Überlegungen zur Errichtung eines Forschungsverbundes und eines interdisziplinären Informations- und Kooperationsnetzwerkes "Osteuropa" in der Freien und Hansestadt Hamburg unter Berücksichtigung einschlägiger Institutionen in seiner engeren und weiteren Nachbarschaft Exposé, verfasst von Prof. Dr. Otto Luchterhandt, Direktor der Abt. für Ostrechtsforschung, Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg I. Zusammenfassung der Hauptgedanken des Exposés in Thesen 1. Die Osteuropäische Revolution von 1989 und der von ihr ausgelöste Transformationsprozess haben Hamburg ermöglicht, seine traditionellen, durch den Eisernen Vorhang stark geschwächten Verbindungen zu Osteuropa (Nordost-, Ostmittelund Südosteuropa sowie GUS) unter veränderten Rahmenbedingungen wiederherzustellen und zu erneuern. Die Einbeziehung Nordosteuropas, also des östlichen Ostseeraumes sowie Ostmitteleuropas in den europäischen Binnenmarkt durch die EU-Osterweiterung verleiht diesen Rahmenbedingungen eine völlig neue Qualität. Die als 'historisch' zu bezeichnenden Veränderungen geben Hamburg die faszinierende Chance, die bekannten Vorteile seines Standortes im geografischen Schnittpunkt der Verkehrslinien von Nordwest-, Nord- und Ostmitteleuropa noch intensiver zu nutzen und die Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa auf ein höheres Niveau zu heben. 2. Im Konkurrenzkampf um die sich weiter öffnenden Märkte im künftigen EUOsteuropa und jenseits davon in der GUS (Russland; Ukraine) sowie in Südosteuropa sollte Hamburg das gesamte Potential an wissenschaftlicher und praktischer, anwendungsorientierter Kompetenz nutzen, das in Bezug auf Osteuropa in der Stadt vorhanden ist. In der engeren und weiteren Nachbarschaft vorhandene Osteuropakompetenz (Kiel, Bremen, Lüneburg usw.) könnte und sollte einbezogen werden. 3. Im Unterschied zu Berlin, München und Köln genoss Hamburg in der alten Bundesrepublik nie den Ruf eines Zentrums der Osteuropawissenschaften, wenngleich Stadt und Universität immer über ein beachtliches Potential und über in Fachkreisen weit bekannte Osteuropaforscher verfügten. Indem Köln wegen der Verlegung der Hauptstadt nur noch ein Schatten seiner einstigen Bedeutung für die Osteuropaforschung ist, Berlin 2 sein noch immer außerordentliches Potential an Osteuropakompetenz wegen seiner massiven Strukturprobleme und extremen Finanzschwäche sträflich vernachlässigt und München sich, wie bisher schon, vor allem auf Südosteuropa konzentriert, bietet sich für Hamburg und seine Metropolitanregion erstmals die große, vielleicht sogar einmalige Chance, ein zentraler Standort, ein "Leuchtturm" der Osteuropawissenschaften im Norden der Republik mit weit darüber hinausgehender Ausstrahlung zu werden. Hamburg sollte sie entschlossen nutzen. 4. Die Voraussetzungen für die Etablierung Hamburgs als neues Zentrum der Osteuropawissenschaften sind ungewöhnlich gut, weil die wichtigsten in der Stadt gelegenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen jeweils über sektorale Osteuropakompetenz verfügen, voran die Universität Hamburg, ferner die Universität der Bundeswehr Hamburg, die Technische Universität Hamburg-Harburg, das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, das Europakolleg Hamburg, die Führungsakademie der Bundeswehr. Dazu kommen Institute mit großer praktischer Erfahrung im osteuropäischen Raum, voran die Handelskammer Hamburg, aber auch so bedeutende Stiftungen wie die ZEIT-Stiftung, die Körber-Stiftung, die Toepfer-Stiftung. Die Einzelkompetenzen summieren sich zu einem starken, eindrucksvollen Gesamtpotential. Es könnte und sollte gezielter und damit wirkungsvoller für die Positionierung Hamburgs im Prozess der EU-Osterweiterung eingesetzt werden. 