Das Wunder an der Oder Gelebte europäische Nachbarschaft in Geschichte und Gegenwart Eine Dokumentation von der Fachkonferenz der bpb im Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau Andrzej Stach 11. - 12.06.2010 Universität Breslau / Willy Brandt Zentrum (WBZ) EINLEITUNG Lothar G. Kopp und Andrzej Stach Nach der zweiten Runde der EU-Osterweiterung sowie der Ausweitung des Schengener Raumes auf Polen werden in der deutsch-polnischen Grenzregion bedeutende Wanderungsbewegungen in beide Richtungen beobachtet. Einerseits entdecken zahlreiche polnische Bürger die günstigen Wohnmöglichkeiten in den östlichen Grenzgebieten der Bundesrepublik. Auf der anderen Seite lassen sich auch immer mehr deutsche Bürger in Polen oft unweit der gemeinsamen Grenze nieder. Dabei gab es bis vor kurzem große Befürchtungen, die ehemaligen Bewohner der heutigen Westgebiete Polens würden in Scharen ihre ehemaligen Immobilien aufkaufen und die heutigen polnischen Bewohner vertreiben. Dies führte zu einigen Einschränkungen bei dem Erwerb von Immobilien in Polen durch Ausländer, die während der EU-Beitrittsverhandlungen durch Polen ausgehandelt wurden. Nichtsdestoweniger haben sich gar nicht wenige Deutsche noch in den 90er und vor allem seit Anfang des 21. Jahrhunderts in dem Nachbarland niedergelassen. Diese beiden Prozesse bleiben nicht ohne Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in den deutsch-polnischen Grenzregionen. Neben kleineren Ortschaften und Städten in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze spielen in diesem Zusammnhang auch größere Städte wie Berlin, Stettin oder Breslau eine zunehmend bedeutende Rolle. Mit dem polnischen EU-Beitritt entwickelt sich die deutsch-polnische Zusammenarbeit auch im wirtschaftlichen Bereich immer besser. Besonders zu spüren ist sie in den deutschpolnischen Grenzregionen. Ein Beispiel dafür ist Niederschlesien. Immer mehr deutsche Institutionen, Organisationen und Behörden kooperieren dort mit ihren polnischen Partnern. Auch sind immer mehr deutsche Firmen samt Mitarbeitern und Maschinen im Auftrag polnischer und ausländischer Investoren bereits seit Jahren in Niederschlesien tätig und profitieren von der boomenden Wirtschaft. Die aktuellen Tendenzen und Entwicklungen beiderseits der Oder und Neisse vor dem Hintergrund der gemeinsamen oftmals schwierigen deutsch-polnischen Geschichte vorzustellen, stand im Mittelpunkt der Fachkonferenz der bpb und des Willy-BrandtZentrums der Universität Breslau. Marek Zybura DIE ODER IN DER DEUTSCHEN UND POLNISCHEN KULTURGESCHICHTE Die Oder ist nach der Weichsel der zweitgrößte Fluss in Polen. Wo aber an der verkehrsregen Weichsel die Landeshauptstadt und mondäne Städte (etwa Krakau und Danzig) samt reichen historischen Landschaften liegen – was seine Entsprechung in Deutschland an den Ufern von Elbe, Rhein und Donau findet – scheinen sie (Breslau einmal ausgenommen) an der wenig befahrenen, stillen und etwas verschlafenen Oder zu fehlen. Es war aber der Zweite Weltkrieg, der in seinem Endergebnis den Fluss wirtschaftlich und kulturell marginalisierte, indem dieser zur deutsch-polnischen Grenze erklärt wurde – und als Grenze hat die Oder, streng genommen, nie fungiert. Die zwielichtige politische Publicity, die diese Grenze als die sog. „Oder-Neiße-Linie“ zugleich genoss, half der Oder eben sowenig nach 1945 aus dem Schatten des Interesses auf ihren beiden Seiten herauszutreten wie der Status der sog. „Friedensgrenze“, der ihr auch oktroyiert wurde. Die Geschichte der Flüsse lässt sich indes nie ausschließlich auf deren wirtschaftlichen Aspekt, geschweige denn (grenz)politische Brisanz reduzieren. Die Geschichte eines Flusses – wie die Oder nun mal einer ist – ist die Geschichte des Geistes (histoire de l’esprite – so seinerzeit Lucien Febvre über den Rhein1), der jahrhundertelang sein Einzugsgebiet (in unserem Fall die sog. Terra Oderana) mit Leben und Sinn, also mit Zivilisation und Kultur befruchtet. Selbstverständlich, organisiert ein Fluss mit den Zuflüssen sein Einzugsgebiet wirtschaftlich. Dabei spielt der Faktor Kommunikation/Verkehr (und Flüsse sind ja seit eh und je Verkehrswege) unter Umständen keine überragende Rolle. Die Wirtschaftsgeschichte der Oder liefert Beispiele dafür, dass Zollgebühren, Stapelrecht, Konkurrenz der Binnenhafenstädte Breslau, Frankfurt, Stettin ein Klima schufen, in dem es vorkommen konnte, dass die Kaufleute den Landwegen den Vorzug gaben. Ende des XV. Jahrhunderts ist z.B. Breslau in diesem Zusammenhang aus dem Kaufmannsverbund der Hanse ausgetreten. Weil Flüsse aber natürliche Wege sind, waren ihre Ufer seit Urzeiten bevorzugte Siedlungsräume. Die ersten kleinen Siedlungen expandierten mit der Zeit zu Städten, Verwaltungszentren, die wiederum das umliegende benachbarte Land organisierten, regierten – man denke an Oppeln, Breslau, Glogau bis hin zu Stettin. Im Hinblick auf dieses Phänomen ist das migrationsspezifische Bild der Terra Oderana von höchstem Interesse. Denn gerade in jener Epoche war das Odereinzugsgebiet im spektakulären Wandel begriffen. Es war vor allem Schauplatz reger und lange anhaltender Migrationsprozesse: große Menschenströme ergossen sich damals über dieses Gebiet – hauptsächlich über Niederschlesien – aus dem westlichen ins östliche Europa. Schon die frühen polnischen Herrscher hatten mannigfaltige Verbindungen zum kaiserlichen Deutschland geknüpft. Es ist sogar recht wahrscheinlich, dass der polnische Herrscher Mieszko I. von dem deutschen Bischof Michael von Regensburg getauft wurde. Über die Heirat (1013) von Mieszko II. Lambert, dem Sohn und königlichen Thronfolger von Bolesław dem Tapferen mit Richezza, der Enkelin von Kaiser Otto II. und Kaiserin Theophano stieg die polnische Dynastie zur aristokratischen Elite des damaligen christlichen Europas auf. Diese Beziehung potenzierte die Zuwanderung der deutschen Geistlichkeit nach Polen, vor allem aus den rheinisch-lothringischen Gebieten. Die Kontakte, die man geknüpft hatte, erwiesen sich als überaus nützlich, als der Sohn der beiden, Kasimir I. der Erneuerer, und ihr Enkel Boleslaw der Mutige (pol. Śmiały) den polnischen Staats- und Kirchenapparat nach der Zeit der sogenannten destructio Poloniae (der heidnische Reaktion im 11. Jh.) wieder herstellten. Der Kölner Erzbischof Hermann II., Onkel von Kasimir dem Erneuerer, unterstützte das Werk, indem er Mönche und Priester, vor allem Benediktiner, nach Polen schickte. Der aus dem Rheinland stammende Benediktinermönch Aaron, die rechte Hand Kasimirs in kirchlichen Angelegenheiten, symbolisiert die lebhaften Kontakte zwischen Polen und dem lothringischen Gebiet in dieser Epoche, denn von dort kamen mit den Benediktinern auch die Kirchenarchitektur, die lothringische Klosterreform sowie die dortigen kulturellen Traditionen. Die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert leitete eine auch in qualitativer Hinsicht neue Periode der deutschen Immigration im Odereinzugsgebiet ein, der nicht mehr politische Eliten 1 S. 216. Lucien Febvre: Der Rhein und Seine Geschichte, Frankfurt/M. 1994 (Neudruck der Ausgabe von 1935), und Geistlichkeit das Antlitz gaben. Es war der Beginn einer umfangreichen Ansiedlung von deutschen Bergleuten, Handwerkern, Bauern, Kaufleuten auf dem Lande und in den Städten. Die Ankömmlinge gründeten Siedlungen rund um die Handelsplätze, die sich häufig zu Städten entwickelten. Sie brachten ihre eigene Rechtskultur mit, die von den Privilegien, die sie von den Herrschern und Grundherren erhielten, überlagert wurde. Da die Mehrheit der neuen Siedler in Schlesien Deutsche waren, wurde gerade dort das Ansiedlungsrecht zum ersten Mal in Polen als das „Deutsche Recht“ bezeichnet. Diese Maßnahmen mit dem Etikett der deutschen politischen Expansion oder der Wegbereitung für die deutsche militärische Aggression zu versehen, ist eine Verfälschung der historischen Verhältnisse dieser Zeit im Namen nationalistischer Ideologien des 19. Jahrhunderts. Die Zugezogenen lebten sich schnell in ihrer neuen Heimat ein und wurden loyale Mitglieder des dortigen Gemeinwesens. Prozesse, für die hier stichwortartig piastisch-ottonische Freundschaft, rheinisch-lothringische Architektur- und Kircheneinflüsse, städtische Rechtskultur stehen, gehören zum gemeinsamen, sehr vielfältigen Erbe des polnisch-deutschen Wunders an der Oder im Mittelalter, das Kooperation ohne nationale Scheuklappen hieß. An dieses Erbe wird erst in unseren Tagen wieder angeknüpft. Dazwischen liegen sechs Jahrhunderte, eine Zeit, in der die Terra Oderana außerhalb der Grenzen des polnischen Staatsverbands lag. Diese Zeit bereicherte die deutsche Kultur in diesem Raum etwa um die sog. Schlesische Dichterschule oder um den sog. Kaiserlich (habsburgisch)-katholischen Barock. Auf der anderen Seite expandierte Polen territorial, politisch und kulturell immer ostwärts. Diese jahrhundertelange Entwicklung schwächte naturgemäß das Andenken an die mittelalterliche Wiege des Staates im Westen und band die nachfolgenden Generationen von Polen auch emotional immer stärker an die sich gen Osten verschiebenden polnischen Macht- und Kulturzentren. Die Oder ist damals in Deutschland noch ein Fluss ohne besonderen symbolischen Gehalt, der Name ist noch nicht politisch geladen. Anders ist es darum in Polen bestellt. Infolge der Teilungen Polens, an denen Preußen maßgeblich beteiligt waren, regen sich in Polen antideutschen Stimmungen, es keimt der polnische Westgedanke, d.h. die Reflexion darüber, wie man wieder in dem neu zu erstehenden Polen in den Besitz der Gebiete kommen könnte, die früher Bestandteile des polnischen Staates im Westen gewesen waren. Hugo Kollataj – Politiker, Geschichtsschreiber – postuliert 1808 die polnische Rückkehr an die Oder mit dem Argument, dass es ein Fluss ist, der eine natürliche Grenze zwischen dem deutschen und polnischen Element bildet. Daran knüpften später im 19. Jahrhundert General Ignacy Pradzynski und Historiker Joachim Lelewel an. Um die Wende des 19./20. Jahrhunderts wird dieser Gedanke der polnischen Rückkehr an die Oder in der Ideologie der Nationalen Demokratie Teil eines umfassenden politischen Konzepts, der sog. Piastischen Idee. Den Historikern, Politikern eilen Schriftsteller nach. Die Oder hat sich zwar in der polnischen literarischen Hydrographie keinen vergleichbaren Rang erworben wie etwa die Weichsel, aber sie hat eindeutig in die polnische Literatur des 19. Jahrhunderts als polnischer „Hausfluss“ gefunden. Obwohl die Oder heute – wie es in einem Gedicht von Bogusz Steczynski aus dem Jahre 1851 heißt – „uns entrissene Lande durchstreift, obwohl sie heute der germanisierte Preuße bewirtschaftet, nichtsdestotrotz bleibt sie unsere slawische Tochter. Sie kommt doch bei uns, bei unseren slawischen Brüdern, den Mähren zur Welt“.2 Steczynski spricht vom „germanisierten Preußen“, Wincenty Pol dagegen (direkter Nachfahre einer deutschen Familie) bedauert in derselben Zeit die Oder, dass sie nach dem Abfall Schlesiens vom katholischen Polen nun „den sündigen Glauben“ (Protestantismus – M.Z.) bespülen muss.3 Die polnische romantische Literatur identifiziert das Vaterland durch den Hinweis auf „Hausflüsse, wie sie dort genannt werden, darunter auf die Oder. Wincenty Pol betonte in seinem berühmten Poem „Lied von unserer Erde“, dass die Kenntnis der heimatlichen Flüsse genauso wichtig ist, wie die Kenntnis der heimatlichen Erde: Und kennst du mein junger Bruder Deine Lande, deine Flüsse? Wodurch sie berühmt sind, Wohin sie fließen? 4 Aber – um es noch einmal zu betonen – die polnische Oder-Literatur war im 19. Jahrhundert eher karg als blühend, auch wenn die vorhandenen Zeugnisse manchmal sehr expressiv und hurrapatriotisch sind, was aus dem politischem Kalkül resultierte. Die Politik machte vor der Oder auch in Deutschland nicht halt. Im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der „deutsche Osten“ zum ideologischen Kampfbegriff, die Oder zu seinem Symbol. Der Fluss avancierte nun zum „deutschen Strom“ bzw. zum „Strom des deutschen Ostens“, zur Bastion des Deutschtums gegenüber der „polnischen Bedrohung“. Es geschah dies im Rahmen der sog. „deutschen Ostforschung“, dessen wissenschaftliches und politisches Profil 1925 der Geograph Albrecht Penck auf den Punkt brachte: „Wo deutsches Volk siedelt, ist deutscher Volksboden, da hört man deutsche Sprache und sieht man deutsche Arbeit. (…) Der deutsche Volksboden wird von einem eigenartigen deutschen Kulturbogen begleitet, der sich von dem benachbarter Kulturgebiete unterscheidet. (…) Dieser deutsche Kulturboden greift im Osten fast allenthalben über den deutschen Volksboden hinaus und bildet außerhalb desselben den Gürtel eines Landes, in dem die deutsche Bevölkerung gegenüber der deutschsprachigen zurücktritt, wo sie aber dem Lande den Kulturcharakter aufdrückt oder aufgedrückt hat“.5 Nach 1945 hörte der Fluss der deutschen auf die Oder bezogenen Publikationen auf – und just zu diesem Zeitpunkt, als das deutsche Interesse für die Oder notgedrungenermassen zu versiegen begann , fing ihre Polonisierung an: bereits 1948 erschien die erste bedeutende polnische Monographie des Flusses, „Monografia Odry. Studium zbiorów“ (Posen). Heute erleben wir, dass die ‚deutsche‘ und die ‚polnische‘ Oder zusammenwachsen und – was schwerer wiegt – aus der nationalen (sei es der deutschen oder polnischen) in die gemeinsame große europäische Strömung einmünden. Von dieser Perspektive aus wird zunehmend deutlicher, dass die Terra Oderana kein spezifisch deutscher oder polnischer nationaler Raum 2 Zit. nach der Ausgabe: Slask. Podroz malownicza w 21 piesniach, Wrocław 1949, S. 157. 3 Zit. nach der Ausgabe: Wybor poezji, Wroclaw 1963, S. 91. 4 Ebda, S. 168. 5 Zit. nach Uwe Rada: Die Oder. Lebenslauf eines Flusses, Berlin 2005, S. 128. war und ist, sondern eine multinationale Kulturlandschaft6, die sich unter dem vielfältigen Einfluss verschiedener ‚kapitaler‘ Kulturzentren von Wien über Prag, Berlin bis Stockholm formierte und jetzt wieder formiert. Uwe Rada, der verdienstvolle Oder-Monograph, nennt dieses Phänomen „die andere, die kollektive Seite dieses europäischen Flusses“: „die Oder als Erinnerungsort für Deutsche, Polen und Tschechen. Auch hier haben sich Netzwerke gebildet, arbeiten deutsche und polnische Historiker und Bürgerinitiativen zusammen an einer Odergeschichte, die nicht mehr ideologisch determiniert ist, sondern konkrete Spurensuche, die nicht mehr trennt, sondern die verschiedenen Stimmen zusammenfügt zu einer kollektiven Erzählung des >wachsenden und immer wieder zerstörten Zusammenhangs< (K. Schlögel)“.7 Die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen im Nachbarschaftsvertrag von 1991, der polnische Beitritt zur NATO und zur EU sowie schließlich die darauffolgende Einbindung Polens ins Schengen-System hatten zur Folge, dass die Oder das ihr anhaftende Odium einer hindernden Grenze zwischen Deutschland und Polen endlich verloren hat. Krzysztof Ruchniewicz DIE ODER ALS „FRIEDENSGRENZE“ ZWISCHEN DER VRP UND DER DDR UND ALS EU-BINNENFLUSS ZWISCHEN DER REPUBLIK POLEN UND DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Während eines meiner letzten Aufenthalte in Zgorzelec hatte ich Gelegenheit gehabt, einen Vortrag für die Schüler in einem der Prestigebäude der Stadt, dem Städtischen Kulturhaus zu halten. Ich beschloss, etwas früher nach Zgorzelec zu kommen und meinen Vortragsort näher zu erkunden. Das Gebäude macht, sogar nach Jahren, immer noch einen großen Eindruck. In der Vergangenheit war es Zeuge von unterschiedlichen wichtigen Ereignissen. Darin haben am 6. Juli 1950 die Premierminister Polens und der DDR, Josef Cyrankiewicz und Otto Grotewohl das Abkommen über die Markierung der deutsch-polnischen Staatsgrenze an Oder und Neiße, auch Görlitzer Abkommen genannt, feierlich unterzeichnet. Über dieses Ereignis informierte eine große Gedenktafel, die an zentraler Stelle des Städtischen Kulturhauses, an der Frontfassade, angebracht worden war. Leider konnte ich diese Gedenktafel nicht mehr ausfindig machen. An dieser Stelle war nur ein schwarzer Viereck an der Wand zu sehen. Anfänglich dachte ich, dass die Stadtväter diese Tafel renovieren lassen. Dann kam mir in den Sinn, dass sie sich von diesem Relikt der vergangenen Epoche lösen wollten. Allerdings war, wie sich später herausstellte, der Grund des Verschwindens ganz simpel. Die Gedenktafel wurde zusammen mit anderen Kunstgegenständen vor einiger Zeit aus dem Städtischen Kulturhaus gestohlen und jede Spur von ihnen verschwand. Während eines Gesprächs darüber hatte ich nicht den Eindruck, dass meine Gesprächspartner aus diesem Grund trauriger und diesen Vorfall bedauern würden. Diese Gedenktafel, die einen der wichtigsten juristischen Akte nach 1945 symbolisiert, ist nicht nur ein wichtiger Erinnerungsort in der Stadtgeschichte, sondern auch in den deutsch-polnischen Beziehungen. Womit kann man den Mangel des Interesses an dem Verbleib dieser Tafel und ihrer Rückkehr an die ursprüngliche Stelle erklären? Warum hat man an ihrer Stelle weder ein Duplikat erstellen noch eine kurze 6 Vgl. Bernhard Müller u. Stanislaw Horoszko (Hgg.): Die Oder als Kulturlandschaft. Über Geschichte und Alltag in der deutsch-polnischen Grenzregion / Odra jako krajobraz kulturowy. Historia i codzienność na polskoniemieckim pograniczu. Berlin – Szczecin 2005. 7 Ebda, S. 213. Information anbringen lassen? Hat man den Ort der Unterzeichnung des Görlitzer Abkommens in die Rumpelkammer der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen geschafft und er spielt keine Rolle mehr? Es fällt schon auf, dass 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Grenzvertrages zwischen Polen und dem vereinigten Deutschland, der ein konfliktreiches Problem in den bilateralen deutschpolnischen Beziehungen nach 1945 endgültig abgeschlossen hatte, sich keiner für die Frage der Grenze interessiert, sie keine großen Emotionen hervorruft. Vielleicht zeigten nicht nur ein größerer Zeitabstand, sondern auch die Ereignisse der letzten 20 Jahre, dass die Frage des Verlaufs der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße ein typisch politisches Thema war, ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen der beteiligten Konfliktpartner: Polens, der DDR, der Bundesrepublik und der UdSSR. Zweifelsohne verlor die deutschpolnische Grenze entlang dieser Flüsse jegliche Bedeutung, die sie noch vor Jahren hatte. Der Fall der DDR, die Vereinigung Deutschlands, die Aufnahme der gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik, der Beitritt Polens zur EU und das Inkrafttreten des Schengener Abkommens beseitigten alle Erschwernisse an der deutschpolnischen Grenze. Aus einer faktischen deutsch-polnischen Grenze wurden beide Flüsse zu Binnenflüssen von Polen und Deutschland, deren intensive Grenzzusammenarbeit und gemeinsame Mitgliedschaft in der EU verbindet. Das heißt längst nicht, dass alle Probleme des deutsch-polnischen Grenzraumes dadurch gelöst worden sind. Die Aufhebung der Grenzen schuf neue Probleme, mit denen die Polen und die Deutschen kämpfen müssen (Mangel an Arbeitskräften, Bevölkerungsrückgang in den deutschen Grenzgemeinden, grenzüberschreitende Kriminalität udgl.). In den politischen deutsch-polnischen Beziehungen spielt die Grenze an Oder und Neiße keine Rolle mehr. Im weiteren Teil meines Textes konzentriere ich mich auf der Frage der deutsch-polnischen Grenze vor 1990. Wie kam es zur Festlegung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße? Welche Bedeutung hatte die Unterzeichung des Görlitzer Abkommens über die Markierung der deutsch-polnischen Staatsgrenze als einer Friedengrenze? Trug sie zur Annäherung zwischen den beiden Staaten bei? Welches Verhältnis zur Grenzziehung hatte der zweite deutsche Staat, die Bundesrepublik? Welche Maßnahmen wurde unternommen, um diesen deutsch-polnischen Grenzkonflikt zu lösen? Die Festlegung der Außengrenzen für das besiegte Deutschland nach der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 lag im Kompetenzbereich der Siegermächte. Eine Veränderung der deutschen Ostgrenze wurde in den Beschlüssen der Großen Drei in Jalta angekündigt, ohne jedoch den polnischen Territorialgewinn genau zu definieren. Noch im Juni 1945 wurde in den Dokumenten zur Besetzung Deutschlands die Wendung „Deutschland in den Grenzen vom 31.12.1937“ benutzt. Diese Sprachregelung sollte den Anschluss Österreichs sowie von Teilen der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich in den Jahren 1938/39 als rechtswidrig zum Ausdruck bringen. Nach der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 verkündete Bonn, dass diese Formel auch den Willen zur territorialen Integrität Deutschlands nach 1945 wiedergebe. Sie wurde als ein Argument für die Ablehnung der neuen deutsch-polnischen Grenze angeführt. Die territorialen Erwerbungen Polens legte das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 fest, in dem Iosif Stalin eine für Warschau äußerst vorteilhafte Lösung durchgesetzt hatte. Denn alle Gebiete östlich der Flüsse Oder und Lausitzer Neiße sowie die ehemalige Freie Stadt Danzig und der südliche Teil Ostpreußens sollten „unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden“. Diese Gebiete wurden aufgrund sowjetisch-polnischer Vereinbarungen von den dort errichteten polnischen Organen verwaltet. Die Alliierten bekräftigten „ihre Auffassung, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll.“ Gleichzeitig erkannten die Siegermächte in Potsdam jedoch an, dass „die Umsiedlung deutscher Bevölkerung oder von Bestandteilen derselben aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn, nach Deutschland durchgeführt werden muss“. Dieser Beschluss zeigte, dass diese Gebiete dauerhaft in die Kontrolle Warschaus übergehen sollten. Trotzdem hat die Formel „unter Verwaltung des polnischen Staates“ Anlass für einen künftigen Streit um die internationale Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze gegeben. Der Zerfall der Kriegskoalition und der sich verschärfende Konflikt zwischen der UdSSR und ihren ehemaligen westlichen Alliierten führten letztlich zu einer dauerhaften Teilung des Besatzungsgebietes in zwei deutsche Staaten und zu ihrer Anbindung an zwei entgegengesetzte politisch-militärische Blöcke. Der Koalitionsbruch verursachte zugleich, dass die Frage der deutschen Grenzen, die endgültig in einem Friedensvertrag bestätigt werden sollten, aufgrund des Ausbleibens desselben im Sinne einer durch die internationale Meinung allgemein anerkannten Form ungeregelt blieb. Die Grenzfrage wurde zum Gegenstand internationaler Kontroversen und zu einem Faktor, der Nachkriegspolen von der UdSSR abhängig machte. Die Unterstützung der östlichen Weltmacht garantierte nämlich den Bestand der neuen territorialen Ausformung Polens im Westen. Angesichts des Verlustes seiner ehemaligen Ostgebiete, das heißt fast der Hälfte seines Vorkriegsterritoriums, zugunsten der Sowjetrepubliken Litauen, Weißrussland und Ukraine hatte der Erhalt der neuen westlichen und nördlichen Gebiete grundsätzliche Bedeutung für das Funktionieren des Nachkriegspolens als einer lebensfähigen gesellschaftlichen und staatlichen Einheit. Die Übernahme der ehemaligen deutschen Ostprovinzen durch Polen und die Entfernung der deutschen Bevölkerung von dort, die in Deutschland als widerrechtlich oder willkürlich wahrgenommen wurden, schufen ein Konfliktpotential, das die deutsch-polnischen Beziehungen über Jahrzehnte schwer belastete. In den Augen der Polen handelte es sich um eine Tat der historischen Gerechtigkeit, als eine Form der Kompensation für die enormen materiellen und menschlichen Verluste, die das Land während der Besatzung durch das Dritte Reich erlitten hatte. Die Inbesitznahme der Gebiete bis zu Oder und Lausitzer Neiße wurde – was besonders betonenswert scheint – nicht nur von den Kommunisten, sondern auch der politischen Opposition und der katholischen Kirche unterstützt, die eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben im Polen der Nachkriegszeit spielte. Die Bemühungen um eine internationale Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Polens Westgrenze bildete eine wesentliche Aufgabe der polnischen Außenpolitik in der Nachkriegszeit. Die ideologische Gemeinschaft und die Zugehörigkeit zum kommunistischen Lager bewirkten, dass es die sozialistischen Staaten waren, die als erste die polnischen territorialen Erwerbungen anerkannten. Die 1949 gegründete DDR erkannte ihre Grenze mit Polen ebenfalls als deutsch-polnische Grenze an (Görlitzer Abkommen vom 6. Juli 1950). Die Unterzeichnung dieses Abkommens ging nicht ohne Moskauer Druck auf die DDR vonstatten. Dabei muss daran erinnert werden, dass trotz der nach außen hin deklarierten allgemeinen Unterstützung des Görlitzer Abkommens sowohl die Regierungsspitze der DDR als auch die SED und die gesamte Gesellschaft die polnisch-deutsche Grenze an Oder und Neiße lange Zeit nicht akzeptieren konnten. Zwar hatte man ihr aus taktischen Gründen zugestimmt, wollte jedoch angesichts der fehlenden Zustimmung der Westmächte und der Bundesrepublik zu diesem Grenzverlauf noch einen Trumpf im Ärmel behalten, dessen man sich unter günstigen Bedingungen bedienen konnte (die Ereignisse in den Jahren 1956/57 und 1969/70 sollten das zeigen). Der Verlust ihres Grund und Bodens östlich von Oder und Neiße, den das Görlitzer Abkommen bestätigte, rief bei Millionen DDR-Bürgern Widerspruch und Unzufriedenheit hervor. Jahre später brachte Peter Florin, ein hoher Beamter im Außenministerium der DDR und einer der Urheber des Görlitzer Abkommens, dies folgendermaßen auf den Punkt: „Nicht alle DDR-Bürger begrüßten das Görlitzer Abkommen mit Freude. Doch die in der DDR herrschenden politischen Kräfte trafen die Entscheidung, dieses Abkommen zu unterzeichnen. Seine Unterzeichnung zu diesem Zeitpunkt erforderte Mut.“ In der Folgezeit wurden öffentliche Bekundungen von Unzufriedenheit über die Unterzeichnung des Görlitzer Abkommens unter Strafe gestellt, wobei auch in diesem Fall Ausnahmen existierten, insbesondere in Krisensituationen in der DDR oder den polnischdeutschen Beziehungen. Beispielsweise verlangten während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 Demonstranten in Görlitz eine Revision der Oder-Neiße-Grenze. Ähnliche Losungen tauchten auch in anderen Städten auf. Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zur Unterzeichnung des Abkommens wurde erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges den aus Zgorzelec – dem nun zu Polen gehörenden, östlich der Neiße gelegenen Teil von Görlitz – ausgesiedelten Deutschen Gelegenheit gegeben, die Stadt zu besuchen. „Mein Onkel“, erinnerte sich Wolfhard Besser, 1950 ein Junge von 12 Jahren, „durfte die Straßen und Plätze sehen, wo ich geboren worden war und die ersten Jahre meiner Kindheit verbracht hatte. Alle Teilnehmer des Festaktes – viele Polen und Tausende ausgewählter Deutscher aus der jungen DDR, meist Einwohner von Görlitz, aber auch von anderen Städten in Sachsen und Brandenburg, durften auf die andere Seite der geteilten Stadt fahren.“ Als Dank für ihr zahlreiches Erscheinen erhielten die ältesten deutschen Teilnehmer nach Beendigung des Festaktes je zwei große Lebensmittelpakete. Trotz dieser pompösen Feierlichkeiten war die Oder-Neiße-Grenze während der folgenden Jahre eine der bestgesicherten Grenzen, die nur wenige Personen überschreiten durften. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass diese Grenze, die nun im Frieden zwei seit langer Zeit verfeindete Völker verbinden sollte, sie stattdessen noch mehr voneinander trennte. Und dies geschah trotz einer breit angelegten Propagandaaktion. An ihr beteiligte sich auch die Deutsch-Polnische Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft, deren Mitglieder massenweise an dem Görlitzer Festakt teilnahmen. Neben der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war dies die einzige nationale Gesellschaft, die in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR (sie wurde bereits 1948 unter dem Namen „Helmut-von-Gerlach-Gesellschaft für kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen mit dem Neuen Polen“ gegründet) existierte. Das zeigt, welches Gewicht die SED-Führung in dieser Phase auf die deutsch-polnischen Beziehungen legte. Die Gesellschaft erfüllte auch die Funktion eines Sicherheitsventils für die DDR-Behörden, engagierten sich doch in ihr unter anderem auch Vertriebene aus dem Osten, die zu dieser Zeit für die Innenpolitik der DDR ein ernsthaftes Problem darstellten. Sie waren meistens von dem Wunsch getrieben zu erfahren, wie die Situation „auf der anderen Seite“ aussah und wie mit den an Polen angeschlossenen Gebieten umgegangen wurde. Ihre Teilnahme an den Aktivitäten der Gesellschaft erlaubte es den Behörden, ihre Interessen und Aktivitäten zu kontrollieren. Die Gesellschaft selbst konnte sich vieler Leistungen auf dem Gebiet der Propaganda rühmen. Ihre Sektionen entstanden in Fabriken und Arbeitsbetrieben. Es wurden Kulturveranstaltungen organisiert und Publikationen herausgegeben. In dem Monatsblatt „Blick nach Polen“ wurden nicht nur Artikel über Polen, seinen Wiederaufbau und sonstige Errungenschaften gedruckt, sondern auch Einblicke in die polnische Literatur gegeben. Die Gesellschaft bemühte sich, Informationen über das neue kommunistische Polen und seine Kultur zu verbreiten, welche im Bewusstsein des durchschnittlichen DDR-Bürgers nur in geringem Maße präsent waren. Obwohl diese Organisation von den Behörden stark unterstützt worden war, wurde sie schließlich zur Jahreswende 1952/53 trotz zahlreicher Protestschreiben des polnischen diplomatischen Vertreters in Ost-Berlin kurzerhand aufgelöst. Der Grund für die Auflösung dieser Gesellschaft war zweifellos der „beschleunigte Aufbau des Sozialismus“, der in der DDR 1952 proklamiert wurde. Der zweite deutsche Staat, die Bundesrepublik, sprach Ost-Berlin das Recht ab, Entscheidungen über den Grenzverlauf Deutschlands zu treffen. Bonn beanspruchte, alleiniger Vertreter des deutschen Volkes zu sein und lehnte politische Verträge mit der DDR und mit anderen die DDR anerkennenden Staaten ab (außer mit der UdSSR ab 1955). So bedeutete auch für die polnische kommunistische Regierung das Görlitzer Abkommen nicht die endgültige Grenzanerkennung, und dies um so mehr, als die Frage nach der Akzeptanz der polnischen Westgrenze mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik verknüpft war. Trotz einiger inoffizieller Verhandlungsversuche in den 1950er und 1960er Jahren blieb diese Angelegenheit bis Ende der 1960er Jahre ungelöst. Erst die gesellschaftlich-politischen Veränderungen in der Bundesrepublik sowie die Übernahme der Regierung durch die von Willy Brandt geführte sozialliberale Koalition verliehen den Gesprächen mit Polen neue Impulse und brachten den Durchbruch. Für Warschau war eine der wichtigsten Fragen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik. Gomułka war in dieser Zeit beunruhigt durch Gespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik, in deren Verlauf sogar der Gedanke auftauchte, einen neuen Vertrag über die deutsch-polnische Grenze abzuschließen. Dieses Problem ist in der Forschung eher wenig bekannt. In den letzten Jahren hat Mieczysław Tomala jedoch einiges darüber veröffentlicht. Der bei einem Treffen zwischen Gomułka und dem DDR-Botschafter in Warschau Rudolf Rossmeisl anwesende Tomala erinnert sich: „Der damals von Ulbricht angekündigte Entwurf des Vertrages über die gleichberechtigten Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik wurde Polen (...) am 18. Dezember 1969 vorgestellt. [Nachdem der Botschafter das erwähnte Dokument Gomułka übergeben hatte, entwickelte sich ein kurzes Gespräch. Dann wurde der Gast zum Ausgang geleitet.] Gomułka begann das Dokument zu studieren und geriet an einer bestimmten Stelle in Wut. Im Text des Entwurfs dieses Dokumentes war ein Passus enthalten, nach dem beide Seiten die Grenze an Oder und Lausitzer Neiße anerkennen würden, und weiter hieß es, dass dieser Vertrag für eine Dauer von [nur!] zehn Jahren geschlossen werde. Das heißt, dass nach zehn Jahren möglicherweise auch die Zustimmung zu dieser Grenze nicht mehr gelten werde. Aber wie man weiß, sind Verträge über die Anerkennung von Grenzen im Allgemeinen unbefristet.“ Einen solchen Wortlaut des Vertrages lehnte die polnische Seite kategorisch ab. Anscheinend war dies einer der letzten Versuche der DDR, die Frage der polnischen Westgrenze im Zusammenhang mit den Beziehungen zur Bundesrepublik und zu Polen für ihre eigenen politischen Ziele zu benutzen. Gomułka ließ eine diplomatische Note vorbereiten, in der dem eindeutigen Standpunkt der polnischen Seite in der Frage der Oder-Neiße-Grenze Ausdruck verliehen wurde. „Gegenstand der besonderen Sorge der polnischen Regierung“, so kann man in dem erwähnten Entwurf der Note vom 13. März 1970 lesen, „ist die zehnjährige Geltungsdauer des Vertrages (Artikel IX) im Zusammenhang mit dem Artikel II des Entwurfs, der feststellt, dass die Vertragspartner die Grenzen anerkennen, die im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstanden sind und dabei unter anderem die Oder-Neiße-Grenze aufführt. Die Anerkennung von Staatsgrenzen hat von ihrem Wesen her sowie im Einklang mit internationalem Recht und internationaler Praxis immer dauerhaften Charakter und kann daher von keiner Frist begrenzt werden. Bekanntermaßen wurde im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die Westgrenze Polens an Oder und Neiße endgültig festgelegt. Auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens wurde dann zwischen der Republik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik am 6. Juli 1950 das Görlitzer Abkommen ‘über die Markierung der festgelegten und bestehenden Staatsgrenze’ geschlossen. Aus denselben Beschlüssen des Potsdamer Abkommens geht auch hervor, dass der zweite deutsche Staat, der aus den Trümmern des besiegten Deutschen Reiches entstanden ist, die Deutsche Bundesrepublik, verpflichtet ist, die Oder-Neiße-Grenze als endgültige und unverletzliche westliche Staatsgrenze Polens anzuerkennen.“ „Angesichts dessen“, wurde in der Note festgestellt, „stünde die vorgeschlagene Formulierung des Artikels II, die sich auf die polnische Grenze an Oder und Neiße bezieht und die im Entwurf eines Vertrages enthalten ist, der zehn Jahre gültig sein soll, im Widerspruch zu dem endgültigen Charakter der Regelung der Westgrenze Polens nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens und des Görlitzer Abkommens. Die Regierung Polens ersucht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik darum, die Oder-Neiße-Grenze zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR in dem Vertragsentwurf in keinem Zusammenhang zu erwähnen.“ Die Unterzeichung des Vertrages zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland in Warschau am 7. Dezember 1970 beendete diese Spekulationen, gleichzeitig öffnete sie den Weg zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem zweiten deutschen Staat, der Bundesrepublik. In diesem Vertrag akzeptierte Bonn die Grenze an Oder und Neiße als „die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen“ (ihre endgültige Festlegung sollte – in Übereinstimmung mit der westdeutschen Rechtsdoktrin – nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages folgen). Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen erfolgte jedoch erst 1972, und zwar, da sich die Ratifikation des Vertrages durch den deutschen Bundestag verzögert hatte. Ursache hierfür waren gerade Einwände die Grenze betreffend, die im Beschluss des Bundestages vom 17. Mai 1972 zum Ausdruck kamen. Die Unterzeichnung des Normalisierungsvertrages zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland sowie die Intensivierung der Beziehungen mit diesem Land zwangen der DDR bestimmte Konzessionen ab. In Polen und der DDR änderte sich auch das politische Klima. Anfang der siebziger Jahre wurden die beiden antagonistisch zueinander eingestellten Politiker, Gomulka und Ulbricht, entmachtet. Sie wurden durch die viel jüngeren und nicht von der stalinistischen Vergangenheit belasteten Edward Gierek und Erich Honecker ersetzt. Ein deutliches Anzeichen der neuen Zeit war die Öffnung der Grenze zwischen Polen und der DDR im Januar 1972. In den folgenden Jahren kam es zu einem massenweisen Austausch, bei dem insgesamt 100 Mio. Grenzübertritte regiestriert wurden. Zum ersten Mal seit 1945 konnten die aus dem ehemaligen Ostdeutschland Vertriebenen uneingeschränkt nach Polen einreisen, um ihre Heimat zu sehen und die Gräber ihrer Verwandten zu besuchen. Die Zerstörung einer großen Anzahl von Denkmälern deutscher Vergangenheit, darunter insbesondere der Friedhöfe, rief bei dieser Gruppe unverhohlenen Groll hervor und bestätigte ihre antipolnische Haltung. Zur selben Zeit kamen immer öfter kirchliche Gruppen nach Polen, es wurden erste Kontakte und Freundschaften geknüpft. Ein Ideen- und Anstoßgeber dieser Reisen war der eifrige, aus Magdeburg stammende Katholik Günter Särchen, einer der Mitbegründer der Aktion Sühnezeichen, später des AnnaMorawska-Seminars. Die von ihm alljährlich organisierten Aufenthalte junger Deutscher aus der DDR an Orten der Vernichtung von Millionen von Juden und Polen überzeugten die polnischen Partner von der Notwendigkeit des Dialogs über staatliche Strukturen hinaus. Diese Aktivitäten blieben von den DDR-Machthabern nicht unbemerkt, sie wurden nun genauestens observiert; später erschwerte man Särchens Reisen nach Polen. Das Polen der „Gierek-Epoche“ kam vielen Ankömmlingen aus der DDR als ein zwar ärmeres, aber liberaleres Land vor, in dem eine relativ große Freiheit des Wortes herrschte. In dieser Zeit kam es in Polen auch zu Begegnungen der DDR-Opposition mit Bürgern der Bundesrepublik. Polen wurde also zu einer Art Vermittler in diesen deutsch-deutschen Kontakten. Die anfänglich unbegrenzte Möglichkeit von Reisen in das Nachbarland wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre deutlich eingeschränkt. Auf beiden Seiten der Grenze verschärften sich, obwohl in unterschiedlichem Ausmaß, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die für die sozialistische Wirtschaft charakteristisch waren. In den Geschäften in der DDR mangelte es bereits an manchen Waren, wofür man den Besuchern aus Polen die Schuld gab. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kamen in den letzten Jahren auch politische hinzu. Streiks an der Küste und die Entstehung der Unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“ riefen große Besorgnis bei den DDR-Machthabern hervor. Ähnlich wie im Jahre 1956 befürchteten sie, dass die oppositionelle Stimmung aus Polen auf ihr Land überschwappen könnte. Man begann, der polnischen Regierung Unfähigkeit vorzuhalten. In den DDR-Zeitungen wurden zahlreiche Artikel publiziert, die den Polen Unwirtschaftlichkeit, Arbeitsunwillen, die Aufgabe sozialistischer Ideen usw. vorwarfen. Das war der Anfang einer bewussten Desinformation der DDR-Bevölkerung über die Situation an der Weichsel. Die DDRBehörden beließen es aber nicht bei einer Schließung der Grenze (Ende Oktober 1980) und dem Abzug aller Studenten aus Polen. Sie verlangten von der UdSSR eine sofortige Intervention der Armeen des Warschauer Paktes, mit dem Ziel, in Polen wieder „Ordnung“ zu schaffen. Die SED sparte auch nicht an Belehrungen der polnischen „Bruderpartei“. Es wurde die Existenz privater Bauernhöfe sowie Giereks „falsche“ Lohn- und Preispolitik kritisiert. Man tadelte die zu tolerante Einstellung der Behörden gegenüber den Aktivitäten der „Solidarnosc“. Die Haltung der DDR, voller Unwillen und Überlegenheitsgefühl, führte zu einer erheblichen Abkühlung der Kontakte mit Warschau. Die Einführung des Kriegszustands im Dezember 1980 in Polen wurde in Ostberlin mit Zufriedenheit aufgenommen. Andererseits inspirierten die Entstehung und die Tätigkeit der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“ manche Oppositionskreise in der DDR, und die Einführung des Kriegszustands wurde auch von den dortigen Dissidenten kritisiert. Es kam auch zu Solidaritätsbekundungen mit dem gedemütigten Polen, die für die Demonstranten mit Gefängnisstrafen oder einer Abschiebung in die Bundesrepublik endeten. Doch die Kontakte zwischen der polnischen und der DDROpposition waren aufgrund der Abdichtung der Grenze nur sporadisch, sie belebten sich erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wieder. Der erste Besuch einer DDR-Delegation in Polen nach der Unterdrückung der „Solidarnosc“ fand erst 1983 statt. Er wurde u. a. dazu benutzt, die Frage der Seegrenze in der Pommerschen Bucht zu regeln. Das war der Beginn eines Konflikts zwischen Polen und der DDR, der die bilateralen Beziehungen bis Ende der achtziger Jahre dominierte. Zum letzten Besuch des Ersten Sekretärs der PVAP, Mieczyslaw Rakowski, in der DDR kam es 1989 bereits nach den Juniwahlen in Polen und der Übernahme der Regierung durch den nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki. Der Besuch hatte einzig Höflichkeitscharakter, denn in der neuen politischen Realität war es nicht anders denkbar. Dieser Besuch zeigte die völlige Realitätsferne der DDR-Regierung und die Unterschätzung der Bedeutsamkeit der Ereignisse in Polen und den anderen Ostblockländern. Der polnische Gast hörte nämlich Forderungen nach einer beharrlichen Festigung des Sozialismus. Der letzte Schritt der DDR waren Restriktionen ihrer Behörden gegenüber Reisenden aus Polen, die deren Einkaufsmöglichkeiten einschränkten. Die in vielen Ost-Berliner Geschäften aufgehängten Schilder „Nur für Deutsche“ erinnerten die Polen schmerzhaft an die Zeit der deutschen Besatzung. Zwar trat der DDR-Botschafter in Warschau mit einer Entschuldigung vor die Kameras des Polnischen Fernsehens, doch das änderte nichts am schlechten Eindruck. Nach anfänglichem Zögern nahmen dann die polnischen Behörden die ersten Flüchtlinge aus der DDR auf. Die Agonie dieses Staates, die mit den friedlichen Demonstrationen in Berlin, Leipzig und anderen Städten im Herbst 1989 angefangen hatte, dauerte bis zum 3. Oktober 1990. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ging die DDR in die Rumpelkammer der Geschichte ein. Der Zusammenbruch des Ostblocks, die Wiedererlangung der vollen Souveränität durch Polen und die Perspektive einer raschen Vereinigung der beiden deutschen Staaten schufen einen völlig neuen Rahmen für die deutsch-polnische Nachbarschaft. Im Verlauf der 2+4Gespräche (die beiden deutschen Staaten plus Siegermächte des Zweiten Weltkriegs), die zur deutschen Einheit führten, wurde die Unantastbarkeit der deutschen Grenze mit Polen bestätigt. Noch im selben Jahr (1990) wurde der deutsch-polnische Grenzvertrag unterzeichnet, der den Abschluss eines langen Weges zur völligen Anerkennung der 1945 geschaffenen deutsch-polnischen Grenze markiert. Im Jahre 1991 unterzeichneten beide Staaten einen Vertrag über gute Nachbarschaft, der ein neues Kapitel in den deutschpolnischen Beziehungen eröffnete. Ein wichtiges Element der deutsch-polnischen Beziehungen bleibt zweifelsohne die historische Erinnerung, die auf unterschiedliche Weise zur Sprache kommen kann. Ihre Träger könnten beispielsweise die Gedenktafeln sein. Es scheint, dass die Anbringung der Zgorzelecer Gedenktafel an ihrem alten Platz noch einmal auf den Weg hinweisen wird, die die Polen und Deutsche nach 1945 zurückgelegt haben, um das zu überwinden, was „Fatalismus der Feindschaft“ genannt wurde. Ein Element dieser Feindschaft war der Jahrzehnte dauernde Streit um die Dauerhaftigkeit und internationale Anerkennung der Grenze an Oder und Neiße. Dagmara Jajeśniak-Quast DIE ODERLANDSCHAFT ALS DEUTSCH-POLNISCHER WIRTSCHAFTSRAUM Einführung „Eine gute Kooperationsbeziehung kann man nicht kaufen. Wenn man sie hat, muss man sie so gut wie möglich gestalten“. Dieser Satz aus dem Handbuch Kooperationskompetenz der Bertelsmann-Stiftung trifft auch auf das deutsch-polnische Spannungsfeld der grenzüberschreitenden Kooperation zu. Mein Referat trägt den Titel „Die Oderlandschaft als deutsch-polnischer Wirtschaftsraum“. Eine schöne, aber nicht gerade einfache Fragestellung, auf die ich mich hier eingelassen habe. Unter dem Eindruck einer globalen Weltuntergangsstimmung und Rezession der Weltwirtschaft ergeben sich selbstverständlich auch aktuelle Stimmungen, die einen Einfluss auf das Verhalten und die Strategien der mittelständischen Unternehmen im grenzüberschreitenden Geschäft ausüben. Sitzverlegungen, Investitionsentscheidungen oder der Ausbau bestehender Kooperationsbeziehungen lassen sich in einem derartigen Umfeld nicht mehr so einfach darstellen. Abbildung 1: Deutsch-polnischer Handel 2009 (nach den Bundesländern - Anteil am Gesamtumsatz) Quelle: eigene Berechnungen der Botschaft Polens in Deutschland, anhand der DESTATISDaten, März 2010. Die ostdeutschen Bundesländer sind dank der eingeschränkten Exportorientierung und Wirtschaftsstruktur erst einmal nicht so stark von der aktuellen Wirtschaftslage betroffen. Die Wirtschaft in Polen ist die einzige Volkswirtschaft in der Europäischen Union, die über ein Wirtschaftswachstum im Jahr 2009 von 1,8% verfügte. Polen ist demnach zu einem europäischen Musterbeispiel geworden. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise geht auch in Ostmitteleuropa zu Ende. Das heißt konkret, der enorme Nachholbedarf im Privatkonsum, die Modernisierungswelle von Industrie und Infrastruktur treten in eine neue Wachstumsphase ein, die kommunalen und regionalen Investitionen in allen Bereichen werden einen unerhörten Schub auslösen. Was heißt das aber für die regionale Wirtschaft, den Wirtschaftsraum links und rechts der Oder? Das deutsch-polnische Wirtschaftsleben lässt sich leider nicht besonders gut in feingliedrigen Zahlen messen. Schon gar nicht lassen sich verlässliche Datensammlungen für die Oderregion finden. Deutsch-polnische Unternehmenskooperationen bestehen aber nicht nur aus Zahlen, Daten- und Faktensammlungen. Sie haben gerade im grenzüberschreitenden Sinne vielmehr mit der menschlichen Komponente, der Kommunikation zwischen Unternehmern, mit Vertrauen in die Rahmenbedingungen und in Strukturen zu tun. Drei Handlungsfelder hat S. Rathje für den Erfolg einer grenzüberschreitenden Kooperation ausgemacht: Umgang mit Differenzen als erste Herausforderung (Sprache, Kultur, Unternehmenskultur, Rahmenbedingungen, Finanzierungsinstrumente) Herstellung einer Unternehmensbeziehung als zweite Herausforderung (Vertrauen) Gestaltung des Kooperationsprozesses als dritte Herausforderung (Erfolg und Mut, Entscheidungen zu treffen, auch im Fall des Scheiterns)8 8 Christians, Uwe, Zschiedrich, Harald (Hrsg.): Grenzüberschreitende Kooperationen, Erfahrungen deutscher und polnischer mittelständischer Unternehmen und Banken, Rainer Hampp Verlag, München, Mering, 2009. Betrachten wir den „Oderraum“, also den Raum, der nach dem Beispiel der deutschpolnischen Oderpartnerschaft aus acht Regionen besteht, dann fällt die regionale Unterschiedlichkeit auf. Dem Wirtschaftsraum Oder fehlt auf beiden Seiten der Grenze ein entscheidender Punkt, ein starkes Hinterland. Wir haben es auf beiden Seiten mit prosperierenden Agglomerationsräumen und dann wieder mit sehr schwach entwickelten – häufig ländlich geprägten – Räumen zu tun. Die Bedingungen für eine auf beiden Seiten stark ausgeprägten Wirtschaftsorientierung auf die Region sind daher nur unterdurchschnittlich entwickelt. Ich möchte folgende Fragen in diesem Beitrag behandeln: 1.) Welche historischen Besonderheiten, Voraussetzungen und Problemfelder ergaben sich für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen seit dem Jahr 1989/90? 2.) Welche Initiativen und Entwicklungsetappen können wir am Beispiel des Bundeslandes Brandenburg und der Woiwodschaft Lubuskie für die grenzüberschreitende Kooperation aufzeigen? 3.) Welche Bedeutung haben die Herausbildung regionaler und auf die Wirtschaft orientierte Netzwerke als eine Voraussetzung für die grenzüberschreitende Unternehmenskooperation. 4.) Gibt es eine deutsch-polnische Identität für die Oderlandschaft als Wirtschaftsraum? Ein schwieriger Beginn – Die Aufbauphase Der deutsch-polnische Wirtschaftsraum rechts und links der Oder erlebt seit den 1990er Jahren einen stetigen Wandel im öffentlichen Bewusstsein. Die Oder markierte zusammen mit der südlich gelegenen Neiße eine Grenze, die seit 1945 nicht nur einen einstmals funktionierenden Wirtschaftsraum abrupt teilte, sondern für Jahrzehnte eine hermetisch abgeriegelte Grenzziehung darstellte. Bis auf eine kurze Tauwetterphase in den 1970er Jahren, wo es eine „offene Grenze“ zwischen der DDR und der VR Polen gab, verharrte die grenzüberschreitende Kooperation auf einem zentralistisch verordneten Niveau. Die Zusammenarbeit zwischen den Grenzstädten ordnete sich oftmals den historischen Besonderheiten unter. Zu erwähnen ist hier eine grenzüberschreitende Nutzung der notwendigen Infrastruktur von Wasser-, Gas- oder Stromnetzen für die geteilten Städte an Oder und Neiße.9 Das Arbeitskräftepotential Polens – hier vor allem sind die weiblichen Pendlerinen gemeint – wurde darüber hinaus sehr intensiv für die vorhandenen Kombinatsstandorte westlich der Oder genutzt. Als Beispiele können hier das Halbleiterkombinat Frankfurt (Oder), Eisenhüttenkombinat Ost Eisenhüttenstadt oder das Chemiefaserwerk in der damaligen Wilhelm-Pieck-Stadt Guben genannt werden. Der wirtschaftliche Zusammenbruch der DDR im Jahr 1989 und der Transformationsprozess führten zu einer kompletten Umstrukturierung der Wirtschaft im Osten Deutschlands – um nicht zu sagen Deindustrialisierung. Die ersten Betroffenen dieser Transformation waren die einstmals dringend benötigten „Vertragsarbeiter“ aus Polen, die unter Nichtbeachtung der 9 Vgl. dazu: Schultz, Helga, Nothnagle, Alan: Grenze der Hoffnung, Geschichte und Perspektiven der Grenzregion an der Oder, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam, 1996; Jajeśniak-Quast, Dagmara / Stoklosa, Katarzyna: Geteilte Städte an Oder und Neiße. Frankfurt (Oder) – Słubice, Guben – Gubin und Görlitz – Zgorzelec 1945 – 1995, Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, Berlin, 2000; Jajeśniak-Quast, Dagmara, Lorenz, Torsten, Müller, Uwe, Stokłosa, Katarzyna (Hrsg.): Soziale Konflike und nationale Grenzen in Ostmitteleuropa, Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH, Berlin, 2006. vertraglichen Vereinbarungen im jetzt vereinigten Deutschland (als Rechtsnachfolger für internationale Verträge der DDR hätte die Bundesrepublik Deutschland auftreten müssen) keine Berücksichtigung fanden und von heute auf morgen gekündigt wurden. Das politische Klima an der deutsch-polnischen Grenze war seit dem Jahr 1989/90 auf beiden Seiten von einem starken Misstrauen begleitet. Die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft in Polen oder die Neuordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit über die Installation von Euroregionen wurden sehr argwöhnisch begleitet. Zusätzlich wurden die Befindlichkeiten der polnischen Öffentlichkeit durch Bilder von Rechtsradikalen in den Neuen Bundesländern bestärkt. Allein die kriminellen Aktionen von Deutschen an den Grenzübergängen in Frankfurt (Oder) bzw. Guben im Zusammenhang mit der Öffnung der Grenze und der damit verbundenen Einführung des visafreien Grenzverkehrs zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1991 bestätigte das Bild der deutschen Ewiggestrigen im gesamten Europa. Der deutsch-polnische Leuchtturm, die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), eröffnete im Jahr 1992 in einem ungemein feindlichen Klima den Lehrbetrieb. Gerade die ersten Jahrgänge von Studierenden aus Polen oder anderen Ländern können von zahlreichen Übergriffen durch deutsche Rechtsradikale berichten. Selbst breite Teile der regionalen Bevölkerung standen dieser einmaligen Bildungseinrichtung mit Skepsis und Ablehnung gegenüber. Der progressive Ansatz einer europäisch angelegten Universität bildete einen konträren Gegenentwurf zur Antistimmung breiter Bevölkerungsschichten, die sich mehrheitlich gegen den Euro („Endlich haben wir die D-Mark!“, O-Ton vieler Ostdeutscher), die Integration weiterer Länder in die Europäische Union oder einfach gegen alles „Fremde“ aussprachen. In Polen hingegen wurde die Zuverlässigkeit der deutschen Außenpolitik kontinuierlich hinterfragt. Die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze und damit die Unverletzlichkeit des Staatsterritoriums wurden durch die damalige Kohl/GenscherRegierung zwar nie in Frage gestellt, aber sehr wohl durch einflussreiche politische Kreise wie z.B. die Vertreter der Vertriebenenverbände. Einen Schockzustand für die Polen im Grenzgebiet muss die Öffnung der Grenze im Jahr 1991 ausgelöst haben, denn auf einmal strömten Tausende Deutsche in das Nachbarland, um dank der starken deutschen Währung die günstigeren polnischen Produkte einzukaufen oder aber zum einstigen Grundstück zu pilgern. Der Einkaufs- und Vertriebenentourismus überforderte anfänglich die polnische Öffentlichkeit. Wer hatte schon damit gerechnet, dass pro Jahr mit einer Ein- und Ausreise in einer Größenordnung von 40 bis 50 Millionen Menschen zu kalkulieren sei, mehrheitlich auch noch Tagestouristen. Während sich auf der polnischen Seite eine dynamische Basarlandschaft und Handelsaktivität entwickelte, Einzelhändler und Unternehmer ihre Aktivitäten eindeutig auf den deutschen Markt verlegten, beschäftigen sich die (Ost-)Deutschen mehr mit sich selbst. Diese Abschottungspolitik behinderte für Jahre eine sachlich-nüchterne Sicht, um ein Zukunftsszenario zu entwickeln. Offiziell wurde die politische Linie eines freundschaftlichen Miteinanders ausgegeben, Probleme wurden leider nie richtig ausdiskutiert und wichtige Sachentscheidungen nahmen immens viel Zeit in Anspruch. Als Beispiele kann man den mühsamen Prozess der Einrichtung von Euroregionen oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Doppelstädten an Oder und Neiße nennen. Erinnert sei hier an ein besonders makabres Beispiel, nämlich an den Frankfurter Brötchenkrieg aus dem Jahr 1995. Eine polnische Bäckerin eröffnete ein Verkaufsgeschäft in Frankfurt (Oder). Was danach folgte, erinnerte an düstere Kapitel der deutschen Geschichte. Jürgen Watzlaff, Geschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt (Oder), dazu: „Das Handwerk ist eine tragende Säule unserer deutschen Nation. Es ist Teil unserer Gesellschaft, es ist Teil unserer Nationalkultur. Und wenn das Handwerk wegrationalisiert würde, würde uns dieser Teil fehlen.“10 Ein Höhepunkt im „Brötchenkrieg“ war ein anonymer Boykottaufruf „Schmuggelbrote nein danke!“ Die polnische Bäckerin schloss aufgrund der massiven Proteste ihr Geschäft in Frankfurt (Oder) und verkauft seither ihre Waren an vorwiegend Deutsche auf dem Basar in Słubice. Kein Wunder, dass sich bei derartigen Nachrichten Vorbehalte gegen den deutschen Nachbarn aufbauen würden. Diese Ausgangslage muss noch einmal geschildert werden, um den schwierigen Start im Zusammenleben in der Oderlandschaft noch einmal in Erinnerung zu rufen. Die vertraglichen Grundlagen für die Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Kooperation Die Grundlagen wurden im „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze (auch Grenzvertrag genannt) vom 14.11.1990 gelegt. Dieser Vertrag entsprach den vorherigen Absprachen des „Zwei-plus-vier“-Vertrages. Der „Grenzvertrag“ regelte die nationale Interessenlage der beiden Seiten und löste den Konfliktpunkt „Grenze“ in Form einer völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung. Damit wurde nach innen und außen dokumentiert, die Grenzfrage ist verbindlich geklärt. Der Austausch der Ratifikationsurkunden des Grenz- und Nachbarschaftsvertrages erfolgte nach der Ratifizierung der Parlamente (der Bundestag stimmte am 17.10.1991 und der Sejm am 18.10.1991 zu). Der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.06.1991 ist bis heute die Grundlage für die funktionierende Nachbarschaft und Kooperation. Dieser Vertrag bildet nach dem Vorbild des Elysee-Vertrages aus dem Jahr 1963 die Arbeitsgrundlage für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das aus 38 Kapiteln bestehende Vertragswerk bildet das „umfangreichste Vertragswerk mit konkretesten Beschreibungen von Kooperationsfeldern, das Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges mit mittel- und osteuropäischen Ländern abgeschlossen hat.“11 Dieser Nachbarschaftsvertrag regelt das Zusammenwirken auf allen relevanten Feldern und bildet damit den Kompass. Dieser Vertrag hat auch den Wunsch der Polen aufgenommen, mittelfristiges Mitglied der Europäischen Union zu werden. Ferner ist ein entscheidender Fokus auf die grenzüberschreitende Kooperation gelegt worden. Der Wirtschaftsraum Oderlandschaft Die Oderlandschaft als Wirtschaftsraum zu definieren ist auf den ersten Blick eine lösbare Aufgabe. Der Wirtschaftsraum Oderlandschaft vereinigt zunächst erst einmal auf der deutschen Seite die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und den Freistaat Sachsen. Auf der polnischen Seite sind die Wojewodschaften Zachodnio-Pomorskie, Lubuskie und Dolnosląskie zu diesem Wirtschaftsraum zu zählen. Damit haben wir schon eine starke regionale Eingrenzung und stoßen schnell auf eine regionale Differenzierung. In 10 http://www.rbbonline.de/kowalskitrifftschmidt/archiv/kowalski_trifft_schmidt3/mit_polnischen_broetchen.html, 09.06.2010, 07:30 Uhr. 11 Morhard, Bettina: Das deutsch-polnische Grenzgebiet als Sonderfall europäischer Regionalpolitik, Berlin, u.a.: Springer, 2001, S. 90. diesem inhomogenen Wirtschaftsraum prallen vielfältige Gegensätze aufeinander. Auf der einen Seite die Metropolenregion Berlin-Brandenburg (mit einem starken regionalen Entwicklungsgefälle) und schwach entwickelten Wirtschaftsregionen in MecklenburgVorpommern, Brandenburg oder Sachsen. In den genannten Bundesländern gibt es mit den Städten Leipzig, Dresden, Potsdam, dem Berliner Speckgürtel einige Regionen mit einer guten Marktposition (trotz vieler Defizite). Auf der polnischen Seite gibt es ebenfalls eine starke regionale Differenzierung mit dem prosperierenden Großraum Wrocław und Poznan oder regionalen Leuchttürmen wie Zielona Góra, Szczecin oder Jelenia Góra, andererseits aber auch Regionen, die zu den am schwächsten entwickelten Regionen in Polen und damit der Europäischen Union gehören. Daraus resultiert eine unterschiedliche Interessenlage zwischen den deutschen und polnischen Oderanrainern, die ich am Beispiel der Firma Transodra / Deutsche Binnenreederei erörtern möchte. Der polnische Spediteur Transodra mit Sitz in Wrocław übernahm das deutsche Unternehmen Deutsche Binnenreederei, um die Konzernaktivitäten noch stärker auf den deutschen und europäischen Markt auszurichten. Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Massen- und Stückgüter auf den Binnenwasserstraßen zu transportieren. Hier stehen die polnischen und deutschen Großräume Berlin und Wrocław eindeutig im Zentrum der Aktivitäten. Im Brandenburgischen Königswusterhausen liegt ein bedeutsamer Binnenhafen, der für die Versorgung der deutschen Hauptstadt mit Kohle, Baustoffen und Sanden zuständig ist. Für Transodra / Deutsche Binnenreederei sind die Häfen in Berlin, Königswusterhausen oder Wrocław wichtige Umschlagplätze. Gleichwohl profitiert dieses Unternehmen von der großen Nachfrage nach Getreide, Düngemitteln und Baustoffen (für den polnischen Markt), umgekehrt sind für den Absatzmarkt Berlin Kohle, Zement und Sande die wichtigsten Transportgüter. Nicht zuletzt die größte Baustelle Europas, der Flughafen BerlinBrandenburg-International, sorgt für entsprechende Aufträge dieses Unternehmens. Gleichwohl steht dieses Unternehmen für die unterschiedlichen Erwartungshaltungen der deutschen und polnischen Seite. Die Deutschen favorisieren den Ausbau des Flughafens und einer entsprechenden Infrastruktur, während die Polen mehr auf den Ausbau der Wasserstraßen und deren Anbindung orientieren. Die aktuelle Hochwassergefährdung offenbart die unterschiedlichen Interessenlagen. „Nach 1997 hatte das Landesumweltamt (des Landes Brandenburg, Anm. Autorin) eine Aufstellung erarbeitet mit rund 6.000 Hektar potentieller Überflutungsflächen, die auf brandenburgischer Seite in Frage kommen und für notwendig erachtet wurden. Davon sind weniger als 100 Hektar in Angriff genommen.“, so Wolfgang Mädlow, Landesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Brandenburg. Hier erkenne man, so Mädlow weiter, die riesige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Jetzt wieder erst ein Blick zurück. Das Land Brandenburg verfolgte in den Jahren 1991/92 über das Projekt einer „Deutsch-Polnischen Entwicklungsbank“. Dieses Projekt wurde auch „Stolpe-Plan“ genannt. In dieses Konzept war auch eine deutsch-polnische Sonderwirtschaftszone eingebettet. Innerhalb dieser Zone sollten die deutsche Währung und rechtlichen Rahmenbedingungen Deutschlands gelten. Allerdings war dieser Plan mit der polnischen Seite nur ungenügend abgestimmt bzw. vorbereitet und damit die politische Stimmungslage unterschätzt worden. Nach heftigen Protesten in Polen wurde der Plan verworfen. Stattdessen konzentrierte sich die Brandenburger Landesregierung auf die Gründung und Einrichtung der „Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG“ (WFG). Im März 1994 wurde die Aktiengesellschaft in Gorzów Wielkopolski gegründet. Die WFG bestand zu je 50% aus polnischen und deutschen Aktionären. Auf deutscher Seite waren dies die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und der Freistaat Sachsen. Die polnische Seite bestand aus den drei grenznahen Wojewodschaften Lubuskie, Dolnosląskie und Zachodnio-Pomorskie, später übernahm der polnische Staat noch Anteile. Die WFG unterstützte im grenzüberschreitenden Unternehmensgeschäft polnische und deutsche Unternehmen bei Ansiedlungsvorhaben, erstellte Marktstudien, vermittelte Gewerbeflächen oder half bei der Anbahnung von Kontakten. Die Erfolge waren nicht von der Hand zu weisen, denn die meisten deutschen Investitionen wurden von der WFG vollständig oder in Teilbereichen begleitet. Markus Meckel referierte noch im Jahr 1999 über die „hilfreiche Existenz der WFG, die sich vor Arbeit kaum retten kann.“12 Dass gerade Brandenburg als der Spiritus rector und ein Anteilseigner im Jahr 2004, dem Jahr der EU-Osterweiterung, der WFG durch das Streichen der jährlichen Mittel die Existenzberechtigung entzog, wurde in beiden Ländern mit Enttäuschung zu Kenntnis genommen. Ein Grund könnte darin gelegen haben, dass sich im unmittelbaren Grenzraum nur sehr wenige „Großprojekte“ realisieren ließen und stattdessen in Polen zunächst der Großraum Poznań und der wirtschaftlich starke Süden profitierten. Hier führten unterschiedliche Auffassungen und Erwartungshaltungen vornehmlich der Brandenburger Landesregierung zum Scheitern. Die Wojewodschaft Lubuskie war die erste Wojewodschaft, die mit Brandenburg partnerschaftliche Beziehungen aufnahm. Am 12. Januar 2000 unterzeichneten der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und der damalige Marschall Andrzej Bochenski eine „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit“.13 Brandenburger Akteure und Initiativen für eine grenzüberschreitende Kooperation Die Euroregionen Pro Europa Viadrina und Spree-Neiße-Bober sind heute ein wesentlicher Aspekt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Anfangs gab es gegen die Einrichtung dieser grenzüberschreitenden Euroregionen erhebliche Bedenken in Polen, weil diese einen „Angriff auf die polnische Integrität und Identität“ darstellten. Beide Euroregionen wurden im Jahr 1993 gegründet (erst zwei Jahre später gründeten sich die Euroregionen Pomerania und Neiße). Im Einzugsgebiet der Euroregion Pro Europa Viadrina leben ca. 900.000 Einwohner, in der Euroregion Spree-Neiße-Bober sind es ca. 700.000. Die Projekte, allein auf deutscher Seite sind Projekte in einer Größenordnung von 30 Mio. EUR geplant, werden durch EU-Mittel und nationale Förderprogramme finanziert und innerhalb der Euroregion für vielfältige Bereiche eingesetzt. Allerdings gab es mit dem Beginn des neuen Förderzeitraums 2008 erhebliche Anlaufschwierigkeiten, weil sich das Land Brandenburg mit der polnischen Wojewodschaft Lubuskie über eine neue Bewilligungsstelle für eingehende Anträge entschied, die ihren Sitz in Zielona Góra konzentrierte. Mit erheblicher Zeitverzögerung konnte erst eine arbeitsfähige Struktur in Polen aufgebaut werden. Das ist sicherlich ein Sonderfall und belastete die Beziehungen zwischen den Partnern unnötig. Die Schuldzuweisungen gingen und gehen in beide Richtungen. Auslöser waren wieder einmal nicht abgestimmte Kommunikationswege und eine Harmonisierung der organisatorischen Abläufe. Die Krise spitzte sich durch den spektakulären Besuch des 12 Meckel, Markus: Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag – Bilanz nach fünf Jahren, Zitat aus dem gleichnamigen Vortrag einer Tagung an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), 01.-04.09.1997. 