erpressung ausgerichtete Intriganten waren
ein fester Bestandteil jeden Hofes. Korruption und Ämterkauf gehörten zur Tagesordnung. Ende des 17.
Jahrhunderts setzte sich das Mätressenwesen an deutschen Höfen durch. Der französische Hof des Sonnen-
4
königs Ludwig XIV. verkörperte das unerreichte Vorbild; um dem prunkvollen Rahmen von Versailles zu
entsprechen, stürzte sich die Mehrzahl der Fürsten, ihre finanziellen Möglichkeiten und ihre Bedeutung
maßlos überschätzend, in unglaubliche Schulden, um Residenzen zu bauen und die durch Verschwendungssucht ins Unermeßliche steigenden laufenden Kosten zu bezahlen.
Unter dem Einfluß der Aufklärung kam es zu einer Milderung der Verhältnisse. Die Aufklärung war eine,
mit dem Aufstieg der Bourgeoisie einhergehende, rationalistische Emanzipationsbewegung, die die Vernunft
zur Grundlage aller Erkenntnis erhob und zum Maßstab des menschlichen Handelns machte. Seit Mitte des
17. Jahrhunderts regte sich aufgeklärte Kritik; progressive Mitglieder des Bürgertums propagierten eigene
Moralvorstellungen und bürgerliche Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit und nüchternes Kalkül, an denen gemessen der lasterhafte Adel nur schlecht abschneiden konnte.
1784 beantwortete Immanuel Kant die Frage "Was ist Aufklärung?" folgendermaßen:
“Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Lenkung eines anderen zu bedienen.
Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des
Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines
anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also
der Wahlspruch der Aufklärung. [...] Wenn denn die Natur [...] den Keim, für den sie am
zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt
dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volkes (wodurch dies der Freiheit zu handeln nach
und nach fähiger wird), und endlich sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst
zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu
behandeln.”1
Die Forderung nach dem “Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit” wurde zum
Charakteristikum der Aufklärung. Abschaffung von Gottesgnadentum und Alleinherrschaft des Monarchen,
Durchsetzung einer vernunftbezogenen Moral, Wiederherstellung unverformter, natürlicher
Lebensumstände, Gewaltenteilung, Mitspracherecht, umfassende Bildung und freie Entfaltung der Wirtschaft
waren die Zielsetzungen. Die Appelle zeigten Wirkung, als sich der Adel ab Mitte des 18. Jahrhunderts der
Aufklärung öffnete und die Herrscher sich einer Reformpolitik widmeten. Gerade kleine, überschaubare
Fürstentümer gingen mit umfassenden Reformprogrammen voran, aber auch Preußenkönig Friedrich II. und
die österreichische Kaiserin Maria Theresia gestalteten die inneren Strukturen neu und ließen größere
religiöse Toleranz, ein humanes Strafrecht, ein besseres Bildungswesen und lebenserleichternde Regelungen
für Bürger und Bauern zu. Der als Aufgeklärter Absolutismus bezeichnete Reformkurs von oben stellte den
Herrscher als “ersten Diener” an die Spitze seines Staates, dessen Wohlergehen von nun an höchste
Verpflichtung sein sollte. Allerdings blieb die vom Fürsten anerkannte Verpflichtung gegenüber den
Untertanen weiterhin verknüpft mit einer göttlichen oder naturrechtlichen Ausnahmestellung des Fürsten 2.
Vor allem in Deutschland waren Ausmaß und Intensität politischer und gedanklicher Öffnung leicht zu
zügeln, da ein mächtiges Bürgertum, ausgestattet mit nationaler Identität, noch nicht vorhanden war. Auch
der Aufgeklärte Absolutismus blieb ein Absolutismus.
1Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? In: Kants Ges. Schriften. Bd. VIII. Berlin 1812. Zit. n.: Dt. Geschichte Bd. 8, S. 125.
2Friedrich II. sah sich als “erster Diener seines Staates”, der "alles für das Volk, nichts durch das Volk" entschied. Vgl. dazu Dt.
Geschichte Bd. 8, S. 131.
5
2.2. Lessing in Absolutismus und Aufklärung
Am 22. Januar 1729 wurde Gotthold Ephraim Lessing3 als Sohn eines protestantischen Geistlichen im
3600-Seelen-Städtchen Kamenz in Kursachsen geboren. Die Familie gehörte zum gehobenen Bürgertum,
wobei allerdings die Besoldung des Pastors der Reputation nicht entsprach. Nachdem Gotthold Ephraim ab
1737 die lateinische Stadtschule in Kamenz besucht hatte, erhielt er 1741 ein Stipendium für die
kurfürstliche Landesschule St. Afra in Meißen, wo einerseits eine fast kasernenmäßige Zucht und Ordnung,
andererseits eine gewisse geistige Toleranz vorherrschte.
1740 ging im an Kursachsen angrenzenden Preußen die Regentschaft an Friedrich II. über. Zunächst sprachen alle Anzeichen dafür, daß er ein Friedenskönig werden würde, da er sich den Ideen der Aufklärung und
einem entsprechenden, geistig verfeinerten Lebensstil mit Poesie und Kunst verschrieben hatte. Im Widerspruch dazu begann er noch im selben Jahr mit einem Eroberungskrieg eine militärische Machtpolitik, um
seinen Anspruch auf die Vorherrschaft in Deutschland auszubauen. Die hieraus entstehenden Kriege zogen
auch Kursachsen in Mitleidenschaft, da diese Gegend als Aufmarsch- oder Rückzugsgebiet diente und
Friedrich II. durch Requirierungen und hohe Kontributionen seine teure Armee kampffähig zu halten versuchte. Im Dezember 1745 wurde Meißen im Rahmen des Zweiten Schlesischen Krieges eingenommen; St.
Afra diente als Lazarett. Die preußische Besatzung und die damit verbundenen miserablen Zustände in Meißen bewegten Lessing 1746 dazu, vorzeitig die Schule zu verlassen und an die Universität zu wechseln, zuerst nach Leipzig, dann nach Wittenberg, wo er das Studium bald aufgab und nach Berlin zog. Dort verdiente
er sich seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen und Zeitungsrezensionen.
Dabei stieß er auch auf radikal-hofkritische Werke wie Jean-Jacques Rousseaus Discours von 1750. Prägend auf ihn war, Barner und Kiesel zufolge4, ein Traktat des spanischen Bischofs und Hofpredigers Guevara5, das von Lessing eingehend studiert und 1751 rezensiert wurde. Guevara kritisierte mit scharfen
Worten den Hof, wo man den Launen des Fürsten, Intrigen von Neidern und Mißgünstigen und dem Zwang
der Etikette hilflos ausgeliefert sei. Zudem müsse man viel Zeit und Geld für nutzlose Dinge vergeuden, und
die Frauen und Töchter würden in Buhlschaften verstrickt und verführt. Auf dem Lande dagegen sei man von
diesen Gefahren verschont, könne sein Leben nach den Grundsätzen der Natur gestalten und Ruhe und Freiheit genießen. Lessing meldete in seiner Rezension Bedenken gegen diese pauschale Verurteilung an:
“Die Menschen sind am Hofe, in der Stadt und auf dem Lande Menschen; Geschöpfe, bei welchen
das Gute und das Böse einander die Waage hält. Schwachheiten und Laster zu fliehen, muß man
nicht den Hof sondern das Leben verlassen. Beide sind an dem Hofe wegen des allgemeinen
Einflusses, den sie auf andre Stände haben, nur gefährlicher, aber nicht größer.”6
1753 machte er Bekanntschaft mit dem Aufklärungsphilosophen Moses Mendelsohn und dem schriftstellernden Buchhändler Friedrich Nicolai, mit denen er einen regen Gedankenaustausch pflegte und den Kreis
der "Berliner Aufklärer" bildete, zu dem auch Karl Wilhelm Ramler, Johann Sulzer und Ewald von Kleist
stießen. Als 1756 der Siebenjährige Krieg ausbrach, wollte sich Lessing, abwägend und tolerant denkend,
aus dem Konflikt zwischen sächsischen und preußischen Patrioten heraushalten; doch dies wurde ihm zum
3Die bibliographischen Angaben über G.E. Lessing wurden in erster Linie entnommen aus: Lessing/Klassiker, S. 12-95.
4Vgl. dazu: W. Barner, Lessing, S. 210-212, und H. Kiesel, Höll, S. 223-225.
5Antonio de Guevara: Das vergnügte Land- und beschwerliche Hofleben, worinne sowohl die Anmutigkeiten des einen, als auch die
Mühseligkeiten des anderen auf das artigste abgebildet werden. [1539].
6Zit. n.: W. Barner, Lessing, S. 211. Jedoch weist Barner darauf hin, daß Lessing später in Emilia Galotti “bekannte Topoi und
Motive der Hofkritik mit parteilicher Einseitigkeit” verwandte, vor allem die bei Guevara vorgeprägte, kontrastive Schilderung von
Hof- und Landleben, die von H. Kiesel, Höll, S. 231, “als aussagekräftiges Modell für den sozialpsychologisch fundamentalen und in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts forcierten Prozeß der Dissoziation der bürgerlichen Menschen- und Gesellschaftsideale von
den höfisch-absolutistischen” bezeichnet wird.
