Günter Walpuski

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Günter Walpuski
Tel. 09333 8205, Fax 903125
97286 Winterhausen, Mai 2005
Leitenweg 3
USA: das Netzwerk der Neokonservativen - eine globale Strategie!
Im März 2003 habe ich den Aufsatz geschrieben: "Die USA - Aktuelle außen- und
sicherheitspolitische Überlegungen, Planungen, Positionen" (sh. Anl.). Er wurde veröffentlicht in
Rissener Einblicke 4-5 2003, Haus Rissen, Hamburg. In den vergangenen 2 Jahren sind die damals
gemachten Aussagen in fast allen Punkten bestätigt worden. Heute ist die Situation allerdings eine
noch wesentlich andere. Die neokonservativen Kräfte in den USA haben eine Strategie entwickelt
und ein Netzwerk aufgebaut, das Bewunderung abnötigt, vor allem hinsichtlich der Konsequenz
mit der sie ihre Strategie nach der Wiederwahl von Präsident Bush in Taten umsetzen.
Zu grundlegenden Unterschieden in den Entwicklungen des Denkens und Handelns zwischen dem
"Alten Europa" und der "Neuen Welt" liegen bereits zahlreiche gute Veröffentlichungen vor. Ich
verweise daher in dieser Hinsicht auf:
1."Die Grenzen der Solidarität, Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion",
von Gret Haller (Dr. jur., wesentliche politische Tätigkeiten in der Schweiz und international,
1993/94 Präsidentin des Schweizer Parlaments, 1994-1996 Botschafterin der Schweiz beim
Europarat in Straßburg, 1996-2000 Ombudsfrau für Menschenrechte in Bosnien und Herzegowina,
gewählt von der OSZE). Vor allem während ihrer langen internationalen Tätigkeiten hat Prof.
Haller elementare Unterschiede im Denken und Handeln von US-Vertretern und Westeuropäern
auf der internationalen Bühne erfahren.
2. "Die Macht der Religionen, Glaubenskonflikte in der Weltpolitik", von Wilfried Röhrich, Prof.
em. für Politikwissenschaft. In dem Werk werden u. a. sehr klar und eindeutig wesentliche
Grundlagen des christlichen Fundamentalismus, vor allem des protestantischen, wie er sich in den
USA entwickelt hat, herausgearbeitet und auf die besondere protestantische Ethik, wie sie in der
Prädestinationslehre von Johann Calvin angelegt und von Max Weber analysiert worden ist,
eingegangen.
Auch ich habe in meiner über 10jährigen Auslandstätigkeit in der VR China, der Mongolei, den
Baltischen Staaten und vor allem in Süd- und Zentralasien die doch erheblichen Unterschiede im
Denken und Handeln zwischen uns Westeuropäern und US-Bürgern feststellen können. Besonders
auffällig war die von sich und ihren Positionen völlig überzeugte Haltung vieler ehemaliger
Mitarbeiter von Armee, Special Forces, CIA, Polizei, Auswärtiger Dienst der USA; faszinierend
zuweilen die Selbstsicherheit auf der Grundlage einer relativ einseitigen Bildung, eines sehr auf die
"Neue Welt" begrenzten Geschichtsbildes und die geringen Kenntnisse über andere Kulturen und
Sprachen. Von Interkulturellen Kompetenzen, Interkultureller Kommunikation und Interkultureller
Konfliktbehandlung schienen diese Personen nichts gehört zu haben oder nichts zu halten. Da sie
mit Englisch überall zurecht kamen und finanziell oft sehr unabhängig waren - sie hatten in den
meisten Fällen erhebliche Spesen von US-Institutionen - sahen sie gar keine Notwendigkeit, sich
mit anderen Kulturen und Sprachen, dem Denken und Handeln von Menschen anderer kultureller
Prägungen näher zu befassen. Vielmehr sollten diese Kulturen "auf den Kenntnisstand und das
Niveau der USA gebracht werden". Im Gegensatz hierzu fielen die auch, aber nicht so zahlreich
vertretenen hochqualifizierten Wissenschaftler und "Individualisten" aus den USA auf, die über
hervorragende Kenntnisse verfügten und äußerst interessiert und engagiert waren. Besonders
einprägend waren die Erfahrungen für mich und viele schwedische Freunde in den Baltischen
Staaten, wo Anfang der 90er Jahre zahlreiche Emigranten aus den USA zurückkehrten und
wichtige Positionen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft besetzten.
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Wo liegen zur Zeit wesentliche Unterschiede im Denken und Handeln bezogen auf Religion,
individuelle Lebensführung, die Gestaltung von Staat und Gesellschaft sowie internationales
Engagement zwischen den gegenwärtig führenden neokonservativen Kräften in den USA und der
Mehrzahl der zumindest Nord- und Westeuropäer, evtl. aber auch der Mehrzahl aller Europäer? Bei
dem Versuch einer Darstellung will ich nicht noch einmal auf meine Ausführungen von 2003 (sh.
