Dr - Transatlantic Trends - The German Marshall Fund of the United

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Dr. Ulrike Guérot
Senior Transatlantic Fellow, Europe
German Marshall Fund of the United States
Vortrag Jubiläumsfeier Bosch-Stiftungskolleg
17. September 2005
‚Deutschlands Rolle in einer globalen Welt’
Sehr geehrte Damen und Herren,
Als ich gestern einen Anruf erhielt und gebeten wurde, kurzfristig für Herrn Botschafter
Timken einzuspringen und einen kleinen Vortrag über ‚Deutschlands Rolle in einer globalen
Welt’ zu halten, habe ich mich natürlich sehr gefreut; gleichzeitig aber war mir ein bisschen
mulmig zumute, vor solch einem herausragenden Publikum einer so renommierten Stiftung
wie dem Bosch-Stiftungskolleg zu sprechen. Und natürlich kann ich mitnichten Ambassador
Timken vertreten.
Gleichzeitig aber ist mir das Stiftungskolleg und seine Arbeit bestens vertraut, weil ich schon
öfter die Gelegenheit hatte, vor Stipendiaten zu sprechen, um Fragen, insbesondere Fragen der
europäischen Integration, zu diskutieren, und das waren immer sehr reiche Gespräche.
Darum möchte ich der Bosch-Stiftung gleich an dieser Stelle danken, auch heute an dieser
Stelle ein paar Ausführungen zum Thema ‚Deutschland in einer globalen Welt’ machen zu
dürfen, wobei ich mich besonders auf Deutschlands Rolle in Europa und die transatlantischen
Beziehungen konzentrieren werde. Ich möchte dies tun aus der Sicht einer ‚Beobachterin’,
die sich seit längerem mit Fragen der europäischen Integration beschäftigt, und seit neuestem
immer intensiver mit den transatlantischen Beziehungen. Dabei möchte ich aber auch die eine
oder andere persönliche Meinung oder Einschätzung zum Ausdruck bringen. An dieser Stelle
möchte ich anfügen, dass das hier Angeführte meine eigenen Überlegungen sind, und nicht
notwendigerweise in ihrer Gänze Meinungen des German Marshall Fund of the United States
zum Ausdruck bringen.
Vorgehen möchte ich dabei in drei Schritten:
Zunächst möchte ich versuchen darzustellen, wie Deutschland im Ausland perzipiert wird.
Dabei kann ich mich natürlich nur auf eine Wiedergabe dessen beschränken, was mir in
vielfältigen Gesprächen mit ‚Ausländern’, Europäern sowie Amerikanern so zugetragen wird.
Und möchte auch nicht unbedingt behaupten, dass dies repräsentativ ist.
In einem zweiten Schritt möchte ich dann versuchen zu analysieren, wo Deutschland derzeit
in der Welt steht? Wie wurde die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahren
wahrgenommen? Was hat sich unter Schröder/ Fischer geändert? Was zum Gutem, was
möglicherweise zum Schlechten? Wo sind andere Länder besorgt um unsere zukünftige
Orientierung?
Und schließlich möchte ich dann, drittens, versuchen auszuführen, was ich denke, was die
Notwendigkeiten in der deutschen Europa- und Außenpolitik der zukünftigen deutschen
Regierung sein werden, welche Regierung wir auch immer haben werden.
Die Perzeption Deutschlands in der Welt
In aller Kürze lässt sich wohl sagen: sie ist gut. Deutschland wird noch immer geschätzt, ernst
genommen, beobachtet. Wir werden nicht beäugt oder mit Misstrauen bedacht. Aber
manchmal runzelt man die Augenbrauen über die Verkrustungen, vor allem viele
‚ausländische’ junge Leute, die ich kenne, und die hier leben. Auf der kursorischen oder
anekdotischen Ebene sind Ladenschluss oder die mittelalterlich anmutende Unmöglichkeit der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland durchaus ein Thema, sowie ‚’the
German Angst’ oder ‚Le Waldsterben’ vor 20 Jahren schon als Kuriosität durch englische und
französische Gazetten huschten.
Auf der historisch sensibleren Ebene sind die Diskussionen wie jene um das Museum für
Vertriebene – und vor allem die Art, wie sie von einigen hier geführt wird - insbesondere in
Osteuropa ganz problematisch und unsere Verkrampfung, an der Geschichte festzuhalten,
wird mit Kopfschütteln bedacht. Man hat den Eindruck, dass sich fast alle leichter damit tun,
Deutschland als ‚normal’ zu betrachten, als die Deutschen selbst. Und die zweite Diskussion,
die ich als problematisch wahrnehme, ist die Frage, wie Deutschland mit dem Thema
Migration umgeht. Nicht, dass es solche Probleme und schwierige Diskussionen auch in
Frankreich, den Niederlanden oder woanders gäbe; aber unsere besonders schwermütig2
schwerfällige Art, mit Migranten umzugehen, unsere sehr unschöne Diskussion über die
Türkei, unsere Nicht-Offenheit, die sich ablesen lässt in der Art und Weise, wie wir noch bis
vor kurzem ‚Staatsbürgerschaft’ über ius sanguinis definiert haben, sowie an vielen
Ausbrüchen der Xenophobie; unsere augenscheinlich besondere ‚Kunst’, türkische oder
russische , Parallelwelten’ in Deutschland zuzulassen, und davor die Augen zu verschließen,
während Staaten wie Kanada oder Neuseeland hervorragende Resultate dabei haben, Schulen
mit 60% Ausländeranteil zu organisieren und erfolgreich zu machen und in Menschen
Potential und nicht nur Bedrohung sehen, und Asylanten in anderen Ländern arbeiten dürfen.
