Edward Said: Orientalism

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Edward Said: Orientalism
19. Jahrhundert: Philologie und Literatur (Chapter 2)
I Vorbereitung des modernen Orientalismus im späten 18. Jahrhundert:
1) Erweiterung des Horizonts über die islamischen Länder hinaus
(„Expansion“),
2) Entwicklung von historischer Anthropologie und vergleichender
Geschichte („historische Konfrontation“),
3) Entwicklung des Historismus (Vico, Herder): jede Kultur hat ihre eigene
Kohärenz und ihr eigenes Recht
<Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (17841791; Mozart: Die Entführung aus dem Serail, Die Zauberflöte>
(„Sympathie“),
4) Klassifizierung von Natur und Mensch in Typen (analog zu den Projekten
von Linnẻ und Buffon) („Klassifizierung“).
- Orientalismus wurde zu einem methodischen Instrumentarium, bewahrte
aber in säkularisierter Form religiöse Impulse.
- Der moderne Orientalist befreit den Orient aus Unwissenheit und
Dunkelheit und rekonstruiert die alten Sprachen und Mentalitäten (Impuls
der Romantik).
- Der gegenwärtige Orient wird zugunsten des vergangenen abgewertet; so
können positive und negative Einstellungen koexistieren.
- Der moderne „orientalism“ ist nicht die plötzliche Wendung zu
objektivem Wissen über den Orient, sondern ein Ensemble von
Strukturen, das aus der (christlichen) Vergangenheit ererbt und
modernisiert wurde: etwa durch die Entwicklung der Philologie. Dennoch
bleibt das Wissen über den Orient mit Macht verbunden.
II „Philologischer Orientalismus“: Sacy, Renan
Sylvestre de Sacy (1758-1838):
- Lehrer von J. G. L. Kosegarten, Professor für Orientalistik in Jena und
Berater Goethes,
- 1830 übersetzte er die Proklamation der Franzosen für die unterworfenen
Algerier,
- Erster Präsident der Sociẻtẻ asiatique (1822);
- Seine Impulse: didaktische Präsentation und Verstärkung der
Präsentation durch „Revision“ des verloren Gegangenen und Darstellung
typischer Auszüge;
- Die Anthologie, die „Chrestomathie“ typisch: die orientalischen Texte
werden nicht vollständig mitgeteilt, und sie werden von dem Europäer
arrangiert und komponiert,
- Nicht der „empirische Orient“ war wichtig, sondern das, was der
„Orientalist“ aus ihm machte;
- Wesentliche Elemente der orientalischen Dichtung sind dem kulturell
höher stehenden Europäer nicht zugänglich – durch den didaktisch
konzipierten Auszug wird das Ungewohnte „verdaulich“;
- Der Leser verwechselt den „realen“ Orient mit dem Konstrukt der Texte.
Ernest Renan (1823-1892):
- er setzt die Arbeit Sacys fort;
- er schreibt eine Geschichte der semitischen Sprachen und ist Antisemit;
- die Paradoxie seiner philologischen Position: Einerseits ist die Philologie
eine Wissenschaft, welche die gesamte Menschheit betrifft, andererseits
ist Renan von der Überlegenheit der europäischen Kulturen und Sprachen
überzeugt;
- Renan wird zum Atheisten und Positivisten, behält aber Momente eines
christlichen Weltbildes bei (vor allem im Hinblick auf den Vergleich mit
den anderen Religionen);
- Der Orient kann Bedürfnisse des Westens nach Spiritualität erfüllen; die
Quellen können aber nur in Europa wissenschaftlich ausgewertet werden
(„Asien hat Propheten, Europa Akademiker“);
- „Semiten“ und „Semitisch“: Schöpfungen der Orientalisten, eine
Konstruktion, die Klassifizierungen und Vergleiche mit anderen Sprachen
ermöglicht;
- Die linguistische Erforschung entspricht einer Beherrschung der
orientalischen Sprachen;
- Die indoeuropäischen Sprachen erscheinen als organisch und lebendig,
die semitischen als starr und verknöchert;
- Das Semitische zeigt eine abgebrochene Entwicklung im Vergleich zu
den europäischen Sprachen (philologische Parallele zur Vorstellung vom
„Verfall des Orients“);
- Misogynie in Renans Schriften.
