Die politische Dimension des Glaubens Christliche Werte in der Politik von heute von Eric Nussbaumer, Nationalrat Der Ruf nach Orientierung, nach ethischer Orientierung ist unüberhörbar: Die EU ringt mit ihrer Verfassung eigentlich um die Etablierung einer europäischen Wertegemeinschaft. Der französische Präsident Sarkozy nutzt den Papstbesuch dazu, über die Not der Gesellschaft zu reden, wenn anscheinend die christlichen Werte in Vergessenheit geraten. Und Bundesrat Couchepin anwortete auf die Frage, ob das Christentum in der säkularisierten Schweiz eine Zukunft habe folgendes: „Natürlich! Gott existiert unabhängig von einem Bundesstaat oder der Entwicklung einer Zivilisation. Wenn es einen Gott gibt, wird er trotz Säkularisierung der Gesellschaft überleben. Und ich glaube, dass es einen Gott gibt.“ Anrede, Ob unser Bundespräsident Couchepin das sagt oder nicht, ist in der Schweizer Politiklandschaft unwichtig. Aber es zeigt auch , dass christlicher Glaube und darauf abgestützte Grundwerte in der Gesellschaft nicht ausser Rang und Traktanden gefallen sind. Aber: Es genügt in unserem Land politisch ehrlich zu sein und nichts zu vergessen. Dann gehört man schon zu den fundierteren und auch besseren Politikern. Der Glaube des Einzelnen und das Wertefundament interessiert in der säkularisierten Schweiz fast niemanden mehr. In den USA ist es umgekehrt. Dort, sagt man, sei es unmöglich, dass ein Atheist Amerika regieren könne. Der christliche Glaube und darauf aufgebaute moralische Normen (ganz egal wie abstrus dabei die Verbindung zur biblischen Botschaft auch sein mag) spielen in der amerikanischen Politik eine entscheidende Rolle. Wie kann man als Republikaner die konservativen Evangelikalen ansprechen und wie gesellschaftlich offen und liberal darf sich ein Demokrat geben, wenn er nicht in der sogenannt christlichen Wählergunst zurückfallen will? Glaube und Politik werden je nach Land anders miteinander in Verbindung gebracht. Um diese Verbindung besser zu erfassen, gehört an den Anfang eine kurze Klärung zu den Begriffen Politik und Glaube I Was ist Politik? Seit ich mich in einem politischen Amt engagiere, merke ich, wie es zwei Welten der Politik gibt. 1 a) Für viele Zuschauende ist Politik nur das, was in den Institutionen des Staates abläuft. Politik ist das politisch-administrative System unseres Staates, die Parteien, die Regierung und das Parlament. Politik ist in diesem Verständnis etwas Fremdes. „Ich kenne keinen einzigen Menschen auf diesen Wahllisten – Politik ist mir fremd“ heisst es dann kurz vor dem Wahltermin. Politik als Arena – so wie es von den Medien zelebriert wird. b) Ich mag eher das zweite Verständnis und will mich in diesem Referat daran orientieren. Dank diesem zweiten Politikverständnis bin ich schlussendlich auch in der speziellen Welt der politischen Mandate gelandet. Politik ist für mich alles, was zur Willensbildung und zur Entscheidungsfindung in unserer Gesellschaft beiträgt. Das kann eine Demonstration, ein lauter Streik oder ein stiller Schweigemarsch sein. Es kann auch ein Positionspapier, eine Petition an die Behörden sein oder ihr nächster Leserbrief. Zu Politik gehört zum Beispiel auch die Durchführung einer Woche der MigrantInnen und Politik ist für mich auch das beispielhafte Umsetzen einer gesellschaftlichen Aufgabe, bevor die Institutionen des Staates zu handeln beginnen. Ich könnte noch Vieles Aufzählen. Wichtig ist mir: Zur Politik gehört der ganze gesellschaftliche Prozess, alles was dazu beiträgt, Veränderungsschritte