Daniel Winkler VO Medienwissenschaftliche Einführungsvorlesung Französisch/Italienisch Di 9:15-10:45 Hörsaal B (Univ-Campus) 10.03. Einführung: Medienbegriff, Mediengeschichte, Medienumbrüche 17.03. Medientheorie 1: Walter Benjamin: Originalkunstwerk vs. Reproduzierbarkeit; Aura vs. Medialität; Marshall McLuhan: „The medium is the massage“; Periodisierung der Mediengeschichte; Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen; Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit 24.03. Medientheorie 2: s.o.; Geschichte der Schrift / des Buches 1: Handschrift, Buchdruck, Geschichte der Zensur und des Lesens (Mittelalter/frühe Neuzeit) 1 31.03. Geschichte der Schrift / des Buches 1: Handschrift, Buchdruck, Geschichte der Zensur und des Lesens (Mittelalter/frühe Neuzeit) 2 21.04. (Massen-) Medien des Alltags im 19. Jahrhundert: Zeitungswesen + Fotographie 28.04. Geschichte des Buches 2: Mediale Ordnungssysteme als Mittel der Kulturpolitik. Das Beispiel der Enzyklopädie im 18. Jahrhundert (Vortrag Dr. Karen Struve, Bremen) 05.05. (Massen-) Medien des Alltags im 19. Jahrhundert: Fotographie, Grammophon, Telefon, Telegraph, Radio... (Teil 2); Theatergeschichte vs. Mediengeschichte: Medialität vs. Performanz, Gesamtkunstwerk vs. Medium 12.05. Theatergeschichte vs. Mediengeschichte: Medialität vs. Performanz, Gesamtkunstwerk vs. Medium 2; 1895ff.: Stummfilm und frühe Filmindustrie in Italien und Frankreich 19.05. Filmgeschichte: Stummfilm und Avantgarde in Italien und Frankreich 26.05. Filmgeschichte: Tonfilm – Zwischenkriegszeit bis Neorealismus + Nouvelle Vague 09.06. Filmtheorie und Dokumentarfilm / TV 16.06. zeitgenössisches Kino: Migrations- und Regionalfilm / Filmanalyse 23.06. Prüfung 1. Termin (mind. 2 Filme aus dem Vorlesungskorpus = Pflicht) 30.06. Prüfung 2. Termin (mind. 2 Filme aus dem Vorlesungskorpus = Pflicht) Plus mind. zwei der abendlichen Filmprogramme (prüfungsrelevant) 1 Handouts Daniel Winkler (vgl. Basisskriptum von Birgit Wagner) Dies ist kein komplettes Skriptum der VO, für die Prüfung sind daher die Mitschriften nötig! Vgl. auch die Auswahlbibliographie Einf. Vier Beispiele aus der Mediengeschichte, die historische Medienumbrüche markieren: 1.Universitärer Alltag: Vom Buchdruck zum Computer -verba volant, scripta manent: gesprochene Worte verfliegen, das geschriebene Wort bleibt bestehen -in wieweit ist der Ausspruch in Zeiten von Mail und SMS noch gültig? Wie lange bleibt heute ein mit dem computer geschriebenes Wort nicht nur gueltig, sondern auch existent? -Abänderungsmöglichkeiten beim Verfassen von PS-Arbeiten, prozessuales Arbeiten (Formatierung, Rechtschreibprogramme, cut + paste) 2.Film -Louis und Auguste Lumière, Industrielle aus Lyon, erfinden den Kinematographen (cinématographe) -kann 16 ‘bewegte’ Bilder pro Sekunde aufnehmen -erste Filmvorführung im sous-sol des Grand Café auf dem Boulevard des Capucines im 9. Pariser Arrondissement, unweit der alten Pariser Oper (Dezember 1895) -Filme besten aus einer Einstellung (ca. 1 Minute); Beispiel: L’arrivée d'un train dans la gare de La Ciotat -Wahrnehmungsschock 3.Fotografie/Malerei -Victor Hugos (1802-1885) erste Zugfahrt im Jahr 1837 -Romane: Der Glöckner von Notre-Dame (Notre dame de Paris, 1831) und Die Elenden (Les Misérables, 1862) -Hugo beobachtet kurz vor Erfindung der Fotografie die unterschiedliche Wahrnehmung der Natur aus der Postkutsche und dem Zug: Verschwimmen von festen Konturen (Punkte, Striche; vgl. Impressionismus) -impressionistischer Blick: neuer Blick auf die Welt; neue Technik macht naturalistische Malerei ‘überflüssig’ -Aspekt der technischen Reproduzierbarkeit -aber: Fotografie kann Bewegung/Geschwindigkeit nicht wirklich festhalten (Stillstellung der Zeit) 4.Fernrohr -Galileo Galilei (1592-1610) -Professor für Mathematik an der Universitaet Padua (1592-1610), zuvor Lektor in Pisa, ab 1610 Hofmathematiker -1609: erstes Fernrohr von Galilei (Erfindung durch Jan Lippershey 1608, Niederlande) -Revolution in der Erforschung der Himmelskörper; Erschütterung der Weltwahrnehmung -Entdeckungen: Oberfläche des Mondes uneben; Erdschein; vier große Monde umkreisen Jupiter (Galileische Monde); Milchstraße aus unzähligen Sternen bestehend (Sidereus Nuncius/Sternenbote, 1610) -Erkenntnis der Heliozentrik (nach Nikolaus Kopernikus), die der Kirchenlehre widerspricht; neue Verortung des Menschen und der Erde im Universum -1630/32: Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das Ptolemäische und das Kopernikanische (Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano) -1633 Inquisitionsprozess: Verurteilung und Hausarrest bis Lebensende; 1992 (!) vom Vatikan rehabilitiert 2 Einf. Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. [...] Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus. Analysen chemischer Art an der Patina einer Bronze können der Feststellung der Echtheit förderlich sein; entsprechend kann der Nachweis, daß eine bestimmte Handschrift des Mittelalters aus einem Archiv des fünfzehnten Jahrhunderts stammt, der Feststellung ihrer Echtheit förderlich sein. Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit. [...] Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammenfassen und sagen: was im Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit verkümmert, das ist seine Aura. Der Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist über den Bereich der Kunst hinaus. Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Prozesse führen zu einer gewaltigen Erschütterung des Tradierten – einer Erschütterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwärtigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den massenbewegungen unserer Tage. Ihr machtvollster Agent ist der Film. Siene gesellschaftliche bedeutung ist auch in ihrer positiven Gestalt, und gerade in ihr, nicht ohne diese seine destructive, seine kathartische Seite denkkbar: die Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. Diese Erscheinung ist an den großen historischen Filmen am handgreiflichsten. Sie bezieht immer weitere Positionen in ihr(en) Bereich ein. Und wenn Abel Gance 1927 enthusiastisch ausrief: “Shakespeare, Rembrandt, Beethoven werden filmen… Alle Legenden, alle Mythologien und alle Mythen, alle Religionsstifter, ja alle Religionen… warten auf ihre belichtete Auferstehung, und die heroen drängen sich an den Pforten” so hat er, ohne es wohl zu meinen, zu einer umfassenden Liquidation eigneladen. (W.B., Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt, Suhrkamp, 1992. 11-14) Die Graphik wurde durch die Lithographie befähigt, den Alltag illustrativ zu begleiten. Sie begann Schritt mit dem Druck zu halten. In diesem Beginnen wurde sie aber schon wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Steindrucks durch die Photographie überflügelt. Mit der Photographie war die Hand im Prozeß bildlicher Reproduktion zum ersten Mal von den wichtigen künstlerischen Obliegenheiten entlastet, welche mehr dem ins Objektiv blickenden Auge allein zufielen. Da das Auge schneller erfaßt, als die Hand zeichnet, so wurde der Prozeß bildlicher Reproduktion so ungeheuer beschleunigt, daß er mit dem Sprechen Schritt halten konnte. Der Filmoperateur fixiert im Atelier kurbelnd die Bilder mit der gleichen Schnelligkeit, mit der der Darsteller spricht. Wenn in der Lithographie virtuell die illustrierte Zeitung verborgen war, so in der Photographie der Tonfilm. (…) Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der überkommenen Künste zu ihrem Objekt machen und deren Wirkung den tiefsten Veränderungen zu unterwerfen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den künstlerischen Verfahrensweisen eroberte. Für das Studium dieses Standards ist nichts aufschlußreicher, als wie seine beiden verschiedenen Manifestationen – Reproduktion des Kunstwerks und Filmkunst – auf die Kunst in ihrer überkommenen Gestalt zurückwirkt. (s.o., 10-11). Indem das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament löste, erlosch auf immer der Schein ihrer Autonomie. Die Funktionsveränderung der Kunst aber, die damit gegeben war, fiel aus dem Blickfeld des Jahrhunderts heraus. Und auch dem zwanzigsten, das die Entwicklung des Films erlebte, entging sie lange. Hatte man vordem vielen vergeblichen Scharfsinn an die Entscheidung der Frage gewandt, ob die Photographie eine Kunst sei – ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe – so übernahmen die Filmtheoretiker bald die entsprechende voreilige Fragestellung. (s.o., 22) D.h., ein Kind in irgendeinem westlichen Milieu ist von einer abstrakten, expliziten, visuellen Technik 3 umgeben, die auf einer uniformen Zeit und einem uniformen, kontinuierlichen Raum beruht, von einer technik, in der einzig eine Abfolge von Wirk-‘Ursachen’ gilt und in der sich die Dinge auf unabhängigen Einzelebenen und in regelmäßiger Reihenfolge bewegen und ereignen. Das afrikanische Kind (Vorsicht!, D.W.) hingegen lebt in der impliziten magischen Welt des zum Mitvollzug zwingenden gesprochenen Wortes. Es stößt nicht auf Wirkursachen, sondern auf Formalursachen in einem Feld von Konfigurationen, wie sie jede nicht-alphabetische Gesellschaft entwickelt. Carothers betont immer wieder, dass “Afrkaner auf dem Lande weitgehend in einer Welt des Schalles leben – einer Welt, die für den hörer von direktem belange ist – währenddessen der Westeuropäer viel mehr in der visuellen Welt lebt, die ihm im großen und ganzen gleichgültig ist.” Da die Welt des Ohres eine “heisse, hyperästhetische und die Welt des Auges eine verhältnismäßig “kühle”, neutrale Welt ist, erscheint der Abendländer (Vorsicht!, D.W.) den menschen der OhrenKultur als ausgesprochen kalter Mensch. (Marshall McLuhan, Die Gutenberg Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Bonn u.a., Addison-Wesley, 1995. 