III Die Tücken der „Objektivität“
- Desillusionierte Abwertung des Orientalischen bei Friedrich Schlegel;
- „asiatische Produktionsweise“ bei Karl Marx: die orientalistischen
Klischees unterbinden die Sympathie mit den asiatischen Unterdrückten;
- Edward William Lane: An Account of the Manners and Customs of the
Modern Egyptians (1836)
- Lane versucht eine objektive Beschreibung, will zugleich Zuschauer und
Beteiligter sein;
- Er täuscht die Ägypter, indem er vorgibt, Muslim zu werden, bewahrt
aber seine europäische Distanz;
- Er weigert sich, eine einheimische Frau zu heiraten, und verharrt so in
seiner Beobachter-Rolle.
IV „Literarischer Orientalismus“: Nerval (1808-55), Flaubert (1821-80)
- Der Orient als Befreiung bei Byron und Goethe;
- Briten: Reisende im Orient als Kolonialherren; Franzosen: ein Gefühl des
Verlusts, das die Reiseberichte eher zu Traumdarstellungen macht;
- Chateaubriand: Reise von Paris nach Jerusalem: für den Romantiker ist
der Orient letztlich das Land der Bibel – das Fremde wird unter das
Bekannte subsumiert;
- Er formuliert eine zentrale Idee des 19. Jahrhunderts: Europa soll dem
Orient die Freiheit von der Despotie bringen;
- Ch. lässt seinen Namen auf die Pyramiden schreiben, obwohl er gar nicht
dort war;
- Nerval (1842/43) und Flaubert (1849/50) bereiten sich auf ihrer Reisen
vor und treffen auf einen „wissenschaftlich“ vorstrukturierten Orient;
- Ihr Interesse am Orient steht im Kontext einer „schwarzen Romantik“:
Vorliebe für das Groteske, exotische Plätze, Sadomasochismus,
rätselhafte weibliche Figuren;
- Sie sind auf der Suche nach einer eigenen, anti-bürgerlichen Ästhetik; der
Orient soll ihre ästhetischen Bedürfnisse befriedigen;
- Nerval versteht die Sprache, verbindet sich mit einer einheimischen Frau;
in seinem umfangreichen Text bleibt der Orient aber unsicher, traumartig,
verschwimmend;
- Er nimmt die Texte des „Orientalismus“ als Grundlage, gelangt aber zu
einer nicht-reduktionistischen Sicht des Fremden;
- Flaubert sucht das Groteske, das Verdrängte der europäischen Kultur: er
beschreibt mit sarkastischem Vergnügen die Syphilis-Kranken in einem
Hospital;
- Er beschreibt die Tänze der berühmten ägyptischen Tänzerin Kuchuk
Hanem und seine sexuellen Kontakte mit ihr;
- Die orientalische Frau wird zum Symbol einer beeindruckenden
sinnlichen, aber im verbalen Bereich stummen und damit rätselhaften
Weiblichkeit; Flauberts Bilder sind Projektion und Instrumentalisierung;
er zeigt Zynismus und Sarkasmus, öffnet sich aber in gewissem Grade
gegenüber dem Fremden;
- Der Orient wird zu einer Welt der sinnlichen Befreiung gegenüber einer
eingeschränkten europäischen Sexualität (Viktorianismus).
Überlegungen zu Goethe:
- Goethe zeigt sich als Dichter und „Wissenschaftler“: Unterschiede
zwischen den beiden Herangehensweisen?
- Bezug zu Sacy über Kosegarten, vgl. Widmung 476: ähnlicher Bezug zu
den orientalischen Texten wie bei Sacy?
- Bewusstsein von der Überlegenheit der Europäer gegenüber den
„geschmacklosen“ Orientalen? Strukturierung der Sinnlichkeit nur in der
europäischen Dichtung?
- Hochschätzung des Hafis kompensiert durch die Abwertung der indischen
Kultur?
- Bewusstsein des 18. Jahrhunderts/frühen 19. Jahrhunderts im Vergleich
zu den „modernen“ Nerval und Flaubert oder Öffnung gegenüber dem
Fremden in der Dichtung?
- Forschungsfrage: Hammer und Diez – Goethes orientalistische
Gewährsmänner: Vertreter des „Orientalismus“ (beide zeitweilig
Gesandte in Konstantinopel – Verbindung mit politischen Projekten,
Macht)?
