doc - Eine Welt in der Schule

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„Indianer“ im Sachunterricht. Die Yámana als Alternativthema
Astrid Kaiser
Warum das Thema „Indianer“ anders gestalten?
Das Thema „Indianer“ ist ein beliebtes Sachunterrichtsthema. Kinder finden dieses Thema
interessant, es wird allerdings voll von Stereotypen und Vorurteilen rezipiert.
Viele Kinder glauben, Indianer seien mit buntem Federkopfschmuck geschmückt und folgen
einem Häuptling, sie reiten über Land und wohnen in Zelten.
Welches Kind kennt sie nicht: die „wilden Kerle“ aus dem „wilden Westen“, die mit Pfeil und
Bogen gefürchtet und zugleich bewundert werden? Das Bild vom "tapferen Indianer", verbunden
mit Abenteuerlust und Kampfgeist hat in den Köpfen vieler Kinder einen festen Platz. Hierzu trägt
vor allem unser „Massenmedium Nr.1“, das Fernsehen, bei. Fast alle Kinder kennen Karl Mays
Mythosfigur "Winnetou", der mit seinen Apachen so manche gefährliche Situation meisterte.
„Indianer sind böse Männer, die in Zelten leben und mit Pfeil und Bogen schießen!“ oder
„Indianer waren sehr mutig und konnten toll auf Pferden reiten!“ so oder ähnlich berichten Kinder
oft über die Indianer. Allerdings gibt es auch einzelne Kinder, die schon differenziertes Wissen
aufweisen. Man kann von 10jährigen Kindern auch auf die Frage nach dem Können der Indios
und Indianer früher als Antwort erhalten: „Manche Indianerarten konnten schon Felder anbauen,
manche waren nur auf Jagd und Fischfang beschränkt und manche haben sogar schon Tunnels und
große Städte angelegt“. Die Heterogenität der Kindervorstellungen kommt aber in den
Unterrichtsmaterialien nicht zum Tragen. Erwachsenensätze wie „Indianer weinen nicht“ oder
„Indianerherz kennt keinen Schmerz“ unterstützen für Kinder die einseitig stereotype Sichtweise
über die „Rothäute“ als kämpferische und schmerzunempfindliche Wesen.
Das Erfahrungsfeld der Kinder, wer oder was Indianer waren und sind, unterliegt also einem recht
undifferenzierten Bild, das sich im Wesentlichen auf die aggressiv-kämpferische Komponente
reduziert. Dies macht dann auch vor allem den Reiz für Kinder - und insbesondere für Jungen aus, zu Fasching in die Rolle des Indianers hineinzuschlüpfen: Tapfer und mutig zu sein, im
Kampf als Held zu siegen, gefürchtet zu werden und legitim von „indianischen Waffen“ in der
Auseinandersetzung mit „Cowboys“ Gebrauch zu machen. Dementsprechend sind auch viele
Unterrichtsmaterialien inhaltlich ausgerichtet. Leopold (2001; 2003) kritisiert derartige
Materialien heftig und arbeitet heraus, dass sie weder auf der sachanalytischen Ebene das
wiedergeben, was indigene Völker ausmacht noch auf der didaktischen Ebene Kindern
angemessen Orientierung bieten. Denn derartige Heldenvorstellungen, die aus stereotypen
Mediendarstellungen stammen, idealisieren indigene Völker und lassen gerade nicht eine
humanistische Nähe entstehen. Sie sind fern von eigenen Alltagsvorstellungen und gleichzeitig
nicht mit menschlichen Maßstäben fassbar. Leopold (2001, 2003) kritisiert zudem, dass auch das
pädagogische Material zur Thematik „Indianer“ diese Stereotype weitgehend bedient und nicht
kulturpädagogisch orientiert ist und eine Perspektivenerweiterung ermöglicht (Leopold 2002,
2006).
