Vorwort - RGJS & Co

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UNSERE BATTERIE (7./AR 262) IM OSTEN
Vorwort
Diese Zeilen sind unseren toten und vermißten Kameraden gewidmet. jenen, die im Kampfe ehrenvoll
gefallen, in einem Lazarett oder in der Heimat gestorben sind, und jenen, die ein unerforschliches
Schicksal in einer unbekannten Ferne verwehen ließ.
Sie wurden aber auch für die Lebenden geschrieben, auf daß diese nie vergessen mögen, wie schwer
die bitteren Jahre des zweiten Weltkrieges für uns alle gewesen sind.
Das Kriegsgeschick hat uns mit unserer Batterie in die unendlichen weiten Rußlands geworfen; führte
uns zuerst von Sieg zu Sieg, um uns dann umso tiefer in einen fürchterlichen Abgrund
hinabzuschleudern. Hekatomben von Opfern hat dieser wahnwitzige Krieg verschlungen und an
Menschen und Sachgütern unermeßliche Werte vernichtet. Und wenn wir heute all überall auf Trümmern
stehen, so müssen uns diese, solange wir nur leben, ein Fanal zur Umkehr sein. Darum soll die
Schilderung unseres Einsatzes im Osten keine Verherrlichung des Krieges, sondern eine unbedingte
Ablehnung sein. Sie soll lediglich in schlichten Worten wahrheitsgetreu aufzeigen, was wir erlebt und
empfunden haben, als uns ein unerbittlicher Befehl zwang, uns mit der Waffe in der Hand zu wehren.
Die Geschichte wird dereinst ihr gerechtes Urteil über uns fällen, und niemand wird sich diesem Spruch
entziehen können.
Wir haben unsere Pflicht erfüllt, weil wir sie erfüllen mußten!
Über allem aber steht als leuchtendes Symbol unsere vorbildliche Kameradschaft, die und in den
schlimmsten Tagen und hoffnungslosesten Situationen genau so innig verband, wie in den wenigen
schonen Tagen des vergangenen Krieges. Darum sollen diese Zeilen gleich: zeitig auch Künder dieser
Kameradschaft sein. Dieses in schwerster Zeit fest geknüpfte Band der Kameradschaft hat den Krieg
überdauert - es soll uns auch fernerhin umschlingen, bis auch unser Loben ausgelöscht sein wird.
Unseren toten und vermißten Kameraden aber wollen wir in unseren Herzen ein unvergängliches
Denkmal der Treue setzen.
So möge diese Denkschrift kein Abschluß, sondern der Beginn eines neuen Lebens für uns alle sein!
Ferry Haidner
Der Ostfeldzug
Ende August 1940
Abschied von Saarburg
In den letzten Augusttagen des Jahres 1940 wurde es für uns zur sicheren Gewißheit, daß unser
Aufenthalt in Lothringen seinem Ende zuging. Manche liebe Erinnerung blieb in der kleinen Stadt an der
Saar zurück, als wir A schied nehmen mußten, um einem neuen Befehl Folge zu leisten. Die Verlegung
kam ganz unerwartet und loste einige Beunruhigung aus, weil ein großer Teil der Batterie; angehörigen
auf Urlaub war. Trotzdem klappte letzten Endes aber doch wieder alles und die Batterie konnte mit allem
Drum und Dran verladen werden. Über das eigentliche Ziel " wußte niemand Bescheid. Die militärischen
Notwendigkeiten erforderten diese Verschleierungen. Nur ungern trennten wir uns von Saarburg da und
ein unbestimmtes Gefühl sagte, daß alles, was jetzt kommen sollte, schwerer sein wird als alles
Vorherige. Doch wer frug um unsere Meinung?
Anfangs September 1940
In Schlesien
Louisdor und Lorenzberg
Nach abwechslungsreicher Bahnfahrt ins Ungewisse - die Batterie erhielt während der Fahrt immer nur
für eine Etappe das Marschziel bekanntgegeben - landeten wir schließlich im Kreis Strehlenin Schlesien,
wo die Batterie auf zwei nebeneinander liegende Dörfer verteilt wurde; Louisdorf und Lorenzberg.
Wenige Tage nach unserer Ankunft wurden bereits größere Umgruppierungen vorgenommen. Aus dem
Abteilungsverband schied die 8.Batteri zur Gänze aus und wurde einer neuaufgestellten Division
zugeteilt. Von unserer und der 9.Batterie wurden je ein Drittel der Laute ausgeschieden und zu einer neu
aufzustellenden 8.Batterie zusammengezogen. Das fehlende Drittel in jeder Einheit wurde durch neue
Mannschaftszuweisungen vom Ersatztruppenteil in der Heimat ergänzt. Wir machten uns darüber unsere
eigenen Gedenken, tappten aber trotzdem über die wahren Absichten der Führung im Dunkeln. In den
Befehlen, die uns vorgelesen wurden, stand, daß die Verlegung nach Schlesien lediglich aus
vorsorgungstechnischen Gründen erfolgt sei, weil in Schlesien die Truppe besser versorgt werden kann
als in Frankreich. Es blieb uns nichts anderes übrig, als diese Begründung vorläufig hinzunehmen.
Mitte bis Ende September 1940
Die Engländer verstärkten im Monat September ihre Luftangriffe auf deutsche Städte. Unter anderem
griffen sie in der Nacht zum 21.September Heidelberg an und bombardierten auch das herrliche
Barockschloß in Bruchsal, das wir anläßlich unseres Aufenthaltes in Gochsheim bewundern konnten. Als
Vergeltung gegen diese Angriffe wurden von der deutschen Luftwaffe ebenfalls in stärkerem Ausmaß
Bombardierungen in England durchgeführt.
Während der ersten Zeit unseres schlesischen Aufenthaltes regnete es fast jeden Tag. Mit dem Regen
kamen auch die ersten Herbstgedanken. Für uns ganz unvorstellbar waren die sozialen Verhältnisse in
Schlesien, vor allem der Landbevölkerung, die von den Gutsbesitzern ungeheuerlich ausgebeutet wurde.
Am 27.September erfuhr die Welt den Abschluß des Dreimächtepaktes zwischen Deutschland, Italien
und Japan.
Für uns selbst war dieser Tag deswegen bedeutungsvoll, weil wir 22 neue Kameraden aus der Heimat
zugewiesen erhielten. Der Großteil von ihnen waren schon ältere Jahrgänge, die erst vor kurzer Zeit
einberufen worden waren.
Und noch eine Änderung in unserer Abteilung stimmte uns teils trübe, teils freudig. Major Kühlmann,
unser Abteilungskommandeur, verließ die Abteilung. An seiner Stelle übernahm unser Chef, Hauptmann
Möller, die Führung der Abteilung. Nur ungern sahen wir unseren bewährten Batteriechef scheiden, der
uns während des ganzen Westfeldzuges bester Kamerad gewesen ist; freuten uns aber trotzdem, daß er
nun Kommandeur geworden war.
Vorläufig wurde Oberleutnant Butz unser Batterieführer. Doch bereits am 29.september wurde Oblt. Butz
zur Artillerieschule nach Jüterbog versetzt und unser neuer Chef wurde Leutnant Pammler, ein junger
und netter Offizier, der sich bald alle Sympathien errungen hatte.
1. - 14.Oktober 1940
Die Umstellungen innerhalb unserer Abteilung nahmen unsere ganze Zeit in Anspruch. Dazwischen
regnete es ohne Unterlaß und wir versanken im Kot. Anfangs Oktober wurden die Jahrgänge 1907 und
älter von der kämpfenden Truppe herausgezogen und zu den rückwärtigen Teilen der Division versetzt.
Das deutete darauf hin, daß die Truppe verjüngt und kampffähiger gemacht werden sollte. Wir sahen das
alles mit gemischten Gefühlen an. Es tat uns aufrichtig leid, unsere gute Kameradschaft empfindlich
gestört zu sehen. Die älteren Kameraden gingen auch nur widerwillig von der Batterie weg.
Soldatenschicksal ! Ehe sie scheiden mußten, vereinigte uns noch ein Abschiedsabend.
im Gasthaus Reichelt in Louisdorf, bei dem aber keine rechte Stimmung aufkommen wollte. Am
4.Oktober trafen wieder 27 neue Ersatzleute bei der Batterie ein.
Hitler und Mussolini hatten am gleichen Tage eine Zusammenkunft am Brenner.
Gerüchte von einer Verlegung der ganzen Abteilung nach Neisse tauchten auf, die sich in der Folge als
Wahrheit herausstellten. Am 15.Qktober sollte die Verlegung durchgeführt werden. Wir erhofften uns
davon eine Befreiung von der Eintönigkeit in den ärmlichen Dörfern. Bald erfaßte alle das "Reisefieber ll
und wir freuten uns schon sehr auf den neuen Standort.
Am 13.Oktober erfuhren wir durch den Rundfunk, daß deutsche Truppen in Rumänien eingerückt seien.
Tags darauf wurde ganzen Tag gepackt und die Batterie marschbereit gemacht. Keiner der Kameraden
bedauerte den Abschied von Louisdorf und Lorenzberg, wo es so viel Kot und wenig Freude gab. Aber
auch bei dieser Verlegung kam es uns wieder so recht zum Bewußtsein. daß wir eigentlich nichts
anderes waren als Zigeuner - nirgends zuhause, kaum wo ein wenig eingelebt, ging es schon wieder
dahin ins Ungewiße.
Neisse
15.Oktober - 31.Oktober 1940
Um 6 Uhr früh des 15.Oktober marschierten wir von Lorenzberg nach Neisse ab. Es wurde ein
strahlender Herbsttag. Je weiter wir nach Süden kamen, desto schöner wurde auch die Landschaft. Links
und rechts der schnurgeraden Asphaltstraße grüßten uns liebliche Dörfer. Die Gegend hatte eine sehr
große Ähnlichkeit mit der Landschaft in Lothringen und Nordfrankreich. Neisse selbst machte auf uns
gleich von Anbeginn einen guten Eindruck. Die schöne oberschlesische Stadt beherbergte uns in den
nächsten Monaten gastfreundlich. Als wir auch von ihr scheiden mussten, blieben dort unsere letzten
schönen Erinnerungen vor dem groß8n schauerlichen Drama im Osten zurück.
Die Unterbringung sollte für die ganze Abteilung in der am Stadtrand gelegenen neu erbauten Clausewitz
- Kaserne erfolgen. Nachdem die Kaserne aber vorläufig noch mit anderen Truppen belegt war, wurde
die Batterie in zwei Gasthaussälen provisorisch untergebracht. Die Schreibstube befand sich im Heim
der Hitlerjugend.
Am 16.Oktober erhielt unsere Batterie wieder einen neuen Chef. Leutnant Getzen, ein alter
österreichischer Soldat, wurde von nun ab unser Führer. Wenn auch er in den folgenden schweren
Monaten ebenfalls unser bester Kamerad geworden ist, so setzte er damit nur die Tradition Möllerfort.
Auch er hat damit bewiesen, daß die österreichische Art gegenüber der "zackigen" Auffassung fuhr uns
die bessere war. Lt. Pammler blieb gleichfalls bei der Batterie und wurde Batterieoffizier.
Tags darauf rückten 41 junge Rekruten zu uns ein, die bei uns ihre Grundausbildung erhalten sollten.
Gleich: zeitig erfreute uns ein Befehl, nach dem bis zum April 1941 jeder Mann noch einmal drei Wochen
Heimaturlaub erhalten sollte. So freudig diese Nachricht aufgenommen wurde, so sehr zeigte sie uns
auch, daß große Ereignisse vor uns lagen. Mit Hochdruck begann nun die Ausbildung der Batterie, um
sie wieder schlagkräftig zusammenzuschweißen. Die Freizeit wurde in der an Vergnügungen so reichen
Stadt gehörig ausgenützt. In Neisse und Umgebung wimmelte es von Militär. Die Bevölkerung war uns
gegenüber sehr gastfreundlich und entgegenkommend.
Der 26.Oktober brachte uns den ersten Schnee. Drei Tage später begann der Kampf um den Balkan.
Griechenland stellte sich eindeutig auf die Seite Englands. Italien richtete an die griechische Regierung
eine Note und marschierte sodann in Griechenland ein. Wir verfolgten diese Entwicklung mit großem
Interesse, konnten uns aber über die näheren zusammenhänge kein rechtes Bild machen.
Am 30.Oktober verließen 17 alte und bewährte Kameraden die Batterie, weil sie über die Wintermonate
als Facharbeiter für die Rüstungsindustrie in der Heimat eingesetzt wurden.
1. - 15.November 1940
Unser Regimentskommandeur, Oberst Scholtz besichtigte am 2.November die Batterie. Es herrschte
der übliche Besichtigungsrummel. Alles ging zur Zufriedenheit des Kommandeurs vor sich.
Am 7.November wählte Amerika mit einer Mehrheit von 4 Millionen Stimmen Roosevelt zum Präsidenten.
Genau vor einem Jahr hatten wir am Hochstellerhof in der Pfalz unsere Feuertaufe erhalten. Ganz
unerwartet erschien am 8.November unser Divisionskommandeur, Generalleutnant Theisen, zu einer
Besichtigung. Trotz der unangemeldeten Inspizierung ergab sich kein Anstand, so daß unsere
sämtlichen Vorgesetzten freundliche Gesichter machten und wir nur Lob ernteten.
Wie immer in Zeiten der Ruhe, tauchten auch in Neisse in regelmäßigen Abständen die unmöglichsten
Latrinengerüchte oder "Walzen" auf. Es gab bald kein Land mehr in Europa, wohin wir nach diesen
Gerüchten nicht hätten kommen sollen.
Der 10.November brachte der Welt eine große Sensation. Dor russische Außenminister Molotow war in
Berlin eingetroffen und wurde mit seiner Begleitung feierlich empfangen. Die ganze Welt atmete bei
dieser Nachricht sichtbar auf.
Wenn Deutschland und Rußland zu einer Verständigung kamen, dann waren alle Bedrückungen, die uns
die letzten Wochen so befangen machten, weg.
Aber es folgte nur zu bald eine schreckliche Ernüchterung. Schon am 15.November war Molotow ganz
plötzlich aus Berlin abgereist. Die amtliche Verlautbarung sprach zwar von einer Übereinstimmung, wir
aber sahen die Dinge so, wie sie später leider Wirklichkeit geworden sind.
Die letzte Chance für Deutschland war vergeben! Von jetzt ab stand riesengroß und drohend Russland
als unser Feind im Osten.
16. - 30.November 1940
Die englische Luftwaffe hatte vor einigen Tagen München schwer bombardiert. Am l6.November wurde
im Rundfunk die Zerstörung der englischen Stadt Coventry durch deutsche Bomberverbände
bekanntgegeben.
Während in diesen grauen Novembertagen eine Reihe von prominenten Diplomaten nach Berlin kam
und die politischen Spannungen immer größer wurden, ging bei uns die Ausbildung in gleichförmigem
Trott weiter.
Am 20.November trat Ungarn dem Dreimächtepakt bei Die Front gegen die Sowjetunion wurde Schritt für
Schritt verstärkt. Auf Ungarn folgte Rumänien, das gleichfalls dem Dreierpakt beitrat. Kurz darauf auch
die Slowakei. Dazwischen bombardierte unsere Luftwaffe pausenlos England und steigerte diese
Angriffe immer mehr.
Ein Teil unserer alten Mannschaft und die Rekruten fuhren am 28.November zu einem
Belehrungsschießen sm Truppenübungsplatz Neuhammer bei Breslau.
1. - 15. Dezember 1940
In den ersten Dezembertagen gab es schon empfindlichen Frost. Unsere Kameraden kamen daher recht
ausgefroren am 3.Dezember aus Neuhammer zurück. Der Barbaratag am 4.Dezember wurde bei uns am
nächsten Tag gefeiert. Im großen Saal des Gasthauses "Wappenhof" war am 5.Dezember die gesamte
Batterie zu Ehren der hl. Barbara, der Schutzpatronin der Artillerie, versammelt. Zur Feier des Tages
schlachteten wir eines von unseren zwei Schweinen, die wir schon längere Zeit gefüttert hatten. Einige
gemütliche Stunden vereinigten unseren ganzen Haufen.
Der angekündigte Dreiwochen-Urlaub wurde tat: sächlich gewährt und am 8.Dezember fuhren die ersten
Urlauber bereits in die Heimat.
Nach wie vor lag die Ungewißheit über die nächste Zukunft vor uns. Bald ging auch dieses Jahr wieder
zu Ende, ohne daß die erwartete Entscheidung fallen sollte. Im Gegenteil - die Lage war in den letzten
Dezembertagen völlig ungeklärt, zumindest schien es uns so.
16. - 31.Dezember 1940
Weihnachten kam heran und wurde von jenen Kameraden, die nicht das Glück hatten, in Urlaub fahren
zu können, gemütlich gefeiert. In diesem Stadium des Krieges war die Versorgung ja noch immer
zufriedenstellend, so daß die Liebesgabenpakete von daheim wieder sehr zahlreich nach Schlesien
kamen. Im "Wappenhof" wurde am 23.Dezember eine Batterieweihnachtsfeierveranstaltet, die sehr
schön verlief. Sie war die letzte dieser friedlichen Art, ehe uns der erbarmungslose Krieg nach Osten
jagte.
Am Silvesterabend gab es reichlich "Geist" und die Stimmung zum Jahreswechsel war sehr
ausgelassen, Die Gedanken wanderten ein Jahr zurück, wo wir im Vorfeld des Westwalls lagen. Vor uns
befand sich damals dos stolze Festungswerk der Franzosen - die Maginotlinie. Die Front war in Eis und
Schnee erstarrt und niemand von uns hatte eine klare Vorstellung, wie der weitere Verlauf des Krieges
abrollen würde, Mancher unserer damaligen Kameraden stand zu Beginn des Jahres 1941 auf anderen
Posten als vor einem Jahr. Trotzdem umschlang auch weiter das unzerreißbare Band unserer treuen
Kameradschaft unser Schicksal. Wir gingen mit einer frohen Hoffnung in das werdende Jahr, von dem
wir uns den Sieg und die Rückkehr in die Heimat erhofften. Es kamen aber noch andere Weihnachten
und bitterere Silvesterabende als die von 1940, wie alles anders kam, als wir es uns gedacht hatten.
1. - 31.Jänner 1941
Für unsere Rekruten, die bisher in Gasthäusern untergebracht waren, erhielten wir schon im Dezember
eine Holzbaracke zugewiesen, die wir selbst aufstellten. Im Jänner konnten wir dann aber doch in die
schon ursprünglich für uns in Aussicht genommene Clausewitz-Kaserne einziehen, wo die gesamte
Abteilung ihr Quartier fand. Die Unterbringung war dort sehr gut, da die Kaserne ganz modern
eingerichtet war. Für die weitere Ausbildung eignete sich die Kaserne ebenfalls bedeutend besser, als
die getrennten Quartiere. Besonderes brachte uns der Jänner nichts. Der Winter war in Schlesien sehr
streng und wir verspürten in Neisse bereits einen Hauch des kalten Ostens. Die Batterie zeigte ein
schönes Zusammenarbeiten, nachdem sich unsere Jungen bald in den Kameradenkreis eingefügt hatten
und sehr aufnahmefreudig waren.
Welche Absichten mit uns bestanden, wußten wir noch immer nicht. Lediglich Vermutungen wurden
besprochen. Je weiter aber das Jahr vorwärtsschritt, desto mehr häuften sich die Meinungen, daß mit
Rußland etwas nicht stimme.
1. - 28.Februar 1941
Auch der Februar verging ohne größere Entscheidungen. Der Kampf gegen England in der Luft ging
weiter. Mit einiger Besorgnis verfolgten wir die immer stärker werdenden Angriffe der feindlichen
Luftwaffen auf das Reichsgebiet.
Ansonsten wurde nach einem bestimmten Plan weiter ausgebildet und wir "alten Hasen" wußten genau,
daß dies nur einen Angriff zum Ziele haben konnte. Die Batterie war Ende Februar schon gut
durchgebildet und einsatzfähig.
1.März - 2.April 1941
In den ersten Märztagen kamen Befehle zu einer größeren Marsch- und Einsatzübung, die am
Truppenübungsplatz Wischau bei Brünn durchgeführt werden sollte. Mit emsiger Eile wurde für diesen
Marsch gerüstet. Es war noch ziemlich kalt, als der größte Teil der Batterie von Neisse abmarschierte. In
der Kaserne blieb nur ein kleiner Teil der Pferde und einige Mann zurück. Diese Übung war der Abschluß
der gesamten Ausbildung. Und als die Batterie zurückkam, war es bereits sicher, daß unser Bleiben im
schönen Neisse zu Ende ging. Die ganze Division sollte etappenweise im Fußmarsch nach Polenverlegt
werden. Jetzt wußten wir, daß unsere nächste Aufgabe im Osten lag. Nur schweren Herzens fanden wir
uns mit dieser Tatsache ab.
Die paar Monate in Schlesien waren die letzten schönen Erinnerungen, ehe uns die unendlichen Weiten
im Osten verschlangen und zermalmten.
Hatten wir auch noch immer keine Vorstellung, was unser harrte, so wußten wir immerhin schon um die
Armseligkeit, die vor uns lag. Soldaten hatten aber wenig Zeit, sieh ihren Gefühlen und Gedanken
hinzugeben. Da stand der Befehl und die Notwendigkeit zu gehorchen. Das persönliche Ich mußte
ausgeschaltet werden. Das alles lag auch im System, das uns nur als Ziffern gelten ließ, begründet.
Der Marsch nach dem Osten
I n Pol e n
Lipnica Dolna.
3.April - Anfang Mai 1941
Die schöne Zeit in Neisse war also zu Ende. Am 3. April 1941 begannen wir unseren Marsch nach Osten
ins Ungewiße. Doch keiner ließ es sich anmerken, was er dachte oder fühlte. Die feste Kameradschaft
band uns zusammen und vieles wurde dadurch Ieichter genommen als es tatsächlich war. Jeder Tag
aber festigte unsere Überzeugung, daß wir einer großen, gewaltigen Entscheidung
entgegenmarschierten, in der Sieg oder Niederlage verborgen war. Damals glaubten wir noch an den
unbedingten Sieg.