- Goethes Orient-Bezug und die Frage der politischen Macht: Bezüge Buch
Timur, Buch des Unmuts
Orientalismus, Einführung
- Eurozentrismus: Modell der europäischen Modernisierung (Aufklärung,
technologische Modernisierung, Industrialisierung);
- Kolonialisierung: „Zivilisierung“, Alphabetisierung, Übertragung des
europäischen Fortschrittsmodells auf die Kolonialvölker;
- Tendenzen der Aufklärung: Ratio, kritische Überprüfung von Vorurteilen,
„progredierende Subjektivität“, Individualismus, Sensualismus, religiöse
Toleranz;
- Spätes 18. Jahrhundert: Selbstkritik der Aufklärung, Infragestellung des
Rationalismus, „Dialektik der Aufklärung“ (Unterdrückung der
Sinnlichkeit, Unterwerfung des Subjekts unter eine rationale
Programmierung);
- Weimarer Klassik: Orientierung am Schönheitsideal der griechischen
Statue (Winckelmann), Bejahung der Körperlichkeit, aber Unterordnung
der Sinnlichkeit unter ein Harmoniekonzept; Gegensatz Griechen vs.
Barbaren (Goethes Iphigenie); (vgl. Forster: Südsee-Insulaner und
griechisches Schönheitsmodell);
- Romantik: Fortführung, aber auch Kritik der Aufklärung, weiterhin Kritik
des Rationalismus (Imagination, Traum, Phantasie, Religiosität); „ins
Innere geht der geheimnisvolle Weg“ (Novalis); Indien, der Orient als
Land der Poesie, auch als Kindheit der Menschheit (vgl. Herder);
Fortsetzung des Eurozentrismus oder Selbstkritik des europäischen
Fortschrittsmodells? Gibt es eine Selbstkritik der Rationalität und des
Fortschritts ohne Regression?
- Nach der Romantik (Heine, Büchner): Kritik an den Prinzipien der
„Kunstperiode“, Hinwendung zur sozialen Realität; Zerrissenheit durch
die Erfahrungen der einsetzenden Moderne; ambivalentes Verhältnis zur
Revolution; Heines Erfahrung der Ausgrenzung als Jude: Offenheit
gegenüber dem „Orient“ (Modell „Mauren in Spanien“: Synthese aus
europäischer und ‚orientalischer’ Kultur?)
Said: Orientalism, Grundlagen
- „Orientalism“ als „Diskurs“ im Sinne Foucaults: keine „reines Wissen“,
sondern ein Ensemble von Wissen, das mit Macht verbunden ist (hier
konkret: mit Herrschaft über Gebiete des Nahen Ostens, Indiens,
Nordafrikas);
- „Orientalism“ als Repräsentation, als Konstruktion: nicht als
Interpretation vorgegebener Gegenstände, sondern als Erzeugung eines
Bildes und damit eines Objekts des Wissens;
- Diskursanalyse: sie untersucht die Strukturen und das Funktionieren eines
Diskurses, kann aber nicht die Wahrheit gegen die Unwahrheit setzen;
- Desiderat: Wie bildet man eine „libertarian, or a nonrepressive and
nonmanipulative perspective“?
- Hier stellen sich über Said hinaus Fragen: Bildet vielleicht die Literatur
Bilder des Orients, die nicht repressiv sind? Wie bilden sich eigentlich die
Selbstbilder der ‚orientalischen’ Völker?
- Klar ist, dass eine innere Differenzierung erforderlich ist: Indien ist nicht
Marokko, der Libanon nicht Saudi-Arabien usw.; wie sich aber
klischeefreie Bilder von Ländern usw. bilden, ist insgesamt umstritten;
- Grundlegend bleibt aber Saids allgemeine These: Das Selbstbild Europas
(als rational, aufgeklärt usw.) funktioniert mit Bezug auf ein Bild von
„den Anderen“, durch eine binäre Opposition mit einem ‚positiven’ und
einem ‚negativen’ Pol;
- Allerdings ergibt sich folgende Überlegung: Wenn es stimmt, dass die
literarische Moderne (im Prinzip bereits seit der Spätaufklärung) auch
eine Kritik der europäischen Modernisierung darstellt, dann müsste die
Literatur (auch die Kunst) der Moderne anderen Modelle der
Identitätsbildung (jenseits binärer Modelle) entwickeln, und dann müsste
es denkbar sein, dass eine andere Haltung gegenüber außereuropäischen
Kulturen entwickelt wird (Beispiel: Picasso??)