Dies alles sticht doch irgendwie besonders hervor, wird wahrgenommen, und thematisiert.
Vor allem aber ist, glaube ich, der wichtigste Punkt, dass Deutschland undurchsichtig ist, weil
es so komplex ist. Angefangen vom Wahlsystem (2 Stimmen und ‚Überhangmandate’), das
kaum einem ausländischen Journalisten zu erklären ist, bis hin zur Auffächerung in BundLänder und Gemeinden, unser ‚Flächentarifsystem’ oder unser Steuersystem, die Rolle der
Kirche im Staat (Kirchensteuer oder das ‚Wort zum Sonntag’) oder: Deutschland ist
‚inexplicable’, intraduisible’: Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Zustimmungsgesetz,
Vermittlungsausschuss, Flächentarifvertrag, Mittelstand, Kreissparkasse, Bündnis für Arbeit
oder Daseinsvorsorge sind alle unübersetzbar, unerklärbar, irgendwie absonderlich, irgendwie
nicht modern, und dahinter stehen eben nicht nur Systeme, sondern vielleicht systemische
Schwierigkeiten für Deutschland in der Welt bei der Wahrnehmung einer internationalen
Rolle. Wir sind nicht klar. Und zudem immer noch einen Tick kollektiv melancholischer als
die anderen.
Wo stehen wir außenpolitisch in der Welt?
Nun, wir stehen in der Mitte. Und gerade jetzt, anlässlich der Wahlen, in der Mitte der
Aufmerksamkeit. Ich denke, viele von Ihnen haben die CNN-Plakate gesehen: ‚60 Mio
Voters, but 6,5 Bio spectators’. Oder: ‚Germany is voting, but the world is watching you’.
Wir sind das vielleicht wichtigste Land in Europa – jedenfalls eins, an dessen Orientierung
einiges hängt und Europa ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde mit Deutschland als
ökonomischem Zugpferd. Wird die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung kommen und
wieweit werden die Reformen gehen? Wird Deutschland wieder Amerikas Juniorpartner oder
nicht? Wird Deutschland Frankreich fallen lassen? Wird es härter gegenüber Russland
auftreten? Das Verhältnis zu Osteuropa verbessern? Die Einhaltung der Menschenrechte in
3
China fordern? So ungefähr lauten die – jedenfalls mir – meistgestellten Fragen von
Journalisten.
Wir stehen also in der Mitte, von Deutschland hängt viel ab, es trägt Verantwortung. Ich
denke tatsächlich, dass von dem, was in Deutschland passiert, ein gewisser ‚spin’ abhängt für
das, was europäisch, transatlantisch und damit auch in der Welt passieren kann.
Aber zunächst: wie ist die Lage?
Wenn man sie so benennen möchte, ist die Negativ-Liste unserer außenpolitischen Situation
lang: wir haben sehr problematische Beziehungen zu den USA, die doch immer unser
herausragendes Standbein waren, bis sich Deutschland 2003 zum ersten Mal in seiner
Geschichte in einer strategischen Frage von Krieg und Frieden nicht an die Seite der USA
gestellt hat, was in der Tat einer tektonischen Verschiebung gleich kommt, wenn man die
deutsche Außenpolitik an den Parametern der deutschen Außenpolitik von Adenauer bis Kohl
messen möchte, in der stets europäische Integration und transatlantische Beziehungen zwei
Seiten derselben Medaille waren. Dabei möchte ich offen anmerken, dass ich in der Sache
nicht gegen die deutsche Regierungsposition gewesen bin; auch ich persönlich, zusammen mit
vielen anderen, habe den Irak-Krieg für falsch gehalten. Aber der Preis, den wir, zumindest
vorübergehend, dafür bezahlt haben, nämlich die Spaltung Europas, die wir gerade mühsam
überwinden, den fand ich zu hoch, und ich denke, es hätte Lösungen gegeben, um diese fatale
Konsequenz, die uns immer noch belastet, zu vermeiden.
Deutschland hat vermeintlich exzellente Beziehungen zu Frankreich, aber ich möchte im
weiteren Verlauf versuchen zu begründen, warum diese Beziehungen im Grunde genommen
derzeit höchst kontraproduktiv für Deutschland und Europa als Ganzes sind. Durch die sehr
engen, zu engen Beziehungen zu Frankreich hat Deutschland seine vierfache Brückenfunktion
in Europa aufgegeben: die Brücke zu den kleinen Ländern, jene zu Großbritannien, jene nach
Osteuropa, und jene zentrale zu den USA. Die Essenz der deutsch-französischen Beziehungen
in Europa und für Europa war es stets, die anderen Staaten mitzuziehen. Europäische
Fortschritte konnten immer dann erzielt werden, wenn Deutschland und Frankreich, die meist
von unterschiedlichen Positionen kamen (z.B. beim Euro) sich auf einen Kompromiss
verständigen konnten, der Plattform für die Zustimmung der anderen Länder werden konnte.
