Der Kalte Krieg 1945 –1990 4.1 M1 M 14 Einordnung Zeitleiste 1945 8. Mai Kriegsende 17. Juli bis 2. August Potsdamer Konferenz der Siegermächte (Großbritannien, USA, UdSSR; Frankreich tritt dem Abkommen am 7. August unter Vorbehalten bei) 1946 22. Februar George F. Kennans (US-Diplomat) „Langes Telegramm“ 5. März Winston Churchill spricht von einem „Eisernen Vorhang“, der Europa von der Ostsee bis zur Adria teile 6. September James Byrnes’ (US Außenminister) Rede in Stuttgart 1947 1. Januar Die Bizone entsteht (aus der britischen und der amerikanischen Zone) 12. März „Truman-Doktrin“: US-Präsident Harry S. Truman mahnt, jede Nation müsse sich für eine von zwei Lebensformen entscheiden („Ost“ – „West“) 5. Juni „Marshallplan“: US-Außenminister George Marshall verkündet sein Programm für den Wiederaufbau Europas 1948 Juni Währungsreform in den Westzonen und Westberlin am 20. 6., in der SBZ am 23. 6. 24. Juni Die UdSSR reagiert auf die Währungsreform mit der Blockade der Zufahrtswege nach Westberlin 26. Juni Luftbrücke: Briten und Amerikaner versorgen Westberlin aus der Luft 1949 4. April Gründung der NATO in Washington 12. Mai Ende der Berlin-Blockade 23. Mai Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1. Oktober Mao Zedong begründet die kommunistische Volksrepublik China 7. Oktober Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) 1950 25. Juni Beginn des Koreakrieges (Stellvertreterkrieg im Kalten Krieg) 1952 10. März Stalin-Note: Stalin schlägt Friedensvertrag mit einem neutralen Gesamtdeutschland vor 26. Mai Adenauer unterzeichnet des Deutschlandvertrag („Generalvertrag“) 1953 5. März Tod Stalins 17. Juni Arbeiteraufstand in Ost-Berlin und der DDR 27. Juli Waffenstillstand im Koreakrieg 1955 5. Mai Der Deutschlandvertrag tritt in Kraft: Die Bundesrepublik erhält weitgehende Souveränität; Eintritt der Bundesrepublik in die NATO 14. Mai Gründung des Warschauer Pakts 23. September Hallstein-Doktrin: Alleinvertretungsanspruch für das gesamte deutsche Volk durch die Bundesrepublik (gilt bis 1969) 1958 27. November Beginn der Berlin-Krise (bis 1962) 1961 13. August Bau der Mauer in Berlin 1962 18. Oktober Kuba-Krise (bis 28. Oktober) 1963 10. Juni J. F. Kennedy leitet mit seiner „Friedensrede“ die Entspannungspolitik ein 15. Juli Egon Bahr (SPD): „Wandel durch Annäherung“ 1 M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 1964 August Beginn des Vietnamkrieges 1970 12. August Moskauer Vertrag 7. Dezember Vertrag mit Polen (Warschauer Vertrag) 1972 21. Dezember Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1975 1. August Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte 1977 28. Oktober Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) fordert eine westliche Nachrüstung, falls die UdSSR ihre SS-20-Mittelstreckenraketen nicht abbaut 1979 18. Juni SALT-II-Abkommen unterzeichnet in Wien 12. Dezember NATO-Doppelbeschluss: Verhandlungen oder Nachrüstung 27. Dezember Invasion der UdSSR in Afghanistan 1980 Juli/August Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1985 11. März Gorbatschow wird Parteichef des sowjetischen Politbüros 1986 25. Februar Gorbatschow führt die Rede- und Pressefreiheit ein („Glasnost“) 1987 8. Dezember INF-Vertrag: vollständige Beseitigung der Mittelstreckenraketen 1989 7. Oktober 40. Jahrestag der DDR 9. November Öffnung der Berliner Mauer 1990 6. Juli Londoner Erklärung der NATO-Staaten: „Die Atlantische Gemeinschaft (NATO) wendet sich den Ländern Mittel- und Osteuropas zu, die im ‚Kalten Krieg‘ unsere Gegner waren, und reicht ihnen die Hand zur Freundschaft.“ 3. Oktober Vollzug der Einheit Deutschlands 1991 26. Dezember Ende der UdSSR und Anerkennung Russlands als deren Rechtsnachfolger – Ende des Kalten Krieges Arbeitsauftrag Markieren Sie Epochen und Abschnitte (ca. fünf) und geben Sie ihnen markante Überschriften. Zur Topographie des Kalten Krieges 2 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Arbeitsaufträge zu den Karten 1. Analysieren und erläutern Sie die Karten jeweils vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Beachten Sie dabei unterschiedliche Aspekte (geostrategische, politische, wirtschaftliche usw.). 2. Erschließen Sie jeweils Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen (Schutzmaßnahmen, Einflussmöglichkeiten usw.). Deutschland 1948 http://www.west-alliierte-inberlin.de/pageID_5714192.html Berlin Grenzübergangsstellen: 1 Stolpe/Heiligensee (nur Transit) 2 Bornholmer Straße/Bösebrücke (nur Westberliner und Bürger der BRD) 3 Chausseestraße/Reinickendorfer Straße (nur Westberliner) 4 Invalidenstraße/Sandkrugbrücke (nur Westberliner) 5 Bahnhof Friedrichstraße 6 Checkpoint Charlie/Friedrichstraße (nur Ausländer und Diplomaten) 7 Heinrich-Heine-Straße/Prinzenstraße (nur Bürger der BRD) 8 Oberbaumbrücke (nur Westberliner) 9 Sonnenallee (nur Westberliner) 10 Waltersdorfer Chaussee (nur Westberliner, Ausländer, nur zum Flughafen Schönefeld) 11 Dreilinden Drewitz (nur Transit) 12 Griebnitzsee/Wannsee (nur Bahntransit) 13 Heerstraße 14 Staaken/Spandau (nur Bahntransit) 4.2 M3 5 Meinungen über den Kalten Krieg Traditionelle Auffassung Die traditionelle These ist schon 1946/47 besonders eindrucksvoll vom damaligen amerikanischen Botschaftsrat George F. Kennan formuliert worden, sie wurde bis spätestens Ende 1948 für den dominierenden Teil der amerikanischen wie der westeuropäischen Öffentlichkeit zur Gewißheit […]. Nach Ansicht dieser Autoren waren für die Entstehung des Kalten Krieges die marxistische Ideologie in ihrer sowjetischen Interpretation mit ihrem Anspruch auf Weltrevolution als Ergebnis eines weltweiten Klassenkampfes, die historischen Erfahrungen der Sowjetführung mit einer extrem feindlichen, auf die Beseitigung des Sowjetregimes hinarbeitenden Umwelt in den Jahren 1918 –1921 und die Sorge der sowjetischen Parteioligarchie um den Erhalt ihrer Macht in einer Mobilisierungs- und Entwicklungsdiktatur konstitutiv; sie legten die Sowjetführung auf eine prinzipiell feindliche Politik gegenüber den kapitalistischen Staaten fest, die sich zwar zeitweilig vorsichtig-pragmatisch des Mittels friedlicher Zusammenarbeit 3 M 14 10 15 20 25 30 bediente (Koexistenz-Doktrin), zugleich aber ständig nach Möglichkeiten Ausschau hielt, die nichtkommunistischen Kräfte zu schwächen und den von Moskau dominierten kommunistischen Machtbereich zu vergrößern. […] Die Führungskräfte der westlichen Welt, repräsentiert durch Präsident Roosevelt und seinen Außenminister Hull, dann ab April 1945 durch Präsident Truman und Außenminister Byrnes, verkannten zunächst den ambivalenten und potentiell expansiven Charakter der sowjetischen Politik. In einer Mischung aus idealistischer Hoffnung auf eine Demokratisierung des Sowjetsystems und resignativer Befürchtung, daß ein längerfristiges amerikanisches Engagement in Europa sich in den USA innenpolitisch nicht durchsetzen lassen werde, waren sie bereit, Stalins Streben nach sowjetfreundlichen Nachbarstaaten als legitimes sowjetisches Sicherheitsinteresse anzuerkennen, hofften aber gleichzeitig, die Sowjetunion in das System einer liberal-demokratischen „einen Welt“ integrieren zu können. Ohne konkretes Konzept für die Nachkriegs-Staatenordnung Europas und der Welt und mit einer verhängnisvollen Neigung, militärische Notwendigkeiten von politischen Folge-Erwägungen strikt zu trennen […] suchten sie die Kooperation für Stalin durch großzügiges Entgegenkommen attraktiv zu machen, erleichterten das Vordringen der Roten Armee bis in die Mitte Europas, gewährten der Sowjetführung ein Mitspracherecht über die Zukunft Deutschlands und setzten der Sowjetisierung Osteuropas nicht den nötigen und möglichen Widerstand entgegen.[…] Erst mit der sowjetischen Weigerung, auf all diese Kooperationsangebote einzugehen, wurde die Spaltung Europas und die Bildung zweier Machtblöcke unvermeidlich. Um einer weiteren Expansion des sowjetischen Machtbereichs vorzubeugen, entschlossen sich die amerikanischen Führungskräfte im Laufe des Jahres 1947, dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps der verbliebenen europäischen Staaten durch eine großzügige Wirtschaftshilfe und durch die Förderung der Integration dieser Staaten zu begegnen, zugleich die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands in diesen Wiederaufbauprozeß zu integrieren und damit die vorläufige Teilung Deutschlands zu akzeptieren. […] Die sowjetische Expansion konnte damit zumindest im europäischen Bereich aufgehalten werden; der sowjetische Expansionswille ist jedoch keineswegs erloschen. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt. 1941 –1955, München 1980, S. 10 –13. M4 5 10 15 20 Der Kalte Krieg 1945 –1990 Revisionistische Auffassung Die revisionistische These ist in permanenter Auseinandersetzung mit dieser westlichen Selbstinterpretation [gemeint ist M 3] entwickelt worden. […] Die Sowjetunion, so lautet die übereinstimmende Kritik dieser Autoren an der traditionellen These, kann nicht für die Entstehung des Kalten Krieges verantwortlich gemacht werden; sie war im Zweiten Weltkrieg nur knapp der militärischen Katastrophe entgangen, hatte einen unendlichen Verlust an Menschen und Ressourcen erlitten und stand bei Kriegsende der ökonomisch prosperierenden, traditionell antisowjetischen und nun über das Atomwaffenmonopol verfügenden Weltmacht USA nahezu hilflos gegenüber. Die sowjetische Politik, seit Stalins Machtübernahme eindeutig eher an der Sicherung des russischen Staates als an der Einlösung des weltrevolutionären Anspruchs interessiert, zielte wohl auf die Schaffung eines Sicherheitsglacis1 nicht-sowjetfeindlicher Staaten, insbesondere im osteuropäischen Raum, und auf die definitive Sicherung vor einem neuen deutschen Angriff; diese Ziele waren jedoch nicht a priori mit dem Konzept einer außengelenkten Sowjetisierung verbunden; sie legten sogar außerhalb des unmittelbaren sowjetischen Einflußbereichs eine ausgesprochen konservative Haltung nahe (um den potentiellen amerikanischen Gegner nicht unnötig zu provozieren), die die sozialistischen Bewegungen in West- und Südeuropa gleich bei Kriegsende entscheidend hemmte und damit den europäischen Kapitalismus lange vor dem Marshallplan vor dem Untergang rettete. Die Ursachen der Konfrontation sind vielmehr in der Struktur des ökonomisch-politischen Systems der Vereinigten Staaten zu finden. Zur Vermeidung existentieller Krisen war die liberal-kapitalistische Gesellschaft der USA seit ihrer Entstehung auf die permanente Erschließung neuer Handels- und Absatzmärkte und damit indirekt auch auf Ausdehnung ihres politischen Einflußbereichs angewiesen; dies führte nach der Schließung der „offenen Grenze“ im amerikanischen Westen zu einer weltweiten Politik der Offenen Tür […] – eine Politik, die unter dem Deckmantel formaler Chancengleichheit der stärksten Wirtschaftsmacht, also den USA, weltweit Dominanz sichern sollte. Die „eine Welt“ der Kriegszielpropaganda war keine idealistische Utopie, sondern Ausdruck realistischer und entschlossener Kriegszielpolitik der amerikanischen Führungskräfte, die die Notwendigkeiten ihres Gesellschaftssystems begriffen hatten. Ihre Politik zielte auf die „eine Welt“ der Pax Americana. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt. 1941 –1955, München 1980, S. 13 –15. Erläuterung: 1 Sicherheitsglacis: Verteidigungswall Arbeitsauftrag Fassen Sie die Aussagen der Autoren zusammen und vergleichen Sie diese. 4 Der Kalte Krieg 1945 –1990 5 10 15 20 25 30 35 M 14 M 5 Wilfried Loth, deutscher Historiker, „Was war der Kalte Krieg?“,ca. 1990/91 1 Der Kalte Krieg, so heißt es allenthalben, ist zu Ende. Das ist grundsätzlich richtig und doch nur die halbe Wahrheit. Wenn man verstehen will, was der Kalte Krieg gewesen ist, muß man sich daran erinnern, daß schon häufiger von seinem Ende die Rede war: 1949 nach der Aufhebung der Berliner Blockade, 1953 nach Stalins Tod, 1962 nach der Beilegung der Kuba-Krise und in der Hochphase der Entspannung zu Beginn der 70er Jahre. Das deutet darauf hin, daß es sich beim Kalten Krieg weniger um eine historische Epoche handelte als um einen Zustand: einen Aggregatzustand des Ost-West-Konflikts, der in unterschiedlichen Dosierungen aufgetreten ist. […] Kalte-Kriegs-Tendenzen konnte es geben und gab es, solange die amerikanisch-sowjetische Rivalität die künftige oder aktuelle Weltpolitik dominierte, also vom Eintritt der Sowjetunion und der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941 bis zum Ende des Ost-West-Konflikts infolge der Gorbatschow-Revolution. Sie verdichteten sich nach dem Scheitern der Bemühungen um eine einvernehmliche Regelung der Nachkriegsordnung 1947 und flauten wieder ab, als um Mitte der 50er Jahre deutlich wurde, daß sich mit den beiden Blöcken in Ost und West gleichwohl eine vergleichsweise stabile Nachkriegsordnung etabliert hatte. In der Zeit der Berlin-Krise 1958 –1962 flackerten die Ängste wieder auf, und auch im Jahrzehnt zwischen 1974 und 1984 machten sich Verhaltensweisen bemerkbar, die an die Hoch-Zeiten des Kalten Krieges erinnerten. […] Im übrigen wurde der Kalte Krieg nicht von den USA und der Sowjetunion alleine geführt; angesichts der Ambivalenzen der amerikanischen wie der sowjetischen Politik spielten oft auch die westlichen Europäer eine entscheidende Rolle. In der Deutschlandfrage war es der britische Außenminister Bevin1, der 1946/47 gegenüber den zögernden Amerikanern einen Abschottungskurs der westlichen Besatzungszonen durchsetzte; früher als die amerikanische Führung war er für die Überzeugung gewonnen worden, daß eine Befriedigung sowjetischer Reparationsbedürfnisse zu einer Sowjetisierung ganz Deutschlands führen würde. In die gleiche Richtung wirkten deutsche Politiker wie Kurt Schumacher und Konrad Adenauer, die die sowjetische Zone schon 1945 abgeschrieben hatten und darum Versuche zur Schaffung gesamtdeutscher Strukturen nach Kräften behinderten. Die sowjetische Absage an den Marshall-Plan im Juli 1947 wurde von Bevin und seinem französischen Kollegen Bidault2 gezielt provoziert: Indem sie minimale Meinungsverschiedenheiten zu Grundsatzdifferenzen hochspielten, erreichten sie es, daß sich Stalin nach langem Zögern zu der Auffassung durchrang, eine sowjetische Beteiligung werde noch verheerendere Folgen für das Sowjetregime haben als eine Absage. […] Insgesamt hat es also eine Fülle von Weichenstellungen in Richtung auf den Kalten Krieg gegeben. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die Konfrontation aufgrund des Systemgegensatzes zwischen Ost und West unvermeidlich gewesen sei. Wer so argumentiert – und das tun, nicht zuletzt weil es politisch ganz bequem ist, viele –, leugnet die Offenheit der Geschichte und verwischt die Verantwortlichkeiten. Gewiss war der Kalte Krieg kein bloßes Mißverständnis. Bei den vielen Gegensätzen zwischen liberaldemokratischer Demokratie amerikanischer Prägung und sowjetkommunistischer Mobilisierungsdiktatur und dem missionarischen Anspruch der beiden Hauptsieger des Zweiten Weltkriegs war ihre Konfrontation von vornherein wahrscheinlich und die Spaltung Europas in gegensätzliche Einflußsphären auf jeden Fall die bequemere Lösung. Fremdheit, Neigung zu ideologischer Verallgemeinerung und Unerfahrenheit im Umgang mit fremden Mächten erschwerten die Verständigung zusätzlich. Aber notwendig war die Konfrontation in der Form, in der wir sie kennen, deswegen noch lange nicht. Es bleiben wesentlich kooperativere Formen der Nachkriegsordnung denkbar, freilich ebenso auch noch höhere Grade an Konfrontation. Wilfried Loth: „Was war der Kalte Krieg?