- Teil der binären Opposition: der Westen in historischer Veränderung, der
Orient unveränderlich (Hegel über China);
- Historische Modelle: Griechen und „Barbaren“, Kreuzzüge, Napoleon,
19. Jahrhundert; Entkolonialisierung und Neo-Kolonialismus.
Kritik an Saids Orientalism
nach Andrea Polaschegg
1) Das Verhältnis zwischen dem Orient und Europa wird einseitig im Sinne
einer Überlegenheit des Westens dargestellt. Nicht berücksichtigt werden
dabei:
- die Herrschaft islamischer Kalifate in Spanien und Sizilien;
- die Reiche der Byzantiner, der Mongolen und das indische Mogul-Reich,
- die Herrschaft der Osmanen über weite Teile Europas.
2) Der Orient hat keine Sonderstellung im Hinblick auf die europäische
Kolonialisierung der Welt (vgl. Afrika, Südamerika, Südsee).
3) „Europa“ ist keine monolithische Größe; die Beziehungen Frankreichs
und Großbritanniens zum „Orient“ unterscheiden sich z.B. von denen
Deutschlands.
4) Said erklärt einerseits, die Konstruktion von klischeehaften Bildern des
Anderen sei notwendig, andererseits erhebt er den Vorwurf des falschen
Bildes.
5) Die verzerrte Wahrnehmung des Anderen ist keine spezifische Eigenart
der Europäer; es gibt auch eine Art „Okzidentalismus“, das heißt eine
klischeehafte Wahrnehmung Europas durch die „Orientalen“: die
Europäer als konsumorientiert, zügellos, ohne Religion, als entfremdete
Großstadtmenschen usw.
6) Wenn die Erkenntnis von Alterität notwendig zur Bestimmung eigener
Identität ist, dann kann in der Alterität keine hegemoniale Struktur liegen.
Deutscher „Orientalismus“ um 1800
- Wielands „Oberon“: der Orient als das Andere der Aufklärung und einer
christlich inspirierten Liebesethik;
- Lessings „Nathan der Weise“: die Gleichberechtigung der
Offenbarungsreligionen, der Orient als Staffage;
- Herder: alle Völker und Epochen haben gleichen Wert; der „Orient“ als
die
Kindheit
der
Menschheit
(ambivalente
Bewertung:
Sehnsucht/Hochmut); das Alte Testament als Dokument der
orientalischen Kultur und Poesie;
- Goethe: Bewunderung der Gestalt Mohammeds im Frühwerk;
eurozentrische Bewertung des indischen Polytheismus; „Mahomet“Drama: Bearbeitung einer religionskritischen Vorlage Voltaires,
positivere Zeichnung der Figur des Propheten; Sympathie mit dem
monotheistischen Islam im Spätwerk; Identifikation mit Hafis:
Ununterscheidbarkeit von Liebeslyrik/Anakreontik und mystischer
Gottessuche; Verbindung von Islam und Pantheismus; Annäherung an
den Orient aus Ungenügen an der europäischen Realität, Theoretische
Distanzierung von der „Geschmacklosigkeit“ der Orientalen
(Klassizismus), praktische Annäherung in der Dichtung (Nähe zu einer
orientalisierenden Moderne <Jean Paul>;
- Romantik: romantischer Orient – Wiege der Menschheit und der
Weltreligionen, religiöser Synkretismus (Vermischung islamischer,
buddhistischer, hinduistischer, christlicher Motive), daher eigentlich der
Orient nicht als das Fremde, sondern als das Vertraute (als die Heimat des
Menschen); Option für Indien, aber auch für einen „romantischen Islam“
- Wackenroder/Tieck: Morgenländisches Märchen – der „nackte Heilige“
als Repräsentant der romantischen Religiosität; Gegensatz „Leben“ –
Phantasie hier buddhistisch als leiden am Rad des Lebens, Erlösung durch
die mit der Liebe verbundene Musik; romantischer orientalismus (Frage:
Orient als Staffage?);
- Günderrode: Mohammed-Drama mit einer positiven Bewertung der Figur
des Propheten; der Gründer des Islam als eine bedeutende religiöse Figur;
der Islam als ein Moment der umfassenden Religionsgeschichte der
Menschheit (Verbindung islamischer und christlicher Motive);
Verbindung von Islam und Pantheismus;
- Arnim: „Melück Blainville“/“Isabella von Ägypten“ – orientalische
Frauenfiguren als Inkarnationen des Fremden, zunächst Leidenschaft,
Zauberei, aber auch Läuterung; Orient als Gegenmodell zu einer negativ
bewerteten rationalistischen europäischen Moderne; bei Isabella die
Fremde als die „reine“ Frau, die Zigeuner als die positiv bewerteten
Orientalen im Gegensatz zu den Juden (Orientalismus als
Antisemitismus);
- Platen: unmittelbare Nachfolge des „Divan“ Goethes; formale Imitation
orientalischer Formen (Ghasele); große Kunstfertigkeit in der Bewahrung
dieser Formen (inhaltliche Tendenz sehr variabel);
- Rückert: Verbindung von Poesie und wissenschaftlicher Orientalistik;
Beherrschung orientalischer Sprachen und Tätigkeit als Übersetzer; in der
Lyrik wie Platen nachfolge Goethes bei strenger Beachtung der
orientalischen Dichtungsformen, Restauration/Biedermeier?
