Gentechnik in Lebensmitteln – EU-Minister beschließen schärfere Regelungen Neue Regelung zur Kennzeichnung von genmanipulierten Lebens- und Futtermittel Über 70 Prozent der Verbraucher in Europa lehnen genmanipuliertes Essen ab.1 Nach einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Umfrage wollen über 70 Prozent der Landwirte keine genmanipulierten Futtermittel für ihre Tiere. Doch in Lebensmitteln und Tierfutter steckt Gentechnik drin, ohne dass es für die Verbraucher oder Landwirte kenntlich gemacht wäre. Dies soll sich in den Mitgliedsstaaten der EU bald ändern. Am 28.11.2002 haben sich die Agrarminister der Europäischen Union auf eine Verordnung zur Genehmigung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensund Futtermittel geeinigt. Der Vorschlag muss jetzt dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Im Gegensatz zu Europäischen Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen, sind Verordnungen direkt anwendbares Recht. Die Verordnung zur Kennzeichnung soll zudem durch eine Verordnung zur Rückverfolgbarkeit von genmanipulierten Organismen (GMOs) ergänzt werden. Hierüber haben sich die Umweltminister der Europäischen Union am 9. Dezember 2002 geeinigt. Die Ergänzung regelt den Informationsfluss in der Herstellungskette und ist damit Voraussetzung für eine funktionierende Kennzeichnung. Vom Acker bis in die Fabrik müssen demnach alle verwendeten GMOs kenntlich gemacht werden. Was muß gekennzeichnet werden? Tritt die Verordnung in Kraft, müssen zukünftig alle Lebens- und Futtermittel, die genmanipulierte Zutaten enthalten, gekennzeichnet werden. Mit der sogenannten prozessorientierten Kennzeichnung müssen erstmals auch zum Beispiel Öle aus genmanipulierter Soja oder Zucker aus genmanipulierten Zuckerrüben gekennzeichnet werden. Dies gilt auch dann, wenn weder die DNA noch die Proteine der künstlichen Gene nachweisbar sind. Tierische Produkte, wie Milch, Käse oder Fleisch müssen weiterhin nicht gekennzeichnet werden, auch wenn die Tiere mit Gen-Soja gefüttert wurden. Jedoch müssen die übrigen kennzeichnungspflichtigen Produkte erst ab einer Verunreinigung von 0,9 Prozent gekennzeichnet werden.2 Das Europäische Parlament hatte dagegen einen Grenzwert von 0,5 Prozent gefordert. Die Minister schienen die Interessen der Industrie an diesem Punkt jedoch gewichtiger als die der Verbraucher. Dabei könnte die Lebensmittelindustrie ihren Kunden Produkte ohne Gen-Zutaten anbieten. Auf Importware aus den USA, Kanada und Argentinien, wo Gen-Pflanzen großflächig angebaut werden, wird deshalb bereits weitgehend verzichtet. Stattdessen wird Ware aus Europa und anderen Weltregionen verwendet, wo genmanipulierte Pflanzen noch nicht im großen Stil angebaut werden. So haben Untersuchungen der Stiftung Warentest ergeben, dass Produkte in deutschen Supermärkten bisher weitgehend gentechnik-frei sind. Die Verunreinigungen der getesteten Produkte mit Gentechnik lagen nie oberhalb 0,1 Prozent .3 Die Agrarminister beschlossen zudem, dass Lebensmittel und Futtermittel nur mit solchen genmanipulierten Organismen verunreinigt sein dürfen, die auch in der Europäischen Union bewertet und genehmigt wurden. Allerdings gibt es auch hier Schwachstellen: Während einer Übergangsfrist von drei Jahren, wird gemäß Art. 42, 45a des besagten Verordnungsentwurfes eine Verunreinigung bis 0,5 Prozent auch mit solchen GMOs