Nach Ratibor verließen wir den Boden der Heimat und befanden uns nun im Generalgouvernement. Zum
erstenmal betraten wir polnischen Boden. Die Gegend, durch die wir zogen, war landschaftlich noch
immer reizvoll, wie auch die Straßen schön angelegt und teilweise sogar asphaltiert waren. Ohne
Zwischenfall ging es in Etappen immer weiter ostwärts.
Unser erster Bereitstellungsraum war Neu-Sandez, wo wir nordwestlich davon einige Zeit bleiben sollten.
Während des Anmarsches erreichte uns die Nachricht vom Beginn des Balkanfeldzuges. Die
Kriegsmaschine lief weiter und weiter. Rußland bezog dabei schon eine klare Stellung gegen
Deutschland und zeigte dadurch der Welt und uns, wohin die Zukunft drängte.
Nach einer Woche Fußmarsch, teilweise noch bei gelegentlichen Schneeschauern, war unser erstes Ziel
erreicht. Die Abteilung selbst lag mit der Stabsbatterie im Dorf Lipnica Murowana, während wir in Lipnica
Dolna untergebracht wurden. Die 8.Batterielag südlich davon Rajbrot und die 9. östlich von uns in
Tworkowa. Vorkommandos aller Einheiten waren schon eine Woche vorher von Neisse aus
vorausgefahren und hatten die Quartiere vorbereitet. Ein Teil unserer Leute belegte die Schule, ein
anderer Teil hauste in Privat quartieren. Diese erste Unterbringung zeigte uns schon mit aller
Deutlichkeit, was uns noch bevorstand. Armselige Hütten nahmen uns auf. Die Bevölkerung war arm,
aber uns Österreichern gegenüber nicht unfreundlich. Viele der älteren Männer erinnerten sich noch der
Zeiten, wo sie bei der alten k.u.k. Armee im ersten Weltkrieg gedient hatten, da ja Polen damals zur
Österreichisch - Ungarischen Monarchie gehörte, Das Dorf Lipnica Dolna lag links und rechts der
einzigen Straße, die in West-Ost-Richtung verlief. Beiderseitig der Straße stiegen Hügel auf, auf denen
die einzelnen strohgedeckten Hütten standen. Das Land ringsum war fruchtbarer Ackerboden. Südlich
grüßten uns die Kämme der Beskiden.
Während unseres Aufenthaltes wurde die Batterie weiterhin marschmäßig verbessert und wartete
weitere Befehle ab, Der Dreiwochen-Urlaub war programmgemäß beendet worden.
Inzwischen überrannten deutsche Verbände den Balkan und schufen damit eine neue Basis für den
Ostkrieg, mit dessen sicherem Ausbruch wir in kürzester Zeit rechneten.
Und als der April auch zu Ende ging, war es wieder einmal zum Weitermarsch reif geworden.
Januschkowitze
Anfang Mai - Anfang Juni 1941
An einem der ersten Maitage verließen wir Lipnica Dolna. Die Batterie stand schon marschbereit, als die
Ende Oktober als Rüstungsarbeiter beurlaubten Kameraden aus der Heimat zurückkehrten. Dann
begannen wir wieder zu marschieren. Wie auf einem Schachbrett die Figuren wurden enorme
Truppenmassen in Polen konzentriert und verschoben. Bei Zakliczyn überschritten wir den Dunajec.
Immer weiter schoben wir uns Tag für Tag nach Osten, unserem nächsten Bereitstellungsraum.
entgegen. Die Straßen waren noch annehmbar, wenn uns auch das polnische Land schon sehr
beeindruckte. Die Dörfer blieben sich gleich und unterschieden sich untereinander nur wenig. Die
strohgedeckten, schon außen sehr armselig aussehenden Hütten waren in der Mehrzahl. Mit Pelzmützen
auf den Köpfen die Männer und in Kopftüchern eingehüllt die Frauen, betrachteten die Polen neugierig
den Vorbeizug des deutschen Heeres. Wir kamen durch Siemiechow, Jodlowka, Olpiny, Swiecany in die
Stadt Jaslo, einer typischen polnischen Kleinstaat.
Es gab hier und auch in den übrigen Städten, durch die wir kamen, noch allerhand zu kaufen, allerdings
um sündteures Geld. Nördlich von Jaslo war der für unsere Abteilung in Aussicht genommene Raum.
Der Abteilungsstab und die Stabsbatterie sowie die 9.Batterie erhielten ihre Unterkünfte in Brzostek und
Klecie, während die 8.Batterie nach Gogolow und wir selbst nach Januschkowitze kamen. Das letzte
Stück unseres Marschweges mußten wir im strömenden Regen dahinziehen und kamen völlig durchnäßt
in den Quartieren an.
Die Unterbringung unserer Pferde war in den großen Scheunen des Gutshofes kein besonderes
Problem. Einige Schwierigkeiten bereiteten die Quartiere für die Leute, Das Dorf war räumlich sehr
auseinandergezogen und hatte außer dem Gutshof nur wenige Bauernhütten. Es mußte daher die neue
Schule, ein einstöckiges Gebäude, das noch in halbfertigem Bauzustand war, als Massenquartier
herangezogen werden. Schlecht und recht konnte auch dieses Problem gelöst werden.
Während des einen Monats, wo wir in Januschkowitze lagen, wurden kleinere Marschübungen im
Gelände durchgeführt und ansonsten die Batterie weiterhin zusammengeschult. Jeder Tag mehr
bestätigte uns, daß es gegen Rußland ging. Befehle kamen, die zwar verschleiert, aber trotzdem die
harte Tatsache nicht mehr verheimlichen konnten, was uns bevorstand.
Zum ersten Male erfuhren wir, daß wir die Grundbegriffe des rußischen Alphabets lernen sollten. Man
sagte uns, es stände ein friedlicher Durchmarsch durch Rußland nach dem Irak bevor. Unser klarer
Verstand wehrte sich aber gegen diese Annahme.
Inzwischen war auch der Balkanfeldzug abgeschlossen worden. Er endete mit einem großen Sieg, schuf
aber für das deutsche Volk bittere Vergeltung durch die Jugoslawen.
Die Gegend, in der wir uns befanden, war ebenfalls, wie in Lipnica Dolna, fruchtbares Hügelland. Von
den Höhen genoß man einen schönen Fernblick, besonders zu den Beskiden im Süden. Auf Schritt und
Tritt begegneten uns ruhmvolle Erinnerungen an den ersten Weltkrieg. Wir standen in Friedhöfen an den
Gräbern der österreichischen und rußischen Soldaten, die friedlich nebeneinander ihren letzten Schlaf
ruhten. Weithin über den Raum von Gorlice, dessen Namen in die Geschichte eingegangen ist, ragten
mächtige Steinkreuze hinaus in die Landschaft. Hier tobte im ersten Weltkrieg die große
Durchbruchsschlacht, die damals die rußische Front ins Wanken brachte. Und jetzt standen wieder
Soldaten auf diesem blutgetränkten Boden und harrten weiterer Befehle.
Einmal wurde nachts überraschend Alarm gegeben. Die Batterie mußte in kürzester Zeit vollkommen
marschbereit dastehen. Die Übung gelang vollkommen zur Zufriedenheit aller Vorgesetzten. Am
Pfingstsonntag kam dann tatsächlich der Marschbefehl. Es ging weiter ostwärts.
Jozefow
Der Anmarsch
Anfang Juni - 21.Juni 1941
Durch den langen Marschweg hatten wir schon genügend Übung in der feldmäßigen Bewegung erhalten,
so daß es auch ohne Zwischenfall oder Verzögerung von Januschkowitze wegging. Von einem Tagesziel
zum anderen wurden Vorkommandos vorausgeschickt, damit die Einquartierung der Pferde, Fahrzeuge
und Mannschaften rasch vor sich gehen konnte. Noch ging ja alles friedensmäßig, wie am Schnürchen.
Zuerst marschierten wir auf schönen Straßen etwas nach Nordwesten bis kurz vor Pilzno. In den Auen
am linken Ufer der Wisloka schlugen wir im Freien unsere Zelte auf. Der heiße Sommertagverlockte uns
nur zu bald zu einem erfrischenden Bad. Auch unsere Pferde tummelten sich wohlig im kühlen Wasser.
Schon am nächsten Tag zogen wir wieder weiter. Von Pilzno aus wendeten wir uns zuerst über Parkosz
nordöstlich nach Debica und von hier direkt nach Osten auf einer gut angelegten Straße. Gleich uns
zogen viele andere Truppenteile in derselben Richtung. Meistens kampierten wir im Freien und schliefen
in Zelten. Eine gewiße Nervosität wurde spürbar, die uns die kommenden Dinge bereits ahnen ließ. Die
polnische Bevölkerung war uns gegenüber nicht unfreundlich, wie auch von unserer Seite aus korrekt
vorgegangen wurde. Natürlich war Krieg und die Erfordernisse des Krieges gingen bevor. Unser Marsch
führte uns über Ropczyce, Sedziszow in Richtung Rzeszow (Reichshof) Im Dorf Trzciana, westlich
Rzeszow, bezog unsere Batterie für einen Tag Quartier. Von Reichshof aus zogen wir direkt nach
Norden über Nowy Wies, Jasionka, Sokolow, Kamien, Jezowe nach Rudnik. Hier überschritten wir den
San.
Jeder Tag brachte uns weiter nach Osten. Wir sahen überall ausgebesserte Straßen, Richtungstafeln
und Ausweichstellen. Man fühlte und sah eine bis ins kleinste Detail durchdachte Organisation. Die
Verpflegung klappte, das Pferdefutter war da und auch die Feldpost kam uns regelmäßig nach. Bis auf
die Anstrengungen der täglichen Märsche in der sommerlichen Hitze und im Staub der polnischen
Straßen hätte man das alles gar nicht als Vorbereitung eines so gewaltigen Kampfes, wie er uns
bevorstand, halten können. Es sah aus wie bei einem großen Manöver. Viele unserer Kameraden
glaubten auch tatsächlich nicht an den Ernst der Lage. Wir sahen ja immer nur einen ganz kleinen
Ausschnitt dieser Truppenbewegungen.
Heute wissen wir daß in jenen Sommertagen auf allen Straßen des polnischen Landes die grauen
Kolonnen gleich uns gen Osten zogen, ins Ungewisse - in den Untergang.
Nach der Überschreitung des San bezogen wir unser erstes Quartier im Dorf Hucisko, von wo aus der
Marsch gegen Bilgoraj mit einem eintägigen Aufenthalt in Sol weiterging. Die Straßen führten bereits
durch sandgebiete, die uns schwere Anstrengungen kosteten und die uns schon einen Vorgeschmack
verschafften, wie es weiter im Osten sein würde. Die armen Pferde mußten sich tüchtig anstrengen, um
unsere schweren Geschütze und Fahrzeuge durchzubringen. Für die weitere Beweglichkeit waren
unsere schwer gebauten Fahrzeuge ein großes Hindernis. Die Frage einer leichteren Beweglichkeit
wurde immer aktueller, wollten wir nicht ganz einfach im Sand stecken bleiben.
Zusätzlich zu unseren heeresüblichen Fahrzeugen wurden in den polnischen Dörfern für jede Einheit
einige leichte Panjewagen mit den kleinen, beweglichen Panjepferden und je einen polnischen Fahrer
angeworben, die uns in der Folge sehr gute Dienste geleistet hatten.
Von Bilgoraj aus marschierten wir nach Aleksandrow, einem mehrere kilometerlangem Dorf, das sich mit
seinen beiden Häuserzeilen links und rechts der Straße hinzog. Hier konnte unsere ganze Abteilung
untergebracht werden. Vorher ergaben sich allerdings viele Schwierigkeiten mit der Einfahrt in die Höfe.
Zu beiden Seiten der einzigen Straße lief je ein breiter Wassergraben, über die nur leichte, primitive
Holzbrücken zu den Häusern führten und die für die Einfahrt unserer schweren Geschütze und
Fahrzeuge ganz ungeeignet waren. Die Vorkommandos wurden aber schon vorher mit Fachleuten
verstärkt, die entsprechende Übergänge schufen. Als dann in der Nacht die Abteilung ankam, gelang die
Freimachung der Straße, über die ja pausenlos der Vormarsch weiterging, in kurzer Zeit.
In Aleksandrow blieben wir zwei Tage. Ale wir wieder abmarschierten, war plötzlich unser
Divisionskommandeur im Dorf und sah sich den Vorbeimarsch der Abteilung an. Er war mit uns
zufrieden.
Im Waldlager bei Jozefow
Je näher wir Jozefow kamen, desto größer wurde die Zusammenballung deutscher Truppen auch für uns
sichtbar. In den Wäldern war alles für die Aufnahme größerer Verbände vorbereitet. Alle Wege hatten
bereits ihre Richtungstafeln, so daß jede anmarschierende Einheit unverzüglich ihren zugewiesenen
Raum erhielt. Für die Pferde waren behelfsmäßige Stände geschaffen worden, während wir wieder
unsere Zelte aufschlugen. Nachdem das Wetter sommerlich schön blieb, hatte dieses Kampieren im
Walde immerhin einigen Reiz. Für uns ungewohnt war der tiefe Sand, aus dem der Waldboden bestand.
Wir befanden uns jetzt schon ganz nahe der Demarkationslinie, hinter der bereits die russischen Truppen
standen.
Das große, entscheidende Ungewisse erhob sich drohend und unmittelbar vor uns. Nichts konnte die
Entscheidung über Leben oder Tod mehr aufhalten. Daß dieser ganze gewaltige Aufmarsch nicht ohne
Sinn und Absicht erfolgte, wußten wir, mehr noch war aber als unbestimmte Ahnung in uns. Darüber
konnten uns auch die Befehle nicht mehr hinwegtäuschen, die sich krampfhaft bemühten, den nackten
Tatbestand zu verschleiern.
Wir standen vor unserem Gegner!
Jeder Tag, jede Stunde konnte das Signal kommen, das die geballte militärische Kraft in Bewegung
brachte.
Aber was würde dann kommen? Vier Jahre später war auch diese Frage beantwortet, war die Bilanz
gezogen, der Vorhang gefallen, das Siel zu Ende.
Aber es war noch nicht so weit. Vorläufig wurden im Waldlager die letzten Vorbereitungen getroffen. Von
Stunde zu Stunde stieg die Spannung. Eines Nachts wurde plötzlich die Gefechtsstaffel der 8. Batterie
alarmiert und marschierte in Stellung. Der friedliche Durchmarsch durch die Sowjetunion war also ein
Märchen, ein Täuschungsmanöver der Führung. Jetzt gab es für uns keine Illusionen mehr. Wir sahen
klar und deutlich - Krieg mit Rußland!
Jeder von uns war nur mehr ein winziges Rädchen in der gigantischen Maschinerie, die auf einen
Hebeldruck aus Berlin sich in Gang setzen würde, wenn nicht im letzten Augenblick irgendetwas
geschah. - Aber es geschah nichts. Der Zeiger der Uhr ging und ging. Er stand jetzt fünf Minuten vor
Zwölf. Wir warteten mit klopfendem Herzen und starrten gespannt auf die Zeit, wußten um unser
Schicksal und hofften trotz alledem.
Und dann war es zwölf!
Der Vorhang ging in die Höhe, des Menschheitsdrama das zwanzigsten Jahrhunderts nahm seinen
Anfang!
Der Krieg beginnt
22. Juni 1941
In den späten Abendstunden des 2l.Juni kam aus dem Führerhauptquartier der entscheidende Befehl:
Morgen früh beginnt der Krieg mit Rußland!
Was außer diesem einen Satz noch darinstand, waren nur mehr Worte. Damit waren die Würfel gefallen!
Alles, was vorher war, wurde bedeutungslos. Nur das eine Wort "Krieg“ stand riesengroß vor uns.
Der Angriff begann beim Morgengrauen. Unsere Bereit stellungsräume war bezogen, die Batterien
standen feuerbereit.
Heute, nach Jahren, wo alles Geschichte geworden ist, können sich unsere Gedanken von dieser
entscheidenden Stunde noch immer nicht lösen.
Als es Gewißheit geworden war, daß es kein Zurück mehr gibt, setzten unsere Gedanken und Gefühle
wohl für einen Herzschlag aus. Dann aber waren wir nichts anderes mehr als Soldaten, die ihre
beschworene Pflicht zu erfüllen hatten.
Unsere Feuerstellungen befanden sich östlich Tomaszow im Raume Jarczow, wenige hundert Meter vor
der russischen Demarkationslinie.
Ehe noch die Sonne aufging, begannen auf die Sekunde der x-Zeit genau sämtliche Batterien ihr
konzentriertes Dauerfeuer auf die russischen Räume. Gleichzeitig brausten ununterbrochen die
Geschwader der deutschen Luftwaffe über unseren Häuptern nach Osten.
Es war als ob sich die Schlünde der Hölle geöffnet hätten!
Dann ging die Sonne auf und es wurde ein wunderbarer Sommertag. Die Protzen und Fahrzeuge
standen marschbereit. Bereits in den Vormittagsstunden hatte unsere Infanterie die ersten feindlichen
Stellungen eingedrückt. Auch von links und rechts kamen dieselben Meldungen. Der Russe wurde von
unserem Angriff buchstäblich überrascht. Von der feindlichen Artillerie war nichts zu spüren. Auch
russische Flieger zeigten sich keine. Gegen Mittag dieses entscheidenden Tages verstärkte sich aber
der Widerstand des Gegners. Unsere Rohre ebneten aber bald der Infanterie den Weg zum weiteren
Vordringen. In den ersten Nachmittagsstunden passierten bereits die ersten russischen Gefangenen
unsere Linien, denen noch der Schrecken in allen Gliedern lagen.
Inzwischen ging der ins Stocken geratene Angriff nachmittags wieder weiter. Und als der Abend sich
über die brennenden Dörfer jenseits unserer Linien herniedersenkte, wurde Stellungswechsel befohlen.
Im Eilmarsch ging es die ganze Nacht zum 23.Juni von Jarczow über Korchynie ostwärts nach
Chodywance in Richtung BeIz. Von hier aus sollten wir mithelfen, eine russische Division einzukesseln.
Dieser Nachtmarsch stellte an uns alle sehr große physische Anforderungen, da durch die notwendige
Eile ohne Hast, zumeist in Trab marschiert werden mußte. Trotzdem gelang es uns nicht, den Auftrag zu
erfüllen - der Gegner war schneller als wir.
23. - 26.Juni 1941
Von BeIz aus stießen wir ein Stück südöstlich bis in das Dorf Kulichkow vor, mußten dann aber wieder
nach BeIz zurück. In diesem Raum trieb uns das Kriegsgeschick drei Tage umher. Kuliczkow war der
erste russische Ort, den wir erreichten. Inzwischen mußte der Feind immer weiter zurückweichen. Wir
nahmen die Verfolgung auf und verließen am 26.Juni Belz.
27.Juni - 1.Juli 1941
Über Ostrow zogen wir nach Krystinopol, wo der Bug die Grenze bildete. Krystinopol wurde von
russischen Fliegern bereits dauernd, bombardiert und wir mußten mit allen Vorsichtsmaßregeln
marschieren. Wir gelangten aber ohne Verluste durch den Ort, wendeten uns hier scharf nach Süden bis
Parchacz, von wo es über den Bug weiter nach Osten ging. Bisher hatten wir noch keine direkte
Feierberührung. Das Gelände wurde immer schwieriger. Wir mußten durch Sümpfe und unwegsame
Waldstücke. Trotzdem erreichten wir immer wieder das vorgeschriebene Ziel.
Bei Parchacz, wo wir nachts auf der Straße hielten, sahen wir die ersten abgeschossenen russischen
Panzer. Dicht nebeneinander aufgefahren ereilte sie ihr Schicksal. Alle waren innen ausgebrannt. Die
Fahrer und Bedienungsmannschaften hatten keine Zeit mehr, die Kampffahrzeuge zu verlassen. Bis zur
Unkenntlichkeit verkohlt kauerten die Leichen noch auf ihren Sitzen.
Zum ersten Mal erlebten wir das Grauen dieses mörderischen Krieges unmittelbar, das später immer
noch mehr überboten werden sollte.
Am 1.Juli überschritten wir den Styr.
2. – 19. Juli 1941
In zugigem Vormarsch, alle Geländeschwierigkeiten überwindend, folgten wir dem weichenden Gegner.
Trotz der dauernden Bewegung gab es keinerlei Versorgungs- oder Nachschubschwierigkeiten. Die
Kriegsmaschine war bis ins Kleinste vorbereitet worden und lief wie ein Uhrwerk. Wir selbst hatten bisher
noch keine Verluste. Bei der Infanterie waren die Ausfälle natürlich größer. Die Verluste des Feindes
betrugen jedoch ein Vielfaches der unseren. Auf unseren Vormarschwegen- und Straßen lagen zu
Bergan gehäuft vernichtetes oder im Stich gelassenes Gerät, Fahrzeuge, Geschütze, Panzer und tote
Pferde. Seine Verwundeten und Toten nahm der Feind mit.
Über Radziechow und Kremenez, wo wir auf einer Anhöhe den wunderbaren Bau eines Klosters
bewundern konnten, dessen vergoldete Dächer und Fassaden im Sonnenschein funkelten, erreichten wir
am l2.Juli Polonoje und am 15. Juli Nowy Miropol.
Wir befanden uns bereits in der Ukraine. Das nächste Ziel hieß Kiew!
Im Festungsgurtel von Kiew erwartete unsere Führung den ersten entscheidenden Widerstand des
Gegners. Wie richtig diese Annahme gewesen ist, sollte sich bald zeigen. Das Wetter begünstigte die
militärischen Operationen. Ein schöner Tag reihte sich an den andern.
Die ukrainische Bevölkerung, die zum größten Teil in ihren Dörfern geblieben war, empfing uns nicht
unfreundlich. Trotzdem wir als Feinde in ihr Land kamen, gab sie uns freiwillig viele Beweise der
Gastfreundschaft. Wir erhielten Milch, Butter und Eier als Geschenke. unser verhalten war ebenfalls
entgegenkommend. Wo übergriffe vorgekommen sind, wurden sie unnachsichtlich geahndet.