6
Vorwurf von beiden Gruppen gemacht, die blinde Parteilichkeit forderten. Sein Dienstherr Johann Gottfried
Winkler, bei dem er in Leipzig angestellt war, kündigte ihm, als er, stramm sächsisch-patriotisch eingestellt,
von Lessings Umgang mit preußischen Offizieren erfuhr. In Berlin dagegen war er bald als "Erzsachse" verschrien, da er sich weigerte, in die preußischen Heldengesänge einzustimmen, die in Berlin zu der Zeit große
Verbreitung fanden. Daraufhin verfaßte er 1758 folgende Kritik:
“Der Patriot überschreiet den Dichter zu sehr und noch dazu so ein soldatischer Patriot, der
sich auf Beschuldigungen stützet, die nichts weniger als erwiesen sind! Vielleicht zwar ist auch
der Patriot bei mir nicht ganz erstickt, obgleich das Lob eines eifrigen Patrioten, nach meiner
Denkungsart, das allerletzte ist, wonach ich geizen würde; des Patrioten nämlich, der mich
vergessen lehrt, daß ich ein Weltbürger sein sollte."7
Zu der Zeit arbeitete Lessing an einem Trauerspiel mit dem Titel Emilia Galotti, welches das antike Virginia-Motiv aufgriff und auf bürgerliche Verhältnisse zu übertragen versuchte. Daß Lessing gerade zu dieser
Zeit diesen Stoff aufgriff und durch ihn der feudalen Selbstherrlichkeit die moralische Integrität frühbürgerlicher Gesinnung gegenüberstellte, war wohl kein Zufall. Als im Oktober 1760 die Lage in Berlin durch russische und österreichische Besatzungstruppen sehr unangenehm wurde, reiste Lessing nach Breslau, wo er
beim preußischen General Bogislaw von Tauentzien bis 1763 als Gouvernementssekretär angestellt war. Als
man ihn für das freigewordene Amt des Bibliothekars der königlichen Bibliothek in Berlin vorschlug, lehnte
Friedrich II. eine Berufung Lessings ab. 1769, als in Wien eine deutsche Akademie eingerichtet werden
sollte und Nicolai in einem Brief spöttelte, er hoffe, daß mit der Akademie “auch zugleich Freiheit zu denken
daselbst [in Wien] eingeführt werde”, antwortete ihm Lessing in einem Brief:
“Wien mag sein, wie es will, der deutschen Literatur verspreche ich dort immer noch mehr
Glück, als in Eurem französisierten Berlin. [...] sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit
zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit,
gegen die Religion so viel Sottisen zu Markte zu bringen, als man will [...]. Lassen Sie es aber
doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben, als Sonnenfels8
in Wien geschrieben hat; lassen Sie ihn versuchen, dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu
sagen, als dieser sie ihm gesagt hat; lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte
der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es itzt
sogar in Frankreich und Dänemark geschieht: und Sie werden bald in Erfahrung haben, welches Land
bis auf den heutigen Tag das sklavischte Land von Europa ist.”9
Damit machte er deutlich, daß er sich nicht, wie manch andere seiner Zeitgenossen, von der liberalen Fassade des aufgeklärten Absolutismus in Preußen täuschen ließ.
Ende 1769 wurde Lessing vom Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig eine Stelle als Bibliothekar in der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel angeboten. Nachdem ihm freie Unterkunft, ein
Jahresgehalt von 600 Talern und die Aussicht auf eine Italienreise zugesichert worden war, akzeptierte er das
Angebot. In Wolfenbüttel, einem öden und ausgestorbenen Ort, wohnte Lessing in einem großen, menschenleeren Schloß und ging in den verstaubten, kalten Räumen einer vernachlässigten Bibliothek mit einem mißgünstig gesonnenen Kollegen einer insgesamt lähmenden Arbeit nach. Zum herzoglichen Hof in Braunschweig blieb er in reservierter Distanz. Der Herzog Karl von Braunschweig wurde als “prächtig”,
“kunstliebend”, “leidenschaftlich” und “so unbesorgt leichtsinnig, daß er den gröbsten Betrügereien seiner
7Brief an Wilhelm Gleim vom 16.12.1758. Zit. n.: Lessing/Klassiker, S. 50.
8Joseph Sonnenfels [1733 - 1817]; führender Kopf der österreichischen Aufklärung.
9Brief an Nicolai vom 25.08.1769. Zit. n.: Lessing/Klassiker, S. 69.
7
Hofbeamten durch die Finger zu sehen bereit war”10, beschrieben und galt als luxussüchtiger Duodezabsolutist. Er lebte ständig über die bescheidenen Verhältnisse seines kleinen Landes und verkaufte 1776, um seine
Finanznot zu lindern, sechstausend seiner Untertanen gegen ein Kopfgeld als Soldaten nach England. Zur
Inszenierung des pompösen Luxuslebens für den Hofstaat engagierte er eigens einen italienischen
"Hofvergnügungsmeister" für ein Jahresgehalt von 30 000 Talern.
Im Winter 1771 bekam Lessing den Auftrag, ein Stück zu schreiben, welches zum Geburtstag der Herzogin
Philippine Charlotte am 10. März 1772 aufgeführt werden sollte. Lessing griff auf das 1758 skizzierte Manuskript Emilia Galotti zurück und schenkte der Fürstin damit ein Stück gegen Fürstenwillkür. Im Januar 1773
schrieb Lessing seiner Verlobten Eva König einen Brief, in dem er sarkastisch sein Verhältnis zum Hof beleuchtete, denn auch er gehorchte der Etikette und dem Zeremoniell:
“Zum neuen Jahr bin ich in Braunschweig bei Hofe gewesen, und habe mit andern getan, was zwar
nichts hilft, wenn man es tut, aber doch wohl schaden kann, wenn man es beständig unterläßt: ich
habe Bücklinge gemacht, und das Maul bewegt.”11
Das Verhältnis zum Herzog verschlechterte sich, als dieser sein Versprechen, Lessing den besser honorierten Posten des Hofhistorikers zu überlassen, nicht einhielt und ihn unter immer neuen Vorwänden vertröstete. 1776 ernannte ihn sein Dienstherr zum Hofrat; ein Titel, auf den Lessing allerdings keinen gesteigerten
Wert legte. Als er zwei Jahre später durch die Herausgabe der Fragmente eines Ungenannten in Konflikt mit
der protestantischen Kirche geriet, verbot ihm der Herzog die weitere Veröffentlichung dieser Schriften und
stellte alle künftigen Erzeugnisse Lessings unter Zensur. Im gleichen Jahr veröffentlichte Lessing Ernst und
Falk. Gespräche für Freymäurer, wo er seine Vorstellungen von der Beschaffenheit einer künftigen freien
Gesellschaft kund tat. In Gesprächen zwischen dem Freimaurer Falk und dessen Freund Ernst entwickelte er
die Idee einer kosmopolitischen, antifeudalen Gemeinschaft und ihrer Verfassung, die auf dem Grundsatz beruhen sollte:
“Das Totale der einzelnen Glückseligkeiten aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staates
[...] Jede andere Glückseligkeit des Staats [...] ist Bemäntelung der Tyrannei.”12
Dies galt als scharfe Anklage gegen die feudalabsolutistischen Staaten, in denen der Monarch willkürlich
von sich behaupten durfte: “Der Staat bin ich”. Die Funktion eines Staates bestimmte er so:
“Glaubst du, daß die Menschen für die Staaten erschaffen werden? Oder daß die Staaten für die
Menschen sind? [...] Die Staaten vereinigen die Menschen, damit in dieser Vereinigung jeder
einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sicherer genießen könne.”13
Statt einer Machtergreifung des dritten Standes propagierte er die Gleichstellung aller Stände, die er bereits
in den Freimaurerlogen als erfüllt ansah, deren gesellschaftspolitische Umsetzung er aber vermißte:
“Es wäre recht zu wünschen, daß es in jedem Staat Männer geben möchte, die dem Vorurteil ihrer
angeborenen Religion nicht unterlägen, nicht glaubten, daß alles notwendig gut und wahr sein
müsse, was sie für gut und wahr erkennen; daß es in jedem Staat Männer geben möchte, welche
bürgerliche Hoheit nicht blendet und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt, und in deren
Gesellschaft der Hohe sich gern herabläßt und der Geringe sich dreist erhebt.”14
1779 erschien Nathan der Weise. Hier führte Lessing sein Credo vor, daß die Überwindung konfessioneller,
nationaler und sozialer Schranken möglich sei, wenn an die Stelle von dogmatischer Bevormundung und
10Vehse, Eduard: Geschichte der deutschen Höfe. Bd. XX. Hamburg 1851-1860. S. 229. Zit. n.: C. Brown, Mißbrauch, S. 24.
11Brief an Eva König vom 8. Januar 1773. Zit. n.: Lessing/Klassiker, S. 76.
12Zit. n.: Lessing/Klassiker, S. 91.
13Ebd., S. 117.
14Ebd., S. 118.
8
Diskriminierung Geistesfreiheit und Toleranz träten und der Mensch nicht mehr nach Herkunft und Religion,
sondern nur nach seinem Handeln beurteilt würde. 1780 veröffentlichte er Die Erziehung des Menschengeschlechts, wo er seine theologisch-philosophischen Positionen in hundert Paragraphen zusammenfaßte. Nach
längerer Krankheit verstarb Gotthold Ephraim Lessing am 15. Februar 1781.
2.3. Ursprung und Entstehung der "Emilia Galotti"
Für Emilia Galotti griff Lessing auf das literarisch oft bearbeitete Virginia-Motiv zurück, eine Begebenheit
aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, die von Titus Livius und von Dionysos von Halikarnas überliefert
wurde. Beide schilderten, wie zu jener Zeit Rom, das noch eine nichtmonarchische Verfassung besaß, von
heftigen Ständekämpfen zwischen Patriziern und Plebejern erschüttert wurde. 451 v. Chr. wurden zehn Senatoren, die Decemvirn, damit beauftragt, Gesetze zu formulieren und auf Tafeln festzuhalten. Für die Dauer
dieses Vorhabens erhielten sie unumschränkte Vollmachten. Als sie jedoch nach Vollendung des Werks weiter im Amt blieben und die ihnen zugefallene Macht nicht zurückgeben wollten, regte sich Widerstand.