22) In einer Kultur wie der unseren, die es schon lange gewohnt ist, alle Dinge, um sie unter Kontrolle zu bringen, aufzusplittern und zu teilen, wirkt es fast schockartig, wenn man daran erinnert wird, daß in seiner Funktion und praktischen Anwendung das Medium die Botschaft ist. Das soll nur heißen, daß die persönlichen und sozialen Auswirkungen jedes Mediums - das heißt jeder Ausweitung unserer eigenen Person - sich aus dem neuen Maßstab ergeben, der durch jede Ausweitung unserer eigenen Person oder durch jede neue Technik eingeführt wird. (21) (...) der ‘Inhalt’ jedes Mediums ist immer ein anderes Medium. Der Inhalt der Schrift ist Sprache, genauso wie das geschriebene Wort Inhalt des Buchdrucks ist und der Druck wieder Inhalt des Telegrafen ist. (...) Denn die 'Botschaft' jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation der Menschen bringt. Die Eisenbahn hat der menschlichen Gesellschaft nicht Bewegung, Transport oder das Rad oder die Straße gebracht, sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert und beschleunigt und damit vollkommen neue Arten von Städten und neue Arten von Arbeit und Freizeit geschaffen. (Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media. Dresden: Verlag der Kunst 1994. 22f.) Mediengeschichte Mediengeschichte McLuhan -Medien = keine neutralen Geräte/Kanäle -sie erweitern die Wahrnehmung des Menschen artifiziell -sie prägen immer die zu vermittelnden Inhalte und deren Rezeption mit -sie prägen und verändern die Lebenszusammenhänge der Gesellschaften, in denen sie sich durchsetzen -es ist entscheidend, die Materialität/die materielle Gemachtheit des konkreten Mediums mit zu bedenken ebenso wie seine Auswirkungen auf die Gesellschaft und die manipulative Komponente an medialen Prozessen Mediengeschichte -Periodisierung der Mediengeschichte in vier Phasen (vgl. McLuhan/ VO 2) -Schrift als verhältnismäßig junge Errungenschaft im vgl. zu Skulpturen und Malereien (Lascaux; Venus von Willendorf) -Schrift entsteht im mittleren Osten; älteste Funde ca. 5500 Jahre alt; Aufzeichnungen von Kaufleuten -Unterschiede (u.a. in Struktur und Wahrnehmung) zwischen Bild und Schrift sind zu berücksichtigen 4 -Piktogramme, Keilschrift, Ideogramme; 3000 v. Chr. Ägyptische Hieroglyphen; phönizisches Alphabet und griechisches Alphabet (phonetische Schrift; 1500 bzw. 900 v. Chr.) -Frage der Speichermaterialien -alte vs neue Oralität (vgl. McLuhan/VO 2) -primäre vs sekundäre Oralität; Stammeskulturen (Fixierung auf Ohr) vs unsere Kulturgesellschaft (Oralität/auditive Medien, die aber Schriftkenntnis voraussetzen) -Memoria/historisches Gedächtnis von Stammeskulturen ist stark begrenzt (zeitlich und räumlich) -Bedeutung von Rhetorik; Intonation, Rhythmus, Reim; Memorisierungshilfe/Mnemotechnik durch Regelmäßigkeit und musikalische Struktur -Bedeutung der Erfindung der Schrift für Menschheitsgeschichte im Sinne eines Medienumbruchs -artifizielle Erweiterung der menschlichen Kommunikation -visuelle Wahrnehmung wird zunehmend privilegiert -Ermöglichung der Tradierung über das Hier und Jetzt/Zeit und Raum hinaus -mit schriftlicher Überlieferung setzt Historiographie ein; Übergang von Uhr- und Frühgeschichte zur Geschichte -aber auch Selektion auf sozialer Ebene und Genderebene (Gelehrten- vs Volkskultur etc.); Minderheit der Schreibenden = gesellschaftliche ‚Elite’ Mediengeschichte Entstehung des Mediums Buch -Entwicklung vn der Schriftrolle zum Codex im 3. Jhdt. n. Chr. -Codex ist im MA führend; praktikablere Form des Speichermediums -Ort des Codex: Klöster; Rolle der Klöster als intellektueller Ort -neue Formen der Textgestaltung: Haupttext-Glosse; Kapitel, Absätze, Index -materieller Aspekt: Pergament vs Papier; Papier-Import; Gestaltung der Bücher/Handschriften; Material prägt Lektüre -Geschichte des Lesens: Klöster als Ort der Lektüre im MA; leises vs lautes, kollektives vs individuelles Lesen; Abschreiben als Memorierungsakt (u.a.); erste Sehbehelfe Handschriftlichkeit, Druckschriftlichkeit (vgl. auch VO 2) -Erfindung des mechanischen Druckverfahrens (zuerst in Ostasien) -in Europa um 1450; Rolle Gutenbergs (Gutenberg-Bibel, 200 Stück) -Mechanisierung des Aufschreibe- und Vervielfältigungsverfahrens; metallene Letter aus Kupfer und Druckerpresse; Pergament und Papier -Vereinfachung, Beschleunigung und Kostenreduktion -Durchsetzung des Buchdrucks in ganz Europa (1470/1520); ‘Massenware’ Buch -Inkunabeln/Wiegendrucke (bis 1500) -Vereinfachung und Verbilligung der Speichermedien durch die Mediengeschichte hindurch, aber zunehmendes Problem der Haltbarkeit Humanismus und Buchdruck -Beispiele: Aldo Manuzio / Robert Estienne -große Druckaktivität -AD: 100.000-120.000 Exemplare; AD als führender Buchdrucker in Europa zu Beginn des 16. Jhdts; Erstdrucke griechischer und römischer Handschriften in Italien; 130 Editionen zwischen 1495 und 5 1515, u.a. Aristophanes, Aristoteles, Vergil, Caesar…; druckt aber auch neulateinische Schriften (Humanisten) und Bücher im Volgare (Bembo; Colonna) -Erfindung der Kursivschrift (caratteri corsivi/les caractères italiques); Einführung des Oktavformats (kulturgeschichtlich wichtig; Transportabilität; reisende Humanisten) -RE: Rolle von Paris und Lyon als Universitäts- und Handelsstadt; Kooperation mit Claude Garamond (Gießer; Schrift); druckt lateinische Texte, u.a. Bibel/Vulgata, aber auch griechische/hebräische Texte; Ausgaben von Humanisten (Erasmus u.a.); Vulgata in Kleinformat (Transport!); Konflikt mit Theologen/Kirche wegen Erneuerung der Übersetzung der Bibel; philologische Exaktheit und Vermittelbarkeit vs Dogmen der Amtskirche; 1547 Verbot von Druck und Verkauf der Vulgate (Conseil du Roi); 1550: Exil nach Genf Geschichte der Zensur -zentrales Phänomen der Buchgeschichte der Neuzeit -Aufklärungs- und Bildungsrolle des Buches durch zunehmende Verbreitung -Konflikt mit Interessen der Herrschenden und gesellschaftlichen Normen -neues Medium (Buch) bringt neue Normierungsprozesse mit sich: Gegenreformation, Zensurbehörden… -Frankreich - Zensurbehörden: Parlement de Paris und theolog. Fakultät der Sorbonne vs königliches Zensuramt (Bureau de la librairie) -präventive Zensur; Einholen von permission und Privilège du Roi -repressive Zensur durch Kirche, z.B. Bücherverbrennungen (bis ins 18. Jhdt); trotzdem illegaler Buchhandel etc. -Druck in nachbarländern Schweiz und Holland (liberalere Tradition in politische rund wirtschaftlicher Hinsicht) -Guillaume-Thomas Raynal: Histoire des deux Indes; Werk der Kolonialismuskritik, das 1770 gedruckt, aber dann verboten wird; Neuauflage landet auf Kirchenindex; 3. Auflage wird verbrannt: schließlich: Exil in die Schweiz, wo neue Auflage vorbereitet wird -Italien: siehe Galilei (1. VO) -zentrale Rolle des Vatikans; römische und spanische Inquisition; Kirche muss Imprimatur erteilen -präventive und repressive Zensur (s.o.) -Index librorum prohibitorum entsteht Mitte des 16. Jhdts; für katholiken verbindlich verbotene Bücher (Besitz und Lektüre); Straandrohung: Exkommunikation -1571: Einrichtung des Index-Kongregation, die über Einhaltung wacht (Nachfolge: Glaubesnkongregation; Ratzinger) -Umgang mit unerwünschten Schriften vor 16. Jhdt. weniger restriktiv (kein förmlicher Index); vor MA wurden Bücher nur als Irrtümer verzeichnet -1962-65: Abschaffung des Index; 2. Vatikansiches Konzil -Beispiele für Inquisition: Galilei (abiura 1633; Dialogo di Galileo Galilei…; Niccolò Riccardi); Giordano Bruno landet auf Scheiterhaufen (1600; Pantheismus; Zweifel an Schöpfungsgeschichte) Lesepublikum und Geschichte des Lesens -Verbreitung der Bücher auch im Rahmen des Kolonialismus (1. franz. Kolonialismus zu Beginn des 17. Jhdt: Nordamerika, Senegal, Karibik…; vs ital. Kolonialismus) -Zirkulation von Büchern in nei erreichtem Ausmass: zunehmende Alphabetisierung in Europa, aber auch Ideologisierung in Kolonien -neue leserschichten und Verbreitung neuer Textsorten -aber: noch nur hochgebildete Schichten betroffen -breite Ausweitung erst im 18. (2. Hälfte; Bürgertum und Kleinbürgertum) und 19. Jhdt (Schulpflichteinführung in den 1870er Jahren in Italien und Frankreich, Arbeiterschichten; Herausbildung von Zeitungen, auch politischen; Volksbildung) 6 -Phänomen Lesewut, vgl. Die Leiden des jungen Werther (1774) von Goethe (vgl. Kritik an TV und Computerspielen: Gefährdung des Augenlichts, Zeitvertreib, keine Bildung, sondern nur Unterhaltung) -Veränderung der Lesetechniken zwischen 16. und 18. Jhdt; protestantische vs katholische Tradition; Individualisierung Mediengeschichte 17./18. Jhdt.; Medien im 19. Jahrhundert Ordnungssysteme im Medium Buch -Frage nach neuen Ausformungen des Mediums Buch: Ordnungssysteme innerhalb des Mediums Buch; Nachschlagewerke: Enzyklopädie und Wörterbuch -Nachschlagewerke produzieren medienspezifische Ordnungssysteme, d.h. sie transportieren immer auch eine Weltsicht und Ideologie -Bsp.: Wörterbücher, die von staatlich kontrollieren Institutionen erstellt werden (Accademia della Crusca, Académie Française) -erse Wörterbücher: in italien 1612; in