Anlage) eingehen und auch nicht weiter Gret Haller und Wilfried Röhrich zitieren oder
interpretieren. Ich werde auch nicht eingehen auf frühere Kampagnen, die von den USA ausgingen,
wie die "Moralische Aufrüstung", die Tätigkeiten des Predigers Billy Graham in den 50er Jahren,
die Aktionen der "Elektronischen Kirche" in den 70er Jahren oder die Tätigkeiten des "Committee
on the Präsent Danger" (CPD), das sich seit den 50er Jahren gegen die Sowjetunion richtete, in den
70er Jahren mit neuen Initiativen hervortrat, verstärkt durch das sog. "Team B", einer von Präsident
Ford eingesetzten Arbeitsgruppe unter der Leitung des damaligen CIA-Chefs Georg Bush (1989 bis
1994 Präsident der USA, Vater des gegenwärtigen Präsidenten) und von der "Coalition for a
Democratic Majority" der Demokratischen Partei. Zum "Project for the New American Century"
der 90er Jahre verweise ich auf die Anlage. An dieser Stelle möchte ich mich konzentrieren auf die
erkennbaren aktuellen Auswirkungen der neokonservativen Strategie. Bei der Reaktion auf die
zunehmenden globalen Gefährdungen (weiterhin bestehende Unterentwicklung für Milliarden von
Menschen, große Ver- und Entsorgungsprobleme durch Verknappung und damit Verteuerung von
Rohstoffen, erhebliche Umweltbelastungen mit Klimaveränderungen als Folgen, weitere
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, globaler Terrorismus, organisierte Kriminalität) und
auf die durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse für viele Menschen und gesellschaftliche
Gruppen, die von festen, sicheren, „wahren“ Erkenntnis- und Lebensgrundlagen ausgehen
(Fundamentalisten) zugekommenen Verunsicherungen, haben sich in den USA 2 Denkrichtungen,
die es seit langem gibt, vereinigt, sind eine Symbiose - zum gegenseitigen Nutzen - eingegangen.
Die eine Gruppe besteht aus religiösen Fundamentalisten verschiedener Richtungen bis hin zu den
Kreationisten. Sie haben ein feststehendes, klares, eindeutiges Welt- und Menschenbild auf der
Grundlage eines fundamentalistischen Bibelverständnisses. Wesentliche christliche Werte und
Tugenden, wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit, das "Doppelte Liebesgebot" und die
"Universelle Friedensbotschaft", scheinen für sie aber keine oder nur eine nebenrangige Bedeutung
zu haben (siehe Umgang mit der Todesstrafe und simples Denken in den Kategorien von "gut" und
"böse"). In den Mittelpunkt treten mit dem sich entwickeln der "Neuen Welt" immer wieder sehr
allgemeine Bekenntnisse und ein großer Missionseifer wie: "Amerika hat das unendlich kostbare
Privileg, seine eigene Bestimmung zu erfüllen und gleichzeitig die Welt zu erretten."(Woodrow
Wilson kurz vor dem Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg); ähnlich John Foster Dulles, der
Außenminister von Präsident Eisenhower in den 50er Jahren, als er darauf hinwies, dass nur die
Vereinigten Staaten der Menschheit den Weg zu "einem besseren reicheren Leben" weisen. "Diese
Mission stand uns immer vor Augen". "Weltmission war für uns ein Hauptthema." Bis hin zu
Präsident George W. Bush, der am 12. September 2002 u. a. sagte: "Die Freiheit, die wir so hoch
schätzen, ist nicht Amerikas Gabe an die Welt, sondern Gottes Geschenk an die Menschheit .... Der
Ruf der Geschichte ist an das richtige Land gegangen... Wir opfern uns für die Freiheit von
Fremden." Obwohl es die Vereinigten Staaten von Nordamerika in der gegenwärtigen staatlichen
und gesellschaftlichen Form eigentlich erst seit dem 20. Jahrhundert gibt - Arizona kam z. B. erst
1912 als Bundesstaat hinzu, eine als demokratisch zu bewertende gesellschaftliche und soziale
Situation wurde erst durch die Bürgerrechtsbewegungen in den 60er Jahren des vorigen
Jahrhunderts erkämpft - verstanden viele der Einwanderer "Amerika", "die Neue Welt", lange
vorher in einer eher moralisch-religiösen Dimension, denn in einer staatlichen. Die "Amerikanische
Demokratie" wurde von vielen als eine "Neue Welt", als ein Teil "des göttlichen Erlösungswerkes
für die gesamte Menschheit" gesehen und gefeiert. Dabei gab es schon sehr früh „eine
wechselseitige Bedingtheit“ von Moral, Macht und wirtschaftlichen Interessen.
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Diese Denkrichtung des US-amerikanischen Fundamentalismus verkörpert zurzeit Präsident
George W. Bush in einer schon faszinierenden Überzeugtheit. In seiner Rede zum Amtsantritt als
wieder gewählter Präsident im Januar und in seinen Reden bei den Besuchen in Brüssel, Paris und
Mainz im März d. J. war immer wieder von "Freiheit" und "Demokratie" die Rede, für die die USA
überall eintreten. Nicht einmal wurden "Menschenrechte" und "Menschenwürde" erwähnt. Wenn
der Präsident von Freiheit spricht, ist allerdings nicht erkennbar, was er konkret darunter versteht.
