Prof. Dr. Hans-Werner Hahn Vorlesung WS 2011/12 Mi 8-10

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Prof. Dr. Hans-Werner Hahn
Vorlesung WS 2011/12 Mi 8-10
REVOLUTIONEN UND REFORMEN: EUROPA 1780/89-1815
9. Vorlesung: Deutschland und die Französische Revolution
Literatur:
K. O. Frhr. v. ARETIN/ K. HÄRTER (Hg.), Revolution und konservatives Beharren. Das Alte Reich
und die Französische Revolution, Mainz 1990.
H. BERDING (Hg.), Soziale Unruhen in Deutschland während der Französischen Revolution,
Göttingen 1988.
H. BERDING/ E. FRANÇOIS/ H.-P. ULLMANN (Hg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der
Französischen Revolution, Frankfurt a. M. 1989.
H. MÖLLER, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt a.
M. 1986.
G. SCHMIDT, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009.
I. Die Französische Revolution als Zäsur in der deutschen Geschichte
Auch für die deutsche Geschichte bildet die Französische Revolution eine entscheidende Zäsur.
Die großen Auswirkungen begannen aber etwas zeitversetzt, d. h. nicht unmittelbar nach 1789,
sondern eigentlich erst in der napoleonischen Zeit. Dennoch blieb auch schon das Jahr 1789
keineswegs folgenlos für Deutschland. Es gab vielfältige Auswirkungen, die allerdings aufgrund
ganz anderer Ausgangsbedingungen nicht in eine deutsche Revolution mündeten.
II. Die Ausgangslage in Deutschland
Die deutsche Ausgangslage wurde bestimmt durch das Alte Reich, dessen Strukturen sich vom
zentralistischen Einheitsstaat Frankreich deutlich unterschieden. Eine fehlende starke
Zentralgewalt und föderative wie konfessionelle Vielfalt bestimmten die Struktur des Reiches,
das allerdings weit mehr inneren Zusammenhalt aufwies und bis zuletzt weit besser funktionierte,
als dies vor allem die preußisch-kleindeutsche Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts
behauptet hat. Der „Reichs-Staat“ mit seiner „komplementären Staatlichkeit“ – dem
Zusammenwirken von Kaiser, immerwährendem Reichstag in Regensburg, den Reichsgerichten
(Reichskammergericht in Wetzlar, Reichshofrat in Wien), Reichskreisen und Reichsständen –
war ein wichtiger Faktor des europäischen Gleichgewichts, konnte in Konflikte zwischen den
einzelnen Reichsständen eingreifen, gewährte den Untertanen Schutz und Recht gegen die
Willkür einzelner Landesherren und sicherte wesentliche Elemente bürgerlicher Freiheit
(Unversehrtheit des Eigentums). Auch von vielen Zeitgenossen wurde das Reich um 1789 noch
keineswegs als schon abgestorbene Institution, sondern als Ausgangspunkt einer Erneuerung
betrachtet. Am Ende aber sollte sich zeigen, dass das jahrhundertealte Reich nicht zuletzt wegen
der egoistischen Politik der beiden größten Mächte, Preußen und Österreich, den neuen
Herausforderungen militärisch und politisch nicht mehr gewachsen war.
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III. Reformmaßnahmen des Aufgeklärten Absolutismus
Der in vielen Teilen des Reiches wirksam werdende Aufgeklärte Absolutismus
(Reformabsolutismus) mit seinem säkularisierten Herrscherverständnis schuf durch
Verwaltungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen in vielen Territorien günstige
Voraussetzungen für einen sozialökonomischen Wandel, der auch in Deutschland bereits vor
1789 eingesetzt hatte. Das Gefüge der ständischen Gesellschaft wurde lockerer. Mit dem Aufstieg
des Bildungsbürgertums etablierte sich eine neue wichtige gesellschaftliche Kraft außerhalb der
traditionellen Stände. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht führte die Reformpolitik zu ersten
Erfolgen. Trotz umfangreicher Reformmaßnahmen, wie sie Friedrich II. in Preußen (1740-1786),
Joseph II. in Österreich (1764-1790) und andere Monarchen durchführten, blieb aber ein großer
Durchbruch aus. Zum einen gab es Widerstand konservativer Kräfte. Zum anderen bremsten die
inneren Widersprüche des Systems die Dynamik in den aufgeklärt absolutistisch regierten
Territorien. Absolutistische Herrschaft und aufklärerische Ziele waren auf Dauer schwer zu
vereinbaren, weil die aufstrebenden gesellschaftlichen Kräfte mehr wirtschaftliche und dann auch
politische Freiräume verlangten.
