Kriegsende an der Bergstraße

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Artikelserie des Bergsträßer Anzeigers aus dem Jahr 2005 über das Kriegsende an der
Bergstraße, die sich „in verschiedener Sichtweise dem Kriegsende in der Region nähern“
will. Im folgenden die Zeitzeugenberichte, unterteilt nach Regionen und sortiert nach
dem Erscheinungsdatum.
Chronologie der wichtigsten
Ereignisse zum Kriegsende im
Südwesten
22. März 1945: Teile der US-Armee überqueren den Rhein bei
Oppenheim. Von dort ziehen die US-Truppen auch in Richtung
Baden und Württemberg.
26. März 1945: Zwei Divisionen der 7. US-Armee setzen bei
Sandhofen über den Rhein.
29. März 1945: Mannheim wird als erste Stadt im heutigen Baden-Württemberg telefonisch an
die 7. US-Armee unter General Alexander Patch übergeben.
1. April 1945: Teile der französischen Armee unter General Jean Marie de Lattre de Tassigny
überqueren bei Philippsburg den Rhein.
3./4. April 1945: Karlsruhe wird von französischen Soldaten erobert.
21. April 1945: Französische Soldaten marschieren nahezu kampflos in Freiburg ein.
22. April 1945: Die französische Armee besetzt Stuttgart.
23. April 1945: US-amerikanische Verbände treffen in Stuttgart ein. Die Franzosen müssen die
militärische Gewalt abgeben.
24. April 1945: Amerikanisch-französische Truppen erobern Ulm.
27. April 1945: Französische Soldaten besetzen Konstanz.
29. April 1945: Friedrichshafen wird als letzte Stadt im Südwesten von französischen Truppen
besetzt.
8. Mai 1945: Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches beginnt für die Menschen die "Stunde
Null". Im Südwesten verläuft die Grenze zwischen den Besatzungszonen der Franzosen und der
US-Amerikaner entlang der Autobahn Karlsruhe-Stuttgart-Ulm.
Mai 1945 - November 1946: In der französischen Besatzungszone werden die Länder (Süd-)
Baden und Württemberg-Hohenzollern gegründet. In den US-amerikanisch besetzten Gebieten
entsteht das Land Württemberg-Baden.
9. Dezember 1951: In den zwei Ländern der französischen Besatzungszone und dem USamerikanisch besetzten Württemberg-Baden stimmt das Volk über die Bildung eines neuen
Südweststaates ab.
25. April 1952: Das Bundesland Baden-Württemberg wird gegründet. Reinhold Maier
(FDP/DVP) wird erster Ministerpräsident des Landes. (dpa)
Bergstrasse
In zwei Tagen besetzt: das Kriegsende an der Bergstraße
Artikelserie im BA beleuchtet die Ereignisse vor 60 Jahren in der Region / Hermann
Heckmann recherchierte die Chronologie der militärischen Abläufe
Bergstraße. Am 20. März 1945 stehen amerikanische Truppen am linken Rheinufer. Es ist nur
eine Frage der Zeit, wann und wo sie den Strom überschreiten und in Richtung Bergstraße
vorstoßen werden. Eine Woche später sind Lorsch und Einhausen, Bensheim und Heppenheim
von US-Soldaten besetzt. Für die Menschen in Südhessen ist der Krieg und mit ihm die NaziHerrschaft beendet.
Über die letzten Kriegstage an der Bergstraße sind etliche Materialien veröffentlicht worden:
Erlebnisberichte, Tagebücher und Bildmaterial, die die Verzweiflung der Menschen und den Grad
der Zerstörung dokumentieren. Aus deutschen und amerikanischen Archiven sind neue
Unterlagen zugänglich gemacht worden. Daraus hat der Lorscher Hermann Heckmann eine
Chronologie der militärischen Abläufe erstellt, die das Szenario der Geschehnisse in der
Karwoche 1945 minutiös rekonstruiert und das bisherige historische Wissen um wesentliche
Details ergänzt. Insbesondere die Nachforschungen von Berthold Forster aus Gernsheim haben
die Aufarbeitung der Ereignisse an der Bergstraße und im Ried maßgeblich befördert.
Die nachfolgende gekürzte Fassung der Ausarbeitung von Hermann Heckmann bildet den
Auftakt einer umfangreichen Artikelserie, mit der der BA ab dem heutigen Montag an das
Kriegsende in den einzelnen Städten und Gemeinden erinnert.
Sprengung der Rheinbrücken
"Die militärische Lage zwischen Mainz und Ludwigshafen war entscheidend für den zeitlichen
Ablauf der Übergänge und letztlich der Besetzung Südhessens durch die amerikanischen
Truppen", erklärt Heckmann. Am 12. März überquert die 3. US-Armee unter General Patton die
Mosel, zehn Tage später besetzen die Amerikaner Mainz. Im Süden trifft die 7. US-Armee unter
General Patch im gleichen Zeitraum in Kaiserslautern und Worms ein. Die Brückenköpfe auf der
linken Rheinseite konnten aufgrund der schwachen militärischen Gegenwehr auf deutscher Seite
nicht gehalten werden und führten zur Sprengung der Rheinbrücken bei Gernsheim und Worms
am 19. und 20. März. Beim Vormarsch der US-Divisionen wurden über 200 000 deutsche
Soldaten gefangen genommen, berichtet Heckmann.
Die letzten Reste der 7. deutschen Armee ziehen sich auf die rechte Rheinseite zurück und
lassen nahezu die gesamte schwere Ausrüstung, vor allem Panzer und Artillerie, zurück. Der
übrig gebliebene Stab unter General von Gersdorf bezog im nahen Bensheim Quartier.
Heckmann: "Das Fehlen jeglicher militärischer Reserven auf deutscher Seite hat den
amerikanischen Truppen ein schnelles Vordringen ermöglicht. Hinzu kam die absolute
Luftherrschaft der US-Luftflotte."
Der Widerstand bröckelt
Obgleich Hitler den Befehl gibt, das linke Rheinufer bis zum letzten Mann zu verteidigen,
bröckelt der Widerstand der deutschen Streitkräfte angesichts der aussichtslosen Verteidigung
gegen die rasch vorstoßenden US-Truppen. Durch die militärische Vernachlässigung der rechten
Rheinseite wurde den Amerikanern der Weg nochmals erleichtert.
Am 19. März folgt Hitlers so genannter Verbrannte-Erde-Befehl: Alle militärisch nutzbaren
Verkehrs-, Industrie- und Versorgungsanlagen sollten unbrauchbar gemacht werden, um dem
Feind keinerlei Sachwerte zu überlassen. "Dieser verbrecherische Befehl wurde von Teilen der
Wehrmacht nur teilweise befolgt", so Hermann Heckmann. Nachdem auch Groß-Gerau besetzt
ist, gibt Hitler Anweisung, jeden deutschen Soldaten und Zivilisten zu hängen, der keinen
Widerstand leistet. Der Besitz von Hessen wurde als kriegsentscheidend definiert.
Lage in Südhessen katastrophal
Nach dem Rückzug über den Rhein war die Lage der deutschen Soldaten in ganz Südhessen
katastrophal. Dokumente im Freiburger Bundes-Militärarchiv geben beredt Auskunft über die
verzweifelte Lage am östlichen Rheinufer. So berichtet Generalmajor Heinrich Buerky vom
Befehl, dass sich seine 159. Infanterie-Division "zur Verfügung der 7. Armee in Reichenbach bei
Bensheim" sammeln musste. Und weiter: "Nach Zerschlagung der Division an Mosel und Nahe
hatte sie praktisch aufgehört, als Kampfverband zu existieren".
Generalleutnant Graf von Oriola vom 13. Armeekorps, dem die Truppen im südhessischen Raum
angehörten, berichtet vom 22. bis 31. März: Eine Artillerie war nicht mehr vorhanden und wurde
durch die Flugabwehrkanone (Flak) ersetzt, die für den Erdkampf aber ungeeignet war. Die
Soldaten waren entweder zu alt (über 50 Jahre) oder erst 16 Jahre jung. Der Kampfwille ist
gering, die Stimmung durch ständigen Rückzug gedrückt. Die Kampfgruppen bestehen aus
Volksgrenadier-Divisionen, die bei Kriegsende aus unerfahrenen und schlecht ausgerüsteten
Soldaten geformt wurden. Ohne die Hilfe der Bevölkerung wäre eine Verpflegung der Truppen
unmöglich gewesen, schreibt Oriola.
Start der letzten Kriegswoche
Am 22. März startete die letzte Kriegswoche durch den Überraschungsangriff von General
Patton: Er überrumpelt die deutschen Soldaten um 22 Uhr ohne Luftunterstützung und
Artillerievorbereitung. Am nächsten Morgen rollen erste US-Panzerverbände über eine
Behelfsbrücke auf die rechte Rheinseite; am 25. März wurde Darmstadt besetzt.
"Oberstes Ziel der Amerikaner war die Vermeidung eigener Verluste durch massiven Einsatz von
Artillerie, Panzern und Flugzeugen. Das geschah durch schweren Beschuss der Städte auch ohne
genaue Kenntnis einer möglichen Gegenwehr. Stieß man beim Vorgehen auf Widerstand,
erfolgten sofortiges Zurückziehen und massiver Beschuss und Luftangriffe", erklärt Heckmann.
Besonders die Angriffe der Jagdbomber forderten zahlreiche Opfer und schwere
Gebäudeschäden. An der Bergstraße gehören Bensheim und Einhausen zu den am stärksten
betroffenen Städten. Der schnelle Vormarsch der 3. US-Armee im Norden und der 7. US-Armee
im Süden der Rheinmündung ließ den geschwächten deutschen Soldaten keine Zeit. Zur
Sicherung der Übergänge wurden die meisten Gemeinden im Ried in der Nacht vom 25. auf den
26. März unter Beschuss genommen.
Einnahme vom Ried aus . . .
Die 7. Armee überquerte den Rhein in der darauf folgenden Nacht nördlich und südlich von
Worms mit paralleler Stoßrichtung auf die Bergstraße. Trotz heftiger Gegenwehr bei Hamm
konnten die Amerikaner nach etwa einer Stunde das Ostufer sichern. Die 3. Division marschierte
in drei Richtungen: nach Norden durch die Besetzung Hofheims, nach Osten über Bürstadt und
nach Südosten mit der Einnahme von Lampertheim.
. . . bis nach Heppenheim
"Die Lage der deutschen Einheiten war hoffnungslos. Die Hauptkampflinie LampertheimLangwaden wurde aufgegeben und die Truppen an die Bergstraße zurückgezogen", kommentiert
Heckmann. Innerhalb eines Tages (26. März) sind amerikanische Truppen vom Übergang Hamm
über die Autobahn nördlich von Lorsch vorgestoßen und haben am Nachmittag Einhausen
besetzt. Am 27. März folgten Lorsch, Bensheim und Heppenheim. Einen Tag später standen die
Divisionen am Main bei Aschaffenburg und hatten den westlichen und nördlichen Teil des
Odenwaldes besetzt.
Unerwartet schnelle Besetzung
Hermann Heckmann resümiert: Die geringe Kampfkraft der restlichen deutschen 7. Armee und
das rasche Nachrücken der überlegenen US-Truppen führten zu einer von beiden Seiten
unerwartet schnellen Besetzung Südhessens bis zur Bergstraße in nur zwei Tagen. "All diese
Faktoren haben unsere Region vor schlimmeren Zerstörungen bewahrt." tr
© Bergsträßer Anzeiger - 21.03.2005
Amerikaner landen im März 1945 an der Bergstraße
Bei aller Zwiespältigkeit und Verwirrung: Die Bevölkerung kann aufatmen
Bergstraße. "Diese Angst, diesen Terror wird nie jemand begreifen, der es nicht miterlebt hat.
Nun sind seit gestern Nachmittag (27. März) die Amerikaner da, und dieser Spuk von Partei und
Schrecken und Gräuel ist nun verschwunden. Man kann wieder ,Guten Tag' sagen, und die
Bonzen haben bleiche und erschreckte Gesichter!"
So wie Helene Calvelli-Adorno, die mit ihrer Familie in Zwingenberg wohnte, waren alle
Nazigegner erleichtert über das Kriegsende in unserer Region. Vertreter der Arbeiterparteien
KPD und SPD, die wegen ihrer antifaschistischen Haltung und Aktionen schon 1933 von den
Nationalsozialisten verfolgt, misshandelt und inhaftiert wurden; Vertreter der Kirchen, die sehr
früh von den Nazis hauptsächlich wegen ihres Engagements in der Jugendarbeit attackiert
wurden; Zeugen Jehovas - bespitzelt, verhaftet und verurteilt, weil sie nur ihrem göttlichen
"Führer" gehorchten.
Von den ehemaligen jüdischen Bürgern, der größten und am schlimmsten betroffenen Gruppe
der Verfolgten des Naziregimes, konnten sich lediglich diejenigen freuen, denen die Flucht ins
Ausland geglückt war; die im Land gebliebenen Juden waren nach jahrelangen Schikanen in den
Selbstmord getrieben oder in die Vernichtungslager im Osten deportiert worden, wo sie starben
oder ermordet wurden.
Auch für die große Anzahl von Zwangsarbeitern bedeutete die Ankunft der Amerikaner ihre
Befreiung und Rückkehr in die Heimat. Kurz vor der Flucht von SS, Gestapo, Amtsinhabern und
Soldaten der deutschen Wehrmacht vor den anrückenden amerikanischen Truppen war die
Situation für die Naziopfer noch einmal äußerst gefährlich geworden: So erschoss die Gestapo
noch am 24. März 1945 zwölf Gefangene am Bensheimer Kirchberg. Zuvor hatte sie zwei
amerikanische Kriegsgefangene - im Widerspruch zur Genfer Konvention - im Garten der
Gestapozentrale ermordet. Die Gefangenen der KZ-Außenlager in Bensheim-Hochstädten und
Heppenheim wurden - oftmals mit dem Tode bedroht - streng bewacht auf einen langen Marsch
nach Schwäbisch-Hall gebracht und ins KZ Dachau weitertransportiert. Dort kamen etliche der
Gefangenen ums Leben, bevor der größte Teil am Tegernsee befreit wurde.
Soldaten, die aufgrund der Ausweglosigkeit des Krieges nicht mehr kämpfen wollten, wurden
erschossen - so am Bensheimer Wasserwerk drei Soldaten, die von einem fliegenden
Standgericht am 23. März verurteilt wurden. Der Bensheimer Soldat Walter Kollerer äußerte die
Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges: Ein Nachbar denunzierte ihn - nach seiner
Verhaftung wurde er erschossen bei Sinsheim aufgefunden.
Einige Menschen setzten sich zu Kriegsende für eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen
ein, um hierdurch Opfer der Bevölkerung zu vermeiden - auch dies war nicht ungefährlich. So
versuchten beispielsweise Frauen in Lorsch und eine kleine Gruppe in Heppenheim, die
Wehrmachtstruppen zum Abzug zu bewegen und eine kampflose Übergabe der Stadt zu
erreichen - leider ohne Erfolg. Die anrückenden Amerikaner wurden unter Beschuss genommen;
die grauenvolle Bombardierung und der Artilleriebeschuss unserer Städte und Gemeinden
gingen weiter.
Deutsche Flak versuchte die angreifenden Bomber abzuschießen - so beispielsweise vom
Bensheimer Kirchberg und Hohberg aus. Die Menschen versuchten, sich in Kellern, Bunkern oder
wie in Reichenbach und Hochstädten in sicheren Stollen zu schützen; trotzdem kamen in den
letzten Kriegstagen noch viele Menschen ums Leben. Viele Gebäude wurden beschädigt oder
zerstört.
In etlichen Orten - beispielsweise Lorsch, Einhausen und Zwingenberg - wurden in mutigen
Aktionen die Panzersperren entfernt, danach weiße Fahnen gehisst. Einige Menschen liefen
sogar den amerikanischen Truppen entgegen, um sie über den Abzug der deutschen Truppen zu
informieren und hierdurch eine weitere Zerstörung der Gemeinde zu vermeiden - so geschehen
in Lorsch.
Auf der einen Seite die Erleichterung vieler Menschen, dass die nationalsozialistische Tyrannei zu
Ende war, auf der anderen Seite die Furcht derjenigen Bürger, die das nationalsozialistische
Regime unterstützt hatten - mussten sie nicht jetzt einer für sie schlimmen Zeit entgegensehen?
Sie mussten die fremden Truppen, die das Land nun besetzten und verwalteten, mit anderen
Augen ansehen als die Verfolgten des Naziregimes, die wieder frei und ohne Auflagen waren.