Die Sichtweise der Kinder entspricht dem Wesen der als „Indianer“ bezeichneten indigenen
Menschen jedoch nur sehr begrenzt. Gleichzeitig bedeutet die mediale Vermarktung des Themas
Indianer auch, dass ein differenzierter Blick auf die alltäglichen Lebensbedingungen dieser Kultur
versperrt wird. Deshalb ist es wichtig, anknüpfend an die exotischen Motive der Kinder zu einer
gleichberechtigten Sicht zu gelangen, in der die „Indianer“ als Menschen verstanden werden und
in ihrer Besonderheit akzeptiert werden. Deshalb soll hier eine indigene Kultur vorgestellt werden,
die sämtlichen Stereotypen widerspricht und somit ein Umdenken von Kindern eher ermöglicht
als die exemplarische Vertiefung in Kulturen, die partiell auch Stereotype verstärken. Es geht um
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die Kultur der Yámana auf Feuerland, „Menschen“ wie sie sich selbst genannt haben oder
Yahgan.
Bei den Yámana auf Feuerland gibt es keine Häuptlinge und Pferde, sondern Kanus als
Fortbewegungsmittel der Familienclans. Nicht der Häuptling reitet voran, sondern die ganze
Familie hockt eng aneinander geschmiedet ums Feuer im Kanu, das von den Frauen gesteuert
wird. Frauen haben durch das Muscheltauchen eine wichtige Funktion bei der Ernährung der
Familie. Nicht bunter Federschmuck am Kopf ziert die Häuptlinge. Bei den Yámana - jedenfalls in
der tradierten Form - trugen alle Familienmitglieder eine dicke Seehundsfettschicht auf die nackte
Haut, um sich vor dem Regen zu schützen. Heute leben die Nachkommen der Yámana ebenso wie
die Nachkommen indigener Kulturen in Nord-, Mittel- und Südamerika äußerlich kaum
unterscheidbar in Dörfern mit Holzhäusern - durchaus ähnlich wie die chilenische Bevölkerung im
Süden Feuerlands.
Die Kultur der Yámana ist recht gut dokumentiert in den Schriften Martin Gusindes und seines
späteren Widersachers Koppers, aber auch neuere Forschungsarbeiten geben ein zunehmend
differenziertes Bild. Somit ist Wissen recherchierbar, um diese Kultur als Kontrastbild zu den
stereotypen Vorstellungen sich vor Augen zu führen.
Allerdings ist es schwer, über diese Kultur verlässliche Angaben zu bekommen. Es bedarf einer
Diskussion der verschiedenen älteren Quellen. Einerseits gibt es relevante klassische Literatur in
deutscher Sprache. Dabei gibt es über die Yámana gegensätzliche Beschreibungen, einerseits von
Darwin eine sehr negative fast verächtliche Darstellung, andererseits von Martin Gusinde
ausführliche fast verherrlichende Beschreibungen von Kultur, Gesellschaft, Alltagsleben und
technischen Errungenschaften. Sein wissenschaftlicher Gegenpart, Koppers, den er auf eine seiner
Reisen nach Feuerland mitnahm, hat wiederum Artikel und ein Buch veröffentlicht, das sich in
Nuancen von Gusindes Schriften unterscheidet. Gusinde hat die Mythen der Yámana
aufgeschrieben, die bei den rituellen Festen wie Jugendweihe erzählt werden. Aus diesen Mythen
lässt sich auf die normativen Vorstellungen und soziale Verhaltensnormen der Yámana schließen.
Eine didaktisch besonders wichtige Quelle sind die von Gusinde aufgeschriebenen Mythen. Die
vielen von Gusinde gesammelten Mythen der Yámana ermöglichen Einblicke in die Emotionen
und Probleme einer Kultur, die bereits ausgestorben ist, so dass Zeitzeugen nicht mehr befragt
werden können.
Die Lebensweise der Yámana weicht in vielen Punkten von der in unserer Kultur ab und doch ist
in den Mythen zu erkennen, dass die Yámana in einigen Aspekten vergleichbare Gefühle und
Probleme haben etwa mit Menschen die überheblich sind oder geizig oder in Fällen von
Eifersucht. Gerade die Besonderheit der Lebensweise schärft den Blick auf die gesellschaftliche
Bedingtheit menschlicher Existenz und kann so als Grundlage für die Reflexion der eigenen
Situation dienen. Insofern ist diese Kultur gerade wegen der Kontraste gut geeignet, über die
eigene Gesellschaft und Kultur nachzudenken.