Genau dies aber war in den letzten Jahren nicht der Fall. Es war genau die zu große Intimität
und Exklusivität, die bei unseren anderen EU-Partnerstaaten Misstrauen hervorgerufen hat. Es
war der schale Beigeschmack der Tatsache, dass der deutsch-französische Kompromiss zwar
vielleicht Deutschland und Frankreich, aber nicht unbedingt Europa dient (siehe Göteborg
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2001 oder Kopenhagen 2002). Es war die Tatsache, dass sich Deutschland und Frankreich
angemaßt haben, dass ihre Meinung diejenige der EU ist oder sein müsse (siehe Irak). Und
wir haben übersehen, dass Führung verdient werden muss, dass man aber schlecht den
Großmeister der Integration spielen kann, wenn man sich selber nicht an die Regeln hält
(Stabilitätspakt). Und jenes Gefühl, dass vor allem Deutschland und Frankreich gerne in den
letzten Jahren vermittelt haben, nämlich dass eigentlich nur sie wissen, wie Europa eigentlich
auszusehen hat, wie die ‚politische Union’ auszusehen hat und wer dazugehören darf,
anknüpfend leider allzu oft an die Diskussion der 90er Jahre über Kerneuropa, befangen in der
Nostalgie des ‚l’Europe de Charlemagne’ – Wobei doch, diese Fußnote sei mir hier erlaubt,
gerade Deutschland und Frankreich wegen Scharmützel über ‚fédération’ oder ‚gouvernement
économique’ in den 90er Jahren selbst alle ‚windows of opportunities’ verpasst haben, um
eben diese ‚politische Union’ zu bauen, einmal 1994 (Kerneuropa-Papier), und einmal 2000,
als die Franzosen den EU-Gipfel in Nizza zum Desaster haben werden lassen!
Nein, man hatte leider nicht das Gefühl, dass Deutschland und Frankreich in den letzten
Jahren das große, das moderne Europa vorbereitet haben.
Wir haben einen nicht unbedingt guten Ruf in Osteuropa, und zwar nicht nur im Baltikum und
in Polen aus gegebenem Anlass; wir haben pro forma gute Beziehungen zu Russland, aus
denen wir – natürlich abgesehen vom Erdgas! – aber bisher keinen politischen Vorteil
(Einflussnahme auf die russische Politik in Tschetschenien z.B.!) gezogen haben (und ähnlich
dürfte dies auch für unsere Beziehungen China gelten).
Ferner haben wir die europäische Bühne nicht nur sträflich vernachlässigt, sondern sogar
einige Prinzipien unserer Integrationspolitik über Bord geworfen; wir pflegen nicht mehr die
Kommission und das Europäische Parlament, sondern haben uns mit Frankreich zusammen
‚intergouvernementalisiert’. Wir haben die kleinen Länder in der EU übersehen, eine
zunehmend nationale Diktion entwickelt – ohne dass wir dadurch zwingend ‚deutsche
nationale Interessen’ (wenn es denn solche gibt) sichtbar besser durchgesetzt hätten.
Und schließlich haben wir uns durch die Jagd auf einen Sitz im Sicherheitsrat in kühne – und
wie sich dann herausgestellt hat: kühle – Sphären emporgeschwungen, die uns nicht gut
bekommen sind. Es gleicht alles ein bisschen dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem
Dach. Unser europäisches Haus – das doch gerade DAS Haus für Deutschland ist – haben wir
nicht bestellt. Und die Kathedrale nicht bekommen. Und dies alles, diese These möchte ich
hier wagen, da wir unsere ureigene Symbiose zwischen deutschen und europäischen
5
Interessen in den vergangen Jahren allzu oft übersehen haben, sondern zunehmend ‚deutsche’
gegen ‚europäische’ Interessen ausgespielt und dabei auch vergessen haben, dass vieles, was
in deutschem Interesse ist, nur europäisch erreicht werden kann. Deutschland war immer das
einzige der drei großen europäischen Länder mit ‚esprit communautaire’. Großbritannien und
Frankreich sind zwar groß, aber nicht so sehr communautaire’; beide auf ihre Weise. Und
Italien (und Spanien) sind zwar – wenn auch beide ein bisschen unterschiedlich stark –
‚communautaire’, aber eben nicht ganz so groß. Dieses Markenzeichen, das zugleich ein
gewichtiger Kitt der EU gewesen ist, dies haben wir aufgegeben.
Die Positiv-Liste der deutschen Außenpolitik nun, denn ein paar positive Aspekte gibt es ja
auch:
Deutschland ist natürlich global gewachsen und hat Verantwortung übernommen, vor allem
militärische: im Balkan, in Afghanistan. Dass dies in dieser Koalition möglich war, das ist
vielleicht der größte Verdienst. Damit hat Deutschland nicht nur ein Stück Normalität,
sondern auch ein Stück Größe gewonnen. Die Wiederentdeckung von ‚deutschen’ Interessen
und inzwischen auch deutschen ‚Ambitionen’ in der Welt oder besser für die Welt hat auch
einen gesunden, heilsamen Aspekt. Damit einher geht ein Stück neues Selbstvertrauen, das
wichtig ist.
Was ist zu tun?
Natürlich ist es immer sehr leicht zu sagen, was getan werden müsste, wenn man keine
Verantwortung trägt und nicht in partei- oder machtpolitische Kompromisse genötigt wird,
wenn der Blick auf das Gewünschte vielleicht den Blick auf die Realität verstellt. Dies ist
vielleicht mein Fehler. Und dennoch möchte ich mir erlauben, hier einfach mal zu skizzieren,
was ich denke, was eine neue deutsche Regierung machen müsste. Es ist eine Art
Wunschliste, aber manchmal scheint mit, dass dies Teil des Problems ist, nämlich dass wir gar
nicht mehr so genau wissen, was wir uns außenpolitisch eigentlich wünschen sollten und vor
allem Dingen die Dynamiken zwischen Innen- und Außenpolitik immer noch nicht
ausreichend beleuchten:
1. Europa wieder Ernst nehmen und bauen – aber nach vorne, nicht zurück!
Ich persönlich habe es als fast erschreckend gefunden, wie wenig Europa, die EU, in
diesem Wahlkampf vorgekommen ist, weder als Rahmen oder Referenz für nationale
6
Debatten, noch als Lösung. Auch die gesamte sozial-ökonomische Reformdiskussion hat
keinerlei Einbindung in europäische Zusammenhänge erfahren.
