T1 Europäisches Geschichtsbuch? Das moderne Schulbuch im Fach Geschichte ist in der Regel ein Arbeitsbuch. Die Autorentexte, Quellen und Materialien sind mehrperspektivisch angelegt. Das betrifft auch nationale und kulturelle Perspektiven. Die Sicht auf Geschichte ist nicht mehr nur deutschlandzentriert. Dennoch liefert auch das Arbeitsbuch eine "Erzählung". Der derzeitige bildungspolitische Kurs der Europäischen Union … beabsichtigt, tendenziell ein 'europäisches Geschichtsbewusstsein' auszubilden. Das war nicht immer so …Eine derartige Entwicklung könnte man aufgrund ihres plötzlichen Einsetzens als 'invented tradition (Eric Hobsbawm) bezeichnen. Was 'Europa' darin bedeutet, wird durch eine selektive Kombinierung von kulturellen Versatzstücken vorgegeben. In einer eigenen Meistererzählung werden vor allem jene als 'europäisch' klassifizierten Gemeinsamkeiten focussiert, die es zu erlauben scheinen, eine lineare historische Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart zu erzählen. Dabei werden vorl allem Demokratie, geschriebenes Recht, individuelle Freiheiten und christliches Denken als Parameter gesetzt …" (Kühberger 2006, S. 150f.) Es gibt zwei Lösungswege auf der Ebene des Schulbuchs: a) europäische Schulbuchprojekte, die in multinationalen Autorenteams eine europäische Mehrperspektivik garantieren. Hier sind zwei Projekte zu nennen. texten DLV Lehrerverband: "Sehr sinnvoll, aber: Das Europäische Geschichtsbuch gibt es bereits in sieben EU-Ländern, die Kultusminister haben es nur versäumt, es als Schulbuch einzuführen!" "Chancen vor allem im Zuge der EU-Ost-Erweiterung verschlafen" Bonn, 02.03.2007 Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Josef Kraus, nimmt nachfolgend Stellung zum Vorstoß der Bundesbildungsministerin Annette Schavan und des Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg für ein Europäisches Geschichtsbuch: "Diese Vorstoß ist grundsätzlich zu begrüßen. Ärgerlich aber ist es, wenn die Politik in ihrer Vergesslichkeit das Rad ständig neu erfindet. Dieses Europäische Geschichtsbuch gibt es nämlich in höchster Qualität seit 1992. Es ist entstanden nach einer Initiative des Deutschen Lehrerverbandes und des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands aus dem Jahr 1989. Erarbeitet wurde das 384 Seiten umfassende und für Deutschland im Klett-Verlag erschienene Buch von Historikern aus zwölf europäischen Ländern. Zugleich wurde es in Frankreich, Belgien, Griechenland, Italien, Portugal und in den Niederlanden verlegt. Wenn dieses Buch in Deutschland noch nicht zum schulischen Grundbestand gehört, dann liegt dies an den 16 Kultusministern, die diesem Buch bislang nicht den Rang eines Schulbuches zuerkannt haben. Zu diesen Kultusministern gehörte in den Jahren 1995 bis 2005 auch Frau Schavan als zuständige Ministerin in Baden-Württemberg. Hier wurde insgesamt viel verschlafen, was für die historische Grundbildung gerade auch im Zuge der EU-Ost-Erweiterung wichtig gewesen wäre. Ein Europäisches Geschichtsbuch ist deshalb notwendig, weil die Jugend erfahren muss, dass Europa mehr ist als ein wirtschaftliches Konstrukt, und weil Europas Gesellschaften kulturell immer aufeinander bezogen waren. Leitidee könnte dabei das Bekenntnis des spanischen Philosophen Ortega y Gasset sein, dass wir zum Großteil unserer geistigen Habe Europäer, zu nur einem geringeren Teil Deutsche, Briten, Franzosen usw. sind. - Europäisches Schulbuch (M1) wurde erarbeitet von 12 Historikern aus vorwiegend westeuropäischen Ländern. Es ist 1992 erstmals erschienen, in mehreren Ländern verlegt und richtet sich an SuS der Sekundarstufe I und