Frankreich 1694 -Zentralismus in Frankreich vs Regionalismus in Italien; Spezialfall Frankreich: Normierung der Sprache = offizielle Aufgabe des Nationalstaates bis heute -Wörterbuecher als Spiegel einer besonders restriktiven Sprach- und Bildungspolitik (vgl. Umgang mit Regionalsprachen und Dialekten vom Empire über Revolution bis heute) -Enzyklopädien: Anspruch der Vermittlung eines durchdachten Weltbildes; insbesondere im 17. + 18. Jhdt. wird Vielfalt von Enzyklopädien gedruckt -berühmtestes Bsp.: Encyclopédie von den französischen Denkern Denis Diderot und Jean Le Rond D'Alembert (1751-1780). -ideologischer Charakter solcher Nachschlagewerke: Autoren und Mitarbeiter haben Anspruch, Aufklaerung voran zu bringen, und ein neues Weltbild zu vermitteln, das argumentiert wird (gegen kirchliche Dogmen und Fanatismus, für Vernunft) Vortrag Karen Struve: „enclins au libertinage, à la vengeance, au vol & au mensonge“. Figuren des Anderen in der Encyclopédie von Diderot und d'Alembert 1. Einstieg und Ansatz: Perspektive: Postkoloniale Lektüren Edward W. Said „Kultur und Imperialismus“ (1994) Die französische Aufklärung und die Encyclopédie 2. Der Ausgangspunkt: Die Aufklärung und die Anderen 7 „Die Aufklärung [...] ist eine von England und den Niederlanden ausgehende gesamteuropäische geistes- und ideengeschichtliche Bewegung, die einen folgenreichen Umbruch im Denken bewirkte. Sie erhebt die menschliche Vernunft zum obersten Prinzip allen Denkens und Handelns. Auf der Basis der kritischen Vernunft und wissenschaftlich fundierter Infragestellung von Traditionen soll sich der autonome Mensch von Vorurteilen und Aberglaube befreien. Die Skepsis gegenüber überkommenen Autoritäten erfasst alle Bereiche der Gesellschaft.“ (Bauer-Funke 2007, S. 7-8) 2. Der Ausgangspunkt: Die Aufklärung und die Anderen „Sie betrifft die intellektuelle und – im weiteren Sinn – kulturelle Ebene, d.h. die Form des Wissens und der Erkenntnis über die koloniale Welt, ihre Bewohner und Gesellschaften und Kulturen, ihre Tier- und Pflanzenwelt, aber auch ihre Geschichte, ihre Sprachen und Literaturen und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den interkulturellen Dialog zwischen Europa und der außereuropäischen kolonialen Welt. Dieser neue, alle Gesellschaften des damaligen Europa erfassende ‚Erkenntniswille‘ [...] war gleichermaßen von exotischer Faszination und philosophischem Denkimpetus beherrscht. […] So beschäftigt sich die République des Lettres Europas in ihren Medien und Institutionen […] mit grundlegenden Fragen wie der Legitimation des Kolonialismus oder der Abschaffung der Negersklaverei […].“ (Lüsebrink 2006, S. 10). 3. Der Eingang: Die Encyclopédie „Il n'en est pas de même de l'ordre encyclopédique de nos connoissances. Ce dernier consiste à les rassembler dans le plus petit espace possible, & à placer, pour ainsi dire, le Philosophe au-dessus de ce vaste labyrinthe dans un point de vûe fort élevé d'où il puisse appercevoir à la fois les Sciences & les Arts principaux ; voir d'un coup d'oeil les objets de ses spéculations, & les opérations qu'il peut faire sur ces objets ; distinguer les branches générales des connoissances humaines, les points qui les séparent ou qui les unissent ; & entrevoir même quelquefois les routes secretes qui les rapprochent. C'est une espece de Mappemonde qui doit montrer les principaux pays, leur position & leur dépendance mutuelle, le chemin en ligne droite qu'il y a de l'un à l'autre ; chemin souvent coupé par mille obstacles, qui ne peuvent être connus dans chaque pays que des habitans ou des voyageurs, & qui ne sauroient être montrés que dans des cartes particulieres fort détaillées. Ces cartes particulieres seront les différens articles de l'Encyclopédie, & l'arbre ou système figuré en sera la Mappemonde.“ (d’Alembert: Discours préliminaire) 4. Der Weg durch die Encyclopédie „NEGRE, s. m. (Hist. nat.) homme qui habite différentes parties de la terre. Depuis le tropique du cancer jusqu'à celui du capricorne l'Afrique n'a que des habitans noirs. Non-seulement leur couleur les distingue, mais ils different des autres hommes par tous les traits de leur visage, des nez larges & plats, de grosses levres, & de la laine au lieu de cheveux, paroissent constituer une nouvelle espece d'hommes.“ „Si l'on en croit des relations de plusieurs voyageurs, on trouve à cette extrêmité de l'Amérique une race d'hommes dont la hauteur est presque double de la nôtre.“ „[...] le mêlange ne produiroit-il pas des beautés nouvelles? C'est sur les bords de la Seine qu'on trouve cette heureuse variété dans les jardins du Louvre ; un beau jour de l'été, vous verrez tout ce que la terre peut produire de merveilles.“ „NEGRES, (Commerce) Les Européens font depuis quelques siecles commerce de ces negres, qu'ils tirent de Guinée & des autres côtes de l'Afrique, pour soutenir les colonies qu'ils 8 ont établies dans plusieurs endroits de l'Amérique & dans les Iles Antilles. On tâche de justifier ce que ce commerce a d'odieux & de contraire au droit naturel, en disant que ces esclaves trouvent ordinairement le salut de leur ame dans la perte de leur liberté ; que l'instruction chrétienne qu'on leur donne, jointe au besoin indispensable qu'on a d'eux pour la culture des sucres, des tabacs, des indigos, &c. adoucissent ce qui paroît d'inhumain dans un commerce où des hommes en achetent & en vendent d'autres, comme on feroit des bestiaux pour la culture des terres.“ „car si un châtiment modéré les rend souples & les anime au travail, une rigueur excessive les rebute & les porte à se jetter parmi les negres marons ou sauvages qui habitent des endroits inaccessibles dans ces îles, où ils préferent la vie la plus misérable à l'esclavage.“ „Ces hommes noirs, nés vigoureux & accoutumés à une nourriture grossiere, trouvent en Amérique des douceurs qui leur rendent la vie animale beaucoup meilleure que dans leur pays.“ „L'humanité & l'intérêt des particuliers ne leur permettent pas de faire conduire leurs esclaves au travail aussi-tôt qu'ils sont sortis du vaisseau. Ces malheureux ont ordinairement souffert pendant leur voyage, ils ont besoin de repos & de rafraîchissemens [...]“. „Caractere des negres en général. Si par hasard on rencontre d'honnêtes gens parmi les negres de la Guinée, (le plus grand nombre est toujours vicieux) ils sont pour la plûpart enclins au libertinage, à la vengeance, au vol & au mensonge. Leur opiniatreté est telle qu'ils n'avouent jamais leurs fautes, quelque châtiment qu'on leur fasse subir ; la crainte même de la mort ne les émeut point. Malgré cette espece de fermeté, leur bravoure naturelle ne les garantit pas de la peur des sorciers & des esprits, qu'ils appellent zambys.“ „Quant aux negres créols, les préjugés de l'éducation les rendent un peu meilleurs ; cependant ils participent toujours un peu de leur origine ; ils sont vains, méprisans, orgueilleux, aimant la parure, le jeu, & sur toutes choses les femmes ; celles-ci ne le cedent en rien aux hommes, suivant sans reserve l'ardeur de leur tempérament ; elles sont d'ailleurs susceptibles de passions vives, de tendresse & d'attachement. Les défauts des negres ne sont pas si universellement répandus qu'il ne se rencontre de très-bons sujets ; plusieurs habitans possédent des familles entieres composées de fort honnêtes gens, très-attachés à leurs maîtres, & dont la conduite feroit honte à beaucoup de blancs.“ „Hottentots“ „Ils n'ont ni temple, ni idoles, ni culte, si ce n'est qu'on veuille caractériser ainsi leurs danses nocturnes, à la nouvelle & à la pleine lune. Le nom de Hottentot a été donné par les Européens à ces peuples sauvages, parce que c'est un mot qu'ils se répetent sans-cesse les uns aux autres lorsqu'ils dansent.“ „leur affreuse malpropreté, ressemblent à la toison d'un mouton noir remplie de crotte. Ces peuples sont errans, indépendans, & jaloux de leur liberté ; ils sont d'une taille médiocre & fort légers à la course ; leur langage est étrange, ils gloussent comme des coqs d'Inde [...].“ „CARAIBES ou CANNIBALES, sauvages insulaires de l'Amérique, qui possedent une partie des îles Antilles. Ils sont en général tristes, rêveurs & paresseux, mais d'une bonne constitution, vivant communément un siecle. Ils vont nuds, leur teint est olivâtre. Ils n'emmaillotent point leurs enfans, qui dès l'âge de quatre mois marchent à quatre pattes ; & en 9 prennent l'habitude au point de courir de cette façon, quand ils sont plus âgés, aussi vîte qu'un européen avec ses deux jambes.“ „EUROPE, (Géog.) grande contrée du monde habité. L'étymologie qui est peut-être la plus vraisemblable, dérive le mot Europe du phénicien urappa, qui dans cette langue signifie visage blanc [...] qui convient aux Européens, lesquels ne sont ni basanés comme les Asiatiques méridionaux, ni noirs comme les Africains.“ „L'Europe n'a pas toûjours eu ni le même nom, ni les mêmes divisions, à l'égard des principaux peuples qui l'ont habité ; & pour les sous-divisions, elles dépendent d'un détail impossible, faute d'historiens qui puissent nous donner un fil capable de nous tirer de ce labyrinthe.