Europa erscheint höchstens als Problem (Erweiterung, Budget); die Europadebatte ist eine
einzige Abwehrdebatte, angefangen beim Feinstaub bis hin zur Türkei. Manchmal scheint
es, dass man sich vor zuviel Europa gleichsam nach innen – zuviel Integration – und nach
außen – noch mehr Länder – schützen müsste, bzw. dass ein Gegensatz aufgebaut wird:
wenn noch mehr Länder kommen, dann kann die Integration nicht mehr funktionieren.
Darum, so heißt es, müsse jetzt endlich die Finalität Europas und müssen die Grenzen
definiert werden.
Ich denke hingegen, dass beides immer noch zusammengehört, und dass auch weiterhin
die Erweiterung die Vertiefung bedingen wird.
Darum
möchte
ich
die
umgekehrte
These
wagen,
nämlich
dass
wir
die
Finalitätsdiskussion ad acta legen sollten. Europa, die EU ist nicht statisch. Die EU ist
Prozess und Projekt. Und das ist vielleicht ihre größte Stärke, denn es kann ihr erlauben,
sich an die Welt, wie sie morgen sein wird, anzupassen, sich darauf einzustellen. Der
eigentliche Punkt scheint mir zu sein, dass, wenn wir die Grenzen ändern, wir auch das
Projekt der Integration ändern müssen. Neue Länder werden nicht in die EU von heute
kommen, sondern in eine andere. Um es auf den Punkt zu bringen: wir werden die Türkei
nicht in das Europe de Charlemagne integrieren. Aber vielleicht werden wir die Türkei in
eine neue, veränderte Europäische Union aufnehmen können.
Die EU neu denken. In den Parteiprogrammen habe ich dazu leider nichts gelesen. Und
doch steht die EU nach den gescheiterten Referenden vor der vielleicht größten
Herausforderung ihrer Geschichte. Das Neudenken muss allerdings in der nächsten
Legislaturperiode erfolgen, denn die Welt wartet nicht. Ich würde mir wünschen, dass für
diese Diskussion große Impulse von Deutschland ausgehen, und möchte dazu eine
konkrete Idee ansprechen: wir sollten darauf hinwirken, Verfassung und Vertragsreform
zu trennen. Denn es war u.a. die Tatsache, dass das Dokument zu lang und zu
übersichtlich war, die zu seiner Ablehnung geführt hat. Meine Idee wäre es, eine schlanke,
übersichtliche Verfassung, im Wesentlichen den Teil I und die Grundrechtecharta, 2007
neu zu verabschieden. Unter deutschem Impuls sollten wir dabei versuchen, das Datum
des 27. März 2007, den 50. Geburtstag der Römischen Verträge, zu nutzen, der im übrigen
mit der nächsten deutschen EU Präsidentschaft zusammenfallen wird. Dieses Datum sollte
uns erlauben, noch einem die ‚große Laute der Geschichte’ zu spielen, und die Bürger
7
auch emotional wieder zu der Schönheit und dem Reichtum des europäischen Projektes zu
führen, das auch morgen noch das sein wird, was es seit seinen Anfängen war: Garant für
Frieden, Freiheit, Sicherheit und Stabilität.
Die technische Vertragsreform kann dann zwischen 2007 und 2009 passieren. Nizza kann
bis 2009 gelten, ohne das die EU Schaden erleiden wird. Problematisch wird Nizza erst
beim Beitritt des 28. Landes – wahrscheinlich Kroatien – denn der Vertrag gilt nur für 27
Staaten. Insofern sollten wir bis Ende der Dekade eine Vertragsreform erreichen, uns
dafür
aber
Zeit
nehmen.
Ich
glaube
nicht
daran,
dass
die
österreichische
Ratspräsidentschaft hier Großes leisten kann; ich denke, dass wir in Frankreich einen
Regierungswechsel brauchen, um diesem Ziel näher zu kommen. Ich glaube auch nicht
daran, dass uns die großen transnationalen Debatten über die Zukunft Europas viel
bringen (was verstehen wir unter ‚sozial’? die Frage ist so nicht zu beantworten….), und
ich denke, dass Deutschland daher einen solchen Zeitrahmen vorbereiten sollte.
Das heißt nicht, dass wir bis 2007 nichts tun. Im Gegenteil: es sollten viele pragmatische
Schritte unternommen werden, und Deutschland könnte hierfür resolut die Initiative
ergreifen:
-
Der konsequente Ausbau eines Europäischen Diplomatischen Dienstes
-
Die Erweiterung des Schengen-Raums nach Mittel- und Osteuropa ab 2006
-
Die Erreichung der Headline Goals inkl. der Battle Groups und Gallilei, sowie die
Schaffung einer europäischen Armee
-
Die Heranführung der mittel- und osteuropäischen Länder an den Euro – dem Juwel
der europäischen Integration - bis 2010
-
Ein unbedingt erfolgreicher Beitritt Bulgariens und Rumäniens
-
Konstruktive Lösungen für den Balkan
-
Auch Zukunft pragmatisch denken und auf kommende, große Veränderungen
einstellen. Z.B. gibt es Simulationen, nach denen Deutschland, Frankreich und Italien
auf der BIP-Basis ca. 2007 von den sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland,
Indien und China) überholt werden. Wir sollten daher darüber nachdenken, ob nicht
die EU/ Eurozone als solches in der G-8 vertreten sein sollte.