Appius Claudius, der Anführer der Decemvirn, plante, die bereits mit einem ehemaligen Volkstribun verlobte Plebejerin Virginia, die Tochter des angesehenen Kohortenführers Virginius, zu verführen. Als sie seinem Werben widerstand, bediente er sich einer listigen Intrige und ließ einen von ihm abhängigen
Komplizen behaupten, daß Virginia dessen Sklavin sei. Es kam zu einer Gerichtsversammlung auf dem
Forum, in der Claudius als zuständiger Richter das Mädchen gegen geltendes Recht seinem Vertrauten
zuschob. Die Volksmenge wurde erzürnt, fügte sich aber der Macht. Als Virginius erkennen mußte, daß
keine Hoffnung mehr bestand, seine Tochter vor Claudius zu bewahren, ergriff er aus einer Metzgerbude ein
Fleischermesser und tötete sie. Diese Tat wurde zum Signal für einen Volksaufstand, in dessen Verlauf die
Decemvirn ihre Macht verloren, Appius Claudius getötet und sein Komplize verbrannt wurde.
1757 griff Lessing das Virginia-Motiv auf und plante ein eigenes Stück dazu, welches schon den Titel Emilia Galotti trug. Im Januar 1758 schrieb er an Nicolai:
“Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche Virginia, der er den Titel Emilia Galotti gegeben.
Er hat nehmlich die Geschichte der römischen Virginia von allem dem abgesondert, was sie für den
ganzen Staat interessant machte; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem
Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich schon tragisch genug,
und fähig genug sey, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen
Staatsverfassung darauf folgte.”15
Painter zufolge hatte ihm ursprünglich “ein Römerdrama der heroischen Art” vorgeschwebt, “mit dem Opfertod der Heroine als moralischem Rauchzeichen für die siegreiche Volkserhebung, eine Haupt- und Staatsaktion voll Schwertgeklirr und erhabener Gedanken. Mehr und mehr aber hatte die menschliche Problematik
dominiert, hatte die persönliche Tragik des Virginia-Motivs das Heldische aus dem Blickfeld gedrängt, und
eben jene Neueinkleidung des Stoffes gefördert, die aus der Plebejer-Jungfrau ein Bürgermädchen und aus
dem antiken Rom ein italienisches Fürstentum des ausgehenden 17. Jahrhunderts werden ließ”16. Im Winter
1771/72, als Lessing den Auftrag erhielt, zum Geburtstag der Herzogin von Braunschweig ein Stück zu
schreiben, holte er den Entwurf wieder aus der Schublade und vollendete ihn. Am 1. März 1772 schrieb er an
seinen Bruder Karl:
15Brief an Friedrich Nicolai vom 21.01.1758. Zit. n.: P. Painter, Erläuterungen, S. 15.
16P. Painter, Erläuterungen, S. 15.
9
“Du siehst wohl, daß es weiter nichts, als eine modernsierte, von allen Staatsinteressen
befreiete Virginia sein soll.”17
Dennoch zögerte er, die letzten Manuskriptseiten an den Schauspieldirektor herauszugeben, bis dieser damit drohte, sich einen eigenen Schluß zu schreiben. Durzak zufolge befürchtete Lessing, “daß naheliegende
Beziehungen zwischen aktuellen Verhältnissen am Braunschweiger Hof und seinem Trauerspiel hergestellt
würden”18. Anfang März 1772 versicherte er dem Herzog, daß das Stück “weiter nichts als die alte römische
Geschichte der Virginia in einer modernen Einkleidung seyn soll”, und bat ihn zu entscheiden, ob das Drama
an dem Festtag aufgeführt werden sollte:
So erwarte ich nur einen Wink, um unter irgendeinem leicht zu findenden Vorwande die
Aufführung dieses neuen Stückes zu hintertreiben”.19
Durzak beurteilt diesen Brief allerdings sehr kritisch:
“Lessings Brief [...] stellt denn auch eher eine taktische Geste dar, die die Möglichkeit
einer Zensur im voraus erledigt und mit der betonten Beteuerung des unpolitischen Gehalts seines
Stücks eher verdächtig wirkt. [...] Diese dem Herzog selbst zugespielte Möglichkeit einer Zensur
dürfte ebenso Diplomatie sein wie die ständig von ihm hervorgehobene Tatsache seiner
unpolitischen Neubearbeitung der Virginia-Fabel.”20
Der Herzog stimmte der Aufführung zu und Lessings Befürchtungen erwiesen sich als gegenstandslos,
denn das Trauerspiel wurde von der Hofgesellschaft gefeiert.
2.4. Der Begriff "Bürger"
Da Lessing die Hauptperson seines Stückes als “bürgerliche Virginia” etikettierte, was von einigen
Interpretatoren als eindeutiger Beweis für den politischen Gehalt des Dramas angesehen wird, soll in diesem
Kapitel versucht werden, die Verwendung der Begriffe Bürger und bürgerlich im 18. Jahrhundert im
allgemeinen und im Werk Lessings im besonderen zu klären.
Der Begriff Bürger hatte im 18. Jahrhundert vier verschiedene mögliche Bedeutungen21:  der Stadtbewohner,  das Mitglied des bürgerlichen Standes im Unterschied zu Adel und Klerus,  der Staatsuntertan
und  der Mensch allgemein. Allerdings erhielt der Begriff nach 1750 in der deutschen Aufklärung eine andere Basis. Vergleichbar der französischen Differenzierung zwischen bourgeois und citoyen unterschied der
sprachpolitisch einflußreiche Scheidemantel22 1782 den Bürger nach besonderer Bedeutung vom Bürger in
allgemeiner Bedeutung. Zur ersten Kategorie zählte er das Mitglied der Stadtgemeinde und damit den Bürgerstand im Unterschied zum Adels- und Bauernstand, während die zweite Kategorie das Mitglied das Staates meinte und damit den Monarchen als ersten und vornehmsten Bürger der Nation miteinschloß. So begann
der Bürgerbegriff sich in den Staatsbürger einerseits und den Privatbürger andererseits aufzulösen.23
17Brief an Karl Lessing vom 1. März 1772.
18M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 62-63. Tatsächlich vermuteten die Zeitgenossen Anspielungen auf den Herzogshof: der Herzog
wurde mit Hettore Gonzaga verglichen und seine Mätresse Marquise Braconi mit Gräfin Orsina.
19Brief an Herzog Karl von Braunschweig vom März 1772.
20M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 63.
21Vgl. dazu: O. Brunner, Grundbegriffe, S. 681-683.
22Heinrich Georg Scheidemantel. Vgl. dazu: ebd., S.684.
23In der Aufklärung kam als Mode- und Schlagwort noch der spätantike Begriff des Weltbürgers hinzu, der sich gegen die Fürstendiener und Untertanen richtete.Vgl. dazu: O. Brunner, Grundbegriffe, S.686.
10
Gemäß Wierlacher benutzte Lessing den Begriff Bürger kaum jemals in zweifelsfreier Eindeutigkeit; es
überwog aber die Bedeutung als Staatsbürger, in die Lessing wie Scheidemantel den Fürsten einbezog, der
wie jeder andere die bürgerlichen Gesetze zu befolgen habe24. Daher kommt Wierlacher zu dem Schluß:
“Wenn nun Lessing in einem Brief an Nicolai vom 21.01.1758 von einer "bürgerlichen Virginia"
redet, so gilt: das Wort "bürgerlich" ist mit größter Wahrscheinlichkeit kein Klassenbegriff,
sondern heißt "civilis" und damit für Lessing immer auch "allgemeinmenschlich". Der Gebrauch der
in Rede stehenden Wörter im Gesamtwerk Lessings widerstreitet also der sozialkritischen Deutung
der Emilia Galotti; er stützt die These derjenigen Interpreten [...] die eine solche Deutung der
Tragödie für nichtberechtigt halten, da das Problem ins Allgemein-Menschliche verlegt [...]
sei.25
3. Ist "Emilia Galotti" ein politisches Stück?
Versucht man zu klären, ob Lessings Werk einen politischen oder sogar revolutionären Charakter hat, und
sichtet dazu die umfangreiche Sekundärliteratur, wird man von der dort präsentierten Meinungsvielfalt eher
verwirrt als aufgeklärt, da die verschiedenen Rezeptionen des Stückes das gesamte Spektrum von einer totalen Leugnung einer politischen Bedeutung über eine Gesellschaftskritik in Ansätzen bis zur Deutung als
klassenbewußten Angriffs in tyrannos ausfüllen.
In der Gruppe derjenigen, die einen politischen Gehalt in Emilia Galotti befürworten, war Goethe einer der
ersten, der meinte, erkannt zu haben, daß Lessing “seine Piquen auf die Fürsten” 26 habe. Wenig später
schrieb Heinrich Heine:
“Mehr als man ahnte war Lessing auch politisch bewegt [...] wir merken erst jetzt, was er mit
der Schilderung des Duodezdespotismus in "Emilia Galotti" gemeint hat.”27
Eloesser sah in dem Werk “die besonnenste und vernichtendste Kritik des Absolutismus ausgesprochen” 28,
während Dilthey darauf hinwies, daß das Stück das erste politische deutsche Drama seit Gryphius darstelle:
“Das Stück ist aufgebaut auf den Gegensatz zwischen dem Hof, seinem Herrn mit seinen Kreaturen
und den unabhängigen Leuten, die ihre Freiheit, ihre Sitte, ihre selbständige Art der
Lebensführung behaupten wollen. Das Tragische liegt in der Hilflosigkeit dieser rechtlosen
Untertanen gegenüber der Selbstherrschaft. Indem dieselben von der Intrige umgarnt und gleichsam
erdrosselt werden, kommt ihre Ohnmacht von Szene zu Szene an den Tag - und damit die Misere der
politischen Verfassung, in der sie leben.”29
Auch Kindlers Literatur Lexikon bezeichnet das Werk als “eines der ersten deutschen politischen Dramen
der neueren deutschen Literatur” und begründet dies:
“Wenn auch, dem frühen Plan des Stückes entsprechend, auf die Machenschaften des Prinzen und
seines Höflings kein »Umsturz der ganzen Staatsverfassung« folgt, so ist die Wendung gegen
feudalistische Machtanmaßung und Willkür dennoch eindeutig. Die Liebesbeziehungen des Prinzen zu
Orsina und Emilia werden von der tiefeingewurzelten Vorstellung der Käuflichkeit und der
24Vgl. dazu: A. Wierlacher, Bürger, S. 148.
