Die Agro-Gentechnik aus Sicht der Wissenschaft1 Definition: Die „Grüne Gentechnik“ oder Agrogentechnik ist die Anwendung gentechnischer Verfahren im Bereich der Züchtung von Pflanzen. Insbesondere bezeichnet der Begriff Verfahren zur Herstellung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO), in deren Erbgut zusätzliche – in der Regel artfremde – Gene eingeschleust werden. Die Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen (vor allem Mais und Raps) und deren Einsatz in der Landwirtschaft sind seit jeher stark umstritten und immer wieder Auslöser von Diskussionen in der Öffentlichkeit. Um sich einen Überblick verschaffen zu können, müssen beide Seiten, die der Gentechnik-Befürworter und die der -Kritiker, beleuchtet und deren Argumente abgewogen werden. Im Folgenden sind Argumente beider Lager angeführt: a) Argumente für den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft (Mais-, Raps-Anbau): - Erzielung höherer Ernteerträge (Zukunftssicherung der Welternährung) - Gezielte Veränderung von Farbe und Aussehen (z.B. bei Blumen) - Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und Resistenz gegen Pflanzenschädlinge, Krankheiten und Umweltbelastungen - Schaffung neuer Inhaltsstoffanreicherung, z.B. gezielte Entfernung von Allergenen gesündere Lebensmittel - Stärkung der pflanzeneigenen Nährstoffversorgung Vermeidung von Düngemitteln - Züchtung von bestimmten Eigenschaften, die auf natürlichem Weg nicht möglich wären (Präzisionszucht) Die Gentechnik gilt nach wie vor als einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige der Zukunft. Die Tatsache, dass bereits heute sehr viele Lebensmittel direkt oder indirekt (einzelne Bestandteile, z.B. Gensoja) gentechnische Veränderungen beinhalten, mag ein Beweis für diesen Anspruch sein. Besonders die Präzisionszucht erlebt einen bedeutenden Aufschwung: Dem „Internationalen Reisforschungsinstitut“ gelang die Züchtung einer Reissorte, die mehreren 1 Wochen andauernden Überschwemmungen der Felder standhält. Die vgl. ANNAS, M. & G. BORNES (2007): Das GenBuch Lebensmittel. Kempten. S. 1-140. vgl. GRÖSSLER, M. (2005): Gefahr Gentechnik. Irrweg und Ausweg. Graz. S. 1-250. Gentechnik. Online abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCne_Gentechnik (Stand: 09.03.2009) (Zugriff: 15.03.2009). Seite 1 v. 5 Präzisionszucht ist nicht auf Getreide beschränkt. So wurden für die Ketchup-Industrie Tomaten gezüchtet, die einen erhöhten Zuckergehalt besitzen. Dem Gen-Konzern „Hortresearch“ gelang die Entwicklung einer Apfelsorte mit rot gefärbtem Fruchtfleisch. UNION DER DEUTSCHEN AKADEMIEN DER WISSENSCHAFTEN2 „Kampagnen gegen die Grüne Gentechnik entbehren wissenschaftlicher Grundlage“ Die Grüne Gentechnik bietet für die Entwicklungsländer große Chancen. Ein internationaler Workshop der Akademienunion erarbeitete eine unabhängige Stellungnahme. Nicht ideologische Grundhaltungen, sondern ausschließlich wissenschaftlich überprüfte Fakten sollten die Diskussion um die Grüne Gentechnik bestimmen. Mit dieser Forderung endete am 27. Mai 2006 in Berlin ein internationaler Workshop, zu dem die Akademienunion im Auftrag des „InterAcademy Panel“ (IAP) eingeladen hatte. Es wurde ein unabhängiges Statement zur Bedeutung gentechnisch veränderter Nahrungsmittelpflanzen für die Entwicklungsländer erarbeitet. Die Delegierten aus China, Ägypten, Indien, den USA und Europa haben sich in ihrem Entwurf auf folgende Hauptpunkte geeinigt: 1. Lebensmittel aus geprüften, gentechnisch veränderten Kulturpflanzen sind sicher für Mensch und Tier. 2. Sie sind keine Gefahr für die Umwelt. 3. Nicht nur große Unternehmen, sondern vor allem kleine Bauern profitieren von den gentechnisch veränderten Kulturpflanzen. Die Technologie trägt dazu bei, dass die Armut der Kleinbauern in Entwicklungsländern abgemildert wird. 4. Landwirtschaft mit gentechnisch veränderten Pflanzen und ökologische Landwirtschaft bilden keine unüberbrückbaren Gegensätze. 5. Gentechnisch veränderte Kulturpflanzen können einen wesentlichen Beitrag zu einer quantitativ und qualitativ besseren Versorgung mit Lebensmitteln leisten. 