II. Auf knapp 400 Seiten wird der Zeitraum von der Ur- und Frühgeschichte bis 1990 behandelt. Es gibt ein Vorkapitel "Wesenszüge Europas" (Geographie, Sprache, Kulturen, Union). xxx Abb. - das deutsch-französische Schulbuchprojekt Histoire/Geschichte (M2). Abb. xxx Peter Geiss / Guillaume Le Quintrec (Hg.): Histoire/Geschichte. Deutsche Fassung, Stuttgart/Leipzig 2006, In diesem Projekt arbeiteten jeweils sechs französische und deutsche Autoren in Zweierteams zusammen. Die Initiative ging von einem deutsch-französischen Jugendparlament aus. 1. Auflage 2006 Identische Ausgaben in deutsch und französisch, für die gymnasiale Oberstufe xxx (-> zu Fach Französisch, bilingual) Informationen zum Buch Das Deutsch-Französische Jugendparlament hat am 23. Januar 2003 in Berlin gegenüber Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac den Wunsch vorgebracht, zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses ein gemeinsames deutsch-französisches Geschichtsbuch mit gleichem Inhalt für beide Länder erarbeiten zu lassen ... Ziel ist es, durch Nutzung eines gemeinsamen Lehrbuchs einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die Vermittlung, Wahrnehmung und Deutung der Vergangenheit aus Sicht der jungen Deutschen und Franzosen im zusammenwachsenden Europa annähert. Dabei gilt es, gemeinsame und unterschiedliche historische Entwicklungen zu verdeutlichen sowie Perspektivenwechsel zu erleichtern. Neben der Darstellung von Phasen der gemeinsamen Entwicklung, des Austauschs und der Zusammenarbeit soll dabei auch das Aufgreifen von Konflikten eine bedeutsame Rolle spielen, um der nachwachsenden Generation das Erreichte als wertvollen Besitz und die Notwendigkeit der gemeinsamen Gestaltungsaufgabe für die Zukunft besser bewusst zu machen ... Das Buch ist in seiner deutschen und französischen Fassung sowohl im äußeren Erscheinungsbild als auch im Inhalt identisch. Mit einem Umfang von 348 Seiten orientiert sich das Schulbuch inhaltlich sowohl an den Lehrplänen der 16 Bundesländer als auch an dem französischen Lehrplan für die Oberstufe. Das Buch ist keine Darstellung der deutsch-französischen Geschichte, sondern stellt ein reguläres Lehrbuch dar, das vor allem die europäische Geschichte aus zwei Perspektiven betrachtet. Der Aufbau umfasst pro Themenblock eine Auftaktdoppelseite sowie eine Überblickskarte, die dem Schüler zur thematischen und räumlichen Orientierung in dem Kapitel dient. Pro Themenblock wird es mehrere Dossiers geben, die spezifische Themen vertiefen. Jeder Themenblock wird durch eine abschließende Synthese zusammengefasst. Im Anhang des Buches befinden sich ein Personen- und Begriffsregister, Biographien und ein Glossar. Für dieses binationale Projekt arbeiten die Autoren in deutsch-französischen Zweierteams. Darüber hinaus gibt es zwei Herausgeber: Auf französischer Seite fungiert Guillaume Le Quintrec als Herausgeber, der deutsche Herausgeber ist Dr. Peter Geiss. Verlage Edition Nathan: Françoise Fougeron (Directrice du Département Collèges-Lycée) Ernst Klett Schulbuchverlag Leipzig: Dr. Ilas Körner-Wellershaus (Programmbereichsleiter Gesellschaftswissenschaften) (Klett-verlag URL: http://www.klett.de/projekte/geschichte/dfgb/) LINKS Die Homepage des Auswärtigen Amtes hält Informationen rund um das Schulbuchprojekt sowie weiterführende Links zur deutsch-französischen Jugendarbeit bereit. www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Kulturpolitik/ Die deutsche Botschaft in Paris bietet viele Informationen rund um die deutsch-französischen Beziehungen und die deutsch-französische Zusammenarbeit. www.amb-allemagne.fr Die Website