25Ebd., S. 154-155.
26Eine Äußerung von J.W. Goethe gegenüber Eckermann vom 7. 2. 1827. Zit. n.: M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 61.
27Heine, Heinrich: Die romantische Schule. Werke Bd. VII. S. 20. Zit. n.: H. Steinhauer, Schuld, S. 50.
28Eloesser, Arthur: Das Bürgerliche Drama. Seine Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin 1898. S. 115. Zit. n.: J. Schulte-
Sasse, Struktur, S. 71.
29Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung. Leipzig und Berlin 1905. S. 57-59. Zit. n.: E. Neis, Drama, S.106.
11
Beherrschbarkeit durch Macht bestimmt; als die nahe Hochzeit Emilias keinen anderen Ausweg
offenläßt,
vertraut
der
Prinz
sich
der
willfährigen,
eiskalten
»Vernichtungsstrategie«
Marinellis ebenso unbedenklich an, wie er sich später seiner wieder entledigt - er ist der
absolute Herrscher, dessen vorgegebene »Rolle« von seinen Handlungen nicht berührt wird. Diesem
feudalistischen Prinzip steht das erwachende, in Emilia und ihrem Vater verkörperte Bürgertum
gegenüber, das sich nicht länger beherrschen lassen will, den Gegensatz aber nicht revolutionär,
sondern durch ein Selbstopfer aufhebt.”30
Benno von Wiese entdeckte sogar Revolutionäres darin:
“Hier mündet die Darstellung ästhetischer Innerlichkeit in der revolutionären Aufforderung,
die Bedingungen zu ändern, unter denen bei solchen Menschen solche Taten entstehen.”31
Dieser revolutionär klassenkämpferische Aspekt wurde von marxistischen Interpretatoren aufgenommen,
die den Begriff bürgerlich durchweg mit antifeudalistisch gleichsetzten und Lessing überwiegend als Klassenkämpfer ansahen. Rieck erkannte:
“Im literarischen Konflikt Prinz - Emilia spiegelt sich der reale Konflikt zwischen
Bürgermoral (Bürgertugend) und feudaler Moral wider. [...] Bürgerliche Ethik und moralische
Haltlosigkeit und sittliche Verwahrlosung des Feudalismus sind miteinander konfrontiert”32
Auch Almási wies auf einen “moralischen Zusammenstoß zweier Klassen”33 hin und folgerte daraus:
“Duch die Darstellung der moralischen Haltlosigkeit, der inneren Schwäche des Feudalismus
schafft Lessing die Voraussetzung und das Recht für einen Angriff”34
Dahlke schlug in die gleiche Kerbe, als er im Stück die Zielsetzung zu erkennen glaubte, “die bürgerlichen
Zeitgenossen unter dem Banner des Humanismus gegen die feudale Willkür zu aktivieren”, da Lessing “eine
humanistische Aktivität gegen den verderbnisbringenden Hof unter den besonderen Bedingungen des erst am
Anfang stehenden Emanzipationskampfes des deutschen Bürgertums um 1772”35 lehren würde.
Besonderer Stellenwert kommt dem Prinzen Hettore Gonzaga zu, der in der Lessing-Forschung der DDR
als “Verkörperung absolutistischer Brutalität wie feudalistischer Dekadenz” 36 gedeutet wurde. Vor allem
Paul Rilla vertrat diese These:
“In der Tat handelt sichs bei dem Prinzen um nichts als das politische Moment des
widerwärtigen Mißbrauchs despotischer Gewalt.”37
Einig war sich die marxistische Kritik bei der klassenmäßigen Zugehörigkeit der Familie Galotti, die als
“Adlige ohne Vermögen” bezeichnet wurden, die man wegen ihrer “isolierten Stellung” mit “bürgerlichen
Menschen gleichsetzen”38 könne. Weniger einig war man sich bei der Bewertung des Tragödienschlußes, der
von einigen als Kritik am unpolitischen Bürgertum, von anderen als Appell an diese Schicht, den politischen
Aufstand vorzubereiten und von wieder anderen als direkter Aufruf zur bürgerlichen Revolution gedeutet
30KLL, S. 3077-3078.
31Wiese, Benno v.: Lessing. Dichtung, Ästhetik, Philosophie. Leipzig 1931. S. 54. Zit. n.: J. Schulte-Sasse, Struktur, S.71.
32Rieck, Werner: Lessings 'Emilia Galotti'. Versuch einer Analyse. In: Wissenschaftl. Zeitschrift d. Pädagogischen Hochschule
Potsdam. Gesellsch.-Sprachw. Reihe 11 [1967]. H. 2. S. 122. Zit. n.: J. Schulte-Sasse, Struktur, S. 62.
33Almási, Nikolaus: Lessings Hamburgische Dramaturgie (I). In: Weimarer Beiträge 3 [1957]. S. 551. Zit. n.: P.M. Lützeler, Rezeption (II), S. 43.
34N. Almási: Lessings HD (II) . Weim. Beitr. 4 [1958]. Zit. n.: ebd.
35Dahlke, Günther: Martin Hellberg contra Lessing. In: Neues Deutschland. Jg. 3. Nr. 70 [22. 3. 1958]. Beilage "Kunst und Literatur". Nr. 12. Zit. n.: P.M. Lützeler, Rezeption (II), S. 43.
36Müller, Joachim: Wirklichkeit und Klassik. Berlin 1955. S. 56. Zit. n.: P.M. Lützeler, Rezeption (II), S: 44.
37Rilla, Paul: Essays. Ostberlin 1955. S. 27. Zit. n.: J. Schulte-Sasse, Struktur, S. 53-54.
38Autorenkollektiv: Erläuterungen zur deutschen Literatur: Aufklärung. Ostberlin 1963. S. 422. Zit. N.: P.M. Lützeler, Rezeption
(II), S. 49. Vgl. dazu auch Seidel, Siegfried: G.E. Lessing. Berlin 1963. S. 102, 104.
12
wurde. Mehring, der auf den “revolutionären Charakter” des Stückes pochte, sah den Schluß als “gräßlich”
an und fühlte sich sogar “verletzt und verstimmt”, weil nicht “die an einem unschuldigen Mädchen verübte
Untat durch den Sturz der Gewalthaber gesühnt wird”39. Lukács, der Emilia Galotti als Gipfelpunkt in der
Geschichte des Klassenkampfes betrachtete, versuchte das nicht-revolutionäre Ende damit zu erklären, daß
ein Umschlagen von klassenkämpferischer Theorie in Praxis im damaligen “Deutschland ausgeschlossen
oder wenigstens von vornherein aussichtslos”40 und Lessing zu nüchtern gewesen sei, “um in einer
Revolution mehr als ein notwendiges abstraktes Zukunftsideal zu erblicken” 41. Im Gegensatz dazu betonte
Müller, daß der Tragödienschluß das Ziel gehabt habe, das Blut der “deutschen Bürger in Wallung” zu
bringen:
“Die Angst der dem verbrecherischen Despotismus unterliegenden Bürgerin wird zuletzt zur
Entschlossenheit, mit dem Opfertod dem Bürgertum das Zeichen zu geben, daß das Maß voll ist.”42
Zur Gruppe derjenigen, die einen politischen Charakter der Emilia Galotti nur im Hintergrund sehen oder
ganz bestreiten, muß auf den ersten Blick Gotthold Ephraim Lessing selbst gerechnet werden, da er in Briefen an Nicolai, seinen Bruder Karl und den Herzog von Braunschweig sein Stück als von allen politischen Intentionen befreit beschrieben hatte. Witkowski setzte bei der Figur des Hettore Gonzaga an, um eine politische Zielsetzung des Dichters zu verneinen:
“Wäre der Prinz ein gemeiner Lüstling, so handelte es sich um nichts als den widerwärtigen
Mißbrauch despotischer Gewalt. An Stelle des menschlichen Interesses träte das politische, das
Lessing gerade vermeiden wollte.”43
Guthke merkt an, daß in Interpretationen, die in Gonzaga einzig den verbrecherischen Despoten sehen,
übersehen wird, “daß die Tyrannei der höfischen Aristokratie über das »Bürgertum« (der sich das Bürgertum
also allzu willig füge) stark abgeschwächt wird durch die Charakterisierung Hettores: als impressionistischer
Ästhet, mehr Verführter als Verführer, ist er durchaus nicht konsequent als Repräsentant der Despotie dargestellt”44. Schulte-Sasse, der das Für und Wider einer politischen Deutung vom genauen Verständnis der Figur
des Prinzen45 abhängig macht, bestreitet ebenfalls eine eindeutige Zuordnung Gonzagas zur moralischen
Haltlosigkeit des Feudalismus, “da sich Anspielungen auf die Vorstellungswelt der Bürgermoral in der Sprache des Prinzen zuhauf nachweisen lassen”46. Allerdings widerspricht ihm da Lützeler:
“Diese Äußerungen sind weniger Indiz für bürgerliches Denken als für adlige Verhaltensweisen
im 18. Jahrhundert. Der Prinz verkörpert jene für die Zeit Ludwigs XV. bezeichnende
Herrscherfigur,
Unbeständigkeit,
einer
Mischung
Intrigantentum,
aus
Despotismus,
Unberechenbarkeit,
Frivolität,
Verantwortungslosigkeit,
Mätressenwirtschaft
und
erotischer
Sensibilität.”47
Die Standeszugehörigkeit der Galottis schätzt Lützeler so ein:
39Mehring, Franz: Die Lessing-Legende. Eine Rettung. Gesammelte Schriften Bd. 9. Berlin: Dietz 1963. S. 405-406. Zit. v.: P.M.
Lützeler, Rezeption, S. 184.
40Lukács, Georg: Größe und Grenzen der deutschen Aufklärung. In: Fortschritt und Reaktion in der dt. Literatur. Berlin: Aufbau
1947. S. 21. Zit. n.: P.M. Lützeler, Rezeption, S. 185.
41G. Lukács: Minna von Barnhelm. In: Akzente 11 [1964]. S. 183. Zit. n.: ebd.