Er vertritt einen sehr allgemeinen, undifferenzierten Freiheitsbegriff. Dass es Freiheit für
Menschen immer nur relativ, nie in einer abstrakten Form geben kann - niemand ist an seiner
Zeugung beteiligt und jeder wird sterben - und dass daher Freiheit immer nur in Abhängigkeiten
und mit Verantwortung und Bindung sowie der Anerkennung der Freiheit Andersglaubender und
Andersdenkender zusammen gesehen werden muss - wesentlichen Erkenntnisse der "Alten Welt" scheint Präsident Bush und seinen Gefolgsleuten, die jetzt in globalen Initiativen für "Freiheit und
Demokratie“ massiv eintreten ("Regime Change"), fremd zu sein. Auffällig ist auch, wo gezielt
angesetzt wird. Es geschieht vorrangig in den Staaten, die für die Erdöl- und Erdgasversorgung der
Zukunft bedeutsam sind, und in ehemaligen Teilen des Sowjetimperiums: der Präsident z. B. in der
Slowakei, Lettland und Georgien, die Außenministerin in Russland und Litauen. Es geht um die
„Durchsetzung eigener Interessen“ und „dafür braucht man Macht“. „Macht sei das Wichtigste in
der Politik“ (Condoleezza Rice). „Es ist immer eine schlechte Idee, Macht mit Weisheit zu
verwechseln“ (Lewis Gaddis). So dachte wohl auch Colin Powell, deswegen ist für Präsident Bush
jetzt Condleezza Rice die geeignetere Außenministerin.
Die zweite Denkrichtung ist eine sehr realitätsbezogene: "Interessen (materielle und ideelle), nicht
Ideen beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen". Aber: Die 'Weltbilder', welche durch
'Ideen' geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die
Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte" (Max Weber). In diese Richtung entwickelte
sich die "Realistische Schule" der US-Außenpolitik mit ihrer Kernthese: "No Friendship is forever,
no Enmity is forever, but Interests are forever!". Dies ist menschlich kurzfristig gesehen durchaus
eine akzeptable realistische Grundlage für politisches Denken und Handeln; philosophisch,
erkenntnistheoretisch ist es irreal, denn im Rahmen der bekannten menschlichen
Seinsmöglichkeiten ist "nothing forever" - "Alles hat nur seine Zeit!". Für die Vertreter dieser
Denkrichtung stehen die "nationalen Interessen der USA" im Vordergrund ihres Handelns. Auch
hierfür gibt es Vorbilder; vor allem in der von Theodore Roosevelt (Präsident von 1901 bis 1909)
und Woodrow Wilson (Präsident von 1913 bis 1921) betriebenen Expansionspolitik (USImperialismus). Als typisches Beispiel sind Aussagen von Woodrow Wilson in Vorlesungen an der
Columbia-Universität 1907 zu nennen, wo u. a. zu lesen ist: “Die von Finanziers erworbenen
Konzessionen müssen von den Staatsministern garantiert werden, selbst wenn die Souveränität
widerspenstiger Nationen dabei verletzt würde“. Ein typischer Vertreter der Gegenwart ist Paul
Wolfowitz, der oft als "demokratischer Realist" bezeichnet wird. Für ihn ist z. B. auch
"Demokratisierung" kein absolutes Prinzip der US-amerikanischen Politik. Vielmehr muss man
hierüber von Fall zu Fall entscheiden. Zwischen US-Idealen und US-Interessen darf es auch keine
scharfe Trennung geben. Zusammenarbeit mit Diktatoren ist begrenzt durchaus möglich und auch
sinnvoll, wobei er einschränkt, dass es sich nicht um totalitäre, aber durchaus um autoritäre
Systeme handeln darf. Fragen der Menschenwürde und der Menschenrechte scheint er keine
vorrangige Bedeutung zuzugestehen. Schon unter Präsident Reagan trat Wolfowitz dafür ein,
"demokratische Transformation" - bei Präsident Bush jetzt: "Regime Change" - zu einem Ziel
republikanischer Außenpolitik zu machen, aber flexibel zu handhaben.
Wie Umfragen und die Beteiligung an Wahlen in den USA immer wieder gezeigt haben, war die
Mehrheit der Bevölkerung an diesen Fragen stets nur wenig interessiert. Es waren vorrangig
Auseinandersetzungen zwischen Eliten und Funktionsträgern der mehr liberal und sozial oder
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religiös und konservativ ausgerichteten Personen und Gruppen, wobei in den Wahlen häufig
Persönlichkeiten und die Medienwirkung den Ausschlag gaben. In den letzten 10 Jahren scheint
sich die Situation allerdings erheblich geändert zu haben. Verunsicherung und Problemdruck sind
für beide Denkrichtungen erheblich angestiegen. Entsprechend hektisch und kämpferisch sind die
Reaktionen. Dies hat nach dem erneuten Wahlsieg von Präsident George W. Bush zu einer
konsequenten Realisierung einer Strategie geführt, die die beiden Richtungen unter Führung der
Neo-Konservativen, des "pseudo-christlichen und neo-kapitalistisch Lagers", verbindet und global
gezielt offensiv werden lässt.
Für die "christlichen Fundamentalisten" erfolgt die Verunsicherung im Rahmen der Ursachen für
zunehmend aggressive Verhaltensweisen bei allen religiösen und ideologischen Fundamentalisten
erdweit. Dieser moderne Fundamentalismus ist ein Auflehnen, eine soziale Protestbewegung,
gegen die "moderne Welt", gegen fast alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (z. B. der
Astrophysik, der Quantenmechanik, der Geowissenschaften, der Evolutionsbiologie sowie der Genund Hirnforschung), gegen die universellen, unveräußerlichen Menschenrechte, gesellschaftlichen
Pluralismus, freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie, rechtliche Gleichstellung der Geschlechter.