“ Illustration -Geschichte der Buchillustration: Aufschwung unter anderem über die Erfindung des Frontispiz (des Titelkupfers) im Laufe des 16. Jhdts. -aber Beschränkungen: teure Luxusausgaben in kleiner Auflage -Einführung der bedruckten äußeren Umschlagseite erst im Laufe des 19. Jhdts.: Epoche, in der bereits sehr hohe Auflagen hergestellt und Bücher billiger werden; Ledereinbände nicht mehr für alle Käufer obligatorisch (vgl. Kapitel zur Geschichte des Lesens: Schulpflicht) -Begriff der Intermedialität und dessen Bedeutung für die historischen Medienwissenschaften; Untersuchung der Beziehung von Text und Bild: Wie kommentieren und ergänzen sich Text und Bild? Was ergeben sich hier in der Rezeption für andere Bedeutungsebenen als bei reinen Textprodukten? Zeitung im 19. Jahrhundert -Beginn des Zeitalters der modernen Massenmedien: Phänomene der Industrialisierung und der allgemeinen Herausbildung demokratischer Strukturen; weitgehende Alphabetisierung zumindest der urbanen Bevölkerung -Zeitung erlebt Aufschwung als Massenmedium -Hintergrund: Technikgeschichte: Zeitungen gibt es schon im 17. Jhdt., aber nicht als Massenmedien (geringe Alphabetisierung, mangelnde Existenz breiter bürgerlicher Schichten); massenmediale Verbreitung von Zeitungen auch technisch erst im 19. Jh. Möglich; Erfindung der Rotationsdruckmaschine 1848 -Folgen: Tageszeitungen als erste Lektüre der neuen städtischen Leserschichten (nicht Adel oder arriviertes Bürgertum); Entstehen von demokratischer Öffentlichkeit; Politisierung der Gesellschaft -aber: kaum/nur teils alphabetisierte ländliche Gebiete (ärmere und periphere Gebiete; Landarbeit trotz Schulpflicht etc.) -nationale Zeitungen stellen imagined communities her und prägen einen neuen Typ von Bürger und Bürgerin; Anteil an der Ausbildung des modernen Nationalismus, also der Idee des Nationalstaates (vgl. v.a. Italien) 10 -Imaginäre Gemeinschaften beziehen ihre gemeinsamen Ansichten aus dem Besuch von gemeinsamen Einrichtungen wie der öffentlichen Schule und dem Konsum von den gleichen Massenmedien wie Zeitungen. -Zeitungen als Medien der gesellschaftlichen Kohesion, der Herausbildung gemeinsamer Vorstellungen von Staat und Nation, der Überwindung der Kleinstaaterei: z.B. in Italien sind Bauern in Sizilien mit ganz anderen sozialen Realitäten konfrontiert als die BürgerInnen in der Lombardei (Mailand): stark agrarisch/feudal geprägte Strukturen (vormodern), v/s moderne und industiralisierte Regionen, die z.T. sehr wohlhabend sind (vgl. Luchino Viscontis Film: Il Gattopardo/Der Leopard, 1963) -große Tageszeitungen als Orte der Kultur: Feuilleton: Publikation literarischer Texte - der Feuilletonroman; die in Europa berühmtesten Romane des Genres im 19. Jhdt. stamen aus Frankreich: Les Mystères de Paris von Eugène Sue (1842/43 in Journal des Débats); die Romane von Alexandre Dumas père: z.b. Les Trois Mousquetaires (Filme!); im Feuilleton erscheinen aber auch viele Romane der sog. ‘Hochliteratur’, (Honoré de Balzac, George Sand, Luigi Pirandello etc.); Industrialisierung der Literatur (Rhythmus der periodischen Publikation; Zwänge der Zeitungsindustrie; Publikumsgeschmack; Länge der Beiträge ; vgl Soaps) -Zeitungen in Frankreich und Italien -in Frankreich: drei wichtige Organe für das dominante eher bürgerliche Publikum – Le National , Le Constitutionnel, la Presse; frühe sozialistische Organe wie die renommierte Zeitschrift La Revue des Deux Mondes. -aber Pressefreiheit in der Mitte des 19. jhdts noch keine Selbstverstaendlichkeit: Zensur nach der Revolution von 1848; Ausschaltung der republikanischen und sozialistischen Presse; Folge: eher unpolitisch und literarisch orientierte Organe finden Verbreitung wie z.B. (der heute deutlich konservative) Le Figaro und Le Petit Journal, hier werden u.a. viele Feuilletonromane veroeffentlicht. Gegen ende des Jahrhunderts: Repolitisierung der Presse; liberalerer Umgang mit anderen Meinungen; berühmtestes Beispiel dafuer ist Emile Zolas offener Brief J'accuse (1898 in der Tageszeitung L'Aurore); gegen antisemitische Hetzkampagne gegen Alfred Dreyfus,; sog. DreyfusAffaire (französischer Hauptmann jüdischer Herkunft, der der Spionage angeklagt und vom Militärgericht zu Unrecht verurteilt worden ist); Skandal, der Frankreich zwischen 1894 und 1906 in zwei Lager spaltet -In Italien: nationale Presse spaeter als in Frankreich; Italien im 19. Jhdt. von deutlichen Umwaelzungen geprägt; Begriff des Risorgimento (einerseits Zeitraum zwichen 1815 und 1870, andererseits die weltanschaulich sehr unterschiedlich orientierten Gruppen, die nach dem Wiener Kongress von 1814/15 die Vereinigung Italiens anstreben; 1861 Ausrufung des Nationalstaates -Zeitschrifen zur Mitte des 19. Jhdts., die eine gewisse Rolle bei der Herausbildung einer politischen und literarischen Öffentlichkeit spielen: das vom Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini gegründete 11 Periodikum La Giovine Italia (nur wenige Ausgaben) oder die von Carlo Cattaneo geleitete Zeitschrift Politecnico (1839-44/1860-63); Tageszeitung des jungen Italiens: Il Corriere della Sera 1876 in Mailand, bis heute wichtige Zeitung. Medien im 19. Jahrhundert: Auditive und visuelle Medien Fotographie -neuen Form der visuellen Medien: Fotografie (vgl. auch VO zu Walter Benjamin und seinem Aufsatzes ‘Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit’ (1936) -Ursprünge in Frankreich: Joseph Nicéphore Niepce - 1826 erstes Foto (sog. Héliographie); Weiterentwicklung der Technik durch Louis Daguerre (1787-1851) zur sog. Daguerrotypie -Daguerrotypie kennt noch keine Negative, nur lichtempfindlich gemachte Silberplatten; keine Vervielfältigungen; Daguerre präsentiert Weiterentwicklung 1839 an der Académie française des sciences. -Nadar, eigentlich Gaspard-Félix Tournachon, macht Fotographie auch als Kunst populär; Nadar arbeitet v.a. in Paris, aber auch in Marseille in eigenen Studios; fotographiert die Städte, aber v.a. Portraitphotos; fotographiert die berühmten Persönlichkeiten der Pariser Gesellschaft des 19. Jhdts: Schauspielerin Sarah Berhardt, Gioachino Rossini oder Charles Baudelaire; setzt nicht wie damals üblich auf viel Requisiten und gemalten Hintergründe, sondern auf Ausdruck der Personen und Lichteffekte -mit langsam einsetzender Etablierung der Fotografie bzw. später des Fotoapparats als Massenmedium beginnt Prozess der Dezentrierung der Schrift und der Privilegierung des Bildes (vgl. Kontext der Strukturierung der Mediengeschichte in historische Phasen bei McLuhan); d.h. Fotografie steht am Anfang einer Entwicklung hin zu einer visuellen Kultur, die das späten 20. Jahrhundert und das 21. Jahrhundert so stark prägt; unsere Gesellschaft ist wie kaum eine andere von Bildern dominiert (vgl. Bsp. Royal/Sarkozy) -theoretische Perspektive: Fotografien nicht nur im Sinne ihrer Abbildungsfunktion gesellschaftlicher Aspekte interessant, sondern auch im Hinblick auf Zeitaspekt; vgl. Roland Barthes (Literaturwissenschaftler, Kontext Strukturalismus und Semiotik); Buch ‚La chambre claire. Note sur la photographie’ (1980): memoria-Funktion der Fotographie, Erinnerungsfunktion; Fotographien als Transportmittel einer Zeiterfahrung: tragen Spuren einer realen, aber vergangenen Realität in sich (Bsp. Seine tote Mutter); Fotographie beinhaltet Referenten, also Objekt der Wirklichkeit, auf das sie verweist; unheimlicher Aspekt/Effekt der Fotographie (vgl. Medienumbruch/Medienschock); Foto verweist auf 12 Referenten, der uns sehr vertraut ist, den wir aus dem Alltag kennnen und markiert gleichzeitig eine deutliche Distanz, eine zeitliche Kluft. -aus der Perspektive der Technikgeschichte: Fotographie = ein technisches Verfahren für die Herstellung von analogen Bildern ist: abbildende Verfahren; optische und chemische Verfahren: Festhalten von ‚Spuren’ der realen Welt mittels Licht sowie chemische Fixierung beim Filmentwickeln -gleiche Abbildungen von einer Aufnahme in Form von Abzügen möglich (Unterschied zu Daguerrotypie); Reproduktion als entscheidendes Unterscheidungskriterium zwischen Technik und Kunst (Stichwörter: Walter Benjamin, Wahrnehmungsschock, Medienumbruch; Fotographie als Konkurrenz zur Malerei im 19. Jhdt) -digitale Fotographie: beruht auf physikalischen Spuren von Realität; Bildsensoren, die einfallendes Licht registrieren und es in elektrische Signale umwandeln; Umwandlung in binäre Daten/Digitalisierung; Speicherkarte -Vorteile/Nachteile: Speicherplatz, Wiederverwertbarkeit der Speicherkarte; Kostenaufwand; Bilder im Nachhinein bearbeitbar; Aspekt der Manipulation; Schnelligkeit und Kurzlebigkeit; dokumentarische Funktion Medien der Tonaufzeichnung: Telefon, Phonograph, Grammophon -auditiven Medien: wesentliche Neuerung der Menschheitsgeschichte; Tonaufzeichnung als zeitlich jüngste Erfindung der medialen Speichertechnik: spätes 19. Jhdt. -Erfindung von Telefon, Phongraph und Grammophon ist nicht nur im Alltag bahnbrechend, sondern auch unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der sogenannten Medienverbünde, die sich im 20. Jhdt. herausbilden (Friedrich Kittler); bezeichnet Medien wie das Fernsehen oder das Internet, die Bild, Text und Ton gleichzeitig speichern und übertragen können. -Ein kurzer historischer Abriss zur Entwicklung der Medien der Tonaufzeichnung: Telefon: 1876: Alexander Bell (Boston); Telephongesellschaften; Fräulein vom Amt, das uns allen nur aus der Filmgeschichte bekannt ist; seit 1889 Möglichkeit der automatischen Verbindung über ein Wahlsystem; Institution hält sich mancherorts bis in die Nachkriegszeit -1877: Phonograph, der vom Amerikaner Thomas Edison erfunden wird: zum Stimmen und Musik aufzeichnen und wiedergeben -1887: Grammophon: Deutsch-Amerikaner Emil