“ 1992, abgedruckt in: Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Eine Ausstellung des DHM 28.08. –24.11.1992, Katalog S. 11. Erläuterungen: 1 Ernest Bevin: britischer Außenminister 1945 –1951 2 Georges Bidault: französischer Außenminister 1944 –1946 und 1947/1948 Arbeitsauftrag Stellen Sie Loths Thesen mit ihren Begründungen zum Kalten Krieg vor. 5 M 6 John Lewis Gaddis, US-Historiker, „Der Kalte Krieg“, 2007 Der Krieg [Zweiter Weltkrieg] war von einem Bündnis gewonnen worden, dessen Hauptpartner sich – ideologisch und geopolitisch, wenn auch nicht militärisch – bereits miteinander im Krieg befanden. Bei allen Triumphen, welche die Große Allianz im Frühjahr 1945 feierte, hatten ihre Erfolge doch stets darauf beruht, dass unvereinbare Systeme vereinbarte Ziele verfolgten. Die Tragödie bestand darin, dass der Sieg die Sieger vor die Wahl stellte, entweder aufzuhören, sie selbst zu sein, oder einen großen Teil dessen aufzugeben, was sie durch die Kriegsteilnahme zu erreichen gehofft hatten.[…] 5 M 14 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Der Kalte Krieg 1945 –1990 In der amerikanischen Revolution, die vor über anderthalb Jahrhunderten stattgefunden hatte, war ein tiefes Misstrauen gegenüber Machtkonzentrationen zum Ausdruck gekommen. Nach Auffassung der Gründungsväter der Vereinigten Staaten waren Freiheit und Gerechtigkeit nur durch die Einschränkung der politischen Macht zu gewährleisten. Dank einer klugen Verfassung, der geographischen Abgeschiedenheit von potentiellen Rivalen und des enormen Reichtums an Bodenschätzen gelang es den Amerikanern, einen nach außen außerordentlich machtvollen Staat aufzubauen. Das war während des Zweiten Weltkriegs offensichtlich geworden. Erreicht hatten sie dies jedoch durch die rigide Beschränkung der Fähigkeit der Regierung, das alltägliche Leben zu kontrollieren, ob nun durch die Verbreitung von Ideen, die Organisation der Wirtschaft oder politisches Handeln. Trotz der Legalität der Sklaverei, der nahezu vollständigen Ausrottung der Ureinwohner Amerikas und anhaltender Rassen-, Geschlechter- und Sozialdiskriminierung konnten die Bürger der Vereinigten Staaten 1945 mit Recht behaupten, in einer der freiesten Gesellschaften der Welt zu leben. Zur Revolution der Bolschewiken hingegen, die nur ein Vierteljahrhundert zurücklag, hatte eine Ballung und Häufung von Macht gehört, die es ermöglichte, Klassenfeinde zu besiegen und eine Basis zu errichten, von der aus sich die proletarische Revolution über die Welt ausbreiten konnte. Karl Marx hatte 1848 im Kommunistischen Manifest ausgeführt, dass die von Kapitalisten betriebene Industrialisierung die Arbeiterklasse vergrößere und ausbeute und diese sich früher oder später selbst befreien werde. Wladimir Iljitsch Lenin genügte es jedoch nicht, darauf zu warten; er versuchte 1917 den Gang der Geschichte zu beschleunigen, indem er in Russland die Macht übernahm und dem Land den Marxismus aufzwang, obwohl dies der Marxschen Vorhersage, dass die Revolution nur in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft ausbrechen könne, zuwiderlief. Stalin löste dieses Problem, indem er Russland, ein überwiegend agrarisches Land mit wenigen freiheitlichen Traditionen, in ein stark industrialisiertes Land ohne jede Freiheit umgestaltete. Die Ideologie, die dieser Transformation zugrunde lag, war der Marxismus-Leninismus. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die UdSSR das autoritärste Land der Welt. Aber nicht nur die Siegermächte waren grundverschieden, auch die Kriege, die sie zwischen 1941 und 1945 geführt hatten. Die Vereinigten Staaten führten zwei Kriege gleichzeitig – gegen Japan im Pazifik und gegen Deutschland in Europa –, erlitten aber erstaunlich geringe Verluste; insgesamt fielen auf allen Kriegsschauplätzen nur knapp 300 000 Amerikaner. Weitab von den Schlachtfeldern gelegen, erlebte das Land, bis auf den Auftakt in Pearl Harbor, keinen größeren Angriff. Zusammen mit ihrem britischen Verbündeten (der während des Krieges rund 357 000 Todesopfer zu beklagen hatte) konnten die Vereinigten Staaten selbst bestimmen, wo, wann und unter welchen Umständen sie kämpfen wollten, was die Kosten und Risiken der Kriegführung erheblich verringerte. Aber im Gegensatz zu Großbritannien verfügten die USA am Ende des Krieges über eine prosperierende Wirtschaft: Aufgrund der Kriegsausgaben hatte sich das Bruttosozialprodukt in weniger als vier Jahren fast verdoppelt. Von solchen Vorteilen konnte die Sowjetunion nur träumen. Sie führte zwar nur einen Krieg, aber dieser war der furchtbarste aller Zeiten. Angesichts verwüsteter Städte, Dörfer und Ländereien und zerstörter oder hastig hinter den Ural verlegter Fabriken blieb ihr nur die Wahl, entweder zu kapitulieren oder verzweifelt Widerstand zu leisten – auf Terrain und unter Umständen, die der Feind bestimmte. Schätzungen der Zahl von militärischen und zivilen Todesopfern sind notorisch ungenau, aber man kann davon ausgehen, dass etwa 27 Millionen Sowjetbürger durch Kriegseinwirkung ums Leben gekommen sind – rund neunzigmal so viele wie auf amerikanischer Seite. Der Sieg hätte kaum um einen höheren Preis erkauft sein können: 1945 war die Sowjetunion ein Staat, der von Glück sagen konnte, dass er überlebt hatte. Wie ein Zeitgenosse bemerkte, war der Krieg sowohl „die schrecklichste als auch die stolzeste Erinnerung des russischen Volkes“. Als es darum ging, die Nachkriegsordnung zu gestalten, waren sich die Sieger jedoch näher, als diese Asymmetrien vermuten lassen. Die Vereinigten Staaten waren keine Verpflichtungen eingegangen, die ihrer alten Tradition, sich aus den europäischen Angelegenheiten herauszuhalten, widersprochen hätten. Roosevelt hatte Stalin in Teheran sogar versichert, die amerikanischen Truppen würden nach Kriegsende binnen zwei Jahren nach Hause zurückkehren. Auch konnte man angesichts der deprimierenden Erlebnisse in den dreißiger Jahren nicht sicher sein, dass sich der Kriegsboom fortsetzen würde oder dass die Demokratie außerhalb der relativ wenigen Länder, in denen es sie noch gab, wieder Fuß fassen würde. Die USA und Großbritannien hatten mit Stalins Hilfe lediglich den deutschen Faschismus besiegt – und nicht den Autoritarismus, wie ihn der für den Sieg unentbehrliche Verbündete verkörperte. Gleichwohl konnte die Sowjetunion trotz ihrer gewaltigen Verluste auch bedeutende Gewinne verbuchen. Da sie ein Teil Europas war, würden sich ihre Streitkräfte nicht aus Europa zurückziehen. In den Vorkriegsjahren war ihre Kommandowirtschaft in der Lage gewesen, die Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten, während dies den kapitalistischen Demokratien nicht gelungen war. Ihre Ideologie erfreute sich in Europa breiter Anerkennung, da der Widerstand gegen die Deutschen zum großen Teil von Kommunisten organisiert worden war. Und aufgrund der unverhältnismäßig großen Last, welche die Rote Armee beim Sieg über Hitler getragen hatte, hatte sie einen moralischen Anspruch auf 6 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 erheblichen, wenn nicht sogar entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung. Wem die Zukunft gehörte, dem autoritären Kommunismus oder dem demokratischen Kapitalismus, war 1945 nicht so einfach zu entscheiden. http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/der-kampf-der-systeme.html (25. 3. 2010) Arbeitsauftrag Ermitteln Sie, welche Wurzeln des Kalten Krieges Gaddis ausmacht. M7 5 10 15 20 25 30 35 40 Wir haben überlebt, 2007 Claus Leggewie (deutscher Politikwissenschaftler) zu John Lewis Gaddis (Der Kalte Krieg, 2007) und Bernd Stöver (Geschichte des radikalen Zeitalters 1947–1991, 2007). Neu erzählt und bewertet gehört der Kalte Krieg nicht allein wegen der Aktenfunde, die man vor allem im ehemaligen Ostblock machen kann; auch wer die Epoche bewusst durchlebt hat, möchte Bilanz ziehen und sich klar darüber werden, wie die Welt seit 1990 eine andere geworden ist. Vor allem drei Fragen werden oft gestellt: Wie kam es zum Kalten Krieg, worauf beruhte die verwunderliche Stabilität seiner prekären Un-Ordnung, und warum ging diese dann doch so sang- und klanglos unter? Zwei neue Überblicksdarstellungen arbeiten diese Fragen ab und beweisen dabei, wie unterschiedlich sich europäische und amerikanische Historiker dem gleichen Gegenstand zugewandt haben. Der in Potsdam lehrende Bernd Stöver (Jahrgang 1961) legt eine Geschichte des radikalen Zeitalters 1947–1991 vor, John Lewis Gaddis (Jahrgang 1941) eine neue Geschichte des Kalten Krieges. Gaddis’ für deutsche Leser verfasstes Vorwort schlägt ein bekanntes Leitmotiv an: „Trotz aller Gefahren, Grausamkeiten, Kosten, Verirrungen und moralischen Kompromissen war der Kalte Krieg – wie der Zweite Weltkrieg – ein notwendiger Konflikt, in dem grundlegende Fragen ein für allemal beantwortet wurden. Es gibt keinen Grund, ihn zu vermissen. Aber angesichts der Alternativen gibt es auch kaum einen Grund, zu bedauern, dass er stattgefunden hat.“ Gaddis widmet sich vor allem den Akteuren, die der schaurigen Farce der Raketenzählerei den Schlussakt bereiteten: Johannes Paul II. und Ronald Reagan, Lech Wałęsa und Michail Gorbatschow. Stöver leugnet den Einfluss großer Männer nicht, zieht aber eine kühle, systemtheoretisch informierte Sichtweise vor, zu deren Vokabular weder „Schuld“ noch „Sieg“ zählen, sondern evolutionäre Dynamik, Selbstreferenz und Rückkoppelungen. Vom Standpunkt der Systemerhaltung sind alle Verlierer des Kalten Krieges – und stehen wir Nachkriegskinder im Schlamassel des postwar, mit seiner unberechenbaren Multipolarität, einem gefährlich ungehegten nuklearen Vernichtungspotenzial, mit neuen religiösideologischen und paramilitärischen Akteuren. Die für den Kalten Krieg typische Paarung von Eindämmung (containment) und Befreiung (liberation) versagt hier offensichtlich. Die systemische Betrachtung relativiert die meistgestellten Fragen, wer den Ost-West-Konflikt angefangen und wer ihn gewonnen hat; sie konzentriert sich auf die Austarierung eines Systemgleichgewichts, das abwechselnd über Eskalation und Entspannung erreichbar war und abrupt endete, als ein Subsystem – die Sowjetunion – 1991 ausfiel. Die Herangehensweisen bestimmen die Darstellungsstile beider Bücher: Gaddis ist ein anekdotenreicher und Pointen setzender Erzähler, der seine Leser an die Schauplätze des Dramas mitnimmt und historischen Zufällen Raum gibt. Stöver setzt uns in die Raumkapseln der Astronauten, die seinerzeit die Erde von fern betrachten und als Ganzes in den Blick nehmen konnten. Weil das Kalkül des Kalten Krieges keine Unfälle duldete (sie hätten zur Selbstzerstörung geführt), war kaum Platz für Zufälle, aber für eine unendliche Ausdifferenzierung des Ost-West-Codes in Subsysteme und Nebenschauplätze, wo heiße Stellvertreterkriege die Regel waren. Stöver behält nicht nur alle möglichen Konfliktorte im Auge, sondern spielt die Systemkonkurrenz auch faktenreich und anschaulich auf kultureller und technologischer Ebene durch. Alle Instrumente des totalen Krieges wurden benutzt – mit der Ausnahme der Atomwaffe. Während Gaddis sich an die Chronologie der Blockführer USA und Sowjetunion hält, präsentiert Stöver sein Material nach Ordnungen mehr oder weniger langer Dauer und rückt auch die vermeintliche Peripherie ins Zentrum. Für Gaddis hatte der Kalte Krieg ein Telos1: die Diskreditierung der kommunistischen Diktatur und die globale Demokratisierung, beides erleichtert durch offene Märkte und Informationsfreiheit. Wenn diese Botschaft Gaddis zum Darling der Bush-Administration machen konnte, gilt das weniger für seine übergeordnete Lehre: Der Kalte Krieg war eine sachrationale, auf einer Demonstration militärischer Stärke beruhende Friedensordnung, die den „großen Krieg“ zum Anachronismus machte; zugleich aber hörte mit ihm militärische Stärke auf, überhaupt noch ein charakteristisches Merkmal von „Macht“ zu sein. Von Stöver lernt man aber, wie nach dem Auftauen der Machtblöcke der seit 1945 geführte Krieg in der Dritten Welt in die Metropolen zurückschlägt. Und die Bipolarität verbarg ein untergründiges Chaos, aus dem sich China nun noch eigensinniger herausschält. Gaddis bleibt amerikafixiert, Stöver ist polyzentrisch. Beide Bücher sind ob dieser verschiedenen Sichtweisen lesenswert, nicht dank neuer Fakten und radikaler Einsichten, aber wegen der in sich jeweils überzeugenden Gesamt7 M 14 45 50 55 60 Der Kalte Krieg 1945 –1990 schau. Stövers großer Wurf, der die Geschichtsschreibung des Kalten Kriegs „defragmentiert“ und differenziert, weist trotz seiner akademischen Rest-Sprödigkeit inhaltlich wie methodisch in die Zukunft. Und er macht die Bewertung der fraglichen Epoche nicht von aktuellen Sichtweisen abhängig, sondern umgekehrt die Aktualität im Licht der Erzählungen des cold war begreif lich. Will sagen: Putin ist gewiss kein „Musterdemokrat“, er kann aber auch außenpolitisch kein Stalin mehr sein. Deshalb erlebt die Welt keine Neuauflage des Kalten Krieges, und die Politik ließe sich zu fatalen Fehlschlüssen verleiten, wenn sie die Machtkonkurrenz mit Russland, den Nuklearkonflikt mit Iran und die Normenkonflikte mit dem radikalen Islam in dieses überholte Schema presste oder das alte Nullsummenspiel samt Raketenzählerei und Dauer-njet im Sicherheitsrat wieder aufnähme. Nicht nur stilistisch liegen Welten zwischen Sozialwissenschaftlern in den USA und Europa. Gaddis’ Thesen haben politische Elite und Öffentlichkeit in den USA zur Kenntnis genommen, Denkfabriken haben sie im Blick auf die nationale Sicherheit kleingearbeitet. In Deutschland räumt weder die akademische noch die politische Welt solchen Publikationsereignissen den Stellenwert ein, den Aufarbeitungen der NS-Vergangenheit (zu Recht!) haben. Dabei ist die europäische Erinnerung schon weit mehr von der Geschichte nach 1945 durchdrungen, es wäre Zeit, daraus intellektuelle und politische Konsequenzen zu ziehen. Dazu gehört, dass das vereinte Deutschland seine in beiden Büchern herausgestellte Nischenexistenz verloren hat. Paradoxerweise war der Bau der Mauer eher ein Schritt zum „Kalten Frieden“ als ihr Fall. http://www.zeit.de/2007/13/P-Gaddis (25. 3. 2010) Erläuterung: 1 Telos: Ziel Arbeitsaufträge 1. Arbeiten Sie die Unterschiede zwischen den Ansätzen der beiden Historiker heraus. 2. Analysieren und beurteilen Sie den Schlusssatz Leggewies: „Paradoxerweise war der Bau der Mauer eher ein Schritt zum ‚Kalten Frieden‘ als ihr Fall.“ 4.3 Die Polarisierung der Welt M 8 Hanns Erich Köhler: 1945 –1955 –1965, Karikatur aus dem Jahr 1949 1945: „Bruder!“ 1955: „Mein lieber Vetter!“ 1965: „Ach ja – wir haben irgendeinen entfernten Verwandten im Ausland …“ Arbeitsaufträge zu M 8 1. Beschreiben und deuten Sie jedes der Teilbilder mit seinen relevanten Bildelementen. Konzentrieren Sie sich dabei jeweils auf die Unterschiede zum vorherigen Bild. 2. Beurteilen Sie anschließend die Aussageabsicht der Karikatur. M9 8 Mirko Szewczuk: Schlagworte, 1947 HdG 1989/4/722.0198 Hinweis: Auf den linken Keulen steht: Faschismus, Junkertum, Demokratie, Besitzbürger, Reaktion – auf den rechten: Demontage, Dolchstoß, Terror, Propaganda Arbeitsauftrag Beschreiben und erläutern Sie die Karikatur und bestimmen Sie ihre Aussageabsicht. M 10 1 5 Polarisierung in der Politik Churchill in einem Telegramm an Stalin, April 1945 Es ist keineswegs beruhigend, […] wenn man sich eine Zukunft vorstellt, in der Sie auf der einen Seite stehen, zusammen mit den Ländern, die Sie beherrschen sowie den Kommunistischen Parteien vieler weiterer Länder, und auf der anderen Seite die um die englischsprachigen Länder versammelten Nationen, deren Verbündete und Dominions! Dieser Konflikt würde die Welt zugrunde richten, und all diejenigen unter uns, die auf der einen oder anderen Seite ein Stück Verantwortung trügen, müssten sich vor der Geschichte schämen. LALOY, Jean, La fin du rêve d'une entente avec Staline, in Le Monde. 