-
Ein EU Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
Das alles würde gleichsam faktische Schwerkraft für das Projekt Europa schaffen, die dann
für die Vertragsreform hilfreich sein würde.
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Deutschland fällt hier eine große Aufgabe zu, denn es muss zwischen Großbritannien und
Frankreich vermitteln, und zwar auf mehreren Ebenen. Im Grunde genommen bedarf es heute
eher eines britisch-französischen Motors oder Konsenses in der EU, denn eines deutschfranzösischen, stellen doch Frankreich und Großbritannien die Antipoden in der EU dar,
hinsichtlich ihres Sozialmodells, ihrer Haltung zu den USA sowie ihrer Position in den EUBudget-Verhandlungen.
Das Budget wird die erste Aufgabe sein, wo Deutschland sich in die Mitte der beiden stellen
kann: die Briten müssen auf den Rabatt und die Franzosen noch mehr auf die GAP verzichten,
damit ein modernes Europa entstehen kann. Denn ein neues Europa braucht auch eine neue
Re-allokation von Ressourcen.
Dies wird schwierig, denn schon jetzt sind die Franzosen besorgt, dass eine neue Regierung
Merkel ‚Frankreich fallen lassen könnte’. Ich denke, dies ist nicht der Punkt. Deutschland
kann und darf Frankreich nicht fallen lassen. Frankreich ist und bleibt wichtigster
strategischer Partner und kann durch niemanden ersetzt werden. Zumal Großbritannien ja nur
halb in Europa ist (Schengen/ Euro). Aber Deutschland muss wieder fordernder (‚plus
exigeante’) gegenüber Frankreich werden, denn Europa war oft ein französisches Projekt,
aber zu deutschen Konditionen, und auch das haben in letzter Zeit vergessen. Und natürlich
muss Deutschland seine eigenen europapolitischen Hausaufgaben machen. Ein solch
erneuertes deutsch-französisches Tandem hätte wieder alle Chancen, Führung zu übernehmen
und wieder Respekt zu erlangen, auch und vor allem in Osteuropa, der anderen großen
Baustelle Deutschlands.
Das Budget, die erwähnten pragmatischen Schritte und eine Trennung von Verfassung und
Vertragsreform sowie eine schöne Feier im März 2007: das wäre meine europapolitische
Wunschliste an Deutschland nach innen.
Nach außen, was die Grenzen der EU betrifft, hätte ich zwei Wünsche (oder auch Ideen): ich
hätte gerne, dass Deutschland in den nächsten Jahren die treibende Kraft für eine Diskussion
über ‚The costs of non-enlargement’ wird. Eine Art Cecchini-Bericht1 über die politischen,
ökonomischen und kulturellen Kosten der Nicht-Erweiterung.
Ich denke nämlich, dass dies in der Diskussion viel zu oft übersehen wird. Was auf dem Spiel
steht, ist nicht weniger als folgendes: die Glaubwürdigkeit der EU, wenn wir unser
1
1988 errechnete Paolo Cecchini im Auftrag der Europäischen Kommission, was eine Nichtverwirklichung des
europäischen Binnenmarktes kosten würde.
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Beitrittsversprechen mit der Türkei brechen; die Chance, ‚to proof Huntington wrong’,
nämlich die Chance auf eine cross-nationale und cross-kulturelle und cross-religiöse
Verständigung mit der muslimischen Welt; Wachstumspotentiale östlich und südlich unserer
Grenzen, die ja gerade dann weniger zur ‚Gefahr’ werden, wenn wir die domestizierenden
Instrumente des Binnenmarktes haben und anbieten können. Stabilität, Sicherheit….
Kurz: ich wünsche mir, dass der Begriff ‚europäische Geo-strategie’ zu deutschen Vokabel
wird, und zwar einhergehend mit dem Begriff der europäischen Interessen. So wichtig der
Begriff der Identität ist: es gibt keine Politik ohne Interesse. Allzu oft wird getan, als sei die
EU eine Art altruistischer Folkloreladen, nett zu allen, nie fordernd, eine Art Mäzen. Das ist
aber nicht so. Mit europäischer Geo-strategie meine ich nämlich, dass es um unsere Interessen
geht, um unsere Energiesicherheit, um unsere Rolle um Kaukasus und im Schwarzmeerraum,
um unseren Einfluss auf den Nahen Osten, um einen stabilen und prosperierenden Balkan
oder um unser Verhältnis zu Russland. Im Rahmen einer europäischen Geo-Strategie, einer
Europäisierung der deutschen Russlandpolitik, könnten auch Spannungen wie wir sie jüngst
erlebt haben, vermieden werden. Aber natürlich geht es dabei auch darum, dass wir die
‚transformative Kraft’ der EU, d.h. also den Zwang, die anderen auf unsere Regeln zu
verpflichten (was wir ja wollen), nur haben, wenn wir auch klare Beitrittsperspektiven
anbieten. Im übrigen: so zu tun, als würden die Staaten, wie etwa die Türkei oder auch
Georgien etc. irgendwie von der Landkarte verschwinden, ausradiert werden, wenn wir dies
nicht tun, ist natürlich illusorisch. Die Probleme blieben; wir würden uns nur den
Handlungsrahmen vergeben, sie zu lösen.