Die Straßenverhältnisse besserten sich zusehends, je weiter wir in Richtung Shitomir kamen. Am 18.Juli
erreichten wir Trojanow. In der Nacht zum 19. marschierten wir wieder im Eiltempo von Trojanow
nordöstlich über Singuri nach Shitomir. Am Stadtrand mußten wir auf der Straße halten, um eine
Panzereinheit vorzulassen. In der Dunkelheit durchquerten wir die Stadt. die durch die
vorausgegangenen Kämpfe ziemlich arg mitgenommen war. von hier aus ging es auf der schön
angelegten Rollbahn weiter, die schnurgerade nach Kiew führte. Am 19. Juli bezogen
wir in Gasinka Quartier.
20. - 21.Juli 1941
Unser Aufenthalt in Gasinka dauerte nur bis zum nächsten Morgen. Dann ging es auf der Rollbahn
wieder weiter ostwärts bis Korostyschev. Von hier aus wendeten wir uns nach Norden und marschierten
vorerst über Jurowka nach Radomyschl, wo wir den Teterew überschritten. Wir fußten bereits, daß wir
unmittelbar vor einem größeren Einsatz standen.
Der Gegner hatte westlich Kiew sehr starke Kräfte massiert, die unseren Angriff unbedingt zuhalten
sollten. Dementsprechend waren auch unsere Vorbereitungen. Endlose Kolonnen aller Waffengattungen
bewegten sich gleich uns ihren nächsten Bereitstellungsräumen entgegen. Die Spannung über den vor
uns liegenden Einsatz stieg von Stunde zu Stunde. Feindliche Flieger machten sich in größerer Zahl
unangenehm bemerkbar und versuchten unseren Aufmarsch zu stören. Alles deutete darauf hin, daß
schwere Tage vor uns lagen.
Am 20.Juli gelangten wir nach Krasnoborki. Die schönen, Sommertage wurden jetzt regelmäßig von
ständig auftretenden schweren Gewittern unterbrochen. Zum Glück hielten die ausgiebigen Regenfälle
nur ein bis zwei Stunden an, so daß unsere durchnäßten Uniformen rasch wieder trockneten. Diese fast
täglich auftretenden Gewitter sind mit einer Ursache der außergewöhnlichen Fruchtbarkeit der Ukraine.
Wir zogen auf unseren Märschen durch unübersehbare Kornfelder, die mit ihren schweren Ähren ein
unvergeßliches Bild boten. Tragisch war, daß über dieses gesegnete Land imperialistische
Eroberungslust den Krieg mit allen seinen Schrecken brachte und der große Segen durch die
Kampfhandlungen fast gänzlich vernichtet wurde. Aber wer frug in diesen Tagen darnach?
Viele Jahre später mußten Millionen Menschen durch diesen Fluch noch hungern.
Nach Krasnoborgi gelangten wir schon in unseren neuen Einsatzraum, den wie nie mehr vergessen
sollten. Der Name der kleinen ukrainischen Stadt Malin steht bis an unser Lebensende unauslöschbar in
unserem Gedächtnis eingegraben.
Was immer nachher auch noch kam. nichts konnte uns Malin mehr vergessen lassen!
Malin
22. Juli - 1. August 1941
Von Krasnoborki marschierten wir schon gefechtsmäßig und waren darauf vorbereitet, jeden Augenblick
auf den Gegner zu stoßen. Der Marsch ging über Mirtscha bis Worsowka, wo wir am 22. Juli nördlich
davon unsere erste Feuerstellung in der Hölle von Malinbezogen. unmittelbar nach unserer Ankunft
erhielten wir bereits Feueraufträge. Der Feind blieb die Antwort nicht schuldig und sandte uns seine
Eisengrüße zurück. unsere Feuerstellung befand sich in einem Waldstück südlich von Malin.
Große Schwierigkeiten machte uns der sumpfige Waldboden, der das Ausgraben von Deckungslöchern
nicht zuließ. Schon nach einigen Spatenstichen kamen wir auf Grundwasser.
Die russische Luftwaffe verstärkte täglich ihre Angriffe auf die einzige Straße zwischen Worsowka und
Malin, über die der gesamte Nachschub rollen mußte. Unsere Batterie kam zwar bei den Fliegerangriffen
glimpflich davon, dafür waren aber die Verluste anderer Einheiten beträchtlich. Verpflegung und Munition
konnte nur nachts in die Stellungen gebracht werden. Trotzdem mußte der Widerstand des Feindes unter
allen Umständen gebrochen werden. Gelang dies nicht, war der Marsch auf Kiew aufgehalten. Es ging
daher auf beiden Seiten um ein großes Ziel.
So steigerte sich von Stunde zu Stunde die Heftigkeit der Angriffe und Gegenangriffe.
Als nächste Aufgabe wurde unseren Pionieren die Bildung eines Brückenkopfes über die Irscha südlich
Malin, wo sich der Gegner hartnäckig verteidigte, befohlen.
Ein Holdenlied müßte über die Tage von Malin geschrieben werden, wollte man diesen Einsatz richtig
schildern.
Tage kamen und vergingen. Wir vergaßen die Zeit und kannten nur Kampf ohne Pause. Es gab keine
Ruhe und keinen Schlaf, sondern nur immerwährende Bereitschaft, Angriffe, Granatenhagel,
Fliegerbomben und Abwehr.
Mit ungewöhnlicher Verbissenheit wehrte sich der Gegner mit allen Kräften und kämpften wir mit allen
uns zur Verfügung stehenden Mitteln um diesen entscheidenden und wichtigen strategischen Punkt vor
Kiew.
Stunde um Stunde, Tag und Nacht bauten unsere braven Pioniere die Holzbrücke über die Irscha. Ohne
Unterbrechung lag sie im Bombenhagel der russischen FIieger; wurde getroffen, beschädigt und sofort
wieder instandgesetzt. Daneben wurde laufend der Brückenkopf mit frischem Nachschub verstärkt,
stiegen unsere Verluste, wuchs aber auch unsere Verbissenheit trotzdem hier durchzukommen.
Am Vormittag des 24. Juli brach plötzlich russische Infanterie in unsere Feuerstellung im Walde nordlich
Worsowka ein. Zwischen unseren Kanonieren und dem Feind entspann sich ein kurzer und erbitterter
Nahkampf von Mann zu Mann.
Als die Russen vertrieben waren, lagen fünf tote Kameraden unserer Batterie vor uns - die ersten Toten,
die wir selbst in diesem Kriege beklagen mußten; unsere Kameradenobergefreiter Willy Böhm, Gefreiter
Josef Kowatschek und die Oberkanoniere Karl Dekanovsky, August Egl und Julius Stratil.
Tief erschüttert standen wir am Grabe dieser trauen und guten Kameraden an Waldrand nördlich
Worsowka an der Straße nach Malin. Fünf schlichte Birkenkreuze haben wir ihnen dort errichtet.
Das größere Denkmal aber blieb in unseren Herzen. Unsere Feuerstellung wurde am Nachtmittag
desselben Tages an die Irscha vorverlegt. Der Feind wehrte sich noch immer zäh und verbissen und
belegte uns ohne Unterbrechung mit Bomben und Artilleriefeuer.
Der nächste Tag brachte uns schon wieder schwere Verluste. "Durch Granatensplitter wurden die
Kameraden Martin Krenn, Johann Gerhold, Johann Bachinger und Albert Paral schwer verwundet.
Nach einigen Tagen starben Bachinger rund Paral, deren Tod wir genau so schmerzlich beklagten, wie
den Tags vorher der ersten fünf Kameraden. Und wieder einen Tag später, am 26.Juli, wurde einer
unserer zwei Zugführer, Wachtmeister Wawrowsky durch Granatsplitter so schwer verwundet, daß er am
nächsten Tag am H.V.PI. in Worsowka starb, wo er auch beerdigt wurde.
Er war das achte Todesopfer unserer Batterie bei Malin. Doch der Kampf Ging pausenlos weiter.
Am 29.Juli erhielten die Kameraden Hentschel, Danner, Huschka, Schusters Vargas und Liedl das E.K.lI.
Endlich wurde für den 1. August der Angriff auf Malin selbst befohlen. Nach stärkerer
Artillerievorbereitung wurde das für uns so schicksalhafte Städtchen Malin von unserer Infanterie im
Sturm genommen und der Feind nach Norden und Osten zurückgeworfen. Wir bezogen noch am
gleichen Tage unsere neuen Stellungen jenseits der Bahnlinie nordostwärts Malin in der Kolonie
Malindorf.
Der Brückenkopf selbst blieb aber noch immer eine harte Nuß für uns, da sich der Gegner mit dem Mute
der Verzweiflung zur Wehr setzte.
2. - 12. August 1941
In der Kolonie Malindorf blieben wir nur bis zum 2. August, dann machten wir Stellungswechsel noch
weiter nordöstlich nach Rudnja Worobjewskaja, ohne Unterlaß feuerbereit und euer speiend. Am 4.
August mußten wir nach Westen bis in den Raum Lumlja-Baranowka zurück, wo für unsere Batterie
wieder eine gefährliche Situation entstand. Neuerlich mußte im Nahkampf der in unsere Feuerstellung
eingebrochene Feind abgewehrt werden. Nur mit Mühe gelang es uns, die Geschütze noch aus der
bedrohten Stellung herauszubringen.
Von hier ging es bis in den Raum Golowki, nordwestlich Malin, zurück, wo wir bis zum 12. August
verblieben.
Wir wehrten uns die ganze Zeit seit dem 22. Juli um unser Leben, kannten nur unsere Pflicht bis zum
Umfallen vor Müdigkeit und Erschöpfung. Hundertmal sahen wir dem Tod ins erbarmungslose Antlitz und
hielten trotzdem durch. Dieser Brückenkopf War eine der letzten Schlüsselstellungen vor Kiew, und das
wußten wir. Das gab uns die Kraft und den Mut, in dieser Hölle auszuharren, ohne wahnsinnig zu
werden.
Die drei Wochen bei Malin wurden für uns eine Ewigkeit. Aber auch sie hatte schließlich ihr Ende. Neu
herangeführte Verbände losten uns ab und wir wurden aus diesem Hexenkessel herausgezogen.
Taktisch gehörten wir in diesem unvergeßlichen Einsatzraum zum 60.A.K., das Generalleutnant
Reinhardt führte, und das ein Bestandteil der 4. Armee unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall
v. Reichenau, gewesen ist.
Höchster Dank und vollste Anerkennung wurde uns für diesen Einsatz ausgesprochen. Zu dem, was wir
bei Malin mitgemacht hatten, waren das alles nur Worte.
Von allen Bitterkeiten Nöten und Strapazen dieses Krieges aber war und bleibt der Begriff “Malin“ das
Schwerste und das Unvergesslichste!
Ruhe in Mirtscha
13. - 20.August 1941
In der Nacht vom 13. zum 14 August verließen wir das Kampfgebiet im Brückenkopf und marschierten
auf der einzigen Straße nach Süden, in die so heiß ersehnte Ruhestellung.
Unsere Batterie und der Abteilungsgefechtsstand bezogen Quartier in einem Waldstück nordwestlich
Mirtscha. Im Ort selbst quartierte sich die 9.Batterie ein, die in dieser "Ruhestellung" bei einem
Fliegerangriff fast 40 Pferde und einen Teil ihrer Ausrüstung verlor. Durch Bomben wurden die großen
Scheunen, in denen die Pferde untergebracht waren, in Brand geworfen und brannten im Nu nieder.
Wir blieben aber in unserem Wäldchen unbehelligt und genossen die paar Ruhetage zur Erholung und
Auffrischung. Inzwischen gingen die Vorbereitungen zum Angriff über Malin hinaus mit Hauptziel Kiew
weiter. Ehe wir uns wieder in Bewegung setzten, wurden die in Polen angeworbenen Panjefahrer in ihre
Heimat entlassen.
Dem Dnjepr entgegen
21. August - 3.September 1941
Am 21. August verließen wir den Raum Mirtscha und zogen gestärkt neuen Einsätzen entgegen. Unsere
erste Stellung lag nordöstlich Malin. Der Feind zog sich nach dem Verlust von Malinrasch zurück und das
Tempo unserer Verfolgung wurde immer schneller. Damit verkleinerte sich aber der Ring um Kiew
täglich.
Das Gelände war sehr schwierig zu überwinden, da sehr schlechte Straßen, die teils durch tiefen Sand,
dann wieder durch Wald und Sumpfgebiet führten, unseren schweren Geschützen und Fahrzeugen
große Hindernisse in den weg stellten. Und trotzdem gelangten wir stets rechtzeitig an unsere Ziele. Was
damals mit übermenschlichen Anstrengungen geleistet wurde, kann nur der ermessen, der selbst mit
dabei war.
Unsere erste Stellung außerhalb des Brückenkopfes von Malin war am 22. August bei Nowy Worobj.
Dann ging es in Eilmärschen direkt nach Osten, dem flüchtenden Feinde nach; zwar dauernd in
Gefechtsberührung, doch ohne größere Aktionen. Am 23. August lagen wir am linken Ufer des Teterew
bei Unin, einer sehr sumpfigen Gegend. Tags darauf über schritten wir den Teterew bei Iwankow, zogen
von hier auf der einzigen Straße südöstlich bis Schpilewskaja Rudnja und wurden hier dem 35.A.K.,das
ebenfalls zur 4. Armee gehörte, unterstellt. Immer mehr näherten wir uns dem Dnjepr, an dem der Feind
seine Abwehr wieder zu verstärken versuchte. Es war aber alles vergeblich. Mit ungeheurer Stoßkraft
warfen wir den Gegner immer weiter nach Osten, wälzte sich das deutsche Heer dem weichenden
Feinde nach. Trotz schwierigstem Gelände ging es Kiew entgegen.
Vom 26. - 29.August wurden wir in Talskaja Rudnja aufgehalten. Dann ging es nach Überschreitung des
Sumpfgeländes beiderseits des Sawisch wieder weiter ostwärts bis Dymer. Hier machten wir eine
Schwenkung nach Norden, blieben vom 30. August bis 2.september in Rowy, wo wir wieder in den
Verband des 51.A.K.zurückkehrten.
Unsere nächste Stellung lag am 3.September in Awdejewka Niwa. Beim Durchmarsch durch
Garnostaipol mußten wir ein Geschütz und einige schwere Fahrzeuge zurücklassen, die später
nachgezogen wurden.
Zwischen Dnjepr und Deßna
4. - 9.September 1941
Der 4.September wurde für uns wieder ein besonderer Tag, als wir östlich Botitschi den ersten
russischen Strom - den Dnjepr- überschritten, der unserem Vormarsch ebenfalls nicht aufhalten konnte.
Es erfaßte uns alle ein eigenartiges Gefühl, 1s wir über die von unseren Pionieren erbaute Behelfsbrücke
zogen.
Wir befanden uns jetzt genau nördlich von Kiew, dessen Schicksal sich bald erfüllen mußte.
Auch von den anderen Frontabschnitten im Osten erreichten uns laufend Erfolgsmeldungen, die natürlich
auch für a Ansporn zum Durchhalten waren.
Ostwärts des Dnjepr lernten wir eine Sumpflandschaft kennen, die wieder übermenschliche
Anstrengungen zu ihrer Durchquerung erforderten. Der russische Widerstand schwächte sich von Tag zu
Tag ab. Je weiter sich der Ring um Kiew Schloß, desto offensichtlicher wurde das Bestreben des
Feindes, der drohenden Vollendung der Umklammerung durch schleuniges zurückweichen nach
Osten zu entgehen. Umsomehr wurden aber auch wir getrieben. Und wir überwanden alles, nur von
einem Gedanken beseelt - Sieg! Es wurde uns keine Ruhe gegönnt - immer weiter hieß der Befehl.
Am 5. September hatten wir bereits das Befestigungswerk des Feindes entlang des Dnjepr hinter uns
und bezogen in Stary Glybow kurze Rast. Die Russen hatten sich hinter die Deßna zurückgezogen, so
daß uns nur die feindliche Luftwaffe etwas belästigte, ohne aber unseren weiteren Vorstoß nur im
Geringsten stören zu können.
Von Stary Glybow mußten wir zuerst weiter nach Norden ausweichen, um ein ausgedehntes,
unpassierbares Sumpfgebiet zu umgehen. Ab Nowy Glybow ging es quer durch schwierigstes
straßenloses und versumpftes Gelände bis Koßatschewka, wo wir am 6.september eintrafen.
Tags darauf standen wir an der Deßna bei Morowßk. Hier leistete der Gegner neuerlich stärkeren
Viderstrand. Zum erstenmal wurden wir hier Zeugen des Einsatzes unserer neuen Nebelwerfer, die einen
starken Eindruck hinterließen und die die feindlichen Stellungen jenseits der Deßna unter Feuer nahmen.
Wir bezogen am rechten Ufer unsere Stellungen und beteiligten uns hier ebenfalls an der Vorbereitung
zum Übergang.
Bis zum 9.september wurden wir im Raume Morowßk aufgehalten, dann übersetzten wir auf einer Fähre
auch diesen Strom und weiter trieb uns Kampf nach Osten.
Der Ring um Kiew wird geschlossen
10.- 24. September 1941
Zwei Tage blieben wir in Guta Turnanskajo. In diesem Raum sahen wir die Wirkung unserer Nebelwerfer
aus der Nähe. Die feindlichen Infanteriestellungen in einem Waldstuck wurden vom Beschuß überrascht.
Zu Hunderten lagen die Leichen in den Gräben und Deckungslöchern ohne sichtbare Spureiner
Verletzung. Der Tod mußte sofort durch Ersticken eingetreten sein. Ein grauenhaftes Bild, das wir
gleichfalls nie mehr aus unserer Erinnerung löschen können. Kurz darauf warfen russische Flieger
Flugzettel mit der Drohung ab, falls wir mit denTeufelageschützen nicht aufhören, wurden sie mit Gas
antworten. Zum Glück kam es aber während des ganzen Krieges zu keinem Gaseinsatz.
Bei Kopti erreichten wir am 12. September die Schöne gepflasterte Rollbahn Kiew – Moskau, zogen
dieser entlang ein Stuck nordwärts und kamen am 13. September über Tschhemjer nach Djershanowka.
Weiter ging es ohne Rast nach Süden, um den Kessel um Kiew zu schließen.
Am 14. September befanden wir uns in Nosowka, überquerten die Bahnlinie Kiew – Moskau und
marschierten auf einer annehmbaren Straße bei herrlichem Sommerwetter südostwärts – weit hinter
Kiew – ohne vorläufige Feindberührung. Die Massen der russischen Truppen versuchten nach Osten zu
entkommen, doch wurde die einzige Durchlaßschleuße immer enger. Von Süden her kam uns bereits die
dort operiende 2. Panzer-Armee unter der Führung von Generaloberst Guderian entgegen. Die
Vereinigung und damit die Schließung des Ringes um Kiew war nur mehr eine Frage von Tagen.
Überall steckten die Russen die auf den fruchtbaren Feldern schon zur Abfuhr liegende Ernte und die
landwirtschaftlichen Maschinen in Brand. Lodernde Flammen erhellten kilometerweit die Nächte. Die
Kriegsfurie raste erbarmungslos über dieses gesegnete Land und vernichtete das tägliche Brot.
Der Wahnsinn feierte Orgien und gab dem Totentanz den tragischen Rahmen.
Über Sztjepanowka kamen wir am 16.Jeptember nach Mokjejewka, von wo weg sich die
Straßenverhältnisse wieder verschlechterten. Durch tiefen Sand kämpften wir uns Kilometer um
Kilometer weiter; oft todmüde und dann doch wieder alles physische Leid überwindend nur immer das
eine Ziel vor uns.
Kiew muß fallen! Schon standen wir rund 100 km ostwärts Kiew. Die Schließung des Kessels war jetzt
unmittelbar bevorstehend.
Trotzdem wir ohne Rast und Ruh' weiterjagten, funktionierte der Nachschub fast klaglos. Wir erhielten
regelmäßig unsere Verpflegung, Munition und Post. Nur einmal mußten wir einige Tage ohne Brot
auskommen, dafür gab es Fleisch aus dem Lande in Hülle und Fülle. Es liefen ja genug Rinder und
Schweine herrenlos herum. unsere Stimmung war zuversichtlich und wir erhofften uns nach dem Fall von
Kiew eine Zeitspanne zur Erholung.
Am 17.september waren wir in Prawo Showtnja. Tags darauf befand sich unser Gefechtsstand in
Losowyj- Jar und abends erreichten wir bereits Bogdanowka.
In diesen Tagen sollte sich auch eine organisatorische Veränderung innerhalb unserer Batterie als
notwendig erweisen. Die 8.Batterie sollte teilweise motorisiert werden und wir mit der 9.Batterie
zusammengeschlossen werden, um den beträchtlichen Pferdeausfall durch die Überanstrengung unserer
braven vierbeinigen Kameraden auszugleichen und um darüber hinaus eine größere Beweglichkeit t zu
erhalten. Als Chef war Oberleutnant Attems, der bisherige Führer der 9.Batterie ausersehen, während
Leutnant Getzen für eine andere Verwendung ausersehen wurde.
Unsere freudige Stimmung sank dadurch auf Null da wir zu unserem Kameraden Getzen
uneingeschränktes Vertrauen gewonnen hatten. Zum Glück und zu unserer Freude dauerte dieses
Zwischenspiel aber nur wenige Tage 9 dann war dieser Plan, der uns überhaupt nicht verständlich war,
fallengelassen worden. Die 8.Batterie wurde zwar teilweise mot. und blieb es in Zukunft auch; doch
blieben sowohl wir als auch die 9.Batterie unter ihren bisherigen Chefs bestehen. Wir alle begrüßten
diese Tatsachen mit Freude.
Zu diesem Zeitpunkt näherte sich die Einschließung Kiews ihrem Ende. Im Süden sahen wir schon die
Leuchtzeichen der uns entgegenkommenden Südarmee. Nur mehr einige Kilometer 9 dann war die
Falle geschlossen!