21. – 22. 07. 1985, Nr. 12 589; 42e année, S. 2; übersetzt vom CVCE. www.ena.lu (25. 3. 2010). Churchill in einem Telegramm an Harry S. Truman, 12. Mai 1945 Ein eiserner Vorhang ist vor ihrer [= der russischen] Front niedergegangen. Was dahinter vorgeht, wissen wir nicht. Es ist kaum zu bezweifeln, dass der gesamte Raum östlich der Linie Lübeck-Triest-Korfu schon binnen kurzem völlig in ihrer Hand sein wird. 1 Winston Churchill: Memoiren, Bd. VI.2, Stuttgart 1954, S. 262 ff.; zitiert nach: Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 –1955, 5Bonn 1991, S. 349. 1 1 5 George F. Kennan, US-Diplomat (lange in Moskau), schreibt in seinen Memoiren, wie er im Sommer 1945 über die Potsdamer Konferenz dachte Die Idee, Deutschland gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn. Ein ebensolcher Wahn ist es, zu glauben, die Russen und wir könnten uns eines schönen Tages höflich zurückziehen, und aus dem Vakuum werde ein gesundes und friedliches, stabiles und freundliches Deutschland steigen. […] Besser ein zerstückeltes Deutschland, von dem wenigstens der westliche Teil als Prellblock für die Kräfte des Totalitarismus wirkt, als ein geeintes Deutschland, das diese Kräfte wieder bis an die Nordsee vorläßt. […] Im Grunde sind wir in Deutschland Konkurrenten der Russen. G. F. Kennan: Memoiren eines Diplomaten, Bd. 1, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1968. 1 5 George F. Kennan in seinem „Langen Telegramm“ aus Moskau an US-Präsident Harry S. Truman, 22. 2. 1946 Wo es angezeigt und erfolgversprechend scheint, wird man versuchen, die äußeren Grenzen der Sowjetmacht zu erweitern. Im Augenblick beschränken diese Bemühungen sich auf gewisse Punkte in der Nachbarschaft, die man hier für strategisch notwendig hält. […] Gegenüber Kolonialgebieten und rückständigen oder abhängigen Völkern wird die sowjetische Politik sogar auf amtlicher Ebene das Ziel verfolgen, Macht, Einfluss und Kontakte der hochentwickelten westlichen Nationen zu schwächen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass bei einem Erfolg dieser Politik ein Vakuum entstünde, das sowjetischkommunistisches Eindringen erleichtern müsste. G. F. Kennan: Memoiren eines Diplomaten, Bd. 1, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1968, S. 553 ff. 1 US-Präsident Harry S. Truman, 12. März 1947 („Truman-Doktrin“) Die Regierung der Vereinigten Staaten hat immer wieder gegen den Zwang und die Einschüchterungen in Polen, Rumänien und Bulgarien protestiert, die eine Verletzung der Vereinbarungen von Jalta darstellen. Ich muß auch erwähnen, daß in einer Anzahl von anderen Ländern ähnliche Entwicklungen vor sich gehen. 9 M 14 5 10 Der Kalte Krieg 1945 –1990 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte muß fast jede Nation zwischen alternativen Lebensformen wählen. Nur zu oft ist diese Wahl nicht frei. Die eine Lebensform gründet sich auf den Willen der Mehrheit und ist gekennzeichnet durch freie Institutionen, repräsentative Regierungsform, freie Wahlen, Garantien für die persönliche Freiheit, Rede- und Religionsfreiheit und Freiheit von politischer Unterdrückung. Die andere Lebensform gründet sich auf den Willen einer Minderheit, den diese der Mehrheit gewaltsam aufzwingt. Sie stützt sich auf Terror und Unterdrückung, auf die Zensur von Presse und Rundfunk, auf manipulierte Wahlen und auf den Entzug der persönlichen Freiheiten. Documents on American Foreign Relations, Bd. IX, S. 6 f. 5 10 15 20 G. M. Malenkow (Sekretär des ZK der KPdSU) vor Vertretern kommunistischer Parteien in Polen, Ende September 1947 Durch den siegreichen Krieg gegen den Faschismus sind die Positionen des Sozialismus und der Demokratie erstarkt, die Position des imperialistischen Lagers dagegen geschwächt worden. Eines der wichtigsten Ergebnisse des 2. Weltkrieges ist die Erstarkung der Sowjetunion und die Errichtung eines neuen demokratischen Regimes unter der Führung der Arbeiterklasse in einer Reihe von Ländern. […] In den durch die Ausschaltung der Hauptkonkurrenten der USA, Deutschlands und Japans, und durch die Schwächung Englands und Frankreichs entstandenen Verhältnissen sind die USA zu einer neuen unverhüllten Expansionspolitik übergegangen, die auf die Herstellung ihrer Weltherrschaft gerichtet ist. Unter diesen neuen Nachkriegsverhältnissen vollzieht sich eine Wandlung in den Beziehungen zwischen den Kriegsverbündeten von gestern, die gemeinsam gegen das faschistische Deutschland und das imperialistische Japan gekämpft haben. Es bildeten sich zwei entgegengesetzte Richtungen in der internationalen Politik heraus. Die eine Politik wird von der Sowjetunion und den Ländern der neuen Demokratie verfolgt. Die Außenpolitik der Sowjetunion und der demokratischen Länder ist auf die Untergrabung des Imperialismus, auf die Sicherstellung eines festen demokratischen Friedens zwischen den Völkern und auf den größtmöglichen Ausbau der freundschaftlichen Zusammenarbeit der friedliebenden Völker gerichtet. […] In der anderen Richtung der internationalen Politik ist die herrschende Clique der amerikanischen Imperialisten führend. In dem Bestreben, die Positionen zu festigen, die das amerikanische Monopolkapital während des Krieges in Europa und Asien erobert hat, hat diese Clique nun den Weg der offenen Expansion betreten, den Weg der Versklavung der geschwächten kapitalistischen Länder Europas, der Versklavung der kolonialen und abhängigen Länder, den Weg der Vorbereitung neuer Kriegspläne gegen die UdSSR und die Länder der neuen Demokratie, wobei sie sich des Vorwandes eines Kampfes gegen die „kommunistische Gefahr“ bedient. Den klarsten und konkretesten Ausdruck fand diese Richtung der Politik des amerikanischen Kapitals in den Plänen von Truman und Marshall […]. Wir gehen von der Tatsache aus, daß für eine längere Periode die Existenz zweier Systeme, des Kapitalismus und Sozialismus, unvermeidlich ist […]. Das Ostpaktsystem. Dokumentensammlung von Boris Meissner. Bd. XVIII der Dokumente, hrsg. von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg. Frankfurt / Main und Berlin 1955, S. 87 f. Arbeitsaufträge 1. Ermitteln Sie aus den Quellen die Aussagen über die Entstehung der Konfrontation. 2. Arbeiten Sie die Charakterisierung des eigenen und des gegnerischen Lagers heraus. M 11 Polarisierung in der Wirtschaft 1 5 10 George Marshall, US-Außenminister, in einer Rede am 5. 6. 1947 an der Harvard-Universität (Marshallplan) In Wahrheit liegt die Sache so, dass Europas Bedarf an ausländischen Nahrungsmitteln und anderen wichtigen Gütern – hauptsächlich aus Amerika – während der nächsten drei oder vier Jahre um so viel höher liegt als seine gegenwärtige Zahlungsfähigkeit, dass beträchtliche zusätzliche Hilfsleistungen notwendig sind, wenn es nicht in einen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verfall sehr ernster Art geraten soll. Die Lösung liegt in einer Durchbrechung des Circulus vitiosus und in der Wiederherstellung des Vertrauens bei den europäischen Völkern auf die wirtschaftliche Zukunft ihrer Länder und ganz Europas. […] Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Ihr Zweck ist die Wiederbelebung einer funktionierenden Weltwirtschaft, damit die Entstehung politischer und sozialer Bedingungen ermöglicht wird, unter denen freie Institutionen existieren können. […] Jeder Regierung, die bereit ist, beim Wiederaufbau zu helfen, wird die volle Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten gewährt werden […]. Aber eine Regierung, die durch Machenschaften versucht, die Gesundung der anderen Länder zu hemmen, kann von uns keine Hilfe erwarten. Darüber hinaus werden alle Regierungen, politischen 10 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Parteien oder Gruppen, die es darauf abgesehen haben, das menschliche Elend zu einem Dauerzustand zu machen, um in politischer oder anderer Hinsicht Nutzen daraus zu ziehen, auf den Widerstand der Vereinigten Staaten stoßen. Europa-Archiv 2, (1947), S. 821. Felix Albin, Ursachen und Wirkungen des Marshallplans, Oktober 1947 Der Marshallplan wurde allen vom Krieg geschädigten Ländern Europas angeboten, auch den Ostblockstaaten und der späteren DDR. Alle östlichen Länder lehnten das Hilfsangebot ab. Kurt Hager schrieb unter seinem Pseudonym Felix Albin über „Ursachen und Wirkungen des Marshallplanes“ in der „Einheit, Theoretische Monatsschrift für Sozialismus“, im Oktober 1947; Hager war später Mitglied des Politbüros und des ZK der SED sowie ein bedeutender Kultur- und Bildungspolitiker der DDR. 1 5 10 Bevin [Ernest Bevin, britischer Außenminister 1945 –1951] und Bidault [Georges Bidault, französischer Außenminister 1944 –1946; 1947/1948] fiel nun die Aufgabe zu, das wohl schon vor der Rede Marshalls abgekartete Manöver durchzuführen, das die Sowjetunion und die osteuropäischen Volksrepubliken isolieren und sie zugleich mit der Verantwortung für die Spaltung Europas belasten sollte. […] Bevin und Bidault legten auf der ersten Pariser Konferenz ihren Vorschlag auf den Tisch: […] Der Plan ließ die völlig unterschiedliche Entwicklung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den europäischen Ländern unberücksichtigt, der sich in den volksdemokratischen Staaten Osteuropas und in der Sowjetunion nach Wirtschaftsplänen vollzieht, im Westen jedoch nach dem „freien Spiel der Kräfte“, das heißt nach den anarchischen Tendenzen des Kapitalismus. Der Vorschlag Bevins und Bidaults hätte nicht nur eine Störung der demokratischen Wirtschaftsplanung bedeutet, sondern sollte auch dazu führen, daß die starken Westmächte den kleinen Nationen ihren Willen aufzwingen könnten. Einheit, Oktober 1947, S. 898 f.; zitiert nach: Lautemann, S. 371 f. 1 5 10 15 Stellungnahme des Zentralsekretariats der SED zum Marshallplan, 23. Juli 1947 […] Bei diesen Versprechungen spekuliert man auf die in weiten Kreisen unseres Volkes vorhandenen Stimmungen, nur schnellstens die wirtschaftliche Not zu beheben, ohne dass sich das notleidende Volk Gedanken über die weiteren Auswirkungen einer solchen Hilfe auf die Zukunft Deutschlands macht. […] I. Der amerikanische Monopolkapitalismus, der gestärkt aus dem Kriege hervorging, ist heute bestrebt, die ihm drohende Wirtschaftskrise durch die Erschließung neuer Märkte und durch die Festigung alter Märkte mittels der Gewährung staatlicher Anleihen zu verhindern. Diese Anleihen führen aber erfahrungsgemäß zur Einmischung in die Souveränität der die Anleihen nehmenden Länder und zu einer Unterordnung ihrer Wirtschaft und Politik unter die Interessen amerikanischer Monopole. II. Es ist schon jetzt klar erkennbar, dass Deutschland ebenfalls seine Zukunft um den Preis der Anleihe verkaufen soll. […] Die Ruhrindustrie soll von den Vertretern amerikanischer Monopole gelenkt werden. Eine Anleihe für den Wiederaufbau des Ruhrgebiets wird an die Bedingung geknüpft, dass keine Verstaatlichung stattfindet. […] IV. […] Der industrielle Westen Deutschlands wird in einen den Frieden bedrohenden Westblock eingegliedert. Die Macht der deutschen Konzernherren bleibt erhalten. […] An die Stelle des Mitbestimmungsrechts der Arbeiterschaft am Aufbau der Wirtschaft tritt die Lohnsklaverei zugunsten ausländischer und deutscher Monopolkapitalisten. […] VI. Das deutsche Volk muss wie alle übrigen Völker den Weg zu einem besseren Leben aus eigener Kraft suchen und finden. […] Dokumente der SED, Bd. 1, Berlin (Ost) 1952, S. 207 ff.; zitiert nach: Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 –1955, 5Bonn 1991, S. 452 f. Arbeitsaufträge 1. Erläutern Sie den Sinn des Förderprogramms. 2. Benennen und überprüfen Sie die Aspekte der Kritik am Marshallplan. 3. Markieren Sie Stellen ideologischer Propaganda in den Texten. M 12 Mirko Szewczuk: „Von dem Onkel dürft ihr nichts annehmen!“, 1947 11 M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 HdG 1989/1/049.19 Arbeitsaufträge 1. Erläutern Sie, wie die Karikatur die Aufnahme des Marshallplans in Europa darstellt. 2. Ermitteln Sie die Aussageabsicht. 4.4 M 13 1 5 Berliner Blockade und Luftbrücke Amtliche Verlautbarungen, 1948 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN) der DDR, Berlin, 24. Juni 1948 Durch eine technische Störung an der Eisenbahnstrecke war die Transportverwaltung der SMV [= Sowjetische Militärverwaltung] gezwungen, wie ADN meldet, in der Nacht zum 24. Juni den Passagier- und Güterverkehr auf der Strecke Berlin-Helmstedt in beiden Richtungen einzustellen. […] Es ist daher im Augenblick schwer zu übersehen, wann der inzwischen in beiden Richtungen auf der Strecke Berlin-Helmstedt eingestellte Güter- und Personenverkehr wieder aufgenommen werden kann. Da die Lebensmittelversorgung der drei westlichen Sektoren Berlins von den über diese Strecken herangeführten Transporten abhängig ist, sind starke Besorgnisse über die Versorgung entstanden. Der Morgen, 25. Juni 1948. 1 5 Otto Winzer (SED), 29. 7. 1948 Wenn man diese Dynamitmark nach Berlin bringt und damit das wirtschaftliche Chaos in Berlin herbeiführt, dann darf man sich nicht wundern, wenn diejenigen, die für das Leben der Ostzone verantwortlich sind, gegen die sich dieses Dynamit richtet, sich zur Wehr setzen und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für ihre Besatzungszone und für ihre Politik treffen. Wer aber wie die Mehrheit dieses Hauses für die Einführung dieser Dynamitmark in Berlin eingetreten ist – ich unterstreiche das noch einmal –, der hat das Recht verwirkt, von einer Blockade zu sprechen. Otto Winzer (SED) in der 79. Ordentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin, Illustrierte historische Hefte, Bd. 38, S. 24 oder http://www.kpdml.org/doc/partei/studienmaterial_ddr.pdf 1 5 Lucius D. Clay, 25. Juni 1948 Alle deutschen Politiker, abgesehen von denen der SED, und Tausende Deutscher bekunden mutig ihre Gegnerschaft zum Kommunismus. Wir dürfen sie nicht enttäuschen, indem wir einen Abzug aus Berlin auch nur andeuten. Ich bin noch immer dagegen, unsere Angehörigen aus Berlin fortzuschicken. Wir müssen es eben auslöffeln, ganz gleich, was kommt. Falls die Sowjets einen Krieg wollen, wird er nicht wegen der Berliner Währungsreform ausbrechen, sondern weil ihnen der Zeitpunkt günstig erscheint. Ich halte die Wahrscheinlichkeit für gering, obwohl sie nicht vollständig übersehen werden kann. Ganz bestimmt versuchen wir nicht, Krieg zu provozieren. Wir stecken eine Menge Kinnhaken ein, ohne zurückzuschlagen. Lucius D. Clay, Entscheidung in Deutschland. Dt. Ausgabe, Frankfurt am Main, 1950, S. 405. 