IV. Die deutsche Aufklärungsbewegung
Seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts gewann die deutsche Aufklärungsbewegung an
Bedeutung. Sie wies zunächst einen geringeren Politisierungsgrad auf als die französische.
Stattdessen hatten religiöse Fragen ein hohes Gewicht (Fragmentenstreit zwischen G. E. Lessing
und J. M. Goeze). Schwerpunkte der deutschen Aufklärung waren die norddeutschprotestantischen Territorien. Aber auch in den katholischen Teilen des Reiches, nicht zuletzt in
den geistlichen Staaten selbst (Karl Theodor von Dalberg in Erfurt), setzte sich die Aufklärung
zunehmend durch. Zugleich begann mit Moses Mendelssohn die jüdische Aufklärung.
Trotz des Übergewichts philosophischer (Kant und seine Rezeption) und religiöser Themen trug
der aufklärerische Diskurs mit dazu bei, dass sich vor allem bei den Gebildeten ein neues
politisches Bewußtsein auszuformen begann. Hier kam dem sich ausbreitenden literarischen
Markt eine große Bedeutung zu. Wie in Frankreich wuchs die Produktion von Büchern,
Zeitschriften und Zeitungen stark an (bedeutendste Publizisten: C. F. Nicolai, A. L. Schlözer; C.
F. D. Schubart; C. M. Wieland). Wichtige Verbreitungseffekte gingen ferner von den neu
entstehenden aufgeklärten Assoziationen aus. Vereine waren Ausdruck und wichtigste
Organisationsform einer neuen, ständeübergreifenden bürgerlichen Gesellschaft. Neben den
Freimaurerlogen und dem Geheimbund der Illuminaten (von Adam Weishaupt gegründet, 1785 in
Bayern verboten) gewannen auch öffentlich wirksame Vereine wie patriotisch-gemeinnützige
Assoziationen, Lesegesellschaften und neue bürgerliche Geselligkeitsvereine an Bedeutung. Die
Vereine waren wichtige Vermittlungsinstanzen einer neuen bürgerlichen Kultur. Über Vereine,
die von ihnen teilweise initiierten Reformen im Bildungs- und Armenwesen und über die
Publizistik wurden zudem neue Ansätze einer breiteren Volksaufklärung entwickelt, die zwar bei
den Betroffenen vielfach noch auf Widerstand stießen, aber nicht mehr völlig wirkungslos
blieben.
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V. Deutsche Reaktionen auf die Französische Revolution
Politik, Gesellschaft und Wirtschaft waren in Deutschland schon vor 1789 in eine Phase
rascheren Wandels eingetreten. Allerdings war der Reformeifer in wichtigen Staaten – Tod
Friedrichs II. in Preußen, Widerstände gegen die Reformen Josephs II. in Österreich – Ende der
achtziger Jahre etwas erlahmt. Auch angesichts dieses Stillstandes stießen die 1789 in Frankreich
einsetzenden Vorgänge bei den deutschen Gebildeten anfangs auf großes Verständnis und offene
Zustimmung. Man wertete die Französische Revolution zunächst als Beweis für den Siegeszug
der aufklärerischen Ideen und damit als Bestätigung der eigenen Ideale. Für die sozialen
Antriebskräfte der Revolution fehlte dem Großteil der Gebildeten das nötige Verständnis. Bei
aller Begeisterung für die Franzosen forderten nur wenige Vertreter der deutschen Bildungselite
die direkte Nachahmung des französischen Beispiels. In Deutschland schien dies nicht nötig, weil
es hier keine despotische Herrschaft gab, die Untertanen Schutz durch Gerichte erhielten und
viele Monarchen längst mit den notwendig erscheinenden Reformen begonnen hatten. Die
anfängliche Begeisterung über die französischen Entwicklungen endete bei den meisten
deutschen Gebildeten abrupt im Jahre 1792. Friedrich Schiller und andere nahmen das
„Abgleiten“ der Revolution in den Terror zum Anlass, um sich vom französischen Vorbild klar
zu distanzieren. Die Regierenden, die der Ausbruch der Revolution in Frankreich verunsichert
hatte und die zum Teil gleich 1789 mit Repression reagiert hatten, verschärften vor allem seit
1792 und dem Beginn der Revolutionskriege die Kontroll- und Unterdrückungsmaßnahmen.