Berliner: Vorform des Schallplattenspielers (im Unterschied zum Phonographen nicht mit einer Walze, sondern mit Schallplatten 13 bespielt); Schreibschicht der Schallplatte wurde zunächst mit Schellack gehärtet (Name der ersten Platten, die nicht mit Saphiren, sondern mit richtigen Metallstiften gelesen wurden) -Erfindung der Tonaufzeichnung als Medienumbruch: Aufzeichnung der menschlichen Stimme wird – ebenso wie die Fotographie oder später der Film – zunächst als etwas Unheimliches erlebt; aber Speichermedien Telefon und Grammophon setzen sich schnell durch und werden zu einem bald als unverzichtbar empfundenen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens der Mittel- und Oberschichten -mit dem Grammophon beginnt zudem auch auf einer auditiven Ebene, gewissermaßen ergänzend zur Fotografie, die langsame Industrialisierung und Kommerzialisierung des Kulturlebens: Unterhaltungsmusik nicht nur kommerziell erwerbbar, sondern auch relativ grenzenlos verbreitet; Musikmarkt als einer der ersten Sektoren des Kulturbereichs, der einer starken Kommerzialisierung unterliegt und sehr schnell internationalisiert wird (vgl. musikalischen Moden der Zwischenkriegszeit; gegenwärtige Krise der Musikindustrie aufgrund der Verfügbarkeit von vielen unerlaubten Kopien im Internet als Downloads: internationale Komponente im Hereinbrechen einer Krise, die andere Kulturbereiche noch nicht in gleicher Härte erreicht hat) Medien im 19. Jahrhundert 2: Theater/Oper Theater ungleich Medium? -Position des Theaters für das neue Bildungsbürgertum des 19. Jhdts. -Debatte in den Theater- und Medienwissenschaften: Theatergeschichte als Teil der Mediengeschichte? Positionen: vgl. Theateraufführungen Kapitel zu Cultural als mediale Studies: Phänomene? ‚Medium’ i.S.v. Unterschiedliche audiovisuellen Massenkommunikationsmedien; Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipient, die nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort; Theater ist durch Performativität statt Medialität geprägt; Gegenposition: Aufführungen als Medien/Apperaturen, die eine Beziehung des Menschen zur Welt erzeugen; ‚Medium’-Definition allgemeiner Natur, vgl. z.B. Mc Luhan („extension of ourselves“; Understanding Media 1964) und Leeker (theaterspezifisch 2001). Theater/Oper als Vorform des Kinos: die Grand Opéra -konkrete These für medienwiss. Betrachtung: Theater als Vorform zum Film: Theater ist wie Kino Kulturinstitution; gleichzeitig zeigen sich in gewissen Theaterformen dramaturgische Parallelen: Kunstform, die mit Text, Musik und Bild/Bewegung arbeitet (These der Vorwegnahme von filmischen Ausdrucksmitteln) 14 -spezifisches Beispiel: Genre der so genannten Grand Opéra, die grosse Oper; Gegenmodell zu den ‘kleineren Formen’ der Opéra comique und Opera seria ab dem 18. Jhdt. -löst in Frankreich nach der bürgerlichen Revolution 1789 die Form der Tragédie lyrique als repräsentative Operngattung ab (vgl. Jean-Baptiste Lully und Jean-Philippe Rameau) -Grand Opéra = Gegenform zu aristokratischen Opernformen (Tragédie lyrique, Opera seria), aber deutlich prunkvoller und spektakulärer als dominierende Opéra comique; setzt sich in der ersten Hälfte des 19. Jhdt. endgültig durch; Opernform des Geldbürgertums: leichter verständlich; vermittelt Werte des Bürgertums (gegen alte Adelsvorrechte, für bürgerliche Rechte und Freiheiten; wichig: Frage der ‘Machbarkeit’: finanzielle oder technische Möglichkeiten sowie aufklärerische Werte) -wichtigeste Vertreter: der Komponist Giacomo Meyerbeer und sein Librettist Eugène Scribe -Baisis = historische Dramen (Antike, v.a. aber Spätmittelalter), die einen historischen Plot behandeln, über den aber die Probleme der Gegenwart mit thematisiert werden: politische Konflikte im Zentrum: in Meyerbeers/Scribes Les Huguenots (1836) wird Vertreibung der protestantischen Minderheit aus Frankreich, in Fromental Halévys La Juive (1835) der Antisemitismus thematisiert -Anhänger der Grand Opéra (Einzelwerke): Richard Wagner (Rienzi 1842), Hector Berlioz (Les Troyens, 1858) oder Giuseppe Verdi (Don Carlos 1867) -Zentrum der Grand Opéra = Paris und andere grosse (!) Opernhäuser mit finanziellen Mitteln; internationale Ausstrahlung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs -grosser technischer und finanzieller Aufwand: grosse Einlagen wie Ballett (z.B. Spitzentanz in Meyerbeers/Scribes ‘Robert le diable’ 1831), Kostumaufmärsche, Massenszenen z.B. mit Pferden, Pantomime (in ‘La Muette de Portici’ von Daniel-Franc,ois-Esprit Auber und Scribe, 1830); festgelegte Struktur und Länge des Genres und der Pausen: fünf Akte etc. (Einschübe i.S.v. Szenendramaturgie; kein rein chronologischer Ablauf, vgl. Film) -Kritik am Spektakel- und Rituscharakter von Komponisten (z.B. Richard Wagner) -Klangfarbe und Raumgestaltung sind zentral, sprich Effekt vor innermusikalischem Gehalt; Bsp.: Neuerung Lichtbogen (Gasentladung zwischen zwei Elektroden, die als ‘Prophetenschein’ in Meyerbeers ‘Le Prophète’ eingesetzt wird) oder dramaturgische Elemente wie der öffentliche Eklat, d.h. ein plötzliches Ereignis, etwas Privates, geheim Gehaltenes wird öffentlich und damit zum Skandal (z.B. Richard Wagner; entsprach einem neuen Verständnis von buergerlicher Öffentlichkeit im 19. Jhdt,; vgl. Rolle von Massenmedien) 15 Auswirkungen der Grand Opéra -Grand Opéra hat maßgebliche Auswirkungen auf die Opern- und Unterhaltungsindustrieüber das Genre hinaus; Innovationen: Revueelemente, Belebung des ‘Tempels’ Oper, Oper als gesellschaftliches Ereignis, Politisierung der Oper (Stoffe) und neue Form der Dramaturgie -dramaturgischen Auswirkungen: Effekte und Affekte im Zentrum; es sollen Atmosphären und Stimmungen vermittelt werden, also auch die innere Verfasstheit der Figuren: statt Dramaturgie der Personen, Dramaturgie der Szenen -Auflösung der klassischen Operndramaturgie im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jhdts.; Prinzip von Scena ed Aria: nicht mehr ‘Nummern’, sondern größere musikalische Einheiten; Arien gehen musikalisch-melodisch in Handlungsszenen über; zunehmend Anspruch nach Gesamtkunstwerk: Musik und Text sollen zu einem durchkomponierten sinfonischen Ganzen verschmelzen. Sprich: kontinuierliche Fortschreiten der musikalischen und emotionalen Entwicklung im Werk stehen im Zentrum (i.S.d. Musikdramas/’dramma per musica’; vgl. romantische Opern z.B. Giacomo Puccini, Jules Massenet); Ästhetik der frühen Moderne: Nummerndramaturgie als künstlerisch unvollkommene (Unterhaltungs-) Form verrufen (vgl. Operette) -Stichwort Film: i.S.d. Vermittlung von Stimmungen wird das Publikum mit dem Phänomen der Gleichzeitigkeit konfrontiert; wie im Film bei einer Parallelmontage werden also zwei oder drei Handlungsstränge parallel geführt -weitere ‚Filmelemente’: abgewechselt Massenszenen werden von so genannten großen Szenen (Aufmärsche, denen eine Szene mit einem Protagonisten folgt): handlungszentrierte Szene, die wie von der Ferne gezeigt wird (keine Einzelschicksale) versus einzelner Protagonist in intimer Situation (Zoom, Totale). Vor der aufgemachten soziohistorischen Situation wird die Gefühlswelt einer Person erzählt: Dramaturgie des Kontrasts; Handlung versus Stimmung; literarisch gesprochen: direkte Rede/Dialog versus nach außen gekehrter innerer Monolog. Beispiel: -Giuseppe Verdis Oper Don Carlos: Literaturoper (Schillers Drama Don Karlos 1787), französische und italienische Version; Libretto: Joséphe Méry/Camille du Locle (1867) -Handlung: 2. Hälfte des 16. Jhdts; Regentschaft von Philipp II. -Oper = deutlich kürzer; Prinzip der Parola scenica: Sprache wird i.S.v. Schlagwörtern dramatisch verdichtet und auf Zeichnung der Charaktere reduziert; Text selbst soll dramatisch-musikalisches Moment in sich tragen: Szenendramaturgie, große Szene als retardierendes Moment 16 -erste italienischen Fassung: deutlich kürzer ist (4 Akte): Elemente der Grand Opéra wie Balletteinlagen oder spektakuläre Szenen gekürzt -Paradigmatisch ist der Beginn des vierten Aktes: König Philippe im Zentrum: Fest zu Ehren der Inquisition, Konflikt Vater-Sohn; Anschluss: große Szene an, in der Philipp seine große Arie singt: Elle giammai m’amò / Sie hat mich nie geliebt. -isolierter König in Einzelszene, intimer Gefühlszustand versus Härte als Regent und Vater; Stimmung am Hofe wird deutlich, muss seine eigentlichen Gefühle verbergen; Zoom/Totale auf Gefühlswelten, die in Handlungsszenen nicht ersichtlich sind. -Abwechseln von Handlungsmoment und Stimmungsbild mit Ziel der Emotionalisierung, aber auch Spannungssteigerung IV, 1: Das Arbeitszimmer des Königs Philipp, in tiefes Nachdenken versunken, st¸tzt sich auf einen mit Papieren bedeckten Tisch. Die Kerzen sind niedergebrannt, durch die Fenster d‰mmert der beginnende Tag PHILIPP wie im Traum Sie liebt mich nicht! Nein! Ihr Herz ist mir verschlossen, nie hat sie mich geliebt! Ich sehe sie noch, den Blick schweigend auf mein weisses Haar gerichtet, an jenem Tag, als sie aus Frankreich kam. Nein, sie liebt mich nicht! Sie liebt mich nicht! zu sich kommend Wo bin ich? Diese Kerzen sind niedergebrannt Ö Der Morgen erhellt die Fenster, es ist Tag! Ach! Der erquickende Schlaf, der s¸sse Schlaf ist f¸r immer von meinen Lidern geflohen! Ich werde in meinem Kˆnigsmantel schlafen, wenn einst meine letzte Stunde erloschen ist, dann schlafe ich unter den steinernen Gewˆlben der Gruft des Escorial! Wenn die Kˆnigsgewalt uns doch die Macht