1 5 Otto Grotewohl, Vorsitzender der SED, in einer Rede am 1. November 1948 Zur Begründung dieses Manövers [der Luftbrücke] bedienen sich die Westmächte des verlogenen Arguments, daß die Westberliner Bevölkerung einer Hungerblockade ausgesetzt sei. Tatsächlich ist diese Blockade eine reine Erfindung der Westmächte. Es ist bekannt, daß die Sowjetunion für Berlin 100 000 Tonnen Getreide, über 10 000 Tonnen Fette, Heizmaterial und andere Gebrauchsgüter bereitgestellt hat. Aus den Ländern der Volksdemokratie werden Frischfleisch, Fische, Eier, Kartoffeln und anderes eingeführt. Damit ist die Versorgung der gesamten Berliner Bevölkerung gesichert. Der Westberliner Wirtschaft bietet sich durch Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaftskommission, der für die 12 Der Kalte Krieg 1945 –1990 10 M 14 sowjetische Besatzungszone und für den sowjetischen Sektor Berlins maßgebenden Wirtschaftsbehörde, die Möglichkeit zur unbehinderten Fortsetzung ihrer Tätigkeit. Dass von diesen Möglichkeiten kein Gebrauch gemacht wird, ist in erster Linie eine Folge der politischen Hetzkampagne der reaktionären anglo-amerikanischen Kreise. […] Die von den westlichen Besatzungsmächten erfundene „Luftbrücke“ ist eine absolut überflüssige und lediglich demagogische Maßnahme, die keineswegs Berlin versorgen kann und obendrein das deutsche Volk mit nicht geringen Kosten belastet. Grotewohl, Otto. Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik, Reden und Aufsätze. Auswahl aus den Jahren 1945 –1953. Tome I: 1945 –1949. Berlin: Dietz Verlag, 1954, S. 282 – 288. http://www.ena.lu Arbeitsauftrag Ermitteln Sie, welche Absicht die Sowjetunion mit der Blockade verfolgte. 5 10 15 20 25 M 14 Zeitzeugen Frau Butz ist 1920 geboren und lebte mit ihren Eltern und anderen Verwandten in einem Mietshaus in Berlin, Moabit. 1 Begonnen hat die Blockade eigentlich mit der Währungsreform. Am 24. 6. 1948 erhielt jeder in Westberlin für 40 RM 40 DM. Das war einen Tag, nachdem die Ostmark in Ostberlin in Umlauf kam. Die DM durfte nur in Westberlin gebraucht werden, andersherum durfte man mit der Ostmark auch in den Westsektoren bezahlen. Außerdem war die Blockade eine Zeitperiode, in der wir nur sehr unregelmäßig Strom erhielten. Oft konnten wir das Essen nur halb fertig kochen, da der Strom oft plötzlich wieder aufhörte. Wie bekam man denn ab jetzt die Lebensmittel, da alle Zufahrtswege für Berlin West verschlossen waren? Und wie erlebten Sie die Hilfe der Westalliierten durch die Luftbrücke? Das Leben ging trotzdem weiter. Ja, die Straßen und Wasserwege waren verschlossen und wir wurden durch die Luft versorgt. Der Flughafen Tegel wurde in drei bis vier Monaten aufgebaut, und ich erinnere mich, wie alle Pflastersteine der Straßen und Wege im Frohnauer Wald bei der Invalidensiedlung und dem Hubertussee herausgehauen und zum Flughafen geschafft wurden, um dort die Landebahnen zu bauen. Wir bekamen immer noch Lebensmittelkarten, nur gab es ab jetzt fast nur noch pulverisierte Lebensmittel, leichtes Gemüse und Dörrobst. Ja, wir haben gehungert, aber manchmal hatte ich sogar gar keine Lust zu essen, da es jeden Tag das gleiche, geschmacklose, fade Essen gab. Aber damit konnte man immerhin 300 –1 000 kcal pro Tag zu sich nehmen. Viel schlimmer als das Hungern war das Frieren in dem kalten Winter von 48/49. Den Hunger konnte man aushalten oder vergessen, aber die fürchterliche Kälte nicht. Man konnte sich praktisch nie richtig aufwärmen, da selbst das Haus und das Bett kalt waren. Wir konnten gerade mal einen kleinen Raum notdürftig mit Kohle heizen, die wir mit Marken vom Händler geholt hatten. Ich weiß noch, dass wir auch einmal ein Care-Paket bekommen haben. Es kam von fernen Verwandten aus Amerika. Wir hatten sie noch nie gesehen und wussten auch nicht von ihrer Existenz, aber irgendwie haben sie unsere Adresse herausbekommen und uns Tee, Kaffee, Kakao, Honig und Haferflocken geschickt, was etwas ganz Besonderes war. Hier in Frohnau haben auch viele Menschen im Garten Gemüse angepflanzt. […] Wie war die Verbindung damals zum Ostsektor? Konnte man dort frische Lebensmittel kaufen? Oh, ja. Man konnte drüben als Westberliner mit der Ostmark einkaufen. Eine kommunistisch gesinnte Familie aus unserer Straße hat das auch getan, wurde dafür aber von allen verachtet. Es gehörte sich nicht, im Osten Lebensmittel einzukaufen, das galt als Verrat. Bis diese Familie wegzog, war sie dem ständigen Spießrutenlauf in Frohnau ausgesetzt. Wie haben Sie während der Blockade die Zukunft eingeschätzt? […] für den Fall, daß die Westalliierten die Luftbrücke nicht bis zum Ende würden halten können, stand immer ein fertig gepackter Koffer in der Ecke, da wir auf keinen Fall in die Hände der Russen fallen wollten. Wir wären nach Hamburg gefahren, soviel stand für uns fest. http://www.salvator.net/salmat/pw/luft/interview1.html (25. 3. 2010; Ausschnitte) Wolfgang Scholz ist 1932 geboren und lebt in Berlin-Tegel Gab es während der Blockade Bindungen an den Ost-Sektor? Meine Familie hatte keine verwandt- oder freundschaftlichen Bindungen in den Ostteil unserer Stadt. Obwohl die Verkehrsverbindungen über die Sektorengrenze in den Ostsektor noch durchgehend funktionierten, vermied ich es, auch aus Angst vor den Russen, diesen Teil unserer Stadt aufzusuchen. 1 5 Haben Sie aus dem Osten Lebensmittel erhalten oder sich besorgen können? Die sowjetische Besatzungsmacht hat den Bewohnern von Berlin-West angeboten, sich im Ost-Sektor mit Lebensmittelkarten ausstatten und versorgen zu lassen. Dieses Angebot wurde trotz Not von uns West-Berlinern, bis auf wenige Ausnahmen, nicht angenommen. Es bestand weiterhin die Möglichkeit, durch sog. „Hamsterfahrten“ sich 13 M 14 10 15 20 Der Kalte Krieg 1945 –1990 bei den noch existierenden Bauern im Umland (Sowjetische Besatzungszone) durch Warentausch mit zusätzlichen Lebensmitteln zu versorgen. Allerdings bestand die Angst und Gefahr für den „Hamsterfahrer“, an der Stadt- oder Sektorengrenze zu Berlin-West die Gegenstände durch die Ostpolizei abgenommen zu bekommen oder aus schikanösen Umständen selbst in Haft genommen zu werden. Deshalb vermied ich nach Möglichkeit ein Verlassen der Westsektoren. Was lässt sich über den Zusammenhalt der Bevölkerung zu dieser Zeit sagen? Die ständige Bedrohung West-Berlins durch die Sowjets hat dazu geführt, dass der Drang nach Freiheit bei den Berlinern der Westsektoren zum Lebenselixier wurde. So auch bei mir. Misstrauen erzeugte jede Aktion der Russen oder auch jede Redewendung von Politikern, aus der eine Beeinträchtigung unserer Freiheitsrechte zu befürchten war. Einen besseren Beweis für diese freiheitliche Grundeinstellung und die Solidarität der Bürger dieser Stadt als die Teilnahme von über 300 000 Berlinern an der Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude am 9. Sept. 1948, bei der Ernst Reuter an die Völker der Welt appellierte, dieses Volk nicht preiszugeben, gibt es nicht! http://www.salvator.net/salmat/pw/luft/interview2.html (25. 3. 2010; Ausschnitte) Arbeitsaufträge 1. Schildern Sie, wie sich die Blockade auf das Alltagsleben der Westberliner auswirkte. 2. Ermitteln Sie, aus welchen Gründen die Westberliner sich trotz der Not nicht aus dem Osten versorgten. M 15 1 Ernst Reuter in seiner Rede vor dem Reichstag in Berlin am 9. September 1948 Heute ist der Tag, wo das Volk von Berlin seine Stimme erhebt. Dieses Volk von Berlin ruft heute die ganze Welt. […] Ihr Völker der Welt, Ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! Ernst Reuter, Schriften, Reden, Bd. 3, Berlin 1974, S. 477– 479 (Ausschnitt). Arbeitsauftrag „Erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft“. Erläutern Sie diese Vorstellung Ernst Reuters. M 16 Presseschau: Ende der Berlin-Blockade, 1949 1 5 10 1 5 10 Der Tagesspiegel, Westberlin, 6. Mai 1949 Während die Gegenblockade ein verständliches Verbot für die Ausfuhr von Waren ist, lernten wir die Blockade als ein teuflisches System, zusammengesetzt aus tausend Schikanen, kennen. Angefangen vom Interzonenpaß, der von den russischen Behörden öfter verweigert als gewährt wurde, den man von der linientreuen Gesinnung oder der Nützlichkeit des Antragstellers für die Wirtschaft der „Volksdemokratien“ abhängig machte, bis zu willkürlichen Verhaftungen, fand sich darin alles, was eines Rechtsstaates unwürdig war. Für uns Berliner wird die Blockade erst aufgehoben sein, wenn wir wieder ohne Interzonenpaß von hier nach Frankfurt, Hamburg oder München fahren können, wenn uns unterwegs kein „Volkspolizist“ oder russischer Soldat aus dem Zug holen oder verschwinden lassen kann, wenn weder das Mitführen von zehn Pfund Kartoffeln noch der Besitz von D-Mark (West) uns in Gefahr bringt, in den Uran-Bergwerken Sachsens zu landen. […] [Die Blockade ist nun] zwar nicht mehr ein Mittel in der politischen Auseinandersetzung der Großmächte, wohl aber ein Mittel des Terrors im Kampf um die endgültige staatliche Form Deutschlands. Wer eine demokratische Bundesrepublik Deutschland wünscht, kann der kleinen Minderheit keine Konzessionen machen, die mit Hilfe der Blockade die Mehrheit der Berliner versklaven wollte. Neues Deutschland, Ostberlin, 6. Mai 1949 Totgesiegt – Hitler siegte sich bekanntlich zu Tode. Der Luftbrücke widerfährt ein gleiches. Was bei Hitler die Gefangenenzahlen, waren bei der Luftbrücke die Tonnenzahlen. Im Maße ihres Steigens kam die Westberliner Wirtschaft zum Erliegen. […] Nun, da die Luftbrücke sich totgesiegt hat, da sie durch den Sieg des Verständigungswillens überflüssig wird, geht ein Aufatmen durch die Berliner Bevölkerung und – man darf wohl sagen – durch ganz Deutschland. Mit dem Brummen der Flugzeuge wird am 12. Mai – vier Jahre und vier Tage nach der Kapitulation Hitlers – auch die Erinnerung an die schreckensvollen Bombennächte schwinden. […] Fragen wir uns heute, wozu das alles geschah, so kann die Antwort nur lauten: weil gewisse reaktionäre Kreise der westlichen Besatzungsmächte und ihre deutschen Helfershelfer […] Berlin zum Brückenkopf eines westdeutschen Separatstaates machen wollten. Darum schürten sie die Kriegshetze, darum bürdeten sie der Bevölkerung Westberlins 10 Monate Entbehrungen, Kälte und Finsternis, Arbeitslosigkeit und Zerrüttung ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen auf. 1. Arbeiten Sie heraus, welches Fazit der Blockade die westliche und die östliche Zeitung ziehen. 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 2. Beurteilen Sie beide Stellungnahmen kritisch. 4.5 Der 17. Juni M 17 Gerhard Möbius: Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der SBZ und in Ostberlin, 1954 1 5 10 15 20 25 30 35 40 Seit dem Ende des Krieges war die gesamte Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone und später auch Ost-Berlins unter dem Vorwand einer fortschreitenden Demokratisierung aller Lebensbereiche immer härteren Zwangsmaßnahmen ausgesetzt. Die notwendigsten Dinge des Lebensunterhaltes und der Bekleidung wurden der Bevölkerung vorenthalten. Die Preise der Waren […] standen in keinem Verhältnis zu den Löhnen und Gehältern. Die weitgehende Aufhebung des Privateigentums in Handel und Handwerk, Industrie und Landwirtschaft schuf eine zunehmende rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Arbeiterschaft wurde durch die Übernahme der sowjetischen Stachanow-Methode (Hennecke) immer höheren Arbeitsanforderungen (Normen) unterworfen. […] Alles das geschah unter dem Schlagwort vom „Aufbau des Sozialismus“, das nur ein anderer Name für die kommunistische Diktatur ist. Hinzu kam, daß das Sowjetzonen-Regime selbst nicht als freigewählte Volksvertretung anerkannt wurde. Schon aus diesen wenigen Hinweisen mag zu ersehen sein, daß die eigentliche Ursache der Erhebung des 17. Juni 1953 der Freiheitswille der Bevölkerung war […]. In ihrer Anmaßung hatten die Herrschenden lange geglaubt, in der Haltung des Volkes, das mit unsagbarer Geduld diese unwürdigen Lebensverhältnisse ertrug, eine Schwäche erkennen zu dürfen. Doch seit dem Tode Stalins, im März des Jahres 1953, ging ein unterirdisches Grollen und Beben durch den gesamten Herrschaftsbereich des Bolschewismus; zunehmend wurden Meldungen über Unruhen bestätigt. Aber niemand dachte daran, daß es gerade Deutschland sein würde, wo der Funke überspringen, die seelische Erregung entzünden und zum Ausbruch bringen würde. […] Die Normenerhöhung stieß von Anfang an auf erbitterten Widerstand. Die Arbeiter protestierten gegen diese ausbeuterische Handhabung des Normensystems und forderten, daß die Beschlüsse über diese Erhöhung rückgängig gemacht würden. […] Nun greift die Propaganda in der SED-Presse zu dem alten Mittel, in Berichten bekannt zu geben, es hätten sich Betriebe und Gruppen in Betrieben gefunden, die sich sofort freiwillig mit der neuen Normenerhöhung einverstanden erklärten. […] Der 17. Juni. Der Gang der Ereignisse war nicht mehr aufzuhalten. Am 17. Juni erhob sich die Bevölkerung Ost-Berlins und der sowjetisch besetzten Zone gegen das kommunistische Regime. In strömendem Regen setzte sich in Berlin, am Straussberger Platz, der erste Zug von Demonstranten in Bewegung. Wieder ist das Ziel das Regierungsgebäude in der Wilhelmstraße. Als der erste Demonstrationszug gegen 8.30 Uhr eintrifft, findet er das Regierungsgebäude durch ein starkes Aufgebot von Volkspolizei abgeriegelt. Es kommt zum ersten Zusammenstoß mit der Volkspolizei, über die ein Hagel von Steinen niedergeht. […] „Weg mit den Normen. Wir wollen gesamtdeutsche Wahlen und die Einheit!“ […] Die rote Fahne auf dem Brandenburger Tor wird heruntergeholt und an ihrer Stelle eine schwarz-rot-goldene Fahne gehißt. Dann fallen gegen 12 Uhr aus dem Regierungsgebäude die ersten Schüsse und sowjetische Panzer, Panzerspähwagen und Mannschaftswagen mit Infanterie erscheinen. Die Panzer fahren in die Menschenmenge hinein, die zurückweicht und mit Steinwürfen antwortet. Es gelingt weder der Roten Armee noch der Volkspolizei, Herr der Lage zu werden und die Demonstranten von den Straßen und Plätzen zu verdrängen. […] Die Volkspolizei eröffnet aus nächster Nähe das Feuer. Auch an anderen Stellen der Stadt fallen Schüsse. Tote und Verwundete werden geborgen. Bald wird erkannt: mit Berlin hat sich die Zone erhoben. Nachrichten kommen aus Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg, Merseburg, Bitterfeld, Jena, Gera, Erfurt und anderen mehr. […] Wie ein Lauffeuer hat die Erhebung von Berlin aus tatsächlich die ganze Zone ergriffen. Überall aber geht es längst nicht mehr um die Normen; sondern die Forderung heißt: Freie Wahlen! Ein einheitliches Deutschland! Das jahrelange Mißtrauen von Mensch zu Mensch fällt ab von der Bevölkerung der Zone; allein aus innerem Antrieb, ohne Führung von außen finden sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen zusammen: wieder ein Volk, vereint durch den Willen zur Freiheit. Staatsbürgerliche Informationen, Folge 19, Mai / Juni 1954. Erarbeiten Sie, welche Ursachen und Motive des Arbeiteraufstandes die zeitgenössische Darstellung nennt und was sich am 17. Juni ereignet habe. M 18 15 Ernst Reuter, damaliger Bürgermeister von Westberlin, in der Trauerfeier am 23. Juni 1953 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 1 5 10 15 20 25 30 Wir gehen mit unseren Gedanken hinaus nach Leipzig, zu den Leuna-Werken, in das Gebiet des Uran-Bergbaus, überall da, wo die deutschen Arbeiter dem kommunistischen Regime gezeigt haben, daß sie eine freie Welt wollen und kein kommunistisches Regime. Wir wissen nicht, wie viele Opfer dort draußen dieser grausame, immer noch währende Kampf gefordert hat. Wir nehmen unser Herz in die Hände und geloben in dieser Stunde: Auch wir werden mit ihnen zusammen nicht ruhen, bis wir das Ziel erreicht haben, daß wir nicht mehr trauernd an Särgen stehen müssen, an den Särgen jener, die im Kampfe gegen eine fremde, uns innerlich feindliche Macht ihr Leben lassen müssen. Aber zu der Trauer kommt – und so muß es in Berlin auch sein – der Stolz darauf, daß unser deutsches Volk der Welt gezeigt hat, wo es wirklich steht. Die Frage: Wie denken denn die Menschen in der Zone, wie denkt denn die Jugend in der Zone? Diese Frage kann die Welt in Zukunft nicht mehr an uns richten. Auf diese Frage haben wir alle miteinander am 17. Juni in Deutschland die Antwort gegeben. Wir gehören als freies, stolzes Volk zur freien Welt, wir bekennen uns zur freien Welt und werden nicht ruhen und nicht rasten, bis wir unser Ziel erreicht haben, zu dieser freien Welt aus eigenem Entschluß, aus eigener Kraft, aus eigenem Willen zu gehören. Der 17. Juni 1953 ist, das ist unsere gemeinsame Überzeugung, das größte Ereignis der Geschichte, das wir seit langem erlebt haben. 