toleriert, die in der EU zwar bewertete aber noch nicht genehmigt wurden Rückverfolgbarkeit - die gläserne Produktion? Die Umweltminister geben mit ihrer Entscheidung ein klares Signal. Zu jedem Zeitpunkt der Verarbeitung von Lebensmitteln und Tierfutter müssen nun genaue Informationen vorliegen, ob und welche genmanipulierten Organismen enthalten sind. Nur so lassen sich zukünftig Rückrufaktionen starten, wenn mit der Gentechnik etwas schief läuft. Auch die Kennzeichnung für den Verbraucher ist 1 http://europa.eu.int/comm/research/press/2001/pr0612en-report.pdf Art. 13; Firmen müssen nachweisen, dass sie angemessene Schritte unternommen haben, um eine Verunreinigung zu verhindern; niedrigere Werte können festgelegt werden entsprechend Art. 36.2 des Verordnungsentwurfs. 3 Stiftung Warentest, 6/2002, „Kaum noch drin“ 2 damit gesichert. Nur Produkte, die wirklich Gentechnik enthalten, und nicht einfach nur enthalten könnten, werden gekennzeichnet. Allerdings haben die Umweltminister gleichzeitig ihre Macht empfindlich eingeschränkt. Gemäß dem Verordnungsentwurf vom 28.11. können noch nicht feststehende EU-Gremien an den Ministern vorbei Schwellenwerte zum Beispiel für die Verunreinigung von Saatgut festlegen. Greenpeace fordert vom EU-Parlament, dies nicht zu akzeptieren. Die Verordnung geht in den nächsten Monaten zur zweiten Lesung ins Parlament. Die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Natur muss strengstens überwacht werden. Die Zuständigkeit kann nur bei den entsprechenden Umweltgremien der EU und Mitgliedsstaaten liegen. KASTEN: Das Moratorium– EU beschließt Zulassungsstopp für Gen-Pflanzen Im Juni 1999 beschlossen die Umweltminister der Europäischen Union einen de-facto Zulassungsstopp für gentechnisch veränderte Organismen. Diese Entscheidung macht deutlich, dass Europa die Vorsorge und die Interessen der Verbraucher höher bewertet als die Profite der GenIndustrie. In der Erklärung heißt es: „Solange bis eine neue Regelung in Übereinstimmung mit den Prinzipien von Verhütung und Vorsorge verabschiedet wird, wollen die Unterzeichner dafür sorgen, daß keine neuen Zulassungen für Anbau und Vermarktung mehr erteilt werden.” Obwohl diese Erklärung nicht rechtlich verbindlich ist, schafft sie eine de-facto-Situation, die weitere Zulassungen bis heute unmöglich macht. Doch schon bald könnte das Moratorium aufgehoben werden. Am 17. Oktober 2002 trat die europäische Freisetzungsrichtlinie (2001/18), die den Anbau von genmanipulierten Pflanzen regeln soll, in Kraft. Die Verordnung zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit ist ein weiterer Baustein zur Regelung von genmanipulierten Organismen. Nicht nur die Industrie versucht den Druck auf die EU zu verstärken und eine Aufhebung des Moratoriums zu erwirken, auch die USA drohen der EU mit einer Klage vor dem Gerichtshof der WTO. Doch die Minister der EU handeln richtig, wenn sie auch weiterhin Neuzulassungen von Gen-Pflanzen verhindern. Viele wichtigen Punkte sind bisher noch ungeklärt. So gibt es zum Beispiel keine gesetzliche Regelungen zur Haftung oder zur Koexistenz. Eine Modellstudie (siehe Quelle 7) der EU zeigt, dass der gleichzeitige Anbau von Öko-Pflanzen und von Gen-Pflanzen real kaum zu verwirklichen ist. Schon bei einem Anteil der Gen-Äcker von 10% der Anbaufläche sind gentechnikfreie Produkte kaum mehr möglich. Nur unter erheblichen