Grundkurs-SS-2013

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Sommersemester 2013
Prof. Dr. Hans-Werner Hahn
Grundkurs Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts/ Teil I 1780-1914
1. Vorlesung: Einführung/ Industrielle Revolution in England/ Französische
Revolution
Wichtige Einführungsliteratur zum 19. Jahrhundert
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KOCKA, Jürgen, Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche
Gesellschaft (= Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 13), 10. völlig neu
bearbeitete Auflage, Stuttgart 2002.
NONN, Christoph, Das 19. und 20. Jahrhundert. Orientierung Geschichte, Paderborn
2007.
OSTERHAMMEL, Jürgen, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19.
Jahrhunderts, München 2009.
SCHULZ, Matthias, Das 19. Jahrhundert (1789-1914), Stuttgart 2011.
WIRSCHING, Andreas (Hg.), Neueste Zeit (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch),
München 2006.
Einführungen in die Geschichte der Westeuropäischen Doppelrevolution:
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I.
FAHRMEIR, Andreas, Revolutionen und Reformen. Europa 1789-1850, München 2010.
FEHRENBACH, Elisabeth, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress (= Oldenbourg
Grundriss der Geschichte, 12), 4. überarb. Aufl., München 2001.
BUCHHEIM, Christoph, Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung
in Großbritannien, Europa und in Übersee, München 1994.
Grundfragen und -strukturen des 19. Jahrhunderts - Anfang und Ende:
Historiker haben in den letzten Jahrzehnten oft vom „langen 19. Jahrhundert“ (E. Hobsbawm)
gesprochen und darunter die Zeit zwischen der so genannten "Westeuropäischen
Doppelrevolution" (Industrielle Rev. in England/Frz. Rev.) und dem 1. Weltkrieg verstanden.
Inzwischen ist es aber umstritten, inwieweit diese Periodisierung überhaupt für das gesamte
Europa gelten kann. Die einzelnen Teile Europas wurden auf sehr unterschiedliche Weise von
den großen Veränderungen erfasst, die Industrialisierung, gesellschaftlicher Wandel,
Nationalstaat und Fundamentalpolitisierung mit sich brachten. Wenn man Geschichte des 19.
Jahrhunderts im globalen Rahmen betreibt, was zunehmend eingefordert und getan wird,
muss man erstens fragen, ob man die europäischen Entwicklungen zum Modell universaler
Entwicklungen machen kann. Das wird vor allem von asiatischen oder afrikanischen
Historikern zunehmend in Frage gestellt. Zweitens kann man deshalb auch die Frage nach
dem Anfang und dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr mit festen Jahreszahlen
beantworten. Dennoch bietet sich folgende Grobeinteilung in drei Phasen an: die so genannte
Sattelzeit zwischen 1770 und 1830, die „viktorianischen Epoche“ zwischen 1830 und 1880
mit der überragenden Bedeutung Großbritanniens und die danach einsetzende
Übergangsphase in den Hochimperialismus bis 1914.
Charakter des 19. Jahrhunderts: Das 19. Jahrhundert war vor allem in Europa ein
Jahrhundert der Modernisierung: Industrialisierung, Kommunikationsrevolution durch
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Bahnen, Dampfschiffe und Telegraphie, die wissenschaftliche Revolutionen und die
Herausbildung einer Wissensgesellschaft, sozialer Wandel, Migrationströme, Urbanisierung,
die europäische Expansion und erste Wellen der Globalisierung, der Durchbruch des
modernen Verfassungsstaats, Aufkommen des Nationalstaats (der sich aber auch in Europa
keineswegs überall durchsetzte, denn Großreiche wie die Habsburger Monarchie, das
Zarenreich und das Osmanische Reich gingen erst nach 1914 zugrunde!), Demokratisierung,
politischer Massenmarkt (Parteien u. Verbände), Emanzipation des Menschen aus den
bisherigen ständischen Ordnungen, Neuordnung der Geschlechterbeziehungen, Anfänge des
Sozialstaats. Dennoch war das 19. Jahrhundert selbst in Europa nicht nur ein Jahrhundert des
Fortschritts. Zum einen gab es innerhalb Europas noch große Entwicklungsunterschiede, zum
anderen spielten traditionale Strukturen, Denkmuster und Verhaltensweisen in den
europäischen Gesellschaften auch am Ende des 19. Jahrhunderts noch immer eine große
Rolle. Moderne und Tradition, Wandel und Beharrung prallten vielfach – etwa in den
Konflikten zwischen Staat und Kirche – hart aufeinander. Die moderne
Geschichtswissenschaft thematisiert deshalb nicht mehr nur die großen Fortschrittstendenzen
des 19. Jahrhunderts. Sie betont vielmehr auch den Misch-, Übergangs- und
Durchgangscharakter, die Doppelgesichtigkeit dieses Jahrhunderts. Sie fragt dabei auch
stärker als früher nach den Opfern und Kosten des Modernisierungsprozesses (z. B. ländliche
und städtische Unterschichten, Umweltbelastungen).
In noch stärkerem Maße gilt all dies, wenn man nicht nur die europäische Geschichte des
19. Jahrhunderts in den Blick nimmt, sondern die Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts, wie
dies Osterhammel in seinem eindrucksvollen Werk getan hat. Der Blick nach Afrika, Asien,
Australien oder Amerika zeigt, dass hier zum Teil ganz eigene Entwicklungen und Strukturen
das 19. Jahrhundert prägten. Allerdings ist festzuhalten, dass das 19. Jahrhundert wie kein
anderes eine Epoche Europas war. Es war das Jahrhundert der Europäisierung der Welt, d. h.
die europäischen Staaten dehnten ihre Macht und ihren Einfluss stärker als zuvor auf die
übrige Welt aus, die auch wirtschaftlich und kulturell den europäischen Mustern unterworfen
werden sollte. Ermöglicht wurde dieses erfolgreiche Ausgreifen Europas durch die mit neuen
Technologien verbundene Wirtschaftskraft, die mehr und mehr auch militärisch genutzt
wurde, und die politisch-gesellschaftliche Modernisierung der europäischen Staaten. (vgl.
hierzu den gerade erschienen Aufsatz von Dieter Langewiesche, Das Jahrhundert Europas.
Eine Annäherung in globalhistorischer Perspektive, in: Historische Zeitschrift 296,
2013, S. 29-48). Durch den kolonialen Zugriff wirkten sich die von Europa ausgehenden
Veränderungen in einer Weise auf die übrige Welt aus, wie dies zuvor und danach nicht der
Fall war. Die transnationalen Aspekte dieses europäischen Ausgreifens werden innerhalb der
Geschichtswissenschaft im Zuge der heutigen Globalisierungsprozesse immer stärker
beachtet. Europa erlebte zwischen 1815 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs auch deshalb
ein relativ friedliches Jahrhundert, weil der Machtwettbewerb der europäischen Großmächte
militärisch außerhalb von Europa ausgetragen wurde.