Trotz aller Zwiespältigkeit und Verwirrung des Denkens und Fühlens konnten auch diese
Personen in den letzten Märztagen des Jahres 1945 aufatmen: Die Luftangriffe der Alliierten
waren vorbei, die Artilleriebeschüsse eingestellt, man hatte die Kriegswirren überlebt. Ein neuer
Anfang, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, konnte gemacht werden - ein Beginn zum
Aufbau eines demokratischen Staates. Fritz Kilthau/ü
© Mannheimer Morgen - 21.03.2005
Befreiung oder Niederlage?
Bei aller Zwiespältigkeit und Verwirrung: In den letzten Märztagen konnte aufgeatmet
werden
Von Dr. Fritz Kilthau
Bergstraße. "Diese Angst, diesen Terror wird nie jemand begreifen, der es nicht miterlebt hat.
Nun sind seit gestern Nachmittag (27. März) die Amerikaner da, und dieser Spuk von Partei und
Schrecken und Gräuel ist nun verschwunden. Man kann wieder ,Guten Tag' sagen, und die
Bonzen haben bleiche und erschreckte Gesichter!"
So wie Helene Calvelli-Adorno, die mit ihrer Familie in Zwingenberg wohnte, waren alle
Nazigegner erleichtert über das Kriegsende in unserer Region. Vertreter der Arbeiterparteien
KPD und SPD, die wegen ihrer antifaschistischen Haltung und Aktionen schon 1933 von den
Nationalsozialisten verfolgt, misshandelt und inhaftiert wurden; Vertreter der Kirchen, die sehr
früh von den Nazis hauptsächlich wegen ihres Engagements in der Jugendarbeit attackiert
wurden; Zeugen Jehovas - bespitzelt, verhaftet und verurteilt, weil sie nur ihrem göttlichen
"Führer" gehorchten.
Von den ehemaligen jüdischen Bürgern, der größten und am schlimmsten betroffenen Gruppe
der Verfolgten des Naziregimes, konnten sich lediglich diejenigen freuen, denen die Flucht ins
Ausland geglückt war; die im Land gebliebenen Juden waren nach jahrelangen Schikanen in den
Selbstmord getrieben oder in die Vernichtungslager im Osten deportiert worden, wo sie starben
oder ermordet wurden.
Auch für die große Anzahl von Zwangsarbeitern bedeutete die Ankunft der Amerikaner ihre
Befreiung und Rückkehr in die Heimat.
Morde am Kirchberg
Kurz vor der Flucht von SS, Gestapo, Amtsinhabern und Soldaten der deutschen Wehrmacht vor
den anrückenden amerikanischen Truppen war die Situation für die Naziopfer noch einmal
äußerst gefährlich geworden: So erschoss die Gestapo noch am 24. März 1945 zwölf Gefangene
am Bensheimer Kirchberg. Zuvor hatte sie zwei amerikanische Kriegsgefangene - im
Widerspruch zur Genfer Konvention - im Garten der Gestapozentrale ermordet. Die Gefangenen
der KZ-Außenlager in Bensheim-Hochstädten und Heppenheim wurden - oftmals mit dem Tode
bedroht - streng bewacht auf einen langen Marsch nach Schwäbisch-Hall gebracht und ins KZ
Dachau weitertransportiert. Dort kamen etliche der Gefangenen ums Leben, bevor der größte
Teil am Tegernsee befreit wurde.
Erschießung am Wasserwerk
Soldaten, die aufgrund der Ausweglosigkeit des Krieges nicht mehr kämpfen wollten, wurden
erschossen - so am Bensheimer Wasserwerk drei Soldaten, die von einem fliegenden
Standgericht am 23. März verurteilt wurden. Der Bensheimer Soldat Walter Kollerer äußerte die
Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges: Ein Nachbar denunzierte ihn - nach seiner
Verhaftung wurde er erschossen bei Sinsheim aufgefunden.
Einige Menschen setzten sich zu Kriegsende für eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen
ein, um hierdurch Opfer der Bevölkerung zu vermeiden - auch dies war nicht ungefährlich. So
versuchten beispielsweise Frauen in Lorsch und eine kleine Gruppe in Heppenheim, die
Wehrmachtstruppen zum Abzug zu bewegen und eine kampflose Übergabe der Stadt zu
erreichen - leider ohne Erfolg. Die anrückenden Amerikaner wurden unter Beschuss genommen;
die grauenvolle Bombardierung und der Artilleriebeschuss unserer Städte und Gemeinden
gingen weiter.
Stollen als Fluchtorte
Deutsche Flak versuchte die angreifenden Bomber abzuschießen - so beispielsweise vom
Bensheimer Kirchberg und Hohberg aus. Die Menschen versuchten, sich in Kellern, Bunkern oder
wie in Reichenbach und Hochstädten in sicheren Stollen zu schützen; trotzdem kamen in den
letzten Kriegstagen noch viele Menschen ums Leben. Viele Gebäude wurden beschädigt oder
zerstört.
In etlichen Orten - beispielsweise Lorsch, Einhausen und Zwingenberg - wurden in mutigen
Aktionen die Panzersperren entfernt, danach weiße Fahnen gehisst. Einige Menschen liefen
sogar den amerikanischen Truppen entgegen, um sie über den Abzug der deutschen Truppen zu
informieren und hierdurch eine weitere Zerstörung der Gemeinde zu vermeiden - so geschehen
in Lorsch.
Auf der einen Seite die Erleichterung vieler Menschen, dass die nationalsozialistische Tyrannei zu
Ende war, auf der anderen Seite die Furcht derjenigen Bürger, die das nationalsozialistische
Regime unterstützt hatten - mussten sie nicht jetzt einer für sie schlimmen Zeit entgegensehen?
Sie mussten die fremden Truppen, die das Land nun besetzten und verwalteten, mit anderen
Augen ansehen als die Verfolgten des Naziregimes, die wieder frei und ohne Auflagen waren.
Trotz aller Zwiespältigkeit und Verwirrung des Denkens und Fühlens konnten auch diese
Personen in den letzten Märztagen des Jahres 1945 aufatmen: Die Luftangriffe der Alliierten
waren vorbei, die Artilleriebeschüsse eingestellt, man hatte die Kriegswirren überlebt. Ein neuer
Anfang, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, konnte gemacht werden - ein Beginn zum
Aufbau eines demokratischen Staates.
© Bergsträßer Anzeiger - 21.03.2005
Bensheim
Als der Krieg nach Bensheim kam
Das Bild des Kriegsberichterstatters Rutberg ging um die Welt
Bensheim. Fassungslos schaut Anna Mix auf die Trümmer des Hauses ihrer Schwester
Margarethe Hesch, die an der Hauptstraße 28 in Bensheim einen Tabakladen hatte. In
Doppelreihe ziehen Soldaten vom 1. Bataillon, 180. Infantrieregiment, 45. Division des XV.
Corps der 7. US Armee vorbei. Sie marschieren in Richtung Ritterplatz. Es ist gegen 11.30 Uhr.
Wir schreiben den 27. März 1945. Bensheim ist gefallen.
Der Kriegsberichterstatter Jerry Rutberg vom US-Signal-Corps drückt auf den Auslöser seiner
Kamera. Neben diesem Bild, das um die Welt ging, machte er noch mindestens ein Foto an der
Schwanheimer Straße.
Bei der Beschreibung des Bildes wird oft der Mann unter dem Erker des früheren Kaufhauses
Müller vergessen. Es handelt sich um Eustach Suckfüll, der damals an der Hauptstraße 9
wohnte.
Der damals 14-jährige Wolfgang Hamberger schildert seine Erlebnisse in seinem neuen im
Fuldaer Parzeller-Verlag erschienen Buch "Faszination Amerika" so: "In der Hauptstraße, durch
die in langen Reihen amerikanische Soldaten des 180. Infantrieregiments der vordersten Front
folgen, sehen wir die ausgebrannten Ruinen. Bis auf wenige Häuser zum Markt hin ist alles
zerstört. Die Mutter ist über das Ausmaß der Zerstörung entsetzt. Ich nicht, denn ich war ja
schon gleich nach dem Angriff da, und ich habe Mainz gesehen.
Erschütternde Wehklage
Beim Kaufhaus Müller werden wir Augenzeuge, wie die Amerikaner, harte, wild aussehende
Burschen, die noch nicht geborstenen Schaufenster mit ihren Gewehrkolben einschlagen und
sich eine Gaudi daraus machen, die Menschen in das Kaufhaus zu treiben und zur Plünderung
aufzufordern. Sie selbst schauen dem makaberen Treiben eine Zigarettenpause lang amüsiert
zu, bevor sie weiter ziehen.
In dieser Situation entsteht ein Foto, das um die Welt gehen sollte. Es zeigt Anna Mix, geborene
Hesch, die ihre Angst, alle Not, Ohnmacht und Verzweiflung des Augenblicks als erschütternde
Wehklage in Mimik und Gestik zum Ausdruck bringt."
Das Bild ist ein Fotodokument von großer Eindringlichkeit. Was Dr. Hamberger nicht schrieb,
steuerte Bensheims Stadtarchivar Manfred Berg bei. Am 16. April 1880 wurde Anna Hesch
geboren, sie heiratete am 20. November 1900 Berthold Theodor Wilhelm Mix.
Das Ehepaar zog nach Leipzig und kam am 10. April 1935 zurück nach Bensheim in die
Wilhelmstraße 10, wo es bereits früher vier Jahre gewohnt hatte. Am 5. Oktober 1939 zogen sie
nach Frankfurt.
Anna Mix kehrte nach der Bombardierung Frankfurts am 22. Februar 1944 alleine nach
Bensheim zurück und wohnte in der Hauptstraße 28 bei ihrer Schwester Margaretha Mix, die im
Erdgeschoss einen Tabakladen unterhielt. Der Bombe, die das Haus in Schutt und Asche legte,
entkamen die Bewohner, weil sie sich in Sicherheit gebracht hatten. Der geliebte Hund, den die
64-jährige Anna Mix aus Frankfurt mitgebracht hatte, starb in den Trümmern. Anna Mix starb
am 12. Dezember 1947 in Bensheim. bj
© Bergsträßer Anzeiger - 21.03.2005
Bomben auf Bensheim und das Kriegsende in Schwanheim
Was am 26. März 1945 in Schwanheim und Bensheim passierte, brachten Dr.
Wolfgang Hamberger und Dr. Werner Pfeifer zu Papier
Schwanheim/Bensheim. Weil ein junger Offizier und einige Soldaten auch angesichts der
amerikanischen Übermacht an den Endsieg glaubten, starben am 26. März 1945 in Schwanheim
acht Zivilisten. Sechs Menschen wurden verletzt und etliche Häuser wurden durch schweren
Artilleriebeschuss zerstört. Ein ähnliches Bild in Bensheim: Weil Flugabwehrkanonen auf
amerikanische Flugzeuge schossen, öffnen diese ihre Bombenschächte. Sprengbomben legen
Teile der Stadt in Schutt und Asche. Phosphorbomben sorgen dafür, dass das die Feuer Nahrung
finden. Wie viele Menschen bei diesen Angriffen starben, ist nicht bekannt.
Wir schreiben den 26. März 1945. Es ist ein Montag, der Montag nach Palmsonntag. Die
Amerikaner rücken vom Rhein her auf breiter Front Richtung Osten vor. Sie stehen vor
Schwanheim. Bei Langwaden hatten sich schon die Autobahn überquert und damit eine
strategisch wichtige Nord-Süd-Verbindung unter ihre Kontrolle gebracht.
Granaten in der Schulzengasse
Der Heimatforscher Dr. Werner Pfeifer beschreibt das weitere Szenario so: "Bei ihrem weiteren
Vordringen wurden die amerikanischen Streitkräfte von einem Zwei-Zentimeter-Geschütz, das
von einem jungen Offizier und einigen deutschen Soldaten bedient wurde, von Schwanheim aus
beschossen. Die US-Soldaten zogen sich darauf hin zurück und forderten Artillerieunterstützung
an. Gegen 15 Uhr schlugen die ersten Granaten in der Nähe der Kirche - die den
Richtkanonieren offenbar als Zielorientierungspunkt diente - ein. Die Kirche wurde mehrfach
getroffen und stark beschädigt.
Dramatisch war das Geschehen in der Schulzengasse. Hier verließen viele Bewohner ihre
Schutzräume im Keller. Sie waren durch Hilferufe der Nachbarn, durch brüllendes Vieh und dem
Lärm einstürzender Hauser aufgeschreckt worden. Sie liefen in ihren Tod oder zogen sich
schwere Verletzungen zu. Im Granathagel starben innerhalb weniger Minuten acht Menschen,
sechs wurden verwundet.
Panzersperren aus Eichen
Der durch einen völlig sinnlos gewordenen Widerstand provozierte Beschuss hielt an. In der
zweiten Phase wurden Häuser in der Weyrichstraße zerstört. Gegen Abend gaben die deutschen
Soldaten ihre Stellung auf und zogen ab. Darauf hin wurden weißen Fahnen als Zeichen der
Kapitulation aufgehängt und eine aus dicken Eichenstämmen gefertigte Panzersperre am
Ortseingang wurde abgebaut", notierte Dr. Werner Pfeifer.
Dr. Wolfgang Hamberger beschreibt in seinem neuen Buch "Faszination Amerika", das seit
wenigen Tagen in der Buchhandlung Böhler zu erhalten ist, den Montag aus der Sicht eines
Vierzehnjährigen, der mit seinen Eltern, seinem Bruder Gerhard und seinen Großeltern in einem
Haus an der Bismarckstraße im Metzendorf-Viertel wohnt. Auf mehreren Seiten notiert Wolfgang
die Angriffe der amerikanischen Jagdbomber (Jabos), die von Fliegerabwehrgeschützen unter
Feuer genommen wurden. Dann flog in großer Höhe ein Aufklärer über die Stadt. Die, die sich
auskannten, wussten, was das bedeutete.
Hamberger schreibt: "Am Spätnachmittag ist es so weit. Zwölf Jabos fliegen in Dreier-Staffeln
über uns hinweg, und die Flak schießt wieder aus allen Rohren. Meine Befürchtung, die Jabos
können die gleiche Taktik wie neulich anwenden, hinter dem Bergkamm drehen und von Norden
im Tiefflug angreifen, erwies sich als richtig. Schneller als ich erwartet habe, kommen sie
herangebraust, die Bordwaffen peitschen ihre todbringenden Garben auf die Häuser und in die
Straßen. Zum ersten Mal sehe ich Bomben fallen. Ich liege vor der Haustür hinter der
Vorplatzmauer; dort bin ich vor den Bordwaffen sicher.
Drei Mal fliegen die Jabos ihren Angriff. Flak, jaulende Motoren, Bomben, Salve um Salve der
Maschinengewehre und Detonationen machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Ein süßlicher
Brandgeruch, den ich schon vom Mainz her kenne, schreckt mich auf. Phosphor? Auch in unserer
unmittelbaren Nähe muss etwas passiert sein. Von der Straße aus sehe ich, dass auch dem
Fenster des Hauses Framm Flammen schlagen, und vor dem Haus Stolz ist eine starke
Rauchentwicklung festzustellen.
"Es brennt, es brennt!" rufe ich, sowohl zurück zu unserem Haus als auch in die Straße hinein.
Als genug andere Leute zur Hilfe kommen, stehle ich mich davon und eile weiter in die Stadt. In
der Hauptstraße brennen fast alle Geschäfte, in denen ich oft mit der Mutter gewesen bin:
Gleich vorne am Brunnen die Papierwarenhandlung Obst, gegenüber das Sporthaus Klingler,
weiter unten das Kaufhaus Müller, das Schuhgeschäft Stegmüller, der Juwelier Klein und viele
andere. Ich beobachtete verzweifelt die Rettungsversuche derer, die hier gewohnt oder
gearbeitet haben. Die Brände breiten sich von Minute zu Minute weiter aus. Wo bleibt die
Feuerwehr?
Auch das Rathaus ist getroffen und die Kapuzinerkirche brennt lichterloh. Aus dem Turm von St.
Georg züngeln Flammen. Die Innenstadt von Bensheim ist zerstört."
Danach läuft Wolfgang zur Wohnung zurück. Dort findet er einen Zettel auf dem steht: Wir sind
alle ins Kalkbergwerk nach Hochstädten gegangen! Schweren Herzens macht sich Wolfgang auf
den Weg. Er geht wegen der Gefahrenlage querfeldein. In dem Buch liest sich das so: "Im
Brunnenweg kampieren im Steinbruch und in den kleinen Seitenschluchten viele Leute, die aus
der Stadt geflüchtet sind, und in größeren Gruppen ziehen immer wieder Soldaten durch die
Schlucht. Man hört sie mehr als dass man sie sieht.
An der Weggabelung tauchen plötzlich einige Gestalten aus dem Dunkel der hereinbrechenden
Nacht vor mir auf und rufen: "Halt! Wer da? Stehen bleiben!" Gottlob sind es keine
Gestapoleute, sondern Soldaten auf dem Rückzug, die weitgehend die Orientierung verloren
haben und nicht mehr wissen, wo die Front verläuft.
