Interpretation einer Textquelle Ansprache des Bundeskanzlers Adenauer bei der Trauerfeier für die Opfer des 17. Juni in West-Berlin am 23. Juni 1953 Mit elementarer Wucht ist dieser Aufstand ausgebrochen. Aus einer Welle der Unzufriedenheit an der Baustelle in der Frankfurter Allee wurde eine ungeheure Woge der Erbitterung, der Verzweiflung, die über das ganze Gebiet, über Ost-Berlin, über Magdeburg, Brandenburg, Leipzig, Chemnitz, Dessau und Gera, über das Gebiet des Uranbergbaus, über die Landbevölkerung in Sachsen und Mecklenburg wie überhaupt über die gesamte Sowjetzone hinweg ging. Wie ein Orkan brach die angestaute Verzweiflung und Not los gegen Sklaverei und Unterdrückung, nicht achtend Tod und Gefahr. Wie ungeheuer der Druck ist, der […] auf diesem Teil Deutschlands lastet, das zeigt das Aufbäumen dieser Millionen gegen ihre kommunistischen und russischen Machthaber. Nicht russische Panzer und Maschinengewehre, nicht Maschinenpistolen der Kommunisten konnten sie davon abhalten, ihr Leben zu wagen und zu opfern. In Ehrfurcht neigen wir uns vor ihnen und in Ehrfurcht grüßen wir sie: Sie alle, die Toten und die Lebenden, die vor der ganzen Welt Zeugnis dafür ablegten, dass sie keine Versklavung mehr ertragen konnten, vor diesen Märtyrern der Freiheit. Der ganzen Welt haben sie gezeigt, dass die Deutschen keine Sklaven sein wollen. Der ganzen Welt haben sie gezeigt, dass sie Tyrannei nicht mehr ertragen gewillt sind, dass die Zeit totalitärer Herrschaft für die Deutschen vorbei ist. Mit Waffen kann man ein unbewaffnetes Volk, ein wehrloses Volk zu Boden schlagen, aber seinen Willen, seine Entschlossenheit, sich nicht zu beugen, kann man nicht aus seiner Brust reißen […]. Neben der Trauer, neben dem Mitleid tritt der Stolz auf diese Helden der Freiheit, der Stolz auf alle, die sich auflehnen gegen diese seit nunmehr acht Jahren währende Sklaverei. Das ganze deutsche Volk hinter dem eisernen Vorhang ruft uns zu, seiner nicht zu vergessen, und wir schwören ihm in dieser feierlichen Stunde: Wir werden seiner nicht vergessen. Wir werden nicht ruhen und wir werden nicht rasten – diesen Schwur lege ich ab für das gesamte deutsche Volk – bis auch sie wieder Freiheit haben, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit. (Quelle: Bulletin der Bundesregierung, 24. Juni 1953) Aufgabe 1. Analysieren und interpretieren Sie die vorliegende Quelle. Nutzen Sie dazu die tabellarische Übersicht! Formulieren Sie anschließend als Ergebnis der Quellenanalyse und -bewertung ein prägnantes Sach- und Werturteil zum historischen Gegenstand (Sachverhalt). AB I-III Analyse Analyse Autor: sozialer Hintergrund Quelle: Textart Adressat: Amt Zeit und Ort Aufbau Perspektive Darstellungsperspektive Argumentation Werten und Urteilen (Quellenkritik) Sachurteil: Werturteil : Aussageabsicht Analyse Autor: Adenauer sozialer Hintergrund CDU- Vorsitzender Amt 1. BK der BRD Perspektive Schwerpunkt auf Westintegration setzend, Wiedervereinigung nicht im Vordergrund Quelle: Textart: Trauerrede Zeit und Ort: Westberlin am 23.6.1953 Adressat: alle deutsche Bürger in West und Ost Aufbau 1. Beschreibung der Bedeutung des Aufstandes: Aufzählung der betroffenen Städte: Übertreibungen 2. Ursachen , Ziele und Gefahren des Aufstandes zusammenfassen und würdigen: Verzweiflung und Not gegen Sklaverei und Unterdrückung, trotz Panzer und Maschinengewehren 3. Verneigung vor den Opfern und Aufständischen, die Deutsche wollen keine Sklaven sein, Zeit der totalitären Herrschaft ist vorbei 4. Schwur, das deutsche Volk hinter dem eisernen Vorhang nicht zu vergessen: Zielstellung: Wiedervereinigung Darstellungsperspektive Argumentation Aussageabsicht - keine Rechtfertigung des nicht aktiven Einsatzes und der entsprechenden Unterstützung: Wiedervereinigung als fernes Ziel beschrieben: keine konkreten Angaben - Freiheitswillen des Deutschen steht im Mittelpunkt -Kennzeichnung des Unrechtscharakters des DDR-Regimes - 17. Juni wurde am 4.8.1953 zum Tag der deutschen Einheit erklärt - Opfer zu Märtyrern erklärt - vor Ehrfurcht verneigen - Trauerfeier für die Opfer, die es nur im Osten gab: Anspruch der Verantwortung auch für den Osten, Feiertag, aber keine konkrete Unterstützung: legen vor der Welt Zeugnis ab, die Deutschen - viele Übertreibungen, Aufzählungen, Pathos - Andeutung des Selbstlaufes der Vereinigung: elementare Wucht, wie ein Orkan – im Sinne von unaufhaltsam – impliziert auch, dass kein Eingreifen des Westen nötig ist - Kritik am Verhalten der DDR: gegen unbewaffnete und wehrlose Bevölkerung: Rhetorik - Würdigung der Leistung der Aufständischen: gegen Sklaverei und Unterdrückung: einseitige Sicht: VOLKSAUFSTAND Werten und Urteilen (Quellenkritik) Sachurteil: möglich wäre z.B. Aufstand von 1953 aus der Sicht der BRD als Volksaufstand charakterisiert (Aufzählung der Städte) gegen die Regierung und das politische System (Sklaverei und Unterdrückung) der DDR (Sowjetzone), des Ostblocks verstanden. BRD sieht ihre Rolle als Beobachter und Würdiger der Leistung, übt verbale Kritik an der Vorgehensweise der DDR und der SU, ohne direkt anzuklagen. Es ging um die Vermeidung eines offenen Konflikts zwischen den Blöcken. Würdigung der Leistung – besonders durch die Bevölkerung Westdeutschlands führt dazu, dass Adenauer das Versprechen abgibt, die Vereinigung beider deutschen Staaten im Auge zu behalten: Schwur, aber ohne zeitliche Konkretisierung. Werturteil : möglich wäre z.B. Handelte sich bei diesem Aufstand um einen wirtschaftlich motivierten Protest der Berliner Bauarbeiter gegen eine 10% Normerhöhung, die sich auf andere Städte ausweitete und schließlich auch politische Forderungen aufgenommen hat. Ursächlich kein Aufstand der Bevölkerung zum Sturz der Regierung der DDR. Diese Sichtweise wurde vom Westen verstärkt in den Vordergrund gerückt in Verbindung mit der ideologischen Gegensätzlichkeit beider Systeme. Zu betrachten sind die passive Haltung des Westens bei diesem Aufstand und die geringen Proteste gegen die Vorgehensweise der DDR und SU, die im Zusammenhang mit der Westorientierung Adenauers gesehen werden müssen. Auf der anderen Seite der Anspruch der BRD, auch für die Bürger der DDR zu sprechen: Hallstein-Doktrin (1955)