Das 19. Jahrhundert ist für Osterhammel von fünf charakteristischen Merkmalen geprägt,
die in den einzelnen Teilen der Welt allerdings unterschiedlich zur Geltung kamen. Erstens
durch eine asymmetrische Effizienzsteigerung, die sich sowohl in Wirtschaft und
Wissenschaft als auch in der militärischen Macht und dem Ausbau des Staates zeigte und die
Welt wie nie zuvor in reiche und arme Regionen, mächtige und schwache Staaten zerfallen
ließ. Zweitens war das 19. Jh. durch eine gesteigerte Mobilität gekennzeichnet, die sowohl die
Migration der Menschen als auch die Zirkulation von Waren, Kapital und Nachrichten betraf.
Das dritte Merkmal war die Referenzverdichtung, mit der Osterhammel die enorme
Steigerung interkultureller Wahrnehmungen und Transfers beschreibt. Als viertes Merkmal
benennt Osterhammel das Spannungsverhältnis, das zwischen dem Gleichheitsversprechen
der Aufklärung und neuen Hierarchisierungen entstand, wie sie etwa neue Formen rassisch
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begründeter Diskriminierung mit sich brachten. Ungeachtet aller Gegenkräfte, die sich der
Realisierung des Gleichheitspostulats und einer demokratischen Partizipation des Volkes noch
entgegenstellten, war das 19. Jahrhundert aber fünftens auch ein Jahrhundert der
„Emanzipation“.
II.
DIE INDUSTRIELLE REVOLUTION IN ENGLAND
1. Wirtschaft und Gesellschaft im späten 18. Jahrhundert: Auch in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts lebte der Großteile der europäischen Bevölkerung auf dem Lande. Die
Landwirtschaft war überall noch der wichtigste Wirtschaftszweig. Schlechte Ernteergebnisse
führten nicht selten zu Hungerkrisen. Die gewerbliche Wirtschaft bewegte sich zum Großteil
noch in den traditionellen Strukturen des Handwerks. Dennoch vollzogen sich im 18.
Jahrhundert vor allem in Westeuropa wichtige Veränderungen. Hierzu zählte die Steigerung
der landwirtschaftlichen Produktion durch Fortschritte im Landbau und bei der Viehzucht,
aber auch durch strukturelle Veränderungen wie dem verstärkten Aufkommen rational
wirtschaftender Großbetriebe (Agrarkapitalismus). Außen- und Binnenhandel wiesen eine
steigende Tendenz auf, was nicht zuletzt auf das europäische Ausgreifen nach Übersee
zurückzuführen war. Und auch die gewerbliche Wirtschaft befand sich in einem
Expansionsprozess. Eine wachsende Nachfrage nach gewerblichen Erzeugnissen förderte den
Ausbau von Manufakturen und des ländlichen Heimgewerbes (vor allem Textilproduktion)
und schließlich das Aufkommen erster Fabriken. In England begann die Industrielle
Revolution.
2. Hauptcharakteristika von Industrieller Revolution (umstrittener Begriff) oder
Industrialisierung: Durchsetzung neuer Techniken; massenhafte Nutzung von Rohstoffen,
besonders zunächst Kohle und Eisen; Einrichtung des Fabriksystems und seiner
arbeitsteiligen, zentralisierten und mechanisierten Produktionsprozesse; die Durchsetzung der
freien Lohnarbeit; Kommunikationsrevolution; neue Form des Wirtschaftswachstums.
3. Ursachen der Industriellen Revolution: Man vermeidet heute monokausale Erklärungen
und sieht die Ursache in einem ganzen Bündel von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und
politischen Faktoren: Bevölkerungswachstum, Ausweitung der landwirtschaftlichen
Produktion und bessere Ernährung, günstige Verkehrsverhältnisse, technische Neuerungen,
überseeische Expansion, Humankapital, Schaffung günstiger Rahmenbedingungen durch den
Staat (Wirtschaftsliberalismus, kalkulierbare Rechtsordnung, machtpolitische Sicherung von
Märkten). Das Pionierland der Industriellen Revolution war England, wo im letzten Viertel
des 18. Jahrhunderts aufgrund günstiger Rahmenbedingungen der Industrialisierungsprozess
begann.
4. Wichtigste Erfinder und Erfindungen: James WATT (1736-1819): Erfinder der
Dampfmaschine mit Drehbewegung 1782; John KAY: 1733 fliegendes Weberschiffchen zur
Beschleunigung des Webens; James HARGREAVES: Spinning Jenny in den 1760er Jahren;
Richard ARKWRIGHT: Spinnmaschine mit Wasser- oder Dampfkraft; Abraham DARBY:
Verhüttung von Eisenerz mit Koks statt Holzkohle, Henry CORT 1783: Vereinfachung der
Stahlproduktion durch das Puddel-Verfahren.
Der wichtigste Bereich der frühen Industrialisierung war die Baumwollspinnerei, deren
Wachstum sich in England (Manchester vor allem seit 1780) beschleunigte. Auch wenn
gesamtwirtschaftliche Berechnungen das quantitative Ausmaß des zwischen 1780 und 1800
erreichten Wachstums erheblich niedriger einstufen als frühere Forschungen (Kritik am
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Mythos "Industrielle Revolution") und England um 1800 in vielerlei Hinsicht noch
vorindustrielle Strukturen besaß, so darf man die Bedeutung des eingetretenen Wandels nicht
unterschätzen. Die industrielle Revolution war zunächst einmal ein regionales Phänomen. Die
"revolutionären" Veränderungen dieser Führungsregionen werden in einer gesamtnationalen
Wachstumsstatistik daher zu schnell eingeebnet. Um 1800 wurden die Fortschritte der
englischen Industrie auf dem Kontinent einerseits bewundert (Industriespionage).
Andererseits war man angesichts der mit ihnen verbundenen sozialen Probleme noch
keineswegs generell davon überzeugt, langfristig denselben Weg einschlagen zu müssen.
Selbst in England war man, wie die Schriften von Robert Thomas MALTHUS zeigen, um
1800 nicht voll davon überzeugt, durch die Beschleunigung der Industrialisierung der
wachsenden Bevölkerung ausreichende Existenzbedingungen schaffen zu können. Der
Lebensstandard der Massen ist in den frühen Jahrzehnten der Industriellen Revolution im
Übrigen nur wenig gestiegen, zum Teil sogar gefallen. Hinzu kam die von vielen Betroffenen
als Verschlechterung empfundenen Bedingungen der neuen Fabrikarbeit: Monotonie, Lärm,
Schmutz, Zeitdruck, Disziplinierung, Kinderarbeit, Trucksystem usw. Die sozialen Krisen
führten vor allem seit 1800 zu Protestbewegungen der Arbeiter (Ludditen-Aufstand) und
harten Repressionsmaßnahmen der englischen Regierung.