Gerade weil diese Kultur in so vielen Punkten den Stereotypen des kindlichen Indianerglaubens
widerspricht, eignet sie sich für eine differenzierte interkulturell orientierte Didaktik zur
Thematik.
Die Lebensweise der Yámana weicht in vielen Punkten von der in unserer Kultur ab und doch ist
in den Mythen zu erkennen, dass die Yámana in einigen Aspekten vergleichbare Gefühle und
Probleme haben etwa mit Menschen die überheblich sind oder geizig oder in Fällen von
Eifersucht. Gerade die Besonderheit der Lebensweise schärft den Blick auf die gesellschaftliche
Bedingtheit menschlicher Existenz und kann so als Grundlage für die Reflexion der eigenen
Situation dienen. Insofern ist diese Kultur gerade wegen der Kontraste und gleichzeitigen
Ähnlichkeiten in den menschlichen Gefühlen gut geeignet, über die eigene Gesellschaft und
Kultur nachzudenken.
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Grundlegende Informationen zu den Yámana
Die Yámana sind ein indigenes Volk, das rund um den Beagle Kanal südlich von Feuerland lebte.
Ihre Lebensweise und Kultur ist sehr auf die kleinen Familien zentriert. Viel widerspricht den
herkömmlichen eurozentristischen Stereotypen, sie sind eine Gesellschaft von Gleichen, in denen
die einzelnen Familienverbände als Wassernomaden von Insel zu Insel, von Bucht zu Bucht auf
Nahrungssuche gemeinsam ziehen und in Kanus das Feuer von Lagerstätte zu Lagerstätte
transportieren. Die Yámana, die im Süden Feuerlands bis zu ihrer fast vollständigen Ausrottung
lebten, haben sich unbekleidet mit Seehundfett eingerieben vor den vielen Regengüssen in diesem
kalten Klima geschützt. Die Yámana gelten als insgesamt friedliebendes Volk, das sich vor allem
auf die Nahrungssuche konzentriert hat und keine Kriege geführt hat.
Im Folgenden wird die Kultur der Yámana so beschrieben, als gäbe es sie heute noch:
Das Wohnen der Yámana
Die Yámana sind Wassernomaden, sie ziehen viel mit dem Boot herum, um neue
Nahrungsquellen zu finden. Dort, wo man viele Nahrungsmittel wie ungeerntete Muschelbänke
oder Seehunde sichtet, wollen sich diese Menschen für die nächste Zeit niederlassen. Dann legen
sie an einer geeigneten Insel an, ziehen das Boot an Land und bringen das offene Feuer vom Boot
an Land. Gemeinsam werden Äste gesucht, um daraus Hütten aufzustellen. Dabei gibt es zwei
Grundtypen der Hüttenbauweise, die kegelförmige Hütte wird mehr Westen, die kuppelförmige
Hütte mehr Osten gebaut. Als Grundstock für den Häuserbau werden 10 bis 20 dickere biegsame
Südbuchenstämme zusammengestellt. Über die bogenförmig gesetzten Äste wird ein Schutzdach
gegen Sturm Regen und Sonne errichtet. Für dieses Schutzdach (genannt Astela) werden dicht
belaubte Äste gesucht. Manchmal werden Hütten innen mit Leder ausgehangen. Zuweilen wird
auch niedriges Buschwerk als Wind- und Regenschutz auf die Ritzen in der Hütte gelegt. Um die
Hütte wird der Boden gereinigt und eine tiefere Erdschicht ausgegraben. Um die Hütte wird ein
Wall aus Mahlzeitenresten wie Muschelschalen gesteckt. Der Eingang der Hütte, der aus zwei
Stäben begrenzt wird, muss entgegen der Windrichtung angelegt werden. Auf ein Gerüst werden
wichtige Dinge wie Baumflechten, Seealgen, Rindenteile und trockene Seelöwenhäute gelegt.
Die Familie der Yámana
Eine Familie bei den Yámana besteht aus Mann und Frau sowie den Kindern und oft auch der
Großelterngeneration. Meist bilden nur wenige Familien zusammen eine Nachbarschaftsgruppe.