"Bub, wo steht der Ami?", wollen sie wissen, aber ich kann es ihnen nicht sagen. Nur so viel
weiß ich, dass die Amerikaner am Spätnachmittag noch nicht in Bensheim waren. Ich eile
weiter, vorbei am Schönberger Sportplatz und dem alten Schießstand, und ich genieße das
hellere Licht außerhalb des Waldes und unterhalb des Hanges."
Auf der Höhe des Cafés Waldhaus sieht Wolfgang den Feuerschein über der Stadt. Bensheim
brennt. Auf dem Weg zum Marmoritwerk holt der Junge eine Gruppe von Zivilisten ein. Mit dabei
ist die Familie. Die Mutter streicht ihm über das Haar: "Gut, dass Du da bist; so bleiben wir
wenigstens zusammen." Wenig später erreichen die Hambergers zusammen mit vielen anderen
die sicheren Stollen. bj
© Bergsträßer Anzeiger - 24.03.2005
Am 27. März ziehen die GIs ins zerbombte Bensheim ein
Wie der damals 14-jährige Wolfgang Hamberger das Kriegsende erlebte / Auszüge
aus seinem neuen Buch "Faszination Amerika"
Bensheim. Am 26. März 1945 wurde Bensheim bombardiert. Die Stadt brannte. Der
vierzehnjährige Junge Wolfgang Hamberger, der aus Neugier in die Stadt gelaufen war, holte im
Wald seine Familie ein, die in Richtung Hochstädten flüchtete. In den Stollen des Marmoritwerks
fand man Schutz. Aus Schilderungen weiß Wolfgang, am Morgen des 27. März, dieser Dienstag
war ein strahlender Frühlingstag, dass US-Panzer schon am Bahnhof stehen. Weil die Familie
Hunger hat, geht er das Wagnis ein, bei der Bäckerei Wilch in der Nähe der "Krone" Brot zu
holen. Er gerät unter Beschuss, erhält von der Bäckersfrau zwei Laib und ein Glas Milch und ein
Brötchen zur Stärkung und läuft querfeldein in Richtung Marmoritwerk. Im Stollen wird
Wolfgang von den Seinen stürmisch begrüßt.
"Hitler kaputt! Go home!"
Dr. Wolfgang Hamberger schreibt: "Zur Mittagszeit ist es so weit. In einer dichten Kette
kommen amerikanische Panzer die Landstraße herauf, links und rechts flaniert von Infantristen,
die ihre Gewehre unter dem Arm tragen. Es fällt kein einziger Schuss.
"Hitler kaputt! Go home!", der Wortführer, wohl ein Unteroffizier, beobachtet uns scharf. Im
Stollen gibt es viele Umarmungen und noch mehr Tränen. Eine ungeheuere Spannung fällt von
den Menschen ab, niemand spricht von einer Niederlage, alle fühlen sich erlöst, befreit.
Vergessen sind die vom Regime aller Realität zum Trotz bis zuletzt hinaus posaunte Phrasen
vom glorreichen Endsieg, vergessen die Fliegeralarm-Nächte, die Ängste und Sorgen der letzten
Monate, wenn uns Tag für Tag Hunderte von Bombern überflogen. Die Umklammerung durch
das NS-Regime, die für das Land und jeden Deutschen täglich lebensbedrohlicher geworden war,
ist wie eine gekappte Fessel abgefallen."
Hamberger beschreibt dann, wie er mit seiner Mutter durch die Bachgasse in Richtung Auerbach
und von dort nach Bensheim läuft. Entlang der Bachgasse hängen weiße Laken als Zeichen der
Kapitulation und an manchen Hoftoren steht geschrieben "Here are your Friends", das frei mit
"Hier wohnen Freunde" übersetzt werden kann. Zu Hause zurückgekehrt sieht man viele
Militärfahrzeuge, aber das Haus ist heil. "Die Front ist gnädig über uns hinweg gegangen",
schreibt Hamberger.
"Endlich ist alles vorbei. Wir fühlen uns erlöst, befreit und können es kaum fassen. Aber die
Sorge, weil der Vater, Bruder Gerhard und Onkel Otto noch irgendwo mitten drin stecken in den
Wirren des Krieges, bedrückt uns. Das Leben muss weitergehen und so denkt die Mutter auch
an das Nächstliegende; sie macht sich Sorgen, die Lebensmittel könnten knapp werden. Deshalb
will sie in die Stadt gehen, um zu sehen, was es noch zu ergattern gibt; ich soll sie begleiten.
Beim Lebensmittelgeschäft von Christian Höhn, den wir mögen, weil er auch zu Kindern immer
freundlich ist und seine Kundschaft mit einem sauberen weißen Kittel bedient, beobachten wir,
wie einige Amerikaner, Gewehr im Anschlag, den Turm der evangelischen Kirche im Visier
haben. Sie stehen teils vorne an die Kirchenmauer gelehnt, teils in einem schmalen Gässchen,
das zum hinteren Eingang der Gärtnerei Jordan und in die Weinberge führt.
Die Mutter zögert. Wir sehen drei Amerikaner und einen Deutschen, der wahrscheinlich vor dem
Einmarsch der amerikaner als Artilleriebeobachter im Kirchturm war, herauskommen. Einer der
Amerikaner schlägt den Karabiner des deutschen Soldaten gegen die Kante der Kirchenmauer,
so dass das Gewehr in der Mitte auseinander bricht. Von der Ziegelhütte kommen Soldaten, die
einige Polizeibeamte abführen. Das Geschäft der Sieger floriert.
In der Hauptstraße, durch die langen Reihen amerikanischer Soldaten des 180.
Infantrieregiments der vordersten Front folgen, sehen wir ausgebrannte Ruinen. Bis auf wenige
Häuser zum Markt hin ist alles zerstört. Die Mutter ist über das Ausmaß der Zerstörung entsetzt.
Ich nicht, denn ich war ja schon gleich nach dem Angriff da, und ich habe Mainz gesehen.
"Plündern ist das Letzte"
Beim Kaufhaus Müller werden wir Augenzeuge, wie die Amerikaner, harte, wild aussehende
Burschen, die noch nicht geborstenen Schaufenster mit ihren Gewehrkolben einschlagen und
sich eine Gaudi daraus machen, die Menschen in das Kaufhaus treiben und zur Plünderung
auffordern. Sie selbst schauen dem makaberen Treiben eine Zigarettenpause lang amüsiert zu,
bevor sie weiterziehen."
In dieser Situation entstand ein Bild, das später um die Welt und das der Serie über das
Kriegsende in dieser Zeitung als Erkennungsmerkmal dient. Über den Ursprung und die
Geschichte des Bildes haben wir in unserer Montagsausgabe ausführlich berichtet.
Hamberger beschreibt die weitere Situation so: "Ein Junge, den ich aus der Volksschulzeit
kenne, voll bepackt mit beim Plündern gestohlenen Anzügen ruft mir zu: "Komm her, Wolfgang,
nimm Dir was!" "Unterstehe Dich", sagte die Mutter drohend. "Plündern, das ist das Letzte. Es
ist furchtbar, wir sind tief gesunken. Den Weg der schamlosen Plünderer kennzeichnet
verlorenes Beutegut. Wir gehen noch ein Stück weiter bis zum Marktplatz. Aber schon bald
kehren wir um. Der Mutter ist nicht entgangen, dass auch das Kloster, Kirche und Pfarrhaus
zerstört sind: "Mein Gott, und das alles in letzter Minute! Hoffentlich ist unserem guten Pfarrer
Joseph Kallfelz nichts passiert."
Daheim sitzen wir dankbar und doch gedrückt noch eine Weile zusammen. Erst allmählich
begreift unsere kleine Schicksalsgemeinschaft, dass wir das Schlimmste überstanden haben.
Erleichterung und Entspannung prägen den Tag, Angst und Bangen legen sich wie ein grauer
Schleier über die Zukunft. Das ungewisse Schicksal derer, die wir vermissen, bedrückt uns, die
Ungewissheit über alles, was kommt, beschäftigt mich."
© Bergsträßer Anzeiger - 26.03.2005
Heppenheim
Fünfzehn Zivilisten kamen ums Leben
Das Kriegsende 1945 in Heppenheim / Vorhaben der kampflosen Übergabe scheiterte
Heppenheim, Ende März 1945. Wehrmachtstruppen aller Art, in der Regel kaum noch bewaffnet,
zogen durch den Ort. Es war offensichtlich, dass die Front immer näher rückte und in den
nächsten Tagen mit dem Einmarsch der Amerikaner zu rechnen war.
Am Abend des 24. März, gegen 22 Uhr, wurde der Volkssturm alarmiert, da sich amerikanische
Panzer von Norden der Stadt nähern sollten. Gerüchte liefen um. Der Wormser Kreisleiter gab
einen Befehl von Gauleiter Sprenger bekannt, die Orte von Bergstraße und Ried zu evakuieren.
Die Bevölkerung sollte sich im Odenwald hinter einer etwa zehn Kilometer östlich von
Heppenheim verlaufenden imaginären Linie sammeln. Der Einsatz neuer Wunderwaffen stehe
bevor. Ortsgruppenleiter Riedel ließ die höchste Alarmstufe ausrufen und die Bevölkerung von
dem Räumungsbefehl unterrichten.
Etliche Bewohner der Stadt flüchteten in den Odenwald, andere schenkten dem Gerede der NSGrößen keinen Glauben und ignorierten den Befehl. Die aus der Stadt Geflüchteten kehrten am
nächsten Tag, einem Sonntag, wieder zurück. Während die Repräsentanten des
zusammenbrechenden Dritten Reichs mit solchen wahnhaften Aktionen die allgemeine
Unsicherheit vergrößerten, bemühten sich Regimegegner, eine kampflose Übergabe der Stadt an
die alliierten Truppen vorzubereiten.
In Heppenheim ging am 26. März 1945 der von den Nationalsozialisten aus dem Schuldienst
entlassene Dr. Gustav König zum amtierenden Stadtoberhaupt, dem Beigeordneten Keil, um mit
ihm die Lage zu besprechen. Keil war bereit, gegen Zusicherung von Sicherheit für seine Person
seine Befugnisse abzugeben. Anschließend begab sich Dr. König zum Stadtkommandanten, der
versprach, mit seinen 23 Mann abzuziehen und nicht den hoffnungslosen Versuch zu
unternehmen, die Stadt gegen die Amerikaner zu verteidigen. Als Verbindungsmann zu den USTruppen sollte der im Heppenheimer Kriegsgefangenenlazarett tätige Arzt (und Major der US
Army) Dr. Evan Tansley fungieren, mit dem die Gruppe um Dr. König bereits in Kontakt stand.
Trotz der gründlichen Vorbereitung scheiterte das Vorhaben der kampflosen Übergabe der Stadt.
Zwar hatten in der Nacht zum 27. März Wehrmachtstruppen die Kreisstadt verlassen, doch war
eine Nachhut mit vier Sturmgeschützen zurückgeblieben. Versuche, auch diese Kampfgruppe
zum Abrücken zu überreden, schlugen fehl. Als am Morgen des 27. März 1945 gegen 5 Uhr ein
Spähtrupp der Amerikaner in der Lorscher Straße eines der Sturmgeschütze ausmachte, fiel die
Entscheidung für einen die Einnahme der Stadt vorbereitenden Artilleriebeschuss. Ob auch
Jagdbomber eingesetzt wurden, ist unklar.
Nicht strittig ist das Ergebnis der militärischen Aktion: Fünfzehn Zivilisten kamen dadurch ums
Leben. Gegen 10.30 Uhr vormittags war die Stadt eingenommen. Die amerikanischen Militärs
ernannten Dr. Gustav König zum Bürgermeister. Für Heppenheim waren Nationalsozialismus
und Krieg damit vorbei.
Wie viele Opfer NS-Herrschaft und Krieg in Heppenheim gefordert hatten, lässt sich nur ungenau
feststellen. Der Untersuchung Wilhelm Metzendorfs zufolge gab es in der Kernstadt 769 Tote zu
beklagen (einschließlich der Angehörigen der Heimatvertriebenen), in den Stadtteilen 247. Das
bedeutet, dass in der Kernstadt acht Prozent, in den Stadtteilen neun Prozent der Bevölkerung
im
Zweiten
Weltkrieg
umgekommen
sind.
Die
Zahl
der
im
Heppenheimer
Kriegsgefangenenlazarett verstorbenen ausländischen Soldaten liegt über 700. 24 deutsche und
47 ausländische Zivilisten, die nach dem Luftangriff auf Darmstadt vom 11./12. September 1944
verwundet nach Heppenheim gebracht worden waren, starben in der Kreisstadt. 29 Menschen
aus Heppenheim wurden Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Harald E. Jost
© Bergsträßer Anzeiger - 30.03.2005
Lorsch
Amerikaner marschierten kampflos ein
Weil Lorsch auf Widerstand verzichtet, bleibt die Zerstörung 1945 vergleichsweise
gering
Lorsch. In der Fassung über das Kriegsende in der Region (heutige Ausgabe, Seite 5) werden
einige grundsätzliche Aspekte der politischen und militärischen Zusammenhänge und Abläufe
über das Kriegsende beschrieben. Der folgende Beitrag von Hermann Heckmann schildert die
Auswirkungen auf das Kriegsende in Lorsch. Heckmann, Lorscher des Jahrgangs 1931, erläutert,
warum es auch in Lorsch zu Toten und Sachschäden kam, der Kommune aber das schlimme
Schicksal einiger Gemeinden der Umgebung erspart blieb.
Über die entscheidenden Tage der Karwoche vom 25. bis 27. März 1945 wurden bereits zum
20., 40. und 50. Jahrestag Beiträge veröffentlicht.
Ab heute: Neun Beiträge
über Lorsch im März 1945
Durch neuere Unterlagen (siehe auch Berthold Forster: "Der Tag X. Das Kriegsende in
Gernsheim") aus amerikanischen und deutschen Militärarchiven ergeben sich aber Änderungen
und Präzisierungen über die Zusammenhänge und Abläufe der Besetzung Südhessens
gegenüber dem seitherigen Wissen. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die diese Ereignisse
selbst erlebt haben und schildern können. Der 60. Jahrestag des Kriegsendes, ist deshalb eine
geeignete Gelegenheit, an die Geschehnisse zu erinnern - und den Mut Lorscher Bürger deutlich
zu machen. Mitglieder des Heimat- und Kulturvereins haben neun Beiträge erarbeitet, die von
heute ab täglich im Bergsträßer Anzeiger erscheinen. Sie sollen auch der jüngeren Generation
helfen, die Vergangenheit besser zu verstehen und Lehren für die Zukunft abzuleiten.
Heckmann erinnert: Kriegsende bedeutete für die deutsche Bevölkerung vornehmlich das Ende
von Leid und Zerstörung ihrer Heimat. Jedem, außer einigen Fanatikern, war klar, dass der
Krieg verloren war und jeder weitere Widerstand nur eine Vergrößerung dieses Elends nach sich
ziehen würde.
Zu dem immer grausamer werdenden Bombenkrieg kam ab Herbst 1944 auch für die ländliche
Bevölkerung ein weiterer Terror hinzu: Die Tiefflugangriffe der amerikanischen Jagdbomber.
Keine Zivilperson in der Bahn, im Auto, auf den Straßen waren vor diesen Jägern sicher, auch
die Bauern auf dem Feld nicht. Auf diese Weise fanden im Februar und März 1945 vier Frauen
und ein Mann aus Lorsch den Tod. Die Lorscher Schüler, die in auswärtigen Schulen unterrichtet
wurden, waren nach mehreren Angriffen auf Personenzüge in der Gegend in den hiesigen
Schulen notunterrichtet und Anfang 1945 in ihre alten Volksschulklassen wieder aufgenommen.
Die 3. US Armee unter Patton unternahm am 22. März um 22 Uhr bei Oppenheim einen
Überraschungsangriff auf die rechte Rheinseite und nahm am 25. März Darmstadt ein. Dadurch
war ein schnelles Nachfolgen der 7. US Armee über den Rhein zur Flankensicherung notwendig.
Zur Vorbereitung und Sicherung dieses Übergangs wurden die meisten Riedgemeinden in der
Nacht vom 25. auf den 26. 3. und an diesem Tag selbst von der amerikanischen Artillerie
beschossen.