13 www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/225321; 10.06.2010, 10:42 Uhr. Gubener Bürgermeisters Klaus-Dieter Hübner in Warschau zu, der im Ministerium unangemeldet vorstellig wurde, um eine Lösung zu erwirken.14 Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt (Oder), heute IHK Ostbrandenburg, und die Handwerkskammer Frankfurt (Oder), Region Ostbrandenburg, übernehmen für ihre Kammermitglieder im Bereich der Außenwirtschaftsförderung ein Vielzahl von Aufgaben und Aktivitäten. Die Kammern zwischen Deutschland und Polen unterscheiden sich nicht nur durch die Satzungen und rechtlichen Rahmenbedingungen – in Deutschland besteht eine Zwangsmitgliedschaft, in Polen gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. In Deutschland kommt darüber hinaus auch die Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben (z.B. Ausbildung und Prüfungsverfahren, Gesellen- und Meisterprüfungen, Zulassungen) hinzu. Die Kammern in beiden Ländern können auf Grund dieser unterschiedlichen Größenverhältnisse und organisatorischen Kraft objektiv nicht als „gleichberechtigte Partner“ gesehen werden. Dennoch spielen die Kammern eine wichtige Rolle im Rahmen der grenzüberschreitenden Kooperation. Das Deutsch-Polnische Kooperationsbüro der Sparkassen, wurde auf Initiative von neun grenzansässigen Sparkassen und der Sparkassenstiftung für internationale Kooperation im Jahr 2000 gegründet. Das Ziel besteht darin, den Firmenkunden der Sparkassen die Erschließung des deutschen oder polnischen Marktes zu ermöglichen. Die Sparkassen pflegen mit der polnischen Finanzgruppe PKO BP S.A. eine langjährige Zusammenarbeit. Eine der Hauptaufgaben des Kooperationsbüros ist die Entwicklung und Umsetzung komplexer Lösungen bei der Begleitung von grenzüberschreitenden Unternehmensvorhaben. Für die Sparkassen-Finanzgruppe ist dieses Kooperationsmodell ein großer Erfolg. Die regionale Ausrichtung des Finanzinstitutes verhindert eine Auslandsstrategie mit der Errichtung einer eigenen Filialstruktur in Polen. Die Einbindung verschiedener Partner in ein deutschpolnisches Netzwerk, die eine umfassende Beratung innerhalb dieser Gemeinschaft ermöglicht, vermindert den Nachteil einer fehlenden Filialstruktur. Damit ist die SparkassenFinanzgruppe zumindest für den Marktbereich Polen mit den Privatbanken strategisch auf Augenhöhe und verfügt über ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Kreditwirtschaft. Dieses Alleinstellungsmerkmal besteht in einer umfassenden Unternehmensbetreuung in den Marktbereichen. Auf der Grundlage der partnerschaftlichen und vertraglich abgesicherten Kooperation können die Unternehmer unmittelbar auf das gesamte Netzwerk in Polen und Deutschland zurückgreifen. Mit diesem Dienstleistungsprofil kann das Kooperationsbüro einen der Problembereiche, hier ist die Finanzierung von Cross-Border-Aktivitäten gemeint, aktiv angehen und Lösungsschritte anbieten. Je Geschäftsjahr werden ca. 1.500 Geschäftsvorfälle von deutschen und polnischen Unternehmen bearbeitet. In den letzten drei Jahren ist ein neuer Trend erkennbar: Polnische Unternehmer sind an Übernahmen deutscher Unternehmen interessiert.15 Sonderfall „Oder-Partnerschaft“ Das interregional ausgerichtete Netzwerk „Oder-Partnerschaft“ wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel gegründet, eine „leistungsfähige Plattform für den grenzüberschreitenden Austausch aufzubauen und diese zu einem kooperationsfähigen dynamischen Wirtschaftsraum zu 14 http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/50734, 10.06.2010, 11:05 Uhr. 15 Vgl. Informationen auf der Homepage www.spk-koop.de entwickeln.“16 Der Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck stellte unlängst unmissverständlich im Rahmen der Beratungen der deutsch-polnischen Oder-Partnerschaft fest: „Wirtschaftlich haben wir immer noch einen großen Aufholbedarf, und die Verkehrsverbindungen lassen immer noch zu wünschen übrig.“17 Die Oder-Partnerschaft „soll eine Plattform zur Meinungsbildung durch freien, gleichberechtigten Gedankenaustausch über gemeinsame Interessen in der Grenzregion, vor allem in den Bereichen Verkehr, Wirtschaft und Tourismus“ darstellen.18 Auf einen Großraum zwischen Szczecin, Wrocław und Dresden, Berlin und Poznań hat sich diese politische Gemeinschaft erst einmal festgelegt. Die bisherigen bilateralen Gespräche haben erst einmal die Unterschiede deutlich gemacht, die zwischen allen Partner bestehen. Wenn die Berliner und Brandenburger von den gemeinsamen Potentialen des größten europäischen Bauprojekts, dem Flughafen BerlinBrandenburg-International (BBI), sprechen und die Nutzen-Effekte für den Oderraum darstellen, löst dies auf der polnischen Seite nicht unbedingt Begeisterung aus. In Wrocław und Sczczecin wird mehr über den Ausbau der Oderwasserstraße nachgedacht und mehr Aktivitäten (Verbreiterung und Vertiefung der Wasserstraße) in dieser Hinsicht von der deutschen Seite eingefordert. Das Treffen der Oder-Partnerschaft in diesem Jahr brachte für beide Seiten eine große Ernüchterung. Die acht beteiligten Regionen konnten noch nicht den gemeinsamen Nenner und eine politische Zielsetzung definieren. Verabredet ist ein Nachfolgetreffen mit einer klaren Aufgabenstellung. Für den strategischen wichtigen Punkt Verkehr soll ein Handlungskonzept bis 2015 erarbeitet und verabschiedet werden. Ein großes Ziel, einhergehend mit einer hohen Erwartungshaltung der regionalen Wirtschaft, das Matthias Platzeck in eine Zukunftsvision einbettete: „Mein Wunsch auf lange Sicht. Eine europäische Region, die der zwischen Deutschland, Frankreich und Benelux in keinem Maße nachsteht, wirtschaftlich prosperierend, mit exzellent ausgebauter Infrastruktur und hohem Lebenswert. Diese Form des Brückenbaus kann – und ich bin optimistisch: wird – in Europa nicht nur an Rhein und Donau gelingen, sondern auch bei uns an Neiße und Oder.“19 Fazit Die deutsch-polnische Identität für die Oderlandschaft als Wirtschaftsraum ist also noch ein Zukunftsszenario. Es gibt aber schon gute Beispiele auf diesem Weg. Zum Schluss eines davon: Der Stahlstandort Eisenhüttenstadt und die überregionale Vernetzung Der regionale Wachstumskern Frankfurt (Oder) – Eisenhüttenstadt ist als „Kompetenzregion für die Metallerzeugung, Metallbe- und verarbeitung, sowie Industriedienstleistungen“ aufgestellt. In Eisenhüttenstadt hat sich auf der Betriebsfläche des einstigen Eisenhüttenstädter Kombinates Ost, EKO, durch die Aus- und Neugründungen eine Branchenkonzentration ergeben. Der regionale Leuchtturm und Nachfolger des „EKO“, die ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH, bildet im weltweiten Konzernverbund „die geschäftliche und firmenpolitische Nahtstelle zu den sich entwickelnden Märkten in 16 Abgeordnetenhaus Berlin, Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Maria von Stieglitz (FDP), Drucksache 16/14 297 vom 23.03.2010. 17 18 19 http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/125629, 10.09.2010, 11:45 Uhr. Ebenda. Ebenda. Ostmitteleuropa“ (Darstellung des Konzerns). Bleche und Stahlprodukte werden nach Ostmitteleuropa exportiert, insbesondere die Automobil-, Haushaltsgeräte- und Bauindustrie sind Abnehmer. Für einen Konzernverbund sind der Aufbau und die Umsetzung einer internationalen Strategie wesentlich einfacher; es gibt aber auch ähnliche Beispiel aus dem Mittelstand. Ein Beispiel aus dem Bereich Mittelstand ist das Unternehmen Heckmann. Das Unternehmen verfügt im deutsch-polnischen Wirtschaftsraum über drei Standorte: Hoppegarten (bei Berlin), Eisenhüttenstadt und Krzeszyce (Wojewodschaft Lubuskie). Das Unternehmen wurde im Jahr 1993 gegründet und hat heute ca. 100 Mitarbeiter in Deutschland und Polen. Die internationale Aufstellung ist ein Ergebnis der Nachfrage aus dem In- und Ausland. Das polnische Unternehmen ist hauptsächlich auf den Marktbereich Polen (Stahlbau) ausgerichtet. Das ist ein Beispiel für die sehr „geräuschlose und unsichtbare Arbeit des regionalen Mittelstandes“, die man vielfach übersieht, wenn es sich nicht um große Namen handelt. Andrzej Stach GELEBTE EUROPÄISCHE NACHBARSCHAFT MIGRATIONEN ÜBER DIE ODER UND NEIßE Seit Beginn des 19. Jahrhunderts zählt Polen zu den Nationen mit den größten Exilbewegungen in Europa. Infolge dieser Entwicklung leben gegenwärtig in der ganzen Welt verstreut zwischen 15 und 18 Millionen polnischer Emigranten, deren Nachkommen mit eingerechnet, bei einer Gesamtbevölkerung Polens von etwa 38 Millionen Menschen. Zahlenmäßig sehr verstärkt wurde die polnische Emigration während der kommunistischen Diktatur zwischen 1945 und 1989. Allein nach dem blutig niedergeschlagenen Posener Aufstand von 1956 verließen viele polnische Bürger das Land Richtung Westen. Einige große Ausreisewellen wurden durch die politischen Unruhen der Jahre 1970, 1976 und 1980 ausgelöst. Begünstigt wurde die Auswanderung zusätzlich durch die Anfang der 70er Jahre stattgefundene deutliche Liberalisierung der Passvorschriften. Kurz vor der Verhängung des Kriegsrechts Ende 1981 verließen etwa 170.000 Polinnen und Polen ihre Heimat und blieben im Ausland. Insgesamt emigrierten in den Jahren 1981 - 1988 etwa 830.000 Personen aus Polen – die über eine Million deutscher Spätaussiedler nicht eingerechnet. Wegen ihrer geographischen Nähe gehörte die Bundesrepublik Deutschland inklusive WestBerlins schon in den 70er und 80er Jahren, d.h. noch vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ zu den wichtigsten Ländern, in denen viele polnische Bürger zeitweise lebten oder aber sich ganz niederließen. Allen voran war es West-Berlin, das sehr viele Polen anzog. Hauptgründe hierfür waren vor allem die geringe Entfernung, kein Visumszwang sowie die relativ guten Chancen, eine Arbeit zu finden. Nicht einmal die über Jahrzehnte andauernde antideutsche Propaganda der polnischen Kommunisten und die schlimmen Erfahrungen des älteren Teils der Bevölkerung unter der Naziokkupation konnten der großen Anziehungskraft der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft standhalten. Im Gegenteil: bei ihren Aufenthalten in der Bundesrepublik in West-Berlin konnten die polnischen Bürger viele antideutsche Vorurteile revidieren und sich selbst ein Bild der „Deutschen von heute“ machen. Zudem trafen sie vor allem in den frühen 70er Jahren auf Offenheit, Neugier und Sympathie seitens der deutschen Politik und Bevölkerung. Für die deutschen Bürger aus der Bundesrepublik Deutschland, geschweige denn für die aus der DDR, war Polen vor 1989 hingegen kein Migrationsland. Zwar ließen sich einzelne Bürger aus den beiden deutschen Staaten in Polen nieder, es handelte sich bei ihnen aber vornehmlich um einige wenige Menschen, die eine Polin oder einen Polen geheiratet oder aber sich in Polen aus beruflichen Gründen niedergelassen haben. 1. DEUTSCHLAND ALS EXILLAND FÜR POLEN Die polnische Auswanderung nach Deutschland stellt das wohl schwierigste und kontroverseste Kapitel in der Geschichte des polnischen Exils dar. Denn trotz der großen Zahl von Menschen aus Polen, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten in dem Land niedergelassen haben, betrachtete man sie und betrachtet sie teilweise bis heute ausgesprochen reserviert und mit kritischer Distanz, aber auch nicht selten mit unverhohlenem Unverständnis oder gar Ablehnung. Dies erfuhren vor allem diejenigen Polen, die nach 1945, meist in den 70er und 80er Jahren, nach Deutschland emigrierten, und zwar nicht nur seitens der kommunistischen Machthaber und eines Teils der älteren Generation, die den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung erlebt hatte, sondern auch nach der politischen Wende 1989 seitens der polnischen Nationalkonservativen. Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen der besonderen Reserviertheit gegenüber den polnischen Emigranten in Deutschland im Vergleich zu den Emigrantengruppen in anderen Ländern liegt jedoch nicht nur in den tragischen Kapiteln der deutsch-polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nach den polnischen Teilungen und dem Verschwinden des polnischen Staates von der politischen Landkarte Europas kam es in Polen immer wieder zu nationalen Aufständen, wie denen von 1830/ 31, 1846/ 48 und 1863, die von den Besatzern blutig niedergeschlagen wurden. Infolge der Repressionswellen und Racheakte seitens der Okkupanten und deren antipolnischer Politik verließen Zehntausende polnische Bürger ihre Heimat Richtung Westen, darunter ein Großteil der geistigen und künstlerischen Elite des geteilten Landes, wie z. B. Frédéric Chopin, der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz oder Cyprian Kamil Norwid. Die allermeisten Exilanten ließen sich damals in Frankreich nieder, wo neben Italien die ersten wichtigen Zentren der polnischen Migration im Ausland entstanden. Durch den hohen Anteil an Intellektuellen, Politikern, Denkern und Soldatenführern unter den polnischen Emigranten wurde Paris zum Inbegriff des „edleren“, des „politischen“ Exils. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war Deutschland für die polnischen Auswanderer dagegen lediglich ein Durchgangsland auf ihrem Weg ins westliche Exil. Allerdings trafen sie damals auch mitunter auf Bewunderung und Hilfe seitens vieler deutscher Bürger. Neben Hambach, wo sich eine regelrechte deutsch-polnischen Verbrüderung abgespielt hatte („das Hambacher Fest“), kam es in Berlin gleich zu Beginn der Revolution vom 18.03.1848 zur ungeplanten Befreiung der im Moabiter Gefängnis einsitzenden politischen Häftlinge, die sich dann an die Spitze eines spontan entstandenen Straßenzuges stellten: „In allen Fenstern zeigten sich Fahnen, Blumen wurden herab geworfen.“20 Auch einige deutsche Philosophen, Revolutionäre und Dichter bekundeten öffentlich ihre Unterstützung für die Befreiung Polens (s. „Polenlieder“). „Als Zeichen seiner aufrichtigsten Achtung und Dankbarkeit für die brüderliche Aufnahme“ schrieb der damals ebenfalls über Deutschland nach Frankreich reisende Dichter Adam Mickiewicz in der deutschen Ausgabe seiner „Bücher des polnischen Volkes“ „dem deutschen Volke“ eine Widmung. 20 „Polen – ein Schauermärchen oder Gehirnwäsche für Generationen. Geschichtsschreibung und Schulbücher. Beiträge zum Polenbild der Deutschen.“, HERAUSGEBER: GÜNTER BERNDT, REINHARD STRECKER, Reinbek: Rowolt Taschenbuchverlag, 1971. Die kurzweilige „Polenbegeisterung“ für die Freiheitskämpfer vermochte es nicht, polnische Dichter, Politiker oder Generäle zum dauerhaften Verbleib auf deutschem Boden zu bewegen. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts der polnische Schriftsteller Józef Ignacy Kraszewski, der nach dem sog. „Januaraufstand“ von 1863, zwanzig Jahre lang in Dresden wohnte. An seinem Beispiel kann man aber zugleich feststellen, in welchem Spannungsverhältnis und unter welchen Gefahren ein politischer Emigrant und Patriot im deutschen Machtbereich zu leben und zu wirken hatte. Trotz seiner schon damals großen internationalen Bekanntheit als Schriftsteller wurde er aus politischen Gründen von diversen deutschen Geheimdienstleuten stets beobachtet. Wegen seiner vermeintlichen Agententätigkeit zugunsten Frankreichs wurde er im Juni 1883 verhaftet und im Mai 1884 zu dreieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Seine zeitweilige Haftaussetzung nutzte er zur Flucht ins Ausland, wo er dann auch blieb. An der unterschiedlichen Stellung von Deutschland und Frankreich als Zielländer polnischer Auswanderer änderte sich auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts relativ wenig. Aus dem von Preußen besetzten Teil des Landes gingen mehrheitlich einfache Arbeiter und Bauern nach Deutschland. Zwar lebten auf dem deutschen Gebiet auch nicht wenige polnische Aristokraten wie die Familien von Radziwiłł oder von Raczyński, Industrielle wie Hipolit Cegielski oder Künstler wie Stanisław Przybyszewski. In ihrer alten Heimat erlangten sie jedoch nicht die Anerkennung, geschweige denn als „politische Emigranten“, die den Exilpolen in Frankreich zuteil wurde. Mitunter beschuldigte man sie daheim sogar der Zusammenarbeit mit dem preußischen Okkupanten, wie z. B. den Hofmaler von Wilhelm II., Wojciech Kossak, der in dessen Auftrag zahlreiche Gemälde schuf, unter ihnen auch große Bilder mit Szenen aus bekannten Kriegen und Schlachten, die in Polen auf keine Begeisterung stoßen konnten. Ganz anders war es um Frankreich bestellt: „Die Polen wussten, dass Frankreich nicht nur durch seine Art der Regierung, sondern durch seine Gesellschaft und die zivilisatorischen Errungenschaften bestimmt wird. Deshalb fuhr die Generation von Maria Skłodowska (Curie – A.S.) dorthin, um sich zu bilden. Dort weilte sogar in den für die Polen schlimmsten Zeiten eine ganze Schar von Schriftstellern und Malern […] Frankreich war für die fortschrittliche polnische Intelligenz und viele Arbeiter das Musterbeispiel der Demokratie und der Toleranz.“21 So blieben die polnischen Emigranten in Deutschland ihren Landsleuten vor allem als Arbeitsimmigranten und Deutschland selbst im besten Fall als ein Land im Bewusstsein, in dem man die moderne Wirtschaft kennen lernen und die neuesten Maschinen kaufen konnte. Ein neues Kapitel in der Geschichte der polnischen Emigration begann 1939 mit dem Überfall Deutschlands auf Polen. Zehntausende polnische Offiziere und Soldaten, die an der Seite der westlichen Alliierten weiter gegen Nazi-Deutschland kämpfen wollten, begaben sich auf verschiedenen Wegen nach Westen. Gleichfalls verließen Zigtausende polnische Zivilisten das Land. Viele von ihnen konnten oder wollten nicht in das kommunistisch regierte Polen zurückkehren und blieben in Westeuropa, in den USA und anderen westlichen Ländern, darunter auch in der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Liberalisierung der Passvorschriften im Polen der 70er und 80er Jahre wurde die Bundesrepublik Deutschland, inklusive West-Berlins, ein bevorzugtes Reiseziel für Millionen polnischer Bürger. Hauptgründe waren vor allem die geringe Entfernung sowie die relativ 21 JERZY W. BOREJSZA, S.18 und S.22-23. guten Chancen, eine Arbeit zu finden. Nicht einmal die über Jahrzehnte andauernde antideutsche Propaganda der polnischen Kommunisten und die schlimmen Erfahrungen des älteren Teils der Bevölkerung unter der Naziokkupation konnten der großen Anziehungskraft der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft standhalten. Im Gegenteil, bei ihren Aufenthalten in der Bundesrepublik konnten die polnischen Bürger viele antideutsche Vorurteile revidieren und sich selbst ein Bild der „Deutschen von heute“ machen. Zudem trafen sie vor allem in den frühen 70er Jahren auf Offenheit, Neugier und Sympathie seitens der deutschen Politik und Bevölkerung. Durch die politischen Proteste und die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność sowie die damit verbundenen politischen Ereignisse in Polen, die das kommunistische System ins Wanken brachten, richteten noch mehr Deutsche ihren Blick auf die östlichen Nachbarn: „Millionen Deutsche schauten auf die Polen nicht von oben herab, sondern mit Anerkennung […]. Ich glaube, ein großer Teil der Deutschen hat die Polen zum ersten Mal wirklich bewundert. Und das ist niemandem mehr, sondern nur der Solidarność zu verdanken.“ meinte der CDU-Politiker und frühere Verteidigungsminister Volker Rühe. Auch diese Haltung trug dazu bei, dass polnische Bürger am liebsten nach Deutschland reisten, wo immer mehr von ihnen mit verschiedenem Aufenthaltsstatus kurzoder längerfristig blieben. Durch die zunehmende Anzahl der polnischen Bürger, die Anfang der 1980er Jahre neben tausenden Einwanderern aus der Türkei und anderen Ländern nach Westdeutschland strömten, sowie durch die sich abzeichnenden Engpässe auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt wurden sie zunehmend als eine zu große Belastung für das deutsche Sozialsystem angesehen und man diskutierte öffentlich, wie man dem Ansturm mit diversen Gegenmaßnahmen begegnen könnte: „Polnische Emigranten etwa, die seit den Jahren des Kalten Krieges im Westen als lebende Beweisstücke einer systemkritischen 'Abstimmung mit den Füßen' gefeiert wurden und denen eine Bund-Länder-Vereinbarung noch immer pauschal politisches Asyl oder unbefristetes Aufenthaltsrecht garantiert, sind nun auf einmal […] 'auf Dauer nicht zu verkraften'“, hieß es 1981 im Magazin „Der Spiegel“. Die wachsende Popularität Deutschlands als Ort für einen längeren oder dauerhaften Aufenthalt fand ihren Ausdruck auch in der Zahl der bereits im Zeitraum von 1980 bis Ende 1981 von polnischen Bürgern gestellten Asylanträge, die einen sichereren Aufenthaltsstatus garantierten. Während es 1980 in Deutschland über 2.000 waren, gab es in England nur 90 Anträge. Insgesamt beantragten im Zeitraum von 1980 bis 1990 fast 122.000 Polen Asyl in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin, darunter auch viele Spätaussiedler, die durch ihren Sonderstatus während des Asylverfahrens in Deutschland bleiben und auf die endgültige Klärung ihrer Deutschstämmigkeit warten konnten. Durch Verhängung des Kriegsrechts in Polen überrascht, beschlossen viele in Westdeutschland und West-Berlin befindlichen polnischen Bürger, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Die außergewöhnliche Situation in Polen rief zugleich eine große Welle der Solidarität seitens der deutschen Politik und der Bevölkerung mit den größtenteils nolens volens zu Emigranten Gewordenen hervor. Positive Schlagzeilen in den Zeitungen sowie verständnisvolle Berichte und Kommentare im Fernsehen begleiteten dabei praktische Hilfsmaßnahmen der Behörden. Das wohl sichtbarste Beispiel bildete damals West-Berlin. Der Senat gewährte den dort verweilenden polnischen Bürgern umgehend eine großzügige Unterstützung in Sachen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, Sozialhilfe und Wohnberechtigung. Wegen der in West-Deutschland und West-Berlin weiterhin rasant steigenden Zahl der Zuwanderer, darunter viele aus Polen, und der damit verbundenen Probleme wurde die den polnischen Zwangsemigranten vom West-Berliner Senat gewährte aufenthaltsrechtliche und soziale Unterstützung nach einer relativ kurzen Zeit wieder entzogen. An ihre Stelle traten zum Teil drastische Einschränkungen in allen Lebensbereichen ein, die für den weiteren Verbleib relevant waren. Mit einem verschlechterten Aufenthaltsstatus konnten sie keine Arbeitserlaubnis und dadurch auch keine angemessene Wohnung mehr bekommen. Um nicht nach Polen zurückkehren zu müssen und einen geregelten Aufenthaltstitel zu erlangen, stellten immer mehr polnische Bürger Antrag auf politisches Asyl. In den allermeisten Fällen wurden die Anträge abgelehnt, die Antragsteller aber in der Bundesrepublik „geduldet“. Allein 1986 wiesen die Statistiken 270.000 Zuwanderer auf, die trotz rechtmäßig abgelehnter Asylanträge als „De-facto-Flüchtlinge“ in der Bundesrepublik Deutschland bleiben durften, darunter 100.000 aus Polen. In Hamburg machten die polnischen Asylanten sogar 29,4 Prozent der Gesamtzahl und somit die größte Gruppe aus: „Meistens trieben und treiben Not und Armut und eine verhangene Zukunft sie aus dem Land […]. In West-Berlin sind rund 11.700 Polen registriert, andere leben illegal, meist bei Verwandten.