Die Nahrungssuche in dieser unwirtlichen südlichen Landschaft verbietet einen großen
Zusammenschluss von Familien. Je nachdem, ob die Familien einen längeren Aufenthalt planen,
ist die Bauweise unterschiedlich. Die Frauen haben die Aufgabe des Häuserbaus. Nur
Kulthüttenbau ist Männersache. Allerdings können Frauen auch Medizinperson sein. Auch beim
Nahrungserwerb gibt es klare Aufgabenverteilung. Frauen tauchen nach Muscheln und kleinen
Fischen, Männer können nicht schwimmen und das Boot lenken, sondern lassen sich von Ihren
Frauen zu den jeweiligen Jagdgründen rudern. Die Ruder beim Boot sind für Männer kleine
Behelfspaddel, während die Frauen weit ausholende Ruderblätter benutzen. Eine zentrale
Frauenaufgabe ist die Reinhaltung des Hauses und die Feuererhaltung. Auch das Ausweiden der
Fische ist ihre Sache und die gesamte Nahrungszubereitung. Bei all den vielen Aufgaben fürs
weibliche Geschlecht ist es verständlich, dass schon von jungen Mädchen verlangt wird, dass sie
früh aufstehen und nicht Müßiggang betreiben. Man erwartet, dass Langschläferinnen früh
sterben.
Die Beschreibungen von anthropologischen Beobachtern wie Gusinde und Koppers betonen, dass
Mann und Frau einander treu geblieben sind. Die Liebe der Partner spielt eine große Rolle. Es
wird gesagt, man solle eine Frau verlassen, wenn man sich nicht verstehe. Besonders von
Ehefrauen wird verlangt, dass sie eine treue Gattin sind.
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Bridges wiederum berichtet auch von Fällen der Vielehe, allerdings beschreibt er selten mehr als
zwei Frauen pro Mann. Es gibt auch in der Yámana-Sprache das Wort für die Erste Gattin
wöhya`kin. Diese darf sich neben den Eingang der Hütte setzen, während die Zweitfrau
(Ussögupaikin) mit dem Mann im Inneren der Hütte zu sitzen hat.
In einzelnen Mythen wird vor Ehebruch gewarnt. Wenn ein Mann stirbt, ist es die Pflicht des
Schwagers, die Witwe zu heiraten. Der Schwager ist nicht verpflichtet, sich um ihre Kinder zu
kümmern.
An Frauen und Männer werden unterschiedliche gesellschaftliche Erwartungen gerichtet. Danach
soll eine Frau ausgeglichen sein, angenehme Gesichtszüge haben, sauber, flink und geschickt sein
und viele schöne Kinder haben, denen sie eine zärtliche Mutter ist. Der Mann wiederum soll
unternehmungslustig und fleißig sein, eine stattliche Figur, Ansehen bei Stammesgenossen und
ein länglich schmales Gesicht haben.
Kinder genießen ein außerordentlich hohes Ansehen. Ihnen wird mit Freundlichkeit und
Verständnis begegnet.
Kinderleben
Kinder werden hoch geschätzt und immer gut behandelt. Eltern spielen mit großer Freude mit
ihren Kindern. Kinder zu haben, gilt als besonderer Wert, sie werden hoch geschätzt. Es gibt viele
kinderreiche Familien. Bei der Geburt erhält jedes Kind eine mit der Mutter befreundete
Pflegemutter, die sich nach der Geburt um das Kind kümmert und auch weiterhin unterstützt und
Geschenke gibt. Diese Pflegemütter übernehmen die Sorge für das Kind ganz im Falle eines
frühen Todes der eigenen Eltern. Die Säuglinge der Yámana werden die ersten zwei Jahre gestillt
und erhalten im 5. Monat ein Stück leicht gebratenes Fettgewebe von der Dampfschiffente quasi
als Lutscher.