g‰be, auf dem Grunde der Herzen zu lesen, wo Gott allein alles sehen kann! Wenn der Kˆnig schl‰ft, wird Verrat gesponnen, man raubt ihm seine Krone und seine Frau! Ich werde in meinem Königsmantel schlafen, etc. Ah! Wenn die Königsgewalt uns doch die Macht gäbe, auf dem Grunde der Herzen zu lesen! Sie liebt mich nicht! Nein, ihr Herz ist mir verschlossen, sie liebt mich nicht! Er versinkt wieder in seine Träume SCENA PRIMA Filippo assorto in profonda meditazione, appoggiato ad un tavolo ingombro di carte, ove due doppieri finiscono di consumarsi. L'alba rischiara gi‡ le invetriate delle finestre. FILIPPO (come trasognato): Ella giammai m'amò!... Quel core chiuso Ë a me, Amor per me non ha!... Io la rivedo ancor contemplar trista in volto Il mio crin bianco il dÏ che qui di Francia venne. No, amor non ha per me!... (Come ritornando in se stesso) Ove son?... Quei doppier!... Presso a finir!... L'aurora imbianca il mio veron! Gi‡ spunta il dÏ. Passar veggo i miei giorni lenti! Il sonno, oh Dio! sparÏ dagli occhi miei languenti! DormirÚ sol nel manto mio regal Quando la mia giornata Ë giunta a sera, DormirÚ sol sotto la vòlta nera L‡, nell'avello dell'EscurÔal. Ah! se il serto real a me desse il poter Di leggere nei cor, che Dio puÚ sol veder!... Se dorme il prence, veglia il traditor. Il serto perde il Re, il console l'onor. DormirÚ sol nel manto mio regal, Quando la mia giornata Ë giunta a sera, DormirÚ sol sotto la vÙlta nera L‡, nell'avello dell'EscurÔal. (Ricade nelle sue meditazioni) Theater und Intermedialität -Grand Opéra und filmische Analogie = spezifische Beispiele; keine Verallgemeinerung über Konnex Theater/Medien sinnvoll aus der Perspektive einer Medienwissenschaft, die sich v.a. am Leitfaden der Schrift- und Technikgeschichte orientiert -zeitgenössischer Theaterkontext: theoretische Ansätze der Intermedialität; Begriff als Oberbegriff für Phänomene, die Mediengrenzen überschreiten versus skeptische 17 Herangehensweise: Behauptung stabiler Grenzen der einzelnen Medien und Ausdrucksformen heute fragwürdig (vgl. Medienverbünde), Kritik an beliebigem Umgang mit dem Begriff -Alternative: pragmatische Herangehensweise: wo und wie kommt es zu Interferenzen zwischen Theater und technischen Medien: Verarbeitung von Theater in Medien, Verarbeitung von Medien im Theater, Frage der Rolle des Theaters bzw. der theatralen Künste in einer Medienwelt Beispiel -Verarbeitung von Theater am Beispiel des Carmen-Stoffes (Prosper Mérimée 1845); Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, Oper von Georges Bizet -Verfilmungen der Oper/des Stoffes -grundlegende Frage: inwiefern werden Normen und Konventionen des Theaters bei Umsetzungsprozessen übernommen; Live-Aufnahme oder Filminszenierung? -Carmen von Georges Bizet in der Regie von Francesco Rosi mit Plàcido Domingo und Julia Migenes (1984); Filmaspekt dominant: echte Zigarettenfabrik, Felder, Stierkampfarena; spezifischen Mittel des audiovisuellen Mediums Film kommen zum Einsatz = Medientransformation -traditionelle Form: Franco Zeffirellis Operninszenierung von Carmen der Wiener Staatsoper aus dem Jahr 1978 mit Plácido Domingo und Elena Obraztsova; wird für TV verfilmt und anschließend als Video/DVD verlegt; Aufnahmeleitung hat ein TV-Regisseur über, der auf Aufnahmen von klassischer Musik spezialisiert ist; Verfilmung in der Oper, bloße mediale Aufnahme im Sinne einer Medientransposition -Verfilmung des Carmen-Stoffes durch spanischen Regisseur Carlos Saura, der aus der Oper 1983 einen spanischen Flamenco-Film macht; Plot von Carmen, aber transformiert (Flamencoballett, das auf Opernstoff basiert); doppelte Inszenierung des Eifersuchtsdramas = Medientransfiguration (Kühnel 2001) Filmgeschichte Erste Filmbilder -Brüder Lumière:1895-ca. 1900 ‚Filme’ aus einer Einstellung, ca. 1 min Dauer, fixe Kamera: La sortie des usines Lumière (Doku), L’arrivée d’un train dans la gare de La Ciotat (Doku), Le déjeuner de bébé (privater Doku), L’arroseur arrosé (fiktionaler Film), La partie de cartes (privater Doku), Le congrès des photographes (Doku) 18 -Bewegung kommt durch bewegte Objekte und bewegte Figuren zustande, nicht durch technische Verfahren wie Zoom oder Kamerabewegungen; erste Ansätze zu Gattungen: Unter diesen sieben kleinen Filmen findet man in nuce bereits Gattungen; vielen Streifen nicht von den Brüdern, sondern den Mitarbeitern, den sog. opérateurs Lumière gedreht. Auch viele Einstellungen aus anderen Ländern und Kontinenten. -Gegenpol: fantastische Filme von Georges Méliès = Zauberkünstler und Theaterbesitzer in der Nähe von Paris, war einer der Besucher der ersten öffentlichen Filmvorführung der Brüder Lumière; handkollorierte Filme, die im Studio (!) entstehen und unter einsatz erster Montageformen; Einsatz von Filmtricks (erfindet diese) wie den sog. Stop-Trick: Einzelbilder werden so montiert, dass man Gegenstände auftauchen und verschwinden lassen kann. Filme: Le voyage dans la lune (1902): science-fiction, eine Mondreise, Parodie auf die einschlägigen Romane von Jules Verne. Zeigt, was Film auch kann: neue Wirklichkeiten entstehen lassen; Voyage à travers l'impossible (1904), ebenfalls Trickfilm und Jules Verne-Parodie, Reise zur Sonne. Méliès arbeitet im Studio, nicht im Freien wie die opérateurs Lumière. -bis Ersten Weltkrieg: französische Filmindustrie ebenso wie italienische in Europa führend. Zwei große Produktionsfirmen: Gaumont und Pathé. Um 1910: die sog. film d’art-Bewegung, Verfilmung berühmter literarischer Vorlagen; erste Serials, u.a. Fantomâs (1913-1914, Louis Feuillade), nach dem erfolgreichen Feuilleton-Roman von Pierre Souvestre und Marcel Allain. vgl. Zitat von Feuillade in Irma Wep, Oliver Assayas, F 1996. Technikgeschichte des Films -zwischen 1905 und 1910 Fiktionalisierung (narrativer Film entsteht), Ökonomisierung (Filmindustrie) und Institutionalisierung (Kino) des Films -Periodisierung der Filmgeschichte: a.früher Film: 1895-1905: Lumière und co. b.Stummfilms: 1905 bis Ende der 1920er Jahre 1. Tonfilm gilt der Film The jazz singer (USA 1927, R: Alan Crosland mit dem amerikanischlitauischen Brodwaysänger und -entertainer Al Jolson). IT: La canzone dell’amore, 1930, 94 min (Regie: Gennaro Righelli; Drehbuch: Righelli mit Giorgio Simonelli; Stoff: Luigi Pirandellos Text: In Silenzio); Premiere im Supercinema in Rom, wurde gleichzeitig in IT, DT und E gedreht mit untersch. Besetzung. Mutterschaftsdrama um Lucia, deren Mutter und deren unehelichem Kind F: André Hugon: Les trois masques (1929). Neuverfilmung nach Stummfilmversion von 1921; Basis: Theaterstück von Charles Méré (1908); gedreht in London; Handlungsort: 19 Korsika. generell gilt: arbeitet mit Zwischentitel; verfolgt in seinen frühen Jahren (1910er) Ästhetik des Spektakels / das Kino der Attraktionen (vgl. Oper, Zirkus...); Musikbegleitung c.Farbfilm als Massenmedium in Frankreich und Italien ab den 60er Jahren; Einzelfilme aber weit davor: Gone with the wind (Victor Fleming, 1939 = erster erfolgreicher Farbfilm); La belle meunière (Marcel Pagnol, 1948, mit Tino Rossi). SW-Film in Frankreich und Italien noch lange üblich: billiger + Sehgewohnheiten. auch heute noch SW-Filme i.S. eines Nostalgieeffektes/Zitates: Les Amants réguliers, Philippe Garrel, 2005, – zitiert Nouvelle Vague-Filme und Rolle der Filmstadt Paris; Woody Allen: Shadows and Fog, 1991, u.a. mit Madonna; mit Filmmusik von Kurt Weil: zitiert europäischen Musikfilm/Film Noir, verweist auf sozial engagiertes Kino und Vorformen des frühen Kinos i.S. einer Kultur des Spektakels (Zirkus) Stummfilm Italien -bis zum Ersten Weltkrieg großen kommerziellen Erfolg, Produktionsorte: Turin, Mailand, Rom und Neapel. Institution Kino erreicht auch ländliche Regionen, neues Publikum; Konfrontation mit Moderne (vgl. Giuseppe Tornatore, Nuovo Cinema Paradiso, 1988f). -erster italienischer Spielfilm: La presa di Roma (1905, Filoteo Alberini); filmische Konstruktion der Nationalgeschichte eingeschlagen; antike Stoffe/römische Geschichte als Vorgeschichte Italiens (vgl. Historienmalerei des 19. Jahrhunderts). -Gattung historischer Monumentalfilms (il kolossal storico), z.B. Gli ultimi giorni di Pompei (Luigi Maggi, 1908) oder Quo vadis (Enrico Guazzoni, 1912). Zahlreiche remakes in den 1950er Jahren (Peter Ustinov und co). Typisch = visuelle Elemente des Spektakels, d.h. Massenszenen, effektvolle Inszenierung von Naturkatastrophen und Naturlandschaften und Rekonstruktion von Monumenten (analog zur Grand opéra), komplexe, melodramatische Handlung; divismo: vgl. Oper und Hollywood -Bsp. Cabiria (1914) von Giovanni Pastrone: 1. Kamerafahrt, Mitarbeit am Drehbuch/ Zwischentitel: Gabriele D'Annunzio; Anleihen an Gustave Flauberts Roman Salammbô (1862). 