- Heine: Al Andaluz als Modelle einer interkulturellen Koexistenz von
Muslimen, Juden und Christen; das spanische Maurentum als
Kultursymbiose; Verständnis für die Konversion der unterlegenen
Mauren; Grausamkeit der Inquisition; Plädoyer für die Liebe als das Ideal
des Christentums; „romantischer Islam“ mit politisch-historischer
Konkretion.
Said: Orientalism, Grundlagen
- „Orientalism“ als „Diskurs“ im Sinne Foucaults: kein „reines Wissen“,
sondern ein Ensemble von Wissen, das mit Macht verbunden ist (hier
konkret: mit Herrschaft über Gebiete des Nahen Ostens, Indiens,
Nordafrikas);
- „Orientalism“ als Repräsentation, als Konstruktion: nicht als
Interpretation vorgegebener Gegenstände, sondern als Erzeugung eines
Bildes und damit eines Objekts des Wissens;
- Diskursanalyse: sie untersucht die Strukturen und das Funktionieren eines
Diskurses, kann aber nicht die Wahrheit gegen die Unwahrheit setzen;
- Said analysiert eine Diskursstruktur, die auf binären Oppositionen
aufbaut: rational vs. irrational, passiv vs. aktiv usw., „wir“ gegen „sie“;
- Außerdem stellt er fest, dass der vergangene Orient gegenüber dem
gegenwärtigen aufgewertet wird (auch von der orientfreundlichen
Romantik), d.h.: Auch „positiv gemeinte“ Bilder können diskriminierend
sein
- Desiderat: Wie bildet man eine „libertarian, or a nonrepressive and
nonmanipulative perspective“?
- Hier stellen sich über Said hinaus Fragen: Bildet vielleicht die Literatur
Bilder des Orients, die nicht repressiv sind? Wie bilden sich eigentlich die
Selbstbilder der ‚orientalischen’ Völker?
- Grundlegend bleibt aber Saids allgemeine These: Das Selbstbild Europas
(als rational, aufgeklärt usw.) funktioniert mit Bezug auf ein Bild von
„den Anderen“, durch eine binäre Opposition mit einem ‚positiven’ und
einem ‚negativen’ Pol;
- Teil der binären Opposition: der Westen in historischer Veränderung, der
Orient unveränderlich (Hegel über China);
- Allerdings ergibt sich folgende Überlegung: Wenn es stimmt, dass die
literarische Moderne (im Prinzip bereits seit der Spätaufklärung) auch
eine Kritik der europäischen Modernisierung darstellt, dann müsste die
Literatur (auch die Kunst) der Moderne andere Modelle der
Identitätsbildung (jenseits binärer Modelle) entwickeln, und dann müsste
es denkbar sein, dass eine andere Haltung gegenüber außereuropäischen
Kulturen entwickelt wird (Beispiel: Picasso??)
Saids „Orientalism“ und deutsche Afrikadiskurse:
„Afrikanismus“?