in der Gesellschaft zu bewirken. Politik ist weit mehr, als das Handeln und Reden von Nationalräten in Bundesbern. II Was ist Glaube? Diese Frage ist nicht ganz einfach. Zum einen möchte man gerne genauer wissen, von welchem Glauben hier eigentlich die Rede sein soll. Es gibt bekanntlich viele Formen des religiösen Glaubens. Es gibt Glaubensweisen, die starke Impulse und Motive für das politische Handeln enthalten, und es gibt andere Glaubensweisen, die überhaupt nichts für das politische Handeln hergeben, weil sie an gesellschaftlichen Fragen nicht interessiert sind. Beide Glaubensweisen kommen bekanntlich auch im Christentum vor. Ich kann Ihnen daher nicht sagen, was Glaube in einer für alle gültigen Dimension ist, aber ich kann ihnen sagen, wie ich meinen Glauben verstehe. Ich kann das nicht besser ausdrücken, als es John Wesley, der Gründer der methodistischen Bewegung einmal ausdrückte: „Unter Glauben verstehe ich die Liebe zu Gott und den Menschen, die das Herz erfüllt und das Leben bestimmt." In diesem einfachen Satz erkennen Sie, mein Glaube ist eine innerliche Glaubensentscheidung, 2 die sich dann auch konkret im Leben auswirkt – zumindest ist es mein fester Wille, das dies gelingt. Was ist das Christliche an Ihrer Politik?“ wurde ich letzthin auf einem Podium gefragt. Ich musste kurz überlegen und es tönte dann vielleicht etwas frech: Das Christliche an meiner Politik bin ich. Meine Person, meine ganze Person. Mein Glaube an Gott ist dabei Basis für mein ganzes Leben, für das Politikerleben genauso, wie auch für das Vatersein oder meine berufliche Tätigkeit als Geschäftsleiter. Den Titel dieses Referates habe ich selbst gewählt weil ich im christlichen Milieu immer wieder mit der Frage konfrontiert werde, ob sich Politik und christlicher Glaube überhaupt verbinden lasse –und dann noch in der Sozialdemokratie. Anscheinend ist das ein Gegensatz, den viele Menschen nicht mehr einordnen können und sie merken es: Es muss mit ihrem Glaubensverständnis oder mit ihrem Politikverständnis zusammen hängen. Ich will es einordnen und daher fünf Punkte nennen, warum der christliche Glaube und die damit zusammenhängenden Grundwerte für mich eine politische Dimension beinhalten. Es sind Punkte, die als ethische Perspektiven von Jesus jeden glaubenden Menschen begleiten können. Es ist ein Streifzug ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Als Grundlage meiner Ueberlegungen diente mir auch das sehr hilfreiche Buch von Frank Mathwig und Christoph Stückelberger mit dem Titel „Grundwerte“. III Die ethischen Perspektiven Jesu (Grundwerte) Machtfrage Die Machtfrage begleitet mich täglich, denn Politik ist schlussendlich auch die Frage um die Macht, um die gesellschaftliche Vorherrschaft. In den alten Begriffen des Königreichs und den damit zusammenhängenden Kriegen um Landansprüche kommt dies zum Ausdruck. Es heisst nicht um sonst Frank-reich, Öster-reich, das Reich Napoleons. Und sie kennen alle den Begriff „Reich Gottes“, welches durch Christus in diese Welt gekommen ist. „Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Jünger würden kämpfen“ sagt Jesus im Johannes-Evangelium. Im Gottes Reich wird die Machtfrage komplett umgekehrt. Es ist alles verkehrt, anders als alle erwarten. Es gibt ein Buch mit dem schönen Titel: „The upside-down kingdom“. „Ohne die Vision des Reich Gottes ist theologische Ethik nichts“ hat Erich Jantsch formuliert. Ich möchte anfügen: Ohne die Vision des Reich Gottes, findet man keinen menschlichen Zugang zur 3 Frage