des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit. http://www.berlin.de/rbmskzl/kulturbevollmaechtigter/ Die Homepage von Editions Nathan, dem französischen Partner des binationalen Projektes. www.nathan.fr Die Homepage des Ernst Klett Verlages. www.klett.de xxx Reiner Marcowitz und Ulrich Pfeil* Europäische Geschichte à la franco-allemande? Das deutsch-französische Geschichtsbuch in der Analyse Ein Dossier URL: http://www.klett-franzoesisch.de/pdf/Dossier%20Manuel%20DOK%205_2006.pdf "Der erste Eindruck: Ein buntes Bilderbuch. Zumindest bei oberflächlicher Betrachtung scheint das neue deutsch-französische Geschichtsbuch für die gymnasiale Oberstufe beziehungsweise die Terminale schon fast überreich an Bildern, Graphiken und Karikaturen. Indes darf man sich hiervon nicht täuschen lassen: Dieses Buch ist ein wirkliches Ereignis, denn wann hat in der Vergangenheit die Herausgabe eines neuen Schulgeschichtsbuches schon einmal eine solche Öffentlichkeit gefunden? Nicht nur die großen deutschen und französischen Tageszeitungen berichteten in ausführlichen Artikeln über diese Begebenheit; sondern auch bekannte Mittlerpersönlichkeiten wurden in der Presse nach ihrem Urteil gefragt. Dass sie wie im Fall von Alfred Grosser „kaum ein gutes Haar an dem Geschichtsbuch“1 ließen, ist zur Kenntnis zu nehmen2, sollte aber auch nicht überbewertet werden, denn natürlich ist es ein Leichtes, neben vielem Gelungenem auch immer weitere Auslassungen, ja grobe Schnitzer in diesem Werk zu finden. Gleichzeitig sollte die Kritik die Lehrer nicht abschrecken, sich selbst ein Bild von dem Buch zu machen. Fehler, Lücken und umstrittene Beurteilungen ließen sich auch in den anderen auf dem Markt befindlichen Schulbüchern finden, doch fanden diese in der Vergangenheit eben nicht das gleiche Maß an kritischer Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit … Es ist kein Zufall, dass die Titel der Doppelseiten des deutsch-französischen Geschichtsbuchs oft mit einem Fragezeichen enden. Das Buch informiert über wichtige historische Entwicklungen und vermittelt die zu ihrer Betrachtung erforderlichen methodischen und terminologischen Kenntnisse. Es wirft aber zugleich im Bereich der Interpretation von Geschichte durch seine multiperspektivischen ‘regards croisés’ eher Fragen auf, als dass es nationale Deutungstraditionen durch neue binationale oder europäische Gewissheiten ersetzen würde. „Histoire/Geschichte“ vermittelt Schü-lerinnen und Schülern Deutungsoptionen, aber keine fertigen „Lehren aus der Geschichte“, die bei der Gestaltung der Zukunft als Rezepte herangezogen werden könnten. Das Buch unternimmt auch nicht den Versuch, Schülerinnen und Schülern eine europäische Identität aufzuoktroyieren, die an die Stelle nationaler Identitäten treten oder diese überwölben könnte. Wenn es so etwas wie eine europäische Identität gibt, dann beruht sie vielleicht weniger auf einem affirmativ-traditionsgesättigten Wir-Gefühl als auf einer in Zeiten schwerster Konflikte und ideologischer Vereinnahmungen schmerzhaft erworbenen Fähigkeit zur Hinterfragung nationaler Standpunkte, zum ergebnisoffenen und ehrlichen Dialog über Grenzen hinweg und zur Skepsis gegenüber den „großen Erzählungen“ unterschiedlicher ideologischer Provenienz, von denen sich Europäer im 20. Jahrhundert in so fataler Weise haben leiten lassen. Wenn das Wissen und Bemühen um diese Fähigkeit einen wesentlichen Teil der Identität Europas ausmacht, dann ist das deutsch-französische Geschichtsbuch ein in hohem Maße europäisches Projekt." vgl. dazu -> http://de.wikipedia.org/wiki/Histoire/Geschichte b) Der zweite Lösungsweg ist pragmatischer und gleichzeitig konsequenter. Im Geschichtsunterricht sollte immer ein weiteres Geschichtsbuch aus einem anderen europäischen Land im Hintergrund genutzt werden. Original/Authentizität xxx z.B. deutsche Nachbarländer Rückfrage: Wir können doch die Sprache nicht verstehen? -> Bilder xxx Beispiele für Geschichtsbücher (Titel) xxx NL B DK PL CH A LUX F CZ T2 Jooke van der Leeuw-Roord: A common textbook for Europe? Utopia or a crucial challenge? In: Jan-Patrick Bauer/Johannes Meyer-Hamme/Andreas Körber (Hg.): Geschichtslernen – Innovationen und Reflexionen. Geschichtsdidaktik im Spannungsfeld von theoretischen Zuspitzungen, empirischen Erkundungen, normativen Überlegungen und pragmatischen Wendungen – Festschrift für Bodo von Borries zum 65. Geburtstag. Herbolzheim 2008, S. 43–60 Borries, Bodo v.: „Gemeinsame Geschichte für europäische Schüler? Zwischen Einheits-Illusion, Kantönli-Geist und Identitäts-Reflexion." In: Geschichte lernen, Heft 32, 1993, 4-8. Pingel, Falk: Europa im Schulbuch. In: GWU 1993, S. 550-566 Rohlfes, Joachim: Europa im Geschichtsunterricht. In: GWU 2003, S. 245-259 Diskussionsstoff: Forum WDR 3: Brauchen wir ein europäisches Geschichtsbuch? (04.05.08) Könnte ein europäisches Geschichtsbuch oder ein "Haus der europäischen Geschichte" das Bewusstsein der gemeinsamen Identität stärken? Wolfgang Stenke diskutiert mit Matthias von Hellfeld (Autor von "Akte Europa. Geschichte eines Kontinents"), Hans Walter Hütter (Präsident der Stiftung "Haus der Geschichte"), Falk Pingel (Stellvertretender Direktor des Georg-Eckert-Institutes für Internationale Schulbuchforschung) und Klaus Wohlt (Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Paffrath und Schulbuchautor). URL: http://www.podcast.de/episode/722085/Forum_WDR_3:_Brauchen_wir_ein_europ%C3%A4isches_Ge schichtsbuch%3F_04.05.08 (Audio) T3 M1 Europäisches Geschichtsbuch Xxx M2 Histoire xxx M3 EurViews. Europa im Schulbuch - Multilinguale Internetedition des Georg-Eckert-Instituts für Internationale Schulbuchforschung, Braunschweig http://www.eurviews.eu/ Zum 1. April 2008 hat das Georg-Eckert-Institut die Arbeit an einem wegweisenden Internetprojekt aufgenommen, das in der ersten Phase vom Land Niedersachsen finanziert wird. Die multilinguale Internetedition EurViews. Europa im Schulbuch wird Vorstellungen von Europa und Europäizität präsentieren und den Blick schärfen für die Vielfalt der Europabilder, wie sie in Geschichts- und Geographieschulbüchern des 20. und 21. Jahrhunderts weltweit vermittelt wurden und werden. Ein internationales Autorenteam erstellt eine umfassende Edition von Texten, Karten und Bildern, die in drei Sprachen – der jeweiligen Landessprache sowie einer deutschen und englischen Übersetzung – zugänglich gemacht werden. Das Projekt will mit seinem historischen wie systematischen Ansatz für die Pluralität und die Veränderlichkeit von Europavorstellungen und für die Varianz und Konkurrenz von Erinnerungskulturen im 20. Jahrhundert sensibilisieren und einer Vielzahl von Nutzern mit unterschiedlichstem Profil die dafür nötigen Informationen zur Verfügung stellen. Gesammelt, ediert, kommentiert, kontextualisiert, übersetzt und verschlagwortet werden historische und aktuelle Schulbuchquellen aus allen europäischen und einer Vielzahl von nichteuropäischen Ländern. So entsteht eine modular jederzeit erweiterbare Edition, die der Forschung in verschiedensten Bereichen ein einzigartiges und bisher kaum nutzbares Quellenmaterial zur Verfügung stellt. Auf dieser Basis lässt sich u.a. untersuchen, inwieweit, wann und warum in den Nationalstaaten Debatten um den Europagedanken aufgegriffen, mit Bedeutung aufgeladen und popularisiert wurden. Die Edition ermöglicht diachron und synchron vergleichende Analysen zum Wandel der – staatlich definierten – Europarepräsentationen im 20. Jahrhundert sowie zu transnationalen Trends und grenzüberschreitenden Transfers. In der Testphase sollen die Module für drei europäische Länder – Deutschland, Frankreich und Polen – erstellt werden. 2009 beginnen wir mit der Erschließung der Quellen für weitere europäische Länder. Bei einem erfolgreichen Verlauf des Projektes ist für eine zweite Phase die Ausweitung auf andere Weltregionen und gegebenenfalls in einer dritten Phase die Einbeziehung anderer Medien vorgesehen; Medien wie Presse oder Film, die zuweilen konkurrierend und zuweilen komplementär zum Schulbuch wirken. Mit EurViews erschließt das Georg-Eckert-Institut in mehrfacher Hinsicht wissenschaftliches Neuland: Es stimuliert neue Forschungsarbeiten und ist mit bereits bestehenden Forschungsprojekten wie dem von der DFG und der ANR geförderten Projekt „Konkurrenz und Konvergenz: Europabilder in deutschen und französischen Schulbüchern seit 1900“ oder dem von der Bosch-Stiftung finanzierten Vorhaben „Schwarze Stunden – goldene Zeiten. Europäische Städteschicksale“ eng verbunden. Durch seine weitreichenden Übersetzungsleistungen ermöglicht es zudem erstmals umfassende internationale Vergleiche zu Europakonzeptionen und -assoziationen, womit es auch außerhalb des eigenen Instituts eine Vielzahl weitergehender Forschungen inspirieren und unterstützen kann. Auf diese Weise unterstreicht das Georg-Eckert-Institut die Serviceorientierung seiner Forschung ebenso wie sein Alleinstellungsmerkmal als wissenschaftlicher Knotenpunkt im internationalen Netzwerk der Schulbuch- und Bildungsmedienforschung; ohne international weitreichende, langjährige und stabile Kooperationsbeziehungen könnte ein derart weitgespanntes und ambitioniertes Projekt nicht realisiert werden. Projektleitung: Dr. Susanne Grindel Projektmitarbeiter: N.N. Projektförderung: Land Niedersachsen EGO – Europäische Geschichte Online / European History Online Das Projekt Die Europäische Geschichte Online, kurz: EGO, ist eine transkulturelle Geschichte Europas im Internet, die sich aus multimedialen Wissenseinheiten zu europäischen Transferprozessen von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zusammensetzt. Autoren und Fachreferenten rekrutieren sich aus der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft. EGO ist methodisch pragmatisch und interdisziplinär angelegt. Sie will die unterschiedlichen, teilweise nebeneinander herlaufenden Debatten verschiedener Forschungsperspektiven und Sprachräume zusammenführen. EGO vernetzt die Träger und Nutzer der internationalen historischen Europaforschung und vollzieht gleichzeitig einen Medienwechsel für analytisch-problembezogene Gesamtdarstellungen in den historisch arbeitenden Wissenschaften. Das Projekt wird vom Institut für Europäische Geschichte Mainz in Kooperation … Ausgangspunkt: Das »Europäische Dilemma« Ausgangspunkt der Initiierung einer transkulturellen Geschichte Europas im Internet ist die Frage, ob und wie die brüchig gewordenen ›Meistererzählungen‹ der nationalen Geschichtsschreibung durch eine oder mehrere europäische Meistererzählung(en) abgelöst werden können. In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Versuche unternommen, eine umfassende Geschichte Europas in der Neuzeit zu verfassen. Diese sind jedoch auf unterschiedliche Weise mit dem »Europäischen Dilemma« (Theodor Schieder) konfrontiert, nämlich die narrative Lücke zwischen nationalen / regionalen und universaleuropäischen Elementen zu schließen. Bereits seit den 1970er Jahren ist sich die Forschung einig, dass die nationalstaatliche zugunsten einer übergreifenden, transnationalen Perspektive aufzugeben sei. Allerdings ist ebenso unstrittig, dass gesamteuropäische Strukturüberblicke in der Regel oberflächlicher als eine detaillierte Analyse nationaler oder gar regionaler Entwicklungen sein müssen. Viele Überblicksdarstellungen trennen zudem ein ›Kern‹- oder ›Zentral‹-Europa von verschiedenen europäischen Peripherien. Das »Europäische Dilemma« gedruckter Synthesen besteht also auch darin, ›Europa‹ als eine stabile geographische Einheit konstruieren zu müssen, um übergreifende Entwicklungen in Europa zwischen zwei Buchdeckel pressen zu können. Die Beschränkungen, die linearen Publikationsformen inhärent sind, limitierten Versuche, das «Europäische Dilemma» zu überwinden, bereits im Vorhinein. An diesem Punkt setzt EGO an. Perspektive: Europa als Kommunikationsraum Form: Medienwechsel Das multimediale Potential des Internets dient den historischen Wissenschaften bislang vor allem für die Aufbereitung (Digitalisierung) und Präsentation von Quellen sowie sonstiger Ressourcen. Für fragestellungsgeleitete, analytisch-problembezogene Studien historischer Zusammenhänge wird das Internet bislang vor allem in Form von Aufsätzen für e-journals genutzt. Diese weisen, ebenso wie andere online publizierte Schriften, im Prinzip dieselbe lineare Textstruktur auf wie gedruckte Publikationen. Das Internet dient lediglich als Findmittel und Speichermedium. Zusammenhängende, analytische Darstellungen oder gar »virtuelle Handbücher« zur europäischen Geschichte, die das multimediale Potential des Internets ausschöpfen, sind bislang nicht realisiert worden. Der komplexe Gegenstand von EGO allerdings lässt sich nicht in einer gedruckten linearen Publikation, sondern nur durch Einbindung multimedialer Elemente sowie über typisierte Links abbilden. URL: http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php?site=site.htm&dir=&nav=208 Texten www.tagesspiegel.de Europa debattiert über gemeinsames Schulbuch Historiker und Politiker aus ganz Europa haben sich zu Wort gemeldet, nachdem Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Debatte um ein europäisches Geschichtsbuch angestoßen hat. Mit dem Versuch, so in den EUMitgliedstaaten eine Erinnerungsgemeinschaft zu befördern, werden in zukünftigen Generationen Ethnozentrismen und nationale Fixierungen abgebaut und Konflikte vermieden – hoffen die Befürworter des Projekts. Allerdings gilt es dabei, Klüfte zu überwinden, die sich beispielsweise in der Bewertung der Weltkriege oder der sich anschließenden Zwangsumsiedlung der Deutschen auftun. Viele Ostmitteleuropäer befürchten eine Vermischung dessen, wer Täter und wer Opfer sei. Auch bestehen zwischen Ost- und Westeuropa unterschiedliche Bewertungen des Kommunismus. In den neuen EU-Mitgliedstaaten wird er oftmals mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. So ist es schwer, sich gemeinsam und ohne Streit an Vergangenes zu erinnern. Die europäischen Wahrnehmungen der jüngsten Geschichte sind fragmentiert. „Nicht zu jeder Epoche treffen unversöhnliche Interpretationen aufeinander“, betont jedoch Hartmut Kaelble, Historiker an der Humboldt-Universität. Für ein europäisches Geschichtsbuch würde man nach einem Grundbestand gemeinsamer Einschätzungen suchen. Er verweist auf Gemeinsamkeiten der Gesellschaften Europas, wie zum Beispiel den Wohlfahrtsstaat. Dass in einem europäischen Schulbuch keinesfalls eine westliche Großerzählung verfestigt werden müsse, unterstreicht Simone Lässig, Direktorin des Georg-Eckert-Instituts für Schulbuchforschung in Braunschweig. Es dürfe kein europäisches Gedächtnis von oben herab oktroyiert werden. Ein in zwischennationaler Zusammenarbeit entwickeltes Geschichtsbuch könne als offenes Angebot zu bestehenden Lehrwerken hinzutreten. Lässig findet, dass durchaus auch die Narrative des jeweils anderen in einem Schulbuch vorkommen dürfen. Schüler können sich damit auseinandersetzen, dass in Polen über den Holocaust und den Gulag anders nachgedacht wird als in Deutschland. Skeptischer sind polnische Historiker, welche die nationalen Perspektiven auf die Vergangenheit bedroht sehen. Der Mittelalterhistoriker, Europaabgeordnete und ehemalige Außenminister Bronislaw Geremek sieht das gemeinsame Vorhaben in einem Gastbeitrag für die polnische Springer-Zeitung „Dziennik“ als schwierig an. Den Menschen im Westen fehle die Sensibilität dafür, was sich vor 1989 jenseits des Eisernen Vorhangs getan hätte. Das Blatt hatte am Sonntag vor einer Woche auf seinem Titel das Ansinnen eines europäischen Geschichtsbuchs danach bewertet, ob in ihm die polnische Sicht auf die Vergangenheit verankert werden könne und schließlich geurteilt, dies sei „ein Buch, das sich nicht schreiben lässt“. Zdzislaw Mach, Direktor des Instituts für Europäistik der Universität Krakau, fand hingegen, dass die Interpretation historischer Ereignisse zu verhandeln auch dann sinnvoll sei, wenn man sie nicht in Übereinstimmung bringen könne. Dass es möglich ist, die europäische Erinnerungslandschaft aus verschiedenen Perspektiven darzustellen, hat der niederländische Publizist Geert Mak mit seinem Buch „In Europa“ gezeigt. Vorreiter bei den Schulbüchern ist ein 2006 veröffentlichter, erster Band eines gemeinsamen deutsch-französischen Lehrwerks. Rudolf von Thadden, Historiker und bis 2003 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit, war politischer Türöffner und Berater des Projekts. Er mahnt zur Vorsicht bei so großen Vorhaben wie einem Geschichtsbuch für 27 Staaten: Dass so etwas einfach zu machen ist, sei eine leichte Versprechung. Es gebe methodische Herausforderungen im unterschiedlichen Umgang mit Geschichte und den verschiedenen Erzählstilen. So nimmt es nicht wunder, dass Gegner eines europäischen Geschichtsbuchs das deutschfranzösische Werk angreifen. Der britische „Daily Telegraph“ hatte Ende Februar Nigel Farage, den Chef der Unabhängigkeitspartei, mit der Frage zitiert, „ob wir unsere Kinder einer Gehirnwäsche der Eurokraten aussetzen wollen“. Das Blatt schrieb, die deutsche Ausgabe unterscheide sich zu einem Fünftel von der französischen. Der Klett Verlag, in dem die deutsche Fassung erschien, dementiert diese – tatsächlich falschen – Anschuldigungen. Nachdem der EU-Kommissar für Bildung und Jugend Jan Figel und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der EU-Ratstagung in Brüssel Schavan unterstützt hatten, gab es auf einer informellen Ratstagung der EU-Kultusminister am Donnerstag in Heidelberg positive Signale von Österreichs Kulturministerin Claudia Schmied und Luxemburgs Delegationsleiter Nic Alff. Zurückhaltend äußerten sich die britische Delegation sowie der niederländische Vertreter Gérard Maas: Ein zentral geschaffenes Geschichtsbuch passe nicht in die niederländischen Verhältnisse. Der polnische Bildungsminister Roman Giertych nutzte das Forum zu Anfeindungen gegenüber Homosexuellen und sagte, er glaube nicht an die Möglichkeit, ein europäisches Lehrwerk zu schaffen. Der Literaturwissenschaftler Adolf Muschg konterte, für dieses Projekt werde wohl „eine höhere Reife der Kulturteilnehmer“ benötigt.