3. Jahrhundert v. Chr. -Figur des Maciste (angeblich alter Kosename für Herkules) wird zu einer populären patriotischen Figur/Mythos. Darsteller = Bartolomeo Pagano wird über IT hinaus zum Stummfilmstar. Insgesamt 27 Maciste-Stummfilme mit ihm; später entstehen weitere 25 Maciste-Filme mit anderen Darstellern (50er Jahre): Geschichten über tyrannische Herrscher, die magische Rituale oder ähnliches praktizieren, und über eine gute Liebhaberinnenfigur, die in deren Macht gerät. Maciste muss sie dann retten. Er ist also eine große, starke Figur, die Gutes tut, aber nicht sehr attraktiv und intelligent erscheint: teils quasi-faschistische Anleihen: 20 „Maciste alpino“ von Luigi Maggi und Luigi Romano Borgnetto (1916); Steve Reeves’ ital Film „Hercules“ (1958). -ab Mitte der 60er Jahre Ablösung der Sandalenfilme durch ein anderes ital. Genre: SpaghettiWestern/Italowestern: Sergio Leone (C’era una volta il West, 1968, IT/USA; Musik: Ennio Moricone); schließlich: Persiflage des Genres durch Terence Hill (Mario Girotti) und Bud Spencer (Carlo Pedersoli), die in den 50er Jahren in Sandalenfilmen mitspielen (1959: Annibale, Regie: Carlo Ludovico Bragaglia & Edgar G. Ulmer; IT) -andere erfolgreiche Gattungen des italienischen Stummfilms sind z.B. Filmkomödien: André Deeds Figur des Cretinetti: erster Filmkomiker, der eine erkennbare und wiederkehrende Figur Komödien spielte und über Europa hinaus Erfolg hatte. Vorfolger von Buster Keaton und Totò: z.B. Il natale di Cretinetti oder Cretinetti re dei ladri (beide 1909). -etwas später: Ansätze eines realistischen Films: z.B. Assunta Spina in der Regie von Gustavo Serena/Francesca Bertini (1915); sind auch die HauptdarstellerInnen der Figuren Assunta Spina und Michele Boccadifuoco. Diva Francesca Bertini steht im Zentrum; Assunta Spina ist eine typische Figur des »veristischen« Dramas (nach Giovanni Verga: realistische Texte mit regionaler Verankerung in Süditalien/Sizilien); Film = Eifersuchtsdrama, spielt in Neapel. -allg.: starkes Zusammenspiel von Literatur bzw. Theater und Film in den ersten Jahrzehnten; kurz nach dieser Welle der Serien-, Diven- und Historienfilme kommen die italienische und franz. Filmindustrie in Krise. Französische Avantgarde -kleine Produktionen in Zeiten der Krise: Avantgarde, v.a. 20er Jahre in Frankreich und UdssR -Suche nach neuer Formsprache, Ausbrechen aus institutionalisiertem und bürgerlichem Kulturbetrieb; Film als Kunst (nicht Kommerz); revolutionäre Bedeutung des Films wurde schon in manifesten gepriesen (z.B. La cinematografia futurista, 1916) Die Avantgardefilmer arbeiten mehrheitlich entweder in der Sowjetunion oder in Frankreich . -UdSSR: Filmtheoretiker und Dokumentarfilmpraktiker Dziga Verotv; Frankreich: Abel Gance, Jean Epstein, Germaine Dulac, die alle in ihren Filmen mit der Kamera und der Montage experimentieren, also v.a. ästhetisch mit der Tradition brechen wollen, aber auch mit den bürgerl. Werten. Bsp: Germaine Dulac, Verfilmung von Antonin Artauds Text „La coquille et le clergyman“ (Die Muschel und der Kleriker) im Jahr 1927; 1931 auch Präsidentin der Filmclubbewegung; auch Filmtheoretikerin. 21 -Umfeld der Avantgarde-Bewegungen – Kubismus, Kreationismus, Surrealismus, d.h. auch der bildenden Kunst – kommen die Vertreter des cinéma pur: der amerikanische Photograph Man Ray, der Maler Fernand Léger; experimentierten mit den Ausdrucksmöglichkeiten von Bild, Bewegung, Rhythmus. Deutlich surrealistisch geprägt sind Luis Buñuels Filme, der aber deutlich narrative Filme mit provokativem Potential dreht – während die meisten anderen eher Kurzfilme oder Filme drehen und oft nicht zu Hauptberuflichen Filmemachern werden : er dreht mit Salvador Dalí 2 Filme : Un chien andalou, 1928 (Stummfilm/Schockmontage) und L'âge d'or (1930, Tonfilm). 1930er Jahre -Aufschwung in 1930er Jahren mit Tonfilm = Medienumbruch; begleitend dazu: heftige Debatten über den Status des Tonfilms: »film cent pour-cent parlant« (direkte Möglichkeiten der Visualisierung und Sonorisierung des Urbanen) vs Ablehnung. Marcel Pagnol als früher Verfechter. Verfilmung seines Theaterstücks Marius (1931, noch nicht in eigener Regie, Stummfilmregisseur Alexander Korda). Manifeste für den Tonfilm (als erstes 1930 ›Le film parlant‹ in der Zeitung Le Journal) und bezeichnet ihn als Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln (»théâtre filmé«). Neben Marcel Pagnol gehört auch Jean Renoir zu den Befürwortern: ›Tonauthentizität‹ des Tonfilms, also die stärkere Verankerung des Plots in einem spezifischen Alltag. Wird neben Julien Duvivier einer der wichtigsten Regisseure der 30er Jahre: Toni (1935), La grande illusion (1937), La Marseillaise (1938), la régle du jeu (1939). ‚linkes Kino‘ des Front populaire. -Gegner des Tonfilms: Stummfilmveteranen wie Lumière, auch zahlreiche Theaterleute wie René Clair: Verlust der künstlerischen Abstraktion im Tonfilm, dreht aber bereits 1931 seinen ersten eigenen Tonfilm, der als Inspirationsquelle für Charlie Chaplins Modern Times (1936) in die Filmgeschichte eingeht: die linke ‚Arbeiterkomödie’ A nous la liberté. -Thematisierung des Medienschocks und der neuen medienspezifischen Art zu drehen und zu spielen im Tonfilm: Sunset Boulevard von Billy Wilder (1950), in dem neben William Holden auch Stummfilmstars mitspielen: Gloria Swanson und Erich von Stroheim. Poetischer Realismus (réalisme poétique) ‚Überläufer’ vom Stumm- zum Tonfilm, die noch vor kurzem gegen das neue Medium polemisiert hatten: René Clair; Umbruch in den 30er Jahren: Avantgarde vs filmischer 22 Realismus (unsichtbare Montage, viel Dialog), sog. Kino der Kontinuität, Filme erzählen möglichst ohne Brüche und Unterbrechungen. René Clair mit A nous la liberté (1931), der die Frage der Freiheit über Emile und Louis sowie den starken Einsatz von Musik und idyllischen Landschaftsbildern inszeniert. Lokale Verortung in spezifischen Milieus, z.B. von urbanem Stadtambiente (Paris); es werden auf poet. Weise spezifische Milieus inszeniert, aber auch auf Stars gesetzt wie zB Jean Gabin. Weitere wichtige Regisseure: Marcel Carné, Jean Renoir, Julien Duvivier, die sehr unterschiedlich einzuschätzen sind. Marcel Carné: Vertreter, Kameratechniker, Filmkritiker u.a. in den USA, dann Assistent von Clair. Später enge Zusammenarbeit mit Jacques Prévert (Drehbücher): Le Quai des brumes 1938 und Le jour se lève 1939. (Prévert/Gabin): triste Realität von kleinen Leuten. Häufige Literaturverfilmungen: Les enfants du Paradis (1943/45). Soziale Verankerung vs Theatermilieu. Deutliche Elemente des 19. Jhd. Schwierige Entstehung unter deutscher Besatzung: Besatzungsmacht Deutschland kontrolliert die Produktion in F, viele Filmemacher emigrieren. Filme, die die Flucht in die Vergangenheit, ins Märchenhafte antreten Julien Duvivier dreht anspruchsvolle Filme, aber auch Serien. Bekannt: der Kolonialfilm Pépé le moko (1937) mit Jean Gabin; spielt in Algier und ist das Pendant zu Casablanca (1942, Michael Curtiz), Krimiplot. Wie bei Clair ist Romantik gebrochen. Aber: Gesellschaftskritik hier nicht dominant, sondern Genrekino und Unterhaltung. Nach dem Krieg: 1951: Le Petit monde de Don Camillo; 1953: Le retour de Don Camillo mit Fernandel und Gino Cervi. Jean Renoir aus heutiger Perspektive der bedeutendste Filmemacher. Sohn von Maler Auguste Renoir. Er hat sehr viele Genres bespielt und auch Stummfilme gedreht, zB Nana (1926) auf Baisis von Emile Zolas Roman von 1880. Wichtige Tonfilme: La grande illusion (1937) = Kriegsdrama mit Stars der Zeit: Jean Gabin, Erich von Stroheim, Pierre Fresnay, 1939: La règle du jeu = gesellschaftskrit. Komödie, gilt als einer der bedeutendsten Filme. La Marseillaise (1938) mit politischen Zielen. Zu Drehzeit: Front populaire (seit 36) unter Léon Blum bereits auf dem Weg des Scheiterns Ende 1938. Gefahr von außen: Nationalsozialismus. Renoir will nat. Bewusstsein in F stärken durch Bezug auf Revolution. Spuren des Neorealismus: Renoir arbeitet mit Luchino Visconti als Regieassistenten 1935: Toni mit Charles Blavette, wichtiger Schausp. von Marcel Pagnol, der den Film auch produziert. Film = Sozialdrama über ital. Gastarbeiter Toni, spielt nördwestlich von marseille (Etang de berre). Nord-Süd und Stadt-Land-Konflikt, auch religiös bedingt. Toni = erster Migrationsfilm, Mischung aus harter Realität und Poetik der Bilder. 23 Visconti arbeitet für Renoir als Regieassistent und Kostümbildner, entscheidender politischer und künstlerischer Einfluss auf das spätere Werk Viscontis. Zweite Regieassistenz: Une partie de campagne (1936; Guy de Maupassant, 1881). Der italienische Tonfilm Einrichtung der Produktionsstätte Cinecittà und einer Filmschule, des Centro sperimentale di cinematografia, in Rom. Wenige direkt politische Propagandafilme, vielmehr ‚unpolitische‘ Unterhaltungsfilme. Propaganda im Vorprogramm, in den cinegiornali. Filmschule: hier lernen Luchino Visconti, Vittorio De Sica und Roberto Rossellini, die als Begründer des Neorealismus gelten. Rossellini: Vater Erbauer des ersten römischen Lichtspielhauses. Ursprünge sind aristokratisch (Visconti di Modrone) bzw gutbürgerlich: Rossellini. Berührungspunkte mit dem Faschismus: Rossellinis sog. faschistische Trilogie: La nave bianca (1942), Un pilota ritorna (1942), Uomo dalla Croce (1943). Sind keine fasch. Filme, aber auch nicht als Widerstandsfilme zu begreifen, z.T. mit Regierungsmitteln finanziert (Verteidigungsministerium). Als erster neorealistischer Film gilt deshalb Luchino Viscontis Ossessione (1942) = Verfilmung des Romans The Postman Always Rings Twice von James M. Cain. 1943: Ende des Faschismus und Befreiung von Rom – Rossellini bereitet schon Roma città aperta vor, der 1945 erscheint. Kurz nach Befreiung von Rom gedreht, mit Menschen, die das, was die Handlung erzählt, eben erst selbst miterlebt hatten; lässt Berufsschauspieler neben Laienschauspielern auftreten, verwendet vorgefundenes filmisches Material für dokumentarische Einschübe. Bildet mit Paisà (46) und Germania anno zero (48) die sog. neorealistische Trilogie. Paisà: Befreiung Italiens in verschiedenen Episoden von Süd nach Nord; Germania