In Mythen wird deutlich gemacht, dass schlechte Ernährung der Kinder negative Sanktionen der
Gemeinschaft nach sich ziehen. Alle Forschungsberichte betonen, dass die Kinder der Yámana
sehr leise sind, allerdings wird auch beschrieben, dass es Strafen gibt, wenn die Kinder mit dem
Lärmen nicht aufhören. Dann wird mit einem Holzscheit geworfen. Wenn Kinder sich beim Essen
vordrängen, bekommen sie als Konsequenz minderwertiges Essen gereicht. Auch Heimlichkeiten
der Kinder sind negativ angesehen und können mit Schlägen beantwortet werden. In der Regel
wird aber auf Fehlverhalten mit Ermahnungen reagiert.
Als Tugenden bei der Erziehung gelten:
1. Erfurcht vor dem guten Alten
2. Unterwürfigkeit und Gehorsam
3. Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit
4. Genügsamkeit
5. Regsamkeit und Fleiß
Kinder - Wissen aus Mythen
Aus den Mythen der Yámana kann man mehrere Aussagen über Kinder entnehmen. So zeigt der
Mythos von der knauserigen Großmutter wie auch der von „Haschakuwa und seinen beiden
Enkeln“, dass es Kindern gelingt, geizigen Erziehern auf die Schliche zu kommen, ihre Interessen
durchzusetzen, sie können auch kritisch nachfragen und sogar weglaufen, sie sind aber auch
abhängig von den Erwachsenen.
Mädchen werden als zurückhaltender und bescheidener als Jungen beschrieben. Aber auch die
Yámana-Mädchen werden als mutig geschildert. Die Mädchen haben die Aufgaben, die sie in ihre
späteren Aufgaben als Frauen einweisen, sie müssen auf die jüngeren Geschwister aufpassen, die
Schlafstätten in Ordnung bringen, Reisig sammeln, die Felle spannen und das Kanu pflegen. Als
Spielsachen erhalten sie kleine Steinpuppen, kleine Kanumodelle und in späteren Jahren auch
ausgestopfte Vögel oder Otterfelle. Besonders beliebt sind Gesellschaftsspiele bei den Yámana.
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Sie werden oft mit Gesang oder Tanz begleitet. Die beliebtesten Spiele wie das Albatros-Spiel
sind Nachahmungsspiele von Tieren. Es gibt aber auch Schaukelspiele, bei denen ein Seil an
Seitenäste eines Baumes festgebunden wird, so dass es sich zum Sitzen und Schaukeln eignet. Das
Blindekuh-Spiel wird nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen gespielt. Jungen
lieben dagegen das Tumutella-Spiel, bei dem es darum geht, sich mit dem ganzen Körper einen
abschüssigen Hang herunter rollen zu lassen.
Ernährung
Die Yámana ernährten sich vor allem von Muscheln, Fischen und gejagten Meerestieren wie
Seehunden. Aber auch die von den Frauen gesammelten Vogeleier, Pilze und Früchte der
Sträucher in der Umgebung waren Teil des Speiseplans. Robben werden mit selbst hergestellten
Harpunen gejagt. Wale dagegen werden nicht gejagt, sondern nur für die Ernährung genommen,
wenn sie gestrandet sind. Auch Vögel werden täglich von den Männern gejagt. Pinguine werden
mit einem einfachen Knüppel erlegt, Kormorane mit einer Schleuder oder gar einen Biss ins
Genick getötet. Wildgänse, Dampfschiffenten und andere kostbare Fleischträger werden mit
Schlingen gefangen. An Land werden zuweilen Guanacos und Füchse mit Wurfspießen gejagt,
diese allerdings nur wegen des Felles. Die Frauen tauchen nach Muscheln, Seeigeln, Krabben und
anderen kleinen Meerestieren, die einen beträchtlichen Anteil im Speiseplan haben. Aber auch der
Fischfang mit Fangleine ist bei den Yámana Frauensache. Insgesamt überwiegt die tierische
Ernährung.
Diese Nahrungsquellen waren meist vorhanden, so dass keine Vorräte angelegt werden mussten.
Gusinde beobachtete, dass die Menschen nach einer reichhaltigen Jagd einfach ruhten. Bei
Erschöpfung der Fischgründe zog die Familie mit dem Kanu in eine andere Gegend. Zeitweise
konnte es dann Engpässe in der Ernährung geben.