Kostensteigerungen von bis zu 40% und Maßnahmen wie konsequenter Einhaltung von Abständen um die Gen-Felder könnten die Landwirte z.B. weiterhin Raps mit einer Verunreinigung von unter 1% ernten.4 Wie leicht sich Raps ausbreitet, konnte Greenpeace auch in Deutschland schon zeigen: Versuchsflächen mit Gen-Raps verunreinigten auch hier herkömmliche Rapsfelder, die in der Nähe lagen. Europa-Politik mit großer Wirkung Die gesetztlichen Regelungen der Europäischen Union zur Gentechnik und die Ablehnung von GenFood der Europäer, setzten ein starkes Signal und haben Auswirkungen auf andere Länder. Genmanipulierte Produkte entpuppten sich in der EU als Ladenhüter. Die Verbraucher wollen gentechnik-freie Ware und die Lebensmittelindustrie muss sich diesen Wünschen beugen. Um ihren Kunden gentechnik-freie Produkte garantieren zu können, beziehen die Lebensmittelhersteller ihre Rohstoffe aus solchen Ländern in denen Gen-Pflanzen nicht im großen Stil angebaut werden. Für nordamerikanische Farmer gingen so wichtige Absatzmärkte verloren, sie blieben auf ihren Produkten aus Gen-Soja, Gen-Mais oder Gen-Raps sitzen. Um nicht noch weitere Märkte zu verlieren, setzen sich in Nordamerika die Landwirte nun gegen die Genehmigung von Gen-Weizen ein. European Commission Joint Research Centre, „Scenarios for co-existence of genetically modified, conventional and organic crops in European agriculture“, May 2002 4 Die Gefahren der Gen-Pflanzen Unkontrollierte Ausbreitung, ungeplante Nebenwirkungen Die USA üben derzeit erheblichen Druck auf die EU aus, neue Gen-Saaten zuzulassen. Seit Mai 1999 lässt die EU aus Vorsorgegründen keine neuen genmanipulierten Organismen mehr zu (siehe Kasten zum EU Moratorium). Zuvor wurden bereits einige Genehmigungen erteilt, unter anderem für GenMais-Saaten. Zudem werden an vielen Standorten in Europa Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen (vor allem Mais, Raps und Zuckerrüben) durchgeführt. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen in Europa und anderen Regionen zeigen, dass die Gen-Saaten bereits vielfach außer Kontrolle geraten sind. Die Gentechniker verstehen offensichtlich nicht die ganze Auswirkung ihrer Arbeit. Kläglich versagen die Bemühungen, Gentechnik zu kontrollieren, wenn sie einmal freigesetzt wird. Angesichts dieser gefährlichen Mängel sind neue Zulassungen nicht zu verantworten. Illegaler Gen-Mais in den USA vernichtet Im November 2002 beschlagnahmen US-Behörden 15.000 Tonnen Soja im Wert von rund 2,7 Mio US$, nachdem die Landwirtschaftsbehörde USDA eine Verunreinigung mit Gen-Mais festgestellt hat. Die texanische Firma Prodigene hatte 2001 auf einer kleinen Versuchsfläche im Staat Nebraska die Gewinnung pharmazeutischer Wirkstoffe mit Hilfe genmanipulierter Maispflanzen erprobt, sogenannter Pharmapflanzen. Die im Jahr 2002 angebaute Soja wurde dann durch auskeimenden GenMais verunreinigt und nach der Ernte mit weiteren Soja-Chargen (versehentlich/nachlässig) vermischt. Prodigene ignorierte die USDA-Auflagen zur Nachsorge auf den Versuchsflächen und muss jetzt mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Bereits im September musste Prodigene 62 Hektar Gen-Mais in Iowa vernichten, weil die unkontrollierte Ausbreitung drohte. Lebensmittelhersteller in den USA wehren sich gegen den Anbau der neuen Pharmapflanzen. Sie befürchten eine Verunreinigung ihrer