der Macht. Das Reich Gottes mag vielleicht als irreal, irrelevant oder unmöglich abgeschrieben werden, es ist dennoch das Modell der anderen Möglichkeit menschlicher, sozialer und daher auch politischer Beziehungen (J. H. Yoder). Die Vision des Reich Gottes ist darum auch eine politische Vision. Freiheit „Der Sinn der Politik ist Freiheit“ hat Annah Arendt einmal gesagt. Und sie hat sich damit nicht sehr weit von der Frage nach der „Freiheit eines Christenmenschen“ positioniert. Christliche Freiheit ist Freiheit von dem, was ein erfüllendes, sinnvolles Leben verhindert; frei zu werden von Leben behindernden Kräften und von entsprechenden ungerechten gesellschaftlichen Strukturen, frei von Angst, frei von Gier und Sucht, frei vom Kreisen um sich selbst, wo dies die Offenheit für die anderen behindert, und frei von Gottentfremdung.(Stückelberger, 2007). „Frei von…“ heisst daher politisch dafür zu sorgen, dass Personen und Strukturen der Unterdrückung überwunden werden können. Christliche Freiheit ist für mich damit untrennbar mit der Verantwortung für die Gemeinschaft, für die Gesellschaft und für meine Mitmenschen verbunden. Christus hat gezeigt, wie Menschen zu einem Leben in Fülle befreit werden können. Das bewegt mich auch in den aktuellem Fragen der Gewissens- und Religionsfreiheit. Dort wo anders Glaubende autoritär eingeschränkt werden sollen, z.B. in ihrem Bau von Minaretten, widerspricht dies in meinem Verständnis christlicher Freiheit. In der Fussballsprache würde man das Ansinnen dieser Volksinitiative ein Eigengoal nennen. Christliche Freiheit ist eben nicht nur Freiheit von dem was Leben hindert, verhindert, stört und zerstört. Ebenso wichtig ist auch die Freiheit zu. Christliche Freiheit macht auch frei zur freien Meinungsäusserung, zur Gewissens- und Religionsfreiheit. Der christliche Glaube macht zugleich frei zur Anerkennung von Rechtsordnungen, die nicht nur die eigene, sondern auch die Freiheit der anderen gewährleisten sollen. Gerechtigkeit In der politischen Debatte wird die Freiheit grundsätzlich sehr hoch gewichtet. Allzu oft wird aber dabei nur die Verkürzung auf Freihandel bzw. die Freiheit des Marktes und damit den Abbau von jeglichen Schranken für mehr Wirtschaftsfreiheit verstanden. Wenn es zum Konflikt kommt zwischen Fragen der Freiheit und Gerechtigkeit, muss dann die Gerechtigkeit meist hinten anstehen. Ich glaube nämlich den Theoretikern nicht, die meinen, umfassende Gerechtigkeit entstehe allein durch eine funktionierende Wirtschaft. In einem christlichen 4 Verständnis misst sich die Frage der Gerechtigkeit, bzw. was gerecht ist immer auch an der absoluten Gerechtigkeit Gottes. Gerechtigkeit im menschlichen Handeln ist unter dem Blickwinkel der göttlichen Gerechtigkeit immer relativ. Zwingli schrieb einmal: Menschliche Gerechtigkeit ist gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit armselig und schwach, sie sei nicht einmal würdig Gerechtigkeit genannt zu werden. Und darum genügt auch der Umfang dieses Referates nicht, der Gerechtigkeitsfrage in der genügenden Tiefe nachzugehen. Es wären Fragen der Leistungsgerechtigkeit, der Bedarfsgerechtigkeit, der Verteilungsgerechtigkeit, der ökologischen Gerechtigkeit und auch die Frage der strafenden Gerechtigkeit zu vertiefen. Ich kann Ihnen nur meine einfache Antwort geben, wie ich als Politiker versuche jeweils eine Position zu finden, in den vielfältigen Fragen der Gerechtigkeit. Von der Befreiungstheologie habe ich gelernt, dass die Solidarität Gottes mit den Aermsten