5. Hamburg sollte das in seinen Mauern auf engstem Raum, aber auch das in seiner näheren und weiteren Osteuropakompetenz unbürokratischen Nachbarschaft in Form einer vorhandene institutionell zusammenführen und Potential geeigneten, vernetzen. an wissenschaftlicher möglichst Dafür flexiblen, bietet sich der Forschungsverbund an, eine Form, mit welcher andere Bundesländer in Bezug auf Osteuropa in letzter Zeit gute Erfahrungen gemacht und gesammelt haben (vgl. u. a. Bayern und Baden-Württemberg). 6. Die Errichtung eines Forschungsverbundes würde nicht nur durch die sprichwörtlich "kurzen Wege" in Hamburg, sondern auch und noch mehr dadurch erleichtert, dass die als Kern eines solchen Verbundes in Betracht kommenden Lehr- und Forschungseinrichtungen (Lehrstühle, Institute, Abteilungen, Forschungsstellen usw.) 1997 auf Initiative der Abteilung für Ostrechtsforschung im Fachbereich Rechtswissenschaft und des Instituts für Finnougristik/Uralistik im Fachbereich Sprach-, 3 Literatur- und Medienwissenschaften (Prof. Dr. H. Fischer) der Universität Hamburg einen "Osteuropa-Nebenfachstudiengang" eingerichtet haben und bei seiner Durchführung seither eng und wirkungsvoll hochschulübergreifend zusammenarbeiten. Es handelt sich um die Universität Hamburgische Hamburg, die Weltwirtschaftsarchiv Universität und das der Bundeswehr Institut für Hamburg, das Friedensforschung und Sicherheitspolitik (vgl. die anliegende Broschüre - Anlage 1). Der Studiengang ist einer der wenigen in Hamburg existierenden hochschulübergreifenden Studiengänge. Die nunmehr in ihm gemachten über fünfjährigen institutionellen Kooperationserfahrungen stellen ein "Kapital" dar, das sich in geradezu idealer Weise für einen Forschungsverbund nutzen ließe (vgl. den Bericht zum fünfjährigen Bestehen – Anlage 2). 7. Angesichts der aus der gemeinsamen Arbeit resultierenden langjährigen engen persönlichen und institutionellen Verbindungen der Hamburger Osteuropaspezialisten zu den wichtigsten nordwestdeutschen Einrichtungen Raum der (Institut Osteuropaforschung für auch Osteuropäisches und gerade Recht/Universität im Kiel; Weltwirtschaftsinstitut Kiel; Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen; Überregionales GTZ-Rechtsberatungszentrum an der Universität Bremen; NordostInstitut "an der Universität Hamburg" in Lüneburg; Zentrum für Ost-West- Kooperation/Ostakademie und Universität Lüneburg; European Centre for Minorities Studies, Flensburg) böte es sich an, den vorgeschlagenen Forschungsverbund in den größeren Zusammenhang Norddeutschlands zu sehen und zu stellen und in seine Konzeption von vornherein die Komponente einer regionalen Kooperation einzufügen. II. Nähere Darlegungen Forschungsverbundes zur Begründung "Osteuropa" in der Zweckmäßigkeit Hamburg mit eines regionaler Kooperationskomponente Die Osteuropäische Revolution von 1989 mitsamt ihren unmittelbaren Auswirkungen – Sturz der kommunistischen Regime, Fall des Eisernen Vorhanges, Wiedervereinigung Deutschlands, Untergang der drei Bundesstaaten UdSSR, ČSFR und Jugoslawien und sprunghafter Anstieg der Staaten in Mittel- und Osteuropa von 8 auf 24 hat die bipolare Weltordnung zum Einsturz gebracht und die Rahmenbedingungen politischen und wirtschaftlichen Handelns vor allem in Europa mit einem Schlag radikal verändert. Die (heute) 29 postkommunistischen Staaten befinden sich seither in einem geschichtlich einmaligen, überaus schwierigen Transitions- und Transformationsprozess, der ihnen in diesem Ausmaß außerordentliche wirtschaftliche Anstrengungen abnötigt und große 4 soziale Belastungen auferlegt. In Ostmitteleuropa (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Slowenien) unter Einschluss der drei baltischen Staaten ("Nordosteuropa") ist die staatlich-gesellschaftliche Erneuerung und Modernisierung, orientiert an Menschenrechten, Rechtsstaat, Demokratie, Marktwirtschaft, friedlich und insgesamt höchst erfolgreich verlaufen. Für diesen Erfolg hat die von Anfang an entschiedene Option der betreffenden Staaten für den Beitritt zur Europäischen Union eine zentrale, gar nicht zu überschätzende Rolle gespielt. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Staaten Ostmitteleuropas zum 1.5.2004 in die EU aufgenommen werden. Anders, d. h. weitaus weniger erfolgreich, hindernis- und ungleich konfliktreicher verläuft der Transformationsprozess in Südosteuropa. Er ist dort durch die im ehemaligen Jugoslawien wie in einer Kettenreaktion ablaufenden interethnischen Kriege mit ihren Steigerungen bis zum Völkermord insgesamt, d.h. auch in den nicht unmittelbar betroffenen Staaten (Rumänien; Bulgarien; Albanien) aufs schwerste behindert worden und steht aus diesen, aber auch aus anderen Gründen teilweise noch ganz am Anfang. Mit großen Hemmnissen, unter denen tief in ihrer Geschichte liegende gesellschaftliche, kulturelle und sozio-ökonomische Modernisierungsdefizite eine große Rolle spielen, hat der Transformationsprozess in Russland und den anderen westlichen GUS-Staaten zu kämpfen, und so verläuft er recht widersprüchlich: in einzelnen Regionen und Sektoren mit beachtlichem Erfolg, insgesamt aber ziemlich diffus, mit zweifelhafter Nachhaltigkeit und der laufenden Gefahr einschneidender Rückschläge. Die Europäische Union hat während derselben Zeit, obwohl mit der Vollendung des Binnenmarktes (1992), der Einführung des Euro, der Arbeit an ihrer institutionellen Reform und ihren Verfassungsgrundlagen stark mit sich selbst beschäftigt, den Erneuerungsprozess in Osteuropa nicht nur nach Kräften unterstützt, sondern auch durch die "Europa-Abkommen" und die Beitrittspartnerschaften ganz wesentlich zu seiner Verstetigung und auf diese Weise zur inneren Konsolidierung und Stabilität der betreffenden EU-Kandidatenländer beigetragen. Durch das TACIS-Programm und die Partnerschafts- und Transformationsprozess Kooperationsabkommen über den Kreis hat der die EU aber auch ostmitteleuropäischen den und südosteuropäischen Staaten hinaus günstig beeinflusst. Der Transformationsprozess im Osten und die Vertiefung der Integration im Westen liefen und laufen nicht unverbunden nebeneinander her, sondern dürfen und sollten als Teil eines Gesamtvorganges gedeutet und verstanden werden, der zu einer politischen Neuordnung Europas hin läuft und sich über eine stufenweise Erweiterung der EU vollzieht. Unklar ist allerdings, wann die territoriale Neuordnung abgeschlossen sein wird, wo die Grenzen EU-Europas im Osten und Südosten liegen und welches Bild die Binnenstruktur und Verfassung der so erweiterten EU dann darbieten werden. Eines ist 5 indes schon heute sicher: die Erweiterung am 1.5.2004 um die 8 postkommunistischen Staaten Ostmitteleuropas (neben Zypern und Malta) ist nicht mehr nur eine quantitative Ausdehnung wie die bisherigen Erweiterungen in Dreierschritten, sondern sie stellt einen Quantensprung dar, durch den die Europäische Union einen Qualitätswechsel erfährt. Das gilt umso mehr, als die neuen Mitgliedsstaaten ungeachtet ihrer relativen Transformationserfolge infrastrukturell, wirtschaftlich und sozial noch deutlich vom durchschnittlichen EU-Entwicklungsstandard entfernt sind. Welche Auswirkungen, welche Folgen, welche Veränderungen, welcher Bedarf an Anpassungsleistungen wird allein der erste Schub der EU-Osterweiterung für "Westeuropa" unter Einschluss Deutschlands haben? Wir wissen es nicht. Die mit den Transformationsstaaten in dem guten Jahrzehnt seit ihrer Unabhängigkeit gemachten Erfahrungen liefern dafür keine sicheren Erkenntnisse, bestenfalls geben sie begrenzte und vage Hinweise. Unsere Schwierigkeiten, die Entwicklungen und Auswirkungen, die