„Wie sieht der/die europäische Bürger/in in der Zukunft aus?“ Als ich das Thema dieses Wettbewerbes las und darüber nachdachte, wurde mir erst so richtig bewusst, dass der Begriff "Europäer" oder "europäischer Bürger" gar nicht eindeutig zu definieren ist. Wann ist man Europäer? Ist man es als Staatsbürger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union (EU) oder meinen wir den Bürger eines Staates, der auf dem Kontinent Europa liegt? Muss ein Bürger, um Europäer genannt zu werden, bereits dort geboren worden sein, oder genügt es, dort zu leben? Ich würde die Antworten auf diese Fragen am liebsten im weitest möglichen Sinn geben, weil ich an die Aussage „Ich bin Europäer/in!“ etwas Positives knüpfe, was ich möglichst vielen Menschen ermöglichen möchte. Derzeit gibt es auf unserem Kontinent sehr viele Staaten, die in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht noch ihre eigenen Wege gehen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind bereits durch Verträge zum gemeinsamen Vorgehen verpflichtet. Ich denke, dass die Bürger eines Mitgliedsstaates der EU zum engeren Kreis derer gehören, die sich bereits heute als europäische Bürger fühlen können. Die Bürger/innen der EU-Mitgliedsstaaten haben sogar das unmittelbare Wahlrecht für die Abgeordneten zum Europäischen Parlament, zusätzlich zu den Rechten, ihre nationalen Parlamente zu wählen. Jedes solcher Rechte, das man den einzelnen Bürgern auf europäischer Ebene gibt, stärkt meiner Meinung nach das Bewusstsein, sich als Mitglied dieser Gemeinschaft zu fühlen. Das setzt natürlich auch voraus, dass viel mehr Menschen dieses Wahlrecht ausüben als dies bei den letzten Wahlen zum Europaparlament im Juni 2009 der Fall war. Die Bürger/innen Europas werden mit der Zeit sicher ein größeres Gemeinschaftsgefühl für Europa entwickeln, allerdings braucht es dazu noch viel mehr an Information und Ausbildung, die möglichst früh einsetzen sollte. Man sollte im Unterricht und auch sonst in den Medien die Informationen verstärken, welche Aufgaben die verschiedenen Einrichtungen wie z.B. das Europäische Parlament, der Europäische Gerichtshof und der Europarat haben und diese verschiedenen Einrichtungen auch klar gegeneinander abgrenzen. Nur wenn das alle Bürger wissen, können sie sich auch interessieren, Rechte zur Beschickung dieser Institutionen auszuüben und diese Institutionen auch zu nutzen. Der europäische Bürger soll in Zukunft ein viel besser informierter Bürger sein, der sich bewusst ist, dass er mit seiner Stimme etwas bewirken kann. Damit das noch mehr der Fall ist, werden die Nationalstaaten wohl noch einige ihrer Zuständigkeiten an europäische Stellen abgeben müssen. Mein Ideal ist aber keineswegs die Auflösung der nationalen Parlamente. Ich denke vielmehr, dass nur die wichtigsten Materien, wo eine Vereinheitlichung und ein gemeinsames Vorgehen wirklich Sinn macht, Sache der EU sein sollten. Sonst bin ich eher der Meinung, dass die europäischen Bürger sich primär in ihrer Region politisch betätigen sollten, also in ihrer unmittelbaren für sie überschaubaren Umgebung, die also eine kleinere Einheit sein könnte als es die heutigen Nationalstaaten sind. Ich denke dabei an solche Einheiten wie es z.B. die österreichischen Bundesländer sind. Im Gegensatz zu den USA, wo sich jeder Bürger als ,,Amerikaner“ fühlt und erst auf weitere Frage den Bundesstaat nennt, aus dem er kommt, nennt jemand aus einem europäischen Land sicherlich zuerst dieses Land als sein Heimatland. Dass dieses Land in Europa liegt, muss der Gesprächspartner meist selbst wissen. Dabei habe ich im Kontakt mit einer Gastschülerin aus den USA die Erfahrung gemacht, dass Europäer von Nichteuropäern viel eher als solche und nicht als Franzosen, Österreicher oder Bulgaren usw. gesehen werden. Sie fuhr in ihr ,,dreamland