Produkte. Sollte in diesem Fall tatsächlich die Verunreinigung verhindert worden sein, so heißt das nicht, dass dies nicht andernorts passiert.5 StarLink-Mais in den USA gerät in Nahrungsmittel Die Befürchtung, dass die Gentechnik bei großflächigem Anbau außer Kontrolle gerät, hat sich bereits vielfach bestätigt: In den USA mussten Lebensmittel in großem Umfang aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie möglicherweise Allergie auslösende Stoffe enthielten. Obwohl der genmanipulierte „StarLink“-Mais nur eine beschränkte Zulassung für Tierfutter hatte, wurde er in Nahrungsmitteln gefunden. Die Firma Aventis, heute eine Bayer-Tochter, wurde nur mit der Auflage zugelassen, den Mais nicht in die menschliche Nahrung gelangen zu lassen. Dies passierte trotz spezieller Sicherheitsmaßnahmen. Sogar Saatgut anderer Maissorten war verunreinigt. D.h. auch bei der Produktion von Saatgut breitete sich das „StarLink“-Gen unbemerkt aus. Aventis-Geschäftsführer John Wichtrich glaubt, das StarLink-Problem sei nie aus der Welt zu schaffen.6 Die Staatsgrenzen der USA waren keine Hürde für das bedenkliche Gen, es wurde sogar in Exportware für Asien gefunden. The Washington Post [Justin Gillis, 13. 11.2002]: „Soybeans Mixed With Altered Corn; Suspect Crop Stopped From Getting Into Food“, The Washington Post [Justin Gillis, 14. 11. 2002]: „Biotech Firm Mishandled Corn in Iowa“ 6 Geschäftsführer Wichtrich, Reuters, 18/03/2001 „I know you are wondering: Will there ever be an end to this? Unfortunately, ... the answer is „No“ -- there will never be an end as long as there is a zero tolerance for Cry9C in food.“ 5 Gen-Mais in Mexiko Besonders riskant ist die Ausbreitung von manipulierten Genen in den Ursprungsregionen unserer Kulturpflanzen, den „Zentren der Vielfalt“. Dort wächst die größte Sortenvielfalt mit zahlreichen verwandten Wildarten. Die Landwirtschaft braucht auch heute diese Vielfalt mit ihren genetischen „Reserven“, um deren Eigenschaften auf Kulturpflanzen zu übertragen. Mit den Zentren der Vielfalt ist daher auch die globale Ernährung bedroht. Daher muss es jeden alarmieren, dass in Mexiko, der Ursprungsregion des Maises, erhebliche Verunreinigung durch Gen-Mais festgestellt wurde. Obwohl in Mexiko seit 1998 keine genmanipulierten Maissorten mehr angebaut werden dürfen, fanden Wissenschaftler manipuliertes Erbgut in traditionellen Maissorten. Der verschmutzte „Criollo“-Mais wurde in abgelegenen Bergregionen von Oaxaca in Süd-Mexiko gefunden, 20 km entfernt von der nächsten Hauptstraße.7 Sind die Ursprungssorten mit den Gen-Saaten verseucht, lassen sich die fremden Gene nicht mehr zurückholen. Virusresistente Papayas auf Hawaii Auf Hawaii waren genmanipulierte Papayas mit einer Resistenz gegen eine dort weit verbreitete Viruskrankheit eingeführt worden. Inzwischen gibt es auf Hawaii kein konventionelles Saatgut mehr, das nicht mit dem Gen für die Virusresistenz verunreinigt ist. In diesem Fall war das Hauptproblem nicht die Auskreuzung in verwandte Wildarten, sondern die Verunreinigung und Ausbreitung über das Saatgut. Wegen dieser Erfahrung sprachen sich die Kaffee-Bauern in Hawaii gegen die Einführung von Gen-Sorten aus.8 Gen-Raps in Kanada breitet sich aus In Kanada werden genmanipulierte Pflanzen in großem Stil angebaut – mit fatalen Folgen: Den Farmern bereiten Rapspflanzen zunehmend Probleme. Die Pflanzen, herkömmlich