6. Bauern und Konsumenten in aller Welt sollten frei wählen können, ob sie gentechnisch veränderte Kulturpflanzen anbauen bzw. konsumieren möchten. Angesichts der Fülle von (Anmerkung: Kurzzeit-) Studien und guten Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen fordern die Delegierten die Regierungen und Nichtregierungsorganisationen dazu auf, ihre Kampagnen gegen die Grüne Gentechnik 2 Pressemitteilung vom 29.05.2006. Online abrufbar unter: http://www.akademienunion.de/pressemitteilungen/2006-06/index.html (Stand: 29.05.2006) (Zugriff: 15.03.2009). Seite 2 v. 5 einzustellen. Gen-Pflanzen seien nicht von sich aus gut oder schlecht, ihr Nutzen müsse von Fall zu Fall erwogen werden. „Es wäre viel gewonnen, wenn Bürger und Politiker bei jeder Behauptung zur Grünen Gentechnik nach wissenschaftlich begründeten Beweisen fragen würden“, sagte Prof. Dr. Ammann, Professor für Systematische Botanik und Geobotanik an der Universität Bern. „Die meisten Mythen, die Umweltorganisationen verbreiten, sind seit Jahren widerlegt.“ Ammann widersprach der Annahme, dass nur die großen westlichen Firmen (z.B. Monsanto) in den Entwicklungsländern an den gentechnisch veränderten Pflanzen verdienten. 85 Prozent der gentechnischen Anwendungen in der Dritten Welt würden aus öffentlichen Mitteln finanziert, der Anteil der großen multinationalen Konzerne betrage nur ein Prozent. In den großen Projekten, die im Moment beginnen, habe die Industrie nur ein kleines Anrecht, Technologie einzubringen – und das auch nur ohne das Festschreiben von Lizenzgebühren für die kleinen Bauern. b) Argumente gegen den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft (Mais-, Raps-Anbau): - Die natürliche landwirtschaftliche Produktion würde heute ausreichen, um 12 Milliarden Menschen ernähren zu können Agrogentechnik eigentlich unnötig - Zerstörung des natürlichen ökologischen Gleichgewichts (Evolution) - Fehlen von Langzeitstudien zu möglichen langfristigen Auswirkungen der (Agro-) Gentechnik (Schwächung des Immunsystems, Erhöhung des Krebsrisikos, u. a.) - Gefahr für die natürliche Sorten- und Artenvielfalt: Gentechnisch veränderte, stärkere Arten könnten zunehmend natürliche Arten verdrängen (z.B. Superunkraut) - Patentierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen macht Wissen zum Eigentum der Konzerne - Finanzielle Perspektive: Erhöhte Risikobereitschaft von Konzernen und Wissenschaftlern zur Überschreitung von gesetzlichen Bestimmungen und ethischen Grenzen - Abhängigkeit der Bauern: Die Hersteller von Gen-Saatgut sind gleichzeitig auch die Produzenten von Pflanzenschutzmitteln (Pestizide) - Gen-Bestandteile in Futtermittel gelangen über Tierprodukte auch in den Menschen Seite 3 v. 5 Oft produzieren Gen-Konzerne, wie „Monsanto“, aufeinander abgestimmtes GenpflanzenSaatgut und entsprechende Pflanzenschutzmittel. Das bedeutet also, dass bei einem Einsatz der Pflanzenschutzmittel nur gentechnisch veränderte Pflanzen, die von „Monsanto“ hergestellt werden, überleben und alle anderen natürlichen Pflanzen sterben. Der Bauer kann also nur noch das „passende“ Saatgut verwenden, weil andere Sorten sonst beschädigt oder gar vernichtet würden. Außerdem verbieten die vertraglichen Bestimmungen zwischen Bauern und Konzern die Wiederaussaat von Teilen der Ernte, was bedeutet, dass die Bauern jedes Jahr neues Saatgut vom Konzern kaufen müssen und die anfallenden Patent- bzw. Lizenzgebühren bezahlen müssen. Mit Patenten auf ihre Produkte sichern sich die großen Gen-Konzerne ihre Marktmacht und ihren Einflussbereich. Viele Bauern sind auf diese Weise von den großen Konzernen abhängig geworden. Ein Beispiel für die Unberechenbarkeit von Genversuchen an Pflanzen (hier: Raps) und deren ungeahnte „Nebenwirkungen“ wurde 2005 in England Wirklichkeit: Beispiel: Britische Wissenschaftler staunen über Superunkraut3 Schlagzeile: „Gentechnisch veränderter Raps brachte unerwünschten GV-Wildsenf hervor“ In Großbritannien werden derzeit keine gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) kommerziell angebaut. Allerdings zeigte eine groß angelegte Feldstudie auf der