Dabei kommt es zu einer neuartigen Synthese zwischen Religion und Politik, die beim Islam von
Beginn an offenbarungsmäßig vorhanden war, bei "Bibeltreuen Christen" in den USA immer latent
bestand. In der Gegenwart verschärft sich die Situation durch die rapide fortschreitenden
Entwicklungen in den modernen Kommunikationswissenschaften, die zu neuartigen Informationsund Kommunikationsgesellschaften und zunehmender Globalisierung in den Bereichen Wirtschaft,
Verkehr, Medien, Tourismus, aber auch Kriminalität und Terrorismus führen. Damit geht
Geborgenheit in den überschaubareren Lebensräumen und in den Autoritätsinstanzen früherer
Gesellschaftsordnungen spürbar verloren und schwindet Vertrauen in die "Alten Welterklärer":
Kirchen, Parteien, Gewerkschaften. Während der in fast allen christlichen Kirchen vorhandene, im
Protestantismus der USA aber besonders ausgeprägte, christliche Fundamentalismus eine
Glaubenshaltung in pluralistischen Gesellschaften ist und damit in Einfluss und Wirkung begrenzt,
der Hindufundamentalismus auf Indien und die Nachbarstaaten begrenzt bleibt, stellt der islamische
Fundamentalismus als "Radikaler Islamismus" eine globale Gefahr dar. Vermutlich wird sich in
Zukunft der Problemdruck in diesem Bereich und von dieser Seite noch verstärken, da durch die
neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bisher „feststehende“, „gewisse“ und "wahre"
Glaubensgrundlagen zunehmend fragwürdig werden. Dies betrifft bei den drei
Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam vor allem die bisher sichere
Glaubensgrundlage, dass Erde und Mensch direkte Schöpfungen Gottes sind; für nicht wenige
Gläubige heißt dies sogar "Gottgleichheit" oder "Gottähnlichkeit" des Menschen. Diese Grundlage
ist jetzt nicht mehr eindeutig, klar, "wahr". Für aufgeklärtere Menschen sind die Erde und der
Mensch (Zwischen-)Glieder in einer Schöpfungsentwicklung Gottes. Sie sehen die Allmacht Gottes
neu, anders und wenden sich gegen die Vermenschlichung Gottes. Dass hier ein gewaltiges
Konfliktpotential besteht, ist kaum zu übersehen. Von daher werden die Auseinandersetzungen mit
den religiösen Fundamentalisten eher zu als abnehmen. Zu bemerken ist allerdings auch, das die
Mehrheit der zurzeit lebenden 6,4 Mrd. Menschen sich für diese Probleme kaum zu interessieren
scheint, obwohl sie fast alle davon schon heute betroffen sind und es zunehmend sein werden.
Für die "demokratischen Realisten" besteht der Problemdruck darin, dass die materiellen
Ressourcen, über die die USA zurzeit verfügen, bald nicht mehr ausreichen werden, den
Lebensstandart und die globale Machtposition zu halten, die die USA gegenwärtig als einzige
Supermacht haben. In den USA leben ca. 5,6% der heutigen Erdbevölkerung. Sie verbrauchen aber
ca. 25% der erzeugten Energie und sind bezogen auf die Bevölkerungszahl die schlimmsten
Umweltbelaster. Da die Energiequellen auf dem eigenen Territorium in den nächsten 10 Jahre
erheblich geringere Leistungen erbringen werden, der Verbrauch aber weiter steigt, sind die
Vereinigten Staaten zunehmend auf sichere und bezahlbare Importe angewiesen. Hinzu kommt,
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dass der Energiebedarf der VR China mit zurzeit 1,3 Mrd., demnächst bis zu 1,5 Mrd. Menschen,
und Indiens mit zurzeit 1 Mrd., demnächst 1,3 Mrd., erheblich wachsen wird. Damit wird die
rechtzeitige Sicherung des Zugangs zu den noch länger verfügbaren Rohöl- und Erdgasquellen, vor
allem im Nahen Osten, in Zentralasien und in Russland für die USA unerlässlich. Demzufolge
müssen die USA, um ihre lebenswichtigen Interessen zu wahren, ihren Einfluss in diesen Regionen
stärken und absichern. Konkrete Gefahren erwachsen für sie, wenn die Entwicklung einer
eurasischen Infrastruktur ohne ihren Einfluss weiter voranschreitet (sh. hierzu die Anlage).
Mit George W. Bush haben die neo-konservativen Kräfte in den USA eine geradezu ideale Person
für die politische Durchsetzung und längerfristige Absicherung ihrer Zielsetzungen gefunden. Er ist
dem christlichen Fundamentalismus zugeneigt und hat hervorragende Kontakte zur Wirtschaft,
insbesondere zum Energiesektor. Hinzu kommt, dass er "medienwirksam" ist und keine
intellektuellen Zweifel zu haben scheint, wenn es um die Durchsetzung neo-konservativer
Positionen geht. Seine Rechtsauffassungen sind kaum als christlich zu bezeichnen - von
Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Vergebung ist nichts zu vernehmen - und illiberal,
dementsprechend primitiv ist seine Rechtspraxis (siehe Einstellung zur und Umgang mit der
Todesstrafe sowie Einstellung zu den Häftlingen in Guantanamo und zur Folter). Er ist wohl auch
derselben Auffassungen, wie diejenigen Konservativen, die seinerzeit beim "Kalten Krieg" vom
"World War III" sprachen, und den jetzigen Neo-Konservativen, die nach dem 11. September 2001
vom "World War IV" redeten (James Woolsey, Eliot Cohen, Norman Podhoretz u. a.). Mit der
Wiederwahl des Präsidenten haben diese neo-konservativen Kräfte nun eine Chance erhalten, die
sie nachhaltig nutzen wollen. Die folgenden Beispiele machen dies deutlich. Allerdings sind die
liberalen Kräfte, die die USA auch als "Neue Welt" geprägt haben, nach wie vor in Politik, Justiz
und Medien vorhanden und auch einflussreich. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Folterskandale
in Abu Ghureib, die würde- und rechtlose Behandlung der Häftlinge in Guantanamo, die Lügen vor
dem 2. Irak-Krieg, die Tricksereien im Verteidigungsministerium aufgeklärt und verfolgt werden
können. Vor allem auch richterliche Entscheidungen zu bestimmten Praktiken und
Rechtsauffassungen der gegenwärtigen Administration, z. B. zu den "Sondergesetzen" im Kampf
gegen den Terror, zeigen die andere "Neue Welt", die viele Fortschritte in das menschliche Denken
und Handeln gebracht hat. Was die neokonservativen Kräfte jetzt versuchen, um dieses "liberale
Amerika" weiter zu schwächen, verdeutlichen die neuen Besetzungen von Richterstellen und
bestimmte Vorgehensweisen gegen kritische Medien, Journalisten und Intellektuelle. Die USA sind
jedoch nach wie vor eine - in vielen Bereichen beispielhaft - funktionierende Demokratie. Kritisch
könnte es dann werden, wenn die neo-konservativen Kräfte versuchen sollten, Präsident Bush mit
der Begründung, nur er könne den "Anti-Terror-Krieg" erfolgreich zu Ende führen, eine weitere
Amtszeit zu ermöglichen.