VI. Soziale Unruhen in Deutschland
Im Unterschied zu den Reaktionen von Gebildeten und Herrschenden hat man die Reaktionen der
breiten ländlichen und städtischen Bevölkerungsschichten auf die Französische Revolution lange
Zeit wenig beachtet und die Bedeutung von sozialen Unruhen im Gefolge der Französischen
Revolution als sehr gering angesehen. Erst die neuere Protestforschung ist zu dem Ergebnis
gekommen, dass das Konfliktpotential der deutschen Gesellschaft und die daraus resultierenden
Unruhen viel größer waren. Seit dem Sommer 1789 stiegen soziale Proteste auch in Deutschland
überall deutlich an. Zum Teil handelte es sich um die Fortsetzung älterer Konflikte, zum Teil
kamen neue hinzu. Es gab insgesamt eine starke räumliche, zeitliche und soziale Ausweitung von
Sozialprotesten. Nur wenige Teile des Reiches blieben völlig unberührt. Sachsen war 1790
Schauplatz eines großen Bauernaufstandes (10 000 beteiligte Bauern). Auch in Schlesien, in
Osnabrück und im deutschen Südwesten kam es zu bäuerlichen Protestbewegungen.
Bürgerunruhen gab es vor allem in den süddeutschen Reichsstädten, wo die Bürgerschaft
gegenüber dem Magistrat ihre älteren Forderungen nach mehr politischer Teilhabe mit neuem
Selbstbewußtsein untermauerte. Hinzu kamen zahlreiche Gesellenaufstände (Mainz, Hamburg,
Bremen, Rostock, Berlin), Unterschichtenproteste und Studentenunruhen (Jena 1792).
Die ältere Forschung sah die Ursachen der nach 1789 aufflammenden Proteste vorwiegend im
lokalen Bereich und betonte, dass die Protestbewegungen überall rasch zurückgedrängt werden
konnten. Die neuere Forschung kommt zu einer differenzierteren Position. Auch hier wird auf das
Übergewicht lokaler, vielfach lange zurückliegender und traditioneller Protestursachen
verwiesen. Gleichzeitig wird aber der unmittelbare Einfluss der französischen Ereignisse höher
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veranschlagt. Auch das einfache Volk in Deutschland war über die Vorgänge in Frankreich besser
informiert als lange angenommen. Es gab einen beachtlichen Nachrichtentransfer über Zeitungen,
Zeitschriften, Flugschriften (viele Übersetzungen französischer Texte), Revolutionsbilder oder
auch Gesellschaftsspiele mit Revolutionsthemen. Der Politisierungsprozess der deutschen
Bevölkerung war daher breiter, intensiver und auch folgenreicher. Man pflanzte Freiheitsbäume,
lehnte sich im Protestverhalten an bestimmte französische Vorbilder an und erreichte auch
gewisse qualitative Veränderungen im Protestverhalten (teilweise zunftübergreifende Proteste,
weitergehende politische Teilhabeforderungen in den Reichsstädten). Trotz dieser neuen
Elemente kann aber noch nicht davon gesprochen werden, dass der Protest vom „type ancien“
sich schon zu einem modernen Typus weiterentwickelte. Der lokale bzw. regionale Rahmen der
Proteste wurde in der Regel am Ende doch noch nicht überschritten. Die verschiedenen sozialen
Protestgruppen hatten untereinander kaum Verbindung. Es entwickelten sich noch keine neuen
Organisationen und es gab auch noch keine neue systemsprengende politische Programmatik. Bei
aller Bedeutung der vielfältigen sozialen Unruhen war die Gefahr einer großen Revolution in
Deutschland daher vergleichsweise gering.