Am 19. September waren wir in Birlowa Szloboda und noch weiter ging es nach Süden, wo in den
folgenden Tagen die Vereinigung mit den uns aus Süden entgegenkommenden deutschen Verbänden
erfolgte.
Der Ring um Kiew war geschlossen! Einige hunderttausend Mann des Feindes sahen ihrer
unentrinnbaren Gefangennahme entgegen. Unübersehbares Kriegsmaterial mußte unsere Beute
werden. Das Kernstück aber blieb die Festung Kiew, die Hauptstadt der Ukraine.
Als wir am 24.september unserem sicheren Sieg entgegenmarschierten, fuhr unser
Divisionskommandeur, Generalleutnant Theisen, unsere Kolonnen entlang und rief uns allen zu;
Kiew gefallen!
Da schlugen unsere Herzen vor Stolz und Freude höher. Alle Entbehrungen, Anstrengungen und
Strapazen fanden an diesem Tage ihren Lohn. Die Opfer von Malin waren also nicht umsonst gebracht.
Das Rad rollte aber weiter. Wir hätten es damals nie für möglich gehalten, daß später dieser einzigartige
Sieg umsonst sein würde, wie alles andere in diesem Kriege auch. Kein Raum blieb für so etwas in
unseren Herzen, da gleichzeitig auch von allen anderen Fronten nur einzigartige Siege gemeldet wurden.
So führte uns das Kriegsglück weiteren Höhen entgegen, um uns dann desto tiefer in einen
fürchterlichen Abgrund hinabzustoßen, in dem schließlich Groß-Deutschland untergehen mußte.
Dem schrecklichsten Winter entgegen
25. September - 5.Oktober 1941
Die Erledigung des Kessels von Kiew nahm noch einige Zeit in, Anspruch. Nachdem wir am
25.september den südlichsten Punkt südöstlich von Kiew erreicht hatten und die Einschließung vollendet
war, erfolgte unsere Unterstellung unter das 35. Heeres-Kommando, das General der Artillerie Kempfe
befehligte und ein Teil der 2. Panzer- Armee war.
Mit diesem Heeres-Kommando spalteten wir die bereits eingekesselten Feindkräfte in kleinere Kessel
auf. Dabei erhielten wir noch Kampfbeführung mit dem sich mit dem Mute der Verzweiflung wehrenden
Feind, dem wir trotz allem die Achtung als Soldaten nicht versagen konnten.
In diesen Kämpfen mit dem schon geschlagenen Gegner verloren wir wieder zwei unserer besten
Kameraden. Bei einer Säuberungsaktion zu Pferd gegen kleinere infanteristische Widerstandsnester , die
sich nicht ergeben wollten, wurden unsere Kameraden Stabswachtmeister Peter Reizammer und
Unteroffizier Josef Czida im Raume SoIotowschka (Wjerschina) im Nahkampf so schwer verwundet, daß
sie kurz darauf starben. Damit hatte unsere Batterie bisher 10 Tote zu beklagen.
Ab 25. September zogen wir zurück nach Nordwesten über Kapußtjenszy bis Nitschiporowka, das wir am
26.September erreichten. Hier erhielten wir Befehl, den östlich stehenden Feind weiter zurückzuwerfen.
Also gab es wieder keine Ruhe.
Ahnungsvoll sahen wir dem nahenden Herbst und dem Winter entgegen. Gelang es nicht, den Feind
vorher eine vernichtende und entscheidende Niederlage zuzufügen, stand uns ein Winterfeldzug bevor,
von dessen Schrecken wir uns überhaupt keine Vorstellung machen konnten.
Das napoleonische Schicksal des Jahres 1812 erhob sich wie ein Gespenst vor uns. Der weiße Tod
streckte seine knöcherne Hand über uns aus- das Menetekel unseres Unterganges
zog verschwommen schon mit uns nach Osten.
Der größere Teil unserer Leute aber dachte im strahlenden Sonnenschein eines noch milden Herbstes
nicht an das bittere Ungewiße, das eingehüllt in der verborgenen Zukunft lag.
Ab Nitschiporowka ging unsere Marschrichtung wieder i ostwärts, wendete sich dann etwas nördlich und
weiter nordostwärts. Bei Losowyj -Jar erreichten wir unsere frühere Vormarschstraße, als wir nach Süden
den Kessel um Kiew vollendeten.
Von Nowy Orshiza, das wir gleichfalls bereits am 17.September passierten, wendeten wir uns scharf
nach Osten und bezogen am 27. September östlich Popowka Quartier.
Kühle Nächte und herbstlicher Regen machten uns in den rasch aufgeschlagenen Zelten körperlich viel
zu schaffen. Wir froren und manchmal beschlich uns ein unangenehmes Gefühl.
Befehle, die uns vorgelesen wurden, versprachen uns ein baldiges Winterquartier. Zum erstenmal
erkannten wir eine Lücke in der bisher gut funktionierenden Organisation. Unsere Ausrüstung war
sommermäßig und für einen östlichen Winter gänzlich ungeeignet. Von Tag zu Tag beschlichen uns
mehr Bange Vorstellungen die uns nicht mehr losließen. Dazu kam noch, daß nach allen Anzeichen der
Feind uns noch vor Einbruch des Winters so weit als möglich in seine erbarmungslose östliche
Unendlichkeit locken wollte.
Solange es das Wetter nur halbwegs zuließ, vermieden wir den Aufenthalt in den Bauernhäusern und
schliefen lieber in unseren Zelten. Dadurch konnten wir uns auch im Großen und Ganzen von der
Läuseplage einigermaßen freihalten. Was wir mit einiger Verwunderung feststellen konnten, waren in fast
allen Häusern die vergilbten, alten Heiligenbilder, die schon Generationen her hoch verehrt wurden.
Daraus ersahen wir, daß sich besonders die ältere Bevölkerung noch immer religiöses Empfinden
bewahrte.
Das nächste Marschziel war die kleine Stadt Priluki, in der wir am 28. September für eine Nacht
Aufenthalt nahmen. Einige Ruhrfälle infolge des vielen Fleischgenusses traten auf, ohne daß diese
Seuche aber zum Glück größere Formen annahm.
Das Wetter wurde herbstlicher und der Regen weichte die ohnehin primitiven Straßen immer mehr auf.
Ab Priluki wendeten wir uns vorerst wieder nach Norden und später nach Nordosten. Über Iwaniza
kamen wir am 29.September in das Dorf Wereshowka
Unser neuer Auftrag war der größte, der uns in diesem Kriege gestellt werden konnte. Nach der
Erledigung von Kiew sollten wir einen eisernen Ring um die Hauptstadt der Sowjetunion Moskau legen
und damit die Entscheidung und das Ende des Krieges noch vor Einbruch des Winters herbeiführen.
Diesem Ziel wurde alles geopfert, In wahnwitziger Verblendung glaubte die Führung dieses Ziel noch vor
dem Schnee- und Kälteeinbruch erreichen zu können. In sträflicher Sorglosigkeit wurde die rechtzeitige
Herbeischaffung von \Winterbekleidung und Winterausrüstung unterlassen.
Das Ende war für uns furchtbar. Zehntausende unserer Kameraden erfroren oder verloren durch die
Erfrierungen ihre Hände und Füße.
Garnichts kann diese ungeheure Schuld ableugnen oder verkleinern. Die verhältnismäßig leichten
Anfangserfolge blendeten die Verantwortlichen und führten sie dem Verderben entgegen. Die Opfer
waren die braven kleinen Marschierer die mit einem riesigen großen Idealismus diese in der Geschichte
einmaligen Opfer brachten.
Noch war uns das aber in seiner ganzen Tragik nicht klar. Wir marschierten unverdrossen nach den
Befehlen, kämpften, siegten, glaubten und opferten uns weiter für das große Ziel, das man uns immer
wieder hinstellte - und dieses Ziel hieß Sieg und Deutschland !
Das nächste Marschziel war Tolenki, wo wir einmal für zwei Tage, vom 30. September bis 1.Oktober,
Aufenthalt nahmen. Ab Tolenki wandten wir uns direkt nördlich.
Das Wettrennen mit dem immer näher kommenden Winter trieb uns zur weiteren Eile an.
Am 2. Oktober erreichten wir Baturin, wo wir am folgenden Tage den Ssejm überschritten.
Eines Tages fuhr unseren Kolonnen unser Regimentskommandeur vor, hielt an der Spitze bei unserem
Chef und beglückwünschte ihn zu seiner Beförderung zum Oberleutnant Gleichzeitig heftete er ihm den
Stern auf die Schulterklappen.
Durch schwieriges Wald- und Sumpfgelende arbeiteten wir uns weiter nordwärts, unter stets größer
werdenden Anstrengungen. Nur ab und zu gab es kleinere Feindberührungen, wobei der Gegner aber
rasch geworfen wurde.
Der größere Feind aber, der sich uns täglich stärker entgegenstellte, war der Herbst, sein Regen, der
Schlamm und der Dreck.
Physisch mußten wir von Tag zu Tag mehr leisten. Und mit uns stampften unsere braven Pferde
vorwärts - immer weiter vorwärts.
Durch die Stadt Korop ging es weiter. Nördlich davon überschritten wir am 3.Oktober zum zweitenmal die
Deßna, deren Lauf hier von Osten nach Westen geht. Jenseits der Deßna kamen wir nach Gawrilowka.
Die zweite große Kesselschlacht, an der wir in diesem Kriege beteiligt sein sollten, war die um Brjansk.
Schon zeichneten sich auch hier, wie bei Kiew, die ersten Erfolge ab. Auch diesmal gönnte man uns
keine Ruhe und trieb man uns zu immer größerer Eile an.
Am 4.Oktober erreichten wir Blistowo, von wo ab sich unsere Marschrichtung wieder nach Nordosten
richtete. Tags darauf marschierten wir durch die Stadt Nowgorod Sewersk und überschritten hier zum
drittenmal die von Norden nach Süden fließende Deßna und waren am 5.Oktober in Birintsch. Von hier
weg wurden die Tagesmärsche immer kürzer, da der von Tag zu Tag stärker einsetzende Regen das
ganze Gelände in ein Meer von Schlamm verwandelte. Durch die schweren Fahrzeuge, Panzer und
Geschütze verschlechterte sich der Zustand der ohnehin nur ganz primitiven Straßen zusehends. Oft
schien das Weiterkommen fast unmöglich.
Die Schlammperiode
6.Oktober - 8.November 1941
Entlang unseres Marschweges vermehrten sich die im Schlamm steckengebliebenen und verlassenen
Wracks von Kraftfahrzeugen. Hatten wir bisher stets unsere motorisierten Einheiten wegen ihrer
rascheren Beweglichkeit beneidet9 wechselte nun die Lage zu Gunsten der bespannten Verbände. Wo
ein Weiterkommen für Kraftfahrzeuge unmöglich wurde, kamen unsere Pferde wenn auch mit nicht
schilderbaren Anstrengungen doch noch weiter. Die Verbundenheit zwischen uns und unseren treuen
Helfern wurde in diesen Tagen unzertrennlich.
Doch auch bei den Pferden gingen die Strapazen nicht spurlos vorüber. So manches brave Tier blieb vor
Erschöpfung im Schlamm stecken, brach zusammen und mußte erschossen werden. Das bedeutete eine
immer größer werdende Schwächung unserer Beweglichkeit.
Pausenlos strömte der Regen aus grauverhangenem Himmel auf die unübersehbare unendliche Weite.
Grau erschien auch uns die Zukunft. Wieder wurden wir mit nahen Winterquartieren vertröstet und
weitergetrieben.
Am 6.Oktober blieben wir über Nacht in Chiltschizsje, wo wir Feuerstellung bezogen, um den widerstand
leistenden Feind zu werfen. Das Gelände war hier stark vermint. Eine unserer Protzen fuhr dabei auf
eine Mine auf und mußte zurückgelassen werden. Die Besatzung kam mit dem bloßen Schrecken davon.
Der Feind wurde rasch geworfen und in von Tag zu Tag schwerer werdenden Märschen zogen wir
weiter. Immer kurzer wurden die Tagesmarschleistungen, da die Geländeschwierigkeiten durch die
schlechten Straßen einerseits und den rasch hereingebrochenen Herbst andererseits, jede rasche
Bewegung, wie wir sie seit dem Sommer gewohnt waren fast unmöglich machten.
Mit Riesenschritten nahte der ostische Winter und nichts geschah, was eventuell zu seiner Milderung
dienen konnte. Dementsprechend sank auch unsere Zuversicht auf einen baldigen Sieg immer mehr,
wenn nicht vorher sich doch noch etwas Entscheidendes ereignete. Aber ein Tag nach dem andern kam.
Jeder war gleich grau verhangen, naßkalt und trübe, und versank wieder. Wir stampften durch Morast
und Schlamm und waren abends froh, wenigstens auf einige Stunden in den ärmlichen Hütten
unterzukommen, wo es wenigstens warm gewesen ist. Aber jetzt begann eine Plage, der wir absolut
nicht mehr Herr werden konnten. In wenigen Tagen waren wir alle total verlaust. Alles suchen nach den
Läusen half nichts; sie waren überall und peinigten uns Tag und Nacht. Doch bald hatten wir uns auch an
das gewöhnt, da uns ja keine andere Wahl blieb.
Das nächste Marschziel war am 7.Oktober das kleine Dorf Masedowka. Östlich davon überquerten wir
eine Bahnlinie, auf der die von dem zurückweichenden Feind gesprengten Schienen von der
Zivilbevölkerung bereits wieder ausgebessert wurden. Zu beiden Seiten des Bahnkörpers Lagen in die
Luftgeflogene Lokomotiven und Waggons, zum größten Teil von unserer Luftwaffe vernichtet.
Am folgenden Tag kamen Wir bloß 6 km weiter bis Rudenka. Bisher hatten wir oft noch bis zu 30 km im
Tag zurückgelegt. Aber noch immer gönnte man uns keine Ruhe, trotzdem wir und unsere Pferde schon
völlig erschöpft waren, Ununterbrochen jagte man uns weiter t um den Kessel um Brjansk zu schließen.
Wir waren schon gänzlich apathisch geworden und schleppten uns todmüde, immer durchnässt, von
Läusen zerfressen und abgestumpft durch die erdrückende trostlose russische Landschaft.
Von Rudenka marschierten wir am 9. Oktober morgens bei unaufhörlichen Regen ab und erreichten
abends das 10 km entfernte Dorf Wassilewka, das bereits mitten in dem südlich von Brjansk liegenden
Wald von riesigen Ausdehnungen lag.
Hier war das Gelände besonders unübersichtlich und die Feindlage ungeklärt, so daß wir ständig auf
Rundumverteidigung eingestellt waren, Jedes unserer Geschütze war nach einer anderen
Himmelsrichtung feuerbereit, wenn wir abends für eine Nacht Rast hielten. Ständig mußten wir mit
Feindberuhrung rechnen, da sich in den riesigen Brjansker Waldgebieten, von uns unbemerkt, russische
Kräfte verborgen halten hätten können. Wir blieben aber zum Glück unbehelligt.
Unser einziger, aber dafür desto unerbittlicherer Feind war in diesen Herbsttagen der Schlamm.
Endlich erreichten wir am 10. Oktober das Dorf Nowaja Pogoschtsch, wo der Befehl kam, uns für den
Winter einzurichten. Mit ungeteilter Freude nahmen wir diese Nachricht auf. Wir konnten wieder einmal
schlafen, uns reinigen und vor allem den Kampf gegen die Läuse aufnehmen. Wie wohl taten uns diese
Tage! Hier gab es noch sehr viel Geflügel, das eine willkommene Bereicherung unserer Kost bedeutete.
Und als wir eines Morgens aufwachten, lag der erste Schnee. Der Boden aber war noch nicht gefroren
und der Schneefall vergrößerte nur noch den Morast.
Ein Befehl HitIers versprach uns die Vernichtung des bolschewistischen Gegners, noch ehe der Winter
einbricht. Wir sahen das Endziel schon greifbar nahe vor uns und hofften aufs Neue auf eine baldige
Heimkehr. Was nachte es da viel aus, daß wir vorläufig aus der Heimat keine Post erhielten, da sie durch
den Schlamm nicht mehr nachgebracht werden kennte. Auch der übrige Nachschub stieß auf laufend
größer werdende Schwierigkeiten, ohne daß wir aber deswegen auf viel verzichten mußten, da es überall
noch genug Kleinvieh zum Schlachten gab.
Unsere Überanstrengten Pferde erholten sich rasch wieder. Futter gab es überall genug im Lande.
So sahen wir wieder mit Ruhe der nächsten Zukunft entgegen.
Doch nichts von dem allen hat sich erfüllt, was wir uns im Oktober 1941 so heiß erhofften. In den letzten
Oktobertagen war auch der Kessel um Brjansk erledigt. Wieder gab es Hunderttausende Gefangene und
reiche Kriegsbeute. Damit war aber auf der Traum von einem einigermaßen ruhigen Winterquartier zu
Ende, den es ging schon dem nächsten – und wie man uns wieder sagte, letzten – Ziel entgegen
Moskau.
Vorerst sollten wir in weiteren Eilmärschen den Raum Orel erreichen, wohin unsere Feldpost bereits
vorausgeschickt wurde.
War die Überwindung des Schlammes bisher eine einmalige Leistung, wußten wir nicht, daß ab jetzt
noch eine weitere Steigerung der Schwierigkeiten kommen wurde. Es blieb uns aber keine andere Wahl,
aus
So verließen wir am 2l.Oktober das “Winterquartier" Nowaja Pogoschtsch kamen am nächsten Tag nach
Sussemka, überschritten die von Süden nach Norden führende Bahnlinie und kamen endlich wieder aus
dem unheimlichen Brjansker Wald heraus.
Das nun folgende Gelände wird uns allen zeitlebens unvergeßlich bleiben. War Malin das größte
Kampferlebnis in Rußland, war es die einförmige unendliche Ebene südwestlich von Orel, in der wir fast
im Schlamm versanken, die sich unauslöschlich in unsere Erinnerung eingrub.
Jeder Tag brachte noch größere Anstrengungen als der vorherige; jeder Kilometer noch tieferen Morast.
Heute mutet uns das wie ein Wunder an, daß wir trotzdem vorwärtskamen.
Am 23.Oktober übernachteten wir in Negino, waren am 24.Oktober in Kokuschino und kämpften uns
durch ununterbrochenen Regen mit zusammengebissenen Zähnen am 25.Oktober bis Scharowo weiter.
Stellenweise reichte uns der Morast bis zu den Knien. Der erste Schnee war längst zergangen. Die
Straßen verdienten diesen Namen überhaupt nicht. In Friedenszeiten mögen hier leichte Panjefuhrwerke
den Verkehr bestritten haben und ihrer Aufgabe gerecht geworden sein. Jetzt waren diese Fahrwege nur
mehr ein Meer von Kot, die durch die vielen Fahrzeuge immer noch mehr aufgefahren wurden. Dazu
kam noch, daß wir meistens gar nicht wußten, wo die Trasse der Fahrbahn eigentlich verlief. Jeder
Wagen suchte auf seine Art weiterzukommen und fuhr ganz einfach neben der sichtbaren Spur eine
neue. So reihte sich Wagenspur neben wagenspur, oft in der Breite von über 100 m. Es spielte das alles
keine Rolle, weil überall der Boden gleich grundlos war und hier wie dort die Fahrzeuge über die Achsen,
die Pferde und wir bis über die Knie in den zähen Kot einsanken. Und über dieser trostlosen grauen
Einsamkeit ragten die schiefen Telegrafenstangen als die einzigen Richtpunkte in den Regen und gaben
uns an, wo die Straße ursprünglich verlaufen ist.
Pferde konnten vor Erschöpfung ganz einfach nicht mehr weiter, wurden mit Schlägen traktiert, daß
blutige Striemen auf ihren Rücken sichtbar wurden , Jeder Mann mußte anschieben, weil immer wieder
die Fahrzeuge steckenblieben, trotzdem das Waten für jeden von uns allein schon eine körperliche Qual
ohnegleichen war. und was an jedem neuen Morgen unmöglich schien, war am Abend doch überwunden
- wir hatten das befohlene Ziel wieder erreicht.
Unser einziger Wunsch war damals nur ein einziger Ruhetag, damit wir einmal wieder unsere Stiefel
ausziehen und trocknen lassen konnten. Meistens getrauten wir uns die Stiefel gar nicht auszuziehen,
weil wir sonst am Morgen in die nassen Knobelbecher nicht mehr hineingekommen wären.
Endlich sollte unser Wunsch am 26. Oktober in Putschharewa wegen Erschöpfung der Pferde in
Erfüllung gehen. Der folgende 27. Oktober war wirklich endlich ein Ruhetag. Aber der 28.Oktober sah
uns schon wieder am Marsch nach Osten bis Krulowa, von wo wir am Tag darauf nach längerer Zeit
wieder eine Stadt erreichten.
Es war Dmitrowsk, südwestlich Orel. Trotzdem wir hier auf eine sogenannte Rollbahn kamen, war ihr
Zustand noch schlechter als alles, was wir bis jetzt kennengelernt hatten. Der Dreck war hier ganz
einfach furchtbar. Wieder mußte der 31. Oktober als Ruhetag eingeschaltet werden. Am 31. Oktober ging
es jedoch weiter.
Jeden Tag wurden die zurückgelegten Kilometer weniger. Um diese Zeit erkrankte unser Batteriechef
Oberleutnant Getzen an einer Lungenentzündung schwer und mußte ins Lazarett gebracht werden. Er
kehrte in der Folge nicht mehr zur Batterie zurück, was wir alle sehr bedauert haben.
Leutnant Pammler, unser Batterieoffizier, wurde nun unser neuer Chef. Auch Ihn, der dann später noch
zum Oberleutnant befördert wurde und in dieser fremden Erde seine letzte Ruhestätte gefunden hat,
lernten wir als Führer und besten, treuen Kameraden schätzen. Er teilte mit uns die schönen, aber viel
mehr trüben Tage getreulich.
Am 31.Oktober abends rasteten wir in Lubciski und erreichten am Allerheiligentag nach weiteren
übermenschlichen Anstrengungen Wolobuschewa. Der nächste Tag sah uns in Kutafino südwestlich
Kromy.