17. Juni – Reden zum Tag der Deutschen Einheit, zusammengestellt von Herbert Hupka. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1964. Analysieren Sie die sprachliche Gestaltung dieses Redeauszuges. M 19 Zeitgenössische russische Karikatur zum 17. Juni 1953 Krokodil, Moskau (Zeichner: Fedorow); aus: 50 Jahre Sowjetunion im Spiegel der Karikatur, München 1967. Arbeitsauftrag Analysieren Sie die Karikatur und ermitteln Sie ihre Aussageabsicht. M 20 1 5 10 DDR-Geschichtsschreibung, 1975 Um das Wirksamwerden der von SED und Regierung beschlossenen Maßnahmen zu verhindern, beschleunigte die imperialistische Reaktion die Auslösung des seit langem vorbereiteten konterrevolutionären Putsches. Es war ihr Ziel, die Arbeiter-und-Bauern-Macht durch konterrevolutionäre Aktionen faschistischer Elemente und eingeschleuster Provokateure zu stürzen und dann das Territorium der DDR unter dem militärischen Druck der Westmächte politisch und wirtschaftlich der BRD einzuverleiben. […] Am 17. Juni 1953 gelang es Agenten der imperialistischen Geheimdienste und faschistischen Provokateuren, die vor allem von Westberlin aus eingeschleust wurden, in Berlin und anderen Städten der DDR Werktätige mehrerer Betriebe zur Arbeitsniederlegung und zu Demonstrationen zu verleiten. In allen Fällen versuchten die Gruppen von Provokateuren, die Führung der Demonstrationen zu übernehmen. Ausschreitungen und Schießereien zu provozieren. Der RIAS rief zum „Generalstreik“ auf und sandte verschlüsselte Nachrichten an die Rädelsführer des Putsches. Aufgeputschte Horden krimineller und gekaufter Subjekte forderten die Beseitigung der Regierung, drangen in staatliche 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag 16 Der Kalte Krieg 1945 –1990 15 M 14 Dienststellen, Parteibüros und Warenhäuser ein, zerstörten die Einrichtungen, legten Brände an und besudelten Symbole der DDR und der Arbeiterbewegung. Klassenbewußte Arbeiter, die den Putschisten entgegentraten, wurden niedergeschlagen und mißhandelt. Einige erlagen ihren Verletzungen. Schon nach 24 Stunden brach der konterrevolutionäre Putsch zusammen. Rolf Badstübner: DDR. Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a. M. 1975, S. 240 ff. 1. Stellen Sie Formulierungen des Textes für die mutmaßlichen Urheber des 17. Juni und ihr vermeintliches Ziel zusammen. 2. Vergleichen Sie Darstellung und Aussageabsicht dieses Textes und der Karikatur (M 19). M 21 RIAS Berlin 1 5 10 15 20 Der am Abend des 16. Juni mehrfach gesendete Aufruf von RIASProgrammdirektor Eberhard Schütz an die DDR-Bevölkerung enthielt die Formulierung: „Macht Euch die Ungewißheit, die Unsicherheit der Funktionäre zunutze. Verlangt das Mögliche – wer von uns in Westberlin wäre bereit, heute zu sagen, daß das, was vor acht Tagen noch unmöglich schien, heute nicht möglich wäre.“[…] Die Frage, wie weit der RIAS die Ereignisse, die zum 17. Juni geführt haben, beeinflußt hatte, war selbst im Westen umstritten. Der Kommentar von Erich Loest steht für die Meinung vieler Zeitgenossen in Ost und West: „Auch das in allen Debatten: Wenn der RIAS nicht vom Nachmittag des 16. Juni an stündlich von den Ereignissen im Ostteil Berlins berichtet hätte, wenn nicht vom bevorstehenden Generalstreik die Rede gewesen wäre und von einem Aufruf, den Arbeiter aller Industriezweige angeblich an die Ostberliner gerichtet haben sollten, sich am 17. Juni um 7 Uhr auf dem Straußberger Platz zu versammeln, wäre die Kunde nicht über die DDR hinausgeflogen. Ohne den RIAS, das war keine Frage, wäre es in Magdeburg und Leipzig, Halle und Görlitz still geblieben.“ […] Eine ähnlich zentrale und umstrittene Rolle wie im Zusammenhang mit dem Juni-Aufstand 1953 hat der Rundfunk im Kalten Krieg in Berlin und Deutschland nie wieder gespielt. http://www.dhm.de/ausstellungen/kalter_krieg/aet_06.htm (Wilfried Rogasch, Ätherkrieg über Berlin); (25. 3. 2010) Arbeitsauftrag Erörtern Sie die geschilderte Art des Einwirkens des Rundfunksenders RIAS Berlin auf die Ereignisse in Ostberlin und in der DDR. M 22 „Die Wahrheit“, 1953 Deutsches Historisches Museum, Berlin Arbeitsauftrag Erläutern Sie die sprachliche und bildliche Gestaltung der Titelseite einer Broschüre des „Volksbunds für Frieden und Freiheit“ und ihre Aussageabsicht. M 23 Tag der deutschen Einheit BGBl. 1953 I, S. 778. Am 22. Juni 1953 beschloss der Berliner Senat, Teile der Charlottenburger Chaussee und der Berliner Straße umzubenennen in „Straße des 17. Juni“. Am 3. November 1953 wurde sie auf das Teilstück vom Ernst-Reuter-Platz bis zum S-Bahnhof Tiergarten ausgedehnt. 17 M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 Am 3. Juli verkündet der Deutsche Bundestag in Bonn, den 17. Juni fortan als „Tag der deutschen Einheit“ und gesetzlichen Feiertag zu begehen. Arbeitsauftrag Ermitteln Sie, welche Absicht die Politiker in Bonn und Berlin mit Ihren Entscheidungen verfolgt haben könnten. Erörtern Sie diese Maßnahmen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Beachten Sie dabei auch: Heutzutage gibt es den Feiertag nicht mehr (seit 1990), aber die Straße heißt noch immer so. 18 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 M 24 Plakat der FDP zur Bundestagswahl 1953 Erich Ollenhauer war 1952 bis 1963 Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD. Arbeitsauftrag Erläutern Sie, mit welchen Mitteln der Propaganda im Kalten Krieg die FDP auf diesem Plakat Wahlwerbung macht. Institut für Zeitungsforschung, Dortmund 4.6 Bau der Berliner Mauer M 25 Titelseite der Berliner Morgenpost vom 18. Juli 1961 Arbeitsauftrag Analysieren Sie diese Titelseite der „Berliner Morgenpost“ (Westberlin) und diskutieren Sie ihre mögliche Wirkung. M 26 Presseschau: Bau der Berliner Mauer, 1961 15 20 1 5 Neues Deutschland, Ostberlin, 14. August 1961 Geschützt werden jetzt die Kinder vor den Kinderräubern; geschützt werden die Familien vor den erpresserischen Spitzeln der Menschenhandelszentralen; geschützt werden die Betriebe vor den Kopfjägern. Geschützt sind die Menschen vor den Unmenschen, die Ordnung vor den Ordnungsbrechern, 5 die Arbeitsamen vor den Arbeitsscheuen und Spekulanten. Ruhe und Sicherheit unserer Bürger vor den kalten Kriegern. Tiefe Genugtuung erfüllt jetzt alle unsere Bürger, die sich mit immer größer werdendem Zorn dem schamlosen Treiben all der von Westberlin dirigierten Gauner, Menschenfänger, Agenten, Hetzer und Spekulanten 10 ausgesetzt sahen, von ihnen bedroht waren und empfindlich geschädigt worden sind. „Macht endlich Schluß damit“, haben sie gefordert, macht Ordnung!“ Diese Ordnung ist jetzt eingeführt, und jeder Anständige sieht seine Aufgabe darin, mit dafür zu sorgen, daß niemand diese Ordnung auch nur im mindesten zu umgehen wagt. […] Es wurde wirklich Zeit, die Weiche so energisch auf Frieden zu stellen. Uns schmeckt das schon lange nicht. Mit wahrer Engelsgeduld haben wir immer wieder die Hand zur Verständigung ausgestreckt. Die Militaristenbande hat aber unsere Warnungen und Angebote in den Wind geschlagen und das Störzentrum Westberlin weiter ausgebaut. Sollten wir diesem verbrecherischen Treiben noch länger tatenlos zusehen? Nein und nochmals nein! Natürlich wird mancher vorübergehend kleine Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen, ich denke an Verwandtenbesuche, aber lieber ein kleines Opfer jetzt, als nachher das große Opfer für den Krieg. Der Tagesspiegel, Westberlin, 15. August 1961 Diesen 13. August 1961, an dem Ulbricht im Schutze der Nacht den Eisernen Vorhang durch die alte Reichshauptstadt herunterrasseln ließ und seinen Herrschaftsbereich in ein hermetisch abgeriegeltes Gefängnis verwandelte, werden die Berliner und die Menschen in der Zone so bald nicht vergessen. Dieser 13. August 1961, an dem die Spaltung Deutschlands von den Zonen-Machthabern bis zu einem Grade selbstzerstörerischer Schande vertieft wurde, gehört wie der 17. Juni 1953 von heute an zu den schicksalhaften Daten der deutschen Nachkriegsgeschichte […]. Wie ein Lauffeuer gingen die Nachrichten am Sonntagvormittag durch beide Teile der Stadt. Innerhalb weniger Stunden gab es wohl keinen Berliner mehr, hüben wie drüben, der nicht mit Freunden und Bekannten, mit den Nach19 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 10 barn oder auf der Straße mit Fremden, diskutierte, teils fassungslos weil es viele Berliner, trotz aller Absperrungsmaßnahmen der letzten Tage, doch nicht für möglich gehalten hatten, daß Ulbricht zu diesem letzten Mittel der Gewalt greifen und mitten durch die Stadt Barrikaden und Stacheldrahtverhaue ziehen lassen würde um die Menschen an der Flucht zu hindern. Die Berliner in Ost und West strömten zu Tausenden und Zehntausenden an die Sektorengrenzen. Endlose Wagenkolonnen zogen sich schon in den Vormittagsstunden durch die Zoogegend und über die Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Arbeitsaufträge 1. Ermitteln Sie die Argumentationsweise, mit der das „Neue Deutschland“ den Bau der Mauer rechtfertigt. 2. Stellen Sie zusammen, wie der „Tagesspiegel“ den Mauerbau kennzeichnet. 3. Kontrastieren Sie die Darstellungen aus dem „Neuen Deutschland“ (Ost) und aus dem „Tagesspiegel“ (West) an selbstgewählten Aspekten. M 27 1 5 10 15 20 25 Aus einer Broschüre von 1961: Da schlug’s 13 Als der Morgen graute, war die Grenze dicht. Als der Sonntag heraufdämmerte, waren die Maßnahmen der Regierung durchgeführt. Und in den Morgenzeitungen war zu lesen: „Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten wenden sich an die Volkskammer und an die Regierung der DDR, an alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Vorschlag, an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt und rings um das ganze Gebiet Westberlins, einschließlich seiner Grenze mit dem demokratischen Berlin, eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle gewährleistet wird.“ Unser Ministerrat beschloß darauf: „Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der revanchistischen und militaristischen Kräfte Westdeutschlands und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Grenze zu den Westsektoren von Groß-Berlin eingeführt, wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist. Es ist an den Westberliner Grenzen eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten, um der Wühltätigkeit den Weg zu verlegen. Diese Grenzen dürfen von den Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nur noch mit besonderer Genehmigung passiert werden. Solange Westberlin nicht in eine entmilitarisierte neutrale Freie Stadt verwandelt ist, bedürfen Bürger der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik für das Überschreiten der Grenzen nach Westberlin einer besonderen Bescheinigung. Der Besuch von friedlichen Bürgern Westberlins in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (das demokratische Berlin) ist unter Vorlage des Westberliner Personalausweises möglich. Revanchepolitikern und Agenten des westdeutschen Militarismus ist das Betreten der Hauptstadt der DDR (demokratisches Berlin) nicht erlaubt. Für den Besuch von Bürgern der westdeutschen Bundesrepublik im demokratischen Berlin bleiben die bisherigen Kontrollbestimmungen in Kraft. Die Einreise von Bürgern anderer Staaten in die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik wird von diesen Bestimmungen nicht berührt.“ http://www.august1961.de/einleitung.php Arbeitsaufträge 1. Überlegen Sie, wie die Unterscheidung in „friedliche[ ] Bürger[ ]“ und „Revanchepolitiker[ ] und Agenten“ am Grenzübergang nach Ostberlin getroffen werden kann und welche Funktion diese Textpassage hat. 2. Erläutern Sie die Funktion des Bildes, das diesen Artikel illustriert. M 28 Aus einer Broschüre von 1961: Ernst Lemmer, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, über den 13. August 1961 20 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 1 5 10 15 In diesem Sommer haben sich jenseits der Demarkationslinie, die mitten durch Deutschland verläuft, Ereignisse abgespielt, die nicht nur unser ganzes Volk mit ernster Besorgnis erfüllen, sondern auch die ganze Welt angehen. […] Täglich brachen mehr als tausend, in den Tagen vor den Gewaltmaßnahmen vom 13. August sogar an die zweitausend Menschen auf; sie flüchteten aus ihrem Vaterland in ihr Vaterland, um Zwang und Terror gegen freiheitliche und rechtlich gesicherte Lebensverhältnisse einzutauschen. Die Fluchtbewegung aus der Sowjetzone überhaupt […] und ihre Steigerung im Hochsommer 1961 insbesondere sind ein unwiderlegbarer Beweis, daß in der Sowjetzone eine kleine Schicht von fanatischen Kommunisten mit den Gewaltmitteln des Terrors über 17 Millionen Deutsche herrscht. Als eine Bankrotterklärung des Ulbricht-Regimes sind die Abschnürungsmaßnahmen vom 13. August und in den darauffolgenden Tagen zu werten. […] Ein Regime, vor dem Millionen die Flucht ergriffen haben, und das keine andere Lösung weiß, als in der deutschen Hauptstadt eine Abschnürungslinie mit Stacheldraht, Betonmauern und Bajonetten zu errichten, besitzt keine Legitimation, Partner in einem Friedensvertrag mit Deutschland zu sein. Das Foto zeigt den Schüler Erwin Schabe aus Eiskeller. Mit dem Fahrrad fährt er zur Schule nach Spandau. Ein britischer Schützenpanzer mit fünf Mann Besatzung gibt ihm Geleitschutz auf dem Schulweg hin und zurück. Der zwölfjährige Erwin hatte am Vortag zu Hause berichtet, dass Ostberliner Volkspolizisten ihn an der Durchfahrt gehindert hätten. Darauf schickten die britischen Besatzungstruppen den Panzer und verständigten die Presse. Das Spandauer Volksblatt vom 13. August 1961 schrieb: „Erwin wurde eines Tages von bis an die Zähne bewaffneten Vopos der Weg verstellt. Wie Wegelagerer in dem nur kleinen Pfad, der Eiskeller mit West-Berlin verbindet, forderten sie den Schüler auf, sofort wieder umzukehren. Die Ulbricht-Soldateska scherte sich nicht darum, dass sie mitten auf Westberliner Gebiet stand.“ Broschüre: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Bonn/Berlin: Berlin; 13. August: Sperrmaßnahmen gegen Recht und Menschlichkeit, 21963. Arbeitsaufträge 1. Untersuchen Sie die Begrifflichkeit. 