Hauptgründe für das Ausbleiben einer deutschen Revolution:
1. Das Konfliktpotential war nicht ganz so groß wie in Frankreich, vor allem aber gab es Wege
und Traditionen einer anderen, friedlichen Form von Konfliktaustragung (Verrechtlichung).
2. Die Reformpolitik des Aufgeklärten Absolutismus hatte zwar zum Teil neue Konflikte mit
den Untertanen provoziert, zeigte aber auch, dass die Herrschenden in Deutschland zu
weitreichenden Reformen bereit und fähig waren.
3. Die Kleinräumigkeit der deutschen Verhältnisse (territoriale und konfessionelle Vielfalt)
begünstigte die Zersplitterung der Protestbewegungen, erleichterte zugleich aber durch den
unmittelbareren Kontakt zwischen Herrschenden und Beherrschten die Chance einer
friedlichen Konfliktaustragung.
4. In Deutschland fehlte eine Hauptstadt wie Paris, die sich zum Zentrum der politischen
Aktivitäten hätte entwickeln können.
5. Anders als in Frankreich (Jakobiner, Sansculotten) gab es kaum engere Verbindungen
zwischen den Protestbewegungen des Volkes und den radikalen Intellektuellen (deutsche
Jakobiner).
6. Die Kräfte der alten Ordnung betrieben eine recht erfolgreiche Eindämmungspolitik, bei der
sich harte Repression und gewisse Zugeständnisse mischten.
7. Die Radikalisierung der Französischen Revolution schwächte auch in weiten Teilen des
deutschen Volkes die Zustimmung zu den Ereignissen in Frankreich.
8. Die überwiegend negativen Erfahrungen mit der französischen Kriegs- und
Besatzungspolitik minderten die Vorbildwirkung der Französischen Revolution gerade auch
in den besonders betroffenen breiten Bevölkerungsschichten erheblich.
VII. Herausbildung politischer Strömungen im Gefolge der Französischen Revolution
Die schon durch die Aufklärung einsetzende Herausbildung politischer Strömungen wurde durch
den Ausbruch der Französischen Revolution auch in Deutschland beträchtlich verstärkt. Drei
Hauptrichtungen sind hier zu nennen:
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1. Die konservative Strömung entwickelte sich vom bloßen Traditionalismus zu einem
selbstbewussten Konservativismus im Sinne einer abgrenzbaren Weltanschauung. Die
Konservativen stützten sich nicht nur auf die seit 1792 sich immer mehr verschärfende
Repression der Regierungen, sondern warben auch über neue Publikationsorgane wie die
1795 erstmals erschienene „Eudämonia“ für ihren Kurs.
2. Die liberale Richtung orientierte sich an den Prinzipien der ersten Phase der Französischen
Revolution (konstitutionelle Monarchie, Rechtsgleichheit, Sicherheit und Freiheit des
Eigentums, Bildung, Besitz und Selbständigkeit als Kriterium politischer Teilhabe) und
versuchte gerade nach der Radikalisierung der Revolution, ihre Konzepte auf dem Wege von
Reformen und in Verbindung mit reformorientierten Regierenden voranzubringen.
3. Der Radikalismus oder die deutschen Jakobiner, die lange unterschätzte Beiträge zur
politischen Ideengeschichte Deutschlands lieferten, über deren Bedeutung aber in der
Forschung kontrovers diskutiert wird.
VIII. Deutscher Jakobinismus
Definition von Helmut REINALTER: Die deutschen Jakobiner stellten sich praktisch wie
theoretisch auf den Boden der Französischen Revolution und setzten selbst mehr auf den
politischen Kampf als auf die Reform in Kooperation mit den alten Herrschaftsträgern.
1. Die österreichisch-ungarische Jakobinerverschwörung von 1794: Hintergrund war die
Enttäuschung wichtiger Reformkräfte über den Abbruch der josephinischen Reformen. Nach
dem Tod Josephs II. und seines ebenfalls noch reformfreudigen Nachfolgers Leopold II.
setzte unter Franz II. seit 1792 ein harter konservativer Kurs ein. Die Verschwörer um den
Kroaten Ignác Martinovics und den Wiener Franz Hebenstreit planten eine Volkserhebung
sowie eine politische Ordnung nach Vorbild Frankreichs. Ihr Versuch wurde jedoch im Keim
erstickt.