Alle Anzeichen deuteten auf den unmittelbaren Einbruch des Winters hin. Wir hatten keine Ahnung,
welche Unsummen von neuen Strapazen uns bevorstanden. Es war die ungeheure Tragik des
Rußlandfeldzuges, daß durch die Anfangserfolge verblendet, die Führung die klimatischen Verhältnisse
vollkommen übersah.
Wir erwarteten das Gefrieren des Bodens immer sehnsüchtiger, weil uns der Frost endlich vom Schlamm
befreien sollte. Dieser Wunsch ging zwar in Erfüllung, doch wurden die Strapazen der Schlammperiode
von dem nun folgenden Schreckenswinter weit in den Schatten gestellt. Stets folgte einem Hindernis
immer ein noch größeres.
Bis anfangs November hatten wir noch immer keinerlei Winterbekleidung. Aber die Kugel des Schicksals
rollte unerbittlich weiter, immer weiter.
Von Kutafino marschierten wir am 6.November morgens unserem nächsten Tagesziel entgegen, das nur
wenige Kilometer weiter östlich lag. Es war das Dorf Belodjaschki, wo wir Nachtquartier bezogen. Tags
darauf erreichten wir Dobryn und wieder einen Tag später, am 8.Novembor, blieben wir die Nacht über in
Retjashi.
Zum erstenmal gefror der Boden und der Schreckenswinter 1941/42 begann. Auf dem harten Boden ging
das Marschieren zwar etwas leichter, weil die Fahrzeuge und Pferde nicht mehr einsanken. Aber dieser
Zustand dauerte nicht lange. Rapid fiel die Temperatur und starker Schneefall bei stürmischen Winden
setzte ein. Ein schweres Kapitel des für uns an Ereignissen wahrlich nicht armen Einsatzes im
Ostfeldzug ging zwar zu Ende - aber ein noch schwereres lag unaufgeschlossen vor uns!
Vormarsch in Schnee und Eis
9.November - 8.Dezember 1941
Das Gelände um Orel ist sehr hügelig, was unser Vorwärtskommen im Schlamm schon sehr erschwerte;
auf den verschneiten und vereisten auf- und abwärtsführenden Straßen und Hängen wurde der
Vormarsch ein noch schwierigeres Problem, Wenn wir auch diese Epoche überstanden und diese
ungeheuerlichen Strapazen überwunden haben, dann spricht dieser Umstand für den unbeugsamen
Willen, immer wieder das Ziel zu erreichen.
Nach Überschreitung der Oka bei Retjashi am Morgen des 9.November, die durch die ungünstigen
Bodenverhältnisse an beiden Ufern sich sehr schwierig gestaltete, kamen wir abends nach
Nikolskoteund standen jetzt genau 33 km südlich von Orel.
Nach zwei weiteren Tagesmärschen kamen wir über Wisotschesja bis zur Bahnlinie Kursk – Orel und
nahmen am 11.November in Nasdejewka bis 20.November Aufenthalt. Das befohlene Marschziel durch
den Schlamm: der Raum Orel - war endlich erreicht. Hier erwartete uns tatsächlich diese lange vermißte
Feldpost. Damit war auch die unterbrochene Verbindung mit der Heimat wieder hergestellt. Was hinter
uns lag, war nur mehr eine sehr böse Erinnerung.
Die Nachrichten aus der Heimat ließen unsere Stimmung natürlich sofort um einige Grade höher steigen.
In Nasdejewka konnten wir uns endlich wieder einmal ausschlafen, uns reinigen und für das Kommende
vorbereiten. Unsere Lkw's, die durch den Schlamm in Sussemka bis zum Gefrieren des Bodens
zurückgelassen wurden, trafen bei der Batterie ein. Auch ca. 15 Ersatzleute wurden uns zum Ausgleich
der Ausfälle zugewiesen, die direkt aus der Heimat kamen.
Vom Feind härten wir wenig, da auch er bisher durch den Schlamm in seiner Beweglichkeit stark
behindert war. Auch die eigene und feindliche Luftwaffe entfaltete nur geringe Aufklärungstätigkeit. Es
war aber nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm.
Erbarmungslos fiel das Thermometer und wir hatten noch immer keine zusätzliche Winterbekleidung. Die
ersten Erfrierungen, hauptsächlich an den Füßen, machten sich bemerkbar, nachdem unsere
Lederstiefel schon nach kurzem Aufenthalt im Freien gefroren. Selbstverständlich litten auch unsere
Pferde, ehr unter der Kälte. Doch das Kriegsgeschick kannte kein Erbarmen. In Nasdejewka gab es noch
sehr viel Geflügel, das unseren Aufenthalt hier zum letztenmale angenehm gestaltete. Doch auch dieser
Aufenthalt nahm nur zu rasch ein Ende. Wir mußten weiter, da die 2.Panzer-Armee ein wichtiges Glied
im Einschließungsring um Moskau sein sollte. Noch immer unterstanden wir dem 35. A.K.
So jagte man uns durch Schneestürme und eisige Kälte immer weiter nach Osten. Ahnungsvoll sahen
wir der weiteren Entwicklung entgegen, weil wir bereits wußten, daß die Russen den Winter viel leichter
überwinden als wir und diesen Umstand sicherlich ausnützen wurden. Nur zu bald hatten sich unsere
Ahnungen bewahrheitet.
Starker Schneefall setzte ein und 20 - 30 Kältegrade waren keine Seltenheit mehr. Der Schnee knirschte,
wie wenn er aus Glas gewesen wäre. Wir litten furchtbar unter der Kälte und konnten uns nicht
vorstellen, daß dies ohne Winterbekleidung noch lange so weitergehen werde können. Abends kamen
wir vollkommen ausgefroren in die ärmlichen Bauernhütten und bangten dem nächsten Tag entgegen,
der nicht nur keine Linderung, sondern ein noch weiteres Ansteigen des Frostes brachte. Auf unseren
Märschen hüllten uns Schneestürme ein, die alles zu vernichten drohten.
Der weiße Tod ritt uns aus dem Osten entgegen und betrachtete uns schon als seine Beute.
Doch wir gaben uns auch diesem Feinde nicht geschlagen, sondern kämpften mit verbissener
Entschlossenheit um unser Leben.
Als wir am 20.november von Nasdejewka abmarschierten, pfiff uns bereits ein heftiger Schneesturm um
die Ohren und erschwerte den Marsch durch das ohnehin schwierige Gelände. Für die nächste Nacht
blieben wir in Stolbezkoje, erreichten am 22.November Trudski und waren am 23.November in Kolodeski
an der Bahnlinie Liwny - Orel.
In diesem Raume erfuhren wir, daß der Feind sich hier zum Widerstand stellen wollte. Der weitere
Vormarsch ging daher wieder gefechtsmäßig vor sich, da jeden Augenblick das Auftauchen von
feindlichen Einheiten in der eisigen Schnee wüste wahrscheinlich war. Über Skariatino, Karpowo und
Bolschaja Tschernowa erreichten wir am 26.November Schatilowo, an der Bahnlinie Jerez - Orel.
An dieser Bahnlinie hatte der Feind seine H.K.L. errichtet und setzte uns heftigen Widerstand entgegen.
Wir bezogen in Schatilowo sofort Feuerstellung und beschossen den Bahndamm, hauptsächlich den
Bahnhof Schatilowo, der ca. 2 km ostwärts des Ortes lag und mit starken russischen Kräften besetzt war.
Ebenso befand sich der Feind in der ca. 6 km weiter östlich gelegenen Ortschaft Malinowo. Unser
weiteres Vordringen wurde daher in Schatilowo aufgehalten.
Es war furchtbar kalt und die Temperatur auf über 30 Grad unter Null gesunken. Endlich traf aber hier die
erste Winterbekleidung in Form von Übermänteln und Überzugsfäustlingen ein. Allerdings in so geringer
Anzahl, daß nur ein kleiner Teil unserer Leute in erster Linie die Geschützbedienungen, Fernsprecher
und Fahrer damit beteilt werden konnten, Alle übrigen froren jämmerlich in ihren leichten Mänteln. Auch
einige Paar Filzstiefel wurden zugeteilt. Und in dieser mörderischen Kälte stand uns ein harter,
unerbittlicher Gegner gegenüber, der in der nächsten Zukunft alles daransetzte, uns zu vernichten.
Aus Richtung Jelez fuhr immer wieder ein russischer Panzerzug bis knapp vor unsere Stellungen und
belegte diese jeweils mit einem Feuerüberfall, worauf er wieder schleunigst zurückfuhr. Dies wiederholte
sich in kurzen Abständen. Wir erhielten Befehl, diesen Panzerzug, der sich unangenehm bemerkbar
machte, unter unser Artilleriefeuer zu nehmen. Im direkten Beschuß gelang es uns tatsächlich, ihm
einige Treffer zu versetzen, ohne ihn aber ernstlich außer r Gefecht setzen zu können. Unseren tapferen
Pionieren wurde dann die Aufgabe gestellt, sich an den Bahndamm heranzuarbeiten und die Schienen
zu sprengen. Das gelang dann auch und damit war ein weiteres Vordringen des gepanzerten Ungetüms
unmöglich.
Dafür belegte die russische Artillerie Schatilowo mit Feuer.
Durch einen Granatsplitter, der durch die Holzwand eines Wohnhauses eindrang, wurde unser guter
Kamerad Rupert Garber mitten ins Herz getroffen und auf der Stelle getötet.
Wir haben diesen braven Gefährten in Schatilowo zur letzten Ruhe bestattet. Die Aushebung des Grabes
war durch den bereits metertief gefrorenen Boden äußerst schwierig und konnte nur durch Mithilfe von
Sprengungen bewerkstelligt werden.
Aber schon am nächsten Tage wurde der Feind trotz hartnäckigem Widerstand geworfen und weiter in
Richtung Jelez zurückgedrängt. Es gelang uns in Malinowo einzudringen. Von hier aus stießen wir dann
weiter dem nur zögernd weichenden Feinde nach, nahmen die Orte Ssubotina, Prilepy und stießen
weiter nach Osten auf Slobino nordwestlich Jelez vor.
Der russische Winter hatte seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Von Tag zu Tag wurde die Kälte
noch größer und unerträglicher; pfiff uns ein Schneesturm um die Ohren, daß einem Hören und Sehen
verging. Es gab Erfrierungen am laufenden Band. Wir waren der Verzweiflung nahe. und doch hielten wir
durch, marschierten und kämpften und hofften trotz allem auf den Sieg.
Südlich von uns operierte die 121.I.D., die direkt auf Jelez vorstoßen sollte.
Am 3.Dezember befanden wir uns in Kirilowa, wo wir in einer ehemaligen Schnapsfabrik Unterschlupf
fanden. Schnaps war aber leider keiner mehr vorhanden, der uns in dieser mörderischen Kälte innerlich
erwärmen hätte können.
Tags darauf war der Barbaratag, den die Artillerie ihrer Schutzpatronin, der hl.Barbara, stets festlich
hatte. Diesmal war uns aber absolut nicht festlich zu Mute.
Das Thermometer zeigte 40 Grad unter Null.
In Roshdestowo, hart westlich der Bahnlinie Jelez - Orel, hatte der Feind eine neue Widerstandslinie
bezogen, die wir unbedingt durchbrechen mußten, weil unsere südliche Nachbardivision Jelez fast
erreicht hatte. Wenn es uns nicht gelang, die Front weiter nach Osten zu drängen, entstand für die
121.I.D.eine gefährliche Flankenbedrohung. Es wurde daher für die Nacht vom 4. auf den 5.Dezember
der Angriff auf Roshdestowo befohlen.
Trotz ungünstigster Geländeverhältnisse - die Gegend war auch hier sehr hügelig - und trotz grimmigster
Kälte, Eis und Schnee gelang es uns nach stärkerer Feuervorbereitung Roshdestowo zu nehmen.
Einen besonderen Anteil am Erfolg hatten dabei unsere Fernsprecher die nach Überwindung größter
Schwierigkeiten und stärkstem Feindbeschuß die Fernsprechverbindungen so rasch herstellten, daß der
Sprechverkehr zu den Gefechtsständen der Infanterie und Artillerie in denkbar kürzester Frist
aufgenommen und damit der Erfolg gesichert war.
Unsere Kameraden Haberfellner und Lang erhielten dafür das E.K.I.
Ab jetzt setzte auch stärkere feindliche Lufttätigkeit ein, da sich die Wetterverhältnisse klärten. Das
Schneetreiben hörte auf und die Sonne strahlte von einem tiefblauen Himmel, ohne aber auch nur ein
Fünkchen Wärme zu spenden. Im Gegenteil, die Kälte sank bis auf 45 Grad unter Null.
Jede Bewegungslosigkeit im Freien führte in wenigen Minuten zu Erfrierungen des Gesichtes, der Hände
oder Füße.
Ungeschützte Hautstellen mußten dauernd gerieben werden. weil sie sofort weiß wurden. Unsere
Lederstiefel wurden in dieser grausamen Kälte nach wenigen Minuten hart wie Stein und man mußte
dauernd die Zehen bewegen, um nicht schwerste Erfrierungen und damit den Verlust der Gliedmaßen zu
erleiden.
Es ist uns heute noch unvorstellbar, daß wir diesen Winter überlebt hatten.
Der klare Himmel war für die feindliche Luftwaffe eine willkommene Gelegenheit, jedes Fahrzeug oder
jede Bewegung. die in dieser baumlosen Gegend weithin sichtbar war, mit Bomben und Bordwaffen
anzugreifen. Wir spürten mit jedem Tag mehr, daß sich hier unser Schicksal entscheiden würde. Mit
Bangen stellten wir fest, wie wenig von unserer eigenen Luftwaffe zu bemerken war. Wir fühlten
irgendwie eine Lücke, konnten uns aber darüber keine richtigen Vorstellungen machen.
Langsam kamen kleinere Mengen von weiterer zusätzlicher Winterbekleidung nach. Unserer Führung
war der Vorwurf nicht zu ersparen. in dieser Beziehung direkt vorbrecherisch gehandelt zu haben.
Tausende und Tausende unserer Kameraden hatten das mit ihren Gliedmaßen oder ihrem Leben
bezahlen müssen.
Die 121.I.D.hatte Jelez erreicht, war in die Stadt eingedrungen, wobei sich erbitterter Nahkampf
entsponnen hatte. Der Feind war zahlenmäßig weit überlegen und die eingedrungenen deutschen
Verbände wurden wieder aus Jelez hinausgeworfen.
Diese Nachricht löste begreiflicherweise in unsere Reihen große Bestürzung aus. Aber noch ging es bei
uns vorwärts.
Am 6.Dezemberüberschritten wir trotz stärkstem Fliegerbeschuß die Bahnlinie Jelez - Orel und nahmen
in Ploskoje vorläufigen Aufenthalt.
Wenige Kilometer östlich davon waren sehr starke Feindkräfte zusammengezogen worden, die sich zum
Großangriff gegen uns vorbereiteten. Wir richteten in Ploskoje sofort unsere Feuerstellungen ein und
eröffneten unverzüglich das Feuer auf die feindlichen Vorbereitungen.
Dabei ereignete sich ein tragisches Unglück. Beim Abfeuern eines unserer Geschütze wurde in der
Nacht übersehen, daß knapp vor dem Rohr eine Fernsprechleitung vorbeiführte. Die Granate krepierte
unmittelbar nach Verlassen des Rohres bei der Berührung mit dem Leitungsdraht. Dadurch wurde unser
Kamerad Franz Höller getötet und die übrige Geschützbedienung teils schwer, teils leicht verwundet.
Von Stunde zu Stunde stieg unsere Nervosität, weil die Beobachtungen den unmittelbar bevorstehenden
Großangriff meldeten.
In der Nacht zum 8.Dezember stieß ein feindlicher Spähtrupp bis in das Dorf Ploskoje vor, wo bei einem
Feuergefecht zwischen unseren Sicherheitsposten und dem Spähtrupp zwei unserer Kameraden
verwundet wurden.
Die Situation wurde verdammt ungemütlich. Wir befanden uns in Ploskoje bereits südöstlich von Moskau
und der Ring um die sowjetische Hauptstadt zeigte schon deutlich seine ersten Formen. Nördlich
Moskau waren unsere Truppen gleichfalls bis über Kalinin (Twer) hinaus vorgedrungen und bildeten den
zweiten Arm der Zange. Der Gegner vußte, daß ein Fall von Moskau unter Umständen die Entscheidung
des Krieges im Osten bedeuten wurde. Er verdoppelte seine Anstrengungen, uns ein unüberwindliches
Halt entgegenzustellen. Sein größter Bundesgenosse war dabei zweifellos der diesmal außergewöhnlich
strenge Winter der seit über hundert Jahren mit einer solchen Wucht und solch niedrigen Temperaturen
selbst in Rußland nicht verzeichnet wurde. Ohne Zweifel hatte die deutsche Heeresführung bei der
Planung des Feldzuges diesen wichtigen Faktor nicht genügend gewürdigt und viele
Unterlassungssünden begangen, die unser Schicksal und damit auch das Schicksal Deutschlands
besiegelten.
Die Geschichte hat bereits ihr Urteil gesprochen und niemand und nichts kann diese Tatsachen aus der
Welt schaffen.
Die Tragödie unseres Unterganges begann in den Dezembertagen 1941, erreichte später bei Stalingrad
ihre Fortsetzung und fand im April 1945 ihr Ende.
Bisher führte uns der Krieg Hunderte und Hunderte von Kilometern nach Osten und wir stürmten, von
wenigen Rückschlägen abgesehen, fast ohne Unterbrechung nahezu sechs Monate von Sieg zu Sieg.
Nun war die Grenze des Möglichen erreicht und es begann die große Wende. Im Raum von Jelez ging
dieser Siegeslauf in Schnee und Eis und an der Mauer es für den Winter gut ausgerüsteten Gegners und
seiner zahlenmäßigen übermacht zu Ende.
Die Geschichte, die das Weltgericht ist, sprach über uns ihr Urteil. Was nun folgte, war der Beginn vom
Ende und düstere Schatten legten sich über uns.
Der Weg zurück
Einsatz im Raume Orel
9.Dezember 1941 - 7.Jänner 1942
In den ersten Morgenstunden des 9. Dezember wurden wir plötzlich unsanft aus dem Schlaf gerüttelt.
Alles fertigmachen zum Abmarsch! So lautete der Befehl. Es geht zurück I
Traf uns diese Nachricht auch nicht mehr überraschend, so waren wir im ersten Moment darüber doch
bestürzt. Ging es zurück, so bedeutete das die Niederlage.
Daß es kein vorübergehender strategischer Rückzug sein wurde, wußten wir nach wenigen Stunden.
Die deutsche Front zerbrach an der Unerbittlichkeit des Winters und dem verbrecherischen Leichtsinn
unserer Führung.
Die Ausfälle an Leuten waren enorm und diese Tatsache stellt uns allen das höchste Zeugnis aus, wenn
wir trotzdem die Front noch Jahre halten konnten.
In diesen entscheidenden schicksalhaften Stunden wurde uns zum erstenmal klar, was auf dem Spiele
stand. Befehl um Befehl kam und jeder schaffte neue Verwirrung. Die Nervosität nahm ihre höchsten
Formen an. Sämtliche Männer der Zivilbevölkerung sollten mitgenommen werden; Frauen und Kinder
gegen die russischen Linien getrieben und ihrem weiteren Schicksal überlassen werden; sämtliches
Vieh, hauptsächlich die Rinder, waren mitzunehmen; jede Ortschaft sollte niedergebrannt werden,
ebenso sämtliche Futtervorräte, soweit sie nicht mitgenommen werden können; die Brunnen hätten
vergiftet oder verschüttet werden sollen. Maßnahmen, die nur der Wahnsinn diktieren konnte! uns lief es
eiskalt über den Rücken, als wir diese Befehle vernahmen. Aber wer konnte sie verhindern?
So begann ein schauriges, fürchterliches und düsteres Kapitel des Feldzuges im Osten.
Als die Zivilbevölkerung von Ploskoje Bruchteile der beabsichtigten Maßnahmen erfuhr, bemächtigte sich
ihre selbstverständlich größte Verzweiflung. Die Szenen, die sich damals vor unseren Augen und Ohren
abgespielt haben, werden uns immer als ernste Mahnung in Erinnerung bleiben.
In den meisten von uns ist damals vieles von dem zerbrochen, was einmal als das Höchste gegolten hat.
Ein gütiges Schicksal hat uns aber sm Ende doch davor bewahrt, die befohlenen Unmenschlichkeiten bis
zur letzten Konsequenz durchführen zu müssen, denn der Russe begann seinen erwarteten Angriff!
Es blieb uns zum Glück keine Zeit mehr, alle Befehle durchzuführen. Trotzdem geschahen noch genug
Dinge, die heute als Ungeheuerlichkeiten bezeichnet werden müssen und die den Krieg als das
furchtbarste Verbrechen, das Menschen begehen können, geißeln.
Die Absicht, die damit verfolgt wurde, ist uns erst später klar geworden. Man wollte einen Gürtel von
einigen hundert Kilometern schaffen, in dem kein Haus, kein Baum, kein Brunnen mehr vorhanden sein
und der den angreifenden Feind aufhalten sollte. Graue Theorie ohne Realisierbarkeit ! Zur Durchführung
hätten wir Zeit gebraucht, doch diese gönnte uns der Feind zum Glück nicht, weil er unsere Absichten
durchschaute. Deswegen griff er mit ungeheurer Vehemenz an und wir mußten rasch zurückweichen.
So verließen wir am 9.Dezember abends Ploskoje, das für uns der östlichste punkt bleiben sollte, den wir
in Rußland erreichten.
Immer noch war die Temperatur über 40 Grad unter Null. Als es .Abend wurde, brannten überall links
und rechts van uns die Dörfer. Der Feuerschein warf seine blutigroten Schatten über die weiß erstarrte
Landschaft.
So zogen wir, ein geschlagenes Heer, zurück nach Westen und hofften, unserem Schicksal doch noch
entrinnen zu können hart bedrängt vom nachfolgenden Feind.