oder manipuliert, „sammeln“ die neuen Eigenschaften, die sich durch Auskreuzung von Nachbarfeldern ausbreiten. Mit ihrer mehrfachen Resistenz überleben sie gängige Spritzmittel, die Farmer können sie kaum bekämpfen. Das Expertengremium der kanadischen Royal Society warnte daher: „In einigen Präriestaaten im Westen Kanadas entwickelt sich herbizid-resistenter wild wachsender Raps zu einem großen Unkrautproblem. Einige Wissenschaftler befürchten gar, dass sich wild wachsender Raps zu einem der bedeutendsten Unkrautprobleme Kanadas zuspitzen könnte.“9 Wissenschaftler des kanadischen Landwirtschaftsministeriums warnen zudem, dass Gen-Raps in dem Land mittlerweile so verbreitet ist, dass es schwierig ist, herkömmlichen oder Öko-Raps anzubauen, ohne dass dieser verunreinigt wird. Ökologische Farmer reichten daher eine Klage gegen die Hersteller des Gen-Saatguts Monsanto und Bayer/Aventis ein. Sie wollen eine Entschädigung dafür, dass ein Rapsanbau ohne Gentechnik-Verunreinigung unmöglich geworden ist. Das hat auch Folgen für die Verbraucher in Deutschland: Nach Untersuchungen von Greenpeace im Sommer 2002 wird hier Gen-belasteter kanadischer Honig verkauft: In den Marken Clover Crest von Breitsamer und Fürsten-Reform von Biophar wurden Pollen von Gen-Saaten nachgewiesen, die in der EU nicht zugelassen sind. Spanien und Bt-Mais Im spanischen Baskenland wird auf einigen tausend Hektar Öko-Mais angebaut. Bei Untersuchungen entdeckten ökologische Anbauverbände Spuren des Bt-176-Mais von Syngenta, der unter anderem 7 Quist, D. & I. H. Chapela 2001, Transgenic DNA introgressed into traditional maize landraces in Oaxaca, Mexico, Nature, Vol. 414, 29 November 2001, S. 541-542. “ 8 Danninger, Lyn, „Coffee growers urge delay of biotech crop – Kona farmers worry about unknown effects of genetic engineering“, Star-Bulletin, USA, July 17, 2002 9 Canadian Royal Society Expert Panel Report, 2001 Gene für eine Antibtiokaresistenz enthält. Landwirtschaftsorganisationen und Verbraucherverbände fordern deswegen in Spanien einen Stopp des Anbaus von Gen-Mais.10 Belgien stoppt Freisetzungen In Belgien wurden Gen-Raps-Versuchsfelder der Firma Aventis/Bayer vernichtet, weil die vorgeschriebenen Abstände zu Nachbarfeldern nicht eingehalten wurden. Die belgische Regierung schreibt wegen des besonders hohen Auskreuzungsrisikos Abstände von 1000 Metern zu herkömmlichem Raps vor. Wie nötig diese Maßnahme ist, belegt ein Gutachten der EU, das für Raps ein besonders hohes Auskreuzungsrisiko feststellt. Auch die Risiken für Mais, Zucker- und Futterrübe, Weizen, Kartoffeln und weiteren landwirtschaftlich genutzten Pflanzen wurden untersucht.11 Illegale Pflanzen in England Heikel ist die Lage in England, wo seit Jahren großflächig Freilandversuche durchgeführt werden. Der Bayer-Konzern musste zugeben, dass seine Saaten außer Kontrolle geraten waren: Illegale Rapssorten wurden an mindestens 14 Orten gepflanzt. Die Regierung wertet dies als ernsten Verstoß gegen gesetzliche Auflagen.12 Frankreich – Neue Studien über Gen-Ausbreitung Wissenschaftliche Untersuchungen in Frankreich zeigten erneut, dass das Ausbreitungsrisiko von Gen-Pflanzen derzeit unterschätzt wird: Es wurde nachgewiesen, dass genmanipulierte Zuckerrüben ihr Erbgut wesentlich öfter an verwandte Wildpflanzen weitergeben als bisher angenommen.13 Schon im Jahr 2001 kam es in Frankreich zu massiven Verunreinigungen von Saatgut mit Gen-Konstrukten. Illegaler Gen-Mais in Deutschland Das deutsche Bundessortenamt erlaubte 2002 erneut den begrenzten Verkauf von zehn GenMaissorten. 