42J. Müller, Wirklichkeit und Klassik, S. 54 bzw. 61. Zit. n.: P.M. Lützeler, Rezeption (II), S. 53.
43Witkowski, Georg (Hg.): Lessings Werke. Bd. II. Leipzig und Wien 1911. S. 153. Zit. n.: C. Brown, Mißbrauch, S. 21.
44K.S. Guthke, Stand, S. 51.
45Vgl. dazu: J. Schulte-Sasse, Struktur, S. 54. Im Gegensatz dazu sehen P.H. Neumann, Preis, S. 37, und K.S. Guthke, Stand, S. 51,
in Odoardo die Zentralfigur für eine politische Interpretation.
46Ebd., S. 62.
47P.M. Lützeler, Rezeption (II), S. 44.
13
“Die Galottis sind weder Bürger noch Grafen, sondern gehören ihrer gesellschaftlichen Schicht
wie ihrer Ideologie nach dem niederen, nicht sehr begüterten Landadel an. Einen Hinweis auf die
adlige Herkunft Odoardos gibt der Prinz, der vom "Geschlecht der Galotti" (I,6) redet. Grimms
Deutschem Wörterbuch zufolge wird im 18. Jahrhundert das Wort "Geschlecht", wenn es mit keinen
weiteren Attributen näher bestimmt wird, durchweg im Sinne von "Adelsgeschlecht" gebraucht. Dem
Adelsrang nach steht Galotti weit unter Appiani, dessen Hochzeit mit Emilia als "Mißbündnis"
(I,6) bezeichnet wird. Odoardo, wie die meisten seiner Standesgenossen, ist gleichzeitig
Mitglied der Militäraristokratie, und zwar im Range eines Obersten. Das bedeutet, daß er dem
Fürsten gegenüber in einem direkten und untergeordneten Abhängigkeitsverhältnis steht.”48
Durzak, der in dem Drama “ein erstaunlich geschlossenes Gesellschaftsbild” mit “verschiedenen sozialen
Schichten” entdeckt, betrachtet die Galottis als “Repräsentanten des Bürgertums”49. Dem entgegnet Barner:
“Die aufgeführten Personen gehören alle der Gesellschaft eines fürstlichen Hofes an. Ein
Gewerbe und Handel treibendes Bürgertum ist nicht vertreten. Odoardo als seinen Repräsentanten
zu betrachten ist nicht angängig. [...] Unter diesen Umständen ist es nicht möglich, von einer
klaren Konfrontation von adlig-lasterhafter und bürgerlich tugendhafter Welt oder einem
"Ständedrama" zu sprechen.”50
Der Schluß des Dramas gibt ebenfalls Anlaß zu vielfältigen Deutungen, die eine politische oder revolutionäre Intention ausschließen. Guthke argumentiert:
“Es wäre ein leichtes gewesen, den revolutionären Appell des historischen Virginia-Motivs zu
übernehmen; Lessing hätte nur Odoardo ein paar entsprechende Worte in den Mund zu legen
brauchen.”51
Neumann schließt einen politischen Appell aus, indem er auf die kriminelle Tat Odoardos verweist:
“Als politisches Fanal wäre die Tötung Emilias schon deshalb nicht tauglich, weil die
Vatergewalt nach den für Lessings Dramen verbindlichen Normen ein Recht der Kindestötung nicht
einschließt. Damit verliert das Virginius-Motiv für Lessing grundsätzlich an politischer
Tendenz. Indem er es psychologisch umdeutete, mußte er es zugleich kriminalisieren, weshalb sich
Odoardo am Ende dem weltlichen und dem himmlischen Richter unterstellt.”52
Lützeler erklärt den unrevolutionären Schluß anhand Lessings Ansichten, die er in der Hamburgischen
Dramaturgie53 und den Freimaurergesprächen äußerte:
“Er ist vielmehr damit zu erklären, daß Lessing in politischer Hinsicht kein Revolutionär war,
was aus seinen eigenen theoretischen Schriften hervorgeht. Schon in den ersten beiden Stücken
der
Hamburgischen
Dramaturgie
entwirft
er
ein
moralisch-idealistisches
Konzept
von
Gesellschaftsveränderung: Das Theater soll "die Schule der moralischen Welt" werden, und dieses
moralische Ziel soll auf aufklärerische Weise erreicht werden durch "Erleuchten" und "Bessern"
(1. Stück). Im siebten Stück legt Lessing dar, daß er seine Arbeit als "Supplement der Gesetze"
betrachtet, womit jede Befürwortung revolutionärer Akte ausgeschlossen ist. Den Weg zu konkreter
48Ebd., S. 49.
49M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 64.
50W. Barner, Lessing, S. 207.
51K.S. Guthke, Stand, S. 50.
52P.H. Neumann, Preis, S. 43. Neumann weist darauf hin, daß zu Virginias Zeit in Rom kein Vater wegen Kindestötung gerichtlich
belangt werden konnte. Daher war der Mord von Virginius kein krimineller Akt.
53Die nach Guthke, Stand, S.52-53, “bedeutendste und verläßlichste Analyse des Stücks” von Stahl klammert eine politische Interpretation völlig aus, da das Werk in engeren Zusammenhang mit der Theorie der Hamburgischen Dramaturgie zu sehen sei. Vgl.
dazu: Stahl, Ernest L.: Lessing. Emilia Galotti. In: Das deutsche Drama vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. v. Benno v. Wiese.
Düsseldorf 1958. S. 101-112.
14
Gesellschaftsveränderung
diskutiert
Lessing
in
den
Freimaurergesprächen.
[...]
Die
gesellschaftsverändernde Tätigkeit soll sich nach Lessing vollziehen in Form des ständig
freiwillig geleisteten "Opus supererogatum". Mit dieser Forderung wendet er sich gegen
revolutionäre Akte und plädiert für eine Innovation der Gesellschaft von innen heraus.”54
4. Motive der Hofkritik
4.1. Die Einzelszenen
1. Aufzug, 1. Auftritt
Der Schauplatz des Geschehens wurde vom Dichter nicht in ein deutsches Fürstentum des 18. Jahrhunderts,
sondern in einen absolutistisch regierten italienischen Kleinstaat der Renaissance verlegt. Aber Erz zufolge
“besteht kein Zweifel, daß Lessing die Verhältnisse in Deutschland vor Augen hatte”55. Rilla hält die Wahl
des Ortes für einleuchtend, “weil das italienische Duodezfürstentum der einzige Schauplatz war, mit dem er
Deutschland meinen konnte, ohne Deutschland sagen zu müssen”56. Barner führt einen weiteren Grund an:
“Ein Moment der Vorsicht mag dabei mitgespielt haben. Vor allem aber unterband Lessing durch
diese Distanzierung die Möglichkeit zur unreflektierten Identifikation mit Gegenwärtigem und
betonte den Denkanstoß, den das Stück geben sollte.”57
Der erste Auftritt dient als Exposition: der Prinz, Emilia, Gräfin Orsina und Marinelli werden direkt oder
indirekt eingeführt und die gesellschaftlichen Verhältnisse angedeutet. Es zeigt sich, daß es um die wirtschaftlichen Zustände des Landes nicht zum Besten steht:
“Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!”58
Schuld daran ist wohl der Prinz selbst, der seine absolute Macht je nach Laune der Stunde ohne Berücksichtigung der Staatsräson handhabt. Mit den Steuergeldern verfährt er willkürlich; der Emilia Bruneschi will
er nur aufgrund ihres Vornamens eine beträchtliche Summe zukommen lassen.
1. Aufzug, 2. Auftritt
Im Gespräch zwischen Gonzaga und Conti wird das Verhältnis Hof - Künstler beleuchtet: Auf die Frage
des Prinzen “Was macht die Kunst?” antwortet der Maler: “Prinz, die Kunst geht nach Brot” 59. Diese
Äußerung drückt nach Painters Meinung “eine entlarvende Wahrheit” 60 aus, denn nur der Hof bot den
54P.M. Lützeler, Rezeption, S. 185-186.
55M. Erz, Aufklärer, S. 117.
56Rilla, Paul: Lessing und sein Zeitalter. München 1977. S. 272.
57W. Barner, Lessing, S. 205.
58Emilia Galotti, S. 5. Zitiert wird nach der Reclam-Ausgabe.
59Ebd., S. 6.
60P. Painter, Erläuterungen, S. 36.
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Künstlern materielle und schöpferische Entfaltungsmöglichten. Berücksichtigt man Lessings
Hungerexistenz, so ist die von Durzak erwogene Identifikation Lessings mit Conti wahrscheinlich 61.
1. Aufzug, 5. Auftritt
Der Monolog des Prinzen ist eine Bloßstellung der menschenverachtenden Moral am Hof, denn Gonzaga
degradiert Emilia wie ihr Bildnis zur käuflich erwerbbaren Ware und damit zu einem Objekt seiner Willkür,
mit dem er nach Gutdünken verfahren kann:
“Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur! - Was Sie dafür wollen, ehrliche
Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!”62
1. Aufzug, 6. Auftritt
Der Umstand, daß sich der Prinz als “Opfer eines elenden Staatsinteresses” 63 sieht, weil er eine ihm gleichgültige Prinzessin ehelichen soll, ist ein Ausdruck verkümmerter sozialer Beziehungen im Hochadel, wo “das
Zeremoniell, der Zwang, die Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit” 64 vorherrschen und es keine echte
Freundschaft gibt:
“Oh, ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben!”65
Der Prinz geht seinen Herrscherpflichten sehr nachlässig nach; die Staatsführung gleitet ihm durch private
Liebesverwicklungen schnell aus den Händen, und er, der Steuermann des Landes, wird zu einem “Raub der
Wellen”66. Daher spannt er entgegen den Staatsinteressen den Kammerherrn in seine Affären ein 67.