“ Trotz der schwierigen aufenthaltsrechtlichen Umstände haben es die meisten Zuwanderer aus Polen fertig gebracht, sich in der deutschen Gesellschaft sowohl ökonomisch als auch sozial und kulturell relativ schnell zu integrieren. Um nicht auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, nahmen sie jede mögliche Arbeit an. Vielen Akademikern, die keine Arbeit finden konnten, blieb nichts anderes übrig, als ganz unten anzufangen, wie es die West-Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John nicht ohne Anerkennung feststellte. Ende der 90er Jahre und Anfang 2000 besaßen die allermeisten polnischen Emigranten, die in den 70er und 80er Jahren nach Deutschland kamen, auch ohne deutschen Pass einen geregelten aufenthaltsrechtlichen Status und wurden im Allgemeinen zum anerkannten Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Als EU-Bürger erhielten sie mit dem EU-Beitritt Polens 2004 einige weitere Rechte. Das hat ihre Position sowohl gegenüber dem deutschen aber auch gegenüber dem polnischen Staat gestärkt. Die politische Wende in Mittelosteuropa eröffnete zugleich neue Perspektiven für viele polnische Emigranten, die sich im Exil nicht erfüllt oder nicht glücklich fühlten. Jeder, der bessere Chancen im Privat- oder Berufsleben in der alten Heimat erblickte, konnte und kann auch heute dorthin zurückkehren, ohne irgendwelche Nachteile befürchten zu müssen. Viele polnische Geschäftsleute in Deutschland haben einen Teil ihrer Aktivitäten nach Polen verlegt und agieren in beiden Ländern. Zahlreiche polnische Emigranten ohne deutsche Abstammung aber auch Spätaussiedler mit beiden Pässen haben inzwischen eine Wohnung oder ein Haus in ihrer alten Heimat. Durch die neuen politischen und ökonomischen Umstände verlor auch der Status des Emigranten seine ursprüngliche Bedeutung, glaubt Ewa-Maria Slaska: „Jetzt kann jeder dort leben, wo er will. Man kann jetzt aus freien Stücken in Deutschland, Frankreich, Amerika oder in Nepal leben. Das betrifft nicht nur uns Emigranten, sondern auch die Menschen, die in Polen sind.“22 2. DEUTSCH-POLNISCHE ANNÄHERUNG NACH 1989 ÜBER DIE ODER UND NEIßE HINWEG 2.1. STETTINS LANGSAMER WEG NACH DEM „NEUEN EUROPA“ 22 Ebenda. Ähnlich wie in Breslau, wurden in Stettin nach 1945 hauptsächlich viele aus den ehemals polnischen Gebieten stammende Einwohner angesiedelt. Außerdem kamen in die Stadt mehrere Tausend Ukrainer aus Südostpolen. Im Unterschied zu Danzig oder Breslau, erlebte die Hafenstadt Stettin in den ersten Jahren nach 1989 keine tief greifende Umwandlung. Das betraf sowohl die wirtschaftliche Struktur als auch das Stadtbild. Einer der Gründe dafür war die Politik des ehemaligen Stadtpräsidenten Marian Jurczyk. Der angesehene Held der Solidarnosc-Bewegung entpuppte sich auf seinem Posten vor allem als innovationsscheu und misstrauisch gegenüber ausländischen Investitionen, allen voran denen aus Deutschland. Genauso argwöhnisch schielten die polnischen Rechten auf ein vorsichtiges deutsches Engagement. In den letzten Jahren macht sich in Stettin ein langsamer aber stetiger Aufschwung bemerkbar. Eines der Anzeichen dafür sind die steigenden ausländischen Investitionen sowie die neu entstandenen Häuser im alten Stadtkern, die man angelehnt an die alten Pläne und Fotos erbaut hat. Auch wird Deutschland von den neuen Stettiner Regierenden immer mehr als Partner angesehen und man hofft auf die Zusammenarbeit. Zum wohl wichtigsten politischen Symbol der neuen Entwicklung zwischen Deutschland und Polen wurde das Multinationale Korps Nord-Ost (MNK NO; Multinational Corps North-East, MNC NE). Der aufgrund des Beschlusses von 1998 zwischen Dänemark, Polen und Deutschland aufgestellte gemeinsame militärische Großverband, wurde am 18. September 1999 in Stettin in Dienst gestellt. Gegenwärtig gehören deutsche bzw. dänische Soldaten zum Straßenbild der Stadt. Für die Stettiner Bürger ist das gutnachbarliche polnisch-deutsche Miteinander heutzutage Normalität. Im Rahmen einer groß angelegten Initiative wurde vor kurzem auf dem Stettiner Zentralfriedhof ein Lapidarium, d.h. eine zentrale Grabstätte für die dort begrabenen deutschen Stettiner eingeweiht. Man renoviert auch viele deutsche Baudenkmäler und Tafeln und hält die deutsche Vergangenheit der Stadt als gemeinsames Gut. Dies meinen viele Stettiner. Bei einem Volksentscheid über die Ernennung des Stettiner des Jahrhunderts gewann zwar der erste polnische Bürgermeister von Stettin nach 1945, Piotr Zaremba. Die nächsten Plätze hinter ihm belegten aber zur Überraschung von vielen zwei Deutsche, und zwar noch von mehreren polnischen Kandidaten. Mit dem Platz zwei bedachten die Polen den ehemaligen deutschen Oberbürgermeister in den Jahren 1878-1907 und Ehernbürger von Stettin, Doktor Hermann Haken. Mehr noch. Trotz starker Widerstände seitens der polnischen rechts-nationalen von der Liga der Polnischen Familien wurde vor kurzem auch ein Platz in Stettin nach Hermann Haken benannt, und zwar „rondo Hakena“. Die Bürger haben vor allem seine Verdienste um den Ausbau und die Entwicklung der Stadt anerkannt, sagt der Stettiner Journalist Zbigniew Plessner. 2.2. BRESLAUS DRANG NACH WESTEN Mit 75 % der kriegsbedingten Vernichtung der Bausubstanz und Infrastruktur gehörte Breslau nach 1945 zu den am meisten zerstörten Städten Europas. Die nach der Flucht, Aussiedlung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung angesiedelten polnischen Einwohner, meist polnische Umsiedler und Vertriebene aus den ehemals polnischen Ostgebieten, bauten die Stadt wieder auf. Der mit der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung nach dem Ende des Kommunismus eingesetzte Boom in Polen erfasste auch die schlesische Metropole an der Oder. Viele namhafte Firmen und Konzerne eröffnen in Breslau ihre Filialen oder bauen ganz neue Unternehmen auf. In der Stadt wachsen wie Pilze moderne Technologiezentren, Produktions- und Dienstleitungsunternehmen mit Kapital aus Europa, Asien und Amerika. Darunter befinden sich immer mehr deutsche Investoren, sagt der neu gewählte alte Stadtpräsident Rafał Dutkiewicz. Und das war nicht immer so, meint er: „Ziemlich lange galt es in Deutschland als politisch unkorrekt, in Breslau zu investieren. Also lieber in Posen oder Warschau oder Krakau, um die Frage zu vermeiden, wieso gerade in Breslau. Glücklicherweise ist die Zeit vorbei. Jetzt investiert man einfach . Ich würde sagen, die deutschen Investitionen sollten noch weiter wachsen, dass wir eine deutliche Beschleunigung bekommen, weil das Wirtschaftliche das Wichtigste ist.“ Die pragmatische Einstellung und der Verzicht auf die große Politik erlauben es Rafał Dutkiewicz, so zu handeln, wie er es für richtig für die Stadt hält. Auch dadurch kann er weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Deutschland bauen. Dabei hat die Stadt sehr viel anzubieten, meint er: „Also gute Arbeitskraft für einen guten Preis. Das ist etwas, was wir anbieten können. Und gleichzeitig wenn Sie dazu die geographische Lage nehmen, dann ist es schon interessant, weil es wirklich nah ist. Also aus Nürnberg das sind 600 Kilometer. Also wenn die Autobahn fertig ist, das sind 4-5 Stunden. Aus München 800 Kilometer. Aus Berlin 300. Und der Zugang des Autobahnsystems wird bald wirklich gut sein.“ Der deutsche Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Industrieund Handelskammer, Lars Bosse beurteilte in einem Interview die wirtschaftliche Entwicklung in Niederschlesien sehr gut. Zu den Gründen zählt er neben der geografischen Lage auch die qualifizierten Arbeitskräfte und die gute Atmosphäre bei den Behörden vor Ort: „Die Grenznähe der Region Niederschlesien ist sehr positiv für die Entwicklung. Die Infrastruktur, die Autobahnanbindung, der Flughafen, die Bahnverbindung – all das führt dazu, verbunden mit der Universität, den vielen Studenten hier, dass die Region sich sehr gut entwickelt. Das Investitionsklima hier in Niederschlesien ist sehr gut. Viele Unternehmer, viele Mitarbeiter auch der Stadtverwaltung sprechen Deutsch. Das erleichtert die Arbeit. Die Chancen auch für kleine und mittelgroße Firmen aus Deutschland sind deshalb recht gut“, meint Lars Bosse. Das Familienunternehmen Stieblich Hallenbau aus Güstrow bei Rostock hat schon vor über 15 Jahren die Chancen auf dem polnischen Markt erkannt und gründete eine polnische Tochtergesellschaft in Niederschlesien, sagte ihr Leiter, der Diplom-Ingenieur Uwe Stieblich, in einem Interview. Seine Firma baut Produktionshallen, moderne Logistikzentren und Lagerhallen mit Bürogebäuden. Die ersten sieben Jahre des Engagements in Polen waren für seine Firma alles andere als positiv. Es gab Schwierigkeiten mit der Bürokratie und den damaligen alten Vorschriften. Auch gab es anfangs wenige Aufträge. In den letzten Jahren hat sich das sehr umgeschlagen. Die Auftragsbücher sind voll und die Firma sieht äußerst positiv in die Zukunft, und zwar was Personal, die Aufträge und den Gewinn angeht. Mehr Chancen als Risiken in der direkten Nachbarschaft zwischen Niederschlesien einerseits und Sachsen, Brandenburg und Berlin andererseits sieht auch der Leiter der Abteilung Stadtentwicklung in Breslau, Grzegorz Roman. Die bisherigen Erfahrungen bestätigen, dass die grenzüberschreitende Kooperation die mit den polnischen Nachbarregionen übertrifft, sagte er in einem Zeitungsinterview: „Natürlich konkurrieren alle miteinander. Wir auch, und zwar nicht nur mit Sachsen, Brandenburg, sondern auch mit den polnischen Nachbarwojewodschaften und etwas mit Tschechien. Das Interessante dabei ist, dass wir die stärksten partnerschaftlichen Beziehungen nicht mit den polnischen Wojwodschaften, sondern mit den deutschen Regionen haben. Und im Rahmen der EU-Programme wie z.B. Via Regia arbeiten wir eben mit Sachsen, Brandenburg und interessanterweise auch mit Berlin am engsten zusammen. Es ist erstaunlich, aber angeblich ist eine gute Zusammenarbeit eben dann möglich, wenn man ähnliche Produkte und Dienstleitungen anbietet und miteinander konkurriert. Und bei uns wird das bestätigt.” 2.3. GEMEINSAM STUDIEREN – SŁUBICE UND FRANKFURT/ODER In dem beschaulichen Städtchen Slubice mit seinen 17.000 Einwohnern sind die Studenten und Studentinnen auf den ersten Blick zu erkennen. Sei es, dass sie am Collegium Polonicum studieren – was alleine schon 1.500 von ihnen tun. Sei es, dass sie an der Viadrina, mithin auf der deutschen Seite, studieren, aber in den Studentenheimen in Slubice wohnen. Andere wiederum kommen einfach mal zum Bummeln oder zum Einkaufen auf die andere Oderseite. Das auf der anderen Oderseite von Frankfurt / Oder am 12.10.1998 feierlich eröffnete Collegium Polonicum bildet - wie es offiziell heißt - „eine neue Form grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Forschung und Lehre. Es wird in gemeinsamer Verantwortung von der Republik Polen und dem Land Brandenburg getragen. Es ist eine gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań (Posen).“ Darüber hinaus übernimmt das Collegium Polonicum die Rolle eines Begegnungszentrums für den Bereich Wissenschaft und Kultur, Konferenzen, Seminare, Ausstellungen und populärwissenschaftliche Veranstaltungen mit dem Ziel, die deutsch-polnischen Beziehungen zu stärken und zu verbessern, heißt es auf der Internetinfoseite. 2.4. GEMEINSAM GEGEN VORURTEILE – DEUTSCH-POLNISCHER JOURNALISTENCLUB „UNTER DEN STEREO-TYPEN“ Die Gründungsidee des Deutsch-Polnischen Journalistenclubs mit Sitz in Potsdam entwickelten die Teilnehmer der Konferenz „Zum Bild des Nachbarn in der Presse des Grenzgebiets“ im Herbst 1993. Er existierte zunächst als informeller Kreis bei der DPG Brandenburg. Ansprechpartner waren von Anfang an Ruth U. Henning auf deutscher und Andrzej Kotula auf polnischer Seite. Ende 1997 beschlossen die Clubmitglieder, einen eigenständigen Verein zu gründen. Seine Aktivitäten beinhalten u.a. eine jährliche dreitägige Konferenz zu jeweils aktuellen, kontroversen Themen, die in der Regel in der Zeitschrift TRANSODRA zweisprachig dokumentiert werden; die Organisierung von Studienreisen (z.B. mecklenburgisch-polnisches Grenzgebiet, Europäische Kommission in Brüssel; polnische Ostgrenze u.a.), die Herausgabe der Zeitschrift TRANSODRA (seit 1993) und des deutschpolnischen Pressedienstes „TRANSODRA-SPEZIAL – Kreuz und quer über die Grenze“ (seit 1996). Darüber hinaus bietet er Hilfe für Journalisten/innen, die Kontakte suchen oder bei eventuellen Recherchen im jeweils anderen Land Hilfe benötigen. Der Journalistenclub wurde im Jahre 1997 mit dem jährlich vergebenen Deutsch-Polnischen Preis ausgezeichnet. 3. MENSCHLICHE DIMENSIONEN DER POLITISCHEN ANNÄHERUNG POLEN LASSEN SICH IN DEUTSCHLAND UND DEUTSCHE LASSEN SICH IN POLEN NIEDER Die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Situation in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ließ neue Perspektiven und Möglichkeiten entstehen, die den Begriff deutsch-polnische „Migration“ teilweise neu definieren lassen. Ein Beispiel dafür lieferten u. a. tausende polnische Familien aus der Wojewodschaft Westpommern, die 2004 und später in Mecklenburg-Vorpommern Wohnungen oder Häuser gemietet bzw. gekauft haben, dorthin umgezogen sind und jetzt unter Deutschen wohnen. Immer mehr Deutsche lassen sich andererseits in Polen nieder, arbeiten oder leben dort als Rentner. 3.1. Beispiel Mecklenburg-Vorpommern Trotz der vielen Bauinvestitionen im Wohnungsbereich herrscht in den polnischen Ballungsräumen immer noch ein großer Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Auch die hohen Mieten und Preise für Wohnungseigentum, die bereits die in manchen deutschen Städten übersteigen, machen es vielen vor allen kinderreichen Familien unmöglich, eine geeignete Wohnung zu finden. Einen Ausweg sehen immer mehr meist junge Leute aus Stettin und Umgebung in Deutschland, zumal an der deutsch-polnischen Grenze. In manchen Dörfern und Ortschaften in Mecklenburg-Vorpommern helfen sie dadurch, die großen Wohnungsleerstände zu beseitigen und viele Häuser vor dem Abriss zu bewahren. Diese sind durch den Wegzug von bis zu 30 % der ehemaligen Einwohner entstanden, die dort keine wirtschaftliche Perspektive mehr für sich sahen. Auch die schwach strukturierte Region beginnt von der Entwicklung zu profitieren, zumal sich dort immer mehr polnische Unternehmer niederlassen und investieren. In vielen Ortschaften, Dörfern bzw. Städten im Kreis Uecker-Randow Mecklenburg Vorpommern gehören die bereits über Hundert polnischen Familien zum Straßenbild. Meist sind es junge Leute mit Kindern, die in Penkun, Grambow, Bismark oder Löcknitz ein Zuhause gefunden haben. Fast alle arbeiten weiterhin in Stettin oder Umgebung, kehren nach der Arbeit aber nach Hause nach Deutschland zurück. Ihre Kinder gehen fast ausnahmslos auf deutsche Schulen. Lothar Meistring, der Bürgermeister von Löcknitz, einer Ortschaft mit 3000 Einwohnern, gehört zu den größten Befürwortern der Ansiedlung von polnischen Familien. Ansonsten würde die Gegend noch mehr unter der Abwanderung von Menschen und Wirtschaftskraft leiden, ist er überzeugt. 3.2. Beispiel Görlitz / Zgorzelec Laut Einwohnermeldeamt in Görlitz wohnen zurzeit insgesamt 1773 ausländische Personen in der Stadt, die meisten davon Polen. Beliebte Wohnorte der ausländischen Mieter sind vor allem die Innenstadt, die Historische Altstadt und die Südstadt. Entscheidend für den Umzug waren für die polnischen Bürger vor allem die bezahlbaren Mieten und das große Angebot an Wohnungen. Neben Polen leben auch noch andere Nationalitäten wie Griechen, Bulgaren, Vietnamesen, Türken oder Italiener in der Stadt. 3.3. Beispiel Muhrau / Morawa Die Frage der Rückkehr von Deutschen in die verlorene Heimat weckte in Polen nach 1945 Ängste wegen des befürchteten erneuten Verlustes der Häuser oder Bauernhöfe. Das Beispiel der 76-jährigen Melitta Salai, geborene von Wietersheim-Kramsta, bezeugt eine ganz andere unerwartete Entwicklung. Nach 50 Jahren und nach weiten und schwierigen Umwegen über einige Länder ist sie in ihr Geburtshaus in Niederschlesien zurückgekehrt. Glücklicherweise überstand das prächtige Herrenhaus den Krieg und wurde nicht durch die sowjetischen Soldaten niedergebrannt. Nach 1945 wurde das ehemalige Gut der Familie von WietersheimKramsta in eine LPG umgewandelt und in dem riesigen Haus befanden sich die Büroräume. Mit Beginn der sich verstärkenden deutsch-polnischen Kontakte in den 70er und den 80er Jahren besuchten einige Mitglieder der Familie von Wietersheim-Kramsta mehrmals ihr ehemaliges Gut. Das Angebot des polnischen LPG-Direktors, in dem Haus etwas aufzubauen, nahmen sie ernst und beschlossen, einen Kindergarten für Kinder aus armen Familien zu gründen. Um die Sache vor Ort zu betreuen, kam die damals 62jährige Melitta Salai in ihr Geburtshaus zurück und ist bis heute geblieben. In den Räumen des inzwischen renovierten Gebäudes befindet sich neben der ”Kindertagesstätte St. Hedwig” auch eine deutsch-polnische Jugendbegegnungsstätte. Nach dem anfänglichen Misstrauen der Dorfbevölkerung und der Kreisbehörden ist Melitta Salai heute eine anerkannte und sehr geschätzte Person. In der polnischen Presse sind mehrere Artikel über sie erschienen und im Fernsehen liefen einige Berichte über ihr Schicksal. Seit einigen Jahren besitzt Melitta Salai die polnische Staatsbürgerschaft. 3.4. Beispiel Neuwarp / Nowe Warpno Vor 1945 gehörte Neuwarp, wie der auf einer Halbinsel zwischen dem Neuwarper See in Mecklenburg-Vorpommern und dem Stettiner Haff liegende Badeort auf Deutsch heißt, zu Deutschland. Die letzten dort noch verbliebenen von den ursprünglich 2000 deutschen Einwohnern mussten 1947 ihn verlassen. Bis zur politischen Wende 1989 trauten sich nur wenige ehemalige Neuwarper, ihre alte Heimat zu besuchen. Seit einigen Jahren – immer Ende April und Anfang Mai - besuchen ein paar Dutzend von ihnen zusammen mit einigen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lebenden Neuwarpern jetzt regelmäßig ihre Heimatstadt. In Nowe Warpno, wie der Ort auf Polnisch heißt, werden sie nicht nur von einigen Behördenvertretern offiziell begrüßt. Unter den Einheimischen befinden sich auch der gebürtige Neuwarper Uwe Conrad und seine in Stettin geborene Frau Margit, die dort seit 7 Jahren leben. Nachdem Uwe Conrad mit seiner Familie 1947 Neuwarp verließ, lebte er im nahen Rieth auf der anderen, der deutschen Seite des Haffs. Von dort aus konnten sie die Glocken der Neuwarper Kirche hören. Auch wussten sie, dass ihr ehemaliges Haus immer noch steht und in Ordnung gehalten wird. Kurz vor der politischen Wende in der DDR bekamen Uwe Conrad und seine Familie die Erlaubnis zur Ausreise in die Bundesrepublik. Als er Rentner wurde, beschloss er zusammen mit seiner körperlich schwer behinderten Frau, in die alte Heimat zurückzukehren. Da sie in Altwarp kein geeignetes Grundstück finden konnten, haben sie sich vor fünf Jahren eins in ihrer Heimatstadt Neuwarp gekauft und dort ein Haus gebaut: „Und jetzt sind wir ´w Nowym Warpnie´ (in Nowe Warpno) und haben keinen Tag bereut. Inzwischen sind wir halbe Polen schon von unserer Gefühlsmäßigkeit. Die Polen sind, es ist ein ganz warmherziges, stolzes, bescheidenes Volk mit einer alten reichen Kultur und Tradition. Also was wir hier für phantastische Menschen kennen gelernt haben! Wir fühlen uns absolut wohl. Wir wollen nichts zurück haben von dem, was wir hatten. Da muss mal Schluss sein. Die müssen in Frieden leben und auch zur Ruhe kommen, die Polen. Und niemand ist schuld daran. Niemand kann was dafür von den Polen, dass er hier ist“, betont Uwe Conrad. 3.5. Beispiel Küstrin / Kostrzyn Auf der polnischen Seite der Oder befindet sich heute der größere Teil des Stadtgebietes von Küstrin, und auf der deutschen Seite die ehemalige Vorstadt Küstrin-Kietz sowie das Küstriner Vorland. Vor dem Krieg zählte die Stadt 24 000 Einwohner. Heute wohnen in Kostrzyn, ehemals Küstrin-Neustadt, etwa 18.000 Menschen, meist Nachkommen der aus dem ehemals polnischen Osten Vertriebenen Polen. Während Küstrin-Neustadt von den polnischen Einwohnern nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, zeugen von der Altstadt nur noch gespenstisch anmutende Ruinen. Auch deshalb nennt man die Altstadt auch das Küstriner Pompeji. Immer mehr deutsche Touristen besuchen die Reste der Festungsanlagen. Inmitten der Ruinenstadt befindet sich ein Imbisswagen von Klaus Ahrendt (45). Nach Küstrin hat ihn im Sommer 2000 die Abenteuerlust verschlagen. Da es ihm dort so gefallen hat, beschloss er, etwas länger in Polen zu bleiben und zu arbeiten. Anfangs versuchte Klaus Ahrendt, sich in seinem Beruf als Versicherungskaufmann zu betätigen. Da es ihm an Sprachkenntnissen vor allem am Fachjargon fehlte, beschloss er, sich beruflich umzuorientieren und einen Imbiss zu betreiben. Er hat in Küstrin geheiratet und sich auch wirtschaftlich etabliert. In der Nachsaison schließt Klaus Ahrendt seine Minigastronomie und führt Besuchergruppen aus Deutschland durch die zum Teil freigelegten Strassen der Altstadt und die umliegenden Forts und Bunkeranlagen. Dank seinen inzwischen sehr guten Polnischkenntnissen führt er auch polnische Reisegruppen nach Berlin und Potsdam. 2011 Jahr soll Klaus Ahrendt die polnische Staatsbürgerschaft bekommen. 3.6. Beispiel Misdroy / Miedzyzdroje Vor dem EU-Beitritt Polens im Mai 2004 warnten national gesinnte Politiker an der Weichsel vor einer möglichen Invasion ausländischer Immobilienhändler und Spekulanten. Um dem befürchteten massiven Ausverkauf billiger Ländereien und Grundstücke zuvorzukommen, wurden zeitlich begrenzte Einschränkungen beschlossen und auch für den Erwerb von Häusern und Wohnungen mit Anteil am Grund und Boden wurde eine Genehmigungspflicht seitens des Innenministeriums eingeführt. Mit der polnischen EU-Mitgliedschaft wurde diese teilweise aufgehoben. So können Ausländer jetzt Eigentumswohnungen in ganz Polen völlig frei kaufen. Unter den Interessenten gibt es immer mehr Deutsche, die 2006 den dritten Platz belegt haben. Im Unterschied zu den Briten, Iren oder Spaniern, die Wohnungen in polnischen Großstädten wie Warschau, Krakau oder Breslau meist als Geldanlage kaufen, suchen sich viele Deutsche ihre Wohnungen auch in kleineren Städten und Ortschaften als Urlaubsdomizile aus. Dies übrigens nicht erst seit dem polnischen EU-Beitritt, sondern bereits seit Mitte der 1990 Jahre. Ein Beispiel dafür ist Misdroy an der Ostsee. Wie vor 1945 die Deutschen, leben auch die meisten heutigen Einwohner Misdroys vom Tourismus. Die zahlenmäßig größte Gruppe bilden Touristen aus Deutschland. Den 34jährigen Immobilienhändler aus Misdroy, Piotr Kwiecien, wundert es nicht: „Sie fühlen sich hier sehr gut. Die Angestellten in den Hotels, Pensionen und Restaurants sprechen fast alle mehr oder weniger Deutsch oder Englisch, so dass es keine Sprachschwierigkeiten gibt. Es gibt auch Sentimentaltouristen zwischen 60 und 70 Jahren, die oftmals von hier oder der Umgebung stammen und gerne diese Gegend besuchen.