Feste und Feiern
Im Leben der Yámana gibt es viele wichtige Feiern. Zur Zeit dieser Feiern wird das Leben stark
geändert. Für die geheime Jugendweihe werden sogar extra Hütten gebaut. Die zentralen Feiern
sind das Kinafest (Männerfest), die Jugendweihe und Trauerrituale. Bei allen Festen wird eine
bestimmte Gesichts- und Körperbemalung gewählt, so dass man daran erkennen kann, ob der
jeweilige Mensch in Trauer ist, Pate oder Prüfling.
Das Kina-Fest, Männer-Fest, dauert oft mehrere Tage oder gar Monate. Es fand in der Kina-Hütte
statt, die wegen der beim Fest rituell getragenen Masken über größere Eingänge verfügt.
Es beginnt nach Gusindes Beschreibungen damit, dass die Prüflinge aus ihren Wohnhütten
abgeholt werden. Der Prüfling muss dann den Kampf gegen einen Geist aufnehmen. Er kennt
vorher die Rituale nicht, die bei diesem Fest ablaufen. Väter bemühten sich, ihre Söhne so früh
wie möglich daran teilnehmen zu lassen. Beim Fest gibt es dann harte Prüfungen für die Jungen.
Allerdings haben sich die Regeln im Laufe der Jahre nach Gusindes Beobachtungen etwas
gelockert.
Die Yámana laufen bei diesem Fest bis zur Erschöpfung - besonders wenn verschiedene
Geistererscheinungen auftreten. Die Geister springen aus einer Hütte, um die anderen zu
erschrecken. Die Frauen sollen glauben, dass die Prüflinge von Geistern gequält werden. Sie
sollen denken, dass die Männer mit den Geistern in engem Kontakt sind. Mit Lederstreifen wird
auf den Boden geschlagen, Nasenbluten vorgetäuscht, um die Dramatik des Gequältwerdens zu
betonen. Eine wesentliche Funktion des Festes ist die Geistervertreibung. Erst wenn die
Beteiligten sich langweilen bzw. wenn die für das Fest gesammelten Nahrungsmittelvorräte
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aufgebraucht sind, gibt es einen Abschluss. Beim Kinafest werden die Frauen von Maskenfiguren
erschreckt, die zu ihren Hütten kommen. Sie selbst dürfen nicht ins Männerhaus hineingehen.
Trauerrituale
Auch in der Gesellschaft der Yámana ist der Tod eines Menschen ein einschneidendes Erlebnis.
Tote werden begraben. Aus früheren Zeiten gibt es Berichte von Verbrennungen (Koppers). Die
Hinterbliebenen drücken ihre Trauer durch Trauerbemalung mit bestimmtem Stirnschmuck aus.
Die Haare werden mit einer Muschel als Kranz abgeschoren.
Wenn jemand stirbt, sind die Menschen untröstlich. Der Name des Verstorbenen darf nicht
wiederholt werden. Wenn jemand mit einem weit verbreiteten Namen stirbt, bekommen die
anderen einen neuen Namen, wenn sie vorher denselben hatten. Auch der Besitz des Toten wird
mit beerdigt. Der Platz einer Beerdigung wird anschließend für immer verlassen. Es gibt auch
einen speziellen Totengedenktag.
Im Trauerfall wird für die Totenfeier ein Feuer gemacht, andere Familienclans sehen das und
können hinzukommen. Die eigentlichen Trauerrituale bestehen daraus, dass Frauen Paddel und
Männer Keulen erhalten. Damit geht man aufeinander los und brüllt die Trauer raus und klagt an,
warum die Menschen sterben. Auch ein Trauergesang sowie eine Trauerrede, bei der betont wird,
wie man über die verstorbene Person denkt, gehört zum Trauerritual.