Von Marinelli wird die Waren-Metapher aus I,4 wieder aufgenommen:
“Was Sie versäumt haben, gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun
der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der
zweiten: - und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so viel wohlfeiler.”68
Durzak bemerkt dazu:
“Diese ungemein modern wirkende Waren-Metapher, die Kunstwerke und Menschen zu Objekten
deformiert, deren einziger Wert in Relation zu ihrem möglichen Kaufpreis hervortritt, zeigt also
sowohl den Prinzen als auch Marinelli von einer Auffassung beherrscht, die die Wirklichkeit zu
einem Konglomerat verfügbarer Dinge veräußerlicht.”69
Die Relation zwischen Herrschendem und Beherrschtem wird auf eigentümliche Weise verkehrt, als der
Prinz an den Kammerherrn appelliert:
“Liebster, bester Marinelli, denken Sie für mich. Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner
Stelle wären?”
Der Marchese erwidert, er würde seine politische Macht als Fürst für seine privaten Zwecke ausnützen:
“Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit ansehen - und mir sagen, daß ich nicht
vergebens sein wolle, was ich bin - Herr!”70
1. Aufzug, 8. Auftritt
61Vgl. dazu: M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 86, Anm. 35.
62Emilia Galotti, S. 11.
63Ebd., S. 12.
64Ebd., S. 14.
65Ebd., S. 15.
66Ebd., S. 16.
67Eine Analyse des Verhältnisses zwischen Gonzaga und Marinelli anhand der Sprache bietet: V. Nölle, Subjektivität, S. 161-213.
68Emilia Galotti, S. 16.
69M. Durzak, Gesellschaftsbild, S. 68. S. Jørgensen, Rezension, S. 723, sieht in der Analyse der Warenmetapher eine Über-
interpretation, während Barner, Lessing, S. 206-207, mit Durzak übereinstimmt.
70Emilia Galotti, S. 16.
16
Dem Monarchen sind Menschenleben völlig gleichgültig, sobald sein persönliches Interesse auf dem Spiel
steht. Ein zu unterschreibendes Todesurteil kommentiert er mit einem “Recht gern”71.
Nicht nur das Finanzwesen, auch die Gerichtsbarkeit ist von des Fürsten Launen abhängig und untersteht
keiner besonderen Kontrolle. Indem Rota ihm den Vollstreckungsbefehl vorenthält und ihn dadurch zum
Nachdenken zwingen will, wird das Versagen Gonzagas noch zusätzlich hervorgehoben.
2. Aufzug, 3. Auftritt
Der als vogelfrei erklärte Mörder Angelo, dessen Name bereits voll versteckter Ironie ist, bereitet im Auftrag Marinellis das Attentat auf Appiani vor. Dazu bemerkt Gehrke:
“Ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher mit 'Kundschaft' in den höchsten Kreisen gerät
natürlich zur entlarvenden Pikanterie hinsichtlich der sittlichen Verfassung des Ländchens
Guastalla.”72
2. Aufzug, 4. Auftritt
Odoardo lobt den designierten Schwiegersohn dafür, daß er sich dem höfischen Leben entziehen will, um
“in seinen väterlichen Tälern sich selbst zu leben”. Er lehnt “das Geräusch und die Zerstreuung der Welt” 73
ab, die eine Gefahr für die Erziehung seiner Tochter darstellen und gibt eine Charakteristik des Hoflebens:
“Was sollte der Graf hier? Sich bücken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis
auszustechen suchen? um endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine wäre?”74
Der Prinz ist aus seiner Sicht ein “Wollüstling, der bewundert, begehrt”75; dessen Verhalten von emotionellen Faktoren abhängig ist:
“Dazu bedenkst du nicht, Claudia, daß durch unsere Tochter er [Appiani] es vollends mit dem
Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich - “76
2. Aufzug, 6. Auftritt
Emilia beklagt sich, wie fürstliche Willkür sich auf Unschuldige auswirken kann:
“Aber daß fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen machen kann!”77
Claudia beschwichtigt sie damit, daß die Sprache des Hofes nicht wortwörtlich zu verstehen sei:
“Der Prinz ist galant. Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. Eine
Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur Beteurung, ein Einfall zum
Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in
ihr so viel als nichts.”78
Bohnen meint zur Charakterisierung der höfischen Kommunikation:
“Lessing siedelt die gesinnungslose Verkehrung der Sprache im Umkreis des höfischen Lebens an,
und es scheint, als formuliere das Stück mit der Parallelisierung von Wort- und Machtmißbrauch
71Ebd., S. 18.
72Gehrke, Hans: Gotthold Ephraim Lessing. Emilia Galotti. Interpretationen und Materialien. Hollfeld: Bange 1983. S. 86. Zit. n.: P.
Painter, Erläuterungen, S. 73.
73Emilia Galotti, S. 22
74Ebd., S. 23.
75Ebd., S. 24.
76Ebd., S. 23.
77Ebd., S. 25.
78Ebd., S. 28.
17
eine politische Anklage, die das Ständesystem mit seiner Pervertierung von Natur und Moral
treffe.”79
2. Aufzug, 8. Auftritt
Appiani beschreibt unterschwellig seine Stellung zum Hof und zum Monarchen:
“Meine Freunde verlangen schlechterdings, daß ich dem Prinzen von meiner Heirat ein Wort sagen
soll, ehe ich sie vollziehe. Sie geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen
ihn woll' es nicht anders. - Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu versprechen. Eben
wollt' ich noch bei ihm vorfahren.”80
Während Painter in Appianis Worten “republikanische Grundzüge der Fürstenferne” erkennt, sieht Wittkowski im Kontrast dazu beim Grafen Ansätze von “grundsätzlicher Dienstfertigkeit”81.
2. Aufzug, 10. Auftritt
Marinelli und Appiani bringen beide ihre Verachtung über die gesellschaftliche Stellung des anderen zum
Ausdruck. Marinelli läßt die Teilhabe an der höfisch-absolutistischen Macht spüren; Appiani aber betont
seine Freiheit und legt Marinellis Schwäche und völlige Unfreiheit bloß:
“Der Befehl des Herrn? - des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt, ist unser Herr so
eigentlich nicht. - Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtern Gehorsam schuldig wären. Aber
nicht ich. - Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu
dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größeren Herrn.“82
Auch Appiani hatte die Absicht, in Gonzagas Dienst zu treten, bis er wohl erkannte, daß der Fürst seinen
Vorstellungen von politischer Moral und Staatsräson nicht entsprach.
3. Aufzug, 1. Auftritt
Ort der Handlung ist das Lustschloß Dosalo. Von Nölle wird das Schloß “als monumentale Manifestation
pervertierter Herrschaft, die die Untertanen zu Objekten ihrer Willkür reduziert” gedeutet, als “Kontrapunkt
zur bürgerlichen Privatsphäre”. Weiter führt er aus:
“Es scheint, als weise Lessing auf einen unvermuteten Zusammenhang zwischen dem Ort und dem
abgründigen Geschehen. Als wolle er andeuten, daß ein Lebensstil, der den bloßen Vergnügungen
und Festen eigens ein so verschwenderisches Reich weiht, Vorschub leisten könnte einer
Skrupellosigkeit, mit welcher der Befriedigung der Leidenschaft alles untergeordnet wird, ja der
selbst die Ehre und das Leben der Untertanen aufgeopfert werden. Dann ist das Lustschloß mehr
als nur effektvoller Kulissenhintergrund, auf dem sich das mörderische Spiel gespenstisch
abzeichnet.”83
Der Kammerherr deutet dem Prinzen die Möglichkeit einer gewaltsamen Lösung an. Painter kommentiert:
“Marinellis Verständnis von Macht, von Herrentum, ist das des Mittelalters. Konzessionen an
die heraufkommende Bürgerzeit lassen aber die nackte Gewalt nicht mehr zu, die in früheren
Jahrhunderten über das Leben des 'gemeinen Mannes' herrschte. Gewalt bedarf jetzt der listigen
Verkleidung, Teufeleien helfen, die Privilegien der Mächtigen zu wahren.”84
4. Aufzug, 1. Auftritt
79K. Bohnen, Geist, S.140.
80Emilia Galotti, S. 31.
81P. Painter, Erläuterungen, S. 45, und W. Wittkowski, Bürgerfreiheit, S. 72. Wittkowski geht aber nicht darauf ein, daß Appiani
nicht aus freien Stücken, sondern auf Druck seiner Freunde zum Prinzen gehen will.
82Emilia Galotti, S. 33.
83V. Nölle, Subjektivität, S. 108-109.
84P. Painter, Erläuterungen, S. 47.
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Als der Prinz vom Mord am Grafen erfährt, weist er alle Schuld von sich und ruft Gott zum Zeugen an. Daß
dieser Einwand jedoch keiner echten moralischen Regung, sondern der Furcht vor den Folgen dieser Tat entspringt, verdeutlicht sein Umschwenken ins Gegenteil, nachdem ihm Marinelli den Vorteil von Appianis Tod
vorgehalten hat:
“Ein Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht? - Topp! auch ich erschrecke
vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muß es ein kleines stilles Verbrechen,
ein kleines heilsames Verbrechen sein.”85
In dieser Haltung Hettores, die lediglich den subjektiven Nutzen und die private Gefährdung durch die
Mordtat berücksichtigt, befindet sich Painter zufolge “ein ausgeprägt antihöfischer Wesenszug der im Stück
vorgetragenen Kritik”86.
4. Aufzug, 3. Auftritt
“Verdammt über das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen!”87
Diese Bemerkung der Gräfin Orsina, passend zu Claudias Charakterisierung der Sprache des Hofes in II,6,
könnte ein Stoßseufzer Lessings gewesen sein, der vom Herzog von Braunschweig, nachdem ihm dieser Beförderungen und Gehaltserhöhungen versprochen hatte, immer wieder hingehalten und vertröstet wurde.