2. Erläutern Sie die Funktion des Fotos in dieser Broschüre. M 29 Presseschau: Konfrontation in Berlin, 1961 1 5 1 5 Neues Deutschland, Ostberlin, 23. August 1961 Ungeachtet aller Warnungen setzen faschistische Rowdies in West-Berlin auf direkte Weisung von Brandt und Lipschitz ihre Terror- und Gewaltakte gegen Mitglieder der SED und anderer demokratischer Massenorganisationen fort. Ungeachtet aller Warnungen werden weiterhin Büros der SED, des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands, der Freien Deutschen Jugend und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes demoliert und gebrandschatzt. Solche Überfälle wurden bereits auf 14 Büros organisiert. Wes Geistes Kind die randalierenden Rowdies sind, beweist die Tatsache, daß die Büros besudelt und mit Hetzlosungen und Hakenkreuzen beschmiert werden. Telegraf, Westberlin, 25. August 1961 Der Berliner Innensenator Lipschitz hat gestern die Schließung sämtlicher 13 Geschäftsstellen der kommunistischen Einheitspartei (SED) in Westberlin angeordnet. Diese Maßnahme geschah auf Grund des § 14 des Polizeiverwaltungsgesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bis zur Wiederherstellung der Freizügigkeit in Westberlin. Kurz nach 18.00 Uhr trafen gestern daraufhin die Polizisten im „Dachbüro“ in Neukölln und in den zwölf Kreisbüros ein und forderten Angehörige der SED zum Verlassen der Räume auf. Sämtliche Türschlösser wurden verplombt. Dokumente und Unterlagen der Westberliner SED blieben in diesen versiegelten Dienststellen. Die Schließung der SED-Büros ist eine Antwort des Westberliner Senats auf die Zwangsmaßnahme gegen mehrere SPD-Büros in Ost-Berlin. Wie Innensenator Lipschitz mitteilte, wird man auch gegen die kommunistischen Terrororganisationen in 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag 21 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 10 West-Berlin vorgehen. Dazu gehören unter anderem die kommunistische Einheitsgewerkschaft FDGB und der „Demokratische Frauenbund Deutschlands“. Weisen Sie an den geschilderten Ereignissen nach, wie sich Rechtsund Wertvorstellungen im Kalten Krieg innerhalb dieser einen Stadt Berlin auseinander entwickelt haben. M 30 Anonyme Karikatur aus Berlin (Ost), ca. 1961 Arbeitsaufträge 1. Beschreiben Sie das im Bild dargestellte Verhalten des weiß gekleideten Mannes im Vordergrund. 2. Erläutern Sie davon ausgehend den politischen Hintergrund des Bildes vor dem Mauerbau 1961sowie seine Aussageabsicht. illustrierte historische hefte, 17, hg. vom Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR: Hartmut Mehls und Ellen Mehls: 13. August, S. 22. M 31 Solidarität aus dem Volk auf der Titelseite der „Berliner Zeitung“ vom 14. August 1961 1 5 10 15 20 Bereit, sie wieder aufzunehmen Hilma Säurich, Oberschwester der Berliner Charité: „Endlich ist den Abwerbungen ein Riegel vorgeschoben. Ich bin Krankenschwester, das Herz krampfte sich mir zusammen, wenn ich hörte, wie gewissenlos Ärzte und Schwestern pflegebedürftige Menschen zurückließen und nach dem Westen gingen. Auch aus unserer Charité sind in der Vergangenheit eine Reihe von Schwestern den Abwerbungen nach Westberlin erlegen. Ich möchte hiermit all jenen sagen, daß wir jederzeit bereit sind, sie wieder in unseren Arbeitskreis aufzunehmen. Ostseestraße 8 bis 16 Wir begrüßen die Maßnahmen unseres Ministerrates und geben den Beschlüssen und Erklärungen, die auf den Beschlüssen der Warschauer Vertragsstaaten beruhen, unsere volle Zustimmung. Die Schutz- und Sicherungsmaßnahmen, die zwar für Verwandtschaftsbesuche einige Unbequemlichkeiten vorübergehend schaffen, geben uns Ruhe und Zuversicht und lassen uns mit neuer Kraft der täglichen Arbeit für das Glück unserer Familie und Kinder nachgehen. Wir stehen voller Vertrauen hinter Partei und Regierung. neun Unterschriften der Hausgemeinschaft Alle pünktlich Dr. Horst Ankermann, Oberarzt in der Berliner Charité: „Kein Staat hat sich so um die Kinder und die alten Menschen bemüht, wie unser Arbeiter-und-Bauern-Staat. Das drückt sich zum Beispiel ganz deutlich in der Tatsache aus, welche Liebe und Sorgfalt unser Staat den von gewissenlosen, unmenschlich handelnden Eltern ausgesetzten Kindern angedeihen läßt. Ich halte die gegenwärtig getroffenen Maßnahmen unserer Regierung nicht zuletzt auch deshalb für erforderlich, weil sie einen sicheren Schutz für uns alle darstellen. Machen wir uns doch nichts vor: Wir kennen die Absichten des Lemmer-Ministeriums1, die ständig zunehmende Besserung der Versorgung unserer Bevölkerung – auch auf dem medizinischen Gebiet – zu stören. Der alltägliche Ablauf an diesem Sonntag hat uns deutlich gezeigt, daß unsere Arbeit an der Charité ungestört weitergeht. Wie erwartet. Dabei unterstützen uns auch die Kollegen aus Westberlin. Sie kamen alle pünktlich zu ihrem Dienst. Arbeitsauftrag Schildern Sie, wie Ihrer Vorstellung nach die einzelnen Solidaritätsbekundungen entstanden sind und in die Zeitung kamen. M 32 Schießbefehl, 1961 Berliner Morgenpost, Westberlin, 30. August 1961 1 Ernst Lemmer (CDU) war von 1957 bis 1962 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und damit zuständig für die deutsch-deutschen Beziehungen. 22 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 1 5 1 5 10 15 Die unmenschliche Teilung unserer Stadt hat gestern ein drittes Todesopfer gefordert. Bei dem Versuch, durch den Teltow-Kanal in die Freiheit zu schwimmen, wurde an der Zonengrenze in Lichterfelde ein unbekannter Flüchtling von der Vopo ermordet. Wie Augenzeugen beobachteten, wurde der etwa 30jährige Mann von den Schergen Ulbrichts mit einer Salve aus einer Maschinenpistole niedergeschossen. Die tödlichen Schüsse trafen ihn kurz vor dem rettenden Ufer. Soldaten der Zonen-Armee! Ihr und die Vopos sowie alle Mitglieder der Betriebskampfgruppen tragt seit dem 13. August 1961 schwere Verantwortung. Von Euch hängt es ab, ob mitten in Deutschland auf Deutsche geschossen wird. Kameraden von Euch haben gestern einen jungen Bauarbeiter kaltblütig abgeknallt. Wir sagen Euch: Das ist Mord […]. Denkt daran: Kein Mord bleibt ungesühnt! Neues Deutschland, Ostberlin, 2. September 1961 Schon die ungewöhnliche Art des Grenzübergangs, die sie gewählt hatten – sie versuchten schwimmend der Grenzpolizei zu entgehen – deutet darauf hin, daß es sich um Leute mit schlechtem Gewissen handelt. Normale Bürger, die keine Agenten oder Verbrecher sind, pflegen sich an die Gesetze ihres Staates zu halten. Sie fürchten sich auch nicht, den Weg des Genehmigungsverfahrens zu beschreiten und gegebenenfalls die vorgesehenen Übergangsstellen zu benutzen. Wer aber das Licht scheut, muß damit rechnen, daß ihm auf den dunklen, verbotenen Wegen, die er eingeschlagen hat, etwas passiert. Es ist allgemein üblich, daß Soldaten oder Grenzpolizisten die Grenze eines Staates bewachen. Diese Grenzposten sind überall in der Welt bewaffnet, um eine illegale Überschreitung der Grenze verhindern zu können. Unsere Grenzwachen haben ihre Pflicht getan, als sie gegen Versuche, die Grenze gewaltsam zu durchbrechen, von ihrer Waffe Gebrauch machten. Die Grenzverletzer haben sich bewußt und vorsätzlich in Lebensgefahr begeben und sind darin umgekommen. Was die Versuche betrifft, aus solchem Gesindel Helden zu machen, so ist uns dieses Verfahren bekannt. Als der Zuhälter Horst Wessel bei der Ausübung seines nicht ungefährlichen Berufs zu Tode kam, wurde er zum geeigneten Objekt nazistischer Heldenverehrung. Warum soll also der Homosexuelle mit dem Spitznamen „Puppe“, der in den Humboldthafen sprang, nicht zum Heros der Frontstadt werden? Jeder soll die Helden haben, die er wert ist. Diese Bemühungen, neue Helden der westlichen Welt zu kreieren, mögen in Lächerlichkeit versinken. 1. Verfassen Sie eine möglichst neutrale Zeitungsmeldung über das geschilderte Ereignis. 2. Bewerten Sie die Art der Darstellung beider Zeitungen vor dem Hintergrund Ihrer Vorstellung von der Aufgabe der Presse bei der politischen Berichterstattung. 3. Vergleichen Sie die drei großen deutschen Krisen des Kalten Krieges: Berlin-Blockade und Luftbrücke, 17. Juni 1953 und Bau der Berliner Mauer. Beachten Sie dabei Verlauf und Bedeutung der Krisen im Kalten Krieg. 4.7 M 33 1 5 10 Brüche und Brücken Konrad Adenauer: Politik der Stärke, 1952 /1966 Ich möchte Ihnen sagen, dass ich der festen Überzeugung bin, auf dem eingeschlagenen Wege auch die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen. Kann einer glauben, dass Sowjetrussland jemals, ohne dazu genötigt zu sein, die Ostzone wieder freigeben wird? Ich glaube es nicht. Aber ich denke mir die Entwicklung folgendermaßen: Wenn der Westen stärker ist als Sowjetrussland, dann ist der Tag der Verhandlungen mit Sowjetrussland gekommen. Dann wird man auf der einen Seite Deutschland die Furcht nehmen müssen, die es hat. Dann wird man auch Sowjetrussland klarmachen müssen, dass es so nicht geht, dass es unmöglich halb Europa in Sklaverei halten kann, und dass im Wege der Auseinandersetzung die Verhältnisse in Osteuropa neu geklärt werden müssen. Ich bin auch der Auffassung, dass Sowjetrussland zu solchen Verhandlungen alsdann bereit sein wird, denn, glauben Sie mir, auch Sowjetrussland hat schwere innere Probleme, sogar außerordentlich schwere innere Probleme, nämlich das Nahrungsmittelproblem. Bulletin der Bundesregierung, Nr. 26 vom 4. März 1952, S. 252. Wir mussten wählen. Was die Russen wollten, war klar, sie wollten, war klar, sie wollten über die Neutralisierung Deutschlands schließlich dessen Einbeziehung in den sowjetischen Herrschaftsbereich. Was der Westen uns bot, war im Deutschlandvertrag und im Vertrag über die EVG festgehalten. [...] Ich war und bin fest überzeugt, daß eine gesicherte Zukunft für uns Deutsche nur im festen Anschluß an die freien Völker des Westens gegeben war und ist, ich war und bin überzeugt, daß nur eine feste, entschlossene Politik des Anschlusses an den Westen eines Tages die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit bringen wird. 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag 23 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Konrad Adenauer, Erinnerungen, 1953–1955, Bd. 2 © 1966, Deutsche Verlags-Anstalt, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH. Arbeitsaufträge 1. Erarbeiten Sie die deutschlandpolitische Position Adenauers. 2. Wie ordnet Adenauer Deutschlands Rolle im Ost-West-Konflikt ein? M 34 Egon Bahr: Wandel durch Annäherung, 1963 Egon Bahr (1950 –1960 Chefkommentator des RIAS Berlin, 1969 –1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt) referierte am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Natürlich muß man dabei davon ausgehen, daß nicht nur das Berlin-Problem nicht isoliert gelöst werden kann, sondern auch das Deutschland-Problem eben Teil des Ost /West-Konfliktes ist. […] Die Voraussetzungen zur Wiedervereinigung sind nur mit der Sowjet-Union zu schaffen. Sie sind nicht in Ost-Berlin zu bekommen, nicht gegen die Sowjet-Union, nicht ohne sie. Wer Vorstellungen entwickelt, die sich im Grunde darauf zurückführen lassen, daß die Wiedervereinigung mit Ost-Berlin zu erreichen ist, hängt Illusionen nach und sollte sich die Anwesenheit von 20 oder 22 gut ausgerüsteten sowjetischen Divisionen vergegenwärtigen. […] Die amerikanische Strategie des Friedens läßt sich auch durch die Formel definieren, daß die kommunistische Herrschaft nicht beseitigt, sondern verändert werden soll. Die Änderung des Ost /West-Verhältnisses, die die USA versuchen wollen, dient der Überwindung des Status quo, indem der Status quo zunächst nicht verändert werden soll. Das klingt paradox, aber es eröffnet Aussichten, nachdem die bisherige Politik des Drucks und Gegendrucks nur zur Erstarrung des Status quo geführt hat. Das Vertrauen darauf, daß unsere Welt die bessere ist, die im friedlichen Sinn stärkere, die sich durchsetzen wird, macht den Versuch denkbar, sich selbst und die andere Seite zu öffnen und die bisherigen Befreiungsvorstellungen zurückzustellen. […] Die erste Folgerung, die sich aus einer Übertragung der Strategie des Friedens auf Deutschland ergibt, ist, daß die Politik des Alles oder Nichts ausscheidet. Entweder freie Wahlen oder gar nicht, entweder gesamtdeutsche Entscheidungsfreiheit oder ein hartes Nein, entweder Wahlen als erster Schritt oder Ablehnung, das alles ist nicht nur hoffnungslos antiquiert und unwirklich, sondern in einer Strategie des Friedens auch sinnlos. Heute ist klar, daß die Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt ist, der durch einen historischen Beschluß an einem historischen Tag auf einer historischen Konferenz ins Werk gesetzt wird, sondern ein Prozeß mit vielen Schritten und vielen Stationen. Wenn es richtig ist, was Kennedy sagte, daß man auch die Interessen der anderen Seite anerkennen und berücksichtigen müsse, so ist es sicher für die Sowjet-Union unmöglich, sich die Zone zum Zwecke einer Verstärkung des westlichen Potentials entreißen zu lassen. Die Zone muß mit Zustimmung der Sowjets transformiert werden. Wenn wir soweit wären, hätten wir einen großen Schritt zur Wiedervereinigung getan. […] Wenn es richtig ist, und ich glaube, es ist richtig, daß die Zone dem sowjetischen Einflußbereich nicht entrissen werden kann, dann ergibt sich daraus, daß jede Politik zum direkten Sturz des Regimes drüben aussichtslos ist. Diese Folgerung ist rasend unbequem und geht gegen unser Gefühl, aber sie ist logisch. Sie bedeutet, daß Änderungen und Veränderungen nur ausgehend von dem zur Zeit dort herrschenden verhaßten Regime erreichbar sind. Das ist nicht ganz so erschreckend, wie es klingt, nachdem wir schließlich mit diesem Regime schon eine ganze Weile zu tun haben und auch auf der verschämten Ebene der Treuhandstelle für den Interzonenhandel sprechen. […] Der amerikanische Präsident hat die Formel geprägt, daß soviel Handel mit den Ländern des Ostblocks entwickelt werden sollte, wie es möglich ist, ohne unsere Sicherheit zu gefährden. […] […] Uns hat es zunächst um die Menschen zu gehen und um die Ausschöpfung jedes denkbar und verantwortbaren Versuchs, die Situation zu erleichtern. Eine materielle Verbesserung müßte eine entspannende Wirkung in der Zone haben. Ein stärkeres Konsumgüterangebot liegt in unserem Interesse. In der Sowjetunion ist der Konsumwunsch gewachsen und hat zu positiven Wirkungen beigetragen. Es ist nicht einzusehen, warum es in der Zone anders sein sollte. Die Sowjetunion ist angetreten mit dem Ziel, den Westen einzuholen und zu überholen, gerade auch auf dem Gebiet des Lebensstandards, auf dem der Westen am stärksten ist. Abgesehen davon, daß es sich dabei um ein Ziel handelt, das den Westen als Vorbild hinstellen muß und an seiner Leistung orientiert ist, ist offensichtlich, daß diese Politik nicht allein die Zone innerhalb des Ostblocks ausnehmen kann. Den Prozeß zur Hebung des Lebensstandards zu beschleunigen, weil sich dadurch Erleichterungen mannigfacher Art für die Menschen und durch verstärkte Wirtschaftsbeziehungen verstärkte Bindungen ergeben können, würde demnach in unserem Interesse liegen. Man könnte sogar die Sorge haben, daß dann die Unzufriedenheit unserer Landsleute etwas nachläßt. Aber eben das ist erwünscht, denn das ist eine weitere Voraussetzung dafür, daß in dem Prozeß zur Wiedervereinigung ein Element wegfallen würde, das zu unkontrollierbaren Entwicklungen führen könnte und damit zu zwangsläufigen Rückschlägen führen müßte. Man könnte sagen, das Regime würde gestützt, aber ich habe eben zu entwickeln versucht, daß es keinen 24 Der Kalte Krieg 1945 –1990 50 55 M 14 praktikablen Weg über den Sturz des Regimes gibt. Ich sehe nur den schmalen Weg der Erleichterung für die Menschen in so homöopathischen Dosen, daß sich daraus nicht die Gefahr eines revolutionären Umschlags ergibt, die das sowjetische Eingreifen aus sowjetischen Interessen zwangsläufig auslösen würde. […] Wir haben gesagt, daß die Mauer ein Zeichen der Schwäche ist. Man könnte auch sagen, sie war ein Zeichen der Angst und des Selbsterhaltungstriebes des kommunistischen Regimes. Die Frage ist, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese durchaus berechtigten Sorgen dem Regime graduell so weit zu nehmen, daß auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist. Das ist eine Politik, die man auf die Formel bringen könnte: Wandel durch Annäherung. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir Selbstbewußtsein genug haben können, um eine solche Politik ohne Illusionen zu verfolgen, die sich außerdem nahtlos in das westliche Konzept der Strategie des Friedens einpaßt, denn sonst müßten wir auf Wunder warten, und das ist keine Politik. Dieser Beitrag wurde der Zeitschrift Deutschland Archiv. Zeitschrift für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik, Heft 8/1973, S. 862 – 865 entnommen. http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/stichwort/ tutzinger_rede.pdf. Arbeitsaufträge 1. Erläutern Sie Bahrs Konzept des „Wandels durch Annäherung“. Machen Sie die Unterschiede zur „Politik der Stärke“, vertreten durch Konrad Adenauer (M 33), deutlich. 2. Bewerten Sie Bahrs Überlegungen vor dem Hintergrund der Entwicklung des Kalten Krieges. M 35 Wolfgang Hicks: „Ach, können Sie mir nicht sagen, wo Ihre weiche Stelle sitzt“, 1974 HdG 1991/10/500.06251 Hinweis: Der kleine Ritter rechts im Bild soll Egon Bahr verkörpern. Bahr hatte 1963 mit seinem Wort vom „Wandel durch Annäherung“ (vgl. M 27) die geistige Grundlage für die spätere Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Regierung gelegt. Arbeitsauftrag Ermitteln Sie die Beurteilung der zeitgenössischen Ostpolitik der sozialliberalen Regierung. 4.8 Lieder M 36 a Pack’ die Badehose ein, 1951 1 5 Wenn das Thermometer steigt, Und fast dreißig Grad anzeigt, Ja, dann zieht man aus Berlin, Zum Strand vom Wannsee hin. Kinder ist das ein Gewühl, Oma kaut ein Eis am Stiel, Und die Planscherei Doch damit ist es jetzt vorbei. 10 15 Schließ die Badehose ein, Laß das Baden lieber sein, Denn der Ami schießt am Wannsee. Wenn die Sonne strahlend scheint, Und das Schwesterchen auch weint, Fahre bloß nicht an den Wannsee. Ich kann schießen sagt der Ami Wie ich will und wo ich mag, 25 Das erlaubt mir Adenauer Ja im Generalvertrag. 20 25 30 Kinder woll’n wir doch mal sehen, Ob wenn wir zusammenstehen, Nicht die Amis eines Tages Baden gehen. Will man sich erholen gehen, Sieht man bloß Kanonen stehen, Und die Ami-Flinte knallt In unserem Grunewald. Wer zum Strand will ist entsetzt, Denn da sitzt der Ami jetzt, Doch wir hab’n parat, Für die Brüder einen Rat: Pack’ die Panzerwagen ein, Leg’ paar Steine noch mit rein, Und dann rin damit in Wannsee. M 14 35 Der Kalte Krieg 1945 –1990 Denn wir pfeifen auf das Glück, auf ‘ne Kugel im Genick, Wir wollen Frieden, Auch am Wannsee. Schließlich ziehen wir wenn wir baden keine Panzerwesten an, 40 45 Denn Berlin ist nicht Chicago, Unser Bär kein „Dritter Mann“. Keine Sorge, ans und Klaus, pack’ die Badehose aus, Ami geh’ nach Hause, Mensch sonst fliegst Du raus. Komposition: Gerhard Froboes, Satire-Fassung auf den West-Schlager von Conny Froboes, 1951, DDR-Text: unbekannt, gesungen von Gina Presgott, 1952; „Die Partei hat immer Recht“, Audio-CD 1996 Deutschlandradio; Text: http://www.duits.de/docentenkamer/praktijk/excursie/Berlin/songtexte.doc. M 36 b Matthias Oloew: Schüsse am Wannsee, 2007 1 5 10 15 20 25 30 35 40 Der Tag, an dem die sieben Jahre alte Karla Jäger zu einer Figur des Kalten Krieges wird, ist ein Dienstag im Jahr 1952, der 5. August. Es ist heiß, 30 Grad, im Strandbad Wannsee ist schon früh am Morgen viel los. Insgesamt zählen die Schwimmmeister 17 198 Besucher an diesem Tag. Karla planscht wie viele andere Kinder im flachen Wasser. Sie ist braun gebrannt, ihre blonden Locken sind von der Feriensonne ganz ausgebleicht. Sie hört nicht, was kommt. Niemand hört es. Sie spürt aber plötzlich einen stechenden Schmerz, hinten am Hals. Es tut sehr weh. Sie fasst hin und hat Blut an ihren Fingern. Weinend läuft sie zu ihrer Mutter, die sie in den Arm nimmt und tröstet. Ein Wespenstich vielleicht, denkt die Mutter, oder eine kleine Schnittwunde. An der Hand ihrer Mutter geht Karla zum diensthabenden Sanitäter. Der reagiert ungewöhnlich nervös. In Karlas Hals steckt eine Kugel, ein Infanteriegeschoss der US-Armee. Das weiß da noch niemand, aber die Schwimmmeister ahnen es. Sie setzen das Kind und seine Mutter in ein Motorboot und fahren auf die andere Seeseite ins Krankenhaus Wannsee. Fast 55 Jahre später sitzt Karla Jäger in der Lobby eines Berliner Hotels mit einer kleinen Mappe auf den Knien. […] Dass ihr Fall […] zu einem Kapitel des Kalten Kriegs wurde, als sich Amerikaner und Sowjets in Berlin so nah wie nirgendwo sonst auf der Welt gegenüberstehen, das ist ihr neu. Sie öffnet die kleine Mappe. „Jahrelang habe ich sie nicht mehr angeschaut“, sagt sie, und zeigt den Inhalt: Fotos, Zeitungsausschnitte, Teile der Krankenakte. Die Ärzte im Krankenhaus Wannsee hatten große Probleme, die Kugel aus dem Hals des Mädchens zu entfernen. Erst mit einem Magneten gelang es ihnen, das Geschoss herauszuholen. Dann stand auch zweifelsfrei fest: Es ist eine Kugel, wie sie in Berlin nur die Amerikaner benutzten. Das brachte die Behörden in Erklärungsnöte. Denn die wussten längst, dass es bei den Schießübungen der Amerikaner im Grunewald immer wieder zu Unfällen kam: Mal trafen verirrte Kugeln die Dienstwohnung eines Badangestellten, mal durchschlugen sie ein Fenster, mal lagen leere Patronenhülsen auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude. Und schon einmal, im Juli 1951, wurde ein Badegast getroffen: Steckschuss in der Schulter. Die Behörden und die Schwimmmeister behielten das immer für sich und ließen die Berliner am Wannsee baden. Bis eben zu jenem 5. August 1952. Bis es das Mädchen Karla traf. Danach wurde das Schweigen gebrochen. […] die ostdeutschen Medien erfreuen sich an der Nachricht: Wannseebad geschlossen, weil die Amerikaner auf der Keerans Range [= Südkurve der Avus] das Schießen üben. Sie starten eine Propagandaschlacht. Das „Neue Deutschland“ macht aus dem verhängnisvollen Querschläger einen „Mordanschlag der US-Okkupanten“, die „B. Z. am Abend“, nicht zu verwechseln mit der „B. Z.“ aus dem Hause Axel Springer, will gar erfahren haben, dass der US-Geheimdienst das kleine Mädchen Karla abschirme und dass es keine Besuche empfangen dürfe. Zur selben Zeit treffen bei ihrer Familie merkwürdige Briefe aus Ostdeutschland ein, die Karla Konopatzki in ihrer Mappe verwahrt: So wird die Familie benachrichtigt, eine nahe Verwandte sei in Magdeburg verstorben, die Beerdigung stehe an und es sei eine Erbschaft zu machen. Dabei hat Familie Jäger gar keine Verwandten in Magdeburg. Auch eine Einladung trudelt ein, vom Pionierlager „Walter Ulbricht“ aus dem kleinen Harzort Horla: Karla wird vorgeschlagen, sich dort von ihrer Verletzung zu erholen. „Das waren alles Versuche, mich und meine Familie in die DDR zu lotsen“, ist sich Karla Konopatzki sicher. Und der Zweck ist ihr auch klar: „Ich hätte bestimmt erzählen müssen, wie schlimm und unmenschlich die Amerikaner sind.“ Doch davon wollten weder sie noch ihre Familie etwas wissen. „Wir waren froh über das, was man uns als Entschädigung zukommen ließ“, sagt sie: einen Ballonreifenroller für das Kind und eine sechswöchige Kur in Badenweiler für Karla und ihre Mutter, inklusive Anreise mit dem Flugzeug. „Das war für mich als Kind eine Sensation.“ Derweil kommt die DDR auf immer neue Ideen, um Karlas Fall auszuschlachten. Am 19. August 1952 geht in Leipzig die Kabarettistin Gina Presgott, die später zu den Gründungsmitgliedern des Theaters „Die Distel“ gehören wird, ins Tonstudio, um ein Spottlied über den Vorfall zu singen und die Westintegration Adenauers anzuprangern. Auf die Melodie des Gassenhauers „Pack’ die Badehose ein“ reimt sie: „Schließ’ die Badehose ein, lass’ das Baden lieber sein, 26 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 denn der Ami schießt am Wannsee.“ Und weiter: „Denn wir pfeifen auf das Glück, auf ’ne Kugel im Genick, wir wollen Frieden, auch am Wannsee.“ Der Tagesspiegel vom 3. April 2007, http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Sonntag;art2566,2259339. Ordnen Sie das Lied – seinen Text und den Hintergrund seiner Entstehung – in seinen historischen Zusammenhang ein. M 37 Affenschande, 1961 1 5 Amerika stopft Affen in die Satelliten Und jagt sie halb-lebendig in den Raum. So etwas kann man heut nur Affen bieten, Denn einem Menschen imponiert das kaum. Laßt die Schimpansen doch in Ruh Und lernt vor allem Eins dazu: Im Weltraum siegte die SU! 10 15 Seit Titow und Gagarin um die Erde zogen Gilt es für alle Welt als klarer Fall: Die Kommunisten haben uns noch nie betrogen. Sie schicken auch den Dritten in das All. Laßt die Schimpansen doch in Ruh Und lernt vor allem Eins dazu: Im Weltraum siegte die SU! „Uns gefällt diese Welt“, Komposition: Wolfgang Lesser; Text: Hans Kahlau, 1961; auch: „Die Partei hat immer Recht“, Audio-CD 1996 Deutschlandradio, Mitschrift des Textes. Recherchieren Sie, auf welche Ereignisse sich das Lied bezieht und zeigen Sie, inwiefern das Lied ein Produkt des Kalten Krieges ist. M 38 Die 13, 1961 Brandt war 1961 Regierender Bürgermeister von Westberlin, Ernst Lemmer Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen; die Berliner Ostbüros – betrieben von politischen Parteien und anderen Organisationen – standen im Verdacht, Spionage u. a. gegen die DDR zu betreiben; HO-Läden („Handelsorganisation“) waren in der DDR staatliche Einzelhandelsunternehmen (Kaufhäuser, Lebensmittelläden usw.). 1 5 10 15 Was war das für ’ne Lust, Am 13. August, Der Brandt bekam eins auf den Hut, Ihr glaubt ja nicht, wie gut das tut, Und als er wieder zu sich kam, Fing’s ihm zu dämmern an: 20 Dem einen bringt die 13 Pech, Dem andern bringt sie Glück. Doch was man mal verloren hat, Bekommt man nicht zurück. 25 Die armen Ostbüros, Was machen die jetzt bloß, Wer anderen eine Grube bohrt, Bald selbst im eignen Safte schmort, Herr Lemmer sah den Schaden an, Und konstatiert so dann: 30 Refrain: Dem einen bringt die 13 Pech … Die Grenzen sind jetzt dicht, Ja, das paßt so manchem nicht, „Frau von und zu“ wird nicht mehr froh, Ihr fehlt das Fleisch aus der HO. Der Wechselstubenboss hat Not, Denn Eins zu Vier ist tot. Refrain: Dem einen bringt die 13 Pech … Der Willy ist passé, Das tat den Amis weh, Sie schickten zu der Frontstadt wohl, Gleich Nato-Söldner als Symbol, Doch sie erreichten leider nur, ‘ne Umzugskonjunktur. Refrain: Dem einen bringt die 13 Pech … „Uns gefällt diese Welt“, Komposition und Text: Kallies, August 1961; auch: „Die Partei hat immer Recht“, Audio-CD 1996 Deutschlandradio, Mitschrift des Textes. Ermitteln Sie die Haltung des Liedes zum Mauerbau. M 39 a 5 Udo Lindenberg: Mädchen aus Ostberlin, 1973 Stell dir vor du kommst nach Ostberlin und da triffst du ein ganz heißes Mädchen so ein ganz heißes Mädchen aus Pankow und du findest sie sehr bedeutend und sie dich auch dann ist es auch schon so weit ihr spürt, dass ihr gerne zusammen seid 27 10 und ihr träumt von einem Popfestival auf dem Alexanderplatz mit den Rolling Stones und 'ner Band aus Moskau doch plötzlich ist es schon zehn nach elf und sie sagt „ey du musst ja spätestens um zwölf wieder drüben sein M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 15 sonst gibt's die größten Nervereien denn du hast ja nur 'nen Tagesschein" 20 Mädchen aus Ostberlin das war wirklich schwer ich musste gehen, obwohl ich so gerne noch geblieben war aber Mädchen, ich komme wieder 25 und vielleicht geht's auch irgendwann mal auch ohne Nervereien da muss doch auf die Dauer was zu machen sein ich hoffe, dass die Jungs das nun bald in Ordnung bringen denn wir wollen doch einfach nur zusammen sein vielleicht auch mal etwas länger vielleicht auch mal etwas enger wir wollen doch einfach nur zusammen sein [...]. 30 „Mädchen Aus Ostberlin“ (100%) Musik&Text: Udo Lindenberg © Ed. Star Musik / Universal/MCA Music Publishing GmbH. M 39 b Mein Mädchen aus Ostberlin Dieses Mädchen aus Ostberlin gab es damals wirklich. Sie hieß Manu. Udo Lindenberg lernte sie 1972 kennen und in seiner Autobiografie „Panikpräsident“ erzählt er davon: 1 5 10 15 20 25 30 35 Udo L. kommt nach nervenzehrender Begutachtung durch rüde sächsisch nuschelnde Ostberliner Grenzwächter aus dem Bahnhof Friedrichstraße. Gelegentliches DDR-Luft-Schnappen ist zur Gewohnheit geworden. Der gelernte Detektiv tut sich um zwischen Platte, Trümmern und Parolen. Es gilt, das nahe Land zu erforschen. Seine Bewohner anzuhören. Um festzustellen, dass die graue Exotik auch sehr deutsch ist. Dass die Mauer Seelenverwandtschaften trennt. Udo L. schlendert unschlüssig. Atmet Trabi-Gase und sieht den Menschen zu, die sich weniger hektisch bewegen als im anderen Teil der Stadt. Sie kommt direkt auf ihn zu. Er bemerkt ihre zarte Silhouette. Das kurze, rabenschwarze Haar. Die sanften Wölbungen unter dem engen knallroten Plaste-Pullover. Die breiten, ungeschminkten blassrosa Lippen. Sie weichen sich nicht aus. Sie stehen sich gegenüber. Er sieht in ihre dunkelbraun glühenden Augen. Sie sagt: „Hey.“ Nur: „Hey.“ Er sagt: „Hallo.“ Und macht eine lange Pause. „Von welcher Galaxie kommst du?“ „Pankow“, sagt sie. Er spürt das Magendrehen. Sie gehen ins Presse-Café am Bahnhof Friedrichstraße. Sie rührt mit dem Strohhalm in einem Gläschen Rotkäppchen. Udo L. sagt: „Du haust mich um, geheimnisvolle Schöne aus Ostberlin.“ „Pankow“, sagt sie „und wo kommst du her?“ „Gronau an der Dinkel“, sagt Udo L. „Und was machst du so?“ „Sänger, Trommler, Forscher. Reisender in Sachen Völkerverständigung und bald Stargast in den großen Sälen der DDR.“ Nach drei Gläsern Rotkäppchen erzählt sie von sich. Sie heißt Manuela und wird Manu genannt. Sie hat gerade das Abitur hinter sich und wird Kunst studieren, weil sie Malerin werden will. Sie ist Kommunistin. Alle in ihrer Familie waren schon immer Kommunisten. Ihre Großeltern mütterlicherseits arbeiteten als Messerschleifer, weil sie Zigeuner waren. Es gab nicht viele Zigeuner in der KPD. Die Großeltern sind dann auch gleich nach Hitlers Machtergreifung verhaftet worden. Ihre letzte Spur führt ins KZ Theresienstadt. Die Mutter ist bis 1945 von Genossen versteckt worden. Das Mädchen erzählt es sehr cool, während es im fünften Glas Rotkäppchen rührt. Bei Kriegsende hat ihre Mutter auf dem Dachboden im Haus ihrer Großeltern väterlicherseits gelebt. Da stand auch die KP-Traditionsfahne des Bezirks Pankow, die ihr Vater als Junge unter Einsatz seines Lebens gerettet hat. Na ja, der Vater hat dann das Zigeunermädchen auf dem Dachboden ziemlich oft besucht und später geheiratet. Udo L. wischt sich eine Träne aus dem linken Auge. Er ist total angetörnt von dieser Frau. Vielleicht wird er auch Kommunist. Und dann heiraten sie sozialistisch unter der Traditionsfahne von Pankow. Und sie kaufen sich einen Wohnwagen, spannen zwei Schimmel davor und ziehen Messer schleifend durch die Welt. Er küsst Manu unter den rabenschwarzen Haaren auf die Stirn. Sie lächelt und sagt in ihrer sachlichen Art: „Ey, komm, lass uns gehen.“ Sie kaufen in der Lenin-Allee noch drei Flaschen Rotkäppchen und fahren ziemlich lange mit der SBahn und trinken Rotkäppchen aus der Flasche. Eine ältere DDR-Bürgerin meint zu Manu: „Schämen solltest du dich.“ Und Manu prustet vor Lachen den Rotkäppchen-Sekt in die Gegend. Als sie aussteigen, legt er den Arm um ihre Schultern. Sie klickt sich mit dem Daumen in seinen Gürtel ein. Weil sie nicht mehr allein geradeaus laufen kann. Es dauert unendlich lange, bis sie sagt: „Da. Unsere Datsche.“ Es ist eine Hänsel-und-Gretel-Hütte. Sie nimmt ihn an die Hand und zieht ihn rein und muss sich an der Wand abstützen. Sie öffnet die hölzernen Fensterläden. Man sieht auf einen schilfumrandeten Teich. Udo L. macht die Stille Angst. Er hört nur ihren aufgeregten Atem und einen singenden Vogel. Ihm macht die Frau Angst. Und dieser galaktisch erektive Zustand, aus dem es kein Entrinnen gibt. Sie führt ihn in ein kleines Zimmer mit einem schmalen Bett, auf dem ein Schaffell liegt. An der Wand klebt weiß und blau die Friedenstaube. Auf dem Nachttisch steht das silbergerahmte Foto eines jungen Mannes in Uniform. Das Foto bohrt sich dolchmäßig in die liebestrunkene Seele des Udo L. Er steht starr und stöhnt: „Wer ist das?