Trotz außenpolitischer Rückschläge unter König Georg III. (1760-1820) und wachsender
Reformforderungen kam es aber in Großbritannien mit seinen vergleichsweise weit
entwickelten Freiheitsrechten und einem flexibel reagierenden politischen System zu keiner
politischen Revolution. Im Vergleich mit Frankreich war das von William Pitt d. Jüngeren
(1783-1801, 1804-06) regierte wirtschaftliche Pionierland England um 1800 eher ein Hort
von Tradition und Konservativismus.
III. DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION
1. Revolutionsbegriff und Revolutionsforschung: Revolutionen sind besondere
Verlaufsformen des historischen Prozesses. Ursprünglich meinte der Begriff Revolution eine
Umwälzung im Sinne der Wiederherstellung früherer Zustände. Revolution im modernen
Sinne meint eine "politisch-soziale Totalumwälzung" und die Schaffung einer neuen
Ordnung. Seine entscheidende politische Aufladung erhielt dieser Begriff am Ende des 18.
Jahrhunderts. Mit der amerikanischen Revolution von 1776, in der 13 Staaten ihre
Unabhängigkeit vom Mutterland England vollzogen und erstmals allgemeine Menschenrechte
proklamiert wurden, und mit der Französische Revolution von 1789 setzte sich der neue
Revolutionsbegriff durch. Hier ging es nicht mehr um die Rückkehr zu Altbewährtem,
sondern um den Aufbruch zu einer neuen Ordnung auf der Grundlage der Volkssouveränität.
2. Die amerikanische Revolution wirkte in vielfacher Weise auf die politischen und
sozialen Konflikte Europas ein und stärkte jene Kräfte, die seit längerem die überkommenen
gesellschaftlichen und herrschaftspolitischen Verhältnisse in Europa kritisierten. Die mit der
Aufklärung aufkommenden Reformforderungen zielten zum einen auf eine neue
Gesellschaftsordnung, mit der die bisherige ständische Gliederung mit all ihren Privilegien für
einzelne Gruppen überwunden werden sollte. Neben der Überwindung ständischer und
konfessioneller Schranken sollte zum anderen aber auch die politische Herrschaft auf neue
Grundlagen gestellt werden. Der traditionellen Legitimation monarchischer Herrschaft durch
die göttliche Weltordnung stellten die Vertreter der Aufklärung den Herrschaftsvertrag
zwischen Herrscher und Beherrschten entgegen und forderten neue Formen politischer
Partizipation. In den 1780er Jahren nahmen in vielen Teilen Europas nicht nur die
Reformdebatten weiter zu, es gab vielmehr auch eine Fülle von Unruhen, deren Ziele freilich
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oft noch weit auseinanderstrebten und zum Teil auch gegen Reformen gerichtet waren, die
aufgeklärte Herrscher wie Kaiser Joseph II. begonnen hatten. Mit der Französischen
Revolution von 1789 begann dann eine neue Phase der politisch-sozialen Kämpfe.
3. Französische Revolution in der Geschichtsschreibung: Die umfangreiche
Revolutionshistoriographie war lange geprägt von drei Grundrichtungen: der konservativen,
der liberal-bürgerlichen und der sozialistischen Richtung, einschließlich ihres
sowjetmarxistischen Ablegers, neuere Ansätze zeichnen ein differenzierteres Bild.
A. Konservative Deutungen (Burke, Taine, Chaunu): z. T. Revolution als Folge von
Verschwörungen, Antikatholizismus der Revolution, Minderung der Macht
Frankreichs.
B. Liberale Deutungen (Thiers, Michelet): trotz Terrorherrschaft positives Gesamtbild,
Revolution als Durchbruch zu Menschen- und Bürgerrechten, Rechtsgleichheit und
moderner Verfassung.
C. Sozialistische Interpretation (Jaurés, Lefebvre, Soboul): Revolution als Kampf
zwischen Feudalismus und Kapitalismus (Adel-Bourgeoisie), Bedeutung der schon
hervortretenden sozialrevolutionären Unterströmungen, wichtige Stufe auf dem Weg
zur sozialistischen Gesellschaft.
D. Moderne strukturanalytische Forschung (Richet): differenzierteres Bild vom Ancien
Régime und der Revolution, unterschiedliche Revolutionsebenen, Nebeneinander
moderner und traditionaler Strukturen und Erwartungen.
E. Revolution als Kulturrevolution (Vovelle): Umbruch der Mentalitäten.
4. Ursachen und Vorgeschichte der Französischen Revolution:
Die Ursachen der Französischen Revolution waren vielschichtig, monokausale Erklärungen
sind wenig überzeugend. Die Revolution war nicht das Ergebnis quasi gesetzmäßiger
ökonomischer und sozialer Entwicklungen, dennoch spielten auch wirtschaftliche und
soziale Faktoren im Ursachengeflecht eine wichtige Rolle: Anstieg der Bevölkerung, seit
1770 Krisen- und Stagnationserscheinungen der zunächst expandierenden Wirtschaft,
Arbeitsmangel und hohe Getreidepreise, Unzufriedenheit der Bauern über das noch
bestehende Feudalsystem, Konflikte zwischen Adel und aufstrebendem Bürgertum. Die
Revolution von 1789 ist aber nicht auf den einen großen sozialen und wirtschaftlichen
Gegensatz (Adel-Bürgertum) zurückzuführen. Die komplizierten Konfliktlagen führten
gemeinsam mit dem geistigen und politischen Wandel zur wachsenden Unzufriedenheit in
allen Schichten der französischen Gesellschaft, die dann in eine Revolution mit ganz
unterschiedlichen Zielsetzungen mündete. Zu den Ursachen der Revolution gehörten ferner
die mit der Aufklärung einhergehenden geistesgeschichtlichen Umbrüche. Die Blütezeit der
französischen Aufklärung lag zwischen 1750 und 1770: VOLTAIRE (1694-1778: Ideal des
aufgeklärten Monarchen), MONTESQUIEU (1689-1755: Kräftigung von Zwischengewalten,
Gewaltenteilung, Aristokratie als ausgleichendes Moment zwischen Monarch und
aufstrebendem Bürgertum), ROUSSEAU (1712-1788: Lehre vom Gesellschaftsvertrag als
Grundlage jeder Herrschaft, Volksherrschaft), Enzyklopädisten (DIDEROT, d`ALEMBERT:
Popularisierung der neuen Ideen). Zwischen 1770 und 1789 verstärkte sich die Rezeption
aufklärerischer Ideen (Freimaurerlogen, Lesegesellschaften, Salons, Akademien und erste
politische Klubs, Zeitschriften, Zeitungen und Pamphlete). Die Radikalisierung des
Meinungsstreites trug dazu bei, in breiten Bevölkerungsschichten die Autorität der alten
Mächte (Monarchie u. Kirche) zu untergraben. Der Politisierungsprozess in Frankreich und
die Kritik an den alten Institutionen wurde schließlich auch durch die amerikanische
Revolution und die Unruhen in europäischen Nachbargebieten (Niederlande,
österreichische Niederlande, Schweiz) befördert.