Die neue Administration nach der Wiederwahl von Präsident George W. Bush hat sofort begonnen,
wichtige Ämter in Politik, Verwaltung, Justiz, Diplomatie mit streng, z. T. fanatisch konservativen
Personen zu besetzen. Das "Committee on the Present Danger" (CPD) ist unter dem Vorsitz des
früheren CIA-Chefs James Woolsey wieder aktiviert und mit der Zielsetzung "Freedom and
Democracy" international offensiv ausgerichtet worden. Dahinter steht die Absicht, "Regime
Change" in Staaten zu fördern, die nach wie vor undemokratisch, "letzte Diktaturen", sind, aber für
die Stabilisierung der Rohstoffversorgung der USA sowie die Eingrenzung des internationalen
Terrorismus Bedeutung haben. Dabei sprechen einige auch sehr offen von Russland.
Bemerkenswert ist die Gründung einer neuen Abteilung, "CPD-International", die sich um die
Ausdehnung des Komitees über die USA hinaus kümmern soll. Co-Vorsitzende sind u. a. der
frühere tschechische Präsident Vaclav Havel und der ehemaligen spanische Ministerpräsident Jose
Maria Aznar. Interessant ist auch, wer alles aus Europa und auch Deutschland mit dem CPDInternational in Verbindung steht, wer alles z. B. bei den Unterzeichnern des von Vaclav Havel
initiierten offenen Briefes ist mit dem die Staatsoberhäupter und Regierungschefs der EU und der
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NATO aus "Sorge um die Demokratie" zu einer härteren Haltung gegenüber Russland aufgefordert
wurden.
Neben den Tätigkeiten des konservativen "Think Tank" "American Enterprise Institute" und der
Organisation "House of Freedom" ist die "World Security Network Foundation" zu nennen. Die
"amerikanischen Freunde" vom „House of Freedom“ waren u. a. erheblich an den
Regierungswechseln, "Regime Change", in Georgien, der Ukraine und in Kirgisien beteiligt durch
Beratungs-, Bildungs- und Trainingsmaßnahmen, Spenden von Geldern für Reisetätigkeiten,
Druckereien, Ausrüstung von Fernsehstationen. Nicht unerhebliche Mittel sollen dabei auch vom
internationalen Spekulanten George Soros gekommen sein. Hier zeigt sich die konsequente
Realisierung einer Politik, die einzig und allein von materiellen "amerikanischen Interessen"
bestimmt ist. Es geht um eine sichere Rohstoffversorgung in den nächsten Jahrzehnten. Nur wenn
diese gewährleistet ist, können die USA ihre Vormachtstellung behaupten. Dies bedeutet: Zugang
zu den Rohstoffquellen im Nahen Osten, in Zentralasien und evtl. auch in Russland. Das
gefährlichste, was für die USA entstehen kann, ist ein geschlossener Wirtschaftsraum von der EU
über Russland nach China. Deswegen versuchen die Neo-Konservativen auch alles, um Projekte im
Rahmen der "Eurasischen Infrastruktur-Entwicklung" zu beeinflussen. Dies können sie jedoch nur,
wenn sie direkte Einflussmöglichkeiten in dem Raum haben. Von daher ist es aus ihrer Sicht richtig
und konsequent, für "Regime Change" dort einzutreten, wo es um ihre konkreten Interessen geht,
und nicht Diktaturen oder Unrechtssysteme global, etwa Simbabwe, Sudan, Saudi Arabien,
Nordkorea usw. direkt anzugehen. Nicht "Freiheit und Demokratie" sind die vorrangigen Ziele, wie
es der Präsident in seinen Reden immer wieder sagt, sondern die Durchsetzung "amerikanischer
Interessen" ist das Ziel. Allerdings müssen die USA - und alle verantwortlich Denkenden - jetzt
aufpassen. Nach den ersten leichten Erfolgen in Georgien, der Ukraine und Kirgisien wird der
Widerstand in anderen Ländern, für die "Regime Change" ansteht, z. B. Usbekistan, Kasachstan,
Weißrussland, jetzt größer. Und wer die Nachrichten aus dem Umfeld von Planungs- und
Beratungsstäben sowie besonderen "Diensten" in Russland und China, aber auch Indien und
Pakistan, zur Kenntnis nimmt, der erkennt, dass man sich dort auf Gegenmaßnahmen einstellt.