Anfänglich marschierten wir denselben Weg zurück, den wir vor wenigen Tagen gekommen waren.
Wieder gab es wenig Ruhe und wenig Schlaf. Jeden Augenblick mußten wir mit Überraschungen
rechnen. und doch verließ uns die Hoffnung nicht, der weißen Hölle, in der wir uns befanden, zu
entrinnen. Es ging ja nach Westen und im Westen lag die Heimat.
Bei Prilepy gab es bereits die erste unangenehme und gefährliche Überraschung. Als wir morgens
weitermarschieren wollten, erfuhren wir, daß uns nachts die Russen überflügelt hätten und den Ort vor
uns bereits besetzt hielten. Nach einigen Stunden gelang es aber den Infanterieverbänden, den Gegner
etwas zurückzudrängen, so daß auch wir auf Richtung Malinowo weiterstoßen konnten. Der Raum
Malinowo - Schatilowo, der für uns schon einmal bedeutungsvoll gewesen war. sollte es auch noch ein
zweitenmal werden.
Hier stauten sich bereits die zurückflutenden deutschen Einheiten verschiedener Divisionen, nachdem
die Bahnlinie Jelez – Orel in russischer Hand war und feindliche Verbände außerdem links und rechts
von uns vorstießen, um uns einzuschließen.
Alles überflüssige Gerät, sowie die gesamte Reserveausrüstung und alles, was die Beweglichkeit nur
irgendwie beeinträchtigte, wurden kurzerhand liegengelassen. Es kam darauf an, so rasch als möglich
der gefährlichen Einkesselung zu entrinnen. Zwischendurch mußten wir immer wieder Feuerstellungen
beziehen und den Abwehrkampf gegen den immer stärker angreifenden Feind mit unserem Feuer
unterstutzen.
Und jeden Tag rückte das Weihnachtsfest näher! Westlich Malinowo erreichten wir wieder die Bahnlinie
und marschierten von hier aus in westlicher Richtung auf der rechten Seite der Bahnlinie gegen
Rossoschnoje. Gemeinsam mit uns marschierte das Infanterie-Regiment 482 mit je einem Bataillon links
und rechts von uns zur Sicherung, während wir in der Mitte mit dem dritten Bataillon durch die eisige
Nacht zogen, jeden Moment unliebsame Überraschungen erwartend.
Diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Der Bahnhof Rossoschnoje war in russischer Hand!
Die Absicht des Feindes, uns einzuschließen, wurde mit jedem Augenblick deutlicher. Größte Vorsicht
war daher geboten. Um den Bahnhof entspann sich in der Dunkelheit ein erbitterter Kampf, der aber
schon nach kurzer Dauer für uns erfolgreich endete. Es waren nur schwächere vorgeprellte Feindkräfte,
die uns nicht viel anhaben konnten und geworfen wurden.
Die zu unseren beiden Seiten marschierenden Sicherungsbataillone gaben uns dauernd ihre Positionen
durch Leuchtzeichen bekannt und kamen gut vorwärts. Aber bald gab es wieder eine Stockung. Vor uns
hatten die Infanterie- und Pioniereinheiten neuerlich Gefechtsberührung. Auf einmal ließ uns ein bisher
ungewohntes Rauschen aufhorchen. Dar Russe setzte hier zum erstenmal auf Lkw's aufmontierte
Stalinorgeln gegen uns ein, die wie Raketen über uns hinwegzischten. Das Feuer lag aber weit hinter
uns und richtete fast keinen Schaden an. Von unserem Standpunkt aus gesehen, entfaltete sich ein
prächtiges Feuerwerk, wie wenn hunderte von Raketen gleichzeitig detonieren würden. Die moralische
Wirkung auf uns war ziemlich groß, da wir hier etwas Neuem gegenüberstanden.
Die Stalinorgeln, wie sie bald allgemein genannt wurden, waren rasch das Gegenstück zu unseren
Nebelwerfern geworden und wurden im Laufe des Krieges vom Feinde immer mehr ausgebaut. Sie
wurden auch in der Folge eine sehr unangenehme Waffe, die uns noch viel zu schaffen machte.
So brach der schicksalhafte 13.Dezember an, der gleichfalls für uns alle unvergeßlich werden sollte.
Bei Rossoschnoje überquerten wir die Bahnlinie und zogen jetzt auf der linken Seite entlang des
Bahndammes.
In den ersten Morgenstunden tauchten plötzlich neben uns zwei Panzer auf, die auf der Straße unseren
Kolonnen vorfuhren. Wir atmeten erleichtert auf, daß endlich auch eigene Panzer zu unserer
Unterstützung eingesetzt wurden. Einer der Panzer blieb stehen und ein Mann stieg aus, der um Feuer
bat - aber, o Schreck, auf Russisch. Die Überraschung war auf beiden Seiten gleich groß. Im Bruchteil
einer Sekunde war der Mann in seinem Panzer, der mit Vollgas dem zweiten nachfuhr, ehe wir uns noch
von unserem Schrecken erholen konnten. Vermutlich hatten die beiden Feindpanzer selbst die
Orientierung verloren und waren nach diesem Intermezzo rasch wieder in der Nacht untergetaucht.
Für uns war das aber nur der Anlaß zu noch größerer Vorsicht. Als der Morgen endlich anbrach,
befanden wir uns zwischen Rossoschnoje und Orewo, das in nordwestlicher Richtung lag.
Da tauchten von allen Seiten Feindverbände auf; Kavallerie, Infanterie und Panzer! Alle Bemühungen
waren also umsonst gewesen - wir waren eingeschlossen!
Sollte sich hier nun unser Schicksal in diesem Kriege erfüllen oder gab es noch einen Ausweg? Das
wußten wir um die Mittagsstunden des 13.Dezember noch nicht. Jedenfalls war die Situation sehr
gefährlich und vorläufig gänzlich unübersichtlich. Wir mußten vorerst nach Rossoschnoje zurück, das von
den Feindpanzern und Granatwerfern unter starkes Feuer genommen wurde. Gleichzeitig tauchten über
uns russische Schlachtflieger auf und bekämpften uns aus der Luft. Die Lage wurde immer bedrohlicher
und wir mußten dauernd in Deckung gehen.
Der Ia-Schreiber unserer Abteilung, Kamerad Freinberger, wurde durch einen Splitter an der Hand
ziemlich schwer verwundet. Auch Pferde wurden getroffen und fielen aus. Dabei wurde auch das
Reitpferd Odila unseres Kommandeurs getötet, das seit Kriegsbeginn unser treuer Begleiter gewesen
ist.
Die Lage schien für uns alle hoffnungslos. Befehl auf Befehl kam, alles zur Nahverteidigung
vorzubereiten. Bis zum letzten Mann Wußte jeder, daß es jetzt um Großes ging. Entweder wir konnten
uns noch herausschlagen, oder wir wurden gefangengenommen. Das Letztere schien uns allen das
Schlimmere. Rasch wurden kleinere Kampfeinheiten zusammengestellt und zur Rundumverteidigung
eingesetzt. Jeder bezog seinen Posten, den Karabiner in der Faust, bereit, das eigene und das Leben
der Kameraden so teuer als möglich zu verkaufen.
Der Feind griff aber vorläufig direkt nicht an. Anscheinend überschätzte er unsere Kräfte oder war selbst
noch zu schwach und wartete weiteren Nachschub ab. Stunden wurden zu Ewigkeiten; die tollsten
Gerüchte machten die Runde und niemand wollte eigentlich so recht an das Ende glauben. Im direkten
Beschuß wurden von unseren Kanonieren einige Feindpanzer abgeschossen, worauf die anderen etwas
vorsichtiger wurden. Zwischendurch kam der Befehl zum Stellungswechsel. Die mörderische Kälte
spürten wir in diesen Stunden fast gar nicht, weil unser ganzes Sinnen nur auf die Befreiung aus dem
Kessel gerichtet war. Noch ehe die Dunkelheit einbrach - im Dezember wird es in Rußland schon um 2
Uhr nachmittags finster - verließen wir unter dauerndem Feindbeschuß Rossoschnoje.
Wenige Kilometer weiter westlich lag ein kleines Dorf am Boden einer kreisförmigen Mulde. Dort wurden
sämtliche Einheiten zusammengezogen. Kaum dort angekommen, tauchten Feindkräfte auf den Höhen
rings um das Dorf auf. Wir saßen nun in einer richtigen Mausefalle am Grunde der Mulde. Endlich wurde
es Nacht, nachdem wir vorher den überall auftauchenden Feind unter Feuer genommen hatten. Für ihn
waren wir eine sichere Beute. ununterbrochen wurden Lagebesprechungen abgehalten, Funksprüche mit
der außerhalb des Einschließungsringes liegenden Division gewechselt, die selbst schwer bedroht,
versuchen mußte, ebenfalls der Absicht des Feindes, sie einzuschließen, zuvorzukommen. Der
Kommandeur des Infanterie-Bataillons, Major Fischer, hatte den Oberbefehl über uns. In einer
Besprechung mit sämtlichen Offizieren und Unteroffizieren des Bataillons und der Abteilung wurde die
fast verzweifelte Lage ungeschminkt besprochen.
Es gab noch einen einzigen Ausweg, den uns Major Fischer in seinen Grundzügen umriß. Eine einzige
Stelle nach Norden war vom Feind nur schwach besetzt. Hier mußten wir durchkommen, ehe noch der
Morgen des 14.Dezember anbrach. Dazu war es aber notwendig, mit der größten Eile die Absetzung
durchzuführen. Das Gelingen hing davon ab, daß keinerlei Lärm verursacht werde und kein Lichtschein
dem lauernden Gegner das Entrinnen verraten durfte. Angesichts der vielen Pferde, Fahrzeuge und
Geschütze ein fest hoffnungsloses Beginnen. Gleichzeitig sollte ein Scheinangriff den Feind täuschen
und von der beabsichtigten Durchbruchsstolle ablenken. So weit der Plant der als letzte und einzige
Möglichkeit zu unserer Rettung offen blieb. Er mußte gewagt werden - oder wir gingen unter!
Dazu am noch, daß die gesamte Absetzung innerhalb kürzester Frist zu bewerkstelligen war. Mit
klopfendem Herzen kehrten wir zu unseren Leuten zurück. Die Pferde standen ohnehin angespannt und
alles war marschbereit. Um 2 Uhr früh begannen befehlsgemäß der Scheinangriff und gleichzeitig auch
unsere Absetzbewegung. Plötzlich begann ein Haus auf der halben Höhe des Abhanges, über den wir
hinaufmußten, aus unbekannter Ursache lichterloh zu brennen. Dieses Ereignis schien alles zunichte zu
machen. Trotzdem versuchten wir dieser Hölle zu entkommen, setzten uns über den taghell vom
Feuerschein beleuchteten Abhang. der dazu noch völlig vereist war, in Bewegung - alles auf eine Karte
setzend.
Und das Unwahrscheinliche gelang!
Der Gegner schien unsere Absicht nicht zu verstehen und rührte sich gar nicht. Nun ging alles wie
geplant und ohne Zwischenfall. Wir erreichten die Höhe und damit die nach Nordwesten führende
Straße, auf der wir allerdings in zwei Kolonnen nebeneinander bei völliger Dunkelheit in Eilmärschen
dahinzogen. Es gab noch einige Schwierigkeiten auf der schmalen Straße, aber was zähl ton sie, wenn
wir tatsächlich dem Kessel entronnen war und damit auch wieder unsere Freiheit gewonnen hatten.
Als der Morgen des 14.Dezember kam, lag das verhängnisvolle Dorf weit hinter uns, in dem noch immer
unsere Nachhuten den Feind täuschten und banden. Als auch sie sich absetzten, zögerte dar Gegner
noch immer, das Dorf zu nehmen. Er schien sich nicht auszukennen und legte am Morgen zuerst ein
konzentriertes Feuer mit seinen. Nebelwerfern auf den Grund der Mulde, die aber schon gänzlich
verlassen war. Hätte er das früher getan, wäre keine Maus aus dieser Falle mehr entronnen. Neuerlich
war ein gütiges Schicksal uns gnädig gewesen.
Uneingeschränkten Dank und höchste Anerkennung aber zollten wir dem Manne, dem wir die neue
Freiheit verdankten Bataillonskommandeur Major Fischer!
Am Nachtmittag trafen wir wieder mit unseren Kameraden von den anderen Einheiten unserer Division
zusammen, die uns mit ehrlicher Freude begrüßten, weil auch sie nur mehr wenig Hoffnung hatten, uns
nochmals wiederzusehen.
Mit jedem weiteren Tag, der nun anbrach, wußten wir klarer, daß eine Wende für uns eingetreten war.
Jeder Kilometer weiter nach Westen brachte uns zwar der Heimat näher, bewies uns aber auch, daß die
Aufgabe des so heiß erkämpften Bodens früher oder später mit einer Niederlage enden mußte. Wir
glaubten das zwar noch nicht in seiner später offenbar gewordenen. Tragweite, doch wurden die Zweifel
am Erfolg immer größer.
Von Orewo weg, wo wir wieder in den Divisionsverband zurückkehrten und den Ring um uns damit
gesprengt hatten, wendeten wir uns zuerst nach Nordosten bis Krapiwinka und von hier wieder zurück
nach Nordwesten.
Der unwahrscheinlich kalte Winter hielt immer noch weiter an, wir hatten uns aber schon ein wenig damit
abgefunden. Der Selbsterhaltungstrieb war stärker als die Polartemperaturen, Schnee und Eis. Natürlich
gab es noch immer Erfrierungen und ganz besonders unsere Pferde hatten unter dem eingetretenen
Futtermangel schwor zu leiden. Der Nachschub, besonders von Futter, funktionierte nicht, so daß
meistens nur die Strohdächer der ärmlichen Hütten oder Scheunen verfüttert werden konnten.
Dazu mußte von den Pferden Unmenschliches an Leistungen verlangt werden, weil damit zu rechnen
war, daß der Gegner alles daransetzen wird, seinen Anfangserfolg weiter auszubauen. Doch auch
unsere Führung dürfte in diesen schweren Tagen endlich den vollen Ernst der Lage erkannt haben. Neue
Verbände wurden herangeführt, mit denen eine neue Abwehrfront aufgebaut werden sollte.
Der Marsch zurück durch den unerbittlichen Winter ging aber noch weiter. Über Lasowka kamen wir
westlich Arapetowka auf eine breite Rollbahn, die nach Nowoßil führte, der nächsten größeren Stadt, die
wir erreichen sollten.
Unser Marsch ging flott und ohne größere Rasten vor sich, da der Feind uns hart auf den Fersen war.
Nur mehr wenige Tage und die ersten Weihnachten in Rußland waren da. Ein eigenartiges Gefühl der
Niedergeschlagenheit beschlich uns, da wir ahnten, daß die nächste Zukunft nichts Schönes mehr für
uns bereithielt. Tagsüber mußte marschiert werden und nur nachts fanden wir ein wenig Ruhe und
Wärme.
Die breite Rollbahn ermöglichte ein ziemlich rasches Vorwärtskommen. In Kuleschi und Ssury, wo wir für
je eine Nacht Quartier bezogen, hatten wir bereits wieder Feindberührung. Begünstigt durch den täglich
einfallenden Nebel, waren uns gegnerische Verbände schon wieder auf den Fersen. Kaum hatte sich der
Nebel ein wenig verzogen, waren auch die russischen Schlachtflieger über uns und behämmerten
unsere Marschwege und Quartiere.
Die Abteilung hatte wieder Tote und Verwundete zu beklagen.
Von Ssury weg zogen wir nach Resdonnoje und weiter westlich bis Malinkowa und Worotynzowo. Hier
kamen wir einen Tag vor Weichnachten an.
In den muffigen Hütten feierten wir Weihnachten, unter Umständen, die sehr traurig waren.
Zum Glück brachte uns aber die Feldpost noch die so sehnsuchtsvoll erwarteten Päckchen mit
Liebesgaben aus der Heimat. Auch die sonstigen Zuteilungen waren reichlich und wurden mit Freude
nach den trüben Erlebnissen der vergangenen Tage aufgenommen. In jedem Quartier war ein
Tannenbäumchen geschmückt worden, die wir uns schon am Marsch mitgenommen hatten.
Am Weihnachtsabend wurde uns auch ein Befehl Hitlers verlesen, mit dem uns mitgeteilt wurde, daß
Generalfeldmarschall v. Brauchitsch den Oberbefehl über das Heer zurückgelegt hat und HitIer selbst
auch das Heer führen wird. Ein Abschiedsbefehl Brauchitsch’ ließ mehr ahnen als e r aussprach. Wie wir
heute wissen, mußte Brauchitsch deswegen gehen, weil er voraussah, daß das Vorwärtssturmen in die
Weite des russischen Raume s ohne genügende Sicherung des rückwärtigen Landes und der
Nachschublinien über kurz oder lang zum Zusammenbruch der deutschen Front im Osten fuhren mußte.
Er hat Recht behalten, mußte aber seiner vernünftigen Einstellung wegen weichen. Die Geschichte hat
auch hier bereits ihr klares Urteil gesprochen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag wurde die Stadt Nowoßil, in der sich hauptsächlich Versorgungstruppen
befanden, von feindlichen Fliegern schwer angegriffen, wobei durch eine Bombe mit Zeitzünder der
Zahlmeister unserer Abteilung, Kriegsinspektor Ristl, auf der Stelle getötet wurde. Das Raus, in dem die
Zahlmeisterei untergebracht war, erhielt einen Volltreffer und wurde vollständig zerstört.
Wir marschierten am 25.Dezember durch Nowoßil, wo an der Suscha versucht wurde, eine
Abwehrstellung aufzubauen, die aber nur wenige Tage gehalten werden konnte. Dann ging es noch ein
Stück weiter zurück nach Westen, bis wir am 30.Dezember den Ort Leski erreichten.
Hier kam unser Rückmarsch vorerst endgültig zum Stillstand, da an der Suscha eine neue und
endgültige Widerstandslinie aufgebaut werden mußte.
Der Winter war auf seinem Höhepunkt und wir waren froh, endlich etwas Ruhe zu finden. In Leski gingen
wir sofort in Feuerstellung. Die neue H.K.L. befand sich am westlichen Ufer der Suscha, die wir über
eineinhalb Jahre halten konnten.
Der feindliche Ansturm kam hier zum Stehen, die Fronten stabilisierten sich, und vorläufig schien sich der
Krieg im Stellungsabwehrkampf festrennen zu wollen.
Den Jahreswechsel feierten wir, soweit es die Verhältnisse gestatteten, feuchtfröhlich. Alles Schwere der
vergangenen Wochen schien auf einmal gar nicht mehr so schlimm, als es tatsächlich war. Ein neues
Jahr, dem wir wieder alle Hoffnungen entgegenbrachten, lag wieder unaufgeschlossen vor uns - die
Entscheidung brachte es uns aber nicht.
Neue Divisionen waren inzwischen herangekommen und sollten auf jeden Fall verhindern, daß Orel, das
nur mehr 56 km weiter westlich lag, aufgegeben werden mußte. Bis zum 7.Jänner 1942 lagen wir in
Leski, erledigten unsere Feueraufträge, bis uns ein neuer Befehl vorübergehend weiter südlich nach Doly
rief, um dort die Abwehrfront bei Werchnaja Salegoschtsch mit unserer Artillerie zu verstärken.
Ein tragisches Kapitel des Ostfeldzuges fand in Leski sein Ende. Zuerst Sieg auf Sieg, dann Einbruch
eines verheerenden Winters und nun der Rückzug als geschlagene Armee. Welche Summe von
Strapazen, Entbehrungen und Aufopferung für ein scheinbar großes Ziel enthielten doch die Monate des
Jahres 1941!
Und alles war umsonst.
Deutschland mußte diesen wahnwitzigen Krieg mit seinem Untergang bezahlen und wir konnten nicht in
die Speichen des drehenden Rades der Geschichte greifen, trotzdem wir die unmittelbaren zeugen und
Akteure wahnsinniger Verblendung gewesen sind. So erfüllte sich unser Schicksal unerbittlich und
erbarmungslos.
Aber noch war kein Ende zu sehen, als wir Leski verließen. Weiter ging der Totentanz, weiter mußten
Hunderte, Tausende, zehntausende sterben; wurde dieselbe Anzahl zu KrüppeIn; mußten wir die
Trennung von unseren Lieben und der Heimat ertragen und waren nichts als ein gehetztes Wild,
Schachbrettfiguren, die hin- und hergeschoben wurden, wie es eben die militärische Lage erforderte.
2293 km waren wir bisher durch glühende Sonne, durch Sand, Schlamm, Eis und Schnee marschiert.
Daß wir noch lebten, war eines der großen Wunder dieses Krieges.
Doly
8.Jänner - Juli 1942
Unser nächster Einsatz, zu dem wir am 8. Jänner befohlen wurden, führte Uns ca. 20 km weiter südlich
in das Dorf Doly, wenige Kilometer westlich von Werchnaja Salegoschtsch.
In beschwerlichem Marsch durch das tiefverschneite und verwehte Gelände kamen wir über
Woroschilowo, Beresowez, Lopata am 9.Jänner nach DoIy, wo wir in Feuerstellung gingen. Unsere
Unterbringung erfolgte in den Häusern des Dorfes, wo wir uns wohnlich einrichteten. Dauernder
Schneefall und heftige Stürme ließen alles in einem weißen Meer von Schnee versinken. Bis zu den
Dächern der Häuser hinauf türmten sich die Schneemassen und täglich mußten die, Geschütze erst
ausgeschaufelt werden, da sie der Sturm über Nacht völlig zuwehte.
Dieser schreckliche Winter konnte uns aber nicht mehr viel anhaben, weil wir nun endlich für längere Zeit
Ruhe fanden.
Auch unsere Pferde hatten es, verdammt notwendig, sich etwas zu erholen. Mehr noch als uns hatte der
anstrengende Marsch mit seinen schier unmöglichen Strapazen die Tiere mitgenommen. Die Ausfälle an
Pferden waren ganz beträchtlich geworden, so daß es hoch an der Zeit war unseren Bestand wieder
aufzufrischen.