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Eine weitere Ursache ist in der Krise des absolutistischen Herrschaftssystems zu sehen.
Das seit 1774 von Ludwig XVI. regierte Frankreich war durch eine kostspielige
Außenpolitik, hohe Ausgaben des Hofes und ein ineffizientes Steuersystem immer tiefer in
die Finanzkrise geraten, die notwendigen Reformen waren aber bis 1789 am Widerstand
der privilegierten Stände (Adel, Klerus) gescheitert. Der König musste dann erstmals seit
1614 die Generalstände zum 1. Mai 1789 einberufen, um die Steuerfrage anzugehen.
Inzwischen hatte sich mit der nationalen oder Patriotenpartei eine neue, vom Bürgertum
dominierte politische Kraft bemerkbar gemacht. Sie führte den Kampf sowohl gegen den
König als auch gegen dessen Widersacher aus dem Lager der privilegierten Stände. Das
neue Selbstbewusstsein des dritten Standes wurde in der berühmten Schrift des Abbé
Emmanuel Sieyès: "Was ist der Dritte Stand" untermauert, die im Januar 1789 erschien.
Gefordert wurde eine verfassungsmäßig abgesicherte Mitsprache des dritten Standes an der
Gestaltung der staatlichen Ordnung. Die Wahl der Generalstände und die dabei verfassten
Beschwerdehefte des Volkes ("Cahiers de doléances") trieben den Politisierungsprozess im
Winter 1788/89 weiter voran. Am 5. Mai 1789 begann mit der Eröffnung der Generalstände
in Versailles ein neuer Abschnitt in der politischen Geschichte Frankreichs.
5. Die drei Revolutionen vom Sommer 1789:
A. Die staatsrechtliche Revolution vom Sommer 1789:
Zusammentreten der Generalstände am 5. Mai 1789 (Vertreter des Klerus, des Adels und
des dritten Standes): Nachdem die Mandate des Dritten Standes schon vorher verdoppelt
worden waren, wurden nun weitere bisherige ständische Regelungen der Versammlung
(getrennte Sitzungen und Abstimmungen nach Ständen statt nach Köpfen) in Frage
gestellt. Am 17. Juni 1789 erklärten sich die Vertreter des dritten Standes, unterstützt von
Vertretern der beiden anderen Stände, zur Nationalversammlung. Verteidigung der eigenen
Ansprüche durch den Ballhausschwur vom 20. Juni 1789. Der Zickzack-Kurs König
Ludwigs XVI. führte am 14. Juli zum Ausbruch der Revolution.
B. Die städtische Revolution und der Sturm auf die Bastille:
Hohe Lebensmittelpreise, allgemeine Unzufriedenheit und Gerüchte über die Auflösung
der Nationalversammlung führten in Paris und anderen Städten zu Tumulten. Am 14. Juli
kam es zur Erstürmung der Bastille (Symbol des Despotismus). Die städtische Revolution
brachte das besitzende Bürgertum an die Macht, das aber von Anfang an unter erheblichem
Druck der städtischen Mittel- und Unterschichten stand.
C. Bauernrevolution und Abschaffung des Feudalsystems:
Im Juli 1789 erhoben sich in vielen Teilen Frankreichs auch die Bauern gegen ihre
Grundherren. Um die Bauernrevolution einzudämmen, entschlossen sich die
Abgeordneten der Nationalversammlung in der Nachtsitzung vom 4. August 1789, das
gesamte Feudalsystem mit einem Schlage aufzuheben.
6. Aufbau und Scheitern der konstitutionellen Monarchie 1789-1792
- Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, Absage an die alte
Gesellschaftsordnung
- Beginn der Verfassungsberatungen durch die in Versailles tagende Nationalversammlung
- Die anhaltende wirtschaftliche Misere und das Zögern des Königs gegenüber den
Beschlüssen der Nationalversammlung führten zu neuen Unruhen. Am 5. Oktober 1789
zogen politisierte Massen, darunter viele Frauen, von Paris nach Versailles, um die
königliche Familie nach Paris zu holen (die Monarchie als Gefangene der Revolution).
- Oktober 1790: Ersetzung des Lilienbanners durch die Trikolore
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Reformwerk der Nationalversammlung: Verfassung vom 3. September 1791
(Einkammersystem, Zensuswahlrecht, König ernennt Minister, Offiziere und Diplomaten,
hat aber nur noch ein aufschiebendes Veto gegen Beschlüsse des Parlaments);
Verwaltungsreformen (neue Einteilung in Departements, Distrikte, Kantone und
Kommunen); neue Gerichtsverfassung, Abschaffung des Erbadels (Juli 1790),
Gleichstellung der jüdischen Minderheit (September 1791), Aufhebung von Zünften und
anderen Korporationen (März 1791), Verbot von Arbeitervereinigungen und Streiks (Loi
le Chapelier vom Juni 1791).
Die Kirchenpolitik löste neue Konflikte mit dem König aus: die Güter der Kirche wurden
als Nationalgüter verkauft (Ausgabe der Assignaten); neue vom Staat gesetzte
Kirchenordnung, Zivilkonstitution des Klerus, der einen Eid auf die neue Ordnung leisten
musste. Die ablehnende Haltung des Papstes und großer Teile des Klerus spaltete die
französische Gesellschaft und verschärfte die Gegensätze zwischen der
Nationalversammlung und dem kirchentreuen Ludwig XVI.; der von Mirabeau und La
Fayette unternommene Versuch einer Versöhnung von Monarchie und Revolution hatte
keine Chance mehr, zumal der König mit seinem gescheiterten Fluchtversuch vom Juni
1791 neues Misstrauen entstehen ließ.
Während der Verfassungsberatungen hatten sich innerhalb der Nationalversammlung
politische Gruppierungen mit unterschiedlichen Zielen herausgebildet. Der wichtigste
dieser Klubs war der Jakobinerklub (Gesellschaft der Freunde der Verfassung), von dem
sich im Sommer 1791 die gemäßigten Feuillants abspalteten. Sie bildeten in der 1791 neu
gewählten Nationalversammlung zunächst die stärkste Gruppe, hatten aber keine eigene
Mehrheit.