Möglichkeiten, Chancen und Gefahren wenigstens näherungsweise einzuschätzen, resultieren auch daraus, dass unsere wissenschaftlich abgesicherten Kenntnisse über die heutigen Zustände in den Transformationsstaaten unter Einschluss der Dynamik und der Richtung ihres Strukturwandels ziemlich begrenzt sind. Zwar gibt es in Deutschland an Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen beträchtliche auf Osteuropa bezogene Forschungskapazitäten, die wegen ihres Auf- und Ausbaus während des "Kalten Krieges" die der anderen EU-Mitgliedsstaaten, etwa Frankreichs und Großbritanniens, erheblich übertreffen, aber sie sind in den 90er Jahren im Zuge von Einsparungsmaßnahmen bei Bund und Ländern nicht unerheblich geschrumpft. Die institutionelle Förderung der Osteuropa-Forschung wurde zugunsten der Projektförderung insbesondere durch Stiftungen und Deutsche Forschungsgemeinschaft in vielen Fällen eingestellt. Dass Projekte ohne eine hinreichende institutionelle bzw. personelle Absicherung nicht durchgeführt werden können, wurde dabei leider nicht genügend bedacht. Die geringere Förderung wurde politisch nicht selten damit gerechtfertigt, dass erstens nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaftssysteme und dem Ende der von der Sowjetunion ausgegangenen militärischen Bedrohung die OsteuropaForschung ihre bisherige Bedeutung eingebüßt habe, dass die Osteuropa-Forschung zweitens versagt habe, weil sie den Zusammenbruch des Kommunismus im allgemeinen und der UdSSR im besonderen nicht vorausgesehen habe und dass – drittens – die spezielle Osteuropa-Forschung mehr oder weniger entbehrlich geworden sei, weil westliche und östliche Wissenschaftler aller Fachdisziplinen nun ungehindert, frei Verbindung zueinander aufnehmen und Gegenstände wissenschaftlichen Interesses in Ost- wie in Westeuropa gemeinsam erforschen könnten. 6 Die Oberflächlichkeit dieser Vorwürfe ist erschreckend; der polemische Gehalt verletzend. Kein Zweifel: Die Funktion solcher und anderer Rechtfertigungsgründe ist nur allzu durchsichtig. Die erzielten Haushaltseinsparungen mögen kurzfristig zwar kleinere Entlastungen gebracht haben, längerfristig aber stehen sie in keinem Verhältnis zu den Schäden, die entstehen, wenn etablierte Forschungseinrichtungen (Lehrstühle; Institute; Abteilungen usw.) geschlossen werden, obwohl die Bedeutung ihrer Tätigkeit nicht etwa entfallen ist oder auch nur abgenommen hat, sondern – im Gegenteil, und dies ist gerade bei der Osteuropa-Forschung mit Händen zu greifen! – gestiegen ist. Die Verluste einer solchen Politik summieren sich zu Flurschäden in einer etablierten Forschungslandschaft, wenn die Schließung der Einrichtungen, wie es so gut wie immer der Fall ist, das Ende eingespielter wissenschaftlicher Kooperationsbeziehungen mitsamt ihren Netzwerken nach sich zieht, deren Aufbau nicht selten Jahrzehnte gekostet hat. Bedenkt man die epochale, weltgeschichtliche Bedeutung der osteuropäischen Revolution, bedenkt man den epochalen Charakter des mit dem Transformationsprozess verbundenen Wandels, bedenkt man schließlich die spannungsreiche Verknüpfung dieses epochalen Wandels mit der nun stufenweise in Gang gesetzten EU-Osterweiterung, dann drängt sich folgende Schlussfolgerung auf: Die institutionelle Ausdünnung der Osteuropa-Forschung ist kurzsichtig und unklug. Sie ist in forschungspolitischer Hinsicht eine böse Fehlleistung. Die daraus resultierenden kulturellen Verluste in den Beziehungen zu Osteuropa liegen auf der Hand. Weniger offensichtlich, aber nicht weniger wirklich sind die Nachteile in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn im Gesamtrahmen unserer Außenwirtschaftsbeziehungen werden die Volkswirtschaften der Länder Ostmitteleuropas, der GUS (Russland, Ukraine usw.) und Südosteuropas mittelfristig nach