“ Seit 10 Jahren ist Piotr Kwiecien Mitbesitzer des wohl bekanntesten Immobilienbüros in Misdroy, „Avril Immobilien“. Das Geschäft läuft gut, denn immer mehr Besucher auch aus Deutschland und anderen Ländern verfallen dem Charme von Misdroy und kaufen sich dort Eigentumswohnungen, meint der Immobilienfachmann: „Sicherlich hängt es mit dem polnischen EU-Beitritt und der Liberalisierung der Vorschriften über den Immobilienerwerb durch Ausländer zusammen. Bei den Wohnungen gibt es jetzt nämlich keine Beschränkungen. Schade nur, dass diese Information in Deutschland nicht genug verbreitet ist. Und sie dürfen es doch seit dem polnischen EU-Beitritt und vor allem nach der Ostverschiebung der Schengener Grenze“. Elżbieta Opiłowska GEGENWART UND ERINNERUNG – DAS DEUTSCHE UND POLNISCHE KULTURERBE AN DER ODER Der Fluss „als stabiles Element einer natürlichen Landschaft nahm und nimmt nach wie vor [...] unmittelbar Einfluss auf die urbanistisch-architektonischen Lösungen der an den Flüssen gelegenen Städte, Dörfer und Siedlungen, auf ihre Berufsstruktur, ihre Transport- und Verkehrsysteme und schließlich auf die Rhythmen und Zyklen des Alltags, und damit auf die einzelnen und gemeinsamen Schicksale“ – schreibt der Soziologe Marek S. Szczepański.23 Im Jahre 1945, infolge der Grenzverschiebung wurde der Fluss zur hermetischen Grenze zwischen zwei Staaten. Der Raum am Fluss musste neu definiert werden, man versuchte neue Identifikationsmuster zu schaffen. Die englische Sprache unterscheidet zwischen dem abstrakten Konzept von „Raum“ (space) und der konkreten Verwirklichung in Form von Landschaft (place). Susanne Kühling weist darauf hin, dass diese Dichotomie die Unterscheidung zwischen objektivem, geometrischem Raum und subjektiv erlebter, im ständigen Wandel befindlicher Landschaft impliziert. In der Ethnologie bedeutet Landschaft eine Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Elemente des Raumes können Symbole oder Gedächtnisstützen darstellen. Landschaft wird subjektiv erlebt. Landschaft wird von individuellen Assoziationen und kulturellen Zuschreibungen geprägt.24 1945 sollte die subjektiv erlebte deutsche Landschaft polnisch werden: Das gesamte Erbe, nicht nur Kunstdenkmäler, bekannte Erinnerungsstätte, sondern auch das, was den Alltag der Menschen bestimmte, von den Straßen- und Ortsnamen bis hin zu Bibliotheken und Schulen. Das Abbild dieser Wirklichkeit, bemerkte Gerhard Labuda, im Empfinden der Ausgesiedelten „seit alters her“ deutsch, setzte sich in deren Gedächtnis fest wie das Bild eines plötzlich angehaltenen Films.25 Was diese Zeit prägte, waren Chaos, Willkür, Ausfuhr und Diebstahl von Kulturgütern und der sog. „Szaber“ – Plünderungen. Es ist kaum möglich festzustellen, was und wie viel in dieser Periode aus den deutschen Museen, Herrenhäusern, Schlössern, Kirchen und Privathäusern zuerst von den sowjetischen Armee und dann von den Plünderern geraubt und abtransportiert wurde. Die Einstellung der neuen Ansiedler zum deutschen Kulturgut war nach den Kriegs- und Okkupationserfahrungen eindeutig negativ. Deswegen wurden die Entfernung der deutschen 23 Szczepanski, Marek S: Socjologia przestrzeni i przestrzeń kulturowa rzeki. Impresje socjologiczne (Raumsoyiologie und Kulturraum eines Flusses. Soyiologische Impressionen), in: Karta Kulturowa Rzeki 1993, S. 27f. 24 Vgl. Kühling, Susanne: Landschaft, in: Pethes, Nicolas/Ruchatz, Jens (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung als interdisziplinäres Lexikon, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 339f. 25 Labuda, Adam S.: Das deutsche Kunsterbe in Polen. Ansichten, Stereotypen und Meinungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Tomaszewski, Andrzej/ Winterfeld von, Dethard (Hg): Das gemeinsame Kulturerbe. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit in der Denmalpflege 1970 – 2000, Deutsch-polnische Edition, Warszawa 2001 , S. 31-47, hier S. 32. Inschriften oder Zerstörung der deutschen Denkmäler als Akt des Patriotismus wahrgenommen. Die Aneignung des fremden Terrains: Entdeutschung und Repolonisierung Die Angliederung der deutschen Gebiete wurde mit dem Piasten-Mythos legitimiert.26 Es wurde die Lebendigkeit und Dauerhaftigkeit der piastischen Traditionen in den neuen Westgebieten betont. Man sprach von der „Rückkehr der Piasten-Länder“ an das Mutterland. Die „Wiedergewonnenen Gebiete“ wurden von der kommunistischen Macht als Integrationsfaktor betrachtet, der die Gesellschaft an die neue Macht binden sollte.27 Die kommunistische Macht in Zusammenarbeit mit der Sowjetunion sollte als Garant der Westgrenze fungieren. Die Besiedlung und Bewirtschaftung der Westgebiete war die Priorität der neuen Macht, weil sie zur Stärkung der Position Polens auf der internationalen Ebene beitragen sollten.28 Bereits im Jahre 1944 rief man im Manifest des Polnischen Komitees für Nationale Befreiung (PKWN) vom 22. Juli alle Polen zum Kampf um Rückkehr der polnischen Gebiete wie Pommern, Oppelner Schlesien, Ostpreußen, um breiten Zugang zum Meer und um polnische Grenzsäulen an der Oder auf.29 Doch der Terminus „wiedergewonnene Gebiete“ war keine polnische Nachkriegserfindung, worauf Beate Störtkuhl hinweist. Vor 1945 war Breslau ein Zentrum der Schlesienforschung. In der NS-Zeit bildete sich um Dagobert Frey, den Inhaber des Kunstgeschichtslehrstuhls und Günther Grundmann, den Provinzialkonservator, eine Gruppe kunstgeschichtlicher „Ostforscher“, die die Einflusssphären deutscher Kunst und Kultur im östlichen Europa forschten und damit der nationalsozialistischen Expansionspolitik eine wissenschaftliche Legitimierung lieferten. Nach 1939 entwarf Frey u.a. Propagandaausstellungen wie „Deutsche Kunst im ehemaligen Polen“. Grundmanns Band “Deutsche Kunst im befreiten Schlesien“30 gehörte zu den NS-Publikationen, die der Öffentlichkeit „Wiedergewonnenes deutsches Land“ nahe zu bringen suchten.31 26 Zur Entstehungsgeschichte des Piasten-Mythos vgl.: Strzelczyk, Jerzy: Die Piasten – Tradition und Mythos in Polen, in: Saldern von, Adelheid (Hg.): Mythen in Geschichte und Geschichtsschreibung aus polnischer und deutscher Sicht, Münster 1996, S. 113-131. 27 Vgl. Kersten. Krystyna: Narodziny systemu władzy (Die Geburt des Machtsystems), Poznań 1990, S. 147 28 Vgl. Tyszkiewicz, Jakub: Propaganda Ziem Odzyskanych w prasie Polskiej Partii Robotniczej w latach 1945-1948 (Propaganda der Wiedergewonennen Gebiete in der Presse der Polnischen Arbeiterpartei 19451948), in: Przegląd Zachodni 4 (1995), S. 115-122. 29 Vgl. Sudziński, Ryszard: Taktyka i propaganda władz komunistycznych w stosunku do ziem odzyskanych w latach 1944-1949 (Strategie und Propaganda der kommunistischen Macht in Bezug auf die Wiedergewonnenen Gebiete in den Jahren 1944-1949), in: Łach, Stanisław (Hg.): Władze komunistyczne wobec ziem odzyskanych po II wojnie światowej. Materiały z konferencji (Das Verhältnis der kommunistischen Machthaber zu den Wiedergewonnenen Gebieten nach dem Zweiten Weltkrieg. Konferenzmaterialien), Słupsk 1997, S. 7-27, hier. S. 8. Grundmann, Günther: Deutsche Kunst im befreiten Schlesien. Breslau 1940; Wiedergewonnenes deutsches Land, 1941. 30 31 Vgl. Störtkuhl, Beate: Das Bild Schlesiens in Darstellungen zur Kunst- und Kulturgeschichte nach 1945 – vom „wiedergewonnen Land“ zum „gemeinsamen Kulturerbe“, in: Bingen, Dieter, Loew, Peter Oliver. Popp, Nach 1945 sollten nun polnische Wissenschaftler den Nachweis liefern, dass die „Wiedergewonnenen Gebiete“ als Kernländer des mittelalterlichen polnischen Piastenreichs stets dem „Mutterland“ verbunden geblieben waren, zu dem sie nun jetzt „zurückkehren“. Eine wichtige Rolle dabei spielte das 1944 gegründete Westinstitut. Zygmunt Wojciechowski, der Direktor des Westinstituts, hat als die wichtigste Aufgabe für sich selbst und die polnische Gesellschaft Folgendes gesehen: „den Deutschen die polnischen Gebiete auf Dauer wegzunehmen und zu einer Bastion des Slawentums auszubauen, gestützt auf unseren östlichen Nachbarn, mit dessen Hilfe wir im Bedarfsfall rechnen können“32. 1948 veröffentlichte er die Monographie der Oder, in der er die Bedeutung des Flusses für polnische Geschichte in den Vordergrund stellte. Zu den Zentren des „Westgedankens“ zählten aber auch Schlesisches Institut in Oppeln und Ostseeinstitut in Danzig. Es entstanden solche Publikationen wie z. B. 1947 von Władysław Grabski „200 miast wraca do Polski“33 (200 Städte kehren zu Polen zurück), oder ein Sammelband „Niederschlesien“ von Kiryl Sosnowski und Mieczysław Suchocki34 und die Monographie von Tadeusz Dobrowolski „Sztuka na Śląsku“35. In den Texten wurden die Piasten hervorgehoben, deutsche Einflüsse vermindert und statt deren französische und italienische betont. Stanisław Lorentz, der Kunsthistoriker und Direktor des Nationalmuseums in Warschau (1936-1982) forderte nach Genugtuung: Die von den Deutschen bewusst zerstörten polnischen Kulturgüter sollten nun aus deutschen Beständen ausgeglichen werden.36 Auch Edmund Osmańczyk, der in den Nachkriegsjahren als einer der ersten die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Deutschland sah und den Blick nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft forderte, schrieb 1945 wie folgt: Vor sechshundert Jahren ging das ermorderte kaschubische Danzig verloren. Nach der Weichselkehle griffen die Hände des Deutschen Ordens. All diese herrlichen, polnischen Königsadler, Privilegienurkunden und Streitakten haben heute den Sinn, sagen wir es endlich, uns die historische Schwäche Polens vor Augen zu führen. [...] Drei Tage vor der Ankunft in Danzig war ich in Warschau. Dort wurde in mir ein Aufruhr geboren, der Wahnsinn angesichts der Unwiederbringlichkeit des alten Warschau. [...] In Danzig registrierte ich kühl die Zerstörung. Vielleicht bin ich ein Barbar, doch wenn Prof. Jan. Kilarski, der verdiente Historiker des Polentums Danzigs, über die Unmöglichkeit spricht, die Marienkirche wiederaufzubauen, finde ich in mir eine unziemliche Freude. Wenn schon alle Gassen des alten Danzig, das Stadtzentrum, abgebrannt und in Schutt und Asche gelegt sind, wenn die Danziger Kräne und Speicher Dietmar (Hg.): Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen seit 1939/Wizualne konstrukcje historii i pamieci historycznej w Niemczech i w Polsce po 1939 roku, Warszawa 2009, S. 49-68. 32 Wojciechowski, Zygmunt: Grunwald, in: Przegląd Zachodni 1 (1945), S. 1-8, hier. S. 7. 33 Grabski, Władysław, Jan: 200 miast wraca do Polski (200 Städte kehren nach Polen zurück) , Poznań 1947. 34 Sosnowski, Kiryl/ Suchocki, Mieczysław Suchocki (Hg): Dolny Śląsk (Niederschlesien), Poznań 1948. 35 Dobrowolski, Tadeusz: Sztuka na Śląsku (Die Kunst in Schlesien), Katowice 1948. 36 Vgl. Lorentz, Stanisław: O zadośćuczynienie (Um Genugtuung), in: Nowa epoka 2 (1945). unter Bombenschlägen versunken sind, wenn all das verlorenging, was vom Charakter der Deutschordenherrschaft in der Weichselmündung übersättigt war, werden wir es nicht wiederaufbauen, noch den Trümmern Tränen nachweinen... Von Danzig blieb nur das, was jeder internationale Hafen besitzt, nämlich Hafeneinrichtungen, Werften, Fabriken, Arbeitervorstädte. Mehr ist für uns nicht nötig. Danzig bauen wir endlich auf polnische Art allein auf, nicht für den Deutschordenshochmut.“37 Das Ziel der nationalen Politik der polnischen Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg war die kulturelle „Zwangshomogenisierung“38 der Gesellschaft. Das „fremde Element“ sollte aus Polen und insbesondere aus den neuen West- und Nordgebieten entfernt werden. Dabei handelte sich um den Zwangsanschluss der „Autochthonen“39 an das polnische Volk40 und im weiteren um symbolischen Charakter der Polonisierung. Der Hass auf die Deutschen und die Angst vor ihrer Rückkehr sollten die polnische Gesellschaft integrieren und sie mit der neuen Staatsgewalt verbinden. Im Jahr 1948 wurde in Breslau eine „Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebiete“41 organisiert. Die Ausstellung stellte den historischen Konflikt zwischen Deutschen und Polen dar, argumentierte die Oder-Neiße-Grenze mit historischen, politischen und wirtschaftlichen Begründungen und betonte die Erfolge bei dem Aufbau des Polentums in diesen Gebieten. Die Ausstellung besuchten ca. 1,5 Millionen Menschen, davon den größten Teil die organisierten Reisen von Schulkindern und Arbeitern bildeten.42 37 Edmund Osmańczyk, Gdański finał (Danziger Finalle), in: Odrodzenie, Nr 23, vom 6.05.1945, S. 7. 38 Vgl. Stokłosa, Katarzyna: Grenzstädte in Ostmitteleuropa. Guben und Gubin 1945 bis 1995, Berlin 2003, S. 43-49. 39 Die Bezeichnung “Autochthone” ist mit dem Mythos von Wiedergewonnenen Gebieten verbunden. Polen hatte nämlich seinen Anspruch auf Angliederung der Nord- und Westgebieten u.a. mit der Existenz einer großen Zahl der dort lebenden, ethnisch polnischen Bevölkerung begründet. Wegen der Herkunft wurden die Autochthonen, die bisher deutsche Staatsbürger waren, als repolonisierungsfähig angesehen und der Verifizierungsprozedur unterstellt. 40 Vgl. Nitschke, Bernadetta: Wysiedlenie ludności niemieckiej z Polski w latach 1945-1949 (Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen in den Jahren 1945-1949), Zielona Góra 1999, S. 120; Strauchold, Grzegorz: Polska ludność rodzima ziem zachodnich i północnych. Opinie nie tylko publiczne lat 1944-1948 (Die polnische autochthone Bevölkerung der West- und Nordgebiete. Nicht nur öffentliche Meinungen aus den Jahren 1944-1948), Olsztyn 1995, S. 95; Wrzesiński, Wojciech: Problematyka polskiej ludności rodzimej na ziemiach postulowanych w latach II wojny światowej (Die Frage der polnischen Autochthonen in den geforderten Gebieten während des Zweiten Weltkriegs), in: Przegląd Zachodni 5-6 (1989), S. 153-167. 41 Vgl. Archiwum Państwowe we Wrocławiu, Filia w Lubaniu Śląskim (Staatsarchiv Wrocław, Filiale in Lauban), Starostwo Powiatowe w Zgorzelcu: Okólniniki władz zwierzchnich 1945-1948, Sign. 29/6: Verordnung des Chefs des Ministerrates vom 5. April 1948. 42 Vgl. Tyszkiewicz, Jakub: Sto wielkich dni Wrocławia. Wystawa Ziem Odzyskanych we Wrocławiu a propaganda polityczna ziem zachodnich i północnych w latach 1945-1948 (Hundert große Tage Breslaus. Die Ausstellung der Wiedergewonnenen Gebieten in Breslau und die politische Propaganda der West- und Nordgebiete in den Jahren 1945-1948), Wrocław 1997, S. 138; ders. Tereny wystawowe we Wrocławiu i Die Polonisierung des übernommenen Landes hatte jedoch nicht nur einen propagandistischen Charakter und kann nicht nur als eine Revanche gegen die verhassten Okkupanten interpretiert werden. Die Polonisierung sollte die Ängste der Neusiedler abbauen und zu ihrer besseren Integration beitragen. Sie war eine Bedingung des Lebens der neuen Gesellschaft. Jacek Kolbuszewski (Polonist an der Universität Wroclaw) schreibt Folgendes dazu: [...] ein Mensch kann nicht unter Fremden, mit dem Bewusstsein der Vorläufigkeit und ohne Unterstützung der Vergangenheit und Zukunft leben. Ein Leben nimmt erst dann die Züge der Dauerhaftigkeit, wenn man ein eigenes Haus hat und wenn man zu Hause ist. Und ‚zu Hause sein’ bedeutet nicht, dass man eigene materielle Sachen, sondern dass man seine eigene geistige Atmosphäre hat.43 Der Mythos von wiedergewonnenen Gebieten sollte auch den Verlust der Heimat in den polnischen Ostgebieten rekompensieren. Der Begriff Polonisierung bezieht sich auf zwei Aspekte. Einerseits bedeutet er die Einpflanzung des Polentums in den West- und Nordgebieten, andererseits die „Entdeutschung/odniemczanie“44 dieser Gebiete, die als Voraussetzung der Polonisierung galt. Die „Entdeutschung“ beruhte auf der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung, der Entfernung von allen deutschen Spuren und der Bekämpfung jeder Erscheinung der deutschen Tradition und Kultur bei den Autochthonen. Alle materiellen deutschen Elemente sollten aus der Öffentlichkeit und später auch aus dem Privatleben getilgt werden. Es handelte sich hier um Kulturgüter, wie Denkmäler, Bücher, Andachtstafel etc.45, aber auch um die Entfernung der deutschen Inschriften von Geschirr, aus den Kleidern und anderen Sachen des täglichen Bedarfs. Die „Denkmäler des deutschen Hochmuts“, wie sie benannt wurden, hat man nicht als besonders wertvoll angesehen. Die Polonisierungsaktion sollte auch die Kirchen, Kapellen, Friedhöfe und die Straßenkreuze umfassen. In den Vergnügungslokalen war das Singen oder Abspielen von deutschen Liedern streng verboten.46 Die Demontage des Denkmals zur Ehre Wilhelm I. in Świdnicka Str. in koncepcje ich zagospodarowania w latach 1945-1950 (Die Ausstellungsgälende in Breslau und die Entwürfe ihrer Benutzung in den Jahren 1945-1950), in: Rocznik Wrocławski 1 (1993), S. 251-264. 43 Vgl. Kolbuszewski, Jacek.: Oswajanie krajobrazu a problematyka integracji kulturowej na Ziemiach Odzyskanych (Die Aneignung der Umwelt und die Frage der kulturellen Integration in den Wiedergewonnenen Gebieten), in: Symonides, Dorota (Hg.): Symbolika regionów. Studia etnograficzno-folklorystyczne (Die Symbolik der Regionen. Ethnographisch-folkloristische Studien), Opole 1988, S. 67. 44 Vgl. Linek, Berndard: “Odniemczanie” województwa śląskiego w latach 1945-1950 (w świetle materiałów wojewódzkich) (“Entdeutschung” der schlesischen Woiwodschaft in den Jahren 1945-1950 (im Lichte der Woiwodschaftsmaterialien), Opole 1997. 45 Vgl. Mazur, Zbigniew: Die Einleitung, in: ders. (Hg.): Wokół niemieckiego dziedzictwa kulturowego na Ziemiach Zachodnich i Północnych (Vom deutschen Kulturerbe in den West- und Nordgebieten), Poznań 1997, S. I-XXVI. 46 Archiwum Państwowe we Wrocławiu, Urząd Wojewódzki Wrocławski (Staatsarchiv Wrocław, Woiwodschaftsamt), Wydział Społeczno-Polityczny, Sprawy repolonizacji, interwencja 1949, Sign. VI/750: Rundschreiben Nr. 18 des Ministeriums für Wiedergewonnene Gebiete betr. Verstärkung der Repolonisierungsaktion in den Wiedergewonnenen Gebieten, 26.4.1948. Wrocław im September 1945 wurde von einer Straßenmanifestation mit Fahnen und Transparenten begleitet. Jedoch nicht nur die gezielte Entfernung von deutschen Spuren, sondern einfach auch der Mangel an Baumaterialien, die zum Aufbau der zerstörten Städte nötig waren, verursachte die Abtragung von vielen deutschen Baudenkmälern. So wurden oft neben ausgebrannten, baufälligen Gebäuden, historische Objekte im guten Zustand in den West- und Nordgebieten „chaotisch“ und planlos, ohne Genehmigung der zuständigen Behörde abgetragen.47 Es konnten nur die Gebäude erhalten werden, wenn bewiesen wurde, dass sie polnischer Herkunft waren. Man betrieb also die „Archäologie des Polentums“, wie es Adam Labuda nach Edmund Kaliski48 nannte.49 1945 wurden aus Schlesien ins Warschauer Nationalmuseum 28 Waggons und 118 Laster Kunstgut ausgeführt.50 Manche Kunsthistoriker und Konservatoren protestierten erfolglos gegen sinnlose Zerstörung von deutschen Spuren. 1969 forderte Zdzisław Bieniecki, der Denkmalschützer, den Abschied von den „nationalistischen Stereotypen“ gegenüber dem übernommenen deutschen Kulturgut. „Hervorragende Kunstwerke gehören, unabhängig wann und von wem geschaffen, zum gemeinsamen Schatz der allgemeinmenschlichen Kultur“.51 Anlässlich des 20. Jubiläums des Bestehens der polnischen Kirche in den wiedergewonnenen Gebieten im Jahre 1965 bezog sich der Erzbischof Bolesław Kominek in seiner Rede auf das deutsche Kulturerbe: Wir bemühen uns, alles, was sich an Gutem und Schönem aus der Vorkriegszeit erhalten hat, zu ehren [...]. Wir wenden nicht den Grundsatz an: Nur für Polen. [...] Wir wünschen ehrlich, dass die polnische Wirklichkeit der Westgebiete nicht nur alle Glieder unseres Volkes eint, sondern den Weg zur Verständigung und Frieden mit unseren Nachbarn bahnt – vor allem mit jenen, denen der nicht von uns heraufbeschworene Lauf der Kriegsereignisse diese Gebiete weggenommen hat.52 Eine wichtige Rolle bei der Integration der neuen Gesellschaft in den West- und Nordgebieten und der Polonisierung spielte die Kirche. Sie bildete oft ein erstes Kollektiv und weckte bei 47 Pruszyński, Jan: Ochrona zabytków w Polsce (Der Denkmalschutz in Polen), Warszawa 1989, S. 174 f., 169f. 48 Kaliski, Edmund: Wrocław wrócił do Polski (Breslau kehrte nach Polen zurück), in: Skarpa Warszawska 1946, Nr. 9. S. 4. 49 Labuda, Adam S.: Das deutsche Kunsterbe in Polen. Ansichten, Stereotypen und Meinungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Tomaszewski, Andrzej/ Winterfeld von, Dethard (Hg): Das gemeinsame Kulturerbe. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit in der Denmalpflege 1970 – 2000, Deutsch-polnische Edition, Warszawa 2001 , S. 31-47, hier S. 37. 50 Vgl. Zybura, Marek: Der Umgang mit dem deutschen Kulturerbe in Schlesien nach 1945, Görlitz 2005, S. 24. 51 Bieniecki, Zdzisław: Potrzeba i drogi ochrony obiektów architektury najnowszej (Die Notwendigkeit und die Wege zum Schutz der neuesten Architekturobjekte), in: Ochrona Zabytków 1969, Bd. 22, S. 93. 52 Zit. n. Stehle, Hanjakob: Seit 1960: Der mühsame katholische Dialog über die Grenze, in: Plum, Werner (Hg.): Ungewöhnliche Normalisierung. Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen, Bonn 1984, S. 155-178, hier S. 159. der so bunt gemischten Gesellschaft Zugehörigkeitsgefühle. Die Ansiedler blieben lieber in einem Ort, wo die Kirche schon funktionierte und der Pfarrer da war. Die Pfarrer kamen oft zusammen mit der umgesiedelten Bevölkerung aus den Ostgebieten. Die Kirchenoberhäupter, Kardinal August Hlond und sein Nachfolger Stefan Wyszyński engagierten sich für die Eingliederung der deutschen Ostgebiete in den polnischen Staat und derer Polonisierung. Der Katholizismus wurde auch im Prozess der symbolischen Aneignung des übernommenen Raumes sichtbar, indem in den Westgebieten zahlreiche Kreuze und Kappellen aufgestellt wurden. Die protestantischen Kirchen wurden in katholische umgewandelt, indem die deutschen Inschriften und Aufschriften abgetragen oder übermalt wurden.53 Manchmal wurden sie auch zur Gewinnung des Baumaterials für katholische Pfarrhäuser abgetragen, wie es im Falle der evangelischen St. Anna-Kirche in den 60er Jahren in Broniszów (Brunzelwaldau) war.54 Doch manchmal gerade dank der Übernahme der Kirchengebäude durch die polnische katholische Kirche wurden sie im Gegensatz zu vielen nicht sakralen Kulturgütern erhalten. Zahlreiche ehemalige deutsche Kulturobjekte wurden zu Wirtschaftsgebäuden umgenutzt, wie beispielsweise die Schlösser in Słupsk und Świdwina als Getreidespeichern verwendet wurden.55 Doch kann man den Raum polonisieren, indem man die Menschen und die Gegenstände austauscht? Hugo Steinhaus, der Lemberger Mathematiker, der nach dem II Weltkrieg in Wroclaw lebte, beschrieb seine Eindrücke aus dem Aufenthalt in Breslau am 16. Oktober 1945 mit folgenden Worten: Die deutsche Frage wird nicht dadurch gelöst, dass 10 000 Polen über 200 000 Deutsche kolonial und ohne sichtbare Stärke regieren. Denn diese Polen können nicht das Deutschtum beherrschen, das in jenen Gegenständen steckt wie, Villen, „Gärten“, Bänden des Inselverlags, die auf dem Fußboden liegen und in Werken von Hölderlin, Goethe, Schopenhauer, in den Wohnungen, wo die „szabrownicy“ (Plünderer) die Bezüge abrissen, aber den Genius Loci übrig ließen.56 Die Beziehung zu den Ostgebieten im geteilten Deutschland In der DDR war das Thema der verlorenen Ostgebiete tabu57 und mit dem westdeutschen Revisionismus identifiziert. Die Grenze wurde zur deutsch-polnischen Friedens- und Freundschaftsgrenze stilisiert. Deswegen war auch die Pflege der schlesischen Traditionen verboten. Schlesien war ein “Unwort”. In Restaurants gab es kein “Schlesisches 53 Vgl. Rutowska, Maria: Elementy polityki wobec niemieckiej spuścizny kulturowej na Ziemiach Zachodnich (1945-1950) (Die Politik gegenüber dem deutschen Kulturerbe in den Westgebieten (1945-1950)), in: Mazur, Zbigniew (Hg.): Wspólne dziedzictwo? Ze studiów nad stosunkiem do spuścizny kulturowej na Ziemiach Zachodnich i Północnych (Gemeinsames Erbe? Aus den Studien über die Einstellung zum Kulturerbe in den West- und Nordgebieten), Poznań 2000, S. 167-200, hier S. 176. 54 Vgl. Kraszewski, Piotr/Rutowska, Maria: Funkcjonowanie niemieckiego zabytku w świadomości mieszkańców Ziem Zachodnich i Północnych na przykładzie wsi Broniszów w woj. zielonogórskim, Poznań 1998, S. 8. 55 Rutowska, Elementy polityki..., op. cit., S. 176f. 56 Steinhaus, Hugo: Wspomnienia i zapiski (Erinnerungen und Notizen), Londyn 1992, S. 332. 57 Vgl. Schulze, Ingrid: Der Mißbrauch der Kunstgeschichte durch die imperialistische deutsche Ostpolitik, Leipzig 1970. Himmelreich”58. Die Evangelische Kirche musste im Jahre 1968 in “Kirche des Görlitzer Kirchengebiets” umbenannt werden, weil „der Name der Evangelischen Kirche von Schlesien aus staatspolitischen Gründen im Interesse der Beziehung der DDR zur VR Polen nicht mehr tragbar gewesen sei.“59 Seit 1993 wird der alte Name wieder für den westlich der Lausitzer Neiße gelegenen Teil der ehemaligen Kirchenprovinz Schlesien benutzt. In der Bundesrepublik wurde mit dem 1953 verabschiedeten „Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge“ die Frage der Pflege des Kulturgutes der Vertriebeneren und Flüchtlinge und Förderung der wissenschaftlichen Forschung geregelt: Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern. [...]60 Im Jahr 1950 entstand das Herder-Institut in Marburg, in dem Wissenschaftler aus den ehemaligen deutschen Ostprovinzen ihre Arbeit fortsetzen konnten. Günther Grundmann leitete ab 1955 bis 1976 die Fachgruppe Kunstgeschichte im Herder-Forschungsrat. Es wurden vorwiegend nostalgische Erinnerungsbücher herausgegeben.61 Eine Ausnahme bildet das 1949 erschienene Buch von Franz Otto Jerrig „Aus Breslau wurde Wrocław“ (Hannover 1949), in dem deutsche Schuld am Untergang Breslaus thematisiert wurde. Die Geschichte der Gebiete nach 1945 wurde nicht angesprochen. Als in dem 1963 gedrehten Film „Deutschlands Osten – Polens Westen“ von Hansjakob Stehle das Leben der polnischen Ansiedler in den Westgebieten dargestellt wurde, protestierte der Bund der Vertriebenen gegen den Hessischen Rundfunk wegen des „Verrat[s] vitaler deutscher Interessen“.62 In der gesamten Bundesrepublik entstanden in folgenden Jahren Museen, die den einst von den Deutschen bewohnten Gebieten gewidmet wurden: Museum Stiftung Pommern in Kiel (1966), Oberschlesisches Museum in Ratingen (1988), das Schlesische Museum in Königswinter (1978) und das Westpreußische Museum in Münster (1975). Die Vertriebenenorganisationen sammelten Volkslieder, bildeten Chöre und Tanzgruppen und pflegten alte Sitten und Bräuche. Die Fortsetzung der Propaganda der Wiedergewonnenen Gebiete in Polen 58 Vgl. Nöldechen, Peter: Schlesien ist wieder gelitten. Görlitz: Museum mahnt an gemeinsame deutschpolnischen Geschichte, in: Westfälische Rundschau, 28.12.2001. 59 Vgl. Kühne, Hans-Jochen: Die Evangelische Kirche der Schlesischen Oberlausitz, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 70 (1991), S. 199-207, hier S. 204. 60 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bvfg/gesamt.pdf, Zugriff am 8.6.2010. 61 Grundmann, Günther: Schlesien, Berlin, 1952. 62 Zit. n. Störtkuhl..., op. cit. Die Propaganda der Wiedergewonnenen Gebiete wurde in Polen bis in die 70er oder auch später fortgesetzt. In den polnischen Publikation wurden der fortschreitende Wideraufbau und Neubau in den Westgebieten hervorgehoben.63 Im Jahre 1977 erschien in Warschau ein Bild- und Textbuch über die Oder, das in deutscher Sprache gedruckt und somit vor allem an die Besucher aus der DDR gerichtet war. Sie konnten nämlich seit dem 1. Januar 1972 ohne Visum nach Polen reisen. In dem Buch wurden der technische Fortschritt, die sozialen Errungenschaften und auch das experimentelle Theater von Jerzy Grotowski in Breslau dargestellt. Das Ziel des Buches war die Festigung des Polentums an der Oder-Neiße-Grenze: Die Geschichte hat hier einen weiten Bogen gespannt. Polen liegt wieder – wie einst – an der Oder. Seine gegenwärtigen Grenzen kann man als Kopie der Grenzen vor zehn Jahrhunderten ansehen, als der polnische Staat gerade erst am Entstehen war.64 Die von der kommunistischen Propaganda verbreitete Angst vor den Deutschen führte bei vielen Ansiedlern der Nord- und Westgebiete zum Leben in Vorläufigkeit. Diese Unsicherheit und zum Teil auch eine andere Lebenskultur verursachten, dass viele Häuser und Güter vernachlässigt wurden. Dies können oft die ehemaligen deutschen Bewohner nicht verstehen: Ich denke, ihr habt ein schönes Land übernommen, es ist zwar manches durch den Krieg kaputt gegangen, aber es gibt doch Gegenden, die vom Krieg heil geblieben sind [...] und habt in Besitz genommen und habt gewohnt bis heute, aber ihr habt nicht genug für die Errettung getan. Ich finde es ärgerlich, dass die Leute so viel kaputt gehen ließen [...]. Die schönen Gründerzeithäuser in Liegnitz sind im beklagenswerten Zustand. So arm seid ihr alle nicht mehr.65 Herr K.J. meint, dass es an polnischer Mentalität liege, dass man die Häuserfassaden und die Umgebung nicht pflege. Es müsse eine „Umerziehung“ der Polen erfolgen, damit sie gründlicher und sauberer wären. So könnten sie, wie in der Piastenzeit von den deutschen Siedlern, heutzutage von den deutschen Investoren profitieren.66 Das gemeinsame Kulturerbe als Teil des europäischen Kulturguts Mit der neuen Ostpolitik Brandts und der allmählichen Normalisierung der deutschpolnischen Beziehungen, sowie mit der nächsten Generation, die in den Nord- und Westgebieten aufgewachsen ist und diese als Heimat betrachtete, setzte auch ein Umdenken in der Einstellung zur deutschen Vergangenheit und deutschem Erbe ein. 63 Małeczynski, Karol/ Morelowski, Marian/Ptasycka, Anna (Hg): Wrocław. Rozwój urbanistyczny (Breslau. Die städtebauliche Entwicklung), Warszawa 1956; Stary i nowy Wrocław (Das alte und neue Breslau), Poznań 1960, Komaszynski, Michal: Wrocław – nowy i najnowszy (Breslau – neu und das neueste), Wrocław 1965. 64 Vgl. Rada, Uwe: Die Oder. Lebenslauf eines Flusses, Berlin 2005, S. 116. 65 Interview mit Herrn K.J. aus Görlitz, 29.5.2003. 66 Vgl. auch Opiłowska, Elżbieta: Kontinuitäten und Brüche deutsch-polnischer Erinnerungskulturen. Görlitz/Zgorzelec 1945-2006, Dresden 2009. In der Solidarność-Zeit wurde die Vernachlässigung des deutschen Kulturerbes in Polen artikuliert. 1986 verfasste die Breslauer Abteilung des polnischen Kunsthistorikerverbandes und veröffentlichte in Untergrundzeitschriften ein „Memorandum über den Zustand der Kunstdenkmäler in Niederschlesien (Memoriał o stanie zabytków na Dolnym Śląsku) [...] die Kulturpolitik richtete in den wiedergewonnenen Gebieten riesige Verluste an. [...] Die berühmten Dekrete über feudales und deutsches Eigentum verursachten sowohl im gesellschaftlichen Bewusstsein als auch im Bereich administrativer Handlungen ein schnelles Akzeptieren von Plünderungsaktionen [...] Ohne Rücksicht auf die Herkunft [der Künstler] gehört ihr Werk der allgemeineuropäischen Kultur an. Wir sind zur Achtung dieses Erbes verpflichtet [...].67 Jan Józef Lipski, der Publizist und Literaturhistoriker schrieb, dass die Polen durch die Übernahme von Pommern, Danzig, Ermland und Masuren, das Land Lebus, Niederschlesien und das Gebiet Oppeln zu Depositären riesiger deutscher materieller Kulturgüter in diesen Gebieten: von Kirchen, Schlössern, Palais, Rathäusern, berühmten Patrizierhäusern“ geworden sind. Das, was zur Kultur einer Nation gehört, bleibt für immer ihr Werk und ihr Ruhm. Das Depositär übernimmt aber auch die Pflichten, der Zerstörung bzw. materieller Degradierung der Denkmäler entgegenzuwirken. Sie sollen in Ehren gehalten werden. Die Zusammenarbeit mit den Deutschen in dieser Frage könnte „der polnisch-deutschen Aussöhnung und dem Bau des gemeinsamen europäischen Hauses dienen.68 Die Idee des Depositums rief eine heftige Debatte und Kritik hervor. Das Wort „Depositum“ in bezug auf das deutsche Kulturerbe in Polen würde bedeuten, dass die Kulturgüter nur in Verwahrung gegeben worden sind und letztendlich dem Besitzer zurückgegeben werden sollten. Kann man jedoch Kirchen, Schlösser oder Museen zurückgeben? Gehören sie nicht dem Gebiet an, wo sie entstanden sind? Das gemeinsame europäische Kulturerbe scheint als Begriff hier besser geeignet und fern von jeder Nationalisierung und damit ideologischen Vereinnahmung zu sein. Wegen Sorge um das europäische Kulturerbe traf sich auch 1988 eine Gruppe von deutscher und polnischer Kunsthistoriker in Mainz, aus der sich 1995 der „Arbeitskreis deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger“ entwickelte. Als ihre Aufgabe sehen sie Kooperation, Vorstellung neuester Forschungsergebnisse sowie Nachwuchsförderung im Themenbereich des gemeinsamen Kulturerbes von Deutschen und Polen.69 Heutzutage ist der Denkmalschutz in den West- und Nordgebieten Polens sowie deutschpolnische Zusammenarbeit in diesem Bereich offensichtlich. Durch die Tätigkeit solcher Vereine wie „Borussia“, Europäische Akademie in Külz (Kulice), Stiftung Kreisau für 67 Biuletyn Dolnośląski 2 (1986), S. 2-5, Szkice 4 (1986), S. 137-147, vgl. auch Kowalczyk, Jerzy (Hg): Ochrona dziedzictwa kulturowego zachodnich i północnych ziem Polski (Der Schutz des Kulturerbes der West/ und Nordgebiete Polens) , Warszawa 1995, S. 266. 68 Vgl. Lipski, Jan Józef: Depositum. Deutsches kulturelles Erbe in Polen, in, ders. Wir müssen uns alles sagen... Essays zur deutsch-polnischen Nachbarschaft, Gliwice/Warszawa: Wyd. Polsko-Niemieckie 1998, S. 264-266. 69 http://www.bkge.de/arbeitskreis/5967.html, Zugriff am 8.6.2010. Europäische Verständigung, Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz (Gliwice) oder Schlesisches Museum in Görlitz wächst das Interesse an der Regionalgeschichte, das regionale Kulturerbe – als Teil des europäischen, transnationalen Erbes wird gepflegt. Wichtig ist aber, dass sich auch die künftigen Generationen mit den Orten und deren wechselseitigen Geschichte identifizieren und emotional verbunden fühlen, auch dann, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sind. Um das zu erreichen, darf man sie dann nicht mehr als Deposit behandeln, so Robert Traba, sondern im Gegenteil – als etwas dauerhaft mit der Geschichte der Stadt und der Region Verbundenes, etwas Nahes und in einem gewissen Sinne Eigenes. So stellt Robert Traba die These auf, dass die Polen nicht mehr nur Depositäre, sondern „geistige Mitnachfolger“ in den Nord- und Westgebieten sind. Dies ergibt sich aus dem natürlichen Bedürfnis heraus, sich emotionell mit der zu rettenden Kulturlandschaft zu identifizieren.70 Mirosława Zielińska DIE ODER/ODRA/ODERA – DER FLUSS DES DEUTSCHEN, POLNISCHEN UND DEUTSCH-POLNISCHEN GEDÄCHTNISSES. 1. Einführung. Die Flüsse und ihre Symbolik Die Bedeutung der Flüsse wird meistens mit Hilfe von einem Blutkreislauf angedeutet: „Ader“, „Schlagader“, „Verkehrsader“, „Arterie“. Władysław Syrokomla nannte etwa Niemen (Memel) eine „der mächtigsten Herkulesadern unseres Litauens“, womit die Vorstellung der Macht, Verweis auf Mythologie und die Schlüsselrolle des Niemen-Flusses für die polnischen „Kresy“ („Kresy“ ist die Bezeichnung für die die ehemaligen multikulturell geprägten »polnischen Ostgebiete«, heute: Ukraine, Litauen, Weißrussland) zum Ausdruck gebracht werden konnte. Diese Anthropologisierung, die die Vergleiche mit menschlichem Organismus zulässt, suggeriert die zentrale, das Leben einer Gemeinschaft organisierende Rolle der Flüsse; Mythologisierung der Flüsse, ihre Personifizierung war allen Kulturen und Gemeinschaften gemeinsam; die dank der romantischen Literatur bekannteste Legende, die zugleich den Rhein literarisierte und mythologisierte, gilt der männermordenden Sirene Loreley. Hans Gottfried Herder hat als erster so überzeugend von der Gestaltung der Landschaft, von der Spezifik des Klimas auf die Menschen und die kulturellen Differenzen zu schließen versucht. Die Bildhaftigkeit von Himmelsrichtungen wurde zur Hilfe herangezogen und die miteinander kontrastierenden Temperamente und der divergierende Tagesrhythmus der Menschen des Mittelmeerraums dem ‚warmen‘ Süden zugewiesen, die des Ost- und Nordseeraumes, mit dem ‚kalten‘ Norden assoziiert. Das Menschengeschlecht wurde von Herder vor dem Horizont des Ideals der Humanität gedeutet und als Ganzes gedacht; die Heterogenität des Kulturerbes als Potenzial erkannt, von dem die Anderen profitieren können - wollen sie nur von den anderen Kulturen lernen. Der nation-building-process und die Nationalisierung der Diskurse um „Sprache – Kultur – Nation“ wirkten sich auch auf die Wahrnehmung der „kulturellen Räume“ aus: die Zugehörigkeit einer Region/Provinz zur jeweiligen Nation machte die Flüsse zu Sinnbildern der jeweiligen national verstandenen Kultur; die multiethnischen Regionen, transnational geprägten Provinzen und ihre Landschaften samt ihren Bewohnern sollten mit Hilfe der nationalen, nationalistischen 70 Vgl. Traba, Robert: Przeszłość w teraźniejszości. Polskie spory o historię na początku XXI wieku (Die Vergangenheit in der Gegenwart. Polnische Geschichtsdebatten am Beginn des 21. Jahrhunderts), Poznań 2009, S. 106ff. Symbolik einer Nation zugeführt werden; die Vereinnahmung von Landschaften sollte die Oberhoheit der jeweiligen Kulturnation, die mit Hilfe von symbolischer Vereinnahmung erzielte Homogenisierung von Raum-Volk-Sprache sollte die Macht des Staates beweisen. Die Übertragung der Konzepte von „Nation“ und „Nationalstaat“ auf die multikulturell, multiethnisch, multikonfessionell geprägten Gemeinschaften des mitteleuropäischen Raumes (mit unterschiedlichen Sprachen, Dialekten, Konfessionen, eher ‚regionalen‘ als ‚nationalen‘ Identitäten) im Zuge des 19. Jahrhunderts machte die Flüsse mehr und mehr zu natürlichen Demarkationslinien und Instrumenten in dem nationalistischen Wettbewerb der nationalen Projekte. Zwei Gedichte Henryk Bereskas, eines der bedeutendsten Übersetzer und Vermittler der polnischen Kultur in den deutschsprachigen Raum, zeigen exemplarisch die Symbolik der Flüsse im 20. Jahrhundert: Flüsse und Kanäle haben die Rolle von Grenzen und Demarkationslinien übernommen. Sie ersetzten oft Schranken, Mauern, Stacheldrahtverhaue. Der Titel des ersten der gewählten Gedichte, Fährmann, erlaubt die Arbeit des Übersetzers, im Falle Henryk Bereskas, mit einer geistigen Entgrenzungsstrategie gleichzusetzen und die Perspektive des lyrischen Ich dagegen, als die eines Grenzgängers zu nennen. Henryk Bereska, Fährmann Aus dem oberschlesischen Dreiländereck – Russland, Österreich, Preußen – kam ich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in das Berliner Vielländereck – amerikanischer, englischer, französischer, sowjetischer Sektor – und es verschlug mich in den sowjetischen. Flüsse und Kanäle zergrenzten die geschundene Stadt des Unheils. Und bald die Mauer. Östlich davon der blutende Grenzfluß die Oder – Völker trennend. In der Mitte die scharf bewachte Trennlinie. Dichter, polnische, deutsche, zogen am Fluße entlang, davon träumend, Fährmann zu sein – Lange Zeit ein vergeblicher Traum. Ich wurde Fährmann, übertrug kostbare Fracht – polnische Dichtung – ins Deutsche, in die Buchstabenwelt. Sperrig bleib für die Menschen der Fluß lange Zeit. Lange neidete ich Vögeln und Fischen Das lockere Hin und Her. Nun aber fahre ich selber Locker hinüber und herüber – Fährmann grenzenlos.71 Das Gedicht von Bereska, das individuelle, höchst persönliche Erfahrungen thematisiert, wird in seiner Aussage zur Anklage des 20. Jahrhunderts als eines Jahrhunderts der Multiplizierung von »Zergrenzung(en)« und »Ausgrenzung(en)«. Die Zusammenstellung von dem „Dreiländereck“ Oberschlesien und dem „Vierländereck“ Berlin (das auf geteiltes Deutschland erweitert werden kann) zeigt lediglich unterschiedliche Varianten des vorherrschenden »Zer- und Ausgrenzungsprinzips«: Menschen, die in der Isolation voneinander leben, zementierten ihre Feindbilder und gewöhnten sich daran, gegeneinander zu leben. Demaskiert wird in dem oben zitierten Gedicht die ritualisierte Funktion der Grenzziehung(en), die den Ideologien des 20. Jahrhunderts gemeinsam war. Allen für das lyrische Ich wichtigen Flüssen: dem oberschlesischen Fluss Brynica (Brinitz), der durch Berlin fließenden und in die Havel mündenden Spree, samt ihren breiten Kanälen, und der Oder und Neiße fiel im Zuge des 20. Jahrhunderts die Rolle der stigmatisierenden Grenzen zu. Bereits in den Zeiten der Republik Polen-Litauen (Rzeczpospolita Obojga Narodów) und des Heiligen Römischen Reiches erfüllte die oberschlesische Brynica (Brinitz) die Rolle des Grenzflusses. Das im Gedicht angesprochene russisch-österreichisch-preußische „Dreiländereck“ geht auf die Zeit der Teilung Polens zurück, das mit der Restitution des polnischen Staates – der Zweiten Republik – nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu Ende ging. Erst das 20. Jahrhundert machte den Fluss zum Sinnbild der Grenze zwischen zwei konkurrierenden nationalen Projekten – dem des polnischen und dem des deutschen Nationalstaates, was die Oberschlesier nicht daran hinderte, sich primär mit der Provinz, erst sekundär mit jeweiligem Nationalstaat zu identifizieren. Terror und Massenmord, die der Grenzfluss seit 1939 zu verkörpern begann, wirkten sich nachhaltig auf die Wahrnehmung von Brynica (Brinitz) aus. Bis in den heutigen Tag wird der Grenzfluss als eine – nun mentale – Grenze imaginiert und bleibt Sinnbild der Ausgrenzung.72 Die Berliner Flüsse und Kanäle übten im geteilten Berlin eine identische Rolle wie die 1961 erbaute Mauer aus. Die Teilung in die »Ost-« und »Westdeutschen« hinterließ tiefe und dauerhafte Spuren, die bis in den heutigen Tag hinreichen. „Oder und Neiße“, wiederum, stehen für die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges und des bis in das Jahr 1989 dominierenden bipolaren Weltbildes: das Nachkriegseuropa wurde über vier Jahrzehnte lang in zwei voneinander isolierte und feindliche Lager geteilt. Die Stigmatisierung des »Ostens« als eines »rechtslosen«, »barbarischen« und »gefährlichen« Teils des europäischen Kontinents, paarte sich mit dem permanenten deutsch-polnischen Streit um die sog. „Oder-Neiße-Grenze“ vs. „Oder-NeißeLinie“, der erst 1990 beigelegt werden konnte. Das zweite Gedicht ist der traumatisierten Stadt – Warschau – gewidmet. Die Sensibilität für das besondere Gedächtnisort »Warschau« verdankte Bereska seinen langjährigen und engen Freundschaften mit oppositionellen Kreisen in Polen, wie auch guten Kenntnissen der polnischen Geschichte und Kultur. Henryk Bereska, Warschau 71 Henryk Bereska, Fährmann/Przewoźnik. In: Familoki. Księgarnia Akademicka Kraków 2001, S. 6-9. In dem zwei Jahre früher herausgegebenen Band Wiersze [Gedichte] trägt dieses Gedicht den Titel Oderfahrt. 