Europe“ und war dabei eben in Rom, Wien und Paris! Es liegt also in erster Linie daran, wie wir uns selbst sehen. Der europäische Bürger ist heute also in erster Linie ein Bürger Deutschlands, Frankreichs, Österreichs usw. Das ist in einer Hinsicht auch gut so, sodass es meiner Ansicht nach auch in Zukunft so bleiben soll, nämlich was die kulturellen Unterschiede betrifft. Gerade die kulturelle Vielfalt auf dem Boden Europas ist reizvoll für die ganze Welt und muss erhalten bleiben! Es ist nicht erstrebenswert, wenn es bald in jedem Land dieselben Geschäfte gibt und man dieselben Speisen zu essen bekommt! Allerdings befinden wir uns bereits auf dem Weg zu einer Globalisierung auch in diesem Sinne. Hier meine ich, dass eine gewisse Rückbesinnung auf regionale Eigenheiten notwendig wäre, dies auch im Sinne der Vermeidung übertrieben langer Transportwege für Waren im Sinne geringerer Umweltbelastung. So freue ich mich über griechisches Yoghurt, wenn ich meine Ferien in Griechenland verbringe, muss es aber nicht täglich in Wien zum Frühstück essen! Ich hoffe, dass die Europäer der Zukunft in diesem Punkt meiner Meinung sein werden! So positiv ich die Erhaltung der kulturellen Vielfalt sehe, so wenig sollten soziale und wirtschaftliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten Europas bestehen bleiben. Ich denke, dass es den Bürgern eines Staates nur dann gut geht, wenn es auch in den benachbarten Ländern keine größeren wirtschaftlichen und sozialen Probleme gibt, weil dann die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen gleichrangigen Partnern erfolgen können. Die reicheren Länder Europas sollten also in diesem Sinn den ärmeren Ländern Hilfe zukommen lassen. Das scheint mir die wichtigste Voraussetzung zu sein, dass wir gleichrangige europäische Bürger werden können. Ein besonders wichtiger Schritt in diese Richtung scheint mir die Einführung des Euro als gemeinsame Währung zu sein, der nicht nur das Wirtschaften und das Reisen erleichtert, sondern auch zur europäischen Identität beiträgt. Was für alle Menschen auf der Welt gelten sollte und damit natürlich auch für europäische Bürger, ist, dass Ihnen alle Rechte zustehen, die in der Erklärung der Menschenrechte formuliert wurden. Diese Rechte sollen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern für alle auch wirksam durchgesetzt werden können. Der europäische Bürger der Zukunft sollte also sicher sein können, dass er nicht aus rassischen oder religiösen Gründen oder wegen seines Geschlechtes oder seiner sexuellen Neigung diskriminiert wird. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass die europäischen Bürger sich bewusst sind, dass auch sie in erster Linie Menschen sind, bevor sie Bürger irgendeines Staates oder Staatenbundes sind, die auch allen anderen dieselben Rechte zugestehen, die sie selbst genießen. Wie werden sie also aussehen die europäischen Bürgerinnen und Bürger der Zukunft? Sie werden weiterhin Esten, Bulgaren, Iren, Slowaken, Österreicher usw. sein, aber sie werden sich über die Gemeinsamkeit freuen, Europäer zu sein, sie werden die Grenzen der Staaten nur auf den Landkarten als Trennlinie kennen, während in der Realität die Grenzregionen einen fließenden Übergang bilden werden. Die Europäerinnen und Europäer der Zukunft werden Entscheidungen, die von europäischen Institutionen kommen, nicht mehr als fremde Einmischung in ihre Angelegenheiten werten. Sie werden Europa bejahen, weil sie z.B. bei Katastrophen Hilfe aus ganz Europa erwarten können. Sie werden als Europäer, die alle einen gesicherten Lebensstandard haben, keine Neidgefühle gegen andere Länder haben und als wohlhabende Völker den armen Menschen in anderen Erdteilen helfen. So also werden sie aussehen die Europäer/innen der Zukunft. Zumindest hoffe ich es! Barbara Willvonseder