Insel bereits negative Auswirkungen von herbizidresistenten (Pflanzenschutzmittel-resistente) GVO’s auf das ökologische Gleichgewicht. Weniger Wildkräuter und weniger Insekten bei herbizidresistenten Raps- und Rübenpflanzen, so das ernüchternde Ergebnis. Und – obwohl es kaum ein Wissenschaftler für möglich gehalten hätte – fand sich jetzt sogar ein Superunkraut, das bei diesen – inzwischen beendeten – Freilandversuchen mit herbizidresistentem Raps entstanden war. Das Erstaunliche: Das Unkraut (Wildsenf) enthält das Gen des herbizidresistenten Rapses! Etwa 8,5 Millionen Euro hatte sich die britische Regierung eine weltweit einzigartige Studie kosten lassen, die herausfinden sollte, wie sich der Anbau von herbizidresistenten Gen-Sorten auf die Agrarökosysteme auswirken könnte. Dafür wurden 273 Versuchsfelder quer über das Land verteilt mit Mais, Raps und Rüben bepflanzt. Eine Ackerhälfte bestellten die Farmer mit konventionellen (natürlichen) Sorten, die andere mit herbizidresistenten Gen-Sorten. Gentechnisch veränderte Pflanzen mit dem Merkmal Herbizidresistenz (HR) werden dahingehend verändert, dass sie Unkrautvernichtungsmittel besser vertragen, was im Wesentlichen Vorteile für den Landwirt bringt. Drei Jahre lang 3 Superunkraut. Online abrufbar unter: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20624/1.html (Stand: 01.08.2005) (Zugriff: 15.03.2009). Seite 4 v. 5 beobachtete ein unabhängiges Konsortium die Entwicklung auf den Versuchsäckern. Oktober 2003 schließlich herbizidresistenter wurden die GVO-Pflanzen ersten könnte Ergebnisse sich bekannt negativ auf gegeben. die Der Anbau Artenvielfalt der Agrarökosysteme auswirken, lautete die Kernaussage der Untersuchungen. Insbesondere bei HR-Raps und HR-Rüben hatten sich Probleme gezeigt. Die Biodiversität blieb nicht gleich, sondern nahm bei den Gen-Sorten ab. So wurde ein Rückgang von 34 % bis 44 % bei Blütenpflanzen, Blüten und Samen festgestellt. Die leitende Dachorganisation bestätigte damals auch, dass das Auskreuzungspotential von Mais, Raps und Zuckerrüben unterschätzt worden war: So wurden Raps-Fangpflanzen noch in einer Entfernung von 26 km (!) zu den Versuchsfeldern mit den Pollen des Gen-Rapses bestäubt. Ergebnisse einer Folgeuntersuchung lassen nun erneut aufhorchen. So fanden Wissenschaftler ein Jahr nach Beendigung der Versuche auf einem Feld eine wilde Senfart (Sinapis arvensis) die herbizidresistent war (= „Superunkraut“). Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Pflanze die genetische Eigenschaft des herbizidresistenten Gen-Rapses aufwies. Das Ergebnis erstaunt, zumal eine Auskreuzung auf entfernt verwandte Arten selbst von GentechnikKritikern als relativ unwahrscheinlich eingestuft wurde. So schreibt Prof. Ammann von der kritischen Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) noch 2003 in einem Schreiben zur Unkrautproblematik bei HR-Raps, dass der "Pollenflug auf verwandte Wildkräuter bisher noch nicht festgestellt werden" konnte. Die Befürchtung bestehe aber, dass sich herbizidresistente Gen-Sorten auf verwandte Wildpflanzen übertragen, "womit die Wildpflanzen zu schwer kontrollierbaren Unkräutern würden", so Prof. Ammann. Diese Gefahr sieht auch der britische Wissenschaftler Brian Johnson. Johnson, der auch dem unabhängigen Expertengremium angehört, welches die englischen Feldversuche beaufsichtigt, betont vor allem die wissenschaftliche Bedeutung der jüngsten Entdeckung: Einmal genetisch verändert, könnte sich der ungewollt entstandene Wildsenf (Unkraut) schnell und unkontrolliert ausbreiten und eine Gefahr für die Landwirtschaft werden. Wie dieses Beispiel eindrucksvoll zeigt, haben die erhofften Vorteile des Gen-Raps Anbaus für die Bauern und die Landwirtschaft ungewollte und unvorhersehbare Nebenwirkungen erst zum Leben erweckt und somit neue Probleme verursacht. Denn zur Abtötung und Eindämmung des Superunkrauts, das durch die Versuche entstanden ist und das gegen alle bisherigen Pflanzenschutzmittel resistent zu sein scheint, bedarf es noch giftigerer Mittel, die der Natur nachhaltig großen Schaden zufügen werden. Seite 5 v. 5