5. Aufzug, 1. Auftritt
Marinelli versucht, vorherzusagen, wie sich Odoardo angesichts der Geschehnisse verhalten wird:
“Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheint, wird er ganz untertänigst Eurer Durchlaucht
für den gnädigen Schutz danken, den seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden;
wird sich mitsamt seiner Tochter zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig nach der Stadt
bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten, welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an
seinem unglücklichen, lieben Mädchen zu nehmen geruhen wollen.”88
Obwohl Odoardo ein Adeliger ist und im Militär als Oberst eine hohe Position innehat, geht der Marchese
davon aus, daß dieser die Willkür des Monarchen ohne ein Aufbegehren in tiefster Demut akzeptieren wird.
5. Aufzug, 4. Auftritt
Doch Odoardo ist zuerst fest entschlossen, sich gegen den Despoten zu wehren. Dabei erkennt er, daß er
das Gesetz brechen muß, an welches sich der Monarch nicht richtet:
“Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso mächtig, als wer kein Gesetz hat.”89
5. Aufzug, 5. Auftritt
Als Marinelli fordert, Emilia gehöre in besondere Verwahrung, führt Odoardo mit sarkastischen Worten die
bereits in V,4 geäußerte Kritik am absolutistischen Justizwesen weiter:
“O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich!”90
5. Aufzug, 7. Auftritt
“E m i l i a . [...] Ich will doch sehen, wer mich hält - wer mich zwingt - wer der Mensch ist,
der einen Menschen zwingen kann.
O d o a r d o . Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.
85Emilia Galotti, S.51
86P. Painter, Erläuterungen, S.51-52.
87Emilia Galotti, S.54.
88Ebd., S. 67.
89Ebd., S. 70.
90Ebd., S. 73.
19
Emilia.
Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in den Schoß legen?
Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht dürfte?”91
Diese Worte Emilias kann man durchaus als Appell Lessings verstehen, sich gegen Fürstenwillkür und
Despotie zu wehren, anstatt in ängstlicher Passivität zu verharren.
5. Aufzug, 8. Auftritt
Nachdem Emilia von ihrem Vater erstochen worden ist, versucht der Prinz, der letztlich Verantwortliche,
wieder einmal seine Schuld auf den Höfling Marinelli abzuwälzen. Damit verdeutlicht er, besonders durch
seine hofkritische Wendung, daß aufgrund der höfischen Machtverhältnisse und Einflußmöglichkeiten solche
Verbrechen nicht verhindert, sondern begünstigt werden:
“Geh, dich auf ewig zu verbergen! - Geh! sag ich. - Gott! Gott! - Ist es, zum Unglücke so
mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund
verstellen?”92
Odoardo unterwirft sich der Gerichtsbarkeit des Fürsten. Dazu bemerkt Neumann:
“Ohne Frage stellt diese Unterwerfung Galottis ein erhebliches Politikum in Lessings
Trauerspiel dar. Es ist ein schrecklicher Widersinn, daß der Richter gerade Hettore Gonzaga
heißt. Nicht nur ein Unwürdiger, sondern der Verursacher allen Unheils wird über Emilias Vater
zu richten haben.”93
4.2. Die Charaktere
Hettore Gonzaga
In den ersten Auftritten wird der Fürst als Vertreter der anti-höfischen Empfindsamkeit beschrieben. Er verstößt gegen eine Reihe höfischer Konventionen; er verspottet die Kreise des Hofadels, wo es langweilig und
dürftig zugeht; er fördert die Kunst, die in seinem Gebiet nicht nach Brot gehen soll und umgibt sich mit aufgeklärten Räten wie Camillo Rota; auch die tiefe Liebe der Gräfin Orsina, die über das am Hof übliche Maß
hinausgeht, spricht für seinen Charakter; ebenso die offenherzige Art, seinem Kammerherrn die Liebe zu
Emilia Galotti zu bekennen. Daher scheint er zunächst “einen Fürsten vorzustellen, der geprägt ist durch die
sensualistische Strömung der Aufklärung”94. Allerdings zeigt sich sehr bald, daß seine guten Empfindungen
nur sehr spärlich und flüchtig sind. Gonzaga entpuppt sich als moralisch verkommener Lebemann, der je
nach Laune über Bittschriften entscheidet und mit sorgloser Brutalität Todesurteile ausspricht. Als ein
Sklave seiner leiblichen Begierden ist er fest entschlossen, Emilia, ein wehrloses Objekt seiner Willkür, in
seinen Besitz zu bekommen. Dabei begeht er Menschenraub, mißbraucht die Patrimonialgerichtsbarkeit zu
persönlichen Zwecken und bejaht zynisch kriminelle Handlungen.
Während Schulte-Sasse den Prinzen als einen Menschen ansieht, “der zwar "Mensch" sein will, aber im
entscheidenen Moment an seiner sozialen Gebundenheit scheitert, indem er Handlungsmöglichkeiten, die
ihm sein Stand bietet, ergreift, um eine drohende Entwicklung in seinem Sinne zu ändern”95, dient Lützeler
zufolge das Menschliche lediglich als Alibi, um sich einer allgemein geltenden Gesetzesnorm zu entziehen.
Lützeler faßt daher zusammen:
91Ebd., S. 76.
92Ebd., S. 79.
93P.H. Neumann, Preis, S. 44.
94P.M. Lützeler, Adel, S. 102.
95J. Schulte-Sasse, Struktur, S. 65.
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“Durch die Darstellung des Prinzen wird die Unversöhnbarkeit der Prinzipien von Absolutismus
und Aufklärung vor Augen geführt. »Aufgeklärter Absolutismus« erweist sich als contradictio in
adiecto.
Gonzaga
verkörpert
die
Unmöglichkeit
der
Synthese
von
Machiavellismus
und
Empfindsamkeit, von Skrupellosigkeit und Sensibilität, von Mätressenwirtschaft und Liebe, von
Arkanpolitik und öffentlicher Kritik, von Höfischem und Anti-Höfischem, von auctoritas und
veritas, von Quasi-Göttlichkeit und Menschlichkeit, in einem Wort von Absolutismus und
Aufklärung.”96
Marinelli
Der Kammerherr ist nach Kiesel “das perfekte Beispiel eines schmeichlerischen, berechnenden und intriganten Höflings, der den anfangs bürgerlich-empfindsam sich gebenden Prinzen wieder auf negativ gezeichnete höfische Verhaltensweisen zurückführt und ihm die Mätressenwirtschaft genauso schmackhaft macht
wie die tyrannische Gewaltanwendung”97. Marinelli verkörpert den vom Hof abhängigen und domestizierten
Hochadel. Dieser hat vom absolutistischen Fürsten das Monopol über die Hofämter erhalten, muß dafür aber
die ökonomisch-politische und moralische Selbständigkeit aufgeben. Da der Hochadel sich in einer starken
Abhängigkeit vom Monarchen befindet, können Moral und Tugend kaum Richtlinien für das gesellschaftliche Überleben sein; Lügen und Intrigen sind an der Tagesordnung.
Marinelli ist jedes Mittel recht, um an sein Ziel zu gelangen: Drohung, Betrug, Überfall, Menschenraub und
Mord. Die Lüge gebraucht er mit solcher Selbstverständlichkeit, daß sie zu einem Teil seines Lebens
geworden zu sein scheint. Zwar erweist er sich als gerissen und skrupellos in seinen Plänen, doch in der Ausführung tritt gelegentlich täppisches Unvermögen zutage, beispielsweise als er die Gräfin Orsina für geistesgestört erklärt und dann mit Odoardo alleinläßt. Lützeler bewertet ihn folgendermaßen:
“Lessing übernimmt den bereits aus dem barocken Trauerspiel bekannten Intriganten in sein
Drama. Damit verdeutlicht er, wie sehr der Prinz in seinem Stück der Praxis des FrühAbsolutismus verhaftet ist, wie wenig Einfluß die Tugendprinzipien der Aufklärer auf ihn haben.
Das literarisch Überholte der Figur Marinelli entspricht dem Politisch Reaktionären, wofür sie
steht. Lessing macht durch die Figur Marinelli indirekt klar, daß er die aufgeklärtabsolutistischen Adelsschriften für apologetische Wunschbilder hält.”98
Odoardo
Für Odoardo, von patriarchalischer Autorität und einer preußisch anmutenden Haltung zu Pflicht und Ordnung geprägt, ist das Eingebundensein in eine ständische Ordnung eine Selbstverständlichkeit. Das unmoralische Hofleben lehnt er wie Appiani ab; aber anders als beim Grafen ist seine Haltung nur ein Ausdruck
ohnmächtigen Protestes. Einerseits ist der aus niederem Adel Stammende ohnehin aus der dem Hochadel
vorbehaltenen Hofgesellschaft ausgeschlossen. Andererseits ist er als Oberst Mitglied der Militärhierarchie
und damit dem Fürsten verpflichtet. Da er sich nicht faktisch-politisch vom Hof absetzen kann, versucht er es
zumindest auf ideologische Weise, indem er die alten, aus vorabsolutistischer Zeit stammenden Adelsideale
aristokratischer Ehre und Loyalität verinnerlicht.
Bis zu einem gewissen Grad zeigt er sich auch als Revolutionär, als er plant, am Fürsten Rache zu nehmen.
Im weiteren Verlauf der Handlung ist er aber nicht in der Lage, seinen Plan in die Tat umzusetzen, da dieser
seiner Moral und Loyalität widerspricht. Ebensowenig wie er gegen die soziale Ordnung rebellieren kann, ist
96P.M. Lützeler, Adel, S. 104.
97H. Kiesel, Höll, S. 230.
98P.M. Lützeler, Adel, S. 104.
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er in der Lage, seine Tochter einem unmoralischen Schurken zu überlassen. Daher bleibt ihm nur der Weg
des Opfers und der Selbstvernichtung.