50 Tonnen wurden freigegeben. Wie viel davon tatsächlich auf den Acker kam, ist unklar. Unbekannt ist auch die Lage der Felder. Entgegen den ersten Aussagen des Sortenamtes waren die Konzerne nicht einmal bereit, den Gemeinden auf Nachfrage entsprechende Auskünfte zu geben. Greenpeace spürte einen Teil der Saaten auf Äckern in Hessen auf. Der Gen-Mais stellte sich als illegal heraus und wurde vernichtet. Der Bt-176 Mais darf in Deutschland nur zu Forschungszwecken angebaut werden. Syngenta betrachtete die Auflagen jedoch als „Formsache“, die Behörden leiteten daher ein Verfahren gegen den Konzern und den Landwirt ein. Erst nach langem Zögern erklärte sich Syngenta bereit, den Schaden des Landwirtes zu erstatten.14 Bereits im Jahr 2001 ging Greenpeace im niedersächsichen Helvesiek gegen illegal wachsende Maispflanzen vor. Die Pflanzen waren von Gen-Mais eines Freisetzungsversuchs verunreinigt worden. Der Versuch hatte mit einem lächerlichen Sicherheitsabstand von 16 Metern inmitten eines Maisfeldes stattgefunden, obwohl bekannt ist, dass Mais über 800 m weit auskreuzen kann. Der illegale Mais musste schließlich untergepflügt werden. Wissenschaft vor neuen Rätseln „Transgene pollution confirmed in the Navarra region of the Basque Country, Spain“ GENET, 15.05.2002, nach EHNE, Baskische Farmerorganisation, Spanien). 11 Genetically modified organisms (GMOs): The significance of gene flow through pollen transfer, K. Eastham & J. Sweet, 2002, http://reports.eea.eu.int/environmental_issue_report_2002_28/en 12 GENET, 16.08.2002, „UK ministers suspend GE crop trials“, nach The Independent, UK, Paul Kelbie & Marie Woolf 13 Desplanque et al., 2002: „Transgenic weed beets: possible, pobable, avoidable?“, Journal of Applied Ecology, 39, 561-571 14 Presseerklärung Syngenta Agro GmbH, 8.10.2002 10 „Je mehr wir über das Erbgut wissen, desto mehr Fragen tun sich auf“, so der Leiter des Human Genom-Projektes Eric Lander in „DIE ZEIT“. Die Erkenntnis kam mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, bei der man viel weniger Gene fand als erwartet. Erklärt wird dies damit, dass ein Gen nicht nur ein Protein codiert, wie es das zentrale Dogma der Gentechnologie lehrt. Im Gegenteil scheint ein Gen zahlreiche Proteine zu steuern. Zwischen Genen bestehen enge Wechselwirkungen. Entgegen der überschaubaren veralteten Vorstellung, man könnte mit der Verpflanzung eines Gens gezielt die Produktion eines bestimmten Proteins bewirken, muss man heute akzeptieren, dass die Forscher die Mechanismen nicht mal annähernd verstehen. Gentechnik ist daher eine nicht handhabbare Risikotechnik, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind. Dass diese Erkenntnis auch für die derzeit angebauten Gen-Pflanzen relevant ist, zeigen mehrere Studien. Unbekanntes Erbgut in Gen-Soja Fünf Jahre nach der ersten Einfuhr genmanipulierter Soja nach Europa entdeckten Wissenschaftler im Jahr 2001 unbekannte Abschnitte in deren Erbgut. Brisant ist diese Entdeckung, da die unbekannten Abschnitte möglicherweise die Bildung eines Eiweißes bewirken. Die Bedenken ließen sich bislang nicht ausräumen. Sollte es sich um ein für die Sojapflanze fremdes, Eiweiß handeln, müssten