Wenn wir den Begriff des ‚positiven Imperiums’ für die EU Ernst nehmen (siehe den von H.
Münkler verwendeten Begriff der‚soft-super-power’, der in seinem letzten Buch darlegt, dass
Europa in seiner Außenpolitik Anleihen bei imperialen Strukturen nehmen sollte2), dann darf
nicht jedes neue Land als Bürde empfangen, sondern sollte als Chance gesehen werden. Denn
ein ‚Imperium’ muss einfach groß sein. Es braucht Gewicht und Masse. Insofern sollten wir
uns auch überlegen, ob nicht jedes Land auch ein Zugewinn, jede Erweiterung der Eurozone
uns letztlich dienlich sein könnte.
Ich möchte hierbei nicht missverstanden werden: ich möchte keine sofortige Erweiterung um
x Staaten mehr, und zumal nicht unter aufgeweichten Bedingungen. Aber ich denke einfach,
dass wir die Frage, wer irgendwann in die EU soll und kann, heute nicht beantwortet werden
2
Herfried Münkler: Imperien. Berlin, 2005
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kann, und darum sollten wir diese Frage auch offen halten. Niemand kann wissen, wo wir
2010 oder 2015 stehen; ob die Ukraine dann eine Bereicherung für die EU sein könnte oder
nicht. Wir sollten der EU die Chance geben, an ihren Herausforderungen zu wachsen. Darum
müssen, ganz konkret, die Verhandlungen mit der Türkei jetzt beginnen.
Aber wir sollten der EU für dieses Wachstum auch neue Instrumente geben. Darum möchte
ich in die Diskussion als zweite Idee, die ich einer neuen deutschen Europapolitik gerne in
den Mund legen würde, den Begriff der ‚partiellen Mitgliedschaft’ anbieten. Nicht nur, weil
‚priviligierte Partnerschaft’ in meinen Augen viel zu arrogant klingt. Sondern weil das
Konzept erstens nichts enthält, was die Türkei nicht schon hätte, und zweitens wir uns die
semantische Haarspalterei zwischen Vollmitgliedschaft und priviligierter Partnerschaft sparen
sollten. Wer das Kommissionsdokument vom Oktober 2004 gelesen hat, wird festgestellt
haben, dass die Türkei dort ohnehin keine Mitgliedschaft im klassischen Sinn angeboten
bekommt und sie z. B. weder an der GAP noch in Bezug auf die Freizügigkeit voll beteiligt
würde.
Das Konzept einer partiellen Mitgliedschaft würde die Beitrittshürde niedriger setzen und
damit auch Ängsten in Westeuropa entgegenwirken. Es müsste natürlich institutionell
unterfüttert werden. Es wäre die Konkretisierung jener ‚Kerneuropa-Ideen’ in einem
modernen Sinn. Denn die EU hat segregierte Politikbereiche (Binnenmarkt, GASP, Schengen,
Steuern, Europol, Euro), von denen man sich durchaus vorstellen kann, dass sie sozusagen
einzeln bzw. Schritt für Schritt angeboten werden könnten. So können Potentiale der
konkreten Kooperation ausgeschöpft werden, ohne die Beitrittshürde zu hoch zu setzen, und
zum unglaubwürdigen Versprechen zu machen.
Transatlantische Beziehungen
Zum Abschluss jetzt noch meine Wunschliste für die deutsche Rolle in den transatlantischen
Beziehungen.
Vor allem, wenn Frau Merkel Kanzlerin wird, so wird verkündet, wird Deutschland seine
Beziehungen zu Amerika wieder nachdrücklich verbessern und Deutschland wieder Amerikas
Juniorpartner in Europa. Das ist in der Tat dringend notwendig, es wäre gut und
wünschenswert. Für Deutschland, für Europa und die USA. Denn tatsächlich geht in Europa
nicht viel ohne die USA, und kaum etwas gegen die USA. Für die europäische Integration ist
amerikanische Unterstützung unabdinglich. Und auch sie könnte wieder blühen, wenn
Deutschland nicht mehr ‚suspicious’ ist, wenn Deutschland gar noch Frankreich (unter
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Sarkozy) in einem transatlantischen ‚renouveau’ mitziehen könnte, und wenn der europäische
Osten sich nicht mehr Sorgen machen müsste, zwischen EU und NATO / USA zerrieben zu
werden. Kurz: wenn beides wieder zusammengehört, wie eh und je.
Ich sehe trotzdem zwei Probleme, ein kleines und ein großes, und zwar für alle potentiellen
neuen deutschen Koalitionen (besonders aber für Merkel).
Das kleine zuerst, und das Problem ist die Gefahr einer ‚post-honey-moon-depression’. Ich
meine damit die Gefahr, dass Frau Merkel, trotz all ihrer Ambitionen und ihrem Willen, die
transatlantischen Beziehungen zu verbessern, wahrscheinlich da nicht wird liefern können, wo
die USA es am meisten wünschen. Damit meine ich gar nicht einmal deutsche Truppen im
Irak. Und auch nicht – je nachdem wie sich die Lage im Iran und die transatlantische Strategie
entwickeln sollte – die wahrscheinliche Unmöglichkeit einer deutschen Regierung, sich aus
dem europäischen Konsens der ‚Big Three’ zu lösen.