20. April 1792 Kriegserklärung der Nationalversammlung an Österreich (wegen
Unterstützung der französischen Emigranten und Drohungen gegen die Revolution).
Während der König auf die Niederlage Frankreichs setzte, um die politischen Dinge
revidieren zu können, erhofften sich die Befürworter des Krieges (vor allem die
Girondisten) ein engeres Zusammenrücken der Franzosen und die Festigung der
revolutionären Errungenschaften.
Der ungünstige Kriegsverlauf, der Streit um die Kirchenpolitik, soziale Probleme und die
wachsende Politisierung der Gesellschaft (Klubs, aktive Rolle von Frauen wie Madame
Roland, Olympe de Gouges) führten im August 1792 zum Sturz der Monarchie.
Septembermorde von 1792 in den Pariser Gefängnissen als Höhepunkt neuer
Gewaltwellen gegen vermeintliche Feinde der Revolution.
7. Vorgeschichte, Entwicklung und Bedeutung der Jakobinerdiktatur:
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September 1792 Wahlen zum Nationalkonvent, geringe Beteiligung, Erfolg der
Girondisten, die stärker waren als die Montagnards (Bergpartei, radikalerer Teil des
auseinander brechenden Jakobinerklubs), die große Mehrheit der Konventsmitglieder war
zunächst auf keine Richtung festgelegt.
Die Position der Girondisten festigte sich durch den militärischen Erfolg von Valmy am
20. September 1792. Der Nationalkonvent setzte die Forderungen des 10. August 1792 in
die Tat um: offizielle Abschaffung der Monarchie und Errichtung einer Republik in Form
eines unteilbaren Einheitsstaates. Es folgten der Prozess gegen den König und die
Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793.
Anfang 1793 erlitt Frankreich schwere Niederlagen gegen die nun unter Führung
Englands agierende Koalition. Hinzu kamen innere Unruhen: Unzufriedenheit über
schlechte Versorgung in Paris, royalistische Bauernerhebungen in der Vendée; Kritik an
regierenden Girondisten.
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Im März 1793 erzwangen revolutionäre Kräfte die Einrichtung eines Revolutionstribunals
und die Todesstrafe für Gegenrevolutionäre.
Den Machtkampf zwischen den Girondisten und den vom Pariser Kleinbürgertum
(Sansculotten) unterstützten Montagnards wurde am 2. Juni 1793 zugunsten der letzteren
entschieden.
Mit dem Beginn der Jakobinerherrschaft (Danton, Robespierre) erhielt Frankreich zwar
noch im Juni 1793 eine neue, vom Konvent verabschiedete Verfassung (allgemeines
Wahlrecht, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung, Armenunterstützung). Sie trat jedoch
wegen des Ausnahmezustandes nicht in Kraft. Die Regierungsarbeit lag bei den zwei
Konventsausschüssen, dem für die Verteidigungsfragen zuständigen Sicherheitsausschuss
und dem Wohlfahrtsausschuss. Die regierenden Jakobiner betrieben nun eine rigorose
Zentralisierung des Staatsapparates (gegen föderalistische Ziele der Girondisten) und
versuchten, durch Wirtschaftslenkung und die Schaffung einer schlagkräftigen
Revolutionsarmee die inneren und äußeren Krisen in den Griff zu bekommen.
Hauptkennzeichen des neuen Systems wurde schließlich der Terror, der sich immer
rascher ausbreitete.
Die wichtigste Unterstützung erhielten die Jakobiner von den so genannten Sansculotten
(klein- und unterbürgerliche Pariser Volksbewegung, aktiver Kern umfasste etwa 10% der
männlichen Bevölkerung). Zu ihren Hauptforderungen gehörten die Festsetzung von
Höchstpreisen und Beschränkungen der Eigentumsrechte. Das sozialökonomische
Wunschziel war eine egalitäre Gesellschaft von selbständigen Kleinproduzenten. Man
bekannte sich zum Eigentum, doch ganz im Sinne einer egalitären
Kleineigentümergesellschaft. In politischer Hinsicht plädierten die Sansculotten für eine
direkte Demokratie.
Krieg und die Gegenrevolution im Inneren festigten zunächst das Bündnis zwischen
Jakobinern und Sansculotten. Der Konvent ließ sich von den Sansculotten zu harten
Maßnahmen gegen Wucherer drängen. Am 27. September 1793 wurde das maximum
générale eingeführt, das die Preise und Löhne generell begrenzte und die Gewinnspannen
im Handel auf 5-10% reduzierte. Dennoch wuchsen bald die Gegensätze zwischen den
sozialradikalen Gruppen und den regierenden Jakobinern. Im Herbst 1793 wurde eine
kleine sozialradikale Gruppe um den ehemaligen Priester Jacques Roux (Enragés)
verhaftet, vor Gericht gestellt und auf die Guillotine geschickt.
Angesichts der inneren und äußeren Bedrohungssituation sicherte sich der
Wohlfahrtsausschuss im Herbst 1793 weitere Vollmachten und etablierte sich nun
endgültig als unumstrittenes Machtzentrum der Regierungstätigkeit. Seit September
erhielt er das Recht, seine Mitglieder zu kooptieren. Zu den wichtigsten Männern zählten
neben Robespierre dessen engster Mitarbeiter Saint-Just, der für die Armeelieferungen
zuständige Carnot, der für die Rüstungsmanufakturen zuständige Jeanbon Saint-André
und die auf Druck der Sansculottenbewegung aufgenommenen Collot d'Herbois und
Billaud-Varenne. Am 10. Oktober 1793 erklärte der Nationalkonvent die Regierung
Frankreichs für revolutionär bis zum Frieden. Durch das Gesetz vom 4. 12. 1793 erfolgte
eine weitere Zentralisierung des Herrschaftssystems. Am Ende des Jahres 1793 hatte sich
die Revolution gegenüber ihren innerfranzösischen Gegnern (Zerschlagung eines
Aufstandes der Girondisten und der gegenrevolutionären Kräfte in der Vendée, grausame
Racheakte, Politik der verbrannten Erde) durchgesetzt.
Außenpolitische Stabilisierung durch militärische Erfolge nach der "levé en masse" vom
August 1793 (Volkskrieg, Heer von fast 1 Million motivierter Soldaten gegen die
Söldnerheere des alten Europas).