Zu größeren Kampfhandlungen ist es in Doly nicht gekommen. Artillerieplänkeleien und
Spähtrupptätigkeit sowie Störungen durch die feindlichen Flieger, besonders nachts, war alles. Doly
wurde daher erst die richtige Winterstellung, die auf beiden Seiten für die Vorbereitungen der
kommenden Ereignisse die Zeit gab.
Die Temperaturen blieben konstant äußerst niedrig, bis dann aber auch dieser Schreckenswinter sein
Ende nahm.
Es gab endlich wieder Heimaturlaub.
Um uns die Zeit zu vertreiben, legten wir um die Quartiere Küchengärten an und säten Gemüse und
Küchenkräuter, für die wir uns die Samen von zuhause schickem ließen. Diese kleinen Gärten umgaben
wir mit Birkenzäunen, die dem Dorf ein freundlicheres Aussehen gaben. Daneben gruben wir uns für alle
Fälle Bunker.
So vergingen die Wochen und Monate und der harte erbarmungslose Schreckenswinter 1941/42
Verblaßte ein wenig in unserer Erinnerung.
Der verlorene Humor trieb neue Blüten. Walzen wurden erzählt, Hoffnungen gehört und Pläne
geschmiedet, die alle nur Träume blieben. Aber es verging die Zeit und eines Tages mußte auch das
Ende dieses Krieges kommen .So war auf einmal der Sommer da und im Juli rief man uns wieder einen
neuen Raum, noch weiter nach Süden.
Inzwischen lebte die feindliche Artillerietätigkeit wieder auf und wir erhielten schon in Doly einigemale
unangenehme Eisengrüße, die unsere schön gedeihenden Gemüsegärten buchstäblich umackerten.
Dann verließen wir diesen Ort der uns über ein halbes Jahr beherbergt hatte.
Ungefähr 12 km weiter südlich bezogen wir neue Stellungen bei Glinka, blieben aber hier auch nur kurze
Zeit, ohne daß Eich etwas Wesentliches ereignet hätte.
Dann kamen wir wieder in den alten Raum bei Leski.
Abwehrstellung an der Suscha und am Nerutsch
August 1942 - 12.Juli 1943
Die neue Feuerstellung befand sich westlich von Bol. Malinowez, während der Troß in Setucha
untergebracht wurde.
In diesem Raume lagen wir fast das ganze folgende Jahr.
Das Gelände war auch hier leicht hügelig. Wenige Kilometer östlich von uns mündete der Nerutsch bei
Saduschnoje in die Suscha. Am westlichen Ufer verlief unsere H.K.L. Die erste Zeit gab es auch hier
verhältnismäßig Ruhe, von den für uns schon zur Selbstverständlichkeit gewordenen gegenseitigen
Plänkeleien und Aufklärungstätigkeiten abgesehen.
Rasch kam der Herbst und wieder ein Winter - der zweite in Rußland. Diesmal waren wir aber bereits
anständig ausgerüstet und standen dem Frost und Schnee nicht mehr so unvorbereitet gegenüber wie im
vergangenen Jahr. Schon die ersten Wochen wurden wieder dazu benützt, um die angeschlagen
Verbände aufzufrischen. Ausrüstungsmaterial wurde nachgeschoben und der Übrige Dienst begann
wieder kasernenmäßig. Dor neue Winter brachte uns zwar auch wieder viel Schnee und großen Frost,
doch war er immerhin etwas milder als der vergangene.
Die schon im Sommer begonnene Urlaubsaktion wurde fortgesetzt, wodurch der persönliche Kontakt mit
der Heimat hergestellt wurde. Dieser Umstand trug viel zur Hebung unserer Stimmung bei.
Jenseits unserer H.K.L. hatte sich auch der Feind eingegraben, so daß vorläufig Anzeichen darauf
hindeuteten, daß größere Kampfhandlungen nicht bevorstanden. Durch die Ruhe war es auch möglich,
der unangenehmen Läuseplage Herr zu werden. Bade- und Entlausungsanstalten wurden eingerichtet
und der Großkampf gegen dieses quälende Ungeziefer führte bald zu einem sichtbaren Erfolg. Wir
brachten die Läuse tatsächlich weg. Frontbühnen kamen, gaben bis in die vordersten Stellungen ihre
Kunst zum Besten und wurden freudigst begrüßt. Da der Österreicher immer und in allen Lagen seinen
Humor nicht verliert, dauerte es nicht lange und unsere österreichische 262.InfanterieDivision hatte ihre
eigene Theatergruppe – “Die Steffelbühne“ die mit ihren Darbietungen und Wiener Abenden reichen
Beifall und volle Anerkennung fand.
Trotzdem wurden selbstverständlich die militärischen Notwendigkeiten mit Nachdruck verfolgt. In jedem
Ort mußte eine Ortsverteidigung organisiert werden.
In Afrika mußten unsere Truppen die Front zurücknehmen. Auch an der Ostfront gab es, wie man damals
sagte, Frontverkürzungen. Die Lage bei Stalingrad war hoffnungslos geworden - die dort stehende 6.
Armee eingekesselt und rettungslos verloren. Auch am Don und im Kaukasus mußten unsere Truppen
zurückgehen.
Diese Nachrichten waren bereits ein deutliches Zeichen. Immer wieder sagte man uns, der kommende
Frühling würde uns wieder am Vormarsch sehen. Als die Lage in Stalingrad immer bedrohlicher wurde,
verhängte man auch bei uns eine Urlaubssperre.
Wieder kam ein Weihnachtsfest und ein Jahreswechsel tausende Kilometer von der Heimat entfernt, zum
zweitenmal im Osten. Und wieder erhofften wir uns vom neuen Jahr alles, ohne daß es uns erfüllte, was
wir ersehnten - das Ende des Krieges.
Zu Beginn des Jahres 1943 schied unser Abteilungskommandeur Möller von uns, der schon lange vorher
Major geworden war und das E.K.I. erhalten hatte, um einer Versetzung zu einem Korps als
Artillerieberater Folge zu leisten. Mit tiefem Bedauern mußten wir von unserem ersten Chef und späteren
Kommandeur Abschied nehmen, dem wir bedingungslos vertrauten und unter dessen Führung die III
Abteilung des A.R.262 sich ehrenvoll geschlagen hatte. Sein Nachfolger, Hauptmann Borsutzki, war den
meisten von uns zwar kein Unbekannter, da er während unserer Rekrutenzeit in Hollabrünn als Leutnant
unser Ausbildner war. Die Tradition Möller fand aber keine Fortsetzung mehr!
Die feindliche Luftwaffe flog laufend nach Orel und warf dort ihre Bomben.
Ende Jänner war das Schicksal der 6. Armee besiegelt. In einer Rede Görings wurde diese einzigartige
Niederlage schon offen zugegeben.
Am 2. Februar überraschte uns plötzlich der Befehl zum sofortigen Stellungswechsel. Unsere Batterie
wurde ca. 40 km weiter südlich zur Verstränkung des rechten Flügels unserer Division eingesetzt. Bei 20
Grad unter Null und eisigem Wind setzten wir uns abends in Bewegung. Über Woroschilowo und
Kalganovka marschierten wir vorerst bis Wschod und zogen nun von hier aus über den Nerutsch bis
Michailowskij. Zwischen Wschod und Michailowskij war die Straße vollständig verweht. Bis zu den
Knien und Schnee stampfend arbeiteten wir uns Kilometer um Kilometer durch die eisige, klare
Winternacht. In Michailowskij blieben wir drei Tage, dann ging der Marsch in südlicher Richtung. Wir
sollten Saretsche erreichen, fanden aber auf den verwehten Straßen nicht die richtigen Abzweigungen,
so daß wir kreuz und quer im Gelände herumirrten. Die Geschützstaffel, die getrennt von den übrigen
Einheiten der Batterie marschierte, hatte ihr Ziel jedoch erreichen und ging im Walde östlich Mal
Samarka in Stellung. Die Bedienungen mußten sich Erdlöcher graben, um nicht zu erfrieren. Bis
übrigen Teile der Batterie sammelten sich dann doch in Saretsche.
Unsere Feuerstellung wurde am 8. Februar aus dem Walde bei Mal Samarka nach Norden in den
Raum Kolchos Telmana verlegt. der Südflügel unserer Division mußte etwas zurückgenommen werden,
nachdem der Gegner hier heftig angriff.
Zur gleichen Zeit proklamierte Göbbels in der Heimat den totalen Krieg.
Auch nördlich von uns unternahm der Feind verschiedene Durchbruchsversuche, die aber alle so wie im
Süden erfolgreich abgeschlagen werden konnten.
In den ersten Märztagen konnte unsere Beobachtung stärkere Marschbewegungen aus der Raume
Nowoßil nach Süden feststellen. Die Anzeichen eines baldigen Großangriffes verdichteten sich immer
mehr. Zum gleichen Zeitpunkt konnte der Feind unsere Front nördlich und südlich Orel sehr weit nach
Westen eindrücken. Die Absicht, uns einzukesseln, zeichnete sich zusehends klarer ab. Die ersten
Vorbereitungen für einen baldigen Marsch wurden getroffen. Sämtliches überflüssige Gerät wurde
abgeschoben. unsere Batterie hatte im Südabschnitt der Division heftige Kämpfe zu bestehen, weil der
Gegner dort dauernd angriff. Doch alle Versuche scheiterten an unserer Abwehr, die auch von Stukas
unterstützt wurde.
Leider hatte die Batterie bei diesem Einsatz auch ein Todesopfer zu beklagen. unser Kamerad Egon
Effenberger starb nach einem erhaltenen Bauchschuß.
Zur weiteren Verstärkung der Abwehr im Süden wurde auch noch die 9.Batterie hin befohlen.
Am 14.Mcirz wurde unser Kamerad Rudolf Horak schwer verwundet. Durch einen Granatsplitter wurde
ihm der rechte Fuß abgerissen.
Im Heeresverordnungsblatt vom 18.März lasen wir von der Verleihung des Deutschen Kreuzes in Gold
an unseren früheren Kommandeur Möller, der sich diese Auszeichnung redlich verdient hatte.
In den frühen Morgenstunden des 17. März begann gegen den Südflügel der 2.panzerarmee, der wir
angehörten, ein Großangriff des Feindes. Doch auch dieser Angriff wurde abgeschlagen.
Bei Wschod und Krasnoje versuchte der Gegner mit vier Divisionen, einer Marinebrigade und zwei
Regimentern in einem Bataillonsabschnitt von uns durchzukommen. Mit 32 Batterien behagelte der Feind
unsere Stellungen. Auf das Dorf Wschod allein wurden 4.500 Schuß gelegt. Trotzdem war alles
vergeblich und konnte die Stellung gehalten werden. 5.000 feindliche Tote bedeckten das Kampffeld. 11
Panzer und über 20 Geschütze des Feindes wurden erbeutet oder vernichtet.
Nach Abwehr dieses Angriffes kehrten am 18. März die 7. und 9.Batterie in ihren früheren Raum zurück.
Von allen vorgesetzten Stellen erhielten wir höchstes Lob und vollste Anerkennung für diesen Einsatz.
Die neue Feuerstellung nach der Rückkehr befand sich bei Matwejewsky, der Troß kam nach Kasinka.
Der Abteilungsgefechtsstand befand sich in Lipowez. Die H.K.L. verlief ca. 6 km weiter östlich am
westlichen Ufer der Suscha.
Nach allen Anzeichen stand nun in diesem Raune, der der östlichste Punkt des Frontbogens um Orel
war, ein neuer Großangriff des Feindes bevor. Luftaufklärung und eigene Beobachtung ließen
umfangreiche Zusammenballungen von Geschützstellungen und sonstige Vorbereitungen jenseits der
Suscha erkennen.
Auch bei uns wurde die Front laufend verstärkt. Ende März unterstanden unserer Abteilung taktisch
bereits 6 Batterien. Der Hauptstoß war daher auf unsere Stellungen zu erwarten. Mitten in diesen
Vorbereitungen wurde die seit der Tragödie von Stalingrad bestehende Urlaubssperre wieder
aufgehoben. Damit hob sich auch sofort wieder die schon verlorene Zuversicht. Wenn es Urlaub gab,
war die Lage nicht mehr so brenzlich. Wie der Wehrmachtsbericht vom 23.März meldete, wurden die
Kämpfe zur Beseitigung der vom Feinde versuchten Umklammerung von Orel erfolgreich abgeschlossen.
Damit schien ein zweites Stalingrad im Raume Orel vorerst verhindert. Die russische Luftwaffe
bombardierte in verstärktem Ausmaß Orel, das umfangreiche Zerstörungen erlitt.
Als das Tauwetter eintrat, waren größere Bewegungen durch den Schlamm wieder unmöglich geworden.
Es kam daher für uns alle wieder eine Zeit verhältnismäßiger Ruhe.
Es war die trügerische Ruhe vor dem Sturm!
In den letzten Maitagen erhielt unsere Abteilung von unserer linken Nachbardivision, der 56.I.D.,eine
Artillerieabteilung zur weiteren Verstärkung zugewiesen. Ab nun hießen wir Artilleriegruppe Borsutzki.
In den nächsten Tagen wurden immer noch weiter Batterien in unseren Raum geschoben und uns
unterstellt. Aber auch der Feind schaffte laufend neue Waffen heran. Anfangs Juni hatte er schwere Flak
näher an die H.K.L. herangezogen, mit der er vorwiegend auf unseren Doppelrumpfaufklärer schoß. Die
russische Artillerie wurde in den Junitagen ebenfalls lebhafter und belegte Tag und Nacht unsere Räume
mit Störungsfeuer.
Der Pferdebestand war inzwischen durch Nachschub aus der Heimat auf den normalen Stand gebracht
worden. Die Tiere hatten sich in den letzten Monaten der Ruhe gut erholt, womit unsere volle
Beweglichkeit wieder gewährleistet war.
Um 3.40 Uhr früh des 11.Juni begann der schon erwartete Großangriff auf unseren Abschnitt.
Schlagartig setzte stärkstes Artilleriefeuer auf die H.K.L. ein. Dieses Feuer wurde noch durch 10
feindliche Schlachtflieger unterstützt, die ebenfalls unsere H.K.L. mit Bomben und Bordwaffen angriffen.
Immer mehr steigerte sich der Feuerzauber und überall lagen die Einschläge.
Nach dieser Feuervorbereitung, die über eine Stunde dauerte, griff der Feind mit starken Kräften an.
Lediglich bei unserer B-Stelle "Fuchsturm" gelang ihm ein Einbruch. Die B-Stelle mußte von ihrer
Besatzung geräumt werden. Kurze Zeit darauf wurde aber im Gegenstoß die alte Lage wieder
hergestellt. Um 10 Uhr vormittags war der Angriff zur Gänze abgeschlagen und die H.K.L. wieder fest in
unserer Hand.
Dieser Angriff sollte vorläufig nur eine lokale Angelegenheit bleiben und war nur ein Versuch des
Feindes, unsere schwächste Stelle zu erkunden.
Am Abend des 11. Juni wurde Lipowez mit der Stalinorgel schwer beschossen, so daß der
Abteilungsgefechtsstand in die Mulde südwestlich von Lipowez verlegt wurde.
Nach dem Intermezzo beim "Fuchsturm“ konnte der erwartete Großangriff zur Aufrollung der gesamten
Front östlich Oral nicht mehr lange auf sich warten lassen. Eine gewisse Nervosität bemächtigte sich
aller, Jeder Tag steigerte die Erwartungen auf einen neuen Angriff. Auch die beiderseitige lebhafte
Lufttätigkeit deutete darauf hin; ebenso die immer heftiger werdenden gegenseitigen Artillerieduelle.
Unbestätigte Gerüchte behaupteten, daß der Großangriff am 22.Juni, dem 2. Jahrestag des
Kriegsbeginnes mit der Sowjetunion, starten sollte. Der Tag verlief aber verhältnismäßig ruhig.
Ende Juni schien sich der Schwerpunkt des zu erwartenden Großangriffes nach Norden und Süden
verlagert zu haben, nachdem einige, der uns unterstellten Batterien wieder in ihre alten Räume befohlen
wurden.
Um für alle Fälle vorbereitet zu sein, mußte mit Hochdruck an den Bunkerbau geschritten werden.
Zur selben Zeit tobte im Raume Kursk eine schwere Abwehrschlacht, da auch dort der Feind ungemein
heftig angriff. Aber noch blieb ihm der entscheidende Erfolg versagt.
In den ersten Julitagen machte sich die feindliche Luftwaffe, besonders nachts, sehr unangenehm
bemerkbar. Das gesamte Hintergelände wurde mit Bomben beworfen. Auch die feindliche
Artillerietätigkeit erreichte ab 9.Juli eine beachtliche Stärke.
Große Ereignisse standen unmittelbar bevor.
Überläufer sagten aus, daß in den letzten Tagen auf der russischen Seite sehr viel Artillerie und Munition
zusammengezogen wurden. Die zu erwartende Durchbruchsstelle, an der besonders starke Feindkräfte
beobachtet wurden, lag 7 km sudöstlich von uns bei Orlowka.
Großangriff !
In der Nacht vom 10. zum 11.Juli erreichte die feindliche Lufttätigkeit ihren Höhepunkt. Pausenlos waren
die feindlichen Flugzeuge bis zum Morgengrauen über uns und warfen ihre Leuchtfallschirme und
"Christbäume“ ab, die das gesamte Gelände taghell in ihr fahles Licht tauchten und die den Bomben und
Bordwaffen gute Zielmöglichkeiten gaben.
Nach diesem Feuerzauber war nicht mehr daran zu zweifeln, was bevorstand. Kaum zog das erste
Morgengrauen auf, war es für uns zur unumstößlichen Gewißheit geworden, daß der schon lange
erwartete Großangriff begann.
Um 3 Uhr früh waren die ersten Schwärme der feindlichen Schlachtflieger und Jäger über uns. Sie
bombardierten vor allem unsere erkannten Gefechtsstände, die Straßen im H.K.F. und die H.K.L. Es ging
ganz toll zu. Der Fliegerangriff dauerte eine Stunde, dann setzte der feindliche Feuerschlag mit einer
Stärke ein, die alles bisher Erlebte weit in den Schatten stellte.
Es waren nicht Dutzende, sondern Hunderte von Batterien aller Kaliber, die alles mit Eisenhagel
ohnegleichen zudeckten.
Trotzdem begannen auch unsere Batterien kurz darauf Sperr- und Vernichtungsfeuer zu schießen. Man
konnte nicht mehr unterscheiden, ob es Abschüsse oder Einschläge waren. Ein einziges grauenvolles
Rollen ließ die Erde erzittern. Und diese Hölle dauerte einige Stunden ohne Unterbrechung an. Dann
begann der feindliche Angriff, diesmal auch von starken Panzerkräften unterstützt, vorerst gegen unsere
vorgeschobenen Stützpunkte "Fuchsturm", “Venus“ und "Prinz Eugen". Unser Feuer lag gut und konnte
den Feind zum Stehen bringen. Gegen Mittag dieses ereignisvollen Sonntags war die H.K.L. wieder in
unserer Hand. Nachmittags ließ das feindliche Störungsfeuer nach und langsam ging auch dieser Tag
seinem Ende zu.
Wir wußten jedoch, daß alles nur ein Anfang war. Das feindliche Ziel hieß - Orel!
Die folgende Nacht glich der vorangegangenen in jeder Beziehung. Der 12.Juli begann wieder mit einem
Höllenkonzert der feindlichen Artillerie, unterstützt von starken Verbänden der Luftwaffe. Diesmal war
aber auch unsere eigene Luftwaffe auf den Plan getreten und bereits im Morgengrauen spielten sich
über uns erbitterte Luftkämpfe ab, wobei eine große Anzahl feindlicher Flugzeuge und auch eigene
abgeschossen wurden.
Und ehe dieser schwere Tag sich seinem Ende zuneigte, beklagten wir den Tod dreier bester
Kameraden. Unser Chef, Oberlt. Günter Pammler und die beiden Unteroffiziere Martin Ebner und Erich
Seibert waren gefallen.
Auch sonst hatte die Abteilung noch schwere Verluste. Unser Schicksal an der Suscha war entschieden wir mußten zurück!
Die feindliche Übermacht war zu groß, die Front konnte nicht mehr gehalten werden!
Nun ging es Schlag auf Schlag. Gleichzeitig mit uns mußte sich auch unsere linke Nachbardivision, die
56.I.D.,und unsere rechte, die 299.I.D.absetzen.
Die Niederlage bei Orel
13.Juli - Mitte August l943
Die Abwehrstellung an der Suscha war am Abend des 12.Juli vom Feinde auf der ganzen Linie
durchbrachen. Zur Verstärkung aus Orel herangeführte Verbände und auch der stärkste Einsatz unserer
Luftwaffe konnten nur mehr die Absetzbewegungen planmäßig gestalten helfen. An der Niederlage
selbst war nichts mehr zu ändern. Damit war auch Orel selbst, der östlichste Eckpfeiler der Ostfront,
unhaltbar verloren.
Über Setucha, Woroschilowo ging es vorerst westwärts bis Tschitschirino. Von hier weiter südwärts bis
Lesnoje, dann wieder westlich über Woskresenka nach Safonowo, wieder ein Stück südwärts bis
Pawlowo und dann über Ogorodizkoje bis an die Bahnlinie Kursk - Orel, und dieser entlang nach Orel
selbst.
Dazwischen gab es dauernde Abwehrkampfe, nachdem der Feind, seinen ersten Erfolg ausnützend,
rasch nachstieß. Nördlich und südlich von uns war der Gegner bereits weit nach Westen vorgestoßen
und bedrohte uns in beiden Flanken. Die Absetzbewegungen nach Westen gingen daher in raschem
Tempo vor sich.
Orel war gefallen! Damit war dieser strategisch äußerst wichtige Punkt in der Ostfront ausgebrochen. Der
Wehrmachtsbericht nannte diese Niederlage verschämt Frontbegradigung. Somit wurden auch alle
unsere Anstrengungen in diesem Raume bedeutungslos.
Vorerst kam es nur darauf an, aus der bedrohlichen Umklammerung noch rechtzeitig herauszukommen.