“ 28 Der Kalte Krieg 1945 –1990 40 45 50 55 60 65 M 14 Sie scheint zu erröten. „Wer?“, fragt sie. „Ach, das Foto.“ Sie lacht dieses tiefe, erotische Lachen. „Mein Bruder. Ist bei der Armee. Wenn es dich stört.“ Sie schnippt mit dem Zeigefinger das Foto um. Udo L. lockert sich. Er will alles glauben. Dieser Göttin. Mit dem gigantischen Mund. Der nicht lügen kann. Er will sehen, was sich sanft wölbt unter knallroter Synthetik. Er greift nach diesem Pullover. Sie streckt die Arme nach oben. Sie sagt: „Ich bin nicht so. Sonst. Es ist nur, weil ich furchtbar beschwipst bin. Und wir uns sowieso nie wieder sehen.“ „Wir werden uns immer sehen“, sagt er. „Immer lieben. Wie jetzt. Und wenn ich die Mauer eigenfüßig eintreten muss mit dem schnellen Bass-Drum-Fuß.“ Sie sagt nichts mehr, weil er diesen gigantischen Mund küsst. Kosmische Energien entladen sich. Vulkanausbruch. Glühende Lava strömt. Dann liegen sie nebeneinander auf dem schmalen Bett, und der Schweiß läuft in das Schaffell. „Du warst also in New York“, sagt sie. „Erzähl was von New York.“ Er sagt, dass die Stadt der Wahnsinn sei. „Ich liebe sie und hasse sie. Sie ist Paradies und Untergang. Die rote Sonne über dem Hudson und so. Der Lichterirrsinn am Broadway. Das ist unheimlich schön und unheilbar krank. Im Waldorf Astoria kippen sie sich den Champagner rein, und ein paar Blocks weiter krepieren die schwarzen Kids. Wir werden es uns zusammen ansehen. Ich kauf uns zwei Paar Flügel, und wir segeln die Skyline entlang. Und lieben uns auf der Fackel der Freiheitsstatue.“ Sie meint: „Ich könnte da nicht leben.“ „Okay“, sagt er. „Wir segeln nach Kingston Town. Du drehst mir die RastaLocken. Und wir stellen Ölfässer vor unsere Hütte, auf denen die kleinen Lindenwürmer trommeln. Und wir lieben uns von Sonnenaufgang bis Monduntergang.“ Sie lacht das tiefe Lachen und schwebt schon wieder über ihm. Bis sie irgendwann auf die Uhr starrt und sagt: „Scheiße, in einer guten Stunde musst du wieder drüben sein.“ Sie kommt nicht mit in den Tränenpalast im Bahnhof Friedrichstraße. Sie hat geheult und gesagt: „Es geht nicht mit uns. Ich bin Kommunistin, und du wirst Millionär. Der antifaschistische Schutzwall ist zu hoch. Und ein Tagesaufenthalts-Liebchen bin ich nicht.“ Udo L. küsst ihren kolossalen Mund und meint: „Wir werden im Titicacasee baden und am Strand von Ipanema. Wir werden uns unter Affenbrotbäumen umarmen und in den Kojen chinesischer Dschunken. Du wirst meine Königin sein im goldenen Rock-Palast. Und 20 Eunuchen werden dich bewachen.“ Udo bekennt: „Ich habe wirklich geglaubt, dass es für mich nie wieder eine andere Frau geben könnte. Ich hatte das vielleicht schon häufiger geglaubt. Aber nie so granitfest. Die Hochzeit im Petersdom war schon gebucht. Fidel Castro sollte Überraschungsgast sein. Jeder Tag ohne sie war ein Verbrechen.“ „Panikpräsident“, die Autobiografie von Udo Lindenberg und Kai Hermann; Abdruck am 18. Januar 2004, Welt am Sonntag http://www.welt.de/printwams/article105301/Mein_Maedchen_aus_Ostberlin.html (25. 3. 2010), vgl. u. a. http://www.museumsmagazin.com/archiv/22005/ausstellung/part1.p hp (25. 3. 2010). Anmerkung: Udo Lindenberg lernte Manu 1972 kennen. 1973 will er sie von professionellen Schleusern aus der DDR befreien lassen. für 20 000 DM. Was er nicht weiß: Manu war IM und mit einem Offizier der NVA verheiratet und informiert die Staatssicherheit über ihre Treffen mit dem westlichen „Schlagersänger“. Als Lindenberg noch vor der Flucht mit seiner Geliebten in der DDR Verlobung feiern will, nimmt ihn die Stasi vorübergehend fest und schiebt ihn ab in den Westen. Arbeitsauftrag Klären Sie den geschichtlichen Hintergrund des Liedes auf und beurteilen Sie es als Zeugnis des Kalten Krieges in Deutschland. 4.9 M 40 a 29 Olympische Spiele im Kalten Krieg Erste olympische Goldmedaille für Deutschland nach dem Krieg, 1952 M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 40 b Fahne der gesamtdeutschen Olympiamannschaft von 1956 –1968 M 40 c „Wir gegen uns“: Olympia und der Kalte Krieg 1948 London ohne Deutschland und auch ohne UdSSR USA 1952 Helsinki die Bundesrepublik nimmt teil, die DDR ist nicht USA UdSSR zugelassen Ungarn Bundesrepublik Teilnahme Deutschlands als „Gesamtdeutsche 1956 Melbour Mannschaft“ mit gemeinsamer Hymne (Beethovens 9. Symphonie) und gemeinsamer ne Fahne (schwarz-rot-gold mit weißen 1960 olympischen Ringen) Rom UdSSR USA Deutschland 1964 Tokio UdSSR USA Deutschland UdSSR USA Deutschland Spanien, die Niederlande und die Schweiz bleiben wegen der Niederschlagung des Ungarnaufstandes durch sowjetische Truppen fern. Ägypten, Irak und der Libanon boykottieren Melbourne wegen Israels Rolle in der Suez-Krise. Mexiko Teilnahme Deutsch-lands mit zwei getrennt geführten Teams (getrennte Delegationen und Namensschilder), aber noch mit gemeinsamer Fahne und Hymne wie zuvor USA UdSSR DDR Bundesrepublik Studentenrevolten mit zahlreichen Toten kurz vor den Spielen in Mexiko-Stadt stellen die Ausrichtung der Spiele infrage. Südafrika (wegen Apartheid) ausgeschlossen. Sympathiekundgebung bei Siegerehrung durch zwei farbige US-Athleten für Black-Power-Bewegung. 1972 Münche n zwei getrennte deutsche Teams: Bundesrepublik und DDR jeweils mit eigener Fahne, Staatssymbol und Hymne UdSSR USA DDR Bundesrepublik Palästinensische Terroristen überfallen im Olympischen Dorf israelische Sportler, töten zwei von ihnen und nehmen die übrigen als Geiseln. Bei dem Versuch, die Geiseln zu befreien, kommen alle neun israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen ums Leben. 1976 Montrea l UdSSR DDR USA Bundesrepublik Boykott durch 28 schwarzafrikanische Staaten, da Neuseeland teilnehmen darf, das mit Südafrika (Apartheid) Sportturniere ausgetragen hat. 1980 Moskau UdSSR DDR Bulgarien Von 146 Staaten nehmen nur 81 teil; die meisten aus Protest gegen die Besetzung Afghanistans Ende 1979 durch die UdSSR. Auch die Bundesrepublik boykottiert diese Spiele. 1984 Los Angeles USA Rumänien Bundesrepublik Die UdSSR und die von ihr politisch abhängigen Staaten (unter ihnen die DDR) boykottieren die Spiele (Revanche für 1980; Begründung: Sicherheit der Athleten sei nicht gewährleistet). 1988 Seoul UdSSR DDR USA Bundesrepublik Nordkorea und sechs weitere Länder wie Kuba bleiben fern. 1968 1992 erstmals wieder „Gesamtdeutsche Mannschaft“ GUS (ehem. UdSSR) Barcelon (Deutschland) mit Fahne und Hymne der alten USA a Bundesrepublik Deutschland Deutschland Hinweis: Ab 1959 hatte die DDR eine eigene Staatsf lagge (Schwarz-Rot-Gold mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz); sie durfte bis 1970 in der Bundesrepublik nicht gezeigt werden („Spalterflagge“). 1972 anerkannten die Bundesrepublik und die DDR in ihrem „Grundlagenvertrag“ gegenseitig ihre Hoheitsgebiete („zwei Staaten deutscher Nation“). In den Jahren zuvor hatte die Bundesrepublik stets beansprucht, sie alleine vertrete ganz Deutschland („Alleinvertretungsanspruch“). 1973 wurden die Bundesrepublik und die DDR gemeinsam in die UNO aufgenommen. Ermitteln Sie, inwiefern die Olympischen Spiele Schauplatz des Kalten Krieges waren. Arbeiten Sie besonders die deutsch-deutsche Teilnahme vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung heraus. M 41 a Sportliche Erfolge kompensieren 30 Der Kalte Krieg 1945 –1990 M 14 Material 1 5 Der eindeutige Gewinner bei den Olympischen Spielen 1956 war, was die politische Dimension dieses Ereignisses betraf, die DDR. Ihre klare taktische Marschroute in Richtung auf die politische Anerkennung hatte ihr in den Verhandlungen und im Erscheinen vor der internationalen Sportwelt Erfolg gebracht. Sie hatte ihren Platz auf dem olympischen Parkett gefunden und sorgte durch ihr geschicktes Auftreten und ihre hohe sportliche Leistung für inter nationale Anerkennung. […] Dies stärkte das Selbstbewusstsein und trug zum Abbau des hohen Legitimationsdefizits des SEDRegimes im Innern bei. In wichtigen Fragen des Protokolls und der Unabhängigkeit hatte das DDR-NOK gleichwertige Positionen wie das NOK der Bundesrepublik erreicht, so dass man durchaus von einer De-facto-Gleichberechtigung sprechen konnte. Der Führungsanspruch der Bundesrepublik im olympischen Bereich bestand nur noch pro forma. Pabst, Ulrich: Sport – Medium der Politik? Der Neuaufbau des Sports in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg und die innerdeutschen Sportbeziehungen bis 1961. Berlin 1980, S. 191 und S. 244. M 41 b Aus den Grundlinien der Entwicklung des Leistungssports in der DDR 1 Objektiv ist die Auseinandersetzung im Leistungssport ein fester Bestandteil des Klassenkampfes. In der Auseinandersetzung zwischen den gegensätzlichen gesellschaftlichen Systemen geht es darum, die Überlegenheit der sozialistischen Ordnung auch durch hohe und höchste Leistungen im Bereich von Körperkultur und Sport zu dokumentieren. Bundesarchiv Berlin – SAPMO (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR) – ZPA – J VI 2/3 – 1509. Zitiert nach: Pfeiffer, Lorenz: Die Olympischen Sommerspiele '72 in München. Sportlicher Systemvergleich auf dem Boden des Klassenfeindes. In: Krüger, Michael (Hrsg.): Olympische Spiele. Bilanz und Perspektiven im 21. Jahrhundert. Münster 2001, S. 102. M 41 c München 1972 1 20 Die Sportler der BRD sind zu potentiellen Gefolgsleuten der BRD-Imperialisten geworden. Sie sind, ob bewusst oder unbewusst, unsere Feinde, unsere Klassengegner. Mit ihnen kann es keine Freundschaft, keine Gespräche, keinerlei Kontakte geben. Denn es ist nicht Aufgabe der 5 Leistungssportler, den Klassenkampf mit Diskussionen zu führen. Ihre Aufgabe ist es, den Klassengegner mit hohen sportlichen Leistungen zu schlagen, um damit dem imperia10 listischen System der BRD eine politische Niederlage beizubringen. […] Unser Kampf ist so hart, dass er mit voller Konsequenz in der Abgrenzung, mit Hass gegen den 15 Imperialismus und seine Abgesandten, auch gegen die Sportler der BRD, geführt werden muss. Für uns bedeutet das: Es kann keine Verbindungen, keine Kontakte mehr zu Personen der BRD und anderer kapitalistischer Länder geben. Jeder Briefverkehr, jedes auch noch so freundschaftlich scheinende und teilweise vielleicht auch ehrlich gemeinte Gespräche müssen von unseren Sportlern abgelehnt und verhindert werden. Denn wir können dabei nicht mehr differenzieren, wer es von den BRDSportlern möglicherweise ehrlich meint. Jede Lücke in unserer Mannschaft muss geschlossen werden. Bundesarchiv Berlin – SAPMO – IV A2/1002/14. Zitiert nach: Pfeiffer, Lorenz, S. 104 f., in: In: Krüger, Michael (Hrsg.): Olympische Spiele. Bilanz und Perspektiven im 21. Jahrhundert. Münster 2001. Arbeitsauftrag Arbeiten Sie aus den Quellen die Funktion des Sports für das politische Selbstverständnis der DDR heraus. M 42 Hermann Raum: „… und ihr habt doch gesiegt!“, 1964 HdG Leipzig, H 98/05/0121 M 43 Peter Leger: Hoffnung auf den verbindenden Geist, 1964 HdG Bonn, 98/03/0010.01036 715 Unterrichts-Materialien Geschichte Stark Verlag 31 M 14 Der Kalte Krieg 1945 –1990 Arbeitsauftrag Analysieren und interpretieren Sie die beiden Sportkarikaturen vor dem Hintergrund der sportpolitischen Entwicklung um 1964. 4.10 20 Jahre danach M 44 1 5 10 Wolfgang Benz: Prägende Erfahrungen, 2005 Die Wahrnehmung der jeweils anderen Seite ist durch stereotype Behauptungen gekennzeichnet, die nur zum Teil auf Enttäuschungen und Wahrnehmungen nach der „Wende“, wesentlich aber auf älteren Überzeugungen beruhen. […] Die Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger der beiden deutschen Staaten in der Zeit des Kalten Krieges gemacht hatten, die Einflüsse, denen sie ausgesetzt gewesen waren, die Zeitungsnachrichten, Fernsehbilder und Radiokommentare, die sie gelesen, gesehen und gehört hatten, prägten das Bild vom Anderen nachhaltig. […] Zwei sehr verschiedene Welten trafen, ohne jede Vorbereitung, im Herbst 1989 aufeinander. Die Menschen in Ost und West mussten sich aneinander gewöhnen, hatten dazu wenig Zeit, und bald sah es so aus, als gebe es eine neue Einteilung in Verlierer und Gewinner, in Sieger und Unterlegene. Es war ganz natürlich, dass Missverständnisse auftraten. Aktionen erzeugten Reaktionen, und als der Jubel des Neubeginns und der Vereinigung verflogen war, entdeckten die Menschen das Fremde im Anderen. Sie erinnerten sich in der Enttäuschung über das schwierige Verstehen der Gegenseite mit Schärfe daran, was sie jahrzehntelang über die Menschen und deren Lebensumstände im jeweils anderen deutschen Staat gehört hatten. Sie belebten manches Vorurteil wieder, erweckten Feindbilder aus der Zeit der Konfrontation zu neuem Leben. In abgrenzenden Sprüchen wie denen von den „Besserwessis“ und „Jammerossis“ finden die Vorbehalte des schwierigen Zueinanderfindens Ausdruck. http://www1.bpb.de/publikationen/YGAAZI,0,0,Stereotype_des_OstWestGegensatzes.html#art0 (25. 3. 2010) Arbeitsaufträge 1. Arbeiten Sie Wolfgang Benz’ Thesen über den Ost-West-Gegensatz nach der Wende heraus. 2. Welche alten Vorurteile könnten jeweils relevant sein – welche neuen Verletzungen könnten dazugekommen sein? 3. Beurteilen Sie die These von der Langzeitwirkung des Kalten Krieges in den Köpfen der Menschen. M 45 1 5 10 15 Ossis und Wessis kommen sich näher, 2004 Reinhard Liebscher kann es nicht mehr hören. „Es kann keine Rede davon sein, daß die Ostdeutschen gerne die Mauer wiederhaben wollen“, schimpft der Geschäftsführer des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg (SFZ). „Und daß sie die Demokratie nicht annehmen wollen, ist auch Unsinn.“ Seit dem Fall der Mauer vor nun bald 15 Jahren (9. November 1989) befrage sein Institut jährlich die Ostdeutschen über ihre Erwartungen und Befindlichkeiten. „Und bei der Mauer-Frage ist der Wert seit Jahren der gleiche: Nur rund 13 Prozent hätten sie gerne wieder“, sagt Liebscher. „Auch die Anerkennung der gesellschaftlichen Grundordnung ist nach wie vor ungebrochen.“ Auch in der neuesten Umfrage zur Einheit, die gestern vorgestellt wurde, seien diese Werte wieder best ätigt worden. Mehr noch: Liebscher erwartet sogar, daß das dritte gern gepflegte Vorurteil – der tiefe Graben zwischen Ost- und Westdeutschen – bald ganz verschwinden wird. Spätestens in 15 Jahren, prophezeit der Berliner Soziologe, werde sich die derzeitige spezifische Ost-Identität aufgelöst haben. „Dann wird die große Mehrheit der Ostdeutschen eine einheitliche gesamtdeutsche Identität aufweisen“, sagt Liebscher. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Einstellungen der Ost- und Westdeutschen angeglichen haben werden.“ Genährt wird diese Prognose durch den Befund der Studie, daß mit geringerem Alter auch die Unterschiede in den Einstellungen zwischen Ost- und Westdeutschen immer geringer würden. „Irgendwann in den nächsten Jahren wird die Einstellung dieser jungen Deutschen die große Mehrheit darstellen.“ Hamburger Abendblatt vom 2. November 2004, zitiert nach: http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/ article286356/Ossis-und-Wessis-kommen-sichnaeher.html (25. 3. 2010). Arbeitsaufträge 1. Fassen Sie die Thesen des Artikels über das Zusammenleben der Deutschen zusammen. 2. Erläutern Sie, wie Sie selbst das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen heute und in der Zukunft beurteilen. Versuchen Sie, Ihre Auffassung durch ein viertes Bild zu Köhlers Karikatur (M 8) zum Ausdruck zu bringen, versehen mit einer passenden Textzeile. 32