Die "World Security Network Foundation" liefert Begründungen und Rechtfertigungen für den
"Regime Change" in ausgewählten Staaten, darunter Kirgisien, Weißrussland, Libanon, Iran, aber
nicht z. B. Saudi Arabien, Simbabwe oder Nordkorea, da diese Staaten im Rahmen der globalen
Strategie zu problematisch oder unwichtig sind. Interessant ist dabei die Begründung: es wird eine
Linie des "Rechts auf Widerstand" von den alten Griechen, über das alte Rom, das christliches
Recht auf Widerstand, das germanische Widerstandsrecht bis zu Jacques Rousseau, John Locke u.
a. gezogen - nicht erwähnt werden Kant und Montesquieu, die europäische Aufklärung, Klassik
und Romantik, d. h. das Ringen im "Alten Europa" um mehr Erkenntnis und andere, bessere
Formen des Zusammenlebens von Menschen - der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bis
hin zum 20. Juli 1944 im Deutschen Reich und 17. Juni 1953 in der DDR. Dabei wird vieles
undifferenziert in einen Topf geworfen, wenn z. B. vom Freiheitskampf im alten Griechenland und
Rom die Rede ist, wird nirgends an Freiheitsrechte und Freiheitskämpfe von Sklaven und
"Unfreien" erinnert, dass germanische Stammesverbände und mittelalterliche Feudalgesellschaften
oder die NS-Diktatur und die Gewaltherrschaft Stalins etwas anderes waren als viele gegenwärtige
totalitäre Systeme und "Familienherrschaften". Aber darum geht es auch gar nicht. Es soll
möglichst einfach, jedoch mit wissenschaftlichem Anschein gerechtfertigt werden. Zurzeit ist die
"World Security Network Foundation" dabei, ein "Global Elite Network" aufzubauen, um die
Einflussmöglichkeiten des neo-konservativen Denkens zu verbreitern und ideologisch global
abzusichern. Auch in Deutschland scheint es bereits viele begeisterte Anhänger und Vertreter
dieser "neuen globalen Elite" zu geben.
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Hier beginnt eine gefährliche Entwicklung: Es scheinen immer mehr Menschen davon überzeugt
zu sein, dass die viel zitierte Globalisierung, die durch einen ungerechten und unsozialen Verlauf
jeden Tag die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher macht sowie Menschen als
Manövriermasse - zunehmend mehr Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger auch aus den
Mittelschichten - zu Gewinnoptimierungen einsetzt und die Interessen des Kapitals vor die der
Menschen stellt, der falsche Weg ist. Zunehmend mehr Menschen fehlt es an Verständnis, warum
sie und ihre Nachbarn den Arbeitsplatz verlieren damit Top-Manager und Aktionäre immer mehr
Geld erhalten. Das so einseitig gepriesene, unter bestimmten Interessengesichtspunkten
ausgewählte Widerstandsrecht gegen bestimmte "undemokratische Staaten und Regierungen" von Gesellschaften ist nicht die Rede - könnte sehr begründet in ein Widerstandsrecht gegen die
globale neo-kapitalistische und neo-liberale Politik umschlagen, da die Mehrzahl der Menschen,
vor allem auch in den entwickelten Demokratien, sich betrogen fühlt. Auch hieran sollte man bei
der "World Security Network Foundation" denken.
Alle diese Organisationen, Institutionen und auch Einzelpersonen werden finanziell und
organisatorisch unterstützt, gefördert von der US-Regierung und Sponsoren aus der Großindustrie.
Dagegen ist nichts Grundsätzliches einzuwenden, wenn demokratische, d. h. öffentliche Kontrolle
gewährleistet ist und wenn die Mittel wirklich im Sinne von "Freiheit" und "Demokratie" auf der
Grundlage von Menschenwürde und Menschenrechten in den Staaten verwendet werden, in denen
"Regime Change" das Ziel ist und die betroffenen Menschen dann "frei" entscheiden können, wie
sie leben wollen, und ihnen auch geholfen wird, die sozialen Probleme zu lösen. Bisher deutet
vieles darauf hin, dass oft nur eine korrupte Herrschaftsclique durch eine andere ersetzt wurde, die
bald genauso ist. Die sozialen Probleme der Mehrheit der Bevölkerung werden dabei wieder
vernachlässigt. Die US-Planer scheinen dies erkannt zu haben und wollen daher durch Wolfowitz
an der Spitze der Weltbank mit einer Verlagerung des Mitteleinsatzes auf "Strukturhilfen" die
finanzielle Absicherung des "Regime Change" ermöglichen, was dann allerdings, da kaum mehr
Geld zur Verfügung stehen wird, zulasten der globalen Armutsbekämpfung geht. Bezeichnend ist
jedoch, dass bei kaum jemand der konsequenten Vertreter dieses Weges, vor allem nicht bei
Präsident Bush, von Menschenrechten, Menschenwürde und Solidarität die Rede ist. Diese durch
die Aufklärung erkämpften elementaren Grundlagen des Lebens und Zusammenleben von
Menschen scheinen für die Neo-Konservativen sogar gefährlich, da für ihre Ziele hinderlich, zu
sein. Deswegen auch die verstärkt betriebene Abwertung der UN, als konsequente Vertreterin der
universellen Menschenrechte. Wie wäre es sonst zu erklären, dass so ein fanatischer UN-Gegner
wie John Bolton Boschafter bei der UNO werden soll.