72 Vgl. das Projekt: „Brynica to nie granica“ [„Brinitz ist keine Grenze“] unter der Adresse: http://lgd-brynica.eu/. Nach langer Zeit wieder in Warschau suche ich die Gefährten früher Jahre vergebens Stachura Grochowiak Iredyński Nowak tot An der Weichsel wandernd wo ich öfter mit Jan Józef Bier trank in einer Schenke wo ich mit Dichtern entlang ging zum östlichen Ufer Praga blickend wo einst die Sowjetarmee zusah wie die Hauptstadt gemordet wurde von meinen Landsleuten An dem siechen Fluß wandernd sein Sterben beklagend beklage ich die toten Gefährten und die verheerende Wirkung der Zeit.73 Ein Spaziergang an der Weichsel entlang evoziert die Erinnerung an den von den NS-Truppen niedergeschlagenen Warschauer Aufstand 1944, dem die Rote Armee untätig zusah. Diese Erinnerung gilt sowohl dem im Gedicht erwähnten und drei Jahre vor der Entstehung des Gedichts verstorbenen Jan Józef Lipski (1926 Warszawa – 1991 Kraków)74, der als Soldat der polnischen Untergrundarmee an dem Aufstand teilgenommen hat, als auch der – sehr persönlich – empfundenen Schuld. Die zwei letzten Zeilen der zweiten Strophe bringen auf erschütternde Weise – durch die Identifizierung des lyrischen Ich mit den Tätern –, die verinnerlichte (Mit)Schuld an den NS-Verbrechen. Die Beobachtung des Flusses – der Weichsel – konfrontiert das lyrische Ich sowohl mit der dramatischen Vergangenheit des Krieges, als auch der – nun auch zur Vergangenheit gehörenden Zeit der deutsch-polnischen Freundschaften – die sich aus ihrer »verordneten« Variante nicht machten –, die ihre Aufarbeitung lange vor 1989 möglich machten. Ähnlich wie sich das lyrische Ich mit dem Bild des sterbenden „siechen“ Flusses nicht einverstanden erklären kann, erhebt es Einspruch gegen die Unausweichlichkeit und Unabwendbarkeit des Todes, die verrinnende Zeit und nichts schonende Vergänglichkeit. Die das Gedicht abschließenden Zeilen überlassen zwei wichtige Fragen: Wer und was bleibt im Gedächtnis der nachfolgenden Generationen? Was wird sich für sie von Bedeutung zeigen? 73 Henryk Bereska, Warschau/Warszawa, in: Familoki. Księgarnia Akademicka Kraków 2001, S. 40-41. 74 Jan Józef Lipski – Schriftsteller, Wissenschaftler, Dissident; gehörte zu den wichtigsten Organisatoren der Opposition in Polen, war einer der Mitbegründer von KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter). Vgl. http://www.deutsche-undpolen.de/personen/person_jsp/key=jan+jozef_lipski.html. 2. Die Oder oder Odra? Fremdheit – Trauma – Entwurzelung Die Frage, auf die eigegangen werden soll, hängt zusammen mit den unterschiedlichen Reaktionen auf die Konfrontation mit der Oderregion, ihrer Fremde im Schatten des Krieges und seiner Folgen und dem langen Prozess ihrer Überwindung und Erklärung zur eigenen Heimat, trotz ihrer verwickelten, oft belastenden Geschichte. Für Robert Gawłowski (geb. 1957 Wrocław), den Lyriker und Literaturkritiker, der die Oder zu „einer stummen Zeugin“, zum „Fluss des Gedächtnisses“ erklärt hat, beginnt die Geschichte der Stadt Breslau/Wrocław mit den Erinnerungen seines Vaters an die ersten Nachkriegsjahre und ihre Atmosphäre: „Über die Oder und brennendes Breslau und genau genommen über die in den letzten Zügen liegende Festung Breslau hörte ich vom Vater, der als siebenjähriger mit einem Transport der Umsiedler durch meine Stadt und die Stadt meiner Kinder fuhr. Seine Oder ist ein sich träge durch die Schuttlandschaft bewegender Fluss, der in der ersten Linie den Krieg in Erinnerung behalten hat. (…) Oder – die stumme Zeugin, der Fluss der Erinnerung. In ihren Fluten spiegeln sich auch die zahlreichen, vom Vater erzählten Geschichten: (…) Besuch der technischen Hochschule, schwierige Aufbaujahre der Nachkriegszeit, die Zeit der Armut, sogar Not. Das ist schon Wrocław, aber doch unaufhörlich immer noch Breslau; ein Geiger erfriert nachts an der Grunwaldzki-Brücke75, jemand wirft sich in die Oder und nimmt sich das Leben”.76 Die Stadt, die noch lange nach dem Kriegsende als Breslau/Wrocław erlebt wird, verkörpert für die der Vorkriegsgeneration entstammenden Ankömmlinge, aber auch Menschen, die vorläufig mit ihr in Berührung kamen, das Trauma des Krieges und der Entwurzelung. Für diejenigen, die in Breslau/Wrocław heimisch werden sollten, bedeutete die Stadt die tagtägliche Begegnung mit der Fremde. Diese brachte sehr bildhaft Czesław Miłosz (1911 Szetejnie/Šeteniai, Litauen – 2004 Kraków) zum Ausdruck. Miłosz, der sich 1951 in der Reaktion auf die zunehmende Stalinisierung im kommunistischen Nachkriegspolen für Exil entschlossen hat, erlebte Wrocław/Breslau weder als eine Begegnung mit einer spannenden Kulturlandschaft, noch einer imponierenden Odermetropole. Für den aus dem alteingesessenen polnischen Landadel Litauens stammenden Begründer der in Wilna der Zwischenkriegszeit wirkenden Avantgarde-Gruppe (1931-1934), bedeutete der Krieg und seine Folgen den Verlust seiner in den »polnischen Kresy« liegenden Heimat. In dem 1955 schon im Exil entstandenen Gedicht wurde ein Breslauer Hotelzimmer zum Innbegriff einer unüberwindbaren Fremdheit und eines nachwirkenden Traumas, das die Rückkehr in die Normalität zum Scheitern verurteilt. Czesław Miłosz, Zimmer (Übers. von Karl Dedecius) Im dunklen Zimmer In der Stadt Breslau Riecht man Ruinen 75 Die in den Jahren 1908-1910 erbaute Oderbrücke trug ursprünglich den Namen „Kaiserbrücke“. In der Weimarer Republik wechselte die Brücke ihren Namen in „Freiheitsbrücke“. Nach 1933 kehrte sie zum ursprünglichen Namen: „Kaiserbrücke“ zurück. Seit 1945 heißt sie „Grunwaldzki“-Brücke. 76 Robert Gawłowski: Rzeka pamięci/[Der Fluss des Gedächtnisses]. In: Kiedy mówisz Odra. Wiersze z motywem rzeki [Wenn du Oder sagst. Gedichte mit dem Flussmotiv]. Gesammelt, bearbeitet und mit Einführung versehen von Ryszard Sławczyński, Klub Muzyki i Literatury Wrocław 1999, S. 89. (Übersetzt von M. Zielińska). Die alten Läufer Löffel im Teeglas Im Korridor geht Das Zimmermädchen Die alten Läufer. Im Nebenzimmer Schlüsselgerassel Knipsen der Lampe Echo und Stimmen Gelöschte Lichter Und Bettgeknarre Im dunklen Zimmer Die alten Läufer. Er ist hier dienstlich Sicher aus Warschau Das Ladenmädchen Aus Staatsgeschäften Riecht man Ruinen Die Turmuhr oben Das Rot des Dämmers Und Bettgeknarre. Unter mir fließen Die ozeanischen Plantierten Schäume Eisblockgebirge Es ist nach Kriegsschluß Jahrhundertmitte Kolibris dröhnen Asche der Aschen. Kolibris dröhnen Wie sie ertragen Die runde Erde Die in mir hinrollt Und die mich aufruft Mit ihren Ländern Und ihren Meeren Sie zu ertragen. Ein Neues Funland Gefrorene Birke Schaum an den Inseln Die Robben bellen Das Rot des Dämmers Vögel auf Gräbern Die beiden drüben Zerschlagene Platten. Trommel Trompete Vom Lautverstärker Sie hören Atem Da rollt die Erde Sie sind nicht fähig Mit ihrer Schwäche Die herzenschwere Noch zu ertragen. Ist es das Mitleid Ist es die Liebe Erfrorene Birke Kein Bettgeknarre Sei bis ans Ende Jahrhunderthälfte Du herzenschwere Die alten Läufer.77 Die Analyse des Gedichts muss mit dem Hinweis auf die Zweideutigkeit des Titels des Originals anfangen, die in der deutschen Übersetzung verlorengeht. „Pokój” bedeutet sowohl „Zimmer”, als auch „Frieden“. Die vom Übersetzer gewählte Bedeutung „Zimmer“ scheint in Bezug auf die das Gedicht eröffnenden Zeilen: „Im dunklen Zimmer/ In der Stadt Breslau“ („W ciemnym hotelu/ W mieście Wrocławiu“) seine Begründung zu finden. Die Analyse des Gedichts legt aber die These nahe, dass die Wahl ausgerechnet eines „dunklen“ Hotelzimmers (und nicht etwa eines beliebigen anderen Zimmers) dem lyrischen Ich ein sehr prägnantes Bild einer bedrohliche Vorläufigkeit, Einsamkeit und Fremdheit zu entwerfen erlaubt, die zur Unheimlichkeit gesteigert wird. Will man die zweite Bedeutung des Originaltitels, „Frieden“, mitdenken, lassen sich sowohl die im Gedicht entworfenen Bilder, wie auch die vermittelte Atmosphäre als eine Umkehrung der Friedenszeit deuten. Die in der vierten Strophe gefundene Zeile: „Es ist nach Kriegsschluß“, der die Funktion der Selbstbesinnung des lyrischen Ich zugeschrieben werden kann, hebt noch die Bilder des mit ihr im Widerspruch vorherrschenden Ausnahmezustands hervor. Die Welt ist aus den Fugen geraten und verharrt in diesem Zustand („Kolibris dröhnen /Asche der Aschen“). Die Dunkelheit des (Hotel)Zimmers wird intensiviert durch „Gelöschte Lichter“ und „Das Rot des Dämmers“. Aufmerksamkeit verdienen auch die wiederkehrende – die erste, zweite und letze Strophe des Gedichts abschießende – Zeile: „starte chodniki“, die von Karl Dedecius als „die alten Läufer“ wiedergegeben wurde. Da dieses Bild nicht den schlechten Zustand der Läufer meint, sondern eher als Verweis auf diejenigen zu verstehen ist, die diese Läufer „abgenutzt / verschlissen“ haben, wird die Vorgeschichte der Stadt Breslau – in der polnischen Imagination der unmittelbaren Nachkriegszeit gleichzusetzen mit der der »Festung Breslau« – zum wichtigen Kontext des Gedichts. Die zunehmende Stalinisierung der 1950er Jahre wird als Fortsetzung der Methoden des braunen Totalitarismus wahrgenommen. Das lyrische Ich, das auf „Die beiden drüben“ – ein unbekanntes Paar im Nebenzimmer – lauscht, signalisiert, dass er („dienstlich/ Sicher aus Warschau“) und sie („Das Ladenmädchen/ Aus Staatsgeschäften“) – anonyme Vertreter der polnischen Nachkriegsgesellschaft, die sich mit dem neuen System zu arrangieren versuchen – als »normale« Menschen miteinander nicht 77 Czesław Miłosz, Pokój/Zimmer. In: Wrocław liryczny/ Lyrisches Breslau. Wybór i opracowanie/ Herausgegeben von Marek Graszewicz, Marek Zybura, Wirydarz Wrocław 1997, S. 78-83. sein können. Zu groß sind noch die vom Krieg angerichteten inneren Verwüstungen, zu lähmend und bedrohlich das Äußere, was das Bild einer „erfrorene[n] Birke“ versinnbildlicht. Nicht zufällig wird das dunkle (Hotel)Zimmer (poln. „pokój“) in „der Stadt Breslau“ zur Szene einer gescheiterten Liebesbeziehung gewählt. Die Kulisse der zerstörten Festung Breslau verstärkt die Absage des lyrischen Ich an die Fortsetzung des Terrors und Ideologisierung in der Epoche des Stalinismus, die erst Mitte der 1950er – mit dem »polnischen Oktober« 1956 – Jahre zu Ende gehen wird. Über einen Frieden (poln. „pokój“) kann man im Falle des kommunistisch regierten Nachkriegspolens erst sieben Jahre nach der Gründung von zwei deutschen Staaten und drei Jahre nach dem Tod Stalins sprechen. 3. Odera, Oder, Odra zwischen Aneignung und Überschreibung Die individuelle Entdeckung der (Vor)Geschichte der Stadt Wrocław und der niederschlesischen Provinz, die im krassen Widerspruch mit ihrer offiziellen Deutung der »wiedergewonnene Gebiete« stand, war von einer sehr großen Bedeutung. Erstens erinnerte sie archäologische Ausgrabungen und wurde für viele junge Menschen zu interessantesten Abenteuern ihrer Jugend. Zweitens unterminierte eine persönliche Auseinandersetzung mit der Geschichte Breslaus ihre offiziell verordnete Tilgung. Der schon zitierte Robert Gawłowski erzählt, welch eine gewichtige Rolle einem alten deutschen Atlas zukommen konnte: „Ich beginne Postkarten zu sammeln. Meine Sammlung ist zwar nicht besonders imponierend, aber in meine Hände geraten – wohl auf irgendwelchen Dachböden gefunden, alte deutsche Postkarten, überschrieben: »Oder«, »Brieg«, »Oppeln«, »Breslau«, »Glogau«. Ich komme in Besitz von einem alten deutschen Atlas - meiner damals ersten und kostbarsten Weltlandkarte. Ich »studiere« die Geographie der Flüsse“.78 Diejenigen, die sich selbst mit der Breslauer Geschichte der Stadt Wrocław vertraut und auseinandergesetzt haben, gehörten zu jenen an, die keine Probleme damit hatten, mit den jahrzehntelang vorherrschenden Tabus zu brechen und die verwickelte Geschichte der Stadt und Region von Ideologisierung zu befreien. Bewusste Projizierung des Eigenen auf das Fremde, seine Domestizierung wird oft mit dem Begriff aus der ideologisierten Öffentlichkeit der VRP der sog. „Repolonisierung“ bezeichnet. Das politische Programm des Staates kreuzte sich mit dem psychologischen Bedürfnis der Ankömmlinge zusammen. Der Schlüsselbegriff „wiedergewonnene Gebiete“ erlaubte ein Motiv zu finden und die Entscheidung, hier zu bleiben und die eigene Existenz hier aufzubauen, zu begründen. Nicht ohne Bedeutung ist auch, dass die Oderprovinz, nicht nur als „Wiedergewonnenes“ sondern als „gelobtes Land“ dargestellt wurde – als sich endlich verwirklichende historische Gerechtigkeit.79 Die seit den späten 1980er Jahren entstehende »Entgrenzungsliteratur«, die unter dem irreführenden Begriff »Grenzlandliteratur« (der ihr Wesen verfehlt) bekannt wurde, verteidigt – nach Stefan Chwin, dem Autor des Hanemann-Romans80 – „die Idee eines multikulturellen 78 Robert Gawłowski: Rzeka pamięci/[Der Fluss des Gedächtnisses]. In: Kiedy mówisz Odra. Wiersze z motywem rzeki [Wenn du Oder sagst. Gedichte mit dem Flussmotiv]. Gesammelt, bearbeitet und mit Einführung versehen von Ryszard Sławczyński, Klub Muzyki i Literatury Wrocław 1999, S. 89. (Übersetzt von M. Zielińska). 79 Vgl. Andrzej Zawada, Pochwała prowincji. Atut Wrocław 2009, S. 15. 80 Stefan Chwin, Hanemann, Wydawnictwo Marabut Gdańsk 1995. (Deutsch: Tod in Danzig - 1997; Englisch: Death in Danzig - 2004). Staates“81. Die »Entgrenzungsliteratur« ist „eine literarische Vision“82, die der Idee der multikulturellen, multiethnischen und multikonfessionellen Tradition der „polnischen Kresy“ verpflichtet ist. Um diese Tradition verstehen zu können, muss auf den wichtigsten Unterschied in den deutschen und polnischen Vorstellungen von »Grenze« und »Grenzgebiet« hingewiesen werden. Im Gegensatz zu der abgrenzenden Bedeutung von den „Grenzmarken“, die als „Bollwerke“ deutscher Präsenz im Osten verstanden wurden und die deutsche Kultur gegen die anderen kulturellen Einflüsse verteidigen sollen, ist in der Vorstellung von »Kresy«, als der östlichen Grenze des polnischen Vielvölkerstaates, die »Öffnung« – beinahe »Grenzlosigkeit der Grenze« – enthalten. Da mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die jahrhundertlange Tradition des früheren polnischen Vielvölkerstaats unter dramatischen Umständen untergegangen ist, ist die Idee der Multikulturalität „als eher nostalgischer Mythos einer früheren Welt“83 zu verstehen. Die Oderregion, die als »polnische Kresy im Westen« imaginiert wird, erlaubt nicht nur Identifizierung mit dem multikulturellen Erbe dieser Region von einst und heute (habsburgisch, tschechisch, schlesisch, jüdisch, preußisch, polnisch, galizisch, ukrainisch, usw.), sondern auch Öffnung ihrer jetzigen Bewohner auf die anderen – vor zwanzig Jahren noch miteinander konkurrierenden, oder sich sogar ausschließenden – Narrative über ihre Geschichte. Die Gedächtnistafeln und Denkmäler des heutigen Wrocław sich das beste Beispiel dafür. Diese wichtige mentale Wandlung zeichnet sich auch seit Mitte der 1990er Jahre in der polnischen Literatur immer deutlicher ab. Die dominierende Tendenz wurde vor zehn Jahren von Andrzej Zawada auf den Punkt gebracht: „Die Literatur der letzten Jahre des 20. Jahrhunderts beschreibt eine Welt, die von Menschen-Nomaden bewohnt, geschaffen und wiederaufgebaut wird. Man kann sie sowohl Emigranten, Umsiedler, Vertriebene, als auch Globetrotter, Abenteurer nennen, die nach neuen Heimaten und alten Wahrheiten suchen. Der Protagonist dieser Literatur ist ein Mischling, dessen Biographie eine Summe von heterogenen Elementen der großen und kleinen Kulturen, wie auch unterschiedlichen historischen, wie familiären Erfahrungen ist. In der Literatur der Jahrhundertwende (…) findet man interessanterweise keine Dekadenzstimmung, die das ausgehende 19. Jahrhundert begleitet hat. Der Nomade von einer ausdrücklichen Grenzgänger-Identität ist zweifelsohne eine Figur, die mehr als einen harten Schicksalsschlag hinter sich hat, was als Zeichen eines gereiften Optimismus gedeutet werden kann“.84 4. Wrocław: the meeting place? 81 Stefan Chwin, «Grenzlandliteratur» und das mitteleuropäische Dilemma. In: Transodra 17, Oktober 2007, hier zit. nach: Uwe Rada, Die Oder. Lebenslauf eines Flusses. Gustav Kiepenheuer Verlag 2005, S. 63. 82 Stefan Chwin, «Grenzlandliteratur» und das mitteleuropäische Dilemma. In: Transodra 17, Oktober 2007, hier zit. nach: Uwe Rada, Die Oder. Lebenslauf eines Flusses. Gustav Kiepenheuer Verlag 2005, S. 63. 83 Stefan Chwin, «Grenzlandliteratur» und das mitteleuropäische Dilemma. In: Transodra 17, Oktober 2007, hier zit. nach: Uwe Rada, Die Oder. Lebenslauf eines Flusses. Gustav Kiepenheuer Verlag 2005, S. 63. 84 Andrzej Zawada, Pochwała prowincji. Atut Wrocław 2009, S. 90. (Übersetzt von M. Zielińska) Die Begegnung des »Alten« und »Neuen« stößt auf Probleme anderer Art. Das Gedicht von Piotr Klimczak (geb. 1961 Wrocław/Breslau) thematisiert die nicht einfache Konfrontation mit einer oft beklemmenden Geschichte der Stadt und Region, die ihre heutigen Bewohner vor der Notwendigkeit ihrer Aufarbeitung stellt. Es kommt aber vor allen Dingen um diejenigen Narrativen aus der Vergangenheit, die einen langen Schatten auf die gegenwärtige Existenz und Identität der Stadtbewohner werfen. Da sie keine Chance ihrer dialogischen Deutung anbieten – denn ihr vergangenheitsorientierter, monologischer Charakter war nie an einem Dialog interessiert (mehr noch: der jeden auch potenziellen Dialogversuch zum Scheitern verurteilen muss) –, wirken sie beunruhigend, belastend oder irritierend. Piotr Klimczak, Für Paweł Huelle (Übers. von Manfred Mack) Ja – sehr seltsame. Sehr seltsame Dinge. Langsam, langsam kommen sie zusammen, solange sie uns erlauben zu leben – nicht die Dinge – die Menschen. Denn sie könnten ja, Mit ihrer stillen Kraft, ihrem Wissen. Wissen Sie, hier, in Breslau, was für Ruinen sie komponiert haben, eine richtige Ausstellung, Hektarweit, aus einer echten Stadt – haben sie endlich gediegenste Romantik Zustande gebracht, damit ein forte ertönt In der perfektesten Variationen über den Abgründen. Nein, ich spotte nicht. Und ich suspendiere das Urteil nicht über die Geheimnisse auf einem gezogenen Faden. Es geht nicht um die Deutschen, noch um die Ukrainer, auch nicht um die Juden. Wer weiß, wer sie sind, wieviel sie wissen oder können. Ich weiß nicht, wie es in Danzig ist – denn bei uns schwirren sie um die Bibliotheken herum, um die Antiquariate, die Läden mit Kunsthandel, die Museen, die Trödelmärkte, Trümmerfelder – von Anfang an seit wir hier sind, hartnäckig, immerfort. Wir können die gleichen Bücher lesen. Angeblich. Aber. Ja, viel Schönes stammt von ihnen. Ob mehr vom ersten Zelt Unserer Eltern, sich hier zufällig, gleichsam vermehrt hat in den Ruinenlandschaften, gleichsam anschwoll und explodierte von innen voll von Träumen von Veduten, Eufonien, Aromen, denn in Galizien gab es weder Abscheulichkeiten noch Schrecken – und jenes Zelt füllte sich mit Erinnerungen, und trank aus den Augen, bis heute. Schauen Sie, - sie lassen uns nicht, immerfort suchen sie etwas bei uns, immerfort stört sie etwas an uns, wovor sie schreckliche Angst haben, offensichtlich, fehlt ihnen etwas – obwohl sie gebildet und stark sind. Fehlt ihnen nur die Existenz? Denen, die gewählt haben, nicht zu sein, aber sich konsequent zu verstärken, zu kämpfen, das forte finale rondo mit hervorragenden Variationen zu spielen Ruinen mit Geschmack zu komponieren? Für uns?85 Ein anderes Problem wird im Gedicht von Krzysztof Niewrzęda (geb. 1964 Szczecin/Stettin) angesprochen: die Asymmetrie und Asynchronie der Erinnerung an die Vergangenheit Breslaus und die Gegenwart Wrocławs, die einen tiefen Graben zwischen dem Vergangenen und Gegenwärtigen erzeugt. Die in den 1960er Jahren geborene Nachkriegsgeneration der Polen, die sich ihrerseits mit der Geschichte der Stadt und ihrer früheren Bewohnern vertraut gemacht und auseinandergesetzt hat, hat nicht selten die Versuche unternommen, die Vergangenheit und Gegenwart zu überbrücken. 86 Die Begegnung mit einem in der Vergangenheit verharrenden, monologischen Gedächtnis der früheren, deutschen Bewohner der Oderstädte, die auf »ihre Erzählung« konzentriert sind, ruft zwangsläufig Enttäuschung aus. Krysztof Niewrzęda, Perfekt und Präsens (Übers. Mirosława Zielińska) Wir tranken gemeinsam ihren beliebten Korny so lange bis schließlich der Fluss in unser Gespräch hineinfloss zwischen den Zähnen leicht lallend sie ließen überflüssige Endungen weg und nannten sie Oda versenkt in ihrer Jugend rannten sie erfreut um die vergilbten Fotos der Mietshäuser herum die Welle der Erinnerungen hinderte sie daran auf meine Uferseite zu gelangen auch wenn wir uns die Hände reichten denn nach wie vor 85 Piotr Klimczak, Pawłowi Huellemu/Für Paweł Huelle, in: Wrocław liryczny/Lyrisches Breslau. Wybór i opracowanie/Herausgegeben von Marek Graszewicz und Marek Zybura. Wirydarz Wrocław 1997, S. 160-163. 86 Ein der interessanten Versuche die Gegenwart und Vergangenheit der Oderstadt miteinander zu versöhnen ist der Mitte der 1990er Jahre erschienene Prosaband „Bresław“, vgl. Andrzej Zawada, Bresław, Wydawnictwo OKIS, Wrocław 1995. [Biblioteka Wrocławskiego Oddziału SPP.] ich wohnte nad Odrą sie dagegen haben mal an der Oder gelebt87 Dass die Begegnungen der Wrocławer und Breslauer oft mit Kommunikationsschwierigkeiten verbunden sein können, kann im Grunde genommen – angesichts des jahrzehntelang gegeneinander geführten, nicht selten politisierten und ideologisierten Diskurses – nicht wundern. Viel wichtiger ist angesichts der – wie es scheint – unüberwindbaren Gedächtnisasymmetrie und -asynchronie der Wille zum Gespräch mit dem Anderen und Bereitschaft zur (kritischen) Autoreflexion. Das Gedächtnis der zukünftigen Generationen der europäischen Oderregion wird Ergebnis der Interreaktion von unterschiedlichen in den Narrativen vermittelten Erfahrungen, Gedächtnissen, Diskursen sein. Es ist somit entscheidend, ob die Narrativen miteinander in Dialog kommen, oder nicht. Noch nie hing so viel von dem individuellen Willen konkreter Personen ab, worauf auch Andrzej Zawada hingewiesen hat: „Das heutige Bild Niederschlesiens bleibt stets unscharf und scheint mehr eine individuelle, persönliche Projektion ihrer Bewohner, als fertiges Image, das verbreitet werden kann, zu sein“88. Die Konferenz endete mit dem Wunsch der Teilnehmenden, das Thema Geschichte im Fluss zu erweitern und im Migrationskontext neu zu diskutieren. Angeregt wurden ein OnlineDossier und die thematische Fortführung mit Begleitung bzw. Koordinierung durch die bpb. - ENDE - 87 Krzysztof Niewrzęda, Perfekt i czas tereźniejszy [Perfekt und Präsens]. In: Kiedy mówisz Odra. Wiersze z motywem rzeki [Wenn du Oder sagst. Gedichte mit dem Flussmotiv]. Gesammelt, bearbeitet und mit Einführung versehen von Ryszard Sławczyński, Klub Muzyki i Literatury Wrocław 1999, S. 127. (Übersetzt von M. Zielińska). 88 Andrzej Zawada, Literacki autoportret z Odrą w tle. [Literarisches Porträt vor der Oderlandschaft] In: Odra – Oder. Panorama europejskiej rzeki. [Odra-Oder. Das Panorama eines europäischen Flusses], hrsg. von Karl Schlögel i Beata Halicka, Skórzyn 2008, S. 261.