Ab Orel wurde flott nach Westen marschiert. Auf den schönen Rollbahn ging es ohne größeren
Aufenthalt bis Karatschew. Der Feind hatte sein erstes Ziel - Orel - erreicht und belästigte uns auf
unserem Rückmarsch nicht. Sogar die feindliche Luftwaffe störte unsere Absetzbewegung nicht
sonderlich, so daß wir tagsüber marschieren und nachts ruhen konnten.
Ab Karatschew nahm uns das ausgedehnte Wald- und Sumpfgelände östlich Brjansk auf, das wir
nördlich der Bahnlinie Orel - Brjansk, parallel mit dieser, durchzogen.
Jeder Kilometer nach Westen führte uns wieder der Heimat entgegen. Unsere früheren Hoffnungen, am
Ende trotz allem den Sieg zu erringen, wurden schon nach dem Fall von Stalingrad schwer erschüttert;
jetzt aber sahen wir das Ende schon deutlich auf uns zukommen. Der einzige Gedanke in diesen Tagen
des Rückmarsches war, aus der drohenden Einkreisung noch herauszukommen. Unser heißer Wunsch
wurde uns diesmal noch erfüllt.
Wir erreichten unbehelligt und ohne besondere Erlebnisse Brjansk, durchquerten die Stadt und
marschierten weiter nordwestlich bis zum Ostrand von Ordshonikidsegrad, wo wir erfuhren, daß wir
einwaggoniert werden, um in die Heimat zu kommen. Da man immer das glaubt, was man sich wünscht,
stieg sofort wieder unsere Stimmung. Selbst die seit 16.Juli verhängte Urlaubssperre wurde vergessen
und mit Feuereifer begann die Verladung. Anfänglich ging es tatsächlich nach Westen bis nach
Smolensk. Von hier weg fuhr der Zug aber plötzlich wieder nach Osten und nur zu bald war es sichere
Gewißheit, daß die Rückkehr in die Heimat wieder nur ein schöner Traum war.
Es ging einem neuen Einsatz entgegen!
Vorher kam aber noch die Aufhebung der Urlaubssperre, so daß einige Glückliche letzten Endes doch in
die Heimat fahren konnten.
Auflösung unserer Batterie
Durch die Verluste bei den schweren Kämpfen bei Orel war unsere Abteilung nicht mehr in ihrer
bisherigen Stärke voll einsatzfähig geblieben. Umorganisierungen mußten vorgenommen werden, denen
unsere 7. Batterie geopfert wurde. Wir wurden als Kampfeinheit aufgelöst und auf die Stabsbatterie, die
8. und 9.Batterie der III/ A.R. 262 aufgeteilt.
Damit hatte unsere stolze seit dem 26. August 1939 bestehende Batterie aufgehört zu bestehen!
Jeder einzelne von uns nahm diese Umstellung nur schmerzlich zur Kenntnis, weil wir im Rahmen
unserer Einheit in vorbildlicher Kameradschaft zusammengehalten hatten. Im Rahmen der Abteilung
aber, die wir als die größte Familie betrachteten, konnten wir ebenso unsere Pflicht erfüllen. Das
geschah dann auch bis zum bitteren Ende, das nicht mehr ferne lag.
Jelnja
Mitte August - 15. September 1943
Ursprünglich war vorgesehen gewesen, daß wir in Jelnja selbst ausgeladen werden sollten. Ehe es aber
noch dazukam, war der Feind durchgebrochen und in Jelnja eingedrungen. Die Ausladung mußte daher
schon vor Jelnja erfolgen. In diesem Raume mußten wir zur Verstärkung der Abwehrfront eingesetzt
werden, da der Gegner euch hier mit starken Kräften versuchte, unsere Front weiter aufzuspalten.
Jelnja wurde für uns wieder ein Hexentanz. In Nestery südöstlich Jelnja, gingen wir in Stellung, konnten
aber dem mit großer Übermacht angreifenden Feind nicht lange standhalten.
Wir waren durch die Schlacht bei Orel und die folgende Flucht müde und abgekämpft. Und noch immer
gönnte man uns keine Ruhe; hetzte man uns von einer Stellung in die andere; war f uns von einer
Einbruchstelle zur anderen, die wir alle nicht halten konnten. Wir mußten schwer kämpfend und unter
hohen Verlusten wieder den Marsch nach Westen antreten.
Dauernd wechselte das Unterstellungsverhältnis, je nachdem es die augenblickliche Lage erforderte.
Dazu zog der Gegner mit unheimlicher Schnelligkeit seine Panzer und schweren Waffen nach, trotzdem
das Gelände zum größten Teil sehr sumpfig und schwierig war. Auch der Einsatz seiner Luftwaffe stieg
immer mehr. Zum erstenmal setzten die Russen zweimotorige Bomber ein, die uns mit ihren Bomben
schwere Verluste zufügten.
Der 28. August war der Höhepunkt, wo wir wieder im stundenlangen Trommelfeuer der Feindartillerie
lagen und dann fluchtartig unsere Stellungen aufgeben mußten. Wieder übersetzten wir die Deßna,
diesmal jedoch in umgekehrter Richtung als vor zwei Jahren. An d diesem Fluß sollte eine neue
Abwehrstellung errichtet werden. Es blieb aber nur bei der Absicht, da dazu gar keine Zeit blieb. Wir
waren froh, wenn wir wieder einen Tag hinter uns hatten und noch nicht gefangen wurden.
Nachts brannten wieder die Dörfer, teils in Brand geschossen, teils angezündet, entlang unseres
Rückzuges. Tod und Vernichtung hatten uns in ihre Krallen genommen und ohne Erbarmen oder Mitleid
wurde vernichtet, was Menschenhände und Menschenfleiß errichtet hatten.
Am 30. August wurden wir einer SS-Division unterstellt, die keine Artillerie hatte.
Wieder standen uns schwere Kämpfe bevor. In flottem Marsch ging es dem neuen. Einsatzraum
entgegen. Wir wurden aber bald durch einen ausgedehnten Sumpf aufgehalten, an dessen jenseitigem
Ufer schon wieder der Feind sich festgeklammert hatte. seine Panzer nahmen uns schon im Anmarsch
unter Feuer. Es blieb also keine andere Wahl, als umzukehren. Ganze Nacht mußten wir marschieren,
damit wir uns mit den Infanterieverbänden vereinigen konnten. Auch nachts waren pausenlos die
"Nataschas" über uns und warfen wahl- und ziellos ihre Bomben. Hatten sie dabei auch nur wenig
Schaden anrichten können, war es immerhin eine unangenehme Belästigung. Aber wieder kauen wir ans
Ziel, wenn auch mit Hindernissen.
Die SS-Division war viel besser ausgerüstet, als wir es je gewohnt waren. Auch stärkere Stukaverbände
unterstützten unseren schweren Abwehrkampf. Dabei wäre es einmal beinahe zu einer Tragödie
gekommen. Die beiden H.K.L- lagen ganz nahe beieinander. Mit Stukas sollten die stark besetzten
feindlichen Gräben außer Gefecht gesetzt werden. Dazu mußten wir mit unseren Geschützen den
Fliegern mit einzelnen Schüssen die Richtung anzeigen. Für diese Aufgabe war die 9. Batterie
eingerichtet worden. Alles war gespannt, wie diese Zusammenarbeit klappen würde. Da tauchten am
Horizont bereits die Stukaverbände auf. Unser Adjutant wollte gerade den Befehl zum Abfeuern an die
9. Batterie durchgeben - da war die Leitung zerschossen und eine Verbindung nicht möglich. Immer
näher kamen die Stukas. Kalter Schweiß stand uns allen auf der Stirne. Gelang es nicht, das Feuer
rechtzeitig auszulösen, drohte uns allen eine Katastrophe: die Stukas würden ihre Bombenlasten über
unseren eigenen Stellungen ausklinken. Die Staffeln verringerten immer mehr ihre Entfernung zu uns.
Da nahm der Kommandeur selbst den Hörer, rief die 8.Batterie, gab ihr im Telegrammstil die
Kommandos durch, und - was unglaublich schien, gelang. In Sekunden hatte die 8.Batterie eingerichtet
und schon sauste die erste Granate durch das Rohr auf das Ziel für die Stukas. Im selben Augenblick
waren die Flugzeuge über uns, setzten zum Sturz an und ein Höllenkonzert ohnegleichen nahm seinen
Anfang.
Ein grausiges Spiel begann. Heulend und pfeifend stürzten sich die Maschinen auf die feindlichen
Stellungen, lösten ihre Bomben und sausten im Tiefflug über unsere Köpfe hinweg wieder zurück. Eine
Riesenwand von Rauch und Erde stand knapp vor uns. Es dröhnte und bebte, wie wenn der
Weltuntergang gekommen wäre. Der Tod hielt reiche Ernte. Bruchteile von Sekunden hatten unser
Leben wieder einmal gerettet.
In wenigen Tagen war unsere Aufgabe bei der SS-Division erfüllt und wir kamen zur 26.I.D. Mit ihr ging
der Reigen weiter, von Stellung zu Stellung, dauernd im schwersten Abwehrkampf.
Mitten hinein platzte die Nachricht von Abfall Italiens und der Verhaftung Mussolinis. Es kriselte immer
mehr im Gebälk unseres Hauses.
Die Gerüchte bei uns vermehrten sich, die von einer Auflösung unserer 262.I.D. sprachen. Wir wollten es
anfangs nicht glauben, bis es aber dann doch nicht mehr abzuleugnen war.
Schwere Opfer hatten wir bis hierher bringen müssen, denn auch Jelnja forderte seinen blutigen Tribut
von uns. War unser guter Kamerad und Batterieoffizier Oberleutnant Fritz Danner, der Letzte, der im
Raume Orel bei einem Fliegerangriff schwer verwundet wurde, wobei er das Augenlicht verlor, war es bei
Jelnja unser Kamerad Leopold Brandhofer, der gleichfalls durch Flieger einen Fuß verlor.
Oblt. Danner erhielt für seinen unentwegten und tapferen Einsatz fast immer am V.B. neben dem E.K.II
und E.K.I das Deutsche Kreuz in Gold.
Ebenfalls mit dem Deutschen Kreuz in Gold wurde unser Kamerad Franz Lutzmayer ausgezeichnet, der
so wie Kamerad Danner durch seine unerschrockenen Beobachtungen auf den V.B. so manche für uns
gefährliche Lage rechtzeitig abwehren konnte.
Die 262. I. D. wird aufgelöst
16. - 17.September 1943
Am 16. September war es unumstößliche Gewißheit geworden. Unsere gesamte Division wird aufgelöst!
Was diese Nachricht für uns alle bedeutete, läßt sich nur schwer schildern. Vier Jahre lang waren wir
zusammen, hatten Freud und Leid mitsammen geteilt; waren in Frankreich und Schlesien, Polen und
Rußland eine österreichische Division gewesen; hatten Kameradschaften gegründet und ausgebaut, die
sich aufs höchste bewährten; und nun sollte das alles mit einem Schlage zu Ende sein? Tiefe
Niedergeschlagenheit kam über uns, weil wir ahnten, was nun kommen wurde. Wir gingen einen
unbekannten Schicksal entgegen; würden in alle Winde zerstreut werden; und waren doch ohnmächtig
diesen harten und für uns so unverständlichen Befehl gegenüber. Viel später wußten und verstanden wir
auch dieses Warum. Als österreichische Division, die sich in jeder Lage ihre österreichische Eigenart
bewahrt hatte, waren wir mit unseren Divisionsabzeichen- den blauen Stefansdom in einem weißen
Kreis- den Brüdern aus dem Reich schon lange ein Dorn in Auge. Jetzt war die Stunde gekommen, wo
man uns aufsplittern konnte.
Die Frage war, ob wir oder die 56.I.D.,die im Raume Oral unser linker Nachbar gewesen war, aufgelöst
worden sollte. 56. I.D. war viel mehr zerfetzt als wir, trotzdem wurde höheren Orts gegen uns
entschieden und unsere Auflösung beschlossen.
In der Nacht zum 17.Septeuber 1943 kam der Auflösungsbefehl auch für unsere Abteilung. Die 9.Batterie
wurde als Traditionsbatterie unter Führung von Hauptmann Celler, der kurz darauf gefallen ist, neu
aufgestellt - der Rest dem A.R.156 der 56.I.D.zugeteilt.
Am Morgen traten wir zum letztenmale an, hörten noch Abschiedsworte unseres letzten Kommandeurs,
Hauptmann Borsutzki, und setzten uns darauf in Marsch, um in den Verband des A.R. 156 eingegliedert
zu werden.
Nachmittags waren wir am Regimentsgefechtsstand angelangt, der in einem Dorf südwestlich von Jelnja
lag. Wieder mußten wir antreten, dann folgte eine Begutachtung durch den Regimentskommandeur
unseres neuen Regimentes und gleich darauf die Aufteilung unserer Kameraden, Pferde, Fahrzeuge, der
Geschütze und des noch vorhandenen Gerätes auf die einzelnen Einheiten. Es ging zu wie bei einem
Sklavenmarkt und nur mit Bitterkeit denken wir heute noch an dieses Ende unserer stolzen Division
zurück.
Kaum blieb uns Zeit, richtig Abschied zu nehmen, denn waren die Bande der Kameradschaft zerrissen
und jeder ging ab nun allein seinem weiteren Schicksal entgegen.
Der Krieg aber ging weiter und frug nicht darum, wie uns zumute war.
Die 262. Infanterie-Division hatte am17.September 1943 zu bestehen aufgehört.
Das Ende
18.9.1943 - April 1945
Ein Teil der Angehörigen unserer ehemaligen Batterie und der gewesenen III/A.R. 262 hatte das Glück
und kam zur I/A.R.262,die geschlossen dem A.R.156 einverleibt wurde und sogar ihre alte Bezeichnung
I./A.R. 262 behalten konnte.
Mit ihr folgten noch wechselvolle Kämpfe in Raume Mogilew, dann anschließend bei Witebsk, bis im Juni
1944 die gesamte Ostfront ins Wanken kam.
Nun ging es Schlag auf Schlag einen unaufhaltsamen Ende entgegen.
Der Sommer 1944 sah das deutsche Heer geschlagen, müde geworden und verzweifelt auf der Flucht
nach Westen, der Heimat entgegen.
Schwere Rückzugsgefechte führten die 56.I.D.über Lepel, Glubokoje nach Swenzjany, wo die litauische
Grenze überschritten wurde.
Ununterbrochen jagte uns das russische Heer mit seinen Panzern, Fliegern und schweren Waffen vor
sich her, ließ uns nirgends mehr zur Ruhe kommen, fügte uns schwerste Verluste zu, wobei auch wir von
unseren alten Getreuen noch viele für immer verloren.
Inzwischen tobte in der Heimat der Bombenkrieg; sanken überall im Reich Großstädte in Trümmer;
starben Hunderttausende von Frauen, Kindern und Greisen; und niemand setzte diesen Wahnsinn ein
Ende. Im Gegenteil: die Raserei führte zum Amoklauf eines ganzen Volkes!
Wir kamen nach Wilkomir, dann nach Kauen, der litauischen Hauptstadt, und standen im Oktober 1944
an dar ostpreußischen Grenze bei Schaken.
Hier konnte noch einmal für kurze Zeit einer Abwehrfront aufgebaut werden, bis auch sie im Jänner 1945
restlos zerschlagen wurde.
Und noch immer kam kein Ende, wurden wir stets aufs neue aufgepulvert, machte man uns Versprechen
mit Wunderwaffen, die uns den Endsieg garantieren müssen und zwang uns damit zum sinnlosesten
Widerstand, der neuerlich ungezählte Opfer forderte.
Statt Waffen gab man uns Parolen. "Tapfer und treu! " war eine davon.
Doch der Feind setzte unsere Vernichtung unerbittlich fort. Wieder brach ein äußerst strenger Winter
über uns herein; es sollte aber endgültig der letzte in diesen Kriege werden. Mit dem Mute der
Verzweiflung trieb man uns immer wieder zum Widerstand, der völlig aussichtslos geworden war.
Mitte Jänner 1945 begann der Gegner im Raume Schloßberg seinen großangelegten Angriff, den wir
nicht mehr standhalten konnten.
Dasselbe Bild bot sich in Westen.
Chaos und Auflösung überall
Bei eisiger Kälte und starkem Schneetreiben mußten wir noch Westen zurück. Unbeschreibliche Szenen
spielten sich ab, als sich das flüchtende deutsche Heer immer weiter absetzte. Mit uns zogen die Trecks
der ostpreußischen Bevölkerung, die fluchtartig ihre Wohnstätten verlassen musste, weil man vorher
nicht den Mut fand, sie zu evakuieren. Ein Bild völliger Auflösung, immer wieder von den fallenden
Bomben der russischen Schlachtflieger grausig unterbrochen, denen keinerlei Widerstand mehr
entgegengesetzt werden konnte. Zwischendurch rasten die feindlichen Panzer durch die zurückflutenden
Menschenmassen, Tod und Vernichtung bringend.
Unaufhaltsam ging es dem Ende entgegen!
Der aufgebotene Volkssturm bot ein Bild des Jammers. Greise und halbe Kinder, nur notdürftig bekleidet
und nicht ausgerüstet, sollten der gegnerischen Übermacht entgegentreten. Die Angst stand auf ihren
Gesichtern und keine Drohung und kein Befehl waren mehr imstande, sie zum Widerstand zu
organisieren.
So kam unerbittlich die Vergeltung über uns für alles Wahnwitzige, was in diesem Kriege durch
Deutschland an fremden Völkern verbrochen wurde.
Von allen Fronten kamen Hiobsbotschaften. Nirgends wurde mehr ein Widerstand versucht, weil er völlig
sinnlos geworden war.
Nach wenigen Tagen hatten wir Insterburg erreicht, kurz darauf Wehlau. Zwar kämpften wir noch,
gingen in Feuerstellung und unterstützten den Abwehrkampf unserer Infanterie mit unserem Feuer; doch
war dies nur mehr ein Kampf ums Leben.
Alle Ziele, für die wir einst vor Jahren ausgezogen waren, zerflatterten in Nichts.
Jeder sah nur sein persönliches Ich, und die Parole hieß nicht mehr "Tapfer und treu!" sondern "Rette
sich wer kann!".
Von Wehlau kämpften wir uns bis Friedland und Preußisch-Eylau zurück und hatten Mitte März 1945 den
Raum um Heiligenbeil südwestlich Königsberg erreicht.
Am Bahndamm an der Eisenbahnlinie nach Königsberg gruben wir unsere letzten Stellungen. 3 km
weiter westlich war die Küste des Frischen Haffs, wenige hundert Meter vor uns die feindliche H.K.L. und
ringsum Sumpfgebiet. Links und rechts stand der Feind bereits an der Küste - wir waren eingeschlossen!
Tiefe Verzweiflung bemächtigte sich unser. Trotzdem kamen immer noch Befehle zum Widerstand bis
zur letzten Patrone und bis zum letzten Mann. Und wir wehrten uns, nicht weil es uns befohlen war,
sondern weil wir die Gefangenschaft fürchteten. Jahrelang wurde uns diese Gefangenschaft als das
Schrecklichste hingestellt, was uns passieren konnte. Die Schwächeren erschossen sich mit der letzten
Patrona ihres Karabiners oder ihrer Pistole; andere wurden ganz einfach von der Feldgendarmerie
niedergeknallt, weil sie versuchten, sich über das Haff entgegen dem Befehl zur Verteidigung mit
selbstgebauten Flössen zu retten.
Erbarmungslos trieb man uns immer wieder ins Feuer und zwang uns, den Bomben der feindlichen
Flieger, dem Artillerie- und Granatwerferfeuer sowie den Stalinorgeln standzuhalten. Kampfgruppen
wurden zusammengestellt und waren nach einer halben Stunde restlos zerschlagen. Die Munition war zu
Ende. Sämtliche Geschütze wurden in die Luft gesprengt, alle Pferde - unsere besten und treuesten
Kameraden - erschossen und alles zur letzten Verteidigung infanteristisch eingesetzt. Von Stunde zu
Stunde wuchs das Chaos und die Verzweiflung. Ohnmächtig standen wir diesem Wahnwitz gegenüber
und sahen dem unausweichlichen Untergang entgegen.
Nicht einmal die Verwundeten konnten mehr weggeschafft werden, weil mit den letzten Booten sämtliche
höheren Offiziere fluchtartig den Kessel verließen, um sich nach Pillau oder auf die Frische Nehrung in
Sicherheit zu bringen.
Als wir das mitansehen mußten, wußten wir, daß das Ende gekommen war. Wir blieben in den Bunkern
und Erdlöchern liegen und warteten auf den Feind. Gleichgültig und hoffnungslos ließen wir das
unabwendbare Schicksal auf uns zukommen, auch wenn es unser Leben kosten würde.
Und als der Morgen des 26. März 1945 seine ersten grauen Schatten sandte, holte uns der Feind aus
unseren Löchern und Bunkern und nichts von dem geschah, was man uns immer wieder vorgelogen
hatte.
Wir wurden als Gefangene aufgenommen, die Verwundeten sofort betreut und alles war ganz anders, als
wir es geglaubt hatten.
Der Krieg war für uns zu Ende!
Es ging einem neuen Leben entgegen!
Auf unseren Marsch in die Gefangenschaft sahen wir mit eigenen Augen die gigantische Übermacht der
Sowjetarmee, die uns in diesem Raume gegenüberstand. Tief ins Hinterland gestaffelt standen die
feindlichen Batterien aller Kaliber, unzählige Stalinorgeln mit Bergen von Munition und gut ausgerüstete
Mannschaften daneben, die uns die Niederlage bereitet hatten. Nun schwiegen ihre Rohre, da der
Kessel bei Heiligenbeil erledigt war.
Wir aber, die grauen Kolonnen, zogen daran vorbei - geschlagen, unsäglich müde und doch mit einer
neuen Hoffnung im Herzen, die uns dem Leben zurückgab.
Kamen auch noch schwere Jahre der Kriegsgefangenschaft, so hatten auch diese einmal ihr Ende.
Was zurückblieb, war eine unsägliche Leere, die auszufüllen nun unsere Aufgabe für die Zukunft ist.
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