allen Prognosen wachsendes Gewicht erlangen. Die Vorbereitung und Entscheidung über Investitionen in Ländern, die sich so sehr im Umbruch finden wie die postkommunistischen Staaten, wird in dem Maße erleichtert und auf eine solidere Grundlage gestellt, wie unsere Kenntnis von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Geschichte, Kultur, Religion und Recht sowie die Kenntnis ihrer Zusammenhänge entwickelt ist. Den Schlüssel dazu aber liefern eine wissenschaftlich betriebene Landeskunde und eine darauf aufbauende, vertiefende Forschung, eine Forschung, die sich nicht sektoral – z. B. auf das geltende Recht – beschränkt, sondern mit breitem Zugang interdisziplinär ausgerichtet ist und ihr Vorgehen durch inter- und intraregionale Vergleichsstudien vertieft. Welche Schlussfolgerungen grundsätzlichen Gedanken für ergeben Hamburg sich und aus seine diesen Region, allgemeinen, die es als Oberzentrum dominiert? Welchen Stellenwert hat bereits heute Osteuropa (im weitesten Sinne) für Hamburg und seine Wirtschaft? Welche Auswirkungen wird die 7 Nordost- und Osterweiterung der EU sowie später ihre Südosterweiterung auf Hamburg, auf seine Wirtschaft und Gesellschaft, seine öffentlichen Einrichtungen haben? Welche Erwartungen verbindet seinerseits Hamburg mit der Osterweiterung? Welche besonderen Ziele strebt die Stadt beim Ausbau ihrer Osteuropabeziehungen an, welche Schwerpunkte setzt sie? Wie will und kann Hamburg das in seiner Stadt für Osteuropa relevante Potential so einsetzen, dass die von ihm verfolgten Ziele erfolgreich angesteuert und erreicht werden? Gewiss gibt es nicht nur eine einzige Antwort auf diesen Satz von Fragen. Eine Antwort aber lässt sich im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls geben: Hamburg sollte, ja muss, ausgehend von seiner optimalen geografischen Lage und auf der Grundlage seiner etablierten Verbindungen die strukturellen Voraussetzungen zum Ausbau seiner Beziehungen zu und mit Nordost-, Ostmittel- und Osteuropa nachhaltig verbessern und zu diesem Zweck das in der Stadt selbst und darüber hinaus in seinem Umland vorhandene Potential an institutionellen Verbindungen zu Osteuropa erfassen und vernetzen, um es für die Ziele produktiv einzusetzen. Ein wichtiger, wirkungsvoller Schritt dorthin wäre die Ermittlung aller in Hamburg vorhandenen wissenschaftlichen Einrichtungen, gleich welcher Fachrichtung, die sich mit der Erforschung Osteuropas beschäftigen. Ein zweiter Schritt könnte die Einrichtung eines Forschungsverbundes Osteuropa der Freien und Hansestadt Hamburg sein. Die Bestandsaufnahme hätte zunächst den Charakter eines ausführlichen Verzeichnisses der betreffenden Einrichtungen mitsamt einer knappen Beschreibung ihres Profils nach einem vorgegebenen Muster bzw. Raster. Die Bestandsaufnahme könnte dann als Grundlage für die Errichtung eines Forschungsverbundes "Osteuropa" genutzt werden. Der Forschungsverbund wäre eine Einrichtung der Forschungsförderung der Freien und Hansestadt Hamburg für die Osteuropa-Forschung im universitären und außeruniversitären Bereich. Seine Hauptziele könnten bzw. sollten sein: 1. Die Strukturveränderungen von Gesellschaft und Wirtschaft in Osteuropa durch den Transformationsprozess und durch die EU-Osterweiterung sowie ihre Auswirkungen auf den norddeutschen Raum unter besonderer Berücksichtigung Hamburgs; 2. die Erforschung der mit Hamburg und dem norddeutschen Raum traditionell eng verbundenen Regionen Nordosteuropas (St. Petersburg; Novgorod; baltische Republiken), Ostmitteleuropas (Kaliningrader Gebiet; Polen; Tschechische Republik und Ungarn) und Südosteuropas (Bulgarien) unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeiten, zur Ausweitung einer nachhaltigen Entwicklungskooperation wirksam beizutragen; 8 3. die Erforschung