Es gab in allen betroffenen Gemeinden Tote unter der Zivilbevölkerung und erhebliche
Sachschäden, so auch in Lorsch. Der Angriff der 7. US Armee auf die rechte Rheinseite erfolgte
am 26. März um 2.30 Uhr sowohl nördlich (beim Hamm) als auch südlich von Worms mit
paralleler Stoßrichtung auf die Bergstraße. Die Gegenwehr der Wehrmacht bei der Landung bei
Hamm war durch den Einsatz von 8,8 cm Flakgeschützen heftiger als bei dem südlich von
Worms. Nach etwa einer Stunde konnten die Amerikaner bei beiden Übergängen das Ostufer
sichern und vorstoßen.
Von ihrem Brückenkopf südlich von Worms stieß die 7. US Armee mit der 3. Infanterie-Division
an der Spitze in drei Richtungen vor. Nach Norden: Besetzung Hofheims am Morgen und
Zerstörung des Eisenbahn-Flakzuges. Nach Osten: Noch in der Nacht besetzte das 30.
Schwadron der 7. US Armee den Rosengarten, marschierte am frühen Morgen in Bürstadt ein
und drang auf der B47 in Richtung Lorsch vor. Nach Südosten: Am Morgen gab es heftige
Kämpfe zwischen Bürstadt und Lampertheim. Lampertheim selbst wurde nicht ernstlich
verteidigt. Nach seiner Besetzung stießen die Panzer in Richtung Neuschloß und die Bergstraße
vor.
Grundlage des schnellen Geländegewinns der Amerikaner war, dass es ihnen bereits nachts und
morgens gelang, zwei Infanterie- und eine Panzerdivision mit einer Behelfsbrücke über den
Rhein zu bringen. Unterstützt wurden alle Operationen durch massiven Einsatz ihrer Luftwaffe.
Die Lage der diesen Raum verteidigenden deutschen Einheiten, die 246. und 352.
Volksgrenadierdisivion (VGD), war hoffnungslos. Geschwächt und ohne schwere Waffen konnten
sie die HKL (Hauptkampflinie) von Lampertheim bis Langwaden nicht halten und wurden im
Laufe des Tages (26. März) an die Bergstraße zurückgezogen. Dies führte auch zu dem für
Lorsch wichtigen Vorgang, die in der Gemeinde vorhandenen Soldaten und Geschütze an diesem
Tage abzuziehen.
Die Feld-Artillerie in Lorsch war im Gegensatz zu den Flakgeschützen bei Einhausen nicht
eingegraben und damit für den Transport beweglicher. Lorsch wurde nicht mehr verteidigt. Es
erfolgte kein Jagdbombenangriff. Ein solcher Angriff auf den Kernbereich der Gemeinde, zu dem
schließlich auch die Klosteranlage gehört, hätte zu noch mehr Toten und Zerstörung geführt. Die
spätere Entwicklung von Lorsch wäre anders verlaufen.
"Fliegendes Personal"
privat in Lorsch untergebracht
Auch der südöstlich von Lorsch gelegene Militärflugplatz barg die Gefahr größerer
Verteidigungsanstrengungen und damit verbundener Kampfhandlungen. Er wurde während des
Krieges angelegt und diente zuerst Übungszwecken der Luftwaffe. Der Platz war 1944/45 weiter
ausgebaut und mit Jagdflugzeugen belegt worden. In Lorsch waren zu dieser Zeit das
Bodenpersonal, Teile der Bautruppen und in Privatquartieren fliegendes Personal untergebracht.
Am 10. März 1945 kam der Befehl, den Platz für die Zerstörung vorzubereiten, das Gerät
wegzuschaffen. Eine Luftaufnahme der Amerikaner vom 13. März zeigt keine erkennbaren
Aktivitäten mehr.
Das Flugplatzpersonal wurde am 23. März den Heeres-Divisionen unterstellt und aus Lorsch
abgezogen. Der Sprengbefehl in der Nacht zum 24. März wurde nicht mehr befolgt. Damit war
für die beiden kritischen Tage, 25. und 26. März, diese Militäreinrichtung keine zusätzliche
Gefahr für Kampfhandlungen.
Innerhalb eines Tages (Montag, 26. März) waren die Amerikaner vom Übergang Hamm bis
nördlich von Lorsch über die Autobahn (heute A67) und von Worms aus fast bis an die Autobahn
auf der B47 und damit kurz vor Lorsch vorgedrungen. Bei diesem Vormarsch gingen viele
deutsche Soldaten in die Gefangenschaft. Am 27. März frühmorgens marschierten die Soldaten
der 3. US Division, begleitet von Panzern der 12. US Panzerdivision, kampflos in Lorsch ein. Die
Bewohner konnten die Keller, in denen sie zwei Tage und Nächte Schutz suchten, verlassen. Die
direkte Lebensbedrohung war zu Ende. Die Sorgen um das Schicksal der noch im Krieg
befindlichen Angehörigen und um die tägliche Nahrung nahmen zu. Ernst nach Wochen und nur
langsam begann auch ein Hoffen auf eine bessere Zukunft.
Auf Grund des Zusammenwirkens der geschilderten Vorgänge kann zusammenfassend für das
Kriegsende in Lorsch festgestellt werden: Das fluchtartige Zurückziehen der deutschen Truppen
auf die rechte Rheinseite und deren geringe Kampfkraft, das schnelle Nachrücken der
Amerikaner und die frühzeitige Räumung des Flugplatzes, das Abziehen der deutschen Artillerie
und Soldaten am 26. März und damit kein Tieffliegerangriff auf die Gemeinde, das mutige
Verhalten der Lorscher Bürger, die die Amerikaner am Morgen des 27. März endgültig
überzeugten, dass Lorsch nicht mehr verteidigt wird, haben Lorsch vor Schlimmerem bewahrt.
Die Gemeinde entging damit dem Schicksal von Einhausen und Bensheim, deren Kernbereiche
stark zerstört wurden.
"Dankbarkeit sollte deshalb auch heute Teil des Erinnerns sein", plädiert Heckmann. Alle
kriegerischen Zusammenhänge, alle Erinnerungen sollten 60 Jahre nach Kriegsende der
Mahnung dienen, für Verständigung und Frieden zwischen Völkern einzutreten und Krieg als
Mittel der Politik möglichst auszuschließen. red
© Bergsträßer Anzeiger - 21.03.2005
Couragierte Frauen räumen nachts die Panzersperre fort
Im zweiten Teil der BA-Serie "Kriegsende in Lorsch" erinnert Peter Dorn an den
Gottesdienst vor dem Einmarsch der Amerikaner
Lorsch. Mit Beginn des siebten Kriegsjahres 1945 machte sich die Mehrheit der Bevölkerung
keine Illusionen über den Ausgang des Krieges. Die Städte zum größten Teil zerstört, die
Verkehrsbedingungen chaotisch, die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug und die
Truppen der Alliierten bereits auf deutschem Boden. Es war nur noch eine Frage von Wochen
oder wenigen Monaten, bis ganz Deutschland erobert sein würde.
Bis jetzt blieb Lorsch vor Zerstörungen verschont. Doch die Endphase des Krieges stand den
Einwohnern noch bevor. Zu der ungewissen Zukunft kam der Kriegsalltag mit seinen
Entbehrungen. Die Angst um das Leben der Angehörigen an der Front und die Sorge, selbst von
den Kriegsauswirkungen betroffen zu werden, beherrschte das Denken der Menschen.
Nachbarschaftshilfe war vonnöten, nahm Anteil. fand Leidtragende, die das gleiche Schicksal
teilten und suchte Hilfe und Trost im Glauben, in der Religion.
Gebetskreis will im Pfarrhaus
keinen Verdacht erregen
Im Laufe des letzten Kriegsjahres hatte sich unter dem Lorscher Pfarrer Ludwig Quinkert ein
Gebetskreis gebildet, der sich im Pfarrhaus traf. Die Teilnehmer mussten zu unterschiedlichen
Zeiten das Pfarrhaus aufsuchen, um keinen Verdacht zu erregen, gegen das
Versammlungsverbot zu verstoßen. Es war eine lose Gemeinschaft von Frauen unterschiedlichen
Alters. Bei den wöchentlichen Treffs wurde auch über das aktuelle Kriegsgeschehen gesprochen.
So sehr man sich auch den Einmarsch der Amerikaner am Kriegsende herbeiwünschte, so waren
doch die Befürchtungen vor Artilleriebeschuss und Fliegerangriffen berechtigt. Immer wieder
kursierten Gerüchte über die Verteidigung von Lorsch. Dass die Vermutungen nicht aus der Luft
gegriffen waren, zeigte der Bau der Panzersperre an der Autobahn.
Was konnten Frauen tun? Der Wunsch etwas zu unternehmen, um Kriegsgefahr zu vermeiden,
war groß. Man versuchte sich vorzustellen, wie der Einmarsch der Amerikaner in Lorsch
vonstatten gehen könnte. Inwieweit Frauen auf die Ereignisse Einfluss nehmen konnten, blieb
ungewiss. Und die letzten Verfügungen des Hitlerregimes vom 15. Februar 1945, die
Standgerichte mit Todesurteil für alle Straftaten vorsah, die die deutsche Kampfkraft
schwächen, mahnten zur äußersten Vorsicht.
Die Front rückte täglich näher. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Amerikaner Lorsch
erreichen würden. Unter der Prämisse: "Nur den Betern kann es noch gelingen " wurde am
Palmsonntag ein Bittgottesdienst abgehalten. Die Sorge um das Leben der Familienangehörigen,
um Haus und Hof, die Angst vor einer ungewissen Zukunft, ließ die Lorscher die Kirche bis auf
den letzten Platz füllen. In ruhiger Gelassenheit, vertrauend auf die göttliche Fügung, feierte
Pfarrer Quinkert die Messe. Die Ruhe übertrug sich auf die Gläubigen.
"Die Amerikaner sind
schon über den Rhein!"
Am Ende des Gottesdienstes kam eine Frau aus der Peterstraße in die Kirche. Sie ging
schnurstracks zum Altar, winkte den Pfarrer herbei und sagte: "Schicken Sie die Leute sofort
nach Hause. Die Amerikaner sind schon über den Rhein und werden sicher bald in Lorsch sein."
Im Nu verbreitete sich die Nachricht unter den Anwesenden. Ein Schauer läuft manchem noch
heute über den Rücken, wenn er an das Schlusslied der Messfeier denkt: "In dieser Nacht sei du
mir Schirm und Wacht."
Die Hilflosigkeit, die Ungewissheit, ließ eine Situation entstehen, in der die Lorscher Frauen
versuchten, Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen. Während des Gottesdienstes am
Palmsonntag hatten mehrere Frauen vereinbart, sich bei einbrechender Dunkelheit zu treffen.
Was genau unternommen werden konnte, sollte oder durfte, war ungewiss. Couragierte Frauen
wollten etwas unternehmen, um Schaden von Lorsch abzuwenden und Schlimmeres zu
verhüten.
In einer spontanen Aktion gingen fast 15 Frauen zur Kommandantur in die Försterei am Kloster.
Sie versuchten, die Soldaten und Offiziere von der Sinnlosigkeit einer Verteidigung zu
überzeugen. Doch es war zwecklos. Die niederschmetternde Antwort: "Lorsch wird verteidigt und wenn ein Trümmerhaufen zurückbleibt." Selbst in der ausweglosen Situation wollten die
Militärs die Landsleute nicht schonen.
Sorgenvoll machten sich die Frauen auf den Weg zurück zu ihren Familien. Was hier nicht
machbar war, gelang an anderer Stelle umso besser. In einer Nacht- und Nebelaktion räumten
die Frauen der Nibelungenstraße die Panzersperre an der Autobahn hinweg. In den frühen
Nachtstunden zum Montag setzte Artilleriebeschuss ein. Die Beschießung hielt die ganze Nacht
an und verursachte viele Gebäudeschäden und mehrere Todesopfer.
Im Laufe des Montags rückten die Soldaten plötzlich in Richtung Bensheim/Heppenheim ab. Was
auch immer der Auslöser für den Abzug der Deutschen war - vielleicht hat doch das Engagement
der Lorscher Frauen indirekt dazu beigetragen. Jetzt blieb nur noch die Hoffnung auf den
baldigen Einmarsch der Amerikaner, der in der Nacht zum Dienstag kampflos erfolgte.
Im Sonntagsgottesdienst an Ostern, bedankte sich Pfarrer Quinkert besonders bei den Frauen,
die die Soldaten am Kloster aufgefordert hatten, Lorsch zu verlassen und den Frauen, welche die
Panzersperre an der Autobahn abgebaut und beseitigt hatten. Zum Dank, dass Lorsch nicht
bombardiert wurde, hielt er jeden Monat eine Nachtwache: In den ersten Jahren im Chor der
Kirche und später in der Kapelle des Lorscher Krankenhauses.
© Bergsträßer Anzeiger - 22.03.2005
Geschütze auch im Klosterpark
Im dritten Teil der BA-Serie erinnert sich Ludwig Brunnengräber an den Rückzug der
Wehrmacht
Lorsch. Ehrenbürgermeister Ludwig Brunnengräber erinnert sich in der BA-Serie
Kriegsende an der Bergstraße" an den März 1945 in Lorsch:
"Das
Die deutschen Truppen waren im März 1945 in unserem Raum einfach zu schwach und zu
schlecht ausgerüstet, um den anrückenden Amerikanern nach deren Rheinüberquerung noch
ernsthaften Widerstand leisten zu können.
Jagdbomber schossen
auf alles, was sich bewegte
Der Feuerkraft der gegnerischen Artillerie sowie den Panzerverbänden hatte man nichts mehr
entgegenzusetzen. Zudem hatten die Alliierten die absolute Lufthoheit und ihre Jagdbomber
schossen auf alles, was sich bewegte.
"Deutsche Artillerie war kaum mehr vorhanden, deren Aufgabe hatte die Flak zu übernehmen,
die aber für den Erdkampf unerfahren und auch ungeeignet war. Die zur Sicherung der rechten
Rheinseite gebildete Hauptkampflinie von Lampertheim bis Langwaden musste deshalb
frühzeitig an die Hänge des westlichen Odenwaldes zurückverlegt werden", heißt es im Bericht
von Generalleutnant Graf von Oriola vom XIII. deutschen Armeekorps.
So zogen sich die deutschen Soldaten - zum geringen Teil aus Volkssturmangehörigen - zurück,
um sich an der Bergstraße und im vorderen Odenwald neu zu sammeln. Viele wurden bei ihrem
Rückmarsch durch Lorsch von den Einwohnern mit einer Mahlzeit verpflegt.
Die in den letzten Kriegswochen von Soldaten belegten Schulen wurden auch frühzeitig
geräumt. Die am Flugplatz im Ehlried in Holzbaracken untergebrachten Wehrmachtsangehörigen
kommandierte man am 23. März in Richtung Darmstadt ab.
In der Lorscher Gemarkung standen vereinzelt Geschütze, so beispielsweise am Sachsenbuckel,
wo Vierlings-Flak postiert war. Zeitzeugen berichten ebenfalls von Geschützen am Waldrand an
der Mannheimer Straße, im Lagerfeld, im Klosterpark und an der Weschnitz-Brücke nach
Heppenheim. Auch die wenigen Züge, die noch auf der Bahnstrecke verkehrten, waren teilweise
mit einem Flak-Geschütz gesichert.
Am Morgen des 26. März wurden auf einem noch damals unbebauten Grundstück in der
Benediktinerstraße vier Feldhaubitzen in Stellung gebracht, die um die Mittagszeit noch einige
Salven abfeuerten, um sich dann ebenso rasch wieder nach Osten abzusetzen.
Rechtzeitig waren also neben den Soldaten auch alle Geschütze vor den heranrückenden
amerikanischen Truppen zurückbeordert worden, so dass Lorsch ohne Kampfhandlungen besetzt
und vor weiteren Zerstörungen und Blutvergießen bewahrt wurde.
© Bergsträßer Anzeiger - 23.03.2005
Die Panzersperre an der Autobahnbrücke
Im vierten Teil der BA-Serie über das Kriegsende in Lorsch beschreibt Peter Dorn die
mutige Aktion einiger Lorscher Frauen
Lorsch. In der vierten Folge unserer Serie "Das Kriegsende an der Bergstraße" erinnert sich
Peter Dorn an die letzten Kriegstage:
Lorsch wurde zum Glück nicht verteidigt. Das schmälert nicht die mutige Aktion der Lorscher
Frauen. Im Gegenteil! Die Räumung der Panzersperre war unter den gegebenen Umständen eine
mitentscheidende Voraussetzung zum kampflosen Einmarsch der Amerikaner in Lorsch. Die
immer näher rückende Front veranlasste die deutsche Wehrmacht auch in Lorsch
"Verteidigungsmaßnahmen" vorzubereiten. Als Schwerpunkt dieser Maßnahme wurde die
Autobahnüberquerung der Landstraße Bensheim-Lorsch-Worms festgelegt. In den ersten
Märztagen begann eine Pioniereinheit mit dem Bau der Panzersperre. Direkt an der
Unterführung, auf der Westseite, wurden links und rechts je zwei Würfel aus Baumstämmen ca.