- Afrika-Diskurse: „Diskurse“ als mit Macht verbundenes Wissen, als
Erzeugung eines Bildes und damit eines Objekts des Wissens; Diskurse,
die auf binären Oppositionen aufbauen und durch welche die europäische
(deutsche) Identität stabilisiert wird; das vergangene Afrika wird
gegenüber dem gegenwärtigen bevorzugt;
- Unterschiede „Orient“ – „Afrika“: Orient frühe „Hochkulturen“, „Wiege“
der menschlichen Kultur; Afrika „Natur“ (?);
- Wieland/Herder/Forster: Afrika als eigenständige Kultur, Abwehr des
Kolonialismus; kein „Afrikanismus“??; Probleme: Afrikaner als
„Naturmenschen“ (Wieland), als „Kinder“ (Herder), als unendlich
Bildungsfähige (Forster): Überlegenheit der europäischen Kultur;
- Falkenhorst, Eckenbrecher und der deutsche Kolonialdiskurs:
Verknüpfung von Literatur und Macht (Kolonialismus); binäre
Oppositionen (Organisationstalent vs. Chaos; Fleiß vs. Faulheit;
Sauberkeit vs. Unsauberkeit; Triebbeherrschung vs. Triebhaftigkeit
<Alkohol, Sex>; Rassismus; Falkenhorst: der Deutsche als Miltär und
Romantiker; Germanisierung der afrikanischen Natur und Kultur
- Um 1900: Krise der europäischen Zivilisation, Hinwendung zur
außereuropäischen „Natur“ (?); jetzt: der Afrikaner (wie auch der
Orientale) als der Andere im positiv gemeinten Sinne; Problem: die binäre
Opposition bleibt bestehen; die afrikanische Kultur wird essentialisiert;
europäische Bedürfnisse werden auf die afrikanische Kultur projiziert;
Desiderat: Hybridisierungen, Verzicht auf essentialistische Festlegungen
- Leo Frobenius: Sammeln, Klassifizieren (vgl. Napoleons ÄgyptenFeldzug); der Deutsche bringt Ordnung und System in die chaotische
afrikanische Kultur („Überschreiben“); „Kulturkreislehre“: relative
Autonomie der verschiedenen Kulturen; die „eigentliche“ afrikanische
(„äthiopische“) Kultur ist durch ein „Ergriffensein“ gegenüber der Welt
und dem Göttlichen gekennzeichnet (im Gegensatz zur europäischen
Tendenz zur Naturbeherrschung); die afrikanische Kultur als Medizin für
die europäische: positives Afrikabild; Probleme: Essentialisierung der
afrikanischen Kultur (irrational vs. rational); Bevorzugung der
vergangenen afrikanischen Kultur, Leugnung von deren
Entwicklungsfähigkeit; Bezug zur Konzeption der „négritude“: Selbstbild
des Afrikaners als des Anderen Europas.
Afrika: Diskursanalysen
- Hypothese: Die Diskurse über Afrikaner sind von einer binären
Struktur, in der die Aussagen über die Afrikaner das europäische
Selbstverständnis bestätigen („sie“ und „wir“)
- Herder: „Neger“ moralisch positiv, schwach, unselbständig,
unterwürfig
edel
Trost und Rat
Bruderliebe
„Tat was er konnte, lebend nur für ihn.“
treuer Freund
liebender Anbeter seines Herrn
„meine Unschuld, meine Lieb und Treu“
Vertrauen, Unschuld
- Forster: schwache Kinder, der Veredelung bedürftig und fähig
Europäer
Geist der Ordnung
und Gesetzgebung
Vaterstelle
- Eckenbrecher über
(„Herrenvolk“)
Afrikaner
Vernunft erste Kinderstufe
schwach
Veredlung durch die Europäer
die
Herero:
Binnendifferenzierung
geistig den „Kaffern“ weit überlegen
ein wenig Kultur angenommen
dem Alkohol sehr ergeben
Ausreden („wie oft seine Großmutter stirbt“)
Hochmut
Grausamkeit
Faulheit
Liebe zum Vieh
Männer: bequemes Herrenleben, Frauen: müssen alles machen
Leo Frobenius:
- Sammeln, Klassifizieren (vgl. Napoleons Ägypten-Feldzug);
- der Deutsche bringt Ordnung und System in die chaotische afrikanische
Kultur („Überschreiben“);
- „Kulturkreislehre“: relative Autonomie der verschiedenen Kulturen;
- die „eigentliche“ afrikanische („äthiopische“) Kultur ist durch ein
„Ergriffensein“ gegenüber der Welt und dem Göttlichen gekennzeichnet
(im Gegensatz zur europäischen Tendenz zur Naturbeherrschung);
- genauer: hamitische Kultur („Machtwille, Realismus“) vs. äthiopische
Kultur („Todlebengemeinschaft“, Sinnwille, mystisch-metaphysische
Haltung)
- die Deutschen als die Äthiopier Europas, die Franzosen als die Hamiten!!
- die afrikanische Kultur als Medizin für die europäische: positives
Afrikabild;
- Probleme: Essentialisierung der afrikanischen Kultur (irrational vs.
rational); Bevorzugung der vergangenen afrikanischen Kultur, Leugnung
von deren Entwicklungsfähigkeit;
- Bezug zur Konzeption der „négritude“: Selbstbild des Afrikaners als des
Anderen Europas; der Deutsche (Goethe!) als Antipode des französischen
Geists
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