Trotz der Behauptung gegen äußere und innere Feinde häuften sich seit Oktober 1793 die
großen Prozesse gegen die inneren Gegner (Revolutionstribunal unter Ankläger Antoine
Fouquier-Tinville). Zu den wichtigsten Opfern im Herbst 1793 gehörten die Girondisten
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Brissot und Vergniaud, die ehemalige Königin Marie Antoinette und der Herzog Philipp
Égalité. Der Großteil der Verhaftungen erfolgte weniger wegen politischer Opposition
gegen die Revolution, sondern wegen Vergehen gegen die strengen wirtschaftspolitischen
Bestimmungen. Die Zahl der pro Monat Hingerichteten lag bis November 1793 in ganz
Frankreich bei etwa 100. Im November stieg sie auf 500, im Dezember gab es über 3000
Hinrichtungen. Trotz der militärischen Erfolge im Inneren und nach außen ging der Terror
der Kriegsdiktatur weiter. Robespierre hielt es für verfrüht, die Zügel wieder zu lockern.
Hierzu trugen auch die inneren Auseinandersetzungen in der Bergpartei bei.
Gegen Robespierre und seine Anhänger standen rechts Danton und seine Anhänger und
links die Anhänger des Journalisten Jacques René Hébert (Hébertisten). Letztere traten
das Erbe des 1793 von einer katholischen Gegnerin der Revolution (Charlotte Corday)
ermordeten Marats und der auf Weisung Robespierres hingerichteten Enragés an und
warfen den Machthabern vor, Feinde der Gleichheit und des Volkes zu sein. Im März
1794 wurde ein Aufstandsversuch der Hébertisten in den Anfängen erstickt, die Führer
des ultralinken Flügels wurden am 13./14. März 1794 verhaftet und wenige Tage später
hingerichtet. Kurz danach erfolgte die Ausschaltung der Danton-Anhänger.
Trotz der Ausschaltung linker und rechter Abweichler und eines günstigen Kriegsverlauf
erreichte der Terror zwischen April und dem 27. Juli 1794 (Sturz Robespierres), noch
einmal einen neuen Höhepunkt. Am 10. Juni 1794 begann der so genannte Große
Schrecken. Der Terror war nicht von Anfang an in der Revolution angelegt, sondern die
Folge einer Dynamik aus innerer wie äußerer Bedrohung. Ziel des Terrors war es
zunächst, den ausgebrochenen Bürgerkrieg zu kanalisieren und unkontrollierte
Gewalttaten des Volkes zu stoppen (deshalb auch Schauprozess und öffentliche
Hinrichtung). Krieg, Bürgerkrieg und die inneren Widersprüche der Revolution sorgten
dann dafür, dass sich der Terror verselbständigte. Mit der Verschärfung des Terrors
untergrub Robespierre jedoch immer mehr seine eigene Machposition. Indem er gegen die
Führer der Volksbewegung (Enragés, Hébertisten) und auch immer mehr gegen die
Interessen der Sansculotten handelte (Rückkehr zum Wirtschaftsliberalismus) schwächte
Robespierre den Druck der Straße und stärkte den nach wie vor tagenden
Nationalkonvent. Auf der anderen Seite verstärkte die Ausschaltung der Gemäßigten im
Bürgertum, aber auch unter den Sansculotten die Furcht vor einer weiteren Eskalation des
Terrors. All dies erleichterte es den Abgeordneten des Nationalkonvents, nun die
Rückkehr zu den Normen eines bürgerlichen Liberalismus einzuleiten. Am 27. Juli 1794
wurde Robespierre gestürzt und mit seinen engsten Anhängern hingerichtet.
Die neue Politik der Thermidorianer um Paul Barras brach die innere Dynamik des
Revolutionsprozesses. Sie war auf Mäßigung und Versöhnung ausgerichtet. Durch
Beendigung des Terrors, Religionsfreiheit und Wirtschaftsliberalismus sollten die
Franzosen wieder frei und sicher leben können, ohne auf die grundlegenden
Errungenschaften der großen Revolution verzichten zu müssen.
8. Bilanz der Revolution:
- ÖKONOMIE: einerseits bessere rechtliche Rahmenbedingungen zur Entfaltung neuer
Wirtschaftskräfte (Aufhebung von Binnenzöllen, Zünften usw.), andererseits hemmende
Wirkungen durch den zeitweilig sehr dirigistischen Kurs und die agrarpolitischen Folgen
der Revolution (Stärkung des Kleinbauerntums). Der wirtschaftliche Vorsprung Englands
wuchs gerade in den neunziger Jahren deutlich an.
- GESELLSCHAFT: Auch in sozialer Hinsicht hielt sich die Zäsurwirkung in Grenzen. Die
Revolution zerstörte die alte Ständegesellschaft, aber diese befand sich schon vor 1789 in
einem Auflösungsprozess. Hauptnutznießer der neuen Verhältnisse war das Bürgertum.
Hierbei handelte es sich aber nicht um ein modernes, industriell tätiges Großbürgertum,
sondern um die durch Revolutionsgewinner erweiterte Grundbesitz- und
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Rentenbourgeoisie des Ancien Régime. Sie bildete den Kern jener Notabelngesellschaft,
die bis in die vierziger Jahre die Geschicke Frankreichs bestimmte. Stabilisierung des
französischen Kleinbauerntums durch die Revolution.
POLITIK: Hier trat der Zäsurcharakter von 1789 am deutlichsten hervor: Menschen- und
Bürgerrechte, Rechtsgleichheit des Bürgers (nicht der Frauen), Verfassung auf der
Grundlage der Volkssouveränität, moderner Nationalstaat. Der ältere Begriff der Nation
wurde politisch neu aufgeladen und rückte seit 1789 in das Zentrum der revolutionären
Ideologie und Praxis des dritten Standes. Er war untrennbar mit Selbstbestimmung und
Souveränität des Volkes verbunden und wurde zu einem dynamischen und in ganz neuer
Form mobilisierenden Prinzip der inneren wie äußeren Politik (Nation als wichtigste
Richtschnur allen politischen Handelns und zugleich als Religionsersatz).
KULTUR: Mit der Französischen Revolution veränderten sich Wertekanon und Alltag der
Franzosen: Durchsetzung der französischen Hochsprache, neue Formen bei der
Vermittlung politischer Botschaften, Politisierung der Gesellschaft, Bruch mit religiösen
Traditionen (Fest des höchsten Wesens Juni 1794, Förderung der Entchristianisierung),
neue kulturelle Praktiken (politische Feste), dauerhafte Spaltung der französischen
Gesellschaft in Anhänger der Revolution und Traditionalisten.