anno zero: Edmund-Perspektive auf Berlin in Schutt und Asche. Vittorio De Sica: Ladri di biciclette (1948) nach einem Roman von Luigi Bartolini: Geschichte eines arbeitslosen Vaters im Nachkriegs-Rom. Fahrrad als Zeichen der Existenzbedingung. Neorealismus = literarische und filmische Strömung ab ca. 1940; politische und moralische Reaktion auf den Faschismus. Name: Verist (Naturalist) Giovanni Verga, der die einfachen Leute Siziliens literarisiert hat. Neorealisten wollen der italienischen Bevölkerung eine Stimme geben, v.a. einfachen Schichten (vgl. Themenwahl). Wichtigste Phase: 1945-50: politisch einflussreiche Rolle des PCI, antifaschistische und emanzipatorische Grundeinstellung. Filmpraxis: billige Produktion, einfache Technik, dokumentarische 24 Anleihen, Einsatz von Laiendarstellern, Drehen im Freien/am Originalschauplatz, regionale Verankerung (auch sprachlich). Anspruch, die Realität abzubilden und nachzuempfinden (wurde später kritisiert; Problematik des sozialistischen Realismus). In 50er Jahren startet bereits ein Autorenkino, u.a. von Leuten, die im Neorealismus als Regieassistenten und Drehbuchautoren arbeiten (z.B. Federico Fellini), das aber mit dem neorealismus in manchen Aspekten bricht; Neorealismus bleibt v.a. thematisch über Jahrzehnte präsent: vgl. z.B. Themen bei Visconti wie Nord-Süd-Thematik in Rocco e i suoi fratelli (1960), Il Gattopardo (1963) oder Michelangelo Antonioni: Il desserto rosso (1964). Auch stilistische Referenzen gibt es bis heute im neapolitanischen Kino: Vincenzo Marra: Tornando a casa (2001). Gleichzeitig: Differenz zum neorealismo in Hinblick auf Produktionsweise und Ästhetik (Perfektionsanspruch in technischer und ästhetischer Hinsicht, genaue Drehbücher, höherer finanzieller Aufwand, Einsatz von Stars, internationale Produktionen z.T. in Form von Genrekino, Rückgriff auf Literatur i.S.v. historischen Stoffen). Vgl. stark ästhetisiertes Kino von Visconti. Intermedialität Zitieren von anderen Medien innerhalb einer Kunstform, z.B. ein Film, der z.B. das Medium Photographie oder Buch zitiert. Man unterscheidet Intermedialität von Interartialität (Kunst, zB Malerei). Interartialität liegt vor zB bei Picknickszene im Gattopardo, die wie ein Bild wirkt (zB Déjeuner sur l’herbe, Edouard Manet, 1863). Visconti macht Künstlichkeit des Filmbildes deutlich. Interartialität auch im Sinn von Zitieren von Literatur gegeben: er verweist auf Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, 1958 posthum veröffentlicht. Er transponiert also die Geschichte in das Medium Film und verwandelt sie. Nouvelle Vague Junge Generation von Filmemachern in Frankreich am Ende der 50er Jahre. Distanzierung gegenüber dem traditionellen französischen Kino. Ursprung: Filmkritik und -theorie: Cahiers du Cinéma, die von André Bazin gegründete und (neben Positif) bis heute wichtigste Filmzeitschrift. Rückkehr des Autorenkinos mit NV. Begriff: Ursprgl. Kino, das sich auf Literatur bezieht, dh. Bezug zu einem möglichst renommierten literarischen Autor hatte. Hier aber: Gattungsbezeichnung für Filme, bei denen Regisseur sämtliche künstlerischen Aspekte des Films wesentlich mitbestimmt und in denen er als Autor des Werks angesehen werden 25 kann. Wichtig ist v.a., dass damit künstlerisch wertvolle Filme bezeichnet werden: Konzept der caméra-stylo (Alexandre Astruc 1948). Festival de Cannes von 1959: Referenzmoment der Nouvelle Vague = Premiere von François Truffauts Les Quatre Cent Coups, der diese Momente umsetzt = Skandalfilm, der dann Erfolg hat. Typisch für NV: jugendliche, anti-bürgerliche Außenseiter-Figur, Einsatz von Alltagssprache, Stadtalltag: Paris. Die NV bezieht sich sehr stark auf Alfred Hitchcock und Orson Welles als Autoren: entwickelten eigene Filmsprache, eigenen künstler. Stil. Filme sind von eigener Intention und nicht von kommerz. Interessen der Produzenten geprägt. Nouvelle Vague orientiert sich auch am Neorealismo (Realitätsbezug, Laienschauspieler, Drehen im Freien, authentische Schauplätze und Tonaufnahmen, anti-kommerzielles und unabh. Kino, wenig Budget, technische Reduktion, Improvisation beim Drehen, dokumentar. Aspekte) und an Genres: an den Klassikern der Western- und Noir-Produktion, an denen die Figuren der gesellschaftlichen Außenseiter und zynischen Gangster interessieren. Alain Resnais’ Hiroshima mon amour wird auch 1959 in Cannes gezeigt – bricht Tabus. Resnais gehört im Gegensatz zu Truffaut nicht zum engen Kreis der NV, setzt auf Literaten wie Marguerite Duras (Hiroshima mon amour) und Alain Robbe-Grillet (L’année dernière à Marienbad, 1962) bzw. auf ein poetisch-literarisches Kino. Unterscheidet sich durch sehr lit. Sprache von eigentlichen NV-Filmen, sehr assoziativ und handlungsarm = Gedächtniskino, Aufarbeitung der Verg. Legt auch später viel Wert auf Unabhängigkeit und dreht seit den frühen 1980er Jahren (La vie est un roman, 1983; On connaît la chanson, 1997) mit einem eigenem rel. fixem Team, was in Frankreich eine Rarität ist (ähnlich wie Robert Guédiguian): u.a. Sabine Azéma und Pierre Arditi (seine Frau) = Filme, die viel mit Musik, Liebesverwirrungen und Theatralität arbeiten. 1960: Jean-Luc Godards Erstlingsfilm A bout de souffle = ästhetisch innovativ. Godard ist derjenige, der das Konzept der individuellen Autorschaft am weitesten getrieben hat, hat immer wieder mit neuen Formen und Techniken experimentiert. Hier: Handkameras, abrupte Schwenks, jump-cuts, Dialogaufnahmen, die das Schuss/Gegenschuss-Verfahren unterlaufen, Einsatz der kommentierenden voix-off, anti-chronologisches Erzählen, Einsatz von Plansequenzen (sehr lange Einstellungen, der Dauer nach eine Sequenz, aber ohne Schnitt): Ästhetik der Brüche. Jump-cuts unterbrechen die räumlich-zeitliche Kontinuität, asynchrone Verschiebungen, d.h. die Montage der Bilder stimmt nicht unbedingt mit dem Verlauf des Tons überein. Zuschauer sollen darauf hingewiesen werden, dass der Film etwas Gemachtes ist im Sinne eines kritischen Rezeption des Films (= Unterschied zum Neorealismo). Kurz: dem trad. Studiokino wird eine neue Ästhetik gegenübergestellt: einmal eine Ästhetik des 26 Bruchs, der innovativen Montage, einmal eine Ästhetik, die stark dokumentarischethnographsich ist (Handkameraästhetik). Thematisch: s.o., offene Thematisierung von Liebe und Sex, cooler, halbkrimineller Protagonist, amerik. Popular- und Jugendkultur Filmische Intertextualität Phänomen innerhalb eines einzigen Mediums bzw. Kunstwerks, Bezeichnung für Wechselseitige Referenzbezüge eines Textes (Phänotext oder Referenztext) zu jenen Texten (Genotext oder Prätext), strukturellen Zeichengefügen oder Codes, auf die er verweist. Hier: übertragen auf filmischen Kontext: über inhaltliche oder formale Zitate und Anspielungen wird eine Verbindung zwischen zwei Filmen erzeugt. Diese kann bewusst von einem Filmemacher beabsichtigt werden, muss es aber nicht. Filmische Intertextualität kann auch zufällig entstehen und ist bis zu einem gewissen Grad auch immer subjektiv bzw. das Erkennen der Zitate ist subjektiv bedingt, d.h. von der Zuschauerperspektive und –erfahrung, der Lebenserfahrung und der Filmerfahrung abhängig. Kurz: Intertextualität und damit verbundene Erlebnisstrukturen konstituieren Bezüge, die von spezifischen sozialen Gruppen oder sozialen Milieus erkannt werden oder nicht / für sie gedacht sind oder nicht. Für Analyse von zeitgenössischen Filmen = immer auch Wissen über Filmgeschichte nötig, um Genrekonventionen, Personenkonstellationen, lokale Verankerungen und thematische Bezüge einordnen zu können. Filmische Intermedialität bezieht sich aber auch auf Drehpraxen, d.h. auf die Art und Weise, wie ein Film gedreht wurde: Einsatz des Tons, Kameraperspektive, Zitat bestimmter Filmmusik oder Kamerafahrten... Beispiel 1: A bout de souffle: Protagonist Poiccard alias Jean-Paul Belmondo hält eine Zeitung, eine Ausgabe von ›Paris-Match‹ in den Händen und wird mit Zigarette im Mund, ins Gesicht gezogenem Hut und Mantel in Humphrey Bogart-Pose gezeigt. Humphrey Bogart hat im amerikanischen Propagandafilm Passage to Marseille (Michael Curtiz, 1944) mitgewirkt, dessen Titel Godards filmische Verarbeitung der Stadt umschreibt. Weiterer Handlungsfaden: Anspielung an amerik. B-Movie/Noir, aber auch an Marseille-Filme (Pagnol) Kontrast: Fahrt nach Paris: Notre-Dame-de-Paris, Boulevard Saint-Michel sowie Citroën 2 CV, in der Poiccard ankommt = das symbolische Kapital Frankreichs. Im Zentrum der Stadt der Liebe wird schließlich bei der Begegnung mit einer ersten Liebschaft das Filmmilieu Thema, Poiccard prahlt mit angeblicher Filmerfahrung in der römischen Cinecittà und zeigt sich im Laufe des Films als Bewunderer von Bogart: klassische Topoi der Städte sowie Italophilie und Cinephilie. 27 Beispiel 2: Marco Bellocchio: Il regista di matrimoni (2006), der Viscontis Gattopardo-Plot in Sizilien aufgreift, aber auch seinen melodramatischen Filmstil (Musik) und die Ästhetik des Fürsten in Anlehnung an Alain Delon Großteil der Vertreter der NV machen ab Beginn der 60er Jahre im ‚trad.’ bis kommerziellen Autorenkino weiter vgl. Neorealismus: Claude Chabrol steht für psy. Krimis über die Bourgeoisie, Jacques Rivette und Eric Rohmer drehen ebenfalls bis heute Kinofilme, sind aber auch nicht mehr Vertreter eines experimentellen Kinos: z.B. typische Paris-Filme und Sommer-Komödien mit theatralen Anleihen. 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