dringend die Funktion und mögliche Wirkungen beim Verzehr geklärt werden. Bei der „Sicherheitsprüfung“ der Gen-Soja, die vor der Freigabe als Nahrungsmittel für den Menschen erfolgte , waren die unbekannten Abschnitte nicht berücksichtigt worden.15 „Schockierend“ ist nach Ansicht der beteiligten Forscher eine Studie aus den USA: Sonnenblumen, die durch Genmanipulation ein Insektengift produzieren, lösen bei der Auskreuzung auf verwandte Wildformen überraschende Zusatzeffekte aus: Die Pflanzen mit der neuen Erbinformation produzierten nicht nur das Gift, sondern auch 50% mehr Samen. Die Forscher befürchten, dass so Unkräuter entstehen können, die sich wesentlich rascher ausbreiten und auch noch zusätzliche Überlebensvorteile haben, nämlich Gift gegen schädliche Insekten.16 Dass unbeabsichtigte Effekte bei Gen-Pflanzen die Regel sind, zeigen auch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen an Bt-Maispflanzen: Die gentechnische Manipulation führt nicht nur dazu, dass die Pflanzen ein Insektengift bilden, sondern bewirkt zudem einen wesentlich höheren Holzanteil (Lignin) in den Pflanzen.17 Auch bei Roundup-Ready-Soja, eine genmanipulierte Sojapflanze, die dem Pflanzenvernichtungsmittel Roundup widersteht, wurden Veränderungen des Ligningehaltes beobachtet. Dies gilt als Ursache dafür, dass bei größerer Hitze die Stängel der Roundup-Ready-Soja aufplatzen und zu Ernteverlusten führten.18 Warum das so ist und wie der Stoffwechsel hier ungewollt beeinflusst wird, entzieht sich dem Wissen der Gen-Forscher. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Fazit Der aktuelle Stand der Wissenschaft zeigt, dass Gene nicht nur für eine Funktion im System wie zum Beispiel das Wachstum verantwortlich sind, sondern für viele verschiedene Funktionen. Diese sind abhängig von anderen Genen und deren Funktionen. Die dadurch entstehenden Wechselwirkungen sind sehr komplex und der Wissenschaft weitgehend unbekannt. Manipuliert die Gen-Industrie ein Fisch-Gen in eine Tomate, kann keiner Risiken für Gesundheit und Umwelt ausschließen. Windels et al 2001: „Characterization of the Roundup Ready soybean insert“, Eur Food Res Technol, 213, 107112 16 GENET, 08.08.2002, „Genetically modified crops may pass helpful traits to weeds, study finds“ nach The Ohio State University, USA 17 Ökoinsitut-Newsletter, Saxena & Stotzky 2001 18 NewScientist, 20. November 1999 15 Ginge es nach dem Willen der Gentechnik-Industrie, wären genmanipulierte Nahrungsmittel längst die Regel und Gen-Pflanzen hätten sich bereits unkontrolliert in unsere Umwelt ausgebreitet. Dabei häufen sich in den letzten Jahren die Beispiele dafür, dass die Risikotechnologie Gefahren für unsere Gesundheit und Umwelt mit sich bringt. Und das, obwohl die Erforschung dieser Risiken viel zu kurz kommt. Die oben genannten Beispiele stehen dabei nur exemplarisch für eine lange Kette von Skandalen und Gefahren, die der Anbau von Gen-Pflanzen mit sich bringt. Damit der Verbraucher nicht zum Versuchskaninchen und die Natur nicht zu einem Versuchslabor wird, muss das Vorsorgeprinzip gelten: Gen-Pflanzen dürfen nicht in die Umwelt freigesetzt werden und Gentechnik hat nichts in unsere Lebensmitteln zu suchen. Uli Brendel, Medienwissenschaftlerin, ist seit 1997 bei Greenpeace aktiv und arbeitet zu den Themen Gentechnik und Landwirtschaft. Weitere Informationen unter www.greenpeace.de