Meine Kritik an dieser neo-konservativer Strategie der gegenwärtigen US-Administration ist aber
grundsätzlicher. Da es bisher in Jahrtausenden nicht gelungen ist, die Neigung des Menschen zu
extremen Denk- und Verhaltensweisen sowie zu extremem Handeln, insbesondere zur Ausbeutung
und Gewaltanwendung, bis zu Terrorakten, gegen Mitmenschen durch Erziehung und Aufklärung
oder Bestrafung - bis zur Todesstrafe - entscheidend zu beeinflussen, kommt es vorrangig darauf
an, das Umfeld, in dem sich extreme Denk- und Verhaltensweisen entwickeln, positiv verändernd
zu beeinflussen. Hoffnung und Rettung liegen dabei wohl nicht in den bekannten, zum Teil
Jahrtausende alten Morallehren. Diese haben die Menschheit nicht besser gemacht. Auch die
Religionen haben es nicht geschafft. Hoffnung und Rettung liegen wohl nur in der weiteren
Entfaltung unseres Bewusstseins. Was die Menschheit daher in der gegenwärtigen, sehr
gefährlichen Entwicklungsphase dringend braucht, ist eine neue, jetzt globale Aufklärung, die zu
einem globalen Humanismus und zu einer globalen Rechtsordnung auf der Grundlage der
universellen Menschenrechte führt. Voraussetzungen hierfür sind der globale und erkennbare
Einsatz für Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Solidarität, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit
sowie interkulturelles Verständnis und interkulturelle Kompetenz, um bessere Voraussetzungen zu
schaffen, die „humanitären Grundbedürfnisse der Daseinssicherung“, z. B. Recht auf Nahrung,
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Wohnung, Kleidung; Verbot von Sklaverei, Zinsknechtschaft und Kinderarbeit; Recht auf Bildung
und Arbeit; soziale Sicherung; Schutz vor Willkür, Folter und Todesstrafe, die bei allen Menschen
erkennbar sind, zu gewährleisten. Erdweit, in fast allen Kulturen und Gesellschaften gilt die
Menschenwürde als anerkannt, vielfach als unantastbar. Dies beinhaltet den Schutz vor
Entwürdigung, Demütigung und vor allem vor Folter. Jeder Mensch leidet unter derartigen
Behandlungen. Schwerste Demütigungen und große Schmerzen zu erleiden, gefoltert zu werden, ist
für Menschen oft schlimmer als ein schneller, „gnädiger“ Tod.
In dieser Hinsicht weitere Fortschritte zu erzielen, wird ein langer und schwieriger Weg werden,
aber die Menschheit muss ihn gehen, wenn sie die gewaltigen Probleme, die vor ihr liegen, unter
Kontrolle bekommen und halten will. Sonst könnten ein "World War V" oder "World War VI" im
Sinne der Neo-Konservativen Realität werden und das Ende der gegenwärtigen Hochkulturen
bedeuten. Bei dieser Aufgabe müssen das "alte Europa", das bereits Erfahrungen mit einer
Aufklärung hat und aus seiner sehr leidvollen Geschichte wohl auch schon einiges gelernt hat, und
die "alten asiatischen Kulturen" (vor allem in China und Indien), die ein anderes Welt- und
Menschenbild haben, wesentliche Beiträge leisten. Dies können nicht Neo-Konservative aus den
USA, einem Staat ohne längere Geschichte und alte kulturelle Bindungen. Die USA als
gegenwärtige machtmäßige Supermacht und Russland als Rohstoffsupermacht können und dürfen
keine vorrangige Führungsrolle einnehmen, da ihnen dazu einige ideelle Grundlagen fehlen.
Die Anstöße zu diesem notwendigen Wandlungsprozess der Menschheit im Denken und Handeln
müssen global aus gesellschaftlichen Bereichen kommen, zunächst durch aufgeklärte Eliten in allen
Regionen der Erde. Der Durchbruch wird aber nur über eine globale Bildungsoffensive Breitenbildung und "lebenslanges Lernen" - möglich sein. Dabei muss die „kritische Vernunft“
gegenüber den Religionen und Weltanschauungen offen sein und müssen die Religionen und
Weltanschauungen der kritischen Vernunft Raum geben. Hierzu bieten die neuen Informations- und
Kommunikationssysteme, über die die Menschheit jetzt global verfügt, eine hoffnungsvolle
Voraussetzung, falls die Systeme global zur Verfügung stehen und von allen Menschen genutzt
werden können. In dieser Hinsicht ist auch der Aufbau eines "Global Elite Network" sehr sinnvoll nicht aber als Propagandainstrument für die Interessendurchsetzung der USA. Geführt werden muss
eine globale Wertedebatte darüber, welches Menschenbild und welches Gesellschaftssystem die
politischen Systeme der Zukunft in der jetzt „globalisierten menschlichen Welt“ bestimmen, prägen
soll.
Auch wenn im Rahmen der Globalisierung die „universelle Geltung der Menschenrechte“ oft in
Frage gestellt und zuweilen sogar von einem „Menschenrechtsimperialismus“ des westlichen
Kulturkreises gesprochen wird, müssen in einem globalen Dialog die Rechtspositionen
herausgestellt und durchgesetzt werden, die für die menschlichen Daseinssicherung und den Schutz
der Umwelt im globalisierten Zusammenleben unabdingbar sind. Dies ist möglich, auch wenn es
noch große Unterschiede gibt zwischen dem westlichen Kulturkreis, in dem die sich frei entfaltende
Persönlichkeit im Mittelpunkt der sozialen Gemeinschaft steht, und dem Menschrechtsverständnis
im Nahen und Fernen Osten, wo der Mensch nicht als „freies Individuum“ und „Glied in einer
Schöpfungsentwicklung“, sondern als direktes „Geschöpf Allahs“ – ein Ansatz, der auch bei
fundamentalistischen Christen, als direktes „Geschöpf Gottes“, zu finden ist – oder vorrangig als
„Glied einer Gemeinschaft“ verstanden wird. Diese Unterschiede erschweren zwar den Dialog,
machen ihn aber nicht unmöglich.