IV. DER AUFSTIEG NAPOLEONS
1. Von den Thermidorianern zum Staatsstreich Napoleons:
- 1794/95 Herrschaft des Konvents/ Thermidorianer: Beruhigungs- und
Versöhnungspolitik, neue Verfassung vom 22. 8. 1795: Rechtsgleichheit bekräftigt, aber
Zensuswahlrecht
- 1795-1799 Herrschaft des Direktoriums (P. Barras, E. J. Sièyes, R. Ducos, J. F. Reubell,
L. Carnot): außenpolitische Konsolidierung durch militärische Erfolge,
Tochterrepubliken, Annexionen, 1795 Frieden mit Preußen
- Innenpolitischer Konsolidierungskurs mit hohen sozialen Opfern; Kritik von linken
Gruppen (Babeuf) und royalistischer Opposition
- Die angespannte innenpolitische Lage begünstigte den Aufstieg junger erfolgreicher
Militärs (General Hoche; Napoleon Bonaparte, geb. 1769)
- Erfolge Napoleons in Italien 1796/97; durch den am 3. /4. September 1797 erfolgten
Fructidor-Staatsstreich und den Frieden von Campo Formio 18. Oktober 1797 (mit
Österreich) stieg die Macht Napoleons. Das Direktorium ermunterte den zu mächtig
werdenden Napoleon dann zur Eroberung Ägyptens. Trotz der militärischen Schlappe im
Mittelmeer erhielt Napoleon Ende 1799 angesichts der inneren Unruhen in Frankreich
eine neue Chance zur Eroberung der Macht.
- Die anhaltende Wirtschaftskrise und Wahlerfolge der linken Opposition brachten das
ohnehin schwache Direktorium in neue Schwierigkeiten. Dies verstärkte in der
öffentlichen Meinung die Sehnsucht nach einem "Retter", nach starker Exekutive und
innenpolitischer Ruhe. Hierin lag Napoleons große Chance. Durch den Staatsstreich vom
18. und 19. Brumaire (9./10 Nov.) 1799 stieg Napoleon nun zur entscheidenden Figur der
Innenpolitik auf. Nach Ausschaltung des Parlaments wurde eine neue Führung unter den
drei Konsuln Sièyes, Ducos und Napoleon installiert, die eine neue, auf Napoleon
zugeschnittene Verfassung erarbeitete. Napoleon regierte künftig fast wie ein aufgeklärt
absolutistischer Monarch (Scheinkonstitutionalismus).
- Napoleon profitierte davon, dass sich Frankreich nach zehn Jahren Revolution in einer
Phase der Erschöpfung befand, von dem Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung. Die Mehrheit
der Gesellschaft wollte jedoch nicht nur das Ende der Revolution, sondern auch die
Sicherung ihrer materiellen Ergebnisse. Beide Bedürfnisse erfüllte Napoleon mit der
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Aussage vom 15. Dezember 1799: "Bürger, die Revolution hält an den Grundsätzen
fest, die an ihrem Beginn standen. Sie ist beendet." Konkret hieß das: Das Eigentum in
der bestehenden Form wird festgeschrieben und garantiert gegen die Neuauflage linker
Experimente und gegen die Ansprüche der Emigranten und anderer Opfer der Revolution.
2. Napoleons Weg zur Kaiserkrönung:
- Festigung der Macht durch innen- und außenpolitische Erfolge Napoleons: Der Code Civil
von 1804 schrieb wesentliche Errungenschaften von 1789 fest. Dieses moderne
bürgerliche Gesetzbuch (Ausnahme Frauenrechte) wurde wegweisend für andere Teile
Europas. Weitere innere Reformen: Verwaltungsreformen (weitere Zentralisierung),
Justizreformen sowie Schul- und Universitätsreformen, Wirtschaftsförderung. Die
Konsolidierung der Staatsfinanzen, ein wirtschaftlicher Aufschwung und der Ausgleich
mit dem Papst (Konkordat 1801) trugen ebenfalls zur Festigung der Macht Napoleons bei.
- außenpolitische Erfolge: siegreiches Ende des zweiten Koalitionskrieges (1799-1802)
durch den Frieden von Lunéville vom Februar 1801 (Österreich akzeptiert die
französische Vorherrschaft in Oberitalien, die Rheingrenze, Anerkennung der
Tochterrepubliken). Am 27. März 1802 schloss auch England in Amiens einen Frieden
mit Frankreich.
- Napoleon nutzte das neu gewonnene Prestige zum Ausbau seiner Herrschaft in
Frankreich. 1802 gelang es Napoleon, sein Konsulat durch Plebiszit auf Lebenszeit zu
verlängern. Im Mai 1804 veranlasste er den Senat, die Verfassung zu ändern und ein
Kaisertum zu errichten. Am 6. November 1804 stimmte das französische Volk mit großer
Mehrheit der Verfassungsänderung zu. Am 2. Dezember fand in Notre-Dame in
Anwesenheit des Papstes die Krönung von Napoleon und seiner Gattin Josephine statt.
Napoleon legte anschließend einen Eid ab, der alle Bedenken der alten Revolutionäre zerstreuen sollte und in dem er noch einmal die grundlegenden Prinzipien der Revolution
bekräftigte.
Lesenswerte deutschsprachige Napoleon-Biographien französischer Historiker:
R. DUFRAISSE, Napoleon. Revolutionär und Monarch, München 1994.
J. TULARD, Napoleon oder der Mythos des Retters, Tübingen 1978.
V. DEUTSCHLAND UND DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION:
Französische Revolution und Expansion Napoleons bildeten auch für die deutsche Geschichte
eine wichtige Zäsur. Die großen Auswirkungen begannen aber nicht unmittelbar nach 1789,
sondern eigentlich erst in der napoleonischen Zeit. Die politischen Strukturen des Alten
Reiches unterschieden sich deutlich vom zentralistischen Einheitsstaat Frankreich. Das Alte
Reich funktionierte mit seinen jahrhundertealten Institutionen besser (Rechtssicherheit,
Bedeutung für das europäische Mächtegleichgewicht), als vielfach behauptet worden ist. Es
war aber am Ende des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt aufgrund der egoistischen Politik seiner
beiden Hauptmächte Österreich und Preußen den neuen europäischen Herausforderungen
militärisch und politisch nicht mehr gewachsen.
In den Territorien des Reiches hatten zahlreiche, von den Ideen der Aufklärung
beeinflusste Herrscher schon vor 1789 damit begonnen, Verwaltungs-, Wirtschafts- und
Gesellschaftsreformen einzuleiten, die zu ersten Erfolgen führten (Auflockerung des
ständischen Gefüges, wirtschaftliche Neuerungen). Wie in Frankreich wurde auch in der sich
herausbildenden öffentlichen Meinung über gesellschaftliche und politische Reformen
diskutiert (bedeutendste Publizisten: Ch. F. Nicolai, A. L. Schlözer; Ch. F. D. Schubart; Ch.
M. Wieland). Viele deutsche Intellektuelle begrüßten die französische Revolution, ohne aber
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ihre Nachahmung für die anders gearteten deutschen Verhältnisse (Reformen hatten schon
begonnen!) zu propagieren. Seit 1792 wandte man sich aber in den intellektuellen Kreisen
zunehmend von der nun immer mehr in Gewalt abgleitenden Revolution ab (v. a. Schiller).
