Rezension: Barbara Petsch

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Katz: Mehr für die Bibel als für Karl Marx
VON BARBARA PETSCH
Interview. Mexikanist Friedrich Katz über seinen Vater Leo und die Opfer der Azteken.
Der Kommunist als Monarchist? "Mein Vater war kein Monarchist. Aber er empfand eine
große Nostalgie für die k. u. k. Monarchie, speziell im Hinblick darauf, was danach kam.
Mein Vater war ein großer Erzähler, ein Humorist. Er war fast mehr für die Bibel als für Karl
Marx." Sagt Friedrich Katz, derzeit in Wien, um das Buch seines Vaters Leo vorzustellen:
"Totenjäger", erschienen 1944, nun bei Rimbaud erstmals in Europa herausgekommen, spielt
während der NS-Zeit in der Bukowina, in Sereth, der Heimat von Leo Katz. Fact oder
Fiction?
"Mein Vater ist in dem Ort aufgewachsen. Während des Krieges war er aber natürlich nicht
dort. Insofern ist es Fiction. Das Buch handelt auch davon, dass es nicht immer klare Linien
zwischen Tätern und Opfern gab. Eine der Hauptfiguren ist ein Widerstandskämpfer
deutscher Abstammung", erzählt Friedrich Katz: "Mein Vater sollte Rabbiner werden. Wäre
er das geworden, wäre er wohl ermordet worden. Mit 15 Jahren erlebte er einen
Bauernaufstand auf der rumänischen Seite der Grenze. Er sah seinen toten Freund und
hunderte Bauern-Leichen. Da wurde er Sozialist. Sein Vater, der ein kleines Holzgeschäft in
Sereth hatte, wollte ihm nicht erlauben, die jüdische religiöse Schule zu verlassen. Also hat er
in Czernowitz die Externisten-Matura gemacht. 1914 kam er nach Wien." Nach dem Ersten
Weltkrieg wurde er Mitglied der KPÖ.
1930 begann für Leo Katz eine wahre Odyssee. Über Berlin nach Paris führte die Emigration
nach New York und Mexiko. 1949 kehrte er nach Wien zurück, wo er 1954 starb. Friedrich
Katz wurde in Wien geboren, wo er auch studierte. Die Emigration in Mexiko während seiner
Jugendzeit hat ihn geprägt. Er studierte Völkerkunde und Geschichte. Seit 1971 lehrt er
lateinamerikanische Geschichte an der Universität von Chicago. Er pendelt zwischen
Chicago, Wien und Mexiko: "Ich war 16, als der Aufstand im Warschauer Ghetto ausbrach
und uns allen bewusst wurde, was da wirklich passiert. 1942 erschien in Mexiko das Buch
,Der Naziterror in Europa'. Man wusste von der Massenvernichtung - Auschwitz, das wusste
man nicht. In Mexiko gab es viele Emigranten, unpolitische Juden, Sozialdemokraten,
Kommunisten, Schriftsteller. Es herrschte eine einmalige intellektuelle Atmosphäre. Es gab
einen Heinrich-Heine-Club und eine Jugendgruppe. Egon Erwin Kisch hat bei uns gelesen. Er
hat auch gezaubert. Er liebte Kinder. Sein Spanisch war nicht sehr gut. Trotzdem hat er eines
der besten Bücher über Mexiko verfasst, mit Reportagen. Er war es, der entdeckte, dass es
jüdische Indianer in Mexiko gibt, Nachkommen von Einwanderern aus dem 17. Jahrhundert.
Sie konnten nicht Hebräisch und sahen hundertprozentig aus wie Indianer."
Die Zeit in Mexiko, aber auch der Bruch zwischen Zivilisation und Barbarei hat Friedrich
Katz auf die Azteken gebracht: "Man denkt oft an die Menschenopfer, vergisst aber, dass
dahinter eine große Kultur stand. Tenochtitlán, der Vorgänger des heutigen Mexiko, war eine
Art Venedig, durchzogen von Kanälen mit vermutlich einer halben Million Einwohner. Die
Azteken hatten keine Metallwerkzeuge und keine Tragtiere und haben es trotzdem geschafft,
diese große Stadt aufzubauen. Sie hatten eine materiell und geistig fortgeschrittene Kultur, sie
pflegten ihre Kinder zärtlich. Aber sie glaubten, dass die Götter, die den Naturkräften
entsprachen, der Hauptgott war allerdings ein Kriegsgott, mit Menschenblut gefüttert werden
müssen. Sonst geht die Welt unter. Also opferten sie Kriegsgefangene und rissen ihnen die
Herzen heraus."
In Deutschland gibt es heute wieder eine hohe Arbeitslosigkeit, Demonstrationen,
Rechtsradikale. Zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie in den dreißiger Jahren? "Ich
glaube nicht, dass man die Kraft des Rechtsextremismus heute mit jener in den dreißiger
Jahren vergleichen kann. Auch die Wirtschaftskrise ist nicht so arg wie damals. Hitler konnte
auf vieles bauen, was vor ihm da war: Die Verrohung der Menschen durch den Ersten
Weltkrieg, den Antisemitismus in Deutschland und in Österreich. Die Demokratie war
unterentwickelt. Es hat nicht wie in Amerika eine siegreiche bürgerliche Revolution
stattgefunden, jene von 1848 ist gescheitert. Es herrschte Bürgerkrieg. Hitler hat der Jugend
Aufstiegsmöglichkeiten geboten. Auch wie sich die Nationalsozialisten präsentierten, lag in
der Zeit: Das Braunhemd war eine Kopie des Blauhemdes der Sozialdemokraten und
Kommunisten. Aus dem Gruß ,Rot Front' wurde ,Heil Hitler'."
Wie denkt Katz über das heutige Amerika? "Ich war und bin gegen den Irak-Krieg. Jetzt
besteht die Gefahr, dass dort ein zweiter schiitischer Staat entsteht, der mit dem Iran eine
Achse bildet. Die Amerikaner haben keine Möglichkeit den Iran zusammen zu schlagen. Da
müssten sie die allgemeine Wehrpflicht einführen. Sie haben immer mehr Probleme,
Berufssoldaten zu rekrutieren, weil die Gefahr getötet zu werden, gestiegen ist und viele
Leute nur wegen der sozialen Sicherheiten zum Militär gehen. Die Begeisterung für den Krieg
war nie groß in Amerika. Ich lebe gern dort, nur mit der jetzigen Politik bin ich nicht
einverstanden."
(Die Presse, Printausgabe, 11.4. 2005)
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