Nein. Betrachtet man die Hauptthemen des US-Interesses in Europa, dann sind dies genau
Türkei, Balkan/ Kosovo, Schwarzmeerraum, also genau die ‚europäische Geo-Strategie’. Und
dies sind Themen, die in der amerikanischen Diskussion – oft kontraproduktiv – mit einer
europäischen Beitrittsperspektive verbunden werden. Genau hier aber wird insbesondere Frau
Merkel Probleme haben, in der Substanz zu liefern, wenn sie sich – unter dem Druck ihrer
Partei – diesen Debatten verschließen sollte. Nur Rhetorik wird aber in den transatlantischen
Beziehungen nicht lange weiterhelfen.
Nun zum vielleicht noch größeren – oder besser zum strukturellen – Problem. Und das heißt
für mich, dass wir eigentlich auch die transatlantischen Beziehungen neu denken, dass heißt,
in die Zukunft, und nicht zurück denken müssten. Mir scheint, zumal wenn ich z.B. das CDUParteiprogramm zu diesem Thema lese, als ob die Welt wieder in Ordnung wäre, wenn wir
nur zur alten schönen NATO zurückkehrten, diese wieder stärkten, und alles wird gut. So wie
vor 1989.
Wird es aber nicht. Denn die Welt hat sich geändert. Und ich denke, wir denken auch die
Veränderungen, die sich dadurch für das transatlantische Verhältnis ergeben, nicht resolut
genug zuende.
Ich möchte die These wagen, dass die NATO nicht mehr die am besten geeignetste Institution
ist, um die transatlantischen Probleme von heute zu lösen, einfach weil die heutigen
transatlantischen Probleme zu einem großen Teil keine NATO-Themen mehr sind:
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Transatlantische Streitpunkt sind heute Iran, Proliferation, das Waffenembargo mit China und
die Nachbarschaftspolitik der EU. Im breiteren Sinne auch Entwicklungspolitik, die Reform
der UN und die Milleniumsagenda. Dazu ICC und Kyoto. Nichts davon kann die NATO
wirklich lösen. Und auch im ‚Kampf gegen den Terror’, wenn man denn meint, dass er an der
Wurzel und nicht in erster Linie militärisch bekämpft werden muss, kann die NATO in letzter
Konsequenz nicht viel ausrichten. Sie kann vielleicht die Fische fangen, aber nicht den See
austrocknen.
Für viele dieser Dinge ist die EU inzwischen tendenziell der geeignetere Ansprechpartner. Die
EU verhandelt mit dem Iran, sie kann jedoch nicht unilateral das Waffenembargo mit China
aufheben; die EU kann (oder auch nicht) Beitrittperspektiven in ihrer Nachbarschaft anbieten
und damit dauerhafte Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesse zementieren. Die
Zukunft für den Balkan ist daher eher die EU und nicht die NATO. ICC und Kyoto,
Milleniumsagenda sind ebenfalls eher EU Themen, und ich denke, wir müssen es in den
transatlantischen Beziehungen ermöglichen, eine umfassende, globale Agenda zu behandeln.
Denn transatlantische Beziehungen sind eben heute keine Nabelschau mehr, in der wir uns im
Grunde selber gegeneinander betrachten, sondern in denen es darum gehen sollte, was wir wie
gemeinsam in der Welt tun.
Die EU ist möglicherweise die Institution, die in ihrer Komplexität Lösungen anbieten kann,
für Probleme, die eine politische und wirtschaftliche Dimension haben, weil die EU in ihren
Politikfeldern und Politikbereichen umfassend ist. Insofern wehre ich mich zunehmend gegen
die semantische Gleichsetzung von EU und NATO als ‚euro-atlantische’ Institutionen, als
wenn es dabei um das gleiche ginge. Ich denke daher, dass aus diesen Gründen die
Beziehungen zwischen den USA und der EU langfristig aufgewertet werden müssen.
Nun gibt es aber keine brauchbare und politisch ausreichend respektierte Einrichtung, kein
geo-strategisches Forum, um diesen EU-US Dialog zu den zentralen Themen, die uns
bewegen, zu führen. Das ist institutionell noch nicht gedacht, sollte aber vielleicht gedacht
werden. Denn transatlantische Beziehungen in der Zukunft sind eben nicht mehr, was wir
miteinander machen (wie wir miteinander mit einem Feind umgehen; UdSSR), sondern was
wir zusammen in der Welt und für die Welt machen. Dies setzt aber eine neue
Diskussionskultur über Ziele und Instrumente voraus, die vielleicht auch institutionelle
begleitet werden müsste. Denn der exogene Zwang der Bedrohung (und damit implizit die
sicherheitspolitische Abhängigkeit Europas von den USA) hält uns heute nicht mehr
zusammen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die jüngste Umfrage, die der GMF
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gerade wieder publiziert hat, die Transatlantic Trends 053, in der diese unterschiedlichen
Befindlichkeiten auf vielfältige Art und Weise in den Zahlen zum Ausdruck kommen.
Deshalb sollte ein Dialog ermöglicht werden, der in der Essenz gleichberechtigte
Partnerschaft und nicht Gefolgschaft zum Ziel haben, und es ist fraglich, ob die NATO hier
institutionell ausreicht, da dort die USA gleichsam Primus inter Pares sind, und die NATO
Konsensentscheidungen notwendig macht, wo vielleicht einmal kein Konsens besteht.
Das heißt nun gerade nicht, dass die NATO etwa obsolet ist. Aber sie sollte sich vielleicht
wieder mehr um ihr Kerngeschäft, die militärische Komponente, kümmern und dazu
notwendigerweise auch wieder ‚politisiert’ werden, wie viele es derzeit fordern. Im
militärischen Kerngeschäft hat sie sozusagen ihr ‚competitive advantage’, ist sie unersetzbar.