In der deutschen Gesellschaft gab es nach 1789 eine Fülle von Unruhen und Protesten
(Bauernaufstand in Sachsen, Handwerkerunruhen). Sie blieben aber regional begrenzt und
führten nicht zur deutschen Revolution (Gründe u. a.: kein Zentrum wie Paris, keine
Verbindung von intellektuellen Führern und Volk wie in Frankreich, negative Wirkung der
französischen Innenpolitik und der französischen Kriegspolitik, Vertrauen in die
Reformbereitschaft aufgeklärter Herrscher, massive Repression der Regierenden).
Die Französische Revolution förderte die bereits begonnene Herausbildung politischer
Strömungen. Man kann drei Hauptrichtungen unterscheiden: 1. Die konservative Strömung
entwickelte sich vom Traditionalismus zum Konservativismus im Sinne einer abgrenzbaren
Weltanschauung. 2. Die liberale Richtung (Vorbild: konstitutionelle Monarchie mit
Rechtsgleichheit, Freiheits- und Mitbestimmungsrechten). 3. Die radikaldemokratische
Richtung ( deutscher Jakobinismus, mit Frankreich sympathisierend und kooperierend,
Mainzer Republik 1792/93, Cisrhenanen, süddeutsche Jakobiner, alle bleiben aber ohne
entscheidende politische Wirkung).
Das Ende des Alten Reiches 1795-1806:
- 1795 Frieden von Basel: Preußen beendete Krieg mit Frankreich und akzeptierte den
Rhein als deutsch-französische Grenze.
- Oktober 1797: Frieden von Campo Formio. Auch Österreich akzeptierte die Abtretung der
linksrheinischen Gebiete.
- Seit 1797 wurde auf dem Kongress zu Rastatt über eine Neuordnung des Reiches
verhandelt, sie scheiterte am erneut ausbrechenden Krieg.
- Der Friede von Lunéville, den Österreich und Frankreich am 9. Februar 1801 schlossen,
beendete den neuen Krieg zwischen dem Reich und Frankreich.
- Am 25. Februar 1803 einigte man sich in Regensburg auf den so genannten
Reichsdeputationshauptschluss. Es war das letzte große Reichsgesetz, das zugleich zum
Markstein auf dem Weg zum Ende des Alten Reiches werden sollte. Wichtigste
Bestimmungen waren die Säkularisation der geistlichen Reichsstände und die
Verstaatlichung der Kirchengüter (Aufhebung von Klöstern, Verkauf des Landes) sowie
die Mediatisierung von Reichsstädten und Reichsritterschaften. Vom territorialen
Umbruch profitierten vor allem die süddeutschen Staaten Württemberg, Bayern und
Baden, die nun enge Verbündete Napoleons wurden.
- Letzte Versuche einer Reichsreform (Karl Theodor von Dalberg) scheiterten. Bereits 1804
nahm Kaiser Franz II. den neuen Titel eines Kaisers von Österreich an und signalisierte
selbst die schwindende Bedeutung des Alten Reiches.
- Nach der Niederlage Österreichs im 3. Koalitionskrieg (1805: England, Rußland,
Österreich gegen Napoleon, Sieg der Engländer auf See unter Admiral Nelson am 21.
Oktober 1805 bei Trafalgar; entscheidender Sieg Napoleons am 2. Dezember 1805 in der
Dreikaiserschlacht von Austerlitz) und dem Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805)
wurden weitere bislang reichsunmittelbare Herrschaften mediatisiert (Grafen und Fürsten,
endgültig auch Reichsritter, Städte Augsburg, Nürnberg, Frankfurt) und zur weiteren
Abrundung der verbliebenen Staaten genutzt. Zudem musste Franz I. im Frieden von
Pressburg die den Kurfürsten von Bayern und Württemberg nun von Napoleon verliehene
Königswürde anerkennen. Neue Titel erhielten auch andere Monarchen: Großherzog von
Baden, Herzog von Nassau.
- Am 12. Juni 1806 unterzeichneten sechzehn deutsche Monarchen die Rheinbundakte.
Dieser Staatenbund besiegelte die enge Verbindung zwischen Frankreich und den
deutschen Mittelstaaten. Napoleon war der oberste Protektor des Bundes, dem sich nach
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der preußischen Niederlage vom Herbst 1806 auch fast alle anderen Staaten des so
genannten "dritten Deutschland" (alle deutschen Staaten außer Preußen und Österreich)
anschlossen. Der Rheinbund stand durchaus in der Kontinuität des Alten Reiches, seine
Gründung war allerdings der letzte Schritt zu dessen Ende. Am 1. August 1806 erklärten
die Rheinbundstaaten ihren Austritt aus dem Reichsverband. Am 6. August legte Franz II.
nach einem Ultimatum Napoleons die Kaiserkrone nieder und löste die noch bestehenden
Institutionen des Reiches auf.
Eine weitere Veränderung der deutschen Verhältnisse brachte der 4. Koalitionskrieg
1806/07. Preußen, das sich durch eine ungeschickte Außenpolitik in eine schwierige Lage
gebracht hatte und von Frankreich ausgespielt sah, erklärte Napoleon den Krieg. Am 14.
Oktober 1806 kam es zur militärischen Katastrophe Preußens in der Schlacht von Jena
und Auerstedt. Gemeinsam mit Russland führte man zwar den Krieg im Osten noch
weiter, durch den Sieg Napoleons in der Schlacht bei Friedland am 14. Juni 1807 wurde
die russisch-preußische Koalition aber endgültig niedergerungen. Am 9. Juli 1807 kam es
zum Frieden von Tilsit, der endgültig alle preußischen Großmachtträume zunichte machte.
Preußen erlitt große Gebietsverluste westlich der Elbe und in Polen, musste hohe
Kontributionen zahlen, eine zeitweilige französische Besatzung hinnehmen und durfte nur
noch ein 42 000 Mann starkes Heer unterhalten. Aus der preußischen, hannoverschen und
hessischen (Kassel) Konkursmasse schuf Napoleon 1807 das Königreich Westfalen, das
von seinem jüngsten Bruder Jerome regiert wurde. Nach dem vom Napoleon-Schwager
Murat regierten Großherzogtum Berg war das der zweite französische Vasallenstaat auf
deutschem Boden. Im Osten fasste Napoleon die von Preußen abgetretenen polnischen
Gebiete zum Herzogtum Warschau zusammen, das vom sächsischen König Friedrich
August I. (1806-1827) in Personalunion regiert wurde (Sachsens König als treuester
Verbündeter Napoleons).
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