Eine wesentliche Voraussetzung für die globale Durchsetzung universeller Menschenrechte ist,
dass sie von allen Kulturkreisen angenommen werden können. Ihre Inhalte müssen sich daher an
den Grundbedürfnissen menschlicher Existenz orientieren, die überall als unabdingbar angesehen
werden und damit globalen Charakter haben. Dies können nur die genannten „humanitären
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Grundbedürfnisse der Daseinssicherung“ als „humanitären Grundkonstanten“ sein. Aus ihnen
lassen sich dann weitere Postulate, wie globale Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit; Verbot jeder
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Abstammung, der Andersartigkeit; Wahrung der
Identität und Integrität; damit Schutz vor Manipulationen der Persönlichkeit, ableiten. Wenn es um
Fragen, wie freie Meinungsäußerung, Glaubensfreiheit, Informationsfreiheit sowie politische und
gesellschaftliche Mitbestimmung geht, wird es im Nahen Osten (islamischer Kulturkreis) und im
Fernen Osten (stärkere kollektive Gebundenheit des Individuums) schon schwieriger. Erfolgt
jedoch im „Dialog der Kulturen“ – was im Kern der Religionen und Weltanschauungen bedeutet zunächst eine Konzentration auf die „Grundbedürfnisse der Daseinssicherung“, auch des
„Grundbedürfnis des Glaubens“, als „Normen einer objektiven Menschrechtsordnung“, die
unlösbar, da angeboren, mit der menschlichen Existenz verbunden sind, und lässt man zunächst alle
kulturspezifischen Merkmale außer Betracht, dann können trotz aller Vielfältigkeit und auch
Widersprüchlichkeit die „humanitären Grundkonstanten“ der Menschenrechte überall auf der Erde
Zustimmung finden, da sie untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden sind.
„Die Funktion der so verstandenen Menschenrechte ist daher in erster Linie keine juridische,
sondern eine `wächterliche` und damit im Kern politische: die Menschenrechte dienen einerseits
da, wo sie beachtet werden, der Legitimation und Ausrichtung menschlicher Herrschaft auf das
‚Humanum` und andererseits bei Verletzung oder Missachtung ihrer Demaskierung und
Delegitimation. Im Ergebnis …. daher vor allem wichtige Waffen im öffentlichen Meinungskampf
und in der politischen Auseinandersetzung zum Schutz all der Schwachen und Unterdrückten, der
Benachteiligten und Entwürdigten, kurz aller, denen auf dieser Welt Unrecht geschieht und die sich
sonst nicht wehren können.“ (Hans-Peter Schneider, Emeritus für Staats- und Verwaltungsrecht).
Wer von absoluten Wahrheiten als Gewissheiten ausgeht und sie nicht nur für sich selbst und die
Menschen, die diese mit ihm teilen, voraussetzt, sondern sie zur alleinigen „wahren Grundlage“ der
Welt und des menschlichen Seins macht, der behindert Einsichten, das Gewinnen neuer
Erkenntnisse und damit auch Veränderungen der eigenen Position. Er ist damit nur begrenzt
dialogfähig. Hierin liegen die zurzeit größten Probleme bei interkulturellen, interreligiösen
Dialogen. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass Wahrheiten einen Gültigkeitsanspruch erheben, der
jede Debatte ausschließt. Die Formen des Denkens und der Mitteilung, die der Wahrheit gelten,
werden im politischen Raum notwendigerweise herrschsüchtig, sie ziehen anderer Leute
Meinungen nicht in Betracht“ (Hannah Arendt). Während meines sechsjährigen Aufenthaltes in
Asien habe ich auch andere „Weisheiten“ und religiöse Praktiken kennen gelernt: „Es führen viele
Wege zum Gipfel der Erkenntnis“, „Der Baum der Erkenntnis hat viele Wurzeln.“. „Mein Glaube
an die hinduistischen Schriften zwingt mich nicht, jedes Wort und jeden Vers als Ausfluss
göttlicher Eingebung anzuerkennen…. Ich lehne es ab, mich durch irgendeine Auslegung binden zu
lassen, so gründlich sie auch sein mag…“. (Mahatma Gandhi).
Hoffnung und Zuversicht liegen darin, dass schon in der Gegenwart aufgrund vielfacher neuer
Erkenntnisse, über die die Menschheit jetzt verfügt, und der globalen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten immer mehr Menschen in allen Kulturen sich besser informieren
und verständigen sowie auch neue Fragen stellen und diskutieren können, damit auch anders zu
denken beginnen. Diese Entwicklung wird sich in der Zukunft wohl noch beschleunigen. Eine gute
Dialogvoraussetzung kann deshalb in folgendem liegen: „Die Absolutheit, die Universalität und die
Allgemeingültigkeit des einen Wahren zeigen sich so in verschiedenen Religionen, transzendieren
diese jedoch auch. Interreligiosität bedeutet daher …. eine Einheit des Glaubens ohne
Einheitlichkeit.“ (Ram Adhar Mall).
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