Antrag auf Tagungsförderung für die Konferenz: Recht und Religion in Europa – zeitgenössische Konflikte und historische Pe rspektiven Antragsteller: Prof. Dr. Irene Schneider Seminar für Arabistik/Islamwissenschaft Georg-August-Universität Göttingen Philosophische Fakultät Papendiek 16 37073 Göttingen Die Antragstellung erfolgt auch im Namen der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Prof. Dr. Reinhard Feldmeier Fachbereich Neues Testament Georg-August-Universität Göttingen Theologische Fakultät Platz der Göttinger Sieben 2 37073 Göttingen Prof. Dr. Christine Langenfeld Institut für Öffentliches Recht Georg-August-Universität Göttingen Juristische Fakultät Platz der Göttinger Sieben 6 37073 Göttingen Prof. Dr. Brigitte Groneberg Seminar für Altorientalistik Georg-August-Universität Göttingen Philosophische Fakultät Weender Landstraße 2 37073 Göttingen Prof. Dr. Christoph Möllers Institut für Öffentliches Recht, insb. Staatsrecht, Rechtsvergleichung und Verfassungstheorie Georg-August-Universität Göttingen Juristische Fakultät Platz der Göttinger Sieben 6 37073 Göttingen Prof. Dr. Reinhard Gregor Kratz Fachbereich Altes Testament Georg-August-Universität Göttingen Theologische Fakultät Platz der Göttinger Sieben 2 37073 Göttingen Prof. Dr. Peter Alois Kuhlmann Seminar für Klassische Philologie Georg-August-Universität Göttingen Philosophische Fakultät Humboldtallee 19 37073 Göttingen Prof. Dr. Heinz-Günther Nesselrath Seminar für Klassische Philologie Georg-August-Universität Göttingen Philosophische Fakultät Humboldtallee 19 37073 Göttingen Thema der Konferenz: „Recht und Religion in Europa – zeitgenössische Konflikte und historische Perspektiven“ Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung: 24.–26. Oktober 2007, Universität Göttingen Darstellung der wissenschaftlichen Zi elsetzung: Die geplante Forschergruppe „Recht und Religion“ hat sich als ein Zusammenschluß der Wissenschaften vom Alten Orient, von der griechisch-römischen Antike, der Theologie, vom Recht sowie der Islamwissenschaft an der Universität Göttingen mit dem Ziel etabliert, die Korrelation zwischen Religion und Recht in ausgewählten Zeiten und Regionen (Alter Orient/Antike, Modernes Europa, Islamische Welt) anhand konkreter Themenfelder zu untersuchen. Eines dieser Themenfelder ist der Spannungsbogen zwischen Recht als göttlicher Satzung und Recht als menschlicher Ordnung, der als Thema für die Konferenz gewählt wurde. Das unerwartete Wiedererstarken der Religionen (M. Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen, 2001) hat das Ende des westlichen Modernisierungsmythos mit der ihm inhärenten Idee einer teleologischen Entwicklung hin zu einer zunehmenden Entsakralisierung gezeigt und stellt die Staaten Europas und der Welt vor neue politische und rechtliche Herausforderungen. Wie verhält sich die ethisch-religiöse Legitimation des Rechts zu einem säkularen Rechtsverständnis europäischen Zuschnitts? Ist säkulares Rechtsverständnis, das Religionsfreiheit garantiert, wertfrei oder wertneutral? Wie aber positioniert es sich dann gegenüber religiös und/oder ideologisch legitimierten Normen, die eventuell den Grundlagen dieses säkularen Staates (Grundgesetz, Menschenrechte) widersprechen, wie beispielsweise im Fall einer traditionellen Interpretation des islamischen Rechts? Die Thematik ist bisher lediglich v. a. unter integrationssoziologischen und politikwissenschaftlichen Aspekten untersucht worden (vgl. etwa S. Nökel: Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam, 2002; B. Giesen / D. Šuber: Religion and Politics, 2005). Erforderlich ist aber die Analyse des öffentlich-rechtlichen Aspekts der Frage, um ein Konzept für die Integration und rechtliche Einbindung fremder, d. h. nicht-christlicher Religionsgemeinschaften zu erarbeiten. Da sich in den gegenwärtigen Diskursen die verschiedenen Interessengruppen auf vermeintlich historisch verwurzelte Konzepte berufen („invented tradition“: E. Hobsbawm: The Invention of Tradition, 2003; für Muslime in Europa s. W. Shadid / P. S. van Koningsveld [Eds.]: Political Participation and Identities of Muslims in Non-Muslim States, 1996), ist hieraus die Forderung nach einer interdisziplinären gegenwartsbezogenen und historischen Forschung abzuleiten. Die Frage nach dem Verhältnis von menschlich begründeter und religiöser Ordnung, von absoluter Wahrheit und zugleich von Normen, die eine diesseitige Regelung beanspruchen, gehört zu den Grundfragen der Rechtsphilosophie (H. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1976). Sowohl von Seiten der konzeptionellen Staatstheorie als auch von Seiten der Politik versuchte man, sie zu lösen. Die Vorstellung eines modernen säkularen Staates fußt auf der Überwindung des religiös legitimierten Staates und bindet die religiöse Macht in rechtliche Strukturen ein, wie beispielsweise im deutschen Staatskirchenrecht, beantwortet aber nicht die Frage nach der Legitimation von Recht in einem säkularen Kontext, um die nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland eine intensive Auseinandersetzung (Rechtspositivismus contra Naturrecht) geführt wurde. Von den Vorträgen und den interdisziplinären Diskussionen der Konferenz erwarten sich die Antragsteller nicht nur Aufschluß über historische Konfigurationen, sondern auch perspektivisch Lösungsmöglichkeiten für einen der wichtigen europäischen Kulturkonflikte, nämlich die Frage der Integration muslimischer Immigranten in die europäischen Gesellschaften. Trotz der bestehenden Unterschiede zwischen den europäischen Staaten in Hinblick auf das Verhältnis von Religion und Staat, die in sehr differenzierten Möglichkeiten –2– der Teilhabe der Religionsgemeinschaften und Kirchen am öffentlichen Leben der jeweiligen Staaten resultieren, stehen alle europäischen Staaten, sofern sie über einen nennenswerten muslimischen Bevölkerungsanteil verfügen, vor vergleichbaren Problemen. Die neueren Konflikte in Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien, aber auch in Deutschland belegen dies eindrucksvoll und stellen eine enorme politische und soziale Herausforderung für die betroffenen Staaten dar. Die Konferenz ist deshalb auch als Ausgangspunkt für eine europäische Kooperation und die Vernetzung der beteiligten und auch weiterer Wissenschaftler und Institutionen gedacht. Es ist geplant, die Vorträge sowie eine Zusammenfassung der Redebeiträge und Diskussionsergebnisse im Universitätsverlag Göttingen zu publizieren. Liste der Referenten: Bekir Alboga Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. Venloer Straße 160 50823 Köln Prof. Dr. Hans Neumann Institut für Altorientalische Philologie und Vorderasiatische Altertumskunde Westfälische Wilhelms-Universität Münster Rosenstraße 9 48143 Münster Dr. Hans Michael Heinig wissenschaftlicher Assistent des Juristischen Seminars der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg Friedrich-Ebert-Anlage 6-10 69117 Heidelberg Prof. Dr. Robin Osborne Professor of Ancient History King’s College Cambridge CB2 1ST, England Prof. Dr. Uwe Volkmann (zugesagt) Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht Johannes-Gutenberg-Universität Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Jakob-Welder-Weg 9 55099 Mainz Prof. Dr. Sophie Démare-Lafont Directeur d’Études à l’École Pratique des Hautes Études, Section des Sciences Historiques et Philologiques 46, rue de Lille 75007 Paris Prof. Dr. Matthias Koenig Institut für Soziologie Georg-August-Universität Göttingen Sozialwissenschaftliche Fakultät Platz der Göttinger Sieben 3 37073 Göttingen Prof. Dr. Christian Walter Lehrstuhl für Öffentliches Recht einschl. Völker- und Europarecht Westfälische Wilhelms-Universität Münster Bispinghof 24/25 48143 Münster Prof. Dr. Pieter Sjoerd van Koningsveld Leiden University Dpt. of Comparative Religion P.O. Box 9515 2300 RA Leiden, The Netherlands Prof. Dr. Raymond Westbrook Dpt. of Near Eastern Studies The John Hopkins University Baltimore MD 21218, USA Dr. Rolf Koppe Bischof a.D. der Evangelischen Kirche in Deutschland Herrenhäuser Straße 12 30419 Hannover –3– Programm mit Zeitplan: Das Rahmenprogramm der wissenschaftlichen Tagung sind zwei Abendvorträge bedeutender religiöser Würdenträger: Dr. Rolf Koppe, Auslandsbischof a. D. der Evangelischen Kirche in Deutschland, wird am Eröffnungsabend (24.10.2007) über Staat und Religion aus der Sicht der Kirchen, Bekir Alboga, Integrationsbeauftragter der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V.