Appiani
Der Graf Appiani verkörpert in gewisser Hinsicht das Gegenbild zum Marchese Marinelli. Seine Charakterzüge, Stolz, Ehrliebe, aufrechtes Wesen und Schwärmerei, lassen ihn zum Hofdienst als wenig geeignet erscheinen. Zudem ist er als “Vasall eines größeren Herrn” 99 vom Prinzen nicht abhängig. Dennoch ist es einmal seine Absicht gewesen, Gonzaga zu dienen; und noch immer bedeutet es ihm sehr viel, als der Prinz angeblich seine Dienste benötigt. Umstritten ist seine Bereitschaft, mit Marinelli ein Duell auszutragen. Während Wittkowski “das zweifelhafte Ideal des Duellkodex”100 als Beweis für die aristokratische Gesinnung
des Grafen anführt, folgert Lützeler daraus das genaue Gegenteil:
“Appianis Unabhängigkeitsstreben und seine anti-höfische Orientierung kommen auch in seiner
Einstellung zum Duell zum Ausdruck. Für den absolutistischen Herrscher stellte das Duell als
Inbegriff persönlicher Ehrenwahrung eine Gefährdung der staatlichen Rechtsautorität dar.
Entsprechend verfolgte er seine Ausübung mit drakonischen Strafen. [...] In seiner Tragödie läßt
er [Lessing] den auf Unabhängigkeit vom Hof bedachten Appiani auf dem Duell bestehen, während
sich der Höfling Marinelli nicht darauf einlassen kann und sich ihm mit vordergründigen
Ausflüchten entzieht.”101
Appiani ist entschlossen, die Stadt und den Hof zu verlassen. Allerdings bleibt ihm kaum etwas anderes
übrig, da ihm nach Marinellis Worten durch dieses “Mißbündnis” der “Zirkel der ersten Häuser” 102 verschlossen ist. Andererseits gehört schon aufklärerisch-überständisches Denken dazu, um aus Liebe eine im
Adelsrang wesentlich unter ihm Stehende zu ehelichen. Dennoch kann man ihn nicht als einen positiven bürgerlichen Helden bezeichnen, da er die Flucht ergreift, anstatt im Sinne der Aufklärung eine allgemeine
Überwindung der Standesgrenzen anzustreben. Lützeler sieht in dieser eskapistischen Haltung “die Grundthese des Stückes von der Unversöhnlichkeit von Aufklärung und Absolutismus unterstrichen”103.
Orsina
Die Gräfin Orsina ist sich ihrer Würdelosigkeit als Mätresse bewußt und kritisiert mit scharfen Worten den
Hof mit seinen “Hofmännchen” und “Gehirnchen”, wo das “Hofgeschmeiß” 104 lügt und betrügt und eine
Frau nicht mitdenken und Bücher lesen darf, sondern nur den Herrn bei Laune zu halten hat. Aus
aufklärerischer Sicht bemerkenswert ist auch ihr Wille, die Geschehnisse auf dem Markt auszurufen, um den
Prinzen mit Hilfe der Öffentlichkeit moralisch und politisch zu diskreditieren und das Volk zum Gericht über
den Hof aufzurufen. Kiesel zufolge ist damit “ein politischer Weg des Widerstandes gegen den Hof
vorgezeichnet, noch bevor die Tragödie mit der moralisch-religiösen Protestnote Odoardos [...] endet”105.
Allerdings werden bei ihr Distanz, Kritik und Angriff erst deutlich, als ihre Entfernung vom Hof bereits beschlossene Sache ist. Daher sind es wohl eher private Rachemotive, die sie das Vokabular der Aufklärer in
99Emilia Galotti, S. 33. In der Frage, wer dieser andere Herr ist, besteht bei den Interpretatoren Uneinigkeit. Während Painter, Er-
läuterungen, S. 71, einen anderen Landesherrn vermutet und Lützeler, Rezeption (II), S. 47, annimmt, der König oder Kaiser sei
gemeint, tippt Durzak, Gesellschaftsbild, S. 78, auf Gott.
100W. Wittkowski, Bürgerfreiheit, S. 73.
101P.M. Lützeler, Adel, S. 105. Dabei ignoriert Lützeler aber, daß es Marinelli ist, der von Appiani Genugtuung fordert und dies dem
Prinzen auch berichtet.
102Emilia Galotti, S. 14.
103P.M. Lützeler, Adel, S. 105.
104Emilia Galotti, S. 54-55.
105H. Kiesel, Höll, S. 233.
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den Mund nehmen lassen; Odoardo bekommt von ihr den Dolch, damit er nicht nur die “gekränkte Tugend”
retten, sondern auch ihre “Rache des Lasters”106 vollenden kann.
Claudia
Im Gegensatz zu ihrem Mann ist sie für alles Höfische empfänglich. Sie kennt die höfischen, mitunter
frivolen Abendgesellschaften genauso wie die “Sprache der Galanterie” und ist auf sozialen Aufstieg
bedacht; daher hält sie sich etwas darauf zugute, die Aufmerksamkeit Gonzagas auf ihre Tochter gelenkt zu
haben, so daß Marinellis Denkansatz von der Quasi-Schwiegermutter des Prinzen nicht ganz unberechtigt ist.
Claudia verkörpert den niederen Adel, der sich unter Verlust der alten Adelsnormen an das Hofleben zu
assimilieren sucht, dabei aber an der Machtmechanik des Hofes scheitert. Allerdings wehrt sich Claudia vehement, als sie die unmoralischen Verhältnisse am Fürstenhof erkennt.
Emilia
Nach Steinhauer bewegt sie sich in einem “Konflikt zwischen aristokratischer Verderbtheit und bürgerlicher Tugendhaftigkeit”107. Zum einen ist sie bei ihrer Mutter in der Stadt aufgewachsen, wo es statt
“Unschuld und Ruhe” nur “Geräusch” und “Zerstreuung”108 gibt. Zum anderen ist sie geprägt von den strengen Auffassungen von Ehre und Tugend ihres Vaters. Doch als sie sich gegen die Eingriffe in ihre persönliche Freiheit wehrt, greift sie anscheinend eine anti-absolutistische These der Aufklärer auf, die den Fürsten
als "Menschen" und nicht als gottähnlichen Herrscher betrachtet. Doch ihre moralische Kritik führt ebensowenig wie die Appianis und Odoardos zu konkreten Maßnahmen.
Camillo Rota
Der Rat liefert das Gegenbild zu Marinelli, der Humanist gegen den inhumanen Egoisten. Kammerherr
könnte er wohl niemals werden, da ihm dabei sein Gewissen und seine Gesetzestreue im Weg stünden. Der
Prinz spricht im negativen Sinn von “seinen Bedenklichkeiten”109 und kontrastiert damit sein eigenes Verhalten, da er selber keine Bedenken hat, ein Todesurteil mit einem “Recht gern” zu unterzeichnen. Da Rota
dies durch die Seele geht, greift er im Namen der Humanität zu einer Notlüge, vorgebracht in einem Milieu,
wo die Lüge allzu selbstverständlich als Förderung der eigenen Karriere mißbraucht wird.
Amtsmißbrauch und Willkür liegen ihm fern; als Gonzaga ihm aufträgt, mit den eingegangenen Bittschriften nach Gutdünken zu verfahren, weist er dies mit einem “Nicht wie ich will, gnädiger Herr”110 ab.
5. Fazit
Betrachtet man Lessings Wirken im allgemeinen und sein Drama Emilia Galotti im besonderen, so kann
man zu dem Ergebnis kommen, daß er kein anti-höfischer, revolutionärer Dichter war. Die von ihm
angeprangerte absolutistische Willkür und feudale Despotie waren offenkundige Mißstände seiner Zeit;
daher kann man den einerseits sensibel-empfindsamen, andererseits brutal-machtbewußten Prinz Hettore
sowohl mit dem Sonnenkönig Ludwig XIV., dem Preußenkönig Friedrich II. und dem Herzog von
Braunschweig vergleichen, da ihre Art des Regierens typisch für das 17. und 18. Jahrhundert war.
Seine Hofkritik war eher moralischer Natur. Nicht die feudalabsolutistische Macht als solche kritisierte er,
sondern deren Auswirkungen; während er den Mißbrauch der Fürstengewalt anklagte, bestritt er die prinzi106Emilia Galotti, S. 68.
107H. Steinhauer, Schuld, S. 58.
108Emilia Galotti, S. 22-23.
109Ebd., S. 17.
110Ebd., S. 18.
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pielle Legitimität der Machtausübung durch den Monarchen nicht. Demonstriert wird diese Haltung an der
Beschreibung von Odoardo, Emilia und Appiani: ihre vorexerzierte moralisch-politische Position läuft nicht
auf Beseitigung der überkommenen höfischen Strukturen und Errichtung einer neuen Gesellschaft hinaus,
sondern beschränkt sich auf Flucht und Selbstzerstörung.
Allerdings wäre ein offener Aufruf zum Aufstand gegen die Fürsten aufgrund der realen politischen Zustände bloßer Theaterdonner geblieben. Erstens hätte ein solches Unterfangen Lessing persönlich schwerwiegende Konsequenzen wie Kerkerhaft und Zensur eingebracht, da sein Stück an einem Hof aufgeführt wurde
und er finanziell eminent von der Gunst seines Herrn abhängig war. Zweitens konnte er kaum eine grundlegende politische Alternative entwerfen; eine Übernahme der fürstlichen Gewalt durch die Bourgeoisie war
schon aufgrund der Schwäche des deutschen Bürgertums nicht denkbar. Deswegen propagierte Lessing nicht
eine Machtergreifung des dritten Standes, sondern die Gleichstellung aller Stände, Adel und Bürgertum wurden auf den Generalnenner Mensch gebracht, und die Fürstenerziehung. Karl Wilhelm Ramler schlug als
Geleitwort für Emilia Galotti vor:
“Und nun gelangt zur Einsicht, ihr Könige! Laßt Euch erziehen, ihr, die ihr über die Erde
Richter seid!”111
Lessings Anliegen war es, durch Erweckung von Mitleid und Erschütterung beim Zuschauer einstweilen
den aufklärerischen Boden für die Empörung gegen solche Zustände, wie sie in dem Trauerspiel gezeigt werden, bereiten zu helfen. Daher sonderte er die Geschichte der römischen Virginia von allen revolutionären
Motiven ab und hob die Moral und die Tugend der Emilia hervor.
111Zit. n.: M. Erz, Aufklärer, S. 117.
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6. Literaturliste
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