ein entsprechendes Handeln zwischen den Menschen und eben auch zu Gunsten der Aermsten verlangt. Darin leuchtet die göttliche und die menschliche Gerechtigkeit auf. Die „Option für die Armen“ weist mir als Politiker meistens den gerechten Weg. Die konkrete Frage bleibt natürlich immer noch genug kompliziert. Dabei hilft es, eine andere Dimension der christlichen Ethik zu berücksichtigen, nämlich die Verantwortung. Verantwortung Die Verantwortung von mir, etwas zu tun oder etwas zu lassen. „Es liegt in der Verantwortung des einzelnen Bürgers“ ist der viel zitierte Satz, wenn wir eine neue Gesetzesregelung einführen wollen oder nicht. Und dabei merke ich immer wieder, wie die christlichen Grundwerte der Freiheit, der Gerechtigkeit oder der Verantwortung einander ergänzen oder bedingen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit dem inflationären Einsatz der „Eigenverantwortung“ gerade die ganze Gesellschaft auf den Kopf stellen und keine anderen Eckwerte mehr klären.Kann man denn Verantwortung übernehmen, wenn keine gerechte Bedingungen geschaffen wurden? Die mehr oder weniger neoliberalen Varianten der Eigenverantwortung setzt all zu oft die Eigenverantwortung an die Stelle von Gerechtigkeitseckwerte. Damit aber wird die Verantwortung zu einem exklusiven Wert, der jenen vorbehalten bleibt, die bereits über entsprechende politische, ökonomische und soziale Macht verfügen. Andere Menschen werden dann ausgegrenzt. Versöhnung Erlauben Sie mir im letzten Punkt, der Frage nach Frieden und Versöhnung nachzugehen. Versöhnung bedeutet umgangssprachlich 5 zumeist Frieden schliessen nach einem Streit. Frieden und Versöhnung ist in der hohen Politik anspruchsvoll, denken Sie nur an die Aufarbeitungszeit nach Kriegen, innerstaatlichen Konflikten und Menschenrechtsverletzungen. Wir wissen, die Versöhnung zwischen Gott und dem Mensch ist im Zentrum des christlichen Glaubens und schon in den ersten Gemeinden wird dies im konkreten Handeln auch als Versöhnung zwischen den Menschen umgesetzt. (Apg. 15.1-34). Die Politik, die politischen Institutionen, der einzelne Politiker gelangt immer wieder in scheinbar ausweglose Lagen, in denen die normalen Lösungsinstrumente nicht mehr greifen. In diesen Situationen ist es gut zu wissen und zu glauben, dass Vergeben, Versöhnen und Frieden stiften auch Teil des politischen Handelns sein kann und nicht der „gnadenlose“ Kampf das Mass aller Dinge bleiben muss. IV Müssen Christen politisch sein? Christ und Politik – wie passt das zusammen?. Und: Können christliche Werte in der Politik von heute eine Rolle spielen? Ich habe eine kurze Antwort. Ja, es passt zusammen, ja sie spielen eine Rolle. Der kleine Durchgang durch christliche Perspektiven des ethischen Handelns bzw. der Streifzug durch einzelne Grundwerte zeigen, dass wir zu zentralen Werten unserer Gesellschaft etwas zu sagen haben und daher immer auch politisch sind. Der vielfältige Ruf nach Ethik in der Gesellschaft zeigt den grossen Bedarf an normativer Orientierung und Wertevermittlung. Mein Glaube wird immer eine politische Dimension haben. Und: Die befreiende und erlösende Kraft, des Glaubens bewahrt mich davor, unvorsichtig in Machtgeplänkel abzurutschen, sondern sie befähigt mich, die wechselseitigen Beziehungen der christlichen Grundwerte immer wieder neu zu entdecken und zu bedenken. Vielleicht ist die wirkliche politische Dimension des Glaubens die innere Freiheit und Unabhängigkeit, die mir als Glaubender für mein ganzes Leben geschenkt wird. 23. September 2008 6