der allgemeinen staatlich-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche in Bezug auf Recht, Verwaltung, Unternehmensstrukturen, im sozio- kulturellen Bereich und in sozio-psychologischer, mentaler Hinsicht für Investoren in Osteuropa von Belang sind. Was eine Bestandsaufnahme und darüber hinaus die Kooperation und Vernetzung von in Hamburg existierenden Institutionen der Erforschung Osteuropas anbetrifft, sind Ansätze dazu bereits vor einigen Jahren unternommen worden, und zwar 1997 und seither in Verbindung mit der Errichtung des Nebenfachstudienganges "Osteuropastudien". Der Studiengang fasst die Lehrangebote zusammen, welche vier in Hamburg gelegene wissenschaftliche Einrichtungen mit Osteuropakompetenz anbieten: die Universität Hamburg, die Universität der Bundeswehr Hamburg, das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Es handelt sich also um einen hochschulübergreifenden Studiengang, dem eine entsprechende Kooperationsvereinbarung der Partner zugrunde liegt. Im einzelnen sind an dem Studiengang sechs wissenschaftliche Fachrichtungen ("Fakultäten") beteiligt: Geschichte, Sprachwissenschaften (Slavistik; Finno- Ugristik/Uralistik), Recht, Politik, Wirtschaft, Geografie. Der Studiengang wird von einer "Gemeinsamen Kommission" geleitet, deren Vorsitzender der Verfasser des Exposés in seiner Eigenschaft als Direktor der Abteilung für Ostrechtsforschung ist. Auch das Sekretariat zur Durchführung des Studienganges, betreut von dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter, Ass. jur. Roman Brüschke, ist der Abteilung zugeordnet. Über die am Osteuropa-Nebenfachstudiengang beteiligten Lehrstühle und Institute hinaus kämen für die Zusammenarbeit in einem Forschungsverbund "Osteuropa" folgende weitere, sektoral mit Osteuropa im weiteren Sinne befassten Einrichtungen in Betracht: 1. Technische Universität Hamburg-Harburg; 2. Hochschule für Wirtschaft und Politik; 3. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht; 4. Haus Rissen. (Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.) Was die Kooperationsmöglichkeiten im Forschungsverbund über den unmittelbaren Rahmen Hamburgs hinaus anbelangt, ist zu denken an die Einbeziehung der Universität Kiel (Institut für Osteuropäisches Recht) und des Weltwirtschaftsinstituts, Kiel, ferner der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und des von der GTZ an der Universität Bremen eingerichteten überregionalen Rechtsberatungszentrums für die GUS-Staaten, zu denken an das Nordost-Institut "an der Universität Hamburg" mit Sitz in Lüneburg und an das Zentrum für Ost-West-Kooperation/Ostakademie in 9 Lüneburg und an die Universität Lüneburg sowie auch an das European Centre for Minorities Studies, Flensburg. Zwar nicht wissenschaftlich mit Osteuropa beschäftigt, wohl aber in Form praktischer Beratungs-, Informations- und Kooperationstätigkeit eng mit der Region verbunden, sind die Handelskammer Hamburg, der Ostmitteleuropaverein e. V. sowie eine ganze Reihe in der Stadt ansässiger bedeutender Stiftungen (ZEIT-Stiftung, Körber-Stiftung, ToepferStiftung usw.). Durch die Errichtung eines Forschungsverbundes würde die in Hamburg in beachtlichem Umfange vorhandene, allerdings ziemlich verstreute und daher eher isoliert voneinander tätige Forschungskompetenz zur Bearbeitung relevanter Forschungsfragen im Sinne der oben skizzierten allgemeinen Zielsetzungen zusammengeführt und gebündelt werden. Ein solcher Schritt würde erstmals Hamburg als Standort der Osteuropa-Forschung ein noch schärferes Profil geben, die Osteuropa-Forschung in der Hansestadt selbst auf eine qualitativ andere, deutlich höhere Stufe heben und Hamburg zum zentralen Standort der Osteuropa-Forschung Ausstrahlung machen. im norddeutschen Raum mit weit darüber hinausgehender