2. Die norddeutschen Jakobiner hatten ihre Zentren in Hamburg und Altona. Sie traten vor
allem publizistisch hervor. Es fehlte jedoch an konkreten Vorbereitungen, um die eigenen
Ideen in die Praxis umzusetzen.
3. Die wichtigsten Zentren der jakobinischen Aktivitäten lagen bezeichnenderweise im Süden
und Südwesten Deutschlands, also im unmittelbaren französischen Einfluss- und
Machtbereich.
IX. Die Mainzer Republik 1792/93
Literatur:
F. DUMONT, Die Mainzer Republik von 1792/93. Studien zur Revolutionierung in Rheinhessen
und der Pfalz, 2., erw. Aufl., Alzey 1993.
H. SCHEEL, Süddeutsche Jakobiner. Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im
deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts, 3., durchges. Aufl., Berlin 1980.
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Das linksrheinische Gebiet des Kurfürstentums Mainz wurde im Herbst 1792 durch den
Vormarsch der französischen Armee unter General Custine voll von der französischen Revolution
erfasst. Custine wollte die Eroberung mit der Befreiung des Landes verbinden. Er bemühte sich
um die entsprechende Unterstützung der Bevölkerung. Zwei Tage nach der Mainzer Kapitulation
bildete sich am 23. Oktober 1792 ein zwanzigköpfiger Jakobinerclub, dem vor allem Professoren
und Beamte der Universität angehörten (wichtigste Führer: Georg Forster, Anton Dorsch, Mathias
Metternich). Die Mitgliederzahl stieg auf fast 500 an (6% der beitrittsberechtigten Mainzer,
darunter auch viele Handwerker und kleine Kaufleute). Man versuchte, die Ideen der Revolution
durch Propagandaschriften, das Pflanzen von Freiheitsbäumen und Feste innerhalb der
linksrheinischen Städte und auch in die Landgemeinden zu verbreiten. Im Dezember 1792
wurden deshalb in Mainz und Umgebung Unterschriften für die Annahme der „fränkischen
Konstitution“ gesammelt. Auf den Dörfern war die Resonanz zunächst größer als in den Städten.
In Mainz stimmten im Dezember 1792 nur wenige (17% in der besetzten Stadt) für eine
Totalrevision der Verfassung. Auch auf dem Lande sank im Winter 1792/93 die Zustimmung zu
einer Reunion mit Frankreich. An den Wahlen zu einem „Nationalkonvent der freien Deutschen
diesseits des Rheins“ vom 26. Februar 1793 nahm nur noch eine Minderheit teil. In Mainz waren
es gerade 8%, von den Landgemeinden beteiligte sich nur jede siebte. Der Nationalkonvent trat
am 17. März 1793 zusammen und beschloss in den folgenden Tagen die Loslösung des Gebietes
vom Reich und den Anschluss an Frankreich. Der inzwischen schon angelaufene Vormarsch der
Reichstruppen beendete das Experiment der Mainzer Republik.
Während vor allem die marxistische Forschung die Mainzer Republik als wichtigen Ansatz
einer deutschen Revolution dargestellt hat, bei der eine intellektuelle Avantgarde im Bündnis mit
dem Volk erstmals in Deutschland die revolutionäre Theorie in die Praxis umzusetzen versuchte,
betonen westdeutsche Forscher wie Franz DUMONT, dass die Mainzer Revolution von 1792/93
keine echte Revolution gewesen sei. Angesichts der schwachen sozialen Basis und der starken
Einwirkung durch die französische Besatzung spricht man hier trotz der jakobinischen
Aktivitäten in Mainz nur von einer „Revolutionierung“. Aber auch in der westdeutschen
Geschichtspolitik wurde die Mainzer Republik und der Nationalkonvent – das erste moderne
deutsche Parlament – als wichtiger Teil deutscher Demokratiegeschichte gewürdigt.