Und vielleicht sollte die NATO wagen, dies auszubauen? Etwa darüber nachdenken, ob man
Israel eine Mitgliedschaft anbieten könnte? Gerade vor dem Hintergrund der iranischen
nuklearen Bemühungen. Könnte dies nicht ein starkes, transatlantisches Signal sein? Wäre
dies nicht gerade für Deutschland eine Frage, die des Nachdenkens wert ist? Ich glaube, die
internationalen Beziehungen brauchen viel mehr ‚out-of the box’ Denken, als wir uns dies
heute klarmachen.
In der Zusammenfassung: wir müssen auch die transatlantischen Beziehungen nach vorne
denken dürfen, ohne in den Verruf des Anti-Amerikanismus zu kommen, oder den Verruf, die
Demontage der NATO betreiben zu wollen. Und wer anders als Deutschland könnte eine
solche Debatte konstruktiv anstoßen, hat unsere Glaubwürdigkeit, unsere transatlantische
Tradition, unser Gewicht? Wir sollten kreativ die Herausforderung annehmen, den ‚Westen’
auch institutionell und umfassender zu denken, als die NATO dies bieten kann. Vorschläge
dazu gibt es bereits: ein ‚Transatlantischer Rat’, einmal jährlich, ähnlich dem EU-Rat? Ein
aufgewerteter US-EU Gipfel? Regelmäßige Minister-, Kommissionskonsultationen? Eine
transatlantische Freihandelszone? Wir müssen ja nicht soweit gehen wie Richard Rosencrance
in seinem jüngsten Artikel, der schlichtweg einen euro-amerikanischen Merger vorschlägt.
Obgleich ich gegen einen Beitritt der USA zur EU in letzter Konsequenz auch nichts hätte.
Aber gerade in diesem Zusammenhang möchte ich einen letzten Satz machen: den Westen
neu denken. Welches Land könnte besser geeignet sein, dieser Herausforderung auch
intellektuell nachzugehen als Deutschland, die wir von E. Kant bis H. Morgenthau große
Denker der internationalen Beziehungen hervorgebracht haben. Mir scheint aber, dass in
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The German Marshall Fund of the United States und die Compagnia di San Paolo mit Unterstützung der
Fundação Luso-Americana sowie der Fundación BBVA: Transatlantic Trends 2005
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diesem ‚den Westen neu denken’ auch eine Gefahr schlummert, nämlich die – leider auch
eine deutsche Idee – ein neues ‚Freund-Feind’ Schema zu erfinden. Hintergrund für den
neuen Zusammenschluss des Westens ist nämlich oft die ‚Gefahr’, die anderswo lauert, und
gegen die man sich zusammenschließen müsse, entweder die muslimische Welt, oder aber,
prosaischer, der Aufstieg Chinas.
Dazu nur ein Gedanke aus einer Diskussion letztens, in der ein US Redner eine chinesische
Rolle im Peace-Process des Nahen Osten forderte. Es sei unsinnig, dass sich die USA / der
Westen und China hier auch noch politisch Konkurrenz machten, denn eigentlich wollen wir
beide dasselbe: ’Stabilität und Cheap Oil’. Darum sollten wir uns mit den Chinesen
strategisch zusammentun. Mein erster Gedanke aber war: wie hätte ich auf diesen Satz
reagiert, wenn ich jetzt aus Syrien, Irak, Saudi Arabien oder Bahrein wäre? Und ich eigentlich
nur einen fordernden Hegemon gegen zwei eintausche, die eigentlich nur wollen, dass ich
ruhig bin und keine Ansprüche stelle. Kann so die Welt von morgen aussehen, die doch, wie
Michael Friedman schreibt, flach geworden ist? Kann es Strategie des ‚Westens’ sein, im
Prinzip darauf zu bestehen, dass der Westen (plus China?) Dinge besitzt, die wir anderen
Staaten nicht zugestehen (Atomwaffen)? Weil wir besser sind bzw. es immer waren? Müsste
die ehrliche Strategie eines modernen Westens mit China im Mittleren Osten nicht wenigstens
lauten: Stability and expensive oil, und wir dadurch unsere Bereitschaft bekunden, die
wirtschaftliche Entwicklung im Mittleren Nahen Osten voranzutreiben, und so auch dem
Terrorismus vielleicht seinen Nährboden zu entziehen?
Werden wir in der Lage sein, diese Themen mit den Amerikanern zu thematisieren? Wird
Deutschland es wagen? Ich würde es mir wünschen!
Nun werden sie alle sagen, ein so energisches Neudenken von Europa und den
transatlantischen Beziehungen ist Utopie. Vielleicht. Doch darauf antworte ich immer mit
Henry Kissinger: „Sceptics don’t build cathedrals.“ Ich wünsche mir das moderne, große,
offene Europa mit Deutschland in seiner energetischen Mitte und die transatlantische
Gemeinschaft, den Westen, als offene, der Welt zugewandte, entity, nicht exklusiv und
abschottend, und zwar ganz einfach für die Welt, in der meine Kinder leben sollen.
Damit die nicht wieder, wie einst Heinrich Heine 1851, in ihr Tagebuch schreiben müssen:
Meine Hühneraugen jucken
Habe deutsche enge Schuh
Und wo mich die Schuhe drücken
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Weiß ich wohl – laß mich in Ruh.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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