Werkzeuge und Feuer
Dinge wie Speer und Binsenkörbchen waren Teil von Verbundenheit, wurden auch bei Bestattung
mitgegeben. Das wichtigste im Leben der Yámana war allerdings das Feuer, in dem Fleisch
gebraten und Muscheln geröstet wurden. Dieses Feuer wurde immer im Boot zum nächsten
Landeplatz mitgenommen. Gusinde beschreibt dies folgendermaßen:
„In der Mitte des Kanubodens befindet sich die Herdstelle ... Zuunterst liegen .. einige flache
Steine, die lückenlos aneinanderstoßen. Darüber sitzt als dicke Schicht ein breiter Rasenklumpen,
dessen Wurzelgewirr mit dem darin zusammengefassten Kies nach oben schaut. Das von unten
her aufsteigende Sickerwasser hält die Rasenschicht andauernd feucht, weswegen sie sich weder
selbst bedenklich erhitzt noch die darunter liegende Rinde verkohlt. Das unvermeidlich
einsickernde Wasser wird mit Schöpfern aus Rinde und Seehundleder entfernt; Sie gleichen in
Form und Größe einem Bierglas“ (Gusinde 1946, 194f).
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Literatur
Bridges, Thomas: Yámana - English: a dictionary of the speech of Tierra del Fuego / by Thomas
Bridges. Ed. by Ferdinand Hestermann and Martin Gusinde. - Mödling in Austria : Missionsdruck.
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Chatwin, Bruce/ Theroux, Paul: Wiedersehen mit Patagonien, Fischer (Tb.), Frankfurt 1995
Darwin, Ch. (2006): Die Fahrt der Beagle : Tagebuch mit Erforschungen der Naturgeschichte und
Geologie der Länder, die auf der Fahrt von HMS Beagle unter dem Kommando von Kapitän Fitz
Roy. Hamburg : Marebuchverlag
Gusinde, M. (Hrsg.) (1937): Die Feuerlandindianer: Ergebnisse meiner vier Forschungsreisen in
den Jahre 1918 bis 1924, unternommen im Auftrage des Ministerio de Instruccion Publica de
Chile in drei Bänden. Bd. 1/2 Die Yámana: vom Leben und Denken der Wassernomaden am Kap
Horn. Mödling bei Wien: Verlag Anthropos.
Gusinde, Martin (1946): Urmenschen im Feuerland. Vom Forscher zum Stammesmitglied.- Berlin
[u.a.] : Zsolnay
Gusinde, Martin (1966): Nordwind-Südwind: Märchen und Mythen der Feuerlandindianer.
Kassel: Erich Röth Verlag
Gusinde, Martin (1962): Feuer ist und war der Menschheit unentbehrlich. In Zeitschrift für
Morphologie und Anthropologie. 52 (1962), S. 199-230
Kauter, Kurt (1986): Der Wind weht über Feuerland. Berlin: Kinderbuchverlag
Koppers, Wilhelm (1924): Unter Feuerland-Indianern. Stuttgart
Koppers, Wilhelm (1928): Stammesgliederung und Strafrecht der häuptlingslosen Yámana auf
Feuerland. Roma: Riccardo Garroni
Leopold, Joest (2001): Wenn Pädagogen über Indianer reden: Nordamerikanische Natives in
Unterrichtsmaterialien der Primarstufe. Hannover
Leopold, Joest (2002): „Kulturdidaktik und Sachunterricht“ In: PädForum 30, 2002, H. 2, S. 128131
Leopold, Joest (2006): Kulturdidaktik im Sachunterricht. In: Pfeiffer, Silke (Hrsg.): Neue Wege
im Sachunterricht. Oldenburg: DIZ Verlag, S. 147-152
Leopold, Joest (2003): Vielfalt statt Wigwam: indianische Behausungen im Sachunterricht. In:
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Leopold, Joest: Zum Indianer-Thema in niedersächsischen WUK-Büchern.
In: Heumann,
Jürgen/Schulte, Andrea (Hrsg.): Die fremdgewordene Religion Oldenburg: Oldenburger VorDrucke 2000, S. 34 - 44
Meissner, Hans-Otto (1987): Rund um Kap Horn. Bei Wassernomaden, Schafzüchtern
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Palma, Marisol (2007): Bild, Materialität, Rezeption. Verlag Meidenbauer; 2007
Rossi, Juan José (2006):
Los Yámana : pescadores australes / Juan José Rossi. - 1. ed. - Buenos
Aires : Galerna
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