“, am Abend des folgenden Tages (25.10.2007) über die Frage der Positionierung der muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland sprechen. Der erste Konferenztag wird eingeleitet durch einen Überblick über historische Konzepte des Verhältnisses von Staat und Religion. Als Ausgangspunkt für eine historisch differenzierte Analyse der politischen Dimension von Religion und Recht eignen sich die Kulturen des Alten Orients und des alten Israel. Der Alte Orient hat wegen der in vielfacher Weise rezipierten Vorstellung vom sakralen Königtum wesentlich zur Bildung des Begriffs der Theokratie beigetragen (Démare-Lafont, Neumann, Westbrook). Eine Theokratie im eigentlichen Sinn läßt sich jedoch erst im alten Israel verfolgen, in dem der Glaube an eine Rechtssprechung, die nur durch Gott geregelt wird, geradezu „fundamentalistisch“ vorangetrieben wird. Die in beiden Kulturbereichen zu beobachtenden Säkularisierungs- und Theokratisierungsbewegungen lassen sich für die gegenwärtige Diskussion als paradigmatische Prozesse begreifen, die in der Klassischen Antike zugespitzt werden. Die griechisch-römische Antike kennt mit den Sophisten bereits im 5. Jh. v. Chr. die Infragestellung des Rechts als von Göttern und Heroen legitimiert und mithin einen Prozeß der Entsakralisierung (Osborne); auf der anderen Seite nimmt die griechische Polis – obwohl sie sich als rein menschliche Gemeinschaft konstituiert – sogar für sich das Recht in Anspruch, über „richtige“ und „falsche“ Götter ihrer Bürger zu entscheiden. Bezug zur gegenwärtigen Situation wird am Nachmittag des ersten Konferenztages hergestellt durch einen den modernen rechtlichen Rahmen der Thematik des Workshops skizzierenden Vortrag zum Verhältnis von Religion und Staat in ausgewählten europäischen Ländern, der die Unterschiede und Gemeinsamkeiten pointiert herausarbeiten soll (Walter). Die unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Systeme in den verschiedenen Staaten Europas sind historisch gewachsen und dementsprechend tief in ihrer jeweiligen Rechtskultur verwurzelt. Dieser Umstand leitet über zur Diskussion um eine „Leitkultur“ oder „christliche Leitkultur“, die momentan von politischer Ebene lanciert wird (dazu keynote-speech von Volkmann). Sie spiegelt einen gesellschaftlichen Diskurs um die Legitimation von Recht wider und kann zugleich als eine Antwort auf die u.a. von muslimischen Gruppen eingeforderte Integration unter Berücksichtigung ihrer eigenen Rechtskonzepte gesehen werden, die allerdings bedingt durch die inhomogene Zusammensetzung muslimischer Gruppen in Europa und den dem islamischen Recht inhärenten Pluralismus von Auslegungen (traditionell, modern, islamistisch) sehr unterschiedlich sind (van Koningsveld). Dem wird in der Konferenz durch eine Gegenüberstellung beider Themenbereiche im zweiten Teil des Vormittags des ersten Konferenztages (25.10.2007) Rechnung getragen. Es stellt sich die Frage, wie eine solche (christliche?, jüdische?, europäische?) Leitkultur aussehen kann und welche Konzepte muslimische Immigranten entwickeln, um sich im Rahmen einer solchen Leitkultur positionieren zu können. Muslimische Immigranten ebenso wie christliche Kirchen versuchen derzeit, bestehende Ideologien historisch zu verankern, um sie für die gegenwärtige Diskussion fruchtbar zu machen. Am dritten Konferenztag (26.10.2007) wird die Behandlung der modernen Thematik fortgesetzt durch eine kritische Evaluation der Säkularisierungsthese aus soziologischer und theologischer Sicht (Koenig, Heinig). –4– Zeitplan: Mittwoch, 24.10.2007 Abendvortrag: • 20.00: Dr. Rolf Koppe: Religion und Staat in Deutschland aus Sicht der Kirchen Donnerstag, 25.10.2007 Sitzung am Vormittag: • 9.00-10.00: Prof. Dr. Chr. Walter: Das Verhältnis von Religion und Staat in ausgewählten europäischen Staaten: Unterschiede und Gemeinsamkeiten • 10.00-11.00: Prof. Dr. R. Westbrook: Law and Religion in Mesopotamia and Biblical Israel • 11.00-12.00: Prof. Dr. R. Osborne: Law and Religion in Classical Athens • 12.00-12.30: Kaffeepause • 12.30-13.00: Prof. Dr. S. Démare-Lafont: Recht und Religion im alten Orient (Vortrag wird verlesen) • 13.00-14.00: Prof. Dr. H. Neumann: Recht und Religion in den frühen Hochkulturen Mittagspause / Lunch Break Nachmittagssitzung: • 16.00-17.00: Keynote-speech von Prof. Dr. U. Volkmann: Leitkultur • 17.00-18.00: Antwort von Prof. Dr. P. S. van Koningsveld: Islam in Europe Abendvortrag: • 20.00: Bekir Alboga: Religion und Staat in Deutschland aus Sicht der muslimischen Religionsgemeinschaften Freitag, 26.10.2007 Sitzung am Vormittag • 10.00-11.00: Prof. Dr. H.M. Koenig: Recht und Religion in „postsäkularen“ Gesellschaften – soziologische Perspektiven • 11.00-12.00: Dr. H.M. Heinig: Kritische Evaluation der Säkularisierungsthese • 12.00-13.00: Abschlussdiskussion –5–