1,20 Meter im Quadrat und ca. 1,50 Meter tief in die Erde gerammt und mit Sand und Steinen
verfüllt. Nach deren Fertigstellung konnte zu gegebener Zeit die bereit liegenden, über die ganze
Straßenbreite reichenden schweren Holzstämme, in den Spalt zwischen den beiden Würfeln
eingefügt werden. Fertig war die Panzersperre. Ein solches Bollwerk konnte so leicht nicht
weggeräumt werden.
Die verängstigten Lorscher suchten ihre Keller auf und hofften, dass die deutschen Militärs die
Sinnlosigkeit dieser Verteidigungsmaßnahmen einsehen würden. Als am späten Nachmittag ein
Tross von deutschen Militärfahrzeugen, z. T. mit Rot-Kreuz-Emblemen, vom Wald her sich durch
die Nibelungenstraße Richtung Bensheim-Heppenheim bewegte, deuteten die Bewohner dies als
"Absetzbewegung". Lediglich einige Soldaten mit Verwundeten gingen in Richtung Ortsmitte und
Krankenhaus. Den ganzen späten Nachmittag und Abend gab es keine Schießereien mehr. Ein
beherzter Bewohner aus der Nibelungenstraße, der gehbehinderte Philipp Brunnengräber, fuhr
mit seinem Dreirad Richtung Autobahnbrücke in den Rücken der Panzersperre. Soweit er die
Situation beurteilen konnte, waren auf dem Feld zwischen den letzten Häusern von Lorsch und
dem Autobahndamm, keine deutschen Soldaten zu sehen. Von Militär-Fahrzeugen keine Spur.
Diese Nachricht mobilisierte die Frauen in der unteren Nibelungenstraße. Spontan machten sich
einige mutige Frauen auf den Weg, die Sperre zu beseitigen. Unterwegs schlossen sich jüngere
und ältere Frauen dem wagemutigen Unternehmen an und ließen sich auch nicht von den
Warnungen ängstlicher Familienangehöriger abhalten. Sogar ein kräftiger Junge von 14 Jahren,
Toni Seitz, Lorsch, Friedensstr. 48, war mit Kopftuch und Schürze als Mädchen verkleidet, dabei.
Die Möglichkeit, durch entschlossenes Handeln großen Schaden von Lorsch abzuwenden, war
Ansporn genug.
Man muss sich die Situation einmal vorstellen. Praktisch zwischen den Fronten versuchen Frauen
mit einfachsten Mitteln, eine von den Pionieren der deutschen Wehrmacht errichtete
Panzersperre abzubauen. Es war dunkel. Wie weit die Deutschen abgezogen und wie nah die
Amerikaner waren, konnte niemand beurteilen. Jederzeit konnten die Kampfhandlungen von
deutscher oder amerikanischer Seite wieder aufflammen. Die Angst vor neuen Schießereien und
vor allem die Vorstellung einer Bombardierung von Lorsch, der möglichen Zerstörung ihrer
Häuser oder gar den Tod von Angehörigen, verlieh den Frauen übermenschliche Kräfte.
Die Posten der seitlichen Halterung an der Brückenwand wurden gelockert und beseitigt. Steine
und Sand abgetragen und die schweren Baumstämme, die quer über die Straße lagen, soweit
zur Seite geschafft, dass eine Durchfahrt möglich war. Als letzte Maßnahme nagelte eine junge
Frau Latten oder Holzprügel mit weißen Windeln oder Stofffetzen an die Baumreihe, die von der
Autobahn bis an die Häuser von Lorsch reichte. Das war das Zeichen für die anrückenden
Amerikaner. Hier wird kein Widerstand geleistet, wir ergeben uns.
Soweit der Augenzeugenbericht meiner Tante Apollonia Engelhardt und meiner Patentante
Agnes Engelhardt, Nibelungenstraße 87.
Schon am Palmsonntag sollen sich nach dem abendlichen Gottesdienst Lorscher Frauen
abgesprochen haben, die Soldaten einer im Klosterpark stationierten Flak, zum Verlassen des
Geländes aufzufordern. Jedoch ohne Erfolg. Die damals 40-jährige Magdalena Eichhorn, Ecke
Nibelungen-Heinrichstraße hörte den verbotenen Sender BBC, London. Der Sender forderte die
Bevölkerung auf, durch Heraushängen von weißen Tüchern den anrückenden Truppen zu zeigen,
dass die Stadt nicht verteidigt werde.
Vor dem Haus der Eichhorns waren deutsche Truppen auf dem Rückzug. Frau Eichhorn fragte
einen Offizier, ob sie nicht die Panzersperre beseitigen könnten. Seine Antwort war: "Frauen
dürfen viel." Peter Dorn
© Bergsträßer Anzeiger - 24.03.2005
Die Nacht, in der die "Amis" kamen
In der fünften Folge der Ba-Serie "Das Kriegsende an der Bergstraße" kommt Peter
Dorn zu Wort
Lorsch. In der heutigen Folge unserer Serie über das Kriegsende berichtet Peter Dorn über die
Nacht, als die Amerikaner kamen. Meine Familie hatte sich im Keller unseres Hauses
eingerichtet, um die Tage "an denen die Front über uns hinweg geht" sicher zu überleben. Der
Keller war aus Sicht des Luftschutzwartes ideal. Nachdem er die örtlichen Gegebenheiten
besichtigt hatte, sagte der Mann: "Ein gewölbter Keller hält mehr aus", und fügte nach kurzer
Pause hinzu: "Wenn im Haus was einstürzen sollte.".
Am 25. März, spät abends, war der Himmel gegen Nordwesten feuerrot. Meine Tante hatte es
auf ihrem abendlichen Rundgang durch Stall und Scheune bemerkt. Im Garten, wo der Blick
nicht durch Häuser verstellt war, machten wir uns Gedanken, was das sein könnte. In dieser
Richtung lag keine Großstadt. Es waren auch keine Flugzeuge zu hören und kein Artilleriefeuer.
Erst am nächsten Tag hörten wird, dass die Amis bei Gernsheim den Rhein überquert hatten.
Warten aufs "dicke Ende"
In meiner Familie gab man sich nicht der Illusion hin, der Krieg werde siegreich beendet. Auch
die militärischen Erfolge der ersten Kriegsjahre lösten keine Euphorie aus. Es herrschte die
Auffassung "das dicke Ende kommt noch", und "der Hitler stürzt uns alle ins Unglück".
Tagtäglich Fliegerangriffe auf den Bibliser Flugplatz, die Eisenbahnlinie Frankfurt-Heidelberg und
die Autobahn Frankfurt-Mannheim.
Die Artillerietätigkeit wurde zeitweise stärker, flaute genauso wieder ab. Es gab auch längere
Feuerpausen. Nach einer Serie von Einschlägen in unmittelbarer Nähe, gab es einen sehr lauten,
harten, fürchterlichen Knall, und ein Moment, wie wenn das Haus von einer mächtigen Faust
einen Stoß erhalten hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde schien Totenstille. Dann ein
ohrenbetäubendes Krachen, ein Bersten und Brechen von Mauerwerk, Holz, Glas und ein
Splittern der Kellertür. Unmittelbar danach setzte ein lang anhaltendes Prasseln von
herabfallenden Stein- und Ziegelbrocken ein. Wir waren wie gelähmt, im Schockzustand. Wir
wussten nicht was wir machen sollten und erwarteten noch Schlimmeres.
Kurz danach hörten wir eilige Schritte, die sich über Bretter, Steine und Ziegelbrocken unserer
Kelleröffnung mit dem Ofenrohr näherten. Wir hörten wie Schutt weggeräumt wurde und eine
Männerstimme rief in den Keller herunter: "Lebt ihr all? Seid ihr all am Leben?" Es kam ein
befreiendes "Ja" von uns. "Das Haus ist von einer Granate getroffen." "Das Haus" echoten wir
ungläubig. "Ja das Dach ist weg.
"Ach Gott, das Haus", stöhnte meine Mutter. "Schlimmer hätte es nicht kommen können." Zu
den Schäden die wir vom Hof aus gesehen hatten, kam hinzu, dass die Speicherdecke zum Teil
herabgestürzt war. Überall lagen Mauerbrocken, Steine und Ziegel auf dem Zimmerboden und
Möbel herum. Der größte Brocken lag im Bett, wie wenn ihn jemand sorgfältig hinein gelegt
hätte. Alle Fensterscheiben im Obergeschoss waren zu Bruch gegangen.
Nur eine kleine Kostbarkeit war unversehrt geblieben. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers,
von einer fingerdicken Staubschicht bedeckt, stand ein Tablett mit selbst gemachtem Handkäs
zum Trocknen. Genau in einer Käsereihe, schön eingeordnet, fanden wir den Zünder der
Granate.
Während wir das Haus auf weitere Schäden absuchten, hatte die Tante ihren Rundgang durch
Stall und Scheune gemacht. Unser Vieh schien den Granateinschlag ohne Verletzungen
überstanden zu haben. Das war ohne Frage eine gute Nachricht, denn Scheunentor und Stalltür
zeigten Einschläge und ausgefranste Löcher von Granatsplittern.
Gewiss war meine Mutter bedrückt und niedergeschlagen, durch all die Umstände die durch die
Kriegsereignisse eingetreten waren. Aber sie war eine praktisch veranlagte Frau und dachte an
das nächstliegende. "Bis jetzt haben wir alle gesund überlebt. Zuerst müssen wir uns um das
Dach kümmern." Am Nachmittag kam Onkel Adam, ein älterer Verwandter, der im Laufe des
Tages von unserem zerstörten Haus gehört hatte. Unter seiner Anleitung schafften wir zwei
Bottiche mit Wasser und Sand auf den noch verbliebenen Dachboden, um im Falle eines Falles
etwas zum Löschen zu haben.
Trotz der gefährlichen Umstände versuchten wir kleinere Reparaturen am Dach durchzuführen.
Während der Arbeit ging unser Blick wieder und wieder nach Einhausen, zu den aufsteigenden
Rauchsäulen brennender Häuser. "Da wird gekämpft", sagte der Onkel, "die armen Buben vom
Arbeitsdienst, da sterben sie dahin, für nix und wieder nix, nur für dem Hitler sein Wahn".
Straße voller Panzer
Der Abend und die hereinbrechende Nacht bleiben gespenstisch ruhig. Wir mussten ein wenig
geschlafen haben, als wir mitten in der Nacht Schritte hörten. Durch die zuhauf auf dem
Bürgersteig herabgefallenen Ziegel, hörten wir jeden Schritt. Was wir jetzt hörten war neu,
ungewohnt. Deutsche Soldaten hatten genagelte Schuhe, was beim Auftreten ein metallenes
Geräusch verursachte. Was wir jetzt hörten, war leiser, gedämpfter, nur das Knirschen der
durch den Auftritt und das Gewicht des Schuhträgers zermahlener Ziegelbrocken war zu hören.
Ich wusste es sofort. Gummischuhe!
Die Amis waren da. Nachdem es heller geworden war, ging ich ans Hoftor. Die ganze Straße
stand voller Panzer. Einer hinter dem anderen. Direkt vor unserem Haus hatte sich eine Gruppe
amerikanischer Soldaten versammelt. Einige saßen auf der Treppe, die zum Haus führte. Alle
hatten Gewehre oder MP in den Händen. Aus den Fenstern der Nachbarschaft hingen weiße
Betttücher oder weiße Stofffetzen heraus. Ein Zeichen für Kapitulation. Die Menschen in diesem
Haus ergaben sich. Hier wird kein Widerstand geleistet.
Peter Dorn
© Bergsträßer Anzeiger - 26.03.2005
"Der Krieg ist aus, die Amerikaner sind da"
Heute erinnert sich Amalie Grün an den Einmarsch der Amerikaner 1945 / Eine Woche
später ging sie erstmals zu Kommunion
Lorsch. In der sechsten Folge der BA-Serie "Das Kriegsende an der Bergstraße" schildert Amalie
Grün wie sie diese Tage erlebte: Wir wohnten 1945 in der Oberstraße, damals noch ein Feldweg
am Ortsrand von Lorsch, der zur Hitlerzeit "Straße der SA" hieß.
Westlich der wenigen, kurz vor dem Krieg gebauten Häuser, waren Felder, der Wald mit dem
Olympiasportplatz und dahinter die Autobahn. Ganz in der Nähe war das Gemeindeköpfel - zu
der Zeit noch ein Sandbuckel - und der Birkengarten mit der Tränke. An der Tränke stand
während der letzten Kriegstage eine Flak.
Am 25. März, es war Palmsonntagabend, sahen wir in Richtung Worms bunte Leuchtkugeln wie
Christbäumchen vom Himmel herunter kommen. Und schon bald nach Einbruch der Dunkelheit,
tobte das Artilleriefeuer über uns. Voller Angst flüchteten wir in den Keller.
Während wir geduckt zwischen den Sträuchern durch die aneinander grenzenden Gärten liefen,
krachte der Stall unserer Nachbarn, von einer Granate getroffen, zusammen wie ein Kartenhaus.
Wir haben den Keller der Großeltern "Gott sei dank" unversehrt erreicht. Als die Angriffe am
Morgen nachgelassen hatten, sahen wir, dass der Gartenweg, den wir nachts gelaufen waren, in
einem großen Loch verschwunden war.
Als ich mit meiner Schwester kurz im Hof war, wurde der Beschuss wieder stärker. Ein
Tiefflieger flog über uns hinweg und in diesem Moment krachte von einem Haus in der
Mannheimer Straße ein Teil des oberen Stockwerkes herunter. Schnell sprangen wir wieder die
Kellertreppe hinunter.
Nachmittags riefen uns Nachbarn zu: "Einhausen brennt! Bensheim brennt!" Vom Dachfenster
aus sahen wir dicke, schwarze Rauchwolken über den Nachbarorten. Später kamen, müde und
übernächtigt, die jungen Flaksoldaten vom Waldrand hergelaufen. Unsere Oma gab ihnen Brot
und Äpfel und auf ihre Frage, wo sie denn nun hin gingen, antworteten sie nur: "Heim, wir
wollen heim!"
Auch die nächste Nacht verbrachten wir wieder bei den Großeltern. Während einer fast ruhigen
Nacht, hörten wir Stimmen vor dem Kellerfenster. In der Annahme, dass wieder deutsche
Soldaten auf dem Rückzug seien, ging unsere Oma beherzt hinauf auf die Straße. Soldaten
saßen, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, auf dem Boden. Besorgt sagte sie: "Ihr Buben
steht auf.
Nix Soldatt
Der Boden ist kalt, ihr werdet krank." Die Soldaten sprangen auf und fragten mit vorgehaltener
Waffe: "Soldatt? Soldatt?" Erschrocken antwortete unsere Oma: "Nix Soldatt, nur alte Frauen
und Kinder!" So schnell sie konnte lief sie zu uns in den Keller und rief: "Der Krieg ist aus! Die
Amerikaner sind da!"
Bald hingen überall weiße Tücher aus den Häusern, als Zeichen, dass niemand mehr Widerstand
leistet. Dann kam der Fahrzeugtross der Amerikaner. Panzer, Lastwagen und Jeeps fuhren ohne
Ende an unseren Häusern vorbei zur Nibelungenstraße. Dunkelhäutige Soldaten - die ersten, die
wir in unserem Leben sahen - warfen uns Kindern Süßigkeiten zu. Bald konnten wir das erste
Wort Englisch sprechen: "Chewinggum".
Als wir gegen Abend wieder in unserem Haus waren, stand plötzlich ein bewaffneter Soldat mit
Stahlhelm unter der Tür. Er gab uns zu verstehen, dass wir binnen fünf Minuten das Haus
verlassen mussten. Gleichzeitig fuhr ein Panzer in unseren Hof. Unsere Mutter packte schnell die
wichtigsten Sachen ein und dann liefen wir wieder zu den Großeltern. Doch auch deren Haus war
gerade besetzt worden. Wir packten unsere paar Habseligkeiten auf einen Handwagen und
zogen damit zu unserer Tante in die Nibelungenstraße.
Dort waren wir nicht die ersten. Kurz vor uns waren Verwandte aus der Lagerhausstraße
angekommen. Doch auch wir durften bleiben. Drinnen, in der Küche, saß unsere Kusine aus
Einhausen und weinte. Ihre Mutter war nach einer Schussverletzung verblutet.
Wo wir in dem kleinen Haus alle Platz gefunden hatten, weiß ich heute nicht mehr. In der Woche
nach Ostern konnten wir wieder nach Hause. Die Besatzungssoldaten hatten ihr Quartier jetzt in
die Ortsmitte verlegt.
Daheim angekommen, mussten wir erst einmal aufräumen. Schon auf der Treppe kamen uns die
durchwühlten Schubladen aus der Küche entgegen.