X. Die Cisrhenanen 1797/98 und die süddeutschen Jakobiner
Eine weitere größere „jakobinische“ Bewegung im linksrheinischen Deutschland war die
cisrhenanische Bewegung. Die Cisrhenanen (u. a. Joseph Görres) wollten 1797, unterstützt von
französischen Besatzungstruppen unter General Hoche, eine rheinische Republik gründen. Als
Hoche im September 1797 starb, war der ganze Plan schon wieder gescheitert. In der politischen
Führung Frankreichs entschied man sich endgültig für die natürlichen Grenzen und damit für die
Annexion des gesamten linken Rheinlandes. Die cisrhenanische Bewegung besaß in Köln
(patriotische Volksgesellschaft) eine recht breite Basis. In anderen Landesteilen war sie nicht viel
erfolgreicher als die der Mainzer Jakobiner im Winter 1792/93. Die Adressen der Cisrhenanen
wurden von 57 000 Mann unterschrieben bei einer Gesamteinwohnerzahl von 1,3 Millionen.
Ohne die Unterstützung der Besatzungsmacht hätten die Cisrhenanen daher kaum eine Chance
gehabt, ihre Ziele mit Hilfe einer breiten Volksbewegung durchzusetzen.
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Ähnlich war es in Süddeutschland, wo die traditionelle Bürgeropposition in den Reichsstädten
durch die Französische Revolution Impulse erhielt. In manchen Städten wie Ulm, wo der
Säcklermeister Kaspar Feßlen einen republikanischen Verfassungsentwurf vorlegte, erreichte die
Auseinandersetzung mit dem oligarchischen Rat eine neue Qualität. Insgesamt zeigte sich aber,
dass mit der Radikalität der Forderungen meist die örtliche Basis wieder zusammenschmolz. Bei
aller Kritik an den eigenen Verhältnissen war der Großteil der deutschen Gesellschaft nicht zu
einem fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit bereit. Die Schwäche der süddeutschen
Bewegung zeigte sich 1797/98 auch bei dem Versuch eines aus dem Elsass und der Schweiz
unterstützten Verschwörerkreises, den Rastatter Kongress zur Neuordnung des Reiches zu
sprengen. Die Verschwörer um den Kaufmann Georg Friedrich List und den Unternehmer Ernst
Alexander Jägerschmidt strebten einen deutschen Freistaat an. 1799 wurde für eine solche
deutsche Republik auch ein eigener Verfassungsentwurf nach französischem Vorbild vorgelegt.
Ohne die massive Unterstützung Frankreichs besaßen die Verschwörer auch hier keine Chance.
Diese Unterstützung blieb 1797/98 aus, weil Frankreich seine linksrheinischen Ziele (die
Annexion bzw. die natürlichen Grenzen) erreicht hatte. Rechts des Rheins wollte sich die
Regierung des Direktoriums nicht auf unkalkulierbare Abenteuer einlassen. Hier zog man es vor,
mit den deutschen Regierungen zu verhandeln, die wachsenden Streitigkeiten innerhalb des alten
Reiches zu nutzen und wichtige deutsche Staaten auf die eigene Seite zu ziehen.
Der deutsche Jakobinismus mit seinem Ziel einer neuen, auf der Souveränität des Volkes
beruhenden Verfassung war zweifellos bedeutender als lange angenommen. Man sollte ihn aber
aus mehreren Gründen nicht überschätzen.
1. Manche radikalen Forderungen wurden nicht aus Frankreich importiert, sondern waren
bereits unter den radikalen deutschen Aufklärern vorhanden.
2. Die Radikalisierung resultierte oft weniger aus dem Nachahmungswillen des französischen
Beispiels, sondern einfach aus enttäuschten Erwartungen (Stillstand der deutschen
Reformen).
3. Auch die deutschen Jakobiner standen vielfach noch ganz in der für Deutschland typischen
Reformtradition und setzten mehr auf Veränderungen von oben (jetzt allerdings mit Hilfe
Frankreichs) und weniger auf revolutionäre Aktionen. Selbst Georg Forster sagte 1792: „Ich
bleibe dabei, dass Deutschland zu keiner Revolution reif ist“. Viele deutsche Jakobiner (wie
Georg Friedrich Rebmann) traten später in den Dienst Napoleons, der die Verhältnisse in den
eroberten deutschen Gebieten von oben herab im Stile des aufgeklärten Absolutismus zu
regeln begann.
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