Weil es in diesen Tagen keinen Strom gab, standen auf allen Möbeln heruntergebrannte
Kerzenstummel. Doch das war alles halb so schlimm. Hauptsache war, wir waren wieder
daheim, denn am kommenden Wochenende war mein Weißer Sonntag. Schon lange hatte ich
mich, zusammen mit meinen Schulkameraden des Jahrgangs 1935/36, darauf vorbereitet.
Große Feste und Geschenke gab es in diesem Jahr wohl kaum. Kommunionkerzen hatten wir
auch keine.
Kommunionfeier
Bei unserer Kommunionfeier war die Kirche voll besetzt. Alle waren dankbar, dass dieser Krieg
endlich vorbei war.
Nur mein Vater fehlte mir sehr. Wir hatten schon lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten.
Schon bei der Erstkommunion meiner Schwester konnte er nicht mit uns feiern.
Am Abend nach der Dankandacht zog Pfarrer Quinkert mit uns Kommunionkindern durch die
Römer- und Schulstraße. In den Fenstern der Zigarrenfabrik Carstanjen saßen die
amerikanischen Soldaten und fotografierten unsere kleine Prozession.
Uns, die wir den Krieg verloren hatten, war fotografieren damals verboten. Alle Fotoapparate
mussten abgegeben werden. Unserer war im Garten vergraben. Dennoch habe ich ein einziges
Bild von meinem Weißen Sonntag. Eine Nachbarin aus der Waldstraße fotografierte zwei
Freundinnen von mir und mich. Dabei hielten wir nacheinander einen als Kommunionkerze
geschmückten, weiß angestrichenen Besenstiel, den die Mutter des einen Mädchens hergerichtet
hatte, in der Hand.
© Bergsträßer Anzeiger - 29.03.2005
Das Ende des "Tausendjährigen Reiches"
Heute berichtet der damals 15-jähriges Valentin Wahlig über die Tage nach
Kriegsende
Lorsch. Der 15-jährige Lorscher, Valentin Wahlig, Biengartenstraße 4, heute wohnhaft in Biblis,
Schulstraße 7, führt ein Tagebuch über die letzten Kriegswochen in Lorsch. In schöner SütterlinSchrift notiert er seine Eindrücke und Erlebnisse während dieser Zeit. Über die ersten drei Tage
nach dem Einmarsch der Amerikaner schrieb er in seinem Tagebuch:
"28. März: Heute Nacht um vier Uhr, wurden wir durch starke Kettengeräusche aus dem Schlaf
geweckt. Als es heller wurde, stellten wir fest, dass das Gros der Truppen nachgekommen war.
Das ganze Dorf war überfüllt mit Truppen aller Art. In unserer Straße standen Panzer und
Sturmgeschütze, die aber gegen Mittag abrückten. Die amerikanischen Soldaten waren aus allen
Farben zusammengewürfelt. Da waren Weiße, Neger, Indianer, Mulatten und andere, bunt
durcheinander gewürfelt. Ausgang war von 11 bis 13 Uhr.
29. März: Heute wurden die ersten Anordnungen des Militärkommandanten an der Ortstafel und
durch Ausschellen bekannt gegeben. Sämtliche Militärpersonen müssen sich sofort am Rathaus
melden. Alle Waffen, Munition, Ferngläser, Film- und Fotoapparate, müssen sofort abgeliefert
werden. Ausgang für alle Einwohner blieb auch weiterhin von 11 bis 13 Uhr.
Ich beging den unverzeihlichen Fehler und lieferte meinen Fotoapparat auch ab. Bei dieser
Gelegenheit sah ich auch, dass unsere Kirche einen Volltreffer auf der Nordseite (Der Treffer war
auf der Südseite) erhalten hat. Die Granate schlug ungefähr 20 m östlich des Turmes in das
Dach, zerriss die schweren Eichenbalken wie Schilfrohr und machte noch ein erhebliches Loch in
das Mittelschiff der Kirche.
Der ganze Ort lag so voller Truppen, dass es direkt mit Lebensgefahr verbunden war, wenn man
über die Hauptstraßen wollte. Die amerikanischen Truppen benehmen sich gegenüber der
Zivilbevölkerung sehr zurückhaltend und gar nicht frech. Sie sind sehr anständig. Die Splitter,
die wir in Haus und Hof liegen hatten, lasen wir zusammen und hoben sie auf.
30. März: Die Hauptmasse der feindlichen Truppen ist nach Osten abgezogen, weiter unsere
geschlagenen Verbände verfolgend. Wir können schon unbesorgt unseren Beschäftigungen
nachgehen und brauchen keine Sorge zu haben, dass vielleicht im nächsten Moment ein
feindliches Flugzeug aus den Wolken stürzt und uns mit seinem Blei- und Bombenhagel eindeckt
. Den ganzen Tag über sehen wir die englisch-amerikanischen Bombengeschwader, geladen mit
Verderben bringenden Bomben, gegen Osten fliegen. Dort soll, wie man überall munkeln hört, in
der Linie Aschaffenburg-Nürnberg eine neue Verteidigungsstellung eingerichtet worden sein.
Aber auch hier werden sich die deutschen Verbände nicht mehr lange halten können. Es geht
eben zu Ende mit dem "Tausendjährigen Reich" Hitlers und seiner Trabanten."
Die Eintragungen des 15-Jährigen sprechen für sich. Aus den drei kurzen Tagebucheintragungen
lässt sich ersehen, wie problemlos die Bevölkerung die amerikanische Besatzungsmacht
akzeptiert hat und wie froh die Menschen waren, dass Bedrohung und Zerstörung ein Ende
hatten. Peter Dorn
© Bergsträßer Anzeiger - 30.03.2005
Personenverluste hielten sich in Grenzen
Ehrenbürgermeister Ludwig Brunnengräber schreibt über Schäden, die der Krieg
anrichtete
Lorsch. Im achten und vorletzten Teil der BA-Serie "Das Kriegsende an der Bergstraße" befasst
sich Ludwig Brunnengräber mit Personenverlusten und Schäden in seiner Heimatgemeinde.
"Eine angespannte und gedrückte Stimmung war auch am 25. März, dem Palmsonntag des
Jahres 1945, zu verspüren.
Alle Einwohner waren verängstigt, denn jeder ahnte und fürchtete, dass sich bald auch das
Kriegsgeschehen in unseren Raum verlagern würde, zumal sich die deutschen Truppen schon
Tage zuvor westlich des Rheins zurückgezogen hatten und die Rheinbrücken gesprengt waren.
Rheinüberquerung schon eher
"Die Amerikaner sind bereits über den Rhein vorgestoßen", hieß es. Jedoch wusste keiner
genau, wie es in der Umgebung aussah. Alle Verbindungen waren abgeschnitten.
Tatsächlich hatte die US-Armee - wie sich später herausstellte - bereits am 23. März den Rhein
überquert, am 25. März schon Darmstadt eingenommen und stieß in südlicher Richtung bis
Seeheim vor. Am 26. März, gegen 2.30 Uhr, setzten amerikanische Truppen auch bei Hamm und
südlich von Worms auf die andere Rheinseite mit Stoßrichtung Bergstraße über.
Artilleriebeschuss
In dieser Nacht vom 25. zum 26. März nahm die amerikanische Artillerie auch Lorsch stark unter
Beschuss. Wer noch nicht im Keller nächtigte, flüchtete schleunigst dorthin. Man hörte die
Granaten pfeifen und mit wuchtigem Knall detonieren. Als es hell wurde und das Feuer nachließ,
konnte man sich einmal herauswagen und das Ausmaß dieser Schreckensnacht feststellen. Viele
Gebäude waren beschädigt.
Während des Tages hörte man die Kampfhandlungen und Fliegerangriffe in Bensheim und
Einhausen und sah die Rauchschwaden der brennenden Gebäude in der Nachbarschaft
aufsteigen.
Auch in der Nacht zum 27. März suchten die Lorscher zum eigenen Schutz wieder ihre
Kellerräume auf. Rundum war erneut Geschützfeuer zu hören. In den frühen Morgenstunden
rückten dann die Amerikaner kampflos in Lorsch ein. In den Häusern suchten sie nach
versteckten deutschen Soldaten. Im Gegensatz zu unseren Nachbarkommunen waren die
Personenverluste und Sachschäden in Lorsch zwar auch sehr schmerzlich, jedoch wesentlich
geringer.
Dem Artilleriebeschuss am 26. März fielen der 74-jährige Weichenwärter i.R. Johannes Dietsch
aus der Bismarckstraße, der 42-jährige Landwirt Nikolaus Lorbacher aus der Schulstraße und
der sich im Strafgefangenenlager in der Bahnhofstraße befindliche 37-jährige Hilfsarbeiter Ignaz
Mark zum Opfer. In der Nacht zum 27. März starb der Rentner Ludwig Koch aus der
Schillerstraße an den Folgen einer Granatsplitterverletzung, wenige Tage vor seinem 64.
Geburtstag.
Auch einige Wehrmachtsangehörige mussten hier ihr Leben lassen. So wurde der Todestag von
Wachtmeister Walter Koch, von Soldat Richard Hamann und dem gerade erst 17 Jahre alten
Kanonier Menrad Haller auf den 26. März festgestellt. Sie liegen ebenso auf dem Lorscher
Ehrenfriedhof, wie Leutnant Stegmüller, der am 27. März tot im Lorscher Wald (Distrikt
Hügeltränke) aufgefunden wurde. Der genaue Todestag des ebenfalls hier beigesetzten Karl
Bedinger ließ sich nicht feststellen. Sein Ableben ist auf der Gedenkplatte mit März 1945
angegeben.
Die Liste der Gebäudeschäden in jenen letzten Kriegstagen in Lorsch ist beträchtlich. Nach einer
sich im Lorscher Stadtarchiv befindlichen Aufstellung wurden insgesamt 222 Schadensfälle
registriert. Allein 167 Wohnhäuser und zudem zahlreiche landwirtschaftliche Gehöfte mit
Scheunen und Stallungen wurden in Mitleidenschaft gezogen.
Viele Schäden, . .
Schäden gab es auch am Rathaus, dem früheren Amtsgericht (heutiges Stadthaus), der
katholischen und evangelischen Kirche, der Zehntscheune, an den beiden Schulen auf dem
Wingertsberg und in der Schulstraße, am Krankenhaus sowie den Fabrikanwesen von Bechtold
(heutiges Museumszentrum) und Carstanjen. In 17 Fällen lag die Schadenshöhe über 50 Prozent
des damaligen Gebäudewertes.
Viele Schäden gab es im Innenbereich, am Marktplatz, dem Kaiser-Wilhelm-Platz, der Schul-,
Römer- und Stiftstraße. Besonders stark waren auch die Nibelungen-, Bahnhof-, Rhein-,
Heinrich-, Hirsch- und Neckarstraße von den Einschlägen betroffen.
. . . dennoch Glück gehabt
Insgesamt gesehen hatte Lorsch aber großes Glück, dass die Gemeinde ohne weitere
Kampfhandlungen besetzt wurde und dadurch schlimmeres Unheil vermieden werden konnte.
Das hatte man auch der Tatsache zu verdanken, dass die wenigen deutschen Soldaten
rechtzeitig abgezogen wurden, beherzte Lorscher Bürgerinnen und Bürger die Panzersperre an
der Autobahn wegräumten und weiße Fahnen aus Betttüchern und Tischdecken den
einrückenden Amerikanern signalisierten, dass kein Widerstand zu erwarten war." Ludwig
Brunnengräber
© Bergsträßer Anzeiger - 31.03.2005
Teilnehmer an einer etwas absurden Siegesfeier
Wie Hermann Heckmann die Kapitulation des Dritten Reiches erlebte / Letzter Teil der
Serie "Das Kriegsende an der Bergstraße"
Lorsch. Heute berichtet Hermann Heckmann über die Zeit nach der Kapitulation des Deutschen
Reiches. Es ist die letzte Folge der BA-Serien "Das Kriegsende an der Bergstraße".
"Die ersten Wochen nach der Besetzung unserer Gemeinde durch die Amerikaner waren von der
Beseitigung der Kriegsschäden, der Beschaffung der notwendigen Lebensmittel und der Sorge
um die noch im Krieg befindlichen Angehörigen geprägt.
Ungewisse Nachrichtenlage
Es gab keine verlässlichen Nachrichten über den weiteren Verlauf des Krieges. Zeitungen
wurden nicht gedruckt. Nachrichten aus dem Radio zu hören war nicht möglich, da die
Stromversorgung zerstört war. An den vielen offenen Sattelschleppern voller deutscher
Kriegsgefangener, die auf der Nibelungenstraße nach Westen fuhren, konnte man erahnen, dass
das Kriegsende nicht mehr weit war.
Für uns Jugendliche unter 16 Jahren, die nicht für den Krieg eingezogen waren, begann eine
wilde und gefährliche Zeit. Nachdem die Ausgehzeit von einigen Stunden auf zwölf ausgedehnt
worden war, konnte die nähere Umgebung ausgekundschaftet werden.
Dabei gab es viel Kriegsgerät zu entdecken. Die Beschaffung von Lebensmittel von den
Amerikanern spielte eine wichtige Rolle. Besonders begehrt waren die Breakfast-Pakete die eine
Mahlzeit bestehend aus Büchsenfleisch, Brot, Schokolade, Kaffeepulver und drei Zigaretten
enthielten.
Das Verhalten der amerikanischen Soldaten beim Verschenken von Lebensmittel an Kinder und
Jugendliche war sehr unterschiedlich. Bei der großen Feldküche auf der unbebauten Fläche an
der Westseite der Bismarckstraße wurden die überschüssigen Lebensmittel vor unseren Augen
jeden Tag mit Benzin übergossen und verbrannt.
Die Soldaten, die im Gasthaus Schillereck aßen, verteilten Boxhandschuhe an uns und ließen
uns zu ihrer Unterhaltung gegeneinander boxen. Sie stellten den Sieger fest und belohnten ihn
mit Schokolade.
Viele amerikanische Truppen
Auf der Autobahn fuhren viele amerikanischen Truppen, die neben der Fahrbahn rasteten und
dabei manchmal auch ein kleines Feuer machten. Die Reste ihrer Mahlzeiten aus Dosen ließen
sie liegen oder gruben sie leicht ein. Diese Stellen waren häufig unser Ziel, um die
Nahrungsmittel einzusammeln. Besonders begehrt waren noch nicht geöffnete Dosen mit
Cornedbeef.
Auf der Nordseite der Nibelungenstraße zwischen dem Ortsende (heute Siegfriedstraße) und der
Autobahn war eine Zeltstadt der Amerikaner aufgebaut. Um möglichst ungesehen auf die
Westseite der Autobahn zu gelangen, benutzten wir den Entwässerungsgraben der von der
Heinrichstraße (wie die heutige Hagenstraße damals hieß) an die Autobahn und dann durch ein
Tunnel auf ihre Westseite führte. Von dort aus konnte man dann den Autobahnrand nach Süden
absuchen.
An einem Nachmittag schlichen wir uns in diesem Graben wieder aus dem Ort. Auf halbem Wege
zur Autobahn standen plötzlich acht bis zehn Amerikaner mit angelegtem Gewehr am
Grabenrand und befahlen "Hands up". Sie forderten uns unmissverständlich auf aus dem Graben
zu kommen. Nachdem uns die Soldaten gemustert hatten, wurden wir in Richtung ihrer Zelte
abgeführt.
Man merkte ihnen an, dass sie angeheitert waren. Beim Näher kommen hörten wir bereits
deutsche Worte, wie wir sie aus dem Radio kannten.
Sie führten uns in ein großes Zelt. Auf einer Seite war mit Tischen und Bänken eine Art Treppe
aufgebaut. Darauf standen viele deutsche Radiogeräte vom Volksempfänger bis zu den großen
Geräten. Alle waren mit voller Lautstärke eingeschaltet.
Erst allmählich verstanden wir, was der Sprecher verkündete: Hier ist der Sender Flensburg, das
Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt. Es folgte der Wortlaut der bedingungslosen
Kapitulation der Wehrmacht und dass ab heute Nacht die Waffen schweigen. Diese Nachricht
wurde laufend wiederholt.
Krieg endgültig vorbei
Während wir langsam begriffen, dass der Krieg endgültig vorbei war, tanzten die Amerikaner mit
ihren Gewehren um uns herum, riefen Hitler und machten dabei die Geste des
Halsabschneidens. Wir hatten große Angst.
Nach etwa zehn Minuten wurde uns bedeutet das Zelt zu verlassen. Unter dem Gejohle der
Soldaten machten wir uns auf den Heimweg.
Etwas absurde Siegesfeier
Erst nachher auf Grund von Gesprächen und Bekanntmachungen wurde uns klar, dass dieser
Tag der 8. Mai und damit das Ende des Dritten Reiches war. Wir waren unfreiwillige Teilnehmer
einer etwas absurden Siegesfeier geworden. Hermann Heckmann
© Bergsträßer Anzeiger - 01.04.2005
Einhausen
"Es war die Hölle von Einhausen"
Zeitzeugin Paula Becker berichtet in ihrem Tagebuch übers Kriegsende in der
Weschnitzgemeinde
Einhausen. Über das Kriegsende in der Weschnitzgemeinde liegen Berichte von Zeitzeugen vor.
Paula Becker, Jahrgang 1904, hat vom 1. Januar 1944 bis zum 26. März, als ihre
Heimatgemeinde von den Amerikanern eingenommen wurde, Tagebuch geführt. Ihre Tochter,
Johanna Hübner, hat das Tagebuch dem Verein für Heimatgeschichte zur Verfügung gestellt.
Über den 25. März 1945 schreibt Becker:
"Unsere Flakbatterie beschießt Erdziele, das sind Erschütterungen, daß die Ohren weh tun.
Heute Palmsonntag 1945 mittags 2 Uhr. Nun kam unsere verhängnisvolle Stunde. Von jetzt an
zogen dauernd Soldaten vorbei, vom Flugplatz. Wir hatten schon unsere Betten im Keller, und
legten uns schlafen. Unser Vater war noch auf Brückenwache, während der Feind schon von
Biblis her kam. (.......) Die Spannung geht aufs äußerste. Wir schliefen ein, da plötzlich weckte
uns ein schreckliches Ari-Feuer. Es war Sonntags nachts 2 Uhr."
Über den 26. März 1945: "Wir machten uns schnell fertig und gingen in den Bunker. Da
rauschte, bebte, pfiff und krachte, fürchterlich, der Boden bebte, das Erdreich wankte,
Einschläge von allen Seiten, ganz in der Nähe. So saßen wir in Todesnot zusammengekauert bis
morgens 8 Uhr, wo es eine kleine Feuerpause gab. Wir gingen raus und waren erschreckt über
all die Schäden, die entstanden sind, gar kein ganzes Fenster, kein Laden mehr am Haus. Das
selbe in der ganzen Nachbarschaft so. Wir gingen schnell zur Wohnung, und sahen, daß sie noch
ganz heil war, außer ein paar Scheiben. Wir schleppten schnell noch allerhand herunter, Tische,
Stühle, Geschirr. Noch war es keine 9 Uhr da fing dieser verfluchte Unmensch (deutscher FlakKommandant, Anm. d. Red.) zu feuern an, an unserer Batterie, was aus den Rohren konnte. Wir
mussten uns verkriechen in den Bunker. Die Feuersalve wurde jetzt noch stärker. Wir saßen
beisammen, riefen alle Heiligen im Himmel an, und haben mit unserem Leben abgeschlossen.
Da plötzlich krachte unter mächtigem Getöse eine schwere Granate im Hof, riß unseren Abe,
Schumachers Waschküche, die Rückwand des Hauses und unseren Balkon und alle Türen weg.
Das war um 11 Uhr. Nun folgte die Antwort der Feinde.
Mächtig und verderbenbringend, pfiffen und krachten die Granaten über uns überm Ort, und auf
die Stellung (deutsche Flakstellung, Anm. d. Red.). Doch dieser Bluthund deutscher FlakKommandant, (Anm. d. Red.) feuerte aus allen Rohren, das dann den Anschein erweckte beim
Feind, als ob hier eine Festung zu verteidigen wäre. Dabei hatte alles Militär vom Horst, und was
im Ort einquartiert war, fluchtartig das Ort verlassen, gegen Odenwald. Sodaß überhaupt kein
Soldat mehr hier war. Lediglich dieser Parteibonze als Obertruppführer hatte die R.A.D.-Batterie
zu befehligen. Er war das Unglück des ganzen Ortes, und der 80 armen Arbeitsmänner und
Flakhelfer, lauter 16jährige Jungen. Die Detonationen verstärkten sich, schreckliche Stunden.
Das Feuer wurde immer heftiger. Es war 2 Uhr, 3 Uhr, da plötzlich wie ein Erdbeben ein Krachen
und Bersten, wir konnten kaum den Deckel lüften, doch da sahen wir voller Schrecken, daß
unser Vorderhaus nur noch eine Ruine war. Wir sahen den blauen Himmel durch. Das Feuer ging
weiter, es war die Hölle von Einhausen. Noch hatte der Schuft einige Männer, die lebten, die
meisten werden schon ihr Leben geopfert haben, und auch einige Geschütze sind ausgefallen.
Nochmals fängt er mit 2 Geschützen zu feuern an, als ob alles Kriegsgeschehen von hier
abhinge.
Nun setzte der Feind Tiefflieger ein. Ein Kampf, nicht zu schildern schrecklich und furchtbar, die
feuerten 2 Stunden mit allen Kaliber auf die Stellung und das Ort, bis es endlich still wurde und
er wirklich alle Jungen seinem teuflischen Fanatismus geopfert hatte. Diese Stunden sind nicht
zu schildern. Es war 5 Uhr nachmittags, wir hörten ganz nahe Pistolenschüsse, wir gingen zum
Bunker und sahen schon auf der Straße amerikanische Soldaten.
Wir sahen aber auch das Ort in Flammen stehen. Etwa 40 Gehöfte wurden vollständig
eingeäschert, ebensoviel Scheunen. Viel Vieh verendete dabei. (....) Es ist ein unvorstellbarer
Jammer und Elend im Ort. Das ist der Anfang der Karwoche von 1945 die aber länger die
Trauerstimmung verbreiten wird, als nur 1 Woche."
© Bergsträßer Anzeiger - 24.03.2005
Brandbombe vom Dach geschleudert
Im zweiten Teil der BA-Serie über das Kriegsende schildert Adam Rau seine Erlebnisse
Einhausen. Adam Rau (Jahrgang 1928), ein Zeitzeuge erinnert sich an das Kriegsende in
Einhausen. Sonntag, 25. März 1945: Um 14 Uhr fand in der Katholischen Kirche ein
Bittgottesdienst statt, als plötzlich die hintere Eingangstür aufgerissen wurde und jemand
schrie: "Abbrechen, die Amerikaner kommen". Der Pfarrer gab der Gemeinde noch einen letzten
Segen und die Menschen schlichen sich in ihre Häuser.
Die Sirenen heulten Alarm, von dem nicht mehr entwarnt wurde. So saßen wir dann in den
Kellern und harrten der kommenden Dinge, aber man hörte nur Kanonendonner und das Heulen
der Flugzeuge. So brach die Nacht herein. Der hintere Keller, der vorschriftsmäßig als
Luftschutzraum mit Notreserven, Luftschutzapotheke und Löschmaterial sowie Ruhelagern für
die Kinder ausgestattet war, blieb den Frauen und Kindern vorbehalten und war hoffnungslos
überfüllt, weil auch die Bewohner der benachbarten Fachwerkhäuser unserem Luftschutzraum
zugeteilt waren.
Wir drei Männer lagen auf dem Boden des der Straße zugewandten Kartoffelkellers und hörten
plötzlich das Schreien der deutschen Soldaten, dass die Panzersperren geschlossen werden
sollten. Solche Sperren waren an den Ortseingängen, aber auch mitten im Dorf, zum Beispiel bei
der Metzgerei Forell in der Mathildenstraße, errichtet. Noch immer hörten wir auf der Straße
deutsche Kommandos, bis es auf einmal still wurde. In diese Stille hinein krachte plötzlich eine
ungeheure Explosion, die unseren Keller mit Feuer und Rauch einhüllte.
Unmittelbar vor unserem Haus war eine Granate eingeschlagen und hatte die Vorderfront des
Hauses weggerissen. Die Eisenträger der Kellerfenster sowie die vor den Kellerfenstern als
Splitterschutz aufgeschichteten Holzscheite waren durch den Raum geflogen und hatten die
Wände beschädigt. Die Eisenschienen waren zu Fragezeichen gekrümmt und durchlöchert. Nach
dem ersten Schreck wühlten wir uns aus den Trümmern und - war ein Wunder geschehen? niemand war verletzt. Die Frauen und Kinder schrien zusammen und wir mussten den Keller
räumen und einen benachbarten Keller aufsuchen, der aber schon vorher voller Menschen war.
Inzwischen war es Tag geworden.
Montag, 26. März 1945: Man konnte jetzt kaum den Kopf aus dem Keller strecken, denn die
amerikanischen Jagdbomber beherrschten den Luftraum und schossen auf alles, was sich am
Boden bewegte. Auf einmal hörte man Kettengerassel und Panzer, die sich über den Schutt
unseres Hauses in der Mathildenstraße 44 mahlten, dazu englische Stimmen von Soldaten mit
Sprechfunkgeräten.
Als der ersten Sturm vorüber war, streckte ich den Kopf zur Kellertür heraus und sah, dass aus
dem Dach unseres Hauses Feuer schlug. In einem günstigen Augenblick sprangen wir über die
Mauer, die das Nachbarhaus von unserem Haus trennte und stürmten die Holztreppe hinauf. Auf
dem Speicher sahen wir eine Stabbrandbombe liegen, aus der sich Phospor über die
Speicherdecke ergoss. Ich fasste das eine Ende der Bombe, das noch geschlossen war, und
schleuderte den Feuerkörper durch das beschädigte Dach auf die Straße und schon im nächsten
Augenblick kamen uns Maschinengewehrsalven entgegen, die uns jedoch nicht trafen.
Das Feuer konnten wir mit dem vorschriftsmäßig bereitstehenden Löschsand abdecken und
glaubten das Haus gerettet. Als mein Vater und ich das Haus verlassen wollten, um uns wieder
in das Nachbarhaus zu begeben, sahen wir, dass das Haus umstellt war. Meine leidlichen
Englischkenntnisse von der Schule kamen uns jetzt zu Hilfe, als ich mit erhobenen Händen
einem farbigen Soldaten zu erklären versuchte, dass wir nur den Brand gelöscht hätten und sich
keine Soldaten im Haus befänden. Er stieß uns daraufhin mit seiner Maschinenpistole in den
Keller zurück.
Nach einer Viertelstunde trauten wir uns wieder aus dem Keller und sahen, dass unser Haus
nunmehr vollständig in Flammen stand. Wir sprangen nochmals hinüber, aber es war schon zu
spät, die Treppe stand ebenfalls schon in hellen Flammen. Auf der Straße sah ich einen RADMan mit zerfetztem Unterleib liegen. Den ganzen restlichen Tag und die folgende Nacht
verbrachten wir noch im Keller.
Wie viele flehende Gebete mögen an diesem Tag während der grauenvollen Stunden in den
Himmel gestiegen sein? In den nächsten Tagen fanden dann durch US-Soldaten
Hausdurchsuchungen statt und allmählich legte sich die Angst. Die Trauer über das verlorene
Hab und Gut wich der Freude, dass wir überlebt hatten und gesund geblieben waren. Dreizehn
Bürger der Gemeinde und zwölf Soldaten fanden in diesem Inferno den Tod. Von den damals
knapp 2.600 Einwohnern von Einhausen waren 494 Männer zum Kriegsdienst eingezogen
worden, 184 kamen nicht mehr zurück, 131 waren gefallen, 53 vermisst.
© Bergsträßer Anzeiger - 26.03.2005
Acht Tote im Hause Hartnagel
Heute schildert Andreas Hartnagel, damals 13 Jahre alt, seine Einrücke vom
Kriegsende
Einhausen. Im dritten und letzten Teil unserer kleinen Serie über das Kriegsende in Einhausen
kommt heute der Zeitzeuge Andreas Hartnagel (Jahrgang 1932) zu Wort. Er berichtet, Sonntag,
25. März 1945: "Meine Mutter Margarete Hartnagel und ich gingen vormittags durch den Ort und
schauten uns die Schäden an, die in der Nacht durch Artilleriebeschuss der Amerikaner
entstanden waren.
An der Stelle, an der später die Auto-Werkstatt Adam Neumann, Waldstraße 54, gebaut wurde,
hatte sich ein paar Tage vorher schwere deutsche Artillerie eingegraben. Ich war damals
dreizehn Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter, meiner sechzehnjährigen Schwester Loni und
meinem neunjährigen Bruder Philipp bei meiner Großmutter Barbara Hartnagel im sogenannten
"Niklose-Haus", einem Fachwerkhaus in der Waldstraße 1, wo später die neue Post gebaut
wurde.
In den letzten Kriegswochen haben wir fast jede Nacht einige Stunden im Keller zugebracht.
Gegen Abend gingen wir wieder hinunter. In der Nacht setzte der Beschuss wieder verstärkt ein.
Das Pfeifen der Granaten war schon schlimm. Es waren auch noch Nachbarsleute bei uns im
Keller.
Montag, 26. März 1945: Gegen Mittag war eine Feuerpause. Beim nächsten Angriff, gleich nach
Mittag, haben die Amerikaner Jagdflieger eingesetzt, da sie, aus Richtung Riedrode kommend,
durch ein deutsches RAD-Lager und die Artilleriestellung auf Widerstand stießen. Die Jagdflieger
warfen Bomben ab und schossen mit Brandmunition.
Der Zeitpunkt, zu dem es passierte lag zwischen 13 und 14 Uhr: Unser Keller hatte zwei
Zugänge, eine Falltür von innen und eine Kellertür vom Hof her. Durch den Luftdruck einer in
der Nähe eingeschlagenen Bombe flog die Außentür auf. Ich saß im Keller ganz hinten neben
meiner Mutter und sagte: "Ich mach' sie zu". Meine Mutter schrie: "Bleib da!". Jedoch ich war
schon auf dem Weg zur Tür. Als ich in der Mitte des Kellers war, gab es einen ohrenbetäubenden
Knall. Die erste Viertelstunde sah und hörte ich nichts. Ich merkte, dass ich mich nicht bewegen
konnte, denn ich stak fest in Steinen und Dreck. Von ganz hinten, wo meine Mutter saß, hörte
ich ein Weinen.
Als sich der Staub etwas verzogen hatte, sah ich meine Schwester Loni zwischen zwei
heruntergebrochenen Balken sitzen. Alle anderen Personen auf jener Seite konnten nicht mehr
am Leben sein, da das Gebälk nach hinten vollständig zusammengebrochen war. Von dort war
auch kein Laut zu hören, außer dem Weinen meiner Mutter, auch dieses wurde schwächer und
verstummte nach einer halben Stunde. Unsere Nachbarn, Elisabeth Jäger und ihre Töchter
Magdalena und Elisabetha und ihre Verwandte Elise Neudecker befanden sich auf der anderen
Seite des Kellers neben der Treppe.
Ich sah durch die Dachsparren die Flieger umherfliegen. Ringsum standen die Gebäude in
Flammen. In diesem Moment hatte ich mit dem Leben abgeschlossen und nicht mehr geglaubt,
dass ich noch herauskomme. Ich dachte, dass der ganze Ort ein Trümmerhaufen wäre. Beim
Versuch zu graben, stieß ich auf den Kopf meiner toten fünfjährigen Kusine Hildegard Sophie
Schumacher, die sich in der Schrecksekunde an meinem Bein festgekrallt hatte. Zwischen 17
und 18 Uhr kamen unsere Retter Josef Seidel, Willi Kaldschmidt und Willi Laubach, die den
Eingang und uns vom Schutt befreiten, sodass wir ins Freie gelangen konnten.
Ich hatte keine Ahnung, dass die Amerikaner schon da waren. Plötzlich legte ein Soldat sein
Gewehr auf mich an und eine Frau rief mir zu: "Du musst die Hände hoch nehmen!". Ich nahm
die Hände hoch und war zum zweiten Mal dem Tod entronnen. Meine Mutter, mein Bruder
Philipp, meine Großmutter, meine Tante Susanna, meine drei Kusinen Hildegard Sophie,
Elisabeth Barbara und Erna Barbara und die Nachbarin Anna Hartnagel waren tot. Somit gab es
acht Tote im Keller.
Dienstag, 27. März 1945: Die Toten lagen in der Stube des Nachbarn Adam Hartnagel,
Rheinstraße 1. Die Amerikaner wollten außer dem Pfarrer und dem Totengräber niemand zur
Beerdigung mitgehen lassen, da Massenansammlungen verboten waren. Meine Tante Sophie
Glanzner geb. Hartnagel setzte aber eine Sondergenehmigung durch. Wendelin Glanzner, ein
Bruder meiner Mutter, fuhr die Toten, die keine Särge hatten, sondern nur in Decken gehüllt
waren, mit seinem Pferdefuhrwerk zum Friedhof.
Es wurden noch zwei weitere Personen in dem Gemeinschaftsgrab beerdigt: Anna Schumacher,
die durch einen Bauchschuss verblutet war und Friedrich Bangert, der bettlägerig war und im
Haus Marktplatz 10 mit verbrannte. Beim Gang durch die Mathildenstraße zum Friedhof sah man
überall rauchende Trümmer, beißender Rauch lag in der Luft und auf der Straße lagen überall
Tierkadaver mit aufgedunsenen Leibern. So habe ich das Kriegsende in Einhausen erlebt. red
© Bergsträßer Anzeiger - 31.03.2005
Bürstadt
Erinnerung ans Kriegsende
Bürstadt. Die Besetzung Bürstadts durch die amerikanischen Truppen jährt sich zum 60. Mal.
Bürgermeister Alfons Haag erinnert an die damaligen Ereignisse:
"Am 26. März 1945 besetzten amerikanische Truppen unsere Stadt. Unvorbereitet war die
Bevölkerung auf diesen Tag nicht, denn die verbündeten Heere waren bereits in deutsches
Gebiet eingedrungen. Worms war bereits seit einigen Tagen von amerikanischen Truppen
besetzt. Betend und voller Unsicherheit über die zu erwartende Besetzung verbrachte die
Bevölkerung die letzten Tage vor der Besetzung, wie dies Bürgermeister Held schilderte. Bei
dem Einmarsch der amerikanischen Truppen konnten in Bürstadt größere Schäden vermieden
werden.
Der Gemeinderat von Bürstadt hat in seiner Sitzung am 24.03.1950 beschlossen, den 25. März
zum "gelobten Tag" und zum örtlichen Feiertag unserer Gemeinde zu machen. Aus diesem
Grunde blieb dann auch das Rathaus geschlossen, der Schulunterricht fiel aus und für die
Ladengeschäfte, Gewerbe- und Industriebetriebe galten die Bestimmungen wie an Sonn- und
Feiertagen.
Im Jahre 2005 ist die Würdigung dieses Tages sicherlich in einer anderen Form wahrzunehmen.
Einige Gedanken sollten wir uns aber anlässlich dieses 60. Jahrestages machen. Die Tatsache,
dass die Amerikaner Bürstadt besetzten und infolge dessen wir auch der amerikanischen
Besatzungszone zugeordnet wurden, hatte zur Folge, dass im westlichen Teil unseres Landes
sehr schnell ein wirtschaftlicher Aufstieg begann, der Wohlstand für viele Menschen bedeutete.
Die Beendigung des Krieges, sollte uns daran erinnern, dass wir aktiv daran arbeiten müssen,
dass ein solch schrecklicher Krieg nie wieder auf deutschem Boden stattfindet. Dazu gehört auch
das Erinnern und das Gedenken an die Gefallenen und Getöteten beider Weltkriege. Wir sollten
darüber hinaus auch denen gedenken, die Opfer von Vertreibung und Flucht waren, aber auch
derer, die wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres Bekenntnisses oder ihrer rassischen
Abstammung ihrer Freiheit beraubt, misshandelt oder ermordet wurden. Die Arbeit für den
Frieden wird auch in unserer Zeit von uns tagtäglich gefordert. Dies zeigen die vielen
Kriegsereignisse rund um den Erdball.
Wir werden die Aufgaben der Zukunft und das Verhindern von Kriegen nur lösen können, wenn
wir uns immer wieder an unsere Geschichte erinnern, dabei auch an die schreckliche Zeit, der
Hass, Menschenverachtung und Größenwahn zu einem furchtbaren Krieg führten." zg
© Südhessen Morgen - 26.03.2005
Viernheim
Erster Spähtrupp kommt in Nähe des Friedhofs in Sicht
Episoden werfen Schlaglichter auf das Kriegsende in Viernheim / Dolmetscher fordert
Bürger auf, weiße Fahnen zu hissen
Von unserem Redaktionsmitglied Bertram Bähr
Viernheim. Zwangsräumung von Wohnungen, Gelübde des Pfarrers, ein Hund in Lebensgefahr:
Einzelne Episoden werfen Schlaglichter auf die Zeit um den 27. März - den Tag, an dem US-Boys
Viernheim besetzten, an dem der Krieg zu Ende war.
"Unser Haus war bevorzugtes Objekt", blickt Hans Renner zurück. Der damals Zehnjährige
erzählt, dass es im elterlichen Domizil in der Alexanderstraße Bad und Toilette gab. "Das war
damals noch gar nicht üblich." Umso mehr schätzten die US-Truppen die Annehmlichkeiten. In
großem Stil ließen sie in den letzten März- und den ersten Apriltagen Wohnungen und Häuser
räumen, um für sich selbst Unterkünfte zu schaffen. Renner machte das damals nicht viel aus:
"Wir haben eben bei den Großeltern in der Friedrichstraße gewohnt", berichtet er gelassen.
Zwangsräumung der Häuser
Vielen Viernheimern machte die Zwangsräumung mehr zu schaffen, wie Brigitte Perker in ihrem
Buch "Viernheim zwischen Weimar und Bonn" feststellt. "Die Bevölkerung litt sehr darunter,
dass sie in ihren Wohnungen immer mehr zusammenrücken musste, weil die noch gut
erhaltenen Häuser mit sämtlichen Einrichtungsgegenständen für die US-Armee beschlagnahmt
wurden." Die Kommandantur und 650 Besatzungssoldaten mussten untergebracht werden. "Da
die Räumung oft kurzfristig angesetzt wurde, kam es zu Erbitterung und Empörung unter den
Betroffenen."
US-Soldaten verscharrt
Empört waren viele Bürger aber auch über die Nazis - einige Monate vor Kriegsende. Am 9.
September 1944 starben 17 US-Soldaten bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe des Stadions.
Sie waren zunächst in Särgen bestattet worden. Aber das passte dem Viernheimer SS-Führer
nicht. Er ließ 13 von ihnen wieder herausnehmen und unbekleidet in einer Grube verscharren,
berichtet Brigitte Perker. Als die US-Truppen einrückten, mussten ortsbekannte Nazis die
Soldaten unter den Augen ihrer Kameraden exhumieren. 16 Parteispitzen, meistens "alte
Kämpfer", und vierzig Beamte wurden in Viernheim verhaftet.
Palmsonntag über den Rhein
"25. März: Palmsonntag - In der Nacht vom 25. auf 26. März überschritten die Amerikaner nach
einem heftigen Feuerüberfall bei Sandhofen den Rhein", berichtet die Pfarreichronik von
Aposteln. Von vielen wurden die Soldaten sehnsüchtig erwartet, damit das fast ununterbrochene
Artilleriefeuer, das die Bevölkerung in die Keller zwang, enden würde. "Im Verlauf des Montag
überstürzten sich die Gerüchte über das Herannahen der amerikanischen Panzerspitzen." Tags
darauf, "um die Mittagszeit, kam der erste amerikanische Spähtrupp in der Nähe des Friedhofs
in Sicht. Ein Dolmetscher gab der Bevölkerung zu verstehen, dass an jedem Haus eine weiße
Fahne anzubringen sei, als Zeichen, dass sich kein deutscher Soldat darin aufhalte. Um 12.30
Uhr zeigte auch unser Kirchturm die weiße Fahne. Gegen Abend rollten die Panzerspitzen in
Viernheim ein."
Das Gelübde
In der Nacht zum 27. März, so die Apostelchronik, "nahm das Artilleriefeuer wieder zu. Morgens
um 2.30 Uhr machte der Pfarrer vor dem Tabernakel das Gelübde, alljährlich am 27. März mit
der Gemeinde einen Bittgang rund um die Gemarkung abzuhalten, wenn Gott unsere Gemeinde
und unsere Gotteshäuser uns erhält."
Den Hund erschießen
Übergriffe der US-Truppen waren selten, aber die Atmosphäre mitunter gereizt. So erinnert sich
Hermann Weidner an eine Episode, die allerdings gut ausging. In der Nacht bellte der Hund. Da
klopfte es an die Tür, davor Amerikaner. "Tun Sie den Hund weg, sonst müssen wir ihn
erschießen, wir können nicht schlafen." Offenbar hatte das selbst das Tier verstanden.
© Südhessen Morgen - 26.03.2005
Gadernheim
Gadernheim unter Panzerbeschuss
Werner Reimund erinnert sich an die letzten Kriegstage in seinem Heimatort
Gadernheim. Gegen Kriegsende flogen die alliierten Bomberströme auch tagsüber, und man
konnte sie deutlich an ihren Kondensstreifen erkennen. Oft konnte man sehen, wie deutsche
Jagdflugzeuge diese "Bomberpulks" angriffen und auch einige Flugzeuge abschossen. So kam es
auch zu Luftkämpfen über Gadernheim, erinnert sich der damals zehnjährige Werner Reimund.
Mit zusätzlichen Zeitzeugenberichten konnte er anschaulich die letzten Kriegstage in seiner
Heimatgemeinde Gadernheim beschreiben. Während die abgeschossenen Bomber heulend der
Erde entgegenstürzten, konnten sich einige Besatzungen mit ihren Fallschirmen retten. Diese
wurden jedoch gleich von der Bevölkerung, der Gendarmerie oder von deutschen Soldaten
gefangen genommen.
Immer öfter wurden Bomben von den abgeschossenen Flugzeugen als Notwurf abgeworfen, so
dass die Bewohner ihre Luftschutzkeller aufsuchen mussten. Am 26. März 1945 besuchte Marie
Reimund mit ihren beiden Söhnen Werner und Erwin ihr Elternhaus - das Gasthaus "Zur Linde"
an der Schönen Aussicht.
Plötzlich fuhren deutsche Soldaten in einem Auto an und erklärten, dass die Amerikaner im
Anmarsch seien und sich schon von Jugenheim in Richtung Kuralpe bewegten, erinnert sich
Werner Reimund heute. Die kleine Familie machte sich auf den Heimweg nach Gadernheim. Kurz
hinter Kolmbach, in der "Tief Pitsch", hatten deutsche Soldaten eine Beobachtungsstelle
eingerichtet. Sie ließen die Kinder durch ein Scherenfernrohr in Richtung Kuralpe schauen, wo
deutlich die sich nähernde Panzerkolonne zu erkennen war.
Am nächsten Tag (27. März) wurden in Gadernheim zwei Verpflegungslager der deutschen
Soldaten freigegeben. Das eine Lager, in dem hauptsächlich Lebensmittel und Kaffee gelagert
waren, befand sich im Saal des "Erbacher Hofes", das andere Lager - mit Schnaps und anderen
alkoholischen Getränken - war in der Scheune von Peter Horn (heute Tierarztpraxis am
Jarnacplatz) untergebracht.
Jeder, wie er konnte, eilte zu einem dieser beiden Lager, um möglichst viele Lebensmittel oder
Schnaps nach Hause zu schaffen. Während dieser Zeit fingen die Amerikaner an, Gadernheim
mit schweren Geschützen zu beschießen. Der Grund für den Beschuss war der Abschuss eines
gepanzerten Fahrzeuges der Amerikaner durch deutsche Soldaten zwischen Gadernheim und
Lautern.
Nach diesem Vorfall zogen sich die Amerikaner zurück, brachten schwere Geschütze in Stellung
und feuerten auf Gadernheim. Bei diesem Beschuss wurde das Wohnhaus der Familie Georg
Trautmann in der Heidenbergstraße (heute Anwesen Rausch) durch einen Volltreffer zerstört.
Dabei fand Eva Trautmann und ihre Tochter Gertrud den Tod. Der Vater wurde schwer verletzt
und erlag später seinen Verletzungen.
Insgesamt neun Menschen mussten durch den Angriff ihr Leben lassen. Auch das Haus von Jean
Horn (heute Wohnhaus Baumunk in der Nibelungenstraße) wurde schwer beschädigt. Eine
Granate, die nicht explodierte, schlug durch das gesamte Haus und blieb auf der Kellerdecke
liegen, unter der sich die Hausbewohner in Sicherheit gebracht hatten. Als der Beschuss nach
langer Zeit endlich aufhörte, wagte man sich aus dem Keller wieder auf die Straße. Erst jetzt
wurde bemerkt, in welch tödlicher Gefahr man sich befunden hatte.
Einige Hausbewohner versuchten die Amerikaner, auf die Granate hinzuweisen. Doch diese
nahmen keine Notiz davon. Erst als einige beherzte Nachbarn die Granate aufhoben und Karl
Winter übergaben - der sich bereit erklärt hatte, die Granate wegzuschaffen - kam Leben in die
US-Truppen: Blitzschnell waren sie in ihren Panzern verschwunden, und diejenigen, die nicht
schnell genug die Panzer erreichten, suchten andere Deckung.
Winter marschierte mit der Granate auf den Armen durch die heutige Wilhelm-Leuschner-Straße
(Wassergasse) und vergrub sie unter einem Weidenstock auf einer Wiese des Landwirts Fritz
Dingeldey.
Kurze Zeit nach dem Einmarsch der Amerikaner in Gadernheim, wurden einige Häuser von den
Amerikanern beschlagnahmt. Die Familien in den Häusern von Heinrich Meyer, Malermeister
Georg Wolf und die Familie Dude wurden aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Auch im
Saal des "Erbacher Hofes" quartierten sich die Amerikaner ein, und die Volksschule in der
Ortsmitte wurde als Verpflegungsstätte benutzt, erinnert sich Werner Reimund an diese schwere
Zeit gegen Ende des Krieges. ak
© Bergsträßer Anzeiger - 29.03.2005
Reichenbach
Mit dem Fahrrad hinter dem Panzer
Wie der Reichenbacher Mario Rheinfurth in die Vormarschkolonne der US-Armee
geriet
Reichenbach/Schönberg. Die BA-Berichterstattung über das Kriegsende in Reichenbach vom
vorigen Samstag weckte bei dem Reichenbacher Pfarrerssohn Mario Rheinfurth
Jugenderinnerungen und die Erkenntnis, dass Kriege und ihre Begleitumstände manchmal
seltsame Blüten treiben.
"Im Schlepptau der amerikanischen Truppen zog ich am 27. März 1945 die Nibelungenstraße
hinauf. In Wilmshausen fand ich hinter einem amerikanischen Panzer Schutz vor deutschen
Gewehrkugeln", berichtet Rheinfurth
Der im September 1929 geborene wurde während seiner Schulzeit am AKG als 15-Jähriger am
19. März 1945 zum Volkssturm eingezogen. In Heppenheim sollte die Ausbildung erfolgen. Da
aber bereits am 22. März die Amerikaner bei Oppenheim den Rhein überquerten, wurde die
Ausbildung abgebrochen und die Buben wurden zum Ausheben von Schützengräben und zum
Bau von Panzersperren kommandiert. Hierbei setzten sich Rheinfurth und einige Gleichaltrige
Reichenbacher ab und flohen über Kirschhausen zurück in ihr Heimatdorf.
In vollkommener Verkennung der Gefahr fuhr der jugendliche Mario am 27. März mit dem
Fahrrad zu seinem Großvater nach Schönberg. Als er dort die amerikanischen Panzer hörte,
wollte er noch schnell vor ihnen wieder Reichenbach erreichen.
Doch am Steinmetzbetrieb Dassel am Ortsausgang von Schönberg holten ihn die Truppen ein.
Der Lenker des vorausfahrenden Jeeps hielt ihn an und fragte nach dem Woher und Wohin. Als
er in seinem noch nicht ausgereiften Schulenglisch sein Problem schilderte, durfte er sich mit
dem Fahrrad an den Jeep hängen.
Doch die schöne Fahrt dauerte nicht lange: Am Ortsausgang von Wilmshausen kam es zu einem
"Scharmützel" mit einigen versprengten deutschen Soldaten. Rheinfurth suchte mit seinem
Fahrrad hinter dem ersten amerikanischen Panzer Deckung vor deutschen Kugeln. Da ihm
jedoch die Sache zu mulmig wurde, schlug er sich in die Büsche und blieb auch noch dort, als
der Konvoi wieder weiterfuhr.
Auch deshalb verpasste er den Einmarsch in Reichenbach und kam erst gegen Abend ins
Pfarrhaus zurück. Dort fand er seine Mutter Martha, seinen Bruder Frank und Pfarrer Rudolf
Wintermann mit einem US-Soldaten im Gespräch. Dabei kamen den Pfarrerssöhnen ihre
Englischkenntnisse zugute, die sie auch später gut gebrauchen konnten.
So war Frank Rheinfurth ab April im Rathaus als Dolmetscher tätig. Später hielt er sich beruflich
mehrere Jahre in den USA auf. Seine jüngeren Brüder Wolfgang und Mario wanderten gar in die
"neue Welt" aus und arbeiteten dort als Architekt und Physiker. Offenbar hatten die ersten
Erlebnisse